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Geschichten aus dem Koffer: Ein Adventskalender für die ganze Familie
Geschichten aus dem Koffer: Ein Adventskalender für die ganze Familie
Geschichten aus dem Koffer: Ein Adventskalender für die ganze Familie
eBook720 Seiten9 Stunden

Geschichten aus dem Koffer: Ein Adventskalender für die ganze Familie

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Über dieses E-Book

Adventszeit ist Lesezeit. Und wer hat als Kind es nicht gemocht: Eingekuschelt neben Mama oder Papa zu liegen und sich vorlesen zu lassen, während man Weihnachten entgegenfiebert?

Wie wäre es nach dem gemeinsamen Lesespaß auch mit stimmungsvollen Erzählungen für den eigenen Bedarf?

Gehen Sie gemeinsam mit den Kindern auf Reisen mit Wichteln, Rentieren, dem Nikolaus, Raben und Papageien. Spinnen, Bienen und sogar ein Flusspferd sorgen für viel Vergnügen für Klein und Groß. Wer hat schon mal einen Drachen in der Kirche gesehen? Oder eine Hexe, der kaum ein Zauber gelingen will und die so für reichlich Chaos sorgt? Hier wird all das Wirklichkeit. Aber auch Besinnliches und Nachdenkliches kommen nicht zu kurz. Wie trifft man sich als Grundschüler mit seiner Freundin, wenn der Kontakt verboten ist? Was hat es mit einem geheimnisvollen Koffer auf dem Dachboden auf sich? Und was sind überhaupt Barbarazweige?

Nach der Vorlesezeit ist dann Gelegenheit, jeden Tag bei einer Geschichte für Jugendliche und Erwachsene zu entspannen. Die Erzählungen sind fröhlich, besinnlich, dramatisch, nachdenklich, berühren das Herz. Was geschieht mit dem Hund am Laternenpfahl? Was hat es mit der Frau mit dem Koffer auf sich? Was ist ein politisch korrektes Krippenspiel, und warum werden nur zwei nicht ganz so heilige Könige daran teilnehmen? Plätzchen, die nicht gelingen wollen, Sorge vor immer gleichen Weihnachtsfeiern, eine Geige, die noch nie erklang – alles ist enthalten. Seien Sie dabei, wenn Josef darüber grübelt, wie anstrengend es ist, der Vater von Jesus zu sein, wenn eine Kriminalkommissarin eine höchst unfreiwillige Jagd auf einen Geist, eine Weiße Frau, unternimmt und wenn eine Feier im Hochmittelalter vollständig entgleist. Was sind eigentlich Weihnachtserdnüsse? Und wie kann es sein, dass schon im Trojanischen Krieg Weihnachten gefeiert wurde, während eine kleine Nachricht in sozialen Medien viral geht?

Freuen Sie sich auf 50 herrliche Geschichten zur Adventszeit.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Nov. 2021
ISBN9783754923153
Geschichten aus dem Koffer: Ein Adventskalender für die ganze Familie

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    Buchvorschau

    Geschichten aus dem Koffer - Thomas Fuhrmann

    Vorwort

    Adventszeit ist Lesezeit. Und wer hat es als Kind nicht gemocht, eingekuschelt neben Mama oder Papa zu liegen und sich vorlesen zu lassen, während man Weihnachten entgegenfiebert?

    Mit unseren Geschichten begeben Sie sich gemeinsam mit Ihren Kindern auf Reisen, begleitet von Wichteln, Rentieren, dem Nikolaus, Raben und Papageien. Spinnen, Bienen und sogar ein Flusspferd sorgen für viel Vergnügen für Klein und Groß. Wer hat schon mal einen Drachen in der Kirche gesehen? Oder eine Hexe, der kaum ein Zauber gelingen will und die so für reichlich Chaos sorgt? Hier wird all das Wirklichkeit. Aber auch Besinnliches und Nachdenkliches kommen nicht zu kurz. Wie trifft man sich als Grundschüler mit seiner Freundin, wenn der Kontakt verboten ist? Was hat es mit einem geheimnisvollen Koffer auf dem Dachboden auf sich? Und was sind überhaupt Barbarazweige?

