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Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember -: schwedische Märchen
Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember -: schwedische Märchen
Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember -: schwedische Märchen
eBook347 Seiten5 Stunden

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember -: schwedische Märchen

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Über dieses E-Book

Der Dezemberband der Märchensammlung der schwedischen Autorin Larissa Tjärnväg beschreibt das Leben des Tomte Kalle-Nisse auf einem verlassenen Bauernhof in Dalarna, dessen Einwohner ausgewandert sind als Rahmenhandlung. Tomte werden zu den "kleinen Leuten" gezählt, in Deutschland würde man sie als Wichtel oder Heinzelmännchen beschreiben.

Durch die dunkle Jahreszeit und die schwedische Wintereinsamkeit bedingt, erzählt der Tomte Kalle-Nisse jeden Abend seinem Kater Felix und einer ebenfalls auf dem verlassenen Bauernhof lebenden Mäusefamlie ein Märchen oder einen seiner Träume. Der Dezemberband ermöglicht so auch einen Einblick in das schwedische Weihnachten und die andere Art es zu feiern.
Für jeden Abends des Monats Dezember steht ein längeres oder kürzeres Märchen bereit, das auch auf die Luciafeiern eingeht.
Kalle-Nisse ist aber als schwedischer Wichtel auch mit der alten Religion des Norden verbunden, das gilt auch die die Autorin dieser Reihe. Für Larissa Tjärnväg ist es der erste Märchenband der in Deutschland veröffentlicht wird.
Die Märchen sind an ein Erwachsenes Publikum adressiert. Eigentlich durch die Rahmenhandlung auch ein schöner Adventskalender
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum23. Juli 2021
ISBN9783754145845
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    Buchvorschau

    Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember - - Larissa Tjärnväg

    Vorwort

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    dieses Buch der Erzählungen und Träume von Kalle-Nisse ist in der dunklen Jahreszeit und in generell dunklen Zeiten für die Menschen entstanden.

    Es ist die Zeit, in der die kalten Winde die Schneeflocken und Eiskristalle um das Haus jagen und sich an ruhigeren Stellen im Wald und auf Feldern zu Verwehungen aufhäufen. Es ist aber auch die Zeit und Jahreszeit der Umbrüche.

    Auch unser Tomte Kalle-Nisse, die Hauptperson dieses Buches, hat so einen Umbruch für sich erlebt. Jahrelang lebte er mit Familien auf einem Bauernhof in Dalarna zusammen, bevor der Hof durch das Auswandern seiner Bauernfamilie für immer verlassen wurde. Da die Tomte an den Hof gebunden sind, bleibt er einsam zurück. Sein Leben wird fortan von dem ebenfalls zurückgebliebenen Kater des Bauernhofes bestimmt.

    Das stört ihn allerdings nicht. Tomte sind Lebewesen mit mystischem Ursprung, sie verfügen über Zauberkräfte, die ihnen helfen, das Leben nicht so schwer zu nehmen und im Griff zu behalten.

    In und mit diesem Buch hast du als Leser und Leserin die Möglichkeit, den Tomte Kalle-Nisse einen Monat lang zu begleiten und mitzuerleben, wie er den Dezember in der Einsamkeit des schwedischen Winters verbringt. Jeden Tag, oder besser jeden Abend des eintönigen Dezembers, erzählt er den verbliebenen Tieren seinen Hofes ein Märchen oder berichtet über einen seiner Träume, wobei man merkt, dass er aus dem Norden kommt und auch in der alten Mythologie fest verankert ist.

    Wenn dir Namen, Begriffe oder Inhalte spanisch bzw. hier zu schwedisch vorkommen, so schau einfach auf die letzten Seiten dieses Buches. Ich hoffe hier ein paar Erklärungen abgegeben zu haben, die dir vielleicht weiterhelfen.

    Jetzt bleibt mir nur noch dich als Leser oder Leserin dieses Buches, in der Welt und auf dem Bauernhof des Tomte Kalle-Nisse zu begrüßen und zu hoffen, dass es eine angenehme Begegnung mit ihm wird!

