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Die Kinder der Wetterblüte
Die Kinder der Wetterblüte
Die Kinder der Wetterblüte
eBook395 Seiten5 Stunden

Die Kinder der Wetterblüte

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Über dieses E-Book

"Die Kinder der Wetterblüte" ist eine Geschichte zweier Helden, einem kleinen Mädchen und einem ebenso jungen Prinzen, die das gleiche Schicksal teilen. Aufgrund verschiedener Schicksalsschläge von ihren Eltern verlassen, machen sich die beiden auf die Suche nach Liebe und Geborgenheit ihrer Eltern und auf in den Kampf gegen das Böse in ihrem Königreich. Hierbei durchleben die beiden Helden und ihre fabelhaften Weggefährten eine Vielzahl an Abenteuern und müssen vor allem ihren Mut und ihren Willen immer wieder unter Beweis stellen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum23. Jan. 2020
ISBN9783750274877
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    Buchvorschau

    Die Kinder der Wetterblüte - Robin Krupp

    cover.jpg

    Die Kinder der Wetterblüte

    Robin Krupp

    Covergestaltung: Jonas Lieberknecht

    für Sharky Olsen und den Muck

    I. Nebel

    Kapitel 1

    Als Teah die Augen aufschlug, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Es war nicht bloß eine Ahnung oder ein Gefühl. Nein, sie wusste es an diesem Morgen einfach mit einer untrüglichen Bestimmtheit. Es gab keinen Zweifel. Sie konnte es fühlen, sie konnte es riechen, ja, sie hatte sogar so einen seltsamen Geschmack im Mund. So etwas geschieht häufig Menschen, wenn sie ein großes Abenteuer vor sich haben. Wenn also etwas auf sie zukommt, was sie ganz und gar verändern wird. Natürlich wissen die Menschen in diesem Moment nicht, dass sie ein großes Abenteuer vor sich haben. Sie sind sich nur ganz einfach sicher, dass etwas völlig falsch, völlig anders ist, als sie es gewohnt sind. Da sowas natürlich mächtig Angst machen kann, ist es eigentlich recht gut, dass diese Abenteurer noch nichts von dem wissen, was vor ihnen liegt. Nicht wenige würden sich sonst vielleicht gar nicht auf ihre Abenteuerreise begeben. Und die wenigen, die sich vielleicht doch auf den Weg machten, die hätten wahrscheinlich so viel Angst, dass sie ganz langsam gingen oder ständig nervös an den Nägeln kauten, was natürlich mehr als störend ist, wenn man ein Abenteuer zu bestehen hat.

    Teah jedenfalls hatte so ein unglaubliches Abenteuer vor sich und dieses Abenteuer war eigentlich eine Nummer zu groß für sie. Man muss nämlich wissen, dass Teah erst neun Jahre alt war. Und bis zu diesem Morgen war Teah gar keine Abenteurerin und sie hätte wohl gelacht, wenn man sie gefragt hätte, ob sie eine wäre. Tatsächlich war Teah nämlich ein kleines, recht normales Mädchen mit blonden Haaren, immer roten Wangen und großen mandelförmigen Augen. Die hatte sie ihrer Mutter zu verdanken und ihren Eltern ging jedes Mal das Herz auf, wenn Teahs Augen über irgendetwas strahlten. Und bis zu dieser schicksalhaften Zeit strahlten ihre Augen sehr oft. Zwar hatte Teah keine Freunde, denn da, wo sie lebte, wohnten in einem weiten Umkreis keine anderen Menschen. Doch das hatte ihr nie viel ausgemacht, denn was man nicht kennt, vermisst man schließlich nicht. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Vater in einem kleinen, leicht wackligen Holzhaus mitten in einem wunderschönen Tal. Dieses wirklich ausnehmend schöne Stückchen Erde befand sich in einem uralten Königreich, an das sich nur die Wenigsten heute noch erinnern und dessen Name wohl gänzlich in Vergessenheit geraten ist.

    Durch das Tal hindurch führte nur ein einziger Weg. Lief man darauf von Westen nach Osten, so erhob sich linkerhand eine majestätische Bergkette, auf deren Gipfeln das ganze Jahr über Schnee in der Sonne glitzerte. Es gab kleine Pfade, die sich da hinaufschlängelten, doch hatten Teahs Eltern sie immer davor gewarnt, da aufzusteigen. Berge waren schließlich nichts für kleine Mädchen.