    Nach der Vorlesezeit ist dann Gelegenheit, jeden Tag bei einer Geschichte für Jugendliche und Erwachsene zu entspannen. Die Erzählungen sind fröhlich, besinnlich, dramatisch, nachdenklich und berühren das Herz. Was geschieht mit dem Hund am Laternenpfahl? Was hat es mit der Frau mit dem Koffer auf sich? Was ist ein politisch korrektes Krippenspiel, und warum werden nur zwei nicht ganz so heilige Könige daran teilnehmen? Plätzchen, die nicht gelingen wollen, Sorge vor immer gleichen Weihnachtsfeiern, eine Geige, die noch nie erklang - alles ist enthalten. Sie sind dabei, wenn Josef darüber grübelt, wie anstrengend es ist, der Vater von Jesus zu sein, wenn eine Kriminalkommissarin eine höchst unfreiwillige Jagd auf einen Geist, eine Weiße Frau, unternimmt, und wenn eine Feier im Hochmittelalter vollständig entgleist. Was sind eigentlich Weihnachtserdnüsse? Und wie kann es sein, dass schon im Trojanischen Krieg Weihnachten gefeiert wurde, während eine kleine Nachricht in sozialen Medien viral geht?

    Dieses Buch bietet beides: Für jeden Tag im Advent gibt es eine Geschichte für die Kleinen und zusätzlich eine für die Großen und Größeren. Und jeweils auch noch eine Bonusgeschichte für die Nachweihnachtszeit. Es sind „Geschichten aus dem Koffer": Immer dabei, immer parat.

    Jeder Tag beginnt mit der Kindergeschichte, gekennzeichnet mit einem (K) hinter dem Titel, anschließend folgt täglich die Geschichte für die Jugendlichen und Erwachsenen, erkennbar am (J&E) hinter der Überschrift. Zwischen den Tagen und Geschichten ist immer ein Trennbild eingefügt, so dass nicht aus Versehen beim Blättern schon die Geschichte des nächsten Tages erreicht wird.

    In jeder Geschichte taucht ein Koffer oder ein anderes Gepäckstück auf. Und wer ganz genau aufpasst, kann auch etliche Querverbindungen zwischen den Geschichten entdecken, sogar zwischen den Erzählungen verschiedener Altersgruppen. Doch keine Sorge: Alle Geschichten sind auch ohne den Bezug zu einem anderen Text verständlich.

    Wie ist denn nun der Name der Sammlung entstanden? Warum taucht ausgerechnet immer wieder ein Koffer auf? Dazu müssen wir zeitlich ein bisschen zurückspringen: Wir, die Autoren, sind beide Mitglied einer Kirchengemeinde. Julia ist für die musikalische Arbeit mit Kindern zuständig, Thomas für die Internetpräsenz. Im Zuge der Coronaschutzmaßnahmen konnten die musikalischen Gruppen zeitweise nicht mehr live stattfinden. Stattdessen entstanden Videos, die den Kindern und Eltern online zugänglich gemacht wurden. Bei diesen Videos benutzte Julia für die benötigten Materialien immer einen Koffer, den „Koffer voll Musik. Thomas, der die Videos anschließend hochlud, fragte sich eines Tages, ob Julia denn nach der Masse an Videos irgendwann live auch ohne ihren Koffer noch erkannt werden würde. Geboren war die Idee zu „Die Frau mit dem Koffer (auch wenn weder Julia noch Thomas dort mitspielen). Nach dieser Geschichte entstanden immer weitere Erzählungen, die hier in dieser Sammlung zu finden sind.

    Wir wünschen allen Lesern eine schöne, besinnliche, humorvolle und nachdenkliche Adventszeit mit der ganzen Familie!

    Julia Krenz und Thomas Fuhrmann

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    1. Dezember Alle Jahre wieder (K)