    Larissa Tjärnväg

    im März 2021

    Kalle-Nisse erzählt…

    Es sollte wohl ein strenger Winter werden. Kalle-Nisse schaute etwas griesgrämig aus seinem kleinen Fenster im Fundament des Wohnhauses seines Bauernhofes in Dalarna, bevor er sich wieder in seinen kleinen Holzsessel begab.

    Schnell legte er noch ein kleines Holzscheit in den Ofen und begann zu sinnieren. Ja, jetzt war er 450 Jahre alt, noch kein allzu großes Alter für einen Tomte, aber immerhin schon beachtlich. Es war ein ganz besonderes Jahr, nach 420 Jahren war er zum ersten Male alleine auf seinem Hof. Ja, er hatte erlebt wie der erste Baum gefällt wurde, um das Wohnhaus zu errichten, er erinnerte sich noch an die erste Kuh, die in den neugebauten Stall einzog, wobei ihm die Tiere des Hofes immer über alles gingen.

    Doch jetzt war alles leer und verlassen. Nach zwei Sommern mit Schnee und Eisregen wurde der Hof verlassen oder verkauft, das wusste er nicht so genau und im späten März, als der Schnee etwas gewichen war, zog der Bauer mit seiner Familie, seiner Kutsche und der großen Reisetruhe für immer weg. Zur Küste wollte man wohl und sich nach Amerika einschiffen. All das Vieh wurde vorher verkauft und der Stall war zum Jahreswechsel schon recht leer. Als dann im März auch noch die letzte Kuh den Hof verließ und die große Reisetruhe gepackt war, wurde Kalle-Nisse sehr traurig. Sehr lange blickte er dem Wagen hinterher, als das Gatter geschlossen wurde. Nur Felix, der alte Kater war im Hof geblieben und sorgte dafür, dass die Mäuse nicht allzu frech wurden. Der Sommer kam, als Ausgleich zu den beiden grausamen Jahren ein sehr warmer Sommer, aber statt Hafer und Weizen, keimte diesmal nur Gras auf dem Acker. Kalle-Nisse war sehr bescheiden und hatte sich noch gut mit Hafer für seine Grütze eingedeckt.

    Als der Hof gebaut wurde, stand er mit vielen aus seiner Tomtefamilie vor dem Fundament des neuen Hofes und er war sehr erstaunt, dass es an ihm war hier zu leben.

    Der Herbst war nun auch schon fast vorüber und die Tage wurden kürzer, die Schatten länger und der erste Geruch von Schnee lag in der Luft. Als dann die Dämmerung einsetzte, zündete Kalle-Nisse sich eine Kerze an und schlich zu seinem kleinen Herd, um sich Hafergrütze auf seinen Holzteller zu füllen. Brummelnd suchte er seinen Holzlöffel, um dann zu seinem Sessel zurück zu schlurfen.

    Aber nutzen wir die Zeit, in der er seinen Haferbrei verdrückt, um etwas über die Tomte zu erfahren. Tomte gehören zu den kleinen Menschen, sie leben bis hoch in den Norden und können sich bei Bedarf unsichtbar machen. Auf jedem Bauernhof in Schweden lebt immer nur ein Tomte. Man kann sie mit Wichteln vergleichen, sie werden nicht groß, tragen eine rote Zipfelmütze, haben meistens einen langen weißen Bart und lieben die Tiere ihres Bauernhofes. Jeder Bauer und jeder Hof ist meistens bemüht, sich mit seinem Hoftomte gut zu stellen, ich möchte hier nicht berichten, was passiert, wenn man seinen Tomte schlecht behandelt hat oder mit seinem Vieh schlecht umgegangen ist. Mit Eiswasser gefüllte Stiefel, in die man morgens hineintappt, sind da das Mindeste was ein Tomte dann so anstellt.

    Weihnachten ist für Tomte übrigens eine besondere Zeit. Da wird für den Tomte eine schöne Schale mit Hafergrütze bereitgestellt, die er sich dann abends abholt, wenn die Familie eingeschlafen ist. Natürlich gehört dazu ein Holzlöffel. Tomte hassen Metalle und auch Metalllöffel. Wer es einmal gewagt hat, ihm einen Metalllöffel anzubieten, der wird dann des nachts auch das Gepolter gehört haben, das der kleine Mensch in der Weihnachtsnacht veranstaltet.