    Auf der rechten Seite hingegen erstreckte sich, etwas abseits des Weges, ein Wald, der sich über langgedehnte Hügel legte und sich weigerte, einen Blick auch nur auf einen Millimeter Waldboden freizugeben. Zwischen der Bergkette und diesem Waldrand aber wuchs herrliches grünes Gras, in dem wiederum Wildblumen unverfroren in den Himmel schossen, ohne sich dabei an Farbvorgaben oder zulässige Höhen zu halten. Und genau in diesen Auen stand das alte Haus von Teahs Familie. Nach so vielen Jahren war es immer noch ein gutes Haus, fand Teah, wenn es sich auch leicht zur Seite neigte. Das heißt, die Wände, auf denen das Dach lag, die waren schon gerade, aber eben jenes Dach war ganz verschoben und glich einer schief aufgesetzten Zipfelmütze. Genau unter diesem Dach, in der oberen Etage, lag Teahs Zimmer, zu dem man über eine schmale und sehr steile Holztreppe hinaufsteigen musste, die bei jedem Schritt entsetzlich knarrte. Wenn man aber geschickt genug war und sich vorsichtig auf der letzten Stufe hinhockte, so konnte man von hier noch passabel in die Wohnstube herunterschauen. Das war natürlich nichts für die Erwachsenen, aber Kinder wie Teah konnten hier herrlich spionieren.

    Teah hatte ihr Leben eigentlich recht gut gefallen, denn auch für damalige Verhältnisse war es nicht unbedingt üblich, dass man so weit draußen in der Natur wohnte. Doch Teahs Vater war Holzfäller, genauso, wie auch schon ihr Opa und ihr Ur-Opa und wer weiß, wie viele Opas davor noch. Nun hatten Holzfäller in diesem Königreich nicht unbedingt das große Los gezogen, denn Bäume zu fällen war ein schlecht bezahlter, gefährlicher Beruf, voller Anstrengungen und Entbehrungen, doch ihr Vater beklagte sich nie.

    „Jeder hat seine Pflicht zu erfüllen, sagte er immer. „So ist es überall und so ist es auch in unserem Land.

    Dieses Land wurde aus einer weit im Landesinneren liegenden Königsburg heraus regiert. Vermutlich von einem König, so dachte Teah, denn so war es doch wohl üblich bei Königsburgen. Natürlich hatte sie den König noch nie zu Gesicht bekommen, doch daran verschwendete sie keinen Gedanken. Von Schlössern oder Herrschern wusste Teah ohnehin nicht viel. Ihre Eltern sprachen mit ihr nie darüber und so spielte es in ihrem Leben keine Rolle. Sie liebte es vielmehr, im Tal herumzuspringen, die vielen verschiedenen Tiere zu beobachten oder einfach nur im Gras zu liegen und die Wolken über die Bergspitzen ziehen zu sehen. Es reichte ihr völlig, mit ihrer Mutter gemeinsam Pilze zu sammeln oder auf die große Tanne vor ihrem Haus zu klettern und auf ihren Vater zu warten, wenn der abends von der Arbeit heimkam. So kann man fast sagen, dass Teah viele Jahre lang ein rundum glückliches kleines Mädchen war. Ja, Teah war wohl so glücklich, wie lebhafte, neunjährige Mädchen sein sollten.

    Das Unheil hingegen, das für Teahs Abenteuer verantwortlich war, kam auf ganz leisen Sohlen. Denn als sich der Sommer langsam aus dem Tal verabschiedete, legte sich nach und nach ein Schatten auf Teahs Seele, der sich heimtückisch ausbreitete wie flüssige Dunkelheit. Am Anfang merkte sie es fast gar nicht. Es fiel ihr nur auf, dass es immer weniger Blumen gab. Obwohl, das ist nicht ganz richtig. Es gab schon weiterhin Blumen, doch die schönen bunten Wiesenblumen verloren auf eine seltsame Art ihre Farbe und ihre Form. Manche bekamen ganz dicke, saftige Blätter, wurden erst grau und dann noch dunkler. Oder bildete sich Teah das nur ein? Und wenn sie durch das sonst so herrliche Gras lief, war es dann nicht so, dass es sich nicht mehr so frisch anfühlte? Es war irgendwie trocken, ja es piekste fast an den Füßen. Sie war sich nicht sicher, aber es schien ihr, dass das Gras auch nicht mehr diese satte grüne Farbe hatte. Das alleine hätte Teah vielleicht nicht beunruhigt, eines Tages jedoch bemerkte sie, dass es bei weitem nicht mehr so viele Tiere gab, die sie hätte beobachten können. Wahrscheinlich finden sie einfach nicht mehr genug Futter, dachte sie, doch das betrübte sie umso mehr.