    1. Dezember: Das Plätzchenrezept (J&E)

    2. Dezember: Die Kuscheltiere feiern Advent (K)

    2. Dezember: Weihnachtserdnüsse (J&E)

    3. Dezember: Die Wichteltür (K)

    3. Dezember: #NachrichtamBaum (J&E)

    4. Dezember: Barbarazweige (K)

    4. Dezember: Am Laternenpfahl (J&E)

    5. Dezember: Flip und Flop in der Nikolausnacht (K)

    5. Dezember: Die Frau mit dem Koffer (J&E)

    6. Dezember: Nicki und der Nikolaus (K)

    6. Dezember: Die neue Decke (J&E)

    7. Dezember: Die kleine Hexe Elli Einfallsreich und ihre zauberhaften Weihnachtsplätzchen (K)

    7. Dezember: Nächtlicher Besuch (J&E)

    8. Dezember: Die Weihnachtswichtel (K)

    8. Dezember: Familie Kranz und der Advent (J&E)

    9. Dezember: Der Murmelkönig (K)

    9. Dezember: Lebenspläne (J&E)

    10. Dezember: Ein Koffer voller Wünsche (K)

    10. Dezember: Ihr Kriegerlein kommet (J&E)

    11. Dezember: Das heimliche Geschenk (K)

    11. Dezember: Die stumme Geige (J&E)

    12. Dezember: Das Rentier mit der schwarzen Nase (K)

    12. Dezember: Die Frau im Café (J&E)

    13. Dezember: Elli Einfallsreich auf dem Adventsbasar (K)

    13. Dezember: Weihnachtserinnerungen (J&E)

    14. Dezember: Der Ball (K)

    14. Dezember: Vater und Sohn (J&E)

    15. Dezember: Emis erste Reise (K)

    15. Dezember: Der vierzigste Geburtstag (J&E)

    16. Dezember: Das Rätsel (K)

    16. Dezember: Traumreisen (J&E)

    17. Dezember: Nur ein Traum? (K)

    17. Dezember: Das politisch korrekte Krippenspiel (J&E)

    18. Dezember: Hallöche (K)

    18. Dezember: Die nicht ganz so heiligen zwei Könige auf ihrer Reise zum Glück (J&E)

    19. Dezember: Sternenreise zum Glück (K)

    19. Dezember: Verloren im Schnee (J&E)

    20. Dezember: Elli Einfallsreichs magische Weihnachtsreise (K)

    20. Dezember: Weihnachten bei Feinden (J&E)

    21. Dezember: Der Schneemann (K)

    21. Dezember: Nach Dienstschluss (J&E)

    22. Dezember: Das zauberhafte Malbuch - Ein besonderes Geschenk (K)

    22. Dezember: Die Weiße Frau – Gestrandet im Nirgendwo (J&E)

    23. Dezember: Das zauberhafte Malbuch - Auf nach Bethlehem (K)

    23. Dezember: Die Weiße Frau – Kein Weihnachtsfest in Groß-Finsterweiler (J&E)

    24. Dezember: Heiligabend mit Elli Einfallsreich (K)

    24. Dezember: Einmal nach Weihnachten bitte (J&E)

    Bonus: Wo ist Mona? (K)

    Bonus: La fête solennelle des Saints Innocents (J&E)

    Die Autoren

    1. Dezember

    Alle Jahre wieder (K)

    Mila lag im Bett und hatte ihr liebstes Kuscheltier im Arm. Sie hatte Bello, den kleinen braunen Hund mit den langen Schlappohren, zu ihrer Geburt bekommen und seitdem jede Nacht mit ihm zusammen verbracht. Zuerst hatte er bei ihr am Fußende der Wiege gelegen, dann in ihrer Nähe. Seit sie in ihrem eigenen Bett schlief, früher mit Gitterstäben, die natürlich schon längst abgebaut waren, kuschelte sie meistens auch mit ihm beim Einschlafen.

    Bello war ein guter Zuhörer. Er konnte hervorragend trösten und kuscheln und er meckerte nie, wenn sie ihn viel zu fest an sich drückte oder auf seinem Ohr liegend einschlief. Und er schien immer zu wissen, wie es ihr ging, manchmal sogar, noch bevor sie es sich selber eingestehen konnte.

    „Na, bist du zu aufgeregt zum Schlafen?" Bello stupste sie freundlich in die Seite.

    Mila nickte. „Ist doch auch kein Wunder, flüsterte sie zurück. „Mama hat heute den Adventskalender aufgehängt, und sie hat gesagt, dass in der Nacht die Wichtelmännchen kommen und die Geschenke dranhängen.

    „Und du würdest sie gern sehen?"

    „Du doch auch!"

    „Hmmmm …, brummte Bello zustimmend. „Aber woher weißt du, dass sie diese Nacht unterwegs sind?

    „Noch ein Mal schlafen und dann darf ich doch schon das erste Päckchen aufmachen. Also müssen sie diese Nacht die Geschenke anbringen. Sonst kann ich morgen doch gar nichts aufmachen!"

    „Da ist was Wahres dran … Bello überlegte. „Aber was ist, wenn sie nur kommen, wenn du schläfst?

    „Dann müssen wir einfach ganz leise sein, damit sie uns nicht hören. Und so tun, als ob wir schlafen."

    Mila legte sich auf die Seite, kuschelte sich in die Decke, achtete aber darauf, dass beide Ohren frei blieben. Sie dachte an den Wandbehang an der Küchentür, der mit vielen kleinen Wichtelmännchen und vierundzwanzig Zahlen bestickt war. Bei jeder Zahl war ein Ring angenäht, an dem dann ein Geschenk hängen würde. Mama hatte den Kalender gestaltet, als Mila damals in ihrem Bauch gewesen war. Und jedes Jahr holte sie ihn einen Tag vor dem 1. Dezember heraus. Heute schon zum sechsten Mal. An die ersten Jahre konnte Mila sich natürlich nicht erinnern, aber es gab Fotos, auf denen sie sich nach Geschenken streckte und versuchte, dabei nicht umzufallen.