    Doch dieses Jahr war alles anders, „kein schöner Haferbrei mehr durch die Bäuerin, grummelte Kalle-Nisse und schob seinen leergegessenen Teller auf sein kleines Tischchen: „Auch keine Kühe, Pferde und Schweine mehr, die ich striegeln und bürsten kann. Mit einem Seufzen zog er seine roten Stiefel aus und legte seine Beine mit seinen breiten Füßen und den roten Wollsocken auf den kleinen Fußhocker. Danach zog er einen Flechtkorb mit zwei versiegelten Dokumentenrollen zu sich heran. „Dann werden wir einmal Zeit haben, die Erzählungen zu lesen, die mir mein Onkel vor mehreren Jahren geschickt hat."

    Vor seiner Tür hörte er plötzlich ein Miauen und sah Felix, den Kater, der sich in seine Wohnung durch die kleine Tür im Fundament hereinzwängte. „Ja, der einzige warme Platz ist halt nur noch an meinem kleinen Öfchen". Felix legte sich in Ofennähe hin, fing an zu schnurren und bald zu schnarchen.

    Kalle-Nisse sah ihm eine Weile zu, legte seine Hände auf den Bauch und damit auf seinen wuchtigen, weißen Bart und tat es ihm bald gleich.

    Nach ein paar Seufzern, die er schon selbst nicht mehr hörte, träumte er dann seinen ersten Dezembertraum.

    Das Töpfchen der alten Frau (1. Dezember)

    Vor langer Zeit lebte einmal eine alte Frau zusammen mit ihrem Sohn auf einem kleinen Hof, ganz in der Nähe von Mora. Der Sohn war spät geboren, noch recht jung und die Frau schon recht betagt. Als sie merkte, dass ihre Zeit des Abschieds von dieser Welt bald gekommen war und sie ihren Sohn zurücklassen musste, wurde sie immer trauriger. Oft, vor allem, wenn sie sich in ihrer kleinen Küche unbeobachtet fühlte, kullerten die Tränen über ihre Wangen. So wurde es für sie von Tag zu Tag schlimmer. Jetzt war schon der Herbst gekommen und beim Kochen liefen ihre Tränen auf die Herdplatte, von wo aus sie zischend verdampften. Es war nun gerade der zehnte August, als die Tränen von den Wangen als kleiner Bach auf den Herd fielen. Da gab es auf einmal ein lautes Rumpeln und Krachen, dass man meinte, der Leibhaftige komme aus der Hölle gefahren und eine merkwürdige Gestalt in der kleinen Küche erschien.

    Diese Gestalt, sie sah wie ein Mönch aus, war unheimlich, da sie einen großen und glühenden Eisenrost hinter sich herzog. An ihrem Gürtel hing zudem ein prall gefüllter Beutel, der voll mit Münzen gefüllt zu sein schien.

    „Frau, lass die Trauer und das Weinen sein, deine Gebete sind erhört worden, sprach die Erscheinung. Der Mönch deutete auf den kleinen Topf, der auf dem Herd vor sich hin kochte: „Von heute an wird sich der Himmel um deinen Sohn kümmern. Natürlich war die Frau über die Erscheinung sehr erschreckt. Da legte der Mönch sieben alte Goldmünzen mit dem Abbild eines alten römischen Kaisers aus seinem großen

    Beutel auf den Tisch und sprach: „Das wird reichen, bis dein Sohn erwachsen ist und er selbst den Hof als Bauer führen kann. Danach blickte er wieder auf das kleine Töpfchen der alten Frau und fuhr fort: „Achtet auf den kleinen Topf und haltet ihn in Ehren, so soll es allen hier auf dem Hof gut ergehen. Bei Zeiten werde ich hier wieder nach dem Rechten sehen.

    Ehe die alte Frau, die natürlich sprachlos war, auch nur ein Wort sagen konnte, war die Erscheinung wieder krachend und polternd verschwunden, so wie sie gekommen war.

    Am nächsten Morgen, kurz bevor die alte Frau in ihre Küche gehen konnte, hörte sie von ihrem Herd schon ein Geklapper, als wenn jemand kräftig in der Küche wirtschaftet und es kam ihr der Geruch von allerfeinster und süßer Hafergrütze entgegen geströmt, als sie sie selbst nicht besser kochen konnte.