    Das Tal schien jetzt wie ausgestorben und ein seltsames Gefühl der Einsamkeit machte sich in ihr breit. Auch wenn sie nicht so recht wusste, wie sie das alles in Worte fassen sollte, nahm sie sich vor, mit ihren Eltern darüber zu sprechen. Sie wussten immer einen Rat und waren für sie da, wenn es ihr einmal schlecht ging. Zu Teahs Entsetzen aber veränderten sich auch ihre Eltern. Wenn sie früher bei jeder Gelegenheit schnatterten, beim Abendbrot noch schlimmer als beim Frühstück, so wurden sie jetzt mit jedem Tag stiller und stiller. Schatten lagen auf ihren immer häufiger in Falten gelegten Stirnen. Was war nur los mit ihnen? Was war nur los mit ihrem Tal? Was sollte das alles? Irgendwann hielt Teah es nicht mehr aus. So konnte es unmöglich bleiben.

    „Mama? Papa? Wisst ihr, ich glaube, unser Tal verändert sich gerade." Sie versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen, doch es misslang ihr gehörig.

    „Das Gras ist ganz grau, und es ist so still geworden. Es gibt kaum noch Tiere."

    Als Teah das gesagt hatte, hatte sie eigentlich fest mit einer guten Erklärung ihrer Mama oder einem lustigen Scherz von ihrem Papa gerechnet. Ein einfaches Zeichen von Normalität hätte ihr gereicht. Stattdessen aber sah ihr Vater ihre Mutter stumm an und schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. Und als wäre das noch nicht schlimm genug gewesen, sagte ihre Mutter:

    „Teah, Liebling, mach dir keine Sorgen. Iss dein Brot auf, es ist schon spät."

    Genauso gut hätte sie Teah einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schütten können. So etwas hatte es noch nie gegeben. Zwar hatten sie ihre Tochter auch früher nie mit irgendetwas belastet, aber Teah hatte auch nicht das Gefühl, dass es da je etwas gegeben hätte. Jetzt aber hatten ihre Eltern ein Geheimnis, sie schienen etwas zu wissen, was Teah nicht wissen durfte und das war genauso ungewöhnlich wie angsteinflößend. Teah fühlte sich plötzlich ganz klein, ja irgendwie ganz einsam und ausgeschlossen und so wuchs das Häufchen Unbehagen zu einem mächtigen Berg Angst. Sie wurde ganz still, aß ihr Brot und ging schließlich in ihr Bett, auch wenn sie schon jetzt wusste, dass sie nicht würde einschlafen können. Stattdessen lag sie noch lange wach, wälzte sich hin und her und suchte nach Antworten. Ihre Eltern verheimlichten etwas. Das hatten sie doch noch nie gemacht. Oder etwa doch? Vielleicht wollten sie sie vor irgendetwas schützen? Aber wovor? Wurden sie von irgendetwas bedroht? Bis zur Erschöpfung drehte sich das Gedankenkarussell und fast wäre sie darüber doch in den Schlaf geglitten, als sie ihre Mutter in der Stube hörte.

    „In der Gefahr wiegt die Wahrheit schwerer als die Lüge. Wir sollten Teah erklären, dass.." Doch Teahs Vater unterbrach die Mutter.

    „Je mehr wir ihr erzählen, desto mehr setzen wir sie doch der Gefahr aus. Sie ist alles, was wir haben, sie darf nicht…"

    Dann schloss ihr Vater die Stubentür und Teah konnte nichts mehr verstehen.

    Seit diesem Abend beobachtete Teah ihre Eltern ganz genau. Ihr fiel auf, dass ihre Stirnen nun gar nicht mehr ohne Falten auskamen und sie viel öfter seufzten als früher. Eines Morgens, als Teah früh aufgestanden war, fand sie ihre Mutter weinend am Küchentisch sitzen. Hastig wischte sie die Tränen aus dem Gesicht, als Teah auf der Türschwelle erschien und sagte: „Ha...Hallo Teah. Heute, haben wir...wir haben richtig trockene Luft heute. Mir tränen meine Augen. Na sowas. Hast du gut geschlafen?"