    Bello schnarchte leise vor sich hin. Mila lächelte. Und gähnte. Ihre Augen fingen auch schon an zu brennen. Wenn sie sie nur einmal kurz schließen würde …

    „Pass doch auf!, zischte eine Stimme. „Du bist mir schon wieder in die Hacken gelaufen!

    „Das kann überhaupt nicht sein, brummte eine zweite Stimme zurück. „Ich bin weit hinter dir. So lang sind meine Beine überhaupt nicht. Außerdem könntest du mir mit dem Koffer ruhig mal helfen!

    „Ich trage dafür die Bänder. Und wer hat die ganzen Geschenke überhaupt erst eingepackt und in den Koffer gesteckt?"

    „Geht das schon wieder los?, beschwerte sich die zweite Stimme. „Du hast doch Poldi gehört. Wir arbeiten alle zusammen und versuchen, uns zu unterstützen, um den Menschen eine schöne Adventszeit zu gestalten. Dabei kommt es auf das Ergebnis an und nicht darauf, wer wie viel gemacht hat.

    Du willst doch, dass ich dir mit dem Koffer helfe!", wunderte sich die erste Stimme.

    „Um Hilfe zu bitten, sollte ja wohl auch noch erlaubt sein, vor allem, weil ich …" Der Rest des Satzes ging in einem Poltern mit leisen Schreien unter.

    Mila kletterte aus dem Bett und schlich zur Tür. Die Stimmen waren jetzt viel schwächer zu hören als vorher.

    „Jetzt ist der Koffer aufgegangen, und wir sind mit allen Geschenken die Treppe hinuntergepurzelt", beschwerte sich die zweite Stimme.

    „Und hier am Bein bekomme ich bestimmt wieder einen blauen Fleck, jammerte die erste Stimme. „Ich bin böse gefallen, weil ich mich in den Bändern verheddert habe. Es schwillt bestimmt auch an. Ganz sicher. Ich merke das schon …

    „Ja, ja, ich weiß. Du bist ganz schwer verletzt. Wie damals, als du dachtest, dass du nie wieder laufen könntest, nur weil dir ein Kuscheltier-Elefant auf den Fuß gestiegen war. Aber das können wir morgen klären. Jetzt hilf mir bitte erst mal mit den Geschenken. Wir müssen sie einsammeln und aufhängen, bevor noch jemand mitbekommt, dass wir hier sind."

    Mila hörte geschäftiges Trippeln, Schieben, Rascheln und Schleifen. Sie versuchte, durch das Schlüsselloch zu gucken, doch der untere Treppenabsatz lag nicht in ihrem Blickfeld. Außerdem war der Flur dunkel.

    Sollte sie die Tür vorsichtig öffnen? Aber wenn sie dadurch die Wesen verscheuchte? Sie presste das Ohr an die Tür.

    „So, geschafft!" Der Koffer wurde mit einem Klicken verschlossen.

    „Warte, ich helfe dir", meldete sich die erste Stimme.

    „Ach, jetzt doch auf einmal? Du willst wohl nicht ein zweites Mal hinfallen?", spöttelte die zweite Stimme.

    „Ist doch egal, freu dich doch! Außerdem hab’ ich Hunger. Ich habe noch überhaupt nichts gefrühstückt, weil du so gedrängelt hast."

    Mila hörte ein paar letzte Trippelschritte, die Flurtür öffnete und schloss sich, und dann war wieder Ruhe.

    Vorsichtig drückte sie ihre Türklinke hinunter. Es war still im Haus. Der Flur lag dunkel vor ihr, nur spärlich erhellt durch das Mondlicht, das durch ein kleines Fenster im Treppenhaus fiel. Niemand war zu sehen.

    Mila schloss die Tür und schlich wieder ins Bett zurück.

    Am nächsten Morgen rannte sie mit Bello direkt zum Adventskalender. An jedem Ring hing ein kleines Geschenk, fein säuberlich befestigt mit einem roten Band. Manche Päckchen sahen allerdings ein bisschen zerknautscht aus, hatten eingedrückte Ecken oder leicht zerknittertes Papier.

    Mila lächelte und flüsterte Bello zu: „Ich muss dir gleich unbedingt was erzählen. Das glaubst du nie!"