    Dann in der Küche angekommen, fand sie den schönsten Haferbrei mit vielen Mandeln angerichtet in ihrem Töpfchen blubbern. Jetzt wusste sie, was die Erscheinung gemeint hatte. So ging es jetzt jeden Morgen. Kurz nachdem sie aufgestanden war, roch sie die schönsten Speisen aus ihrer Küche. Nun, dachte sie, ist mein Sohn versorgt und sie starb in Ruhe, noch bevor der Heilige Wolfgang das Laub bunt einfärben konnte.

    Das Töpfchen hielt sein Versprechen ein, es kochte weiterhin jeden Morgen und Abend eine Mahlzeit für den Sohn, der langsam zu einem rechten und auch wohlhabenden Bauern heranwuchs.

    Natürlich hat es sich herumgesprochen, dass der Sohn der alten Frau nicht mehr so arm war und es kamen viele Frauen auf den Hof, die es mehr auf Gold und einen möglichen Reichtum abgesehen, als ein ehrliches Interesse an dem Sohn der alten Frau hatten.

    Doch da hatte man wohl nicht mit dem kleinen Töpfchen und dem Versprechen an die alte Bäuerin gerechnet. Sobald nämlich eine solche Frau auf dem Hof war, fing das Töpfchen auf dem Herd morgens an zu poltern und zu rumpeln. Es gab keine leckeren Speisen mehr, sondern Versalzenes und Verbranntes.

    Wenn dann eine dieser Frauen versuchte, das Töpfchen vom Herd zu nehmen, so war es auf einmal so glühend heiß, dass sich so manche die Finger verbrannte.

    Es ließ sich aber auch so nicht vom Herd nehmen, ziehen oder schieben, es schien auf einmal fest mit dem Herd verbunden, dass man meinen konnte, der Teufel persönlich hat es auf dem Herd festgeschmiedet.

    Irgendwann war dann die rechte Schwiegertochter für den Sohn der alten Frau dabei und das Töpfchen klapperte und kochte wie ehedem morgens auf dem Herd den süßesten Brei. Als der junge Bauer dann an das Heiraten dachte, kochte es natürlich zur Hochzeit auf, später auch bei den Kindstaufen.

    Viele Jahre später, unser vormals junger Bauernsohn war schon recht alt geworden, erschien auf einmal wieder der Mönch zu nächtlicher Stunde mit seinem glühenden Eisenrost in der Küche, dieses Mal bei dem Bauern, der gerade sein Nachtmahl einnahm.

    „Bauer, deine Zeit auf der Erde neigt sich bald dem Ende, so sprach er, „du wirst in der Ewigkeit schon erwartet. Ich habe mein Versprechen eingelöst, das der Himmel deiner alten Mutter gegeben hat. Bereite dich auf deinen Abschied von all dem hier vor.

    So plötzlich wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Drei Tage später verstarb der Bauer dann auch. Das Töpfchen kochte jedoch noch weiter, bis der Leichenschmaus vorüber war. Als der Bauer dann begraben war, blieb es zum ersten Mal nach vielen Jahren morgens in der Küche still. Es war des morgens kein Klappern, Zischen und Blubbern von frisch zubereitetem Brei in der Küche mehr zu hören und das Töpfchen stand still auf der Herdplatte. Das vor langer Zeit gegebene Versprechen war eingelöst, das Töpfchen ruhte seitdem. Natürlich wurde es weiter hoch in Ehren gehalten und man meinte ab und an, dass bei der Geburt eines Kindes auf dem Hofe, des morgens dann bei einer Taufe wieder ein Geräusch aus der Küche zu hören war und an diesen Tagen auch eine alte Frau an der Wiege gesehen wurde, die ein altes Wiegenlied summte.

    -

    Langsam wachte Kalle-Nisse wieder auf, da war er doch glatt in seinem Sessel eingeschlafen und hatte die ganze Nacht hier verbracht. Felix, der Kater, nieste ihn an und schlich hinaus in den frühen Morgen und den frisch gefallenen Schnee. „Ja, so ein Töpfchen müsste man schon haben, grinste Kalle-Nisse, „so hat man wenig Sorgen, wie die Grütze auf den Tisch kommt, schob danach seinen kleinen Kochtopf auf den Herd, nachdem er ein Feuer entfacht hatte. „Wer weiß schon, wo der Topf heute wohl geblieben ist?"