    Ein anderes Mal passierte eine noch viel seltsamere Sache: Nach einem trostlosen grauen Herbsttag lag Teah in ihrem Bett. Froh, dass der Tag endlich vorbei war, schlief sie rasch ein, erwachte jedoch kurze Zeit später, als es heftig an der Haustür pochte. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Kurz hintereinander hörte sie zuerst die Schritte ihres Vaters und dann das Knarren der schweren Holztür. Sätze wechselten ihren Besitzer, aber Teah konnte weder die Worte ihres Vaters verstehen, noch die, die als Antwort darauf folgten. Was für eine seltsame Stimme, die da sprach. Teah konnte von ihrem Bett aus nicht mal sagen, ob es die Stimme eines Mannes oder die einer Frau war. Dieser Jemand sprach ganz schnell und aufgeregt, hell und unangenehm schrill. Es tat beinahe weh zuzuhören und dennoch schien es sehr wichtig zu sein. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, noch leiser zu sein, es war vergebens. Sie verstand nichts. Ihr blieb nur eine Wahl, sie musste näher heran. Schnell schlüpfte sie aus ihrem Bett, lief mit nackten Füßen zur Treppe und blickte hinunter. Sie wagte nicht mal zu atmen. Der Besucher drehte Teah den Rücken zu, so dass sie immer noch nichts erkennen konnte, zumal das sehr kleine Menschlein eine Kapuze auf dem Kopf trug. Diese Kapuze gehörte zu einem schweren braunen, sehr schmutzigen Mantel, der dem Besitzer um ein paar Nummern zu groß schien. Ein Kobold? Ein Zwerg? Aber die gab es doch gar nicht. Teah lauschte angestrengt.

    „Eine Katastrophe, kreischte das Menschlein. „Eine Katastrophe, nicht wahr? Ihr müsstet längst viel weiter sein! Ihr müsstet längst fertig sein! Denkt doch an Golo. Um Himmels willen, wenn Golo…

    „Und was ist mit euch? Habt ihr sie etwa gesehen?", fragte Teahs Vater mit unterdrücktem Zorn.

    Teah wunderte sich. Das sah ihrem Vater nicht ähnlich. Worum ging es da? Was für eine Katastrophe? Wer oder was war Golo? Was sollte dieses Menschlein gesehen haben? Und wieso sprachen ihre Eltern mit ihm mitten in der Nacht?

    „In den Bergen musste ich suchen, hehehe. In den Bergen! Teah fiel auf, dass das Menschlein ständig nervös kicherte. „Das habe ich euch doch gesagt! Ich habe wochenlang gesucht, habe ich, nicht wahr? Auf Knien bin ich über die Felsen gekrochen, hinein in die Höhlen, hinab in die Täler, ja selbst an Steilhängen suchte ich, nicht wahr? Aber nichts. Nichts. Es war fast so, als gäbe es sie nicht mehr. Aber es musste sie geben, hehehe. Und dann, endlich…, schrie der seltsame Besucher.

    „Psst, flehte Teahs Mutter. „Teah schläft. Sie darf davon auf keinen Fall etwas mitbekommen.

    „Ich komme nicht heran, nicht wahr? Ihr müsst weitermachen. Ihr müsst. Unser aller Leben hängt davon ab. Unser Leben. Nicht auszudenken wenn ihr scheitert."

    Aus ihrem Versteck heraus konnte Teah ihren Vater sehen, doch wünschte sie, sie hätte nie gelauscht. All seine Verzweiflung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Es war ganz blass und verzerrt und voller Angst.

    „Ich werde noch härter arbeiten, hörte sie ihn sagen. „Ich werde es schaffen. Ich muss es schaffen.

    Dann war der Gast gegangen und Teah konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Sie war hin- und hergerissen. Doch immer, wenn sie daran dachte, mit ihren Eltern darüber zu sprechen, kam ihr das Gesicht ihres Vaters in den Sinn und sie behielt ihre Fragen für sich.