    Ein Bild, das Kerze enthält. Automatisch generierte Beschreibung

    1. Dezember:

    Das Plätzchenrezept (J&E)

    Sarah nahm sich einen kleinen Brocken aus der Schüssel und steckte ihn in den Mund. Hmmm … Gar nicht so übel. Aber etwas Besonderes war es auch nicht. Sollte sie noch etwas mehr Zimt nehmen? Nein, das hatte sie gestern schon probiert. Oder noch etwas mehr Kakao? Vielleicht war es auch schon zu viel? Sarah seufzte und vertiefte sich grübelnd wieder in ihr Rezept. Eigentlich müsste sie gar nicht mehr nachschauen, so oft hatte sie sich schon in den letzten Tagen daran versucht. Und jedes Mal war sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden gewesen. Dabei backte sie diese Plätzchen schon seit ihrer Kindheit.

    Für Sarah,

    zum 11. Geburtstag

    von Mama und Papa,

    stand als Widmung auf der ersten Seite. Und seitdem hatte sie die Kekse in jedem Jahr gebacken, mindestens zwölf Mal. Und bis zum letzten Jahr war sie auch immer damit zufrieden gewesen. Aber allein in dieser Adventszeit hatte sie schon genauso viele Versuche gestartet. Und keines dieser Ergebnisse kam an die Plätzchen aus dem Vorjahr heran. Dabei wäre es grad in dieses Mal so wichtig gewesen.

    Dieses war jetzt ihre letzte Chance, leckere Exemplare zu produzieren, denn morgen würde sie in den Zug steigen. Der Koffer war schon gepackt. Sie hatte gleich damit angefangen, als Alex die Nachricht geschickt hatte, die Nachricht, die sie nachts mit Herzklopfen aufwachen ließ. Die Nachricht, die dazu führte, dass sie tagsüber mit einem dümmlichen Lächeln aus dem Fenster starrte. Die gleiche Nachricht, die sie blind und taub machte, so dass ihre Kollegen sie schon in die Seite stießen, wenn Kunden Hilfe benötigten. Jedes Outfit war bewusst gewählt, gebügelt und ordentlich gefaltet im Koffer gelandet. Auf dem Stuhl neben dem Bett lagen ihr Lieblingsshirt und die neue Jeans für die Fahrt, dazu ihre edelste Unterwäsche. Nur eine Ecke des Koffers hatte sie freigelassen. Für ihre schönste Plätzchendose. Aber was ihr dafür noch fehlte, waren eben genau noch die Plätzchen. Dieser Versuch musste einfach gut werden.

    Toll, dass Du auch kommst. Auf Dich freue ich mich besonders. Und auf Deine Kekse … Dazu hatte Alex einen seiner berühmten Grinsesmileys gesetzt. Er schien eine geheime Quelle dafür zu kennen. Als sie alle noch nur mit Lachen und Weinen gearbeitet hatten, hatte er ganze Gemälde aus Zeichen gestaltet. Und jetzt schien er für jede Emotion ein Bildchen zu kennen. Bisher hatte sie es nur im Gruppenchat bewundern dürfen. Aber die letzte Nachricht war für sie gewesen, nur für sie allein. Ein zwinkerndes Gesicht mit roten Wangen und einem angedeuteten Kuss. Das konnte nur bedeuten, dass er den Abend vom letzten Jahr auch nicht vergessen hatte. Und ausgerechnet jetzt wollten die Kekse einfach nichts werden.

    „Das kann doch nicht wahr sein! Warum klappt das denn nicht?"

    Sarah schlug entnervt das Buch zu und steckte sich noch einen Brocken des Teiges in den Mund.

    „Weil deine Erinnerungen dir einen Streich spielen!"

    Wo kam denn das gerade her? Sarah sah sich erstaunt um. Sie kannte niemand mit einer so hellen Stimme. Außerdem war sie doch allein in der WG.

    „Du kannst mich nicht sehen. Die Stimme lachte. „Ich bin nämlich in dir.

    „In mir? Was soll das denn heißen?"

    „Ganz einfach. Ich bin deine innere Stimme. Normalerweise kennst du mich nur, wenn du eine Idee hast. Oder wenn du nachdenkst. Dann klinge ich aber wie du. Also, wie ich. Denn ich bin ja du. Wir sind ja ich … Sarah hörte förmlich, wie die Stimme den Kopf schüttelte. „Du bringst mich ja völlig durcheinander.

    „Tut mir leid", entschuldigte sich Sarah automatisch.

    „Schon gut. Ich wäre auch verwirrt, wenn ich mich das erste Mal hören würde."

    „Nein, es tut mir überhaupt nicht leid. Sarah stieß sich von der Arbeitsplatte ab und ging entschlossen durch die Küche. „Was rede ich denn da? Ich bin verrückt! Ich rede mit einer Stimme und entschuldige mich auch noch, dass ich die Stimme durcheinanderbringe. Was ist das denn für ein Quatsch?