    Nach seinem ausgezeichneten Frühstück ging er über den Hof und stapfte durch den ersten Schnee des Jahres, den Fußstapfen von Felix folgend, um überall nach dem Rechten zu sehen und kleine Reparaturen im Stall durchzuführen. Ja, da wo es einen richtigen Tomte gibt, wird alles gut erhalten bleiben.

    Am Nachmittag waren sie mit den Aufräumarbeiten fast fertig, wobei Felix ihm fleißig helfen wollte, im Heu herumscharrte und dabei eine Krone sowie ein paar Öremünzen aus dem Lehmfußboden ausgrub. „Lass es liegen Felix, das können wir nicht gebrauchen, meinte Kalle-Nisse: „Tomte wie ich hassen Metalle, sie richten nur Schaden an und bedeuten Unheil. Heute Abend werde ich dir dazu eine Geschichte vom Onkel vorlesen.

    ***

    Am Abend dann, das Abendessen war schon eine Weile her, setzte sich Kalle-Nisse in seinen Stuhl, zog seine Stiefel aus und kramte im Korb mit den Schriftrollen: „Hier ist sie ja, die Erzählung vom Alten vom Berg, ein etwas unheimlicher Geselle, aber es soll ihn wirklich gegeben haben, nur zu dumm, dass die Menschen nicht auf weise Alte hören." Nachdem er seine Pfeife ausgekratzt hatte und sich eine Tasse mit warmer Milch geholt hatte, von der erfahrungsgemäß Felix sowieso den Löwenanteil schlabberte, begann Kalle-Nisse vorzulesen.

    Der Alte vom Berg (2. Dezember)

    Es war einmal vor langer Zeit, als das Postwesen noch jung war und die alten Wege im Norden des großen Königreichs sich langsam in erste Straßen wandelten, die mit einem Pferdegespann befahren werden konnten, da lebte an einer  alten Poststraße auf einem Berg ein weiser, alter Mann.

    Dem Alten sagte man nach, dass er ein Zauberer wäre und durch einen großen dunklen Spiegel regelmäßig in das Reich der Toten gehen konnte, auch oft mit ihnen sprach und irgendwie sonst mit ihnen Kontakt hatte.

    Die alte Poststraße, die noch über einen Berg und durch ein tiefes einsames Tal führte, das auch Flüsterwald genannt wurde, war längst durch einen neuen Postweg ersetzt worden, der um den großen Berg herumführte, wohl etwas länger war, aber diesen unheimlichen Ort umging.

    Nur noch Gestalten, die etwas zu verbergen hatten, nutzten den alten Weg über den Berg und durch das Tal.

    Nun war es Herbst geworden, es war Markt in der Reichsstadt, der immer eine Woche dauerte, und zusammen mit dem Markt verschwand meistens auch der Herbst, das Licht aus dem Jahreslauf, bevor der Winter endgültig einsetzte.

    So kam es, dass drei dunkle Gestalten, die es bis auf Fähigkeiten im Kartenspielen nicht zu sehr viel im Leben gebracht hatten, sich auch auf den Weg zum Markt aufmachten. Es wurde auf ihrem Weg nach Norden schon dämmrig und sie kamen an die Stelle, an der sich auf einer Lichtung die alte Poststraße von der neuen trennte.

    Der neue Weg zog bequem und breit am großen Berg vorbei, die alte Poststraße orientierte sich mehr nach Osten, zog sich windend durch den Wald und begann gleich mit einer guten und seichten Steigung.

    „Lasst uns den alten Weg nehmen, meinte der Erste und Älteste von den drei Gesellen. Daraufhin meinte der Zweite: „Es soll aber nicht alles mit rechten Dingen hier auf dem alten Weg zugehen, viele, die den Weg genommen haben, sind nie mehr wieder aufgetaucht oder andere sind wieder aufgetaucht und niemand hat sie mehr gekannt, da sie angeblich viele Jahre unterwegs waren. „Von einem merkwürdigen Alten habe ich auch schon gehört, meinte der Dritte, „aber was will der schon ausrichten, wir sind zu dritt und werden uns schon zu helfen wissen.