    Es ist wahrhaftig nicht gut, wenn sich so ein Schatten auf eine kleine Familie legt, bis keiner mehr zu sprechen wagt. Natürlich hatte Teah noch des öfteren Fragen auf den Lippen. Was denn los sei, wohin die schöne Zeit verschwunden war und warum ihr keiner die Wahrheit sagte. Aber sie fürchtete sich vor den Beschwichtigungen noch mehr als vor der Wahrheit. Innerhalb kurzer Zeit war aus dem fröhlichen Mädchen ein verunsichertes Kind geworden, das die Welt nicht mehr verstand. Eines jedoch hatte sie verstanden. Ihre Eltern wollten ihre Sorgen nicht mit ihr teilen. Sie hielten sie für zu klein, für zu unbedeutend. Sie war keine große Hilfe und sollte sich einfach fügen. Mutter und Vater alles überlassen. Ruhig bleiben. Und so verstummte Teah. Sie wollte keine Sätze mehr hören, wie „Teah, Schatz, mach dir keine Sorgen. Es ist alles so wie immer. Warum gehst du nicht draußen ein bisschen spielen?" Teah hatte nämlich gar keine Lust mehr zu spielen. Es gab keine Tiere mehr zu beobachten, im trockenen Gras mochte sie nicht mehr liegen und seit langem zogen nur noch graue Wolken über den Himmel. Stattdessen blieb sie jetzt immer öfter in ihrem Bett.

    Eines Tages aber kam Teahs Vater nicht mehr von der Arbeit nach Hause. Das war ansich nichts Ungewöhnliches für Teah, denn manchmal schliefen die Holzfäller im Wald, direkt unter den ausladenden Ästen der großen Bäume. Diese Mal aber war es etwas anderes. Ihre Mutter hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Und Teah wollte auch nicht fragen, denn ihre Mutter schien ihr an diesem Abend besonders still und in sich gekehrt zu sein. Am nächsten Tag kam Teahs Vater auch nicht nach Hause. Und am übernächsten Tag auch nicht. Da hielt sie es nicht mehr aus.

    Sie stellte sich vor ihre Mutter und sah sie fest an: „Mama, wo ist Papa?" Teahs Mutter zuckte zusammen.

    „Teah, Schatz, mach dir keine So..."

    „Mama, sag mir wo Papa ist."

    Teah war fest entschlossen, sich nicht mehr abspeisen zu lassen. Dazu hatte sich die Sorge viel zu fest in ihrer Brust verbissen.

    Die Mutter sah sie unsicher an.

    „Papa muss unglaublich viel Holz schlagen." Sie versuchte ein Lächeln, doch sie scheiterte gründlich.

    „Aber so lange war Papa doch noch nie fort. Wann kommt er denn wieder, Mama?"

    „Morgen, Teah. Morgen bestimmt."

    Teah wusste, dass ihre Mutter selbst nicht daran glaubte. Nicht eine Sekunde.

    Sie wollte gerade etwas erwidern, als ihre Mutter sagte: „Jetzt ist es aber wirklich Zeit, ins Bett zu gehen. Sieh mal, der Mond steht ja schon hoch am Himmel."

    Das war natürlich nur ein Vorwand, schließlich war ja längst Herbst und im Herbst steht der Mond immer recht früh hoch am Himmel. Aber Teah sah ihrer Mutter an, dass das Gespräch für sie beendet war und so ging sie auch an diesem Abend mit einer furchtbaren Mischung aus Fragen, Sorgen und Traurigkeit ins Bett. Am nächsten Morgen war Teah unglaublich erleichtert, als sie die Stimme ihres Vaters hörte. Sie sprang aus dem Bett und rannte die Treppe hinunter. Doch statt sich ihm um den Hals zu werfen, wie sie es eigentlich geplant hatte, stoppte sie auf der letzten Stufe. Ihr Vater saß am Tisch und starrte erschöpft und niedergeschlagen vor sich hin. Es war zum Verzweifeln. Den ganzen Tag bekam sie kein Wort aus ihm heraus.

    Das einzige was Teah ein wenig half, war, dass sich zu ihren Ängsten nun auch Wut gesellte. Was dachten ihre Eltern nur, wie sie mit ihr umspringen konnten? War sie etwa kein vollwertiger Teil dieser Familie? Ja, es stimmte, sie war erst neun Jahre alt, aber sie war doch kein rohes Ei. Was sollte dieser armselige Versuch überhaupt bringen, alle schlechten Nachrichten von ihr fernhalten zu wollen und sich gleichzeitig so unglücklich und niedergeschlagen durch den Tag zu schleppen? Offensichtlich war sie es nicht wert. Sie war noch ein Kind und Kinder mussten nicht alles wissen. Kinder hatten gefälligst Kind zu sein und sich ansonsten nirgendwo einzumischen. Weil es aber niemanden gab, bei dem sie sich darüber hätte beschweren können, niemand, der ihr zugehört hätte, ging sie zurück in ihr Zimmer, schloss die Tür und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr blicken.