    „Du bist nicht verrückt!"

    „Nein, natürlich nicht, weil das ein blöder Scherz ist! Wer hat das inszeniert? Stefan? Oder Chrissy? Ihr hattet euren Spaß. Ich bin voll drauf reingefallen. Haha, sehr witzig! Aber jetzt kommt raus!"

    „Deine Mitbewohner haben damit nichts zu tun. Ich bin es wirklich. Die Stimme klang ein bisschen ungehalten. „Ich kann auch wie du klingen. So kennst du mich.

    Sarah runzelte die Stirn.

    „Ja, so hast du mich schon oft gehört, dachte die Stimme in Sarahs Kopf. Sie klang nun wie ihre eigene Stimme. „Wenn die Plätzchen doch nur endlich so schmecken würden wie im letzten Jahr! Das denkst du doch, oder?

    „Das ist ja auch nicht schwer zu erraten! Schließlich wissen alle, dass ich seit fast zwei Wochen jeden Abend diese bescheuerten Kekse backe. Jeden Tag! Ich kann sie nicht mehr sehen. Und deshalb hat ja auch schon fast jeder in meinen Kursen oder im Copyshop meine Kekse gegessen."

    „Aber nur ich weiß, warum du dir solche Mühe gibst. Die Gedanken kamen einfach so in ihren Kopf. „Denn ich war letztes Jahr auch mit dabei.

    „Aaaaah! Das ist doch alles nicht wahr! Sarah blieb stehen, raufte sich die Haare und stützte sich auf der Arbeitsplatte ab. „Red wenigstens wieder mit deiner normalen Stimme. Das macht mich fertig, wenn du so klingst wie meine Gedanken. Wie soll ich dann wissen, was ich denke und was du sagst?

    „Bitte, gern, wenn es dir so lieber ist, hörte Sarah wieder die hohe Stimme. „Aber eigentlich ist es auch völlig egal. Denn ich bin du. Das wollte ich dir ja gerade schon erklären, aber du hast mich unterbrochen. Darf ich jetzt?

    „Bitte, bitte, tu dir keinen Zwang an. Sarah wischte einen Krümel von der Arbeitsfläche. „Sag, was du zu sagen hast. Und dann lass mich bitte wieder in Ruhe!

    „Den Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen. Denn wie ich schon sagte, ich bin ein Teil von dir. Ich bin deine innere Stimme. Ich bin bei dir, solange du denken kannst. Ich bin dein Denken und ich bin dein Gewissen. Und ich gestalte mit dir deine Erinnerung."

    „Was meinst du damit, wir gestalten meine Erinnerung?"

    „Dazu komme ich noch später. Denn das ist ein wesentlicher Punkt. Erinnerung ist subjektiv. Aber wo war ich? Ach ja, dabei, dass ich ein Teil von dir bin. Ich bin immer da. Wir sind zur gleichen Zeit wach, wir schlafen zur gleichen Zeit. Wir essen zusammen und wir arbeiten zusammen. Wir machen zusammen Sport, wir leiden zusammen, wir freuen uns zusammen und wir lieben zusammen. Wir kommen zusammen auf die Welt und wir sterben zusammen. Wir sind eins. Und meistens sind wir auch einer Meinung. Wenn du unsicher bist, fragst du mich um Rat und hörst auf mich. Das ist gut, denn es ist wichtig, mit sich selbst im Reinen zu sein. Aber die letzten Tage, da weiß ich gar nicht, was ich mit dir machen soll."

    „Die letzten Tage?", unterbrach Sarah den Gedankengang ihrer inneren Stimme.

    „Du weißt genau, was ich meine. Die letzten fast zwei Wochen bist du nicht mehr du selbst gewesen. Genauer gesagt seit 13 Tagen, seit dem Moment, in dem du die Nachricht gelesen hast, die Alex dir geschrieben hat."

    „Du weißt von der Nachricht?" Sarah spürte, wie ihre Wangen warm wurden.

    Ihre Stimme seufzte. „Natürlich weiß ich von der Nachricht. Soll ich es noch einmal wiederholen? Wir sind zur gleichen Zeit wach, wir schlafen zur gleichen Zeit. Wir essen …"

    „Nein, schon gut! Ich glaube, ich habe es verstanden. Sarah schüttelte den Kopf. „Soweit man das überhaupt verstehen kann …

    „Also, noch einmal zurück: Natürlich kenne ich die Nachricht. Und ich weiß auch, warum du seitdem jeden Tag Plätzchen backst. Und jeden Tag nimmst du dafür dasselbe Rezept. Nicht mal Vanillekipferl und dann Lebkuchen, am nächsten Tag vielleicht Schwarzweiß-Gebäck und danach Schoko-Nuss-Makronen. Nein, immer dasselbe Rezept. Das Rezept, das du seit deinem 11. Geburtstag in jedem Jahr gebacken hast."