    So nahmen sie also den alten Weg, der nach einer Biegung von der Lichtung mit einer seichten Steigung im Wald verschwand.

    Der Wald war wirklich ein sehr alter und dichter Wald, die Sonne brach mit ihren allmählich sinkenden Strahlen noch durch die Zweige und man konnte viele Spinnweben, alte Äste und das welke Laub von vergangenen Jahren in den Bäumen hängen sehen, da es niemals wirklich zu Boden gesunken war. Der Wald duftete schon herbstlich feucht nach Pilzen und Laub.

    Nach einer Weile kamen die Gesellen auch an der alten Försterei vorbei und der Älteste meinte: „Lasst uns hier eine Pause machen, damit wir gegen Abend diese ermüdende Steigung hinter uns haben. „Übernachten möchte ich hier aber nicht, auch an diesem Ort soll es nicht so mit rechten Dingen zugehen. Die Försterei ist seit vielen Jahren verlassen und wurde mit Gründung des neuen Weges niedergelegt. Die Türen und Fenster sind fest verschlossen, aber abends ist oft Licht dahinter zu sehen, wird berichtet. Obwohl alles so lange leer steht, zeigen sich an der Försterei keine Zerfallserscheinungen, wenn auch sonst schon alles zerfallen war oder verfällt, meinte der Jüngste von ihnen und lehnte sich an den die Försterei umgebenden Jägerzaun, der in diesem Moment umfiel. „Da magst du recht haben, meinte der Älteste der drei, „wir werden nach einer kurzen Pause schnell weiterziehen. Die Geschichten über die Försterei habe ich auch im letzten Wirtshaus gehört und kann sie euch an einem langen Abend gern einmal erzählen.

    So gingen die Gesellen also weiter durch den Wald und ständig den Berg hinauf, der alten Poststraße folgend, bis sie mit den letzten Lichtstrahlen des Tages aus dem Wald heraustraten und auf eine Lichtung kamen, die schon in Nebel gehüllt da lag.

    Der Weg führte durch ein steinernes Gattertor auf ein altes Waldhaus zu, das eigentlich recht gastfreundlich aussah, der Kamin rauchte und aus einem Backofen stieg der Geruch von frischem Brot.

    „Na, ob der Alte, der hier wohnen soll, wirklich ein Zauberer ist und wir lieber etwas vorsichtiger sein sollten und besser im Wald übernachten?, fragte der jüngere der Gesellen. Gerade als der Älteste daraufhin meinte: „Nun, ein Bär ist er ja nicht und beißen wird er uns vielleicht auch nicht, wir sind ja auch zu dritt, als da auf einmal hinter ihnen eine etwas knorrige Stimme ertönte: „Das kommt ganz darauf an, was ihr vorhabt und wohin ihr des Weges seid."

    Erschrocken drehten sie sich um und sahen einen großen, alten Mann, ganz in einen weißen Umhang gekleidet, der sich auf einem langen Stab abstützte.

    „Wir sind auf dem Weg in die Reichsstadt und wir wollen zum Markt. meinte der Zweite der Gesellen. „Zum Spielen und Betrügen?, meinte daraufhin der Alte, der sie mit einem Blick betrachtete, der ihnen durch und durch ging.

    „Es ist keine gute Idee im späten Herbst die alte Waldstraße zu nehmen, viele sind hier vom Weg abgekommen und niemals wieder aufgetaucht, raunte er, „aber für heute könnt ihr hier bei mir übernachten und morgen gern weiterziehen, es ist eine noch schlechtere Idee den weiteren Weg in der Dämmerung zu nehmen.

    Das ließen sich die drei nicht zweimal sagen und zogen in ein kleines und gemütliches Zimmer des alten Waldhauses ein. Nach einem Humpen Bier und einer Pfeife, fingen sie an zu würfeln und Karten zu spielen. Das Waldhaus des Alten war eigentlich sehr gemütlich eingerichtet, es gab kleine Fenster mit schönen Vorhängen, durch die der Mond herein leuchtete, an den Wänden hingen zierliche, wenn auch alte Kerzenleuchter, von denen ein warmer Lichtschein ausging. Im Hauptraum des Waldhauses hing tatsächlich ein großer, mannshoher Spiegel, der von einem alten, verzierten Rahmen umgeben und mit Vorhängen zugehängt war. Die drei stießen sich nur an. „Da ist wohl doch etwas dran, an den Erzählungen, flüsterte der Erste, „aber was soll‘s, hier ist es warm und trocken, das Bier und die Pfeife schmecken auch.