    In dieser Nacht hatte sie einen besonders unruhigen Schlaf. Sie träumte irgendetwas von Blitzen, Feuer und Sturm. Immer wieder tauchten ihre Eltern auf und redeten pausenlos auf sie ein. Mach dir keine Sorgen Teah! Alles ist gut, Teah! Beruhige dich, Teah. Dann plötzlich erschien das Menschlein mit der schrillen Stimme. Dann wieder Blitze. Dann Saugen, ein Plop! Dann Dunkelheit. Stille.

    Später fragte sie sich oft, ob sie von der Gewissheit, dass etwas passiert war, geweckt wurde oder ob sie erst wach wurde und dann die Gewissheit kam. Fest stand nur, dass sie die Augen öffnete, sich ruckartig aufsetzte und es wusste.

    Das wirklich Besondere an Teahs Abenteuer ist, dass ihre Reise wahrscheinlich ganz anders verlaufen wäre, ja, oder vielleicht gar nicht stattgefunden hätte, wenn sie nur fünf Minuten früher aufgewacht wäre. Fünf Minuten sind ja eigentlich nicht viel, aber in Teahs Fall machten sie einen gewaltigen Unterschied. Hätte es diese fünf Minuten nämlich nicht gegeben, dann... ja dann hätte sie vielleicht ihre Mutter noch an ihrem Fenster vorbeirennen sehen. Und so schnell die Mutter rannte und so ernst, wie sie dabei aussah, wäre Teah ihr sicherlich nachgerannt. Und vielleicht hätte es dieses seltsame Geräusch, dieses Plop! gar nicht gegeben. Aber in Abenteuern geht ja meistens etwas schief. Zumindest am Anfang. Und so hatte der Traum Teah noch etwas länger festgehalten, und die Dinge passierten, wie sie nun einmal passierten.

    An diesem Morgen gab es kein Klappern aus der Küche, es gab keine Sonnenstrahlen, es gab keine Stimmen und es gab auch keinen Kaffeeduft. Genau genommen gab es nur ein diffuses, milchiges Licht, gerade hell genug, damit Teah die Umrisse ihres winzigen Zimmers erkennen konnte.

    Alles war so merkwürdig still um sie herum. Es kam ihr so vor, als hätte kein Geräusch, egal wie sehr es sich bemüht hätte, eine Chance gehabt, gegen diese Stille anzukommen. Es war genauso eine Stille, die herrscht, wenn man im Wasser untertaucht. Wenn man zum Beispiel in den See springt. Über dem Wasser kreischen Kinder vor Vergnügen, Vögel zwitschern und die Blätter der Bäume rascheln im Wind. Nach dem Eintauchen aber dringt das Wasser in die Ohren und all diese Geräusche sind innerhalb eines Wimpernschlags verschwunden. Man versinkt in einem Meer aus Stille. Da fiel es Teah wieder ein. Genau davon hatte sie geträumt. Erst dieses Geräusch, als sauge ein Frosch eine Fliege ein, dann das Plop! fast so, als spucke der Frosch die Fliege wieder aus. Und dann Stille. Unendlich tiefe Stille. Beunruhigend nur, dass diese Stille noch da war, obwohl Teah doch längst wach in ihrem Bett saß. Die Erleichterung darüber, dass sie alles nur geträumt hatte, wollte sich einfach nicht einstellen. Sollte das etwa bedeuten, dass sie noch schlief?

    „Teah, aufwachen!", rief sie sich in ihrem Kopf zu, doch der Traum, hartnäckig wie ein kleiner Hund, der sich in einem Hosenbein verbissen hatte, wollte nicht weichen. Oder hatte sie das am Ende gar nicht geträumt? Vermischten sich hier, in diesem milchigen Licht, gerade Traum und Wirklichkeit? Ja, das musste es sein. Das Plop! war tatsächlich passiert und Teahs Kopf hatte es, kurz vor dem Erwachen, noch rasch in ihren Traum eingebaut.

    Und mit dieser Erkenntnis war er also da, der Moment, in dem Teah wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie wusste es so sicher, so unumstößlich, dass es sie selbst erschreckte. Etwas stimmte so schlimm nicht, dass es nie wieder stimmen würde, es sei denn, jemand strengte sich so unheimlich an, wie sich noch nie jemand angestrengt hatte. Es sei denn, jemand machte das Etwas, das nicht stimmte, wieder stimmend. Wer aber sollte das sein? Wer hatte so viel Kraft? Zu diesem Zeitpunkt hatte Teah noch nicht die leiseste Ahnung, dass sie dieser Jemand sein musste.