    „Ja, und immer haben die Kekse geschmeckt. Nur jetzt, ausgerechnet jetzt wollen sie nichts werden, jammerte Sarah. „Dabei habe ich alles probiert: Ich habe mal ein bisschen mehr Zimt genommen, mal ein bisschen weniger, mal mehr Kakao, mal weniger Kakao, dafür aber mehr Zimt und Honig, mal waren sie bei niedrigerer Temperatur länger im Backofen, mal hatte ich ihn etwas heißer eingestellt. Was ich auch versucht habe, nichts hat geholfen! Und jetzt erzählst du mir, ich sei nicht ganz bei mir. Ist das etwa ein Wunder? Sarah ließ sich auf den Fußboden sinken und lehnte sich gegen den Küchenschrank.

    „Hast du den Keksen denn jemals eine echte Chance gegeben?", fragte die Stimme freundlich.

    „Wie meinst du das? Natürlich habe ich sie probiert!"

    „Ja, das weiß ich. Aber was hast du dabei gedacht, als du sie probiert hast? Vor zwölf Tagen oder letzte Woche oder gestern?"

    „Das musst du doch wissen! Ich dachte, wir machen alles zusammen."

    „Natürlich weiß ich es. Ich möchte es aber von dir hören!"

    Sarah schüttelte den Kopf. Sie hatte fast den Eindruck, ihre Stimme würde sich zurücklehnen und sie abwartend ansehen. Vielleicht wippte sie auch noch mit dem Fuß. Hatte sie etwa Sandalen an? Flip-Flops? Im Winter? Was denke ich da nur? Eine Stimme trägt Flip-Flops?

    „Du lenkst ab!, ermahnte sie die Stimme. „Natürlich trage ich gern Flip-Flops. Ich bin du, schon vergessen?

    Sarah sah auf ihre Füße. Ja, auch sie lief gern barfuß oder mit Flip-Flops herum. Im Winter allerdings nur in der Wohnung. Dafür zog sie sich allerdings auch als erste einen Pullover über, wenn alle anderen noch kurzärmelig herumliefen und die letzten Sonnenstrahlen genossen. Eigentlich war sie eben doch ein Friasling, wie ihr Vater sie früher immer genannt hatte, da sie so schnell fror.

    „Ein Friasling mit Flip-Flops, lachte die Stimme. „Aber zurück zum Thema!

    „Was war das noch mal?"

    „Die Kekse. Hast du ihnen jemals eine echte Chance gegeben? Was hast du gedacht, als du sie probiert hast? Oder besser: Woran hast du dabei gedacht?"

    Sarah atmete tief ein und aus und schloss die Augen. Sofort fühlte sie sich zurückversetzt an den einen entscheidenden Abend im letzten Jahr. Auch damals waren sie zusammen auf der Hütte gewesen, Sarah, Alex, Jenny, Niklas und Tobi, ihre ganze Clique aus der Schulzeit. Sie waren zusammen Ski gefahren, hatten Schneewanderungen unternommen, waren im Schwimmbad und hatten sich eine Schneeballschlacht geliefert, die sich gewaschen hatte, bis sie dann lachend im Schnee gelandet waren. Abends hatten sie bei Käse und Wein zusammengesessen und sich die alten Geschichten erzählt. Von Herrn Schleich, der ohne seine Chemie-Notizen aufgeschmissen war, und der alten Knobloch, die immer heimlich ihre Illustrierten während der Aufsicht las. Und irgendwann waren nur noch Alex und sie übrig geblieben. Das Feuer knisterte, sie lachten, der Wein zeigte seine Wirkung, und nach und nach war der Abstand zwischen ihnen immer geringer geworden. Es fühlte sich einfach nur natürlich an, sich an ihn zu lehnen, ihre Hand in seiner zu spüren, seinen Daumen auf ihrem Handrücken, ihrer beider Finger, die sich ineinander verschränkten. Ihr ganzer Körper hatte gekribbelt, nicht nur die Stellen, die er berührt hatte. Und dann hatten sie sich mit Plätzchen gefüttert, den Plätzchen, die sie mitgebracht hatte. Irgendwann wischte er ihr einen Krümel aus dem Mundwinkel und küsste sie vorsichtig. Sie fühlte Wärme, Kribbeln, das Kratzen seines Bartansatzes, schmeckte Wein, Käse und eben ihre Plätzchen. Sie fühlte sich zu Hause, angekommen, eine vertraute Situation und trotzdem aufregend neu.