    Dem Alten gefiel das Kartenspielen nicht sonderlich, er wollte sich viel lieber unterhalten: „Wer keine Gedanken auszutauschen hat, muss vermutlich Karten austauschen, raunte er und nach einer Weile fragte er nochmals: „Ihr drei wollt wirklich den alten Weg weiterziehen?. „Natürlich, wir gehen jetzt nicht mehr zurück, zumal wir ja schon die höchste Stelle erreicht haben und es jetzt von hier nur noch abwärts gehen soll", meinte der Erste der drei.

    „Nun gut, meinte der Alte daraufhin, „dann hört mir zu und seid gewarnt. Von hier aus ist es bis zur Reichsstadt ein guter Fußweg von ein und einem halben Tag. Ihr könnt eigentlich nicht falsch gehen, solange ihr nicht von dem Weg abweicht, ihr müsst immer nur nach Norden gehen. Nach einem halben Tagesweg erreicht ihr den Ruhestein, wie er von den Alten genannt wird, der sehr gut erkennbar ist, da er wie eine Bank aussieht. Auch wenn ihr nur einen halben Tag gewandert seid, bleibt bei dem Stein, macht euch ein Feuer und übernachtet dort. Am Folgetag geht ihr über die große Lichtung, folgt dem Weg weiter nach Norden und kommt dann durch ein Tal, das auch der flüsternde Wald genannt wird. Haltet Euch nicht auf und geht schnell durch das Tal, bis ihr die alte Steinbrücke erreicht habt. Vor allen Dingen biegt am Kreuzweg auf der Lichtung nach dem Ruhestein weder nach Osten, noch nach Westen ab.

    „Was ist denn so Schlimmes an der Kreuzung und wohin führen denn die anderen Wege?", fragte der Jüngste der drei Gesellen.

    „Ich habe so eine Frage schon vermutet, grummelte der Alte daraufhin, „die meisten, die diese Frage gestellt haben, sind nie mehr aufgetaucht. Nun, ich will es euch erzählen. Die Wege nach Westen und Osten sind nicht für die Lebenden bestimmt. Als die alte Poststraße vor vielen hundert Jahren angelegt wurde, waren sie schon da und eine Kreuzung ließ sich nicht vermeiden. Beide Wege führen für die Lebenden nirgendwo hin. Der Weg nach Westen führt zum Haus und zur Bank des Philosophen, ein sehr unheimlicher Ort. Vor langer Zeit hat hier einmal ein Philosoph mitten im Wald gelebt, sein Haus steht noch und manchmal meint man seine rezitierende Stimme zu hören, wenn man davor steht. Geht man am Haus vorbei, so steht man plötzlich an einem steilen Felsabgrund, der viele, viele Aln steil nach unten führt und zu dessen Fuß ein See liegt. Hier steht eine steinerne Bank, die auch Bank des Philosophen genannt wird. Eine alte Erzählung berichtet: Legt man ein Geschenk für den Philosophen auf die Bank, so ist es morgens verschwunden und man erfährt in einem Traum eine Lösung auf eine Frage, die einen wirklich bekümmert. Aber das ist eine lange Geschichte, die ich euch vielleicht ein anderes Mal erzählen kann.

    Die drei Gesellen stießen sich an und grinsten: „Und der andere Weg, alter Mann?"

    Der Alte seufzte: „Der Weg nach Osten wird auch als der Weg zum Fährmann oder der Weg zur versunkenen Moorstadt bezeichnet. Ihn solltet ihr unbedingt meiden, wie ihn jede lebende Seele meiden sollte."

    Danach setzte er sich hin, zündete sich seine Pfeife wieder an und schwieg, Rauchkringel stiegen aus seiner Nase, seinem Mund und bildeten merkwürdige Formen. Ein Kringel aus seinem Mund sah aus wie ein hüpfender Hase, im Anschluss kam aus seiner Nase ein Kringel, der wie ein Fuchs aussah und sich dann auf den Hasen stürzte.