    „Mama?"

    Es war mehr ein Krächzen, das über ihre Lippen kam, denn ein richtiges Wort.

    Nichts. Obwohl Teah schon wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde, versuchte sie es gleich noch einmal.

    „Mama? Papa?"

    Es kam nichts, nicht aus der Küche und nicht aus der kleinen Kammer, in der das Bett ihrer Eltern stand. Niemand antwortete. Zitternd kletterte sie aus ihrem Bett und schob ihre kleinen Füße langsam in Richtung Tür. Sie drückte die Türklinke herunter und ohne Vorwarnung drang dichter, schwerer, weißer Nebel in ihr Zimmer. Sie war zu überrascht, um die Tür schnell wieder zu schließen. Stattdessen wich sie zurück und ermöglichte es so dem bleichen Dunst, jede Ecke und jeden Winkel ihres Zimmers zu besetzen.

    Sie hustete. Zumindest dachte sie, sie würde husten, aber es drang gar kein Hustgeräusch an ihr Ohr. Stattdessen waren da andere Geräusche. Seltsame Geräusche. Waren das Stimmen? Stimmen, die flüsterten? Tatsächlich war es so schwach, dass man es eher ein Wispeln nennen musste. Sie lauschte angestrengt, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte kein Wort verstehen. Wenn Teah gehofft hatte, dass der Nebel nur in ihr Zimmer gekrochen war, so wurde sie enttäuscht. Auch hinter der Tür war alles so nass-dunstig, dass sie noch immer kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Was war das bloß? Wo kam das her? Gewiss, es war nicht der erste Nebel, den Teah jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Aber seit wann kroch der Nebel denn sogar in Häuser und Zimmer?

    Teah schlich Zentimeter um Zentimeter nach vorn, dahin, wo sie die Treppe vermutete. Sollte sie noch einmal nach ihren Eltern rufen?

    Machte das überhaupt Sinn, wo der Nebel doch alles verschluckte. Und außerdem: Wer wusste schließlich, zu wem die Stimmen gehörten? Wer konnte schon sagen, was hier in dem Nebel lauerte? Sie erreichte die erste Treppenstufe. Ihre Zehen krallten sich um die Holzdiele und sie musste allen Mut zusammennehmen um hinabzusteigen. Jeder Schritt war für sich bereits ein Abenteuer, denn die Treppe war schon bei natürlichem Sonnenlicht nicht einfach zu beschreiten. Im Nebel dagegen war es nahezu unmöglich, so steil und baufällig wie sie war. Nach einer Weile schätzte Teah, dass sie die Hälfte ihres Abstiegs bewältigt hatte, als mehrere Dinge auf einmal passierten. Das Säuseln im Nebel schwoll unvermittelt und ohne Warnung zu lautem, jammervollem Wehklagen an und gleichzeitig verlor Teah den Halt, rutschte von einer Treppenstufe ab und fiel mindestens fünf Stufen in die Tiefe.

    Kapitel 2

    Mali hatte sich das frühe Aufstehen mittlerweile angewöhnt. So konnte er immerhin der dicken Mathilda und deren schrillen „Guten Morgen, mein Prinz"-Wünschen, verbunden mit einem feuchten Kuss auf die Stirn, besser entgehen. Er mochte einfach nicht schon am frühen Morgen in dieses kugelrunde, nach Kohl stinkende Warzen-Gesicht seiner Amme blicken.

    Da war es besser, mit den ersten Sonnenstrahlen aufzustehen, zu seiner Waschnische mit der goldenen Waschschüssel zu laufen und sein Gesicht in das kalte Wasser zu tauchen. Wenn dann die Amme ins Zimmer kam, war er meist schon angezogen, saß vor seinem schmalen Burgfenster und blickte hinaus. Dort drüben, hinter den Burgmauern, konnte er Zikos Haus erahnen. Er sah das rote Ziegeldach, den darauf thronenden Wetterhahn und den rauchenden Schornstein. Das Haus, in dem sein einziger Freund mit seinen Eltern wohnte, war weit und breit das einzige, bei dem schon so früh der Schornstein rauchte. Wir Bäckersleute haben es nicht leicht, meinte Ziko bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Strenggenommen war nämlich nur Zikos Vater Bäcker, aber Ziko war sich sicher, dass er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Deshalb ließ er es sich auch nicht nehmen, morgens mit dem Hahnkrähen aufzustehen und den Ofen anzufeuern. So ein Glückspilz dachte Mali.