    „Was hat es jetzt mit dem Weg nach Osten auf sich und warum sollen wir uns denn so durch das Tal des flüsternden Waldes beeilen?", fragte der Jüngste.

    „Ja", seufzte der weise Alte nach einer Weile, „das will ich euch dann auch noch berichten, wenn ihr es wirklich wissen wollt, ihr lasst mir ja eh keine Ruhe. Wenn die Menschen sterben, dann wird sich die Seele des verstorbenen Menschen in das Reich auf die andere Seite aufmachen, dabei gehen die Seelen ein Stück des Weges, auf dem die alte Poststraße gebaut wurde. Bevor sie durch das Tal des flüsternden Waldes kommen, gehen sie an einem kleinen Waldwächterhaus vorbei, das ihr auch passieren werdet. Nachdem ihr am Haus vorbei seid, befindet ihr euch wieder auf der normalen Straße in die Reichsstadt und der alte Waldweg ist zu Ende. Das Waldwächterhaus liegt auf der einen Seite in einem kleinen Tal, auf dessen anderen Seite sich ein Brunnen befindet. Für lebende Menschen wirkt der Brunnen leer und ausgetrocknet, für die Seelen der Verstorbenen ist er mit frischem Quellwasser gefüllt, das aus dem unterirdischen Fluss Lethe gespeist wird. Trinkt eine Seele davon, so vergisst sie oft den Weg und fragt sich, wohin sie weiterziehen muss. Die Seelen, die den Weg kennen, passieren danach die Steinbrücke und wandern bis zur Wegkreuzung, bei der sie nach Osten abbiegen. Das ist der Teil des Weges, den ihr meiden sollt.

    Diejenigen, die aus dem Brunnen getrunken haben, finden den Weg aber nicht so einfach und fangen an, jedes andere lebende Wesen im Tal des flüsternden Waldes nach dem Weg zu fragen. Tagsüber meint man, der Wind säuselt und flüstert in den Wipfeln der Bäume, aber zum Einbruch der Dunkelheit und auch im Nebel sieht man sich von vielen Seelen umringt, die sich an einem festklammern und geführt werden wollen. Ihr jedoch geht diesen Seelen entgegen und wollt nicht in ihre Richtung gehen", dabei deutete er auf die drei Gesellen.

    „Was macht es uns aus?, meinte einer der drei Gesellen. „Nichts, meinte der Alte, „wenn ihr auf dem Weg bleibt und nicht abends unterwegs seid."

    „Wenn wir jetzt nach Osten abbiegen? „Wenn ihr nach Osten abbiegt, dann führt der Weg an einem Sumpf vorbei und endet schließlich nach einer weiteren Tagesstrecke an einem Fluss, den man auch Gjöll nennt, das andere Ufer liegt meist im Nebel. Genüsslich blies er weitere Rauchkringel in die Luft. „Im Sumpf ist vor vielen, vielen Jahren eine ganze Stadt versunken, die Niflheim hieß, die Lebenden sehen sie deshalb nicht mehr, aber das gilt nicht für die Seelen der Verstorbenen. Alle, die auf dem Weg zum Gjöll sind, die Fähre des Fährmanns Graubart oder die Ewigkeitsbrücke suchen und den Weg finden, verbringen ihre letzte Nacht hier auf der Erde in der Stadt Niflheim. Für die Verstorbenen ist die Stadt nicht versunken und sie liegt sehr nahe an der Wegkreuzung der Lichtung. Manchmal, im späten Herbst, wenn sich die Welt der Lebenden und der Toten wieder annähern, die Übergänge offener sind, ist die Stadt auch für die Lebenden sichtbar, leider, seufzte der Alte. „Ich kann jedem lebenden Wesen nur raten, hüte dich davor, auch nur einen Fuß in ihre Mauern zu setzen. Denn ein Tag wird wie ein Jahr sein, viele die es nicht glaubten, haben es erfahren müssen. Aber jetzt wird es Zeit schlafen zu gehen, der Weg über die alte Poststraße ist um diese Jahreszeit nicht einfach.

    Als die drei Gesellen am nächsten Morgen aufwachten, war der Alte verschwunden und nirgendwo

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