    Er kannte Ziko seit dem letzten Sommer, seit jenem Tag nämlich, an dem Malis erste Reitstunde so gehörig schief gelaufen war. „Prinzen müssen reiten können", hatte die Amme geträllert, dabei war sich Mali nicht einmal sicher, ob sie selbst schon jemals ein Pferd gesehen, geschweige denn darauf gesessen hatte. Umso besser für die Pferderücken. Im Gegensatz zu allen anderen Dingen aber, die so ein Prinz können musste, hatte sich Mali auf die Reitstunden gefreut, erst recht, als der Rittmeister ein stolzes schwarzes Pferd am Zügel in den Hof geführt hatte.

    „Prinz, Ihr müsst sehr auf der Hut sein. Dieses Pferd ist ein junger Heißsporn. Der Herr hat es extra für Euch ausgesucht, denn es ist von edlem Geblüt. Wenn Ihr mich fragt, so gäbe ich Euch ein anderes Pferd, eins mit mehr Manieren und mehr Ruhe. Aber der Herr hat es verboten. Also gebt gut acht, macht keine ruppigen Bewegungen auf seinem Rücken und haltet Euch um Himmels Willen gut fest."

    Diese Warnung war nicht unbedingt das, was man in seiner ersten Reitstunde hören wollte. Aber Mali hatte sich zu sehr darauf gefreut, endlich auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, als dass er sich seine aufkommende Beklommenheit hätte anmerken lassen. Mit leichtem Schwung hatte ihn der Rittmeister auf das Pferd gehoben. Mali, unsicher was er jetzt machen sollte, hatte den Rittmeister mit großen Augen angestarrt. Das Tier hatte auf das plötzliche Gewicht auf seinem Rücken mit einem verächtlichen Schnauben reagiert und war dann im Begriff, sich aufzubäumen. Der Rittmeister aber hatte blitzschnell die Zügel gefasst und das Pferd mit einem lauten „Hohhhh" zurückgehalten. Als er das Pferd wieder einigermaßen im Griff gehabt hatte, sagte er:

    „Versetzt das Pferd in einen leichten Trab, indem Ihr leicht an den Zügeln schlagt."

    Mali war sich sicher gewesen, einen unsicheren Unterton herausgehört zu haben, tat aber, wie ihm geheißen und zu seinem großen Erstaunen hatte sich das Pferd tatsächlich in Bewegung gesetzt. Wahnsinn. Es funktionierte! Mali hatte alle Kraft aufwenden müssen, um sich festzuhalten, aber je länger das Pferd unter ihm trabte, desto sicherer hatte er sich gefühlt. In Malis Brust hatte sich gerade eine Woge der Begeisterung breitmachen wollen, als aus dem Zimmer des Herrn oben im Burgturm ein lauter Knall und hässliches Gelächter ertönte. Er hatte sich festgekrallt, doch er hatte geahnt, was jetzt passieren würde. Das Pferd hatte sich zuerst mit den Vorderhufen aufgebäumt und diese in der Luft geschlagen, als stünde es einem unsichtbaren Gegner im Pferdeboxen gegenüber. Dabei hatte es ein schrilles Wiehern ausgestoßen und die Nüstern gebläht, so als wollte es, dass auch wirklich jeder hinsah. Panik hatte in seinen Augen gelegen und so war der Gesichtsausdruck des Pferdes dem von Mali gar nicht so unähnlich gewesen.

    Mali erinnerte sich noch sehr gut daran, wie das Pferd dann losgeschossen und in unglaublicher Schnelligkeit durch den Hof galoppiert war. Auf die Zugbrücke zu und durch die Stadt. Er hatte sich mit aller Kraft um den Hals des Pferdes geklammert, die Häuser der Arbeiter und Handwerker waren an ihm vorbeigeflogen, ebenso der Marktplatz und schließlich das Stadttor. Mehrfach drohte Mali herabzufallen und hatte sich nur mit seiner ganzen Willenskraft auf dem Pferd halten können. Das Pferd war auf den Wald zugesprintet. Mehrere Männer waren zur Seite gesprungen anstatt zu helfen, schließlich hatten alle plötzlich etwas Besseres zu tun, als sich einem rasenden Pferd in den Weg zu stellen.

    Das Pferd war mit Mali in den Wald eingetaucht und einen schmalen Pfad entlanggerast. Gerade als Mali gespürt hatte, dass er sich nicht mehr länger würde halten können und es an der Zeit war, sich

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