    Am nächsten Morgen hatten die anderen wissende Blicke geteilt. Niklas konnte sich natürlich einen Kommentar nicht verkneifen und wurde dafür von Jenny strafend in die Seite gestoßen. Dabei war gar nichts passiert. Wie auch? Es gab ja nur zwei Schlafzimmer und ihres teilte sie sich mit Jenny. Diese hatte natürlich schon längst geschlafen, schließlich waren die Sterne am Himmel schon blasser geworden. Oder der Himmel heller, wie man es sehen wollte.

    Diese Nacht hatte sie trotzdem nicht vergessen. Und mittendrin ihre Plätzchen.

    Alex war kurz nach Silvester wieder zum Studium nach Barcelona zurückgekehrt, und sie hatte ihre Tage im Zwiespalt zwischen der Uni und dem Job im Copyshop verbracht. Natürlich hatte sie Alex nicht das ganze Jahr hinterher getrauert. Trotzdem hatte sie immer mal wieder an ihre gemeinsame Nacht gedacht. Und er hatte es offensichtlich auch nicht vergessen. Und die Rolle, die ihre Plätzchen dabei gespielt hatten, auch nicht.

    „Und deshalb ist es auch so wichtig, dass sie genauso gut werden wie letztes Jahr", ergänzte Sarah ihre Gedanken.

    „Und da haben wir das Problem."

    „Genau. Sie waren super. Und jetzt schmecken sie, tja, halt nach Margarine, Mehl, Zucker und Eiern."

    „Nicht zu vergessen, nach Zimt und Kakao", neckte sie die Stimme.

    „Hey, das ist ein ernstes Problem!, beschwerte sich Sarah. „Sie waren magisch, und jetzt sind es einfach Plätzchen.

    „Das ist das, was du in ihnen siehst. Und das meinte ich, als ich mich bei dir eingeschaltet habe. Deine Erinnerungen spielen dir einen Streich."

    „Was meinst du damit?"

    „Erinnerungen sind nie objektiv. Sie sind nicht messbar. Frage drei Personen, die gemeinsam einen Abend erleben. Jeder wird dir die Situation anders schildern. Es spielt so viel zusammen. Deine Gefühle, deine Stimmung, deine gemachten Erfahrungen, deine Gedanken: All das beeinflusst deine Erinnerung."

    „Du meinst, es ist gar nicht so passiert, wie ich es in Erinnerung habe?"

    „Doch, für dich in diesem Fall schon. Aber es wäre sogar möglich, dir eine Erinnerung an eine Begebenheit zu schaffen, die du gar nicht selber erlebt hast. Und trotzdem könntest du irgendwann das Erlebte in der Erinnerung spüren."

    „Das klingt verrückt." Sarah umfasste ihre Knie.

    „Es ist auch verrückt. Aber trotzdem möglich. Und auch dir ist es schon passiert!"

    „Mir? Was weißt du? Willst du damit sagen, mein Leben ist eigentlich ganz anders verlaufen?"

    Die Stimme lachte beschwichtigend. „Keine Sorge! Den Großteil deines Lebens hast du schon wirklich erlebt und hast dir deine eigenen Erinnerungen erschaffen. Aber erinnerst du dich an den 85. Geburtstag deiner Tante Tilly? Damals, als du vier Jahre alt warst?"

    Sarah überlegte. „Da waren wir doch gar nicht. Weil ich die Treppe runtergefallen bin und ins Krankenhaus musste."

    „Stimmt, ihr, also wir waren nicht da. Aber im Krankenhaus warst du auch nicht."

    „Nicht? Aber ich kann mich doch an die Schmerzen erinnern. Mein Knie tat wochenlang weh!"

    „Ja, du bist auch gefallen. Allerdings nicht die Treppe hinunter, sondern beim Hochlaufen. Du bist ausgerutscht und hingefallen. Dein Knie war aufgeschlagen. Das hat gebrannt, vor allem beim Baden. Aber im Krankenhaus waren wir nicht."

    „Aber ich kann mich doch daran erinnern. An die Aufnahmeschwester, die ständig eine Möhre im Mund hatte und nur gemeckert hat. An den Flur mit dem quietschenden Boden. Und an den Geruch."

    „Das ist alles nicht passiert. Das haben dir deine Eltern erzählt. Die Krankenschwester gab es auch, aber nicht da. Sie war an der Anmeldung, als deine Eltern mit dir zur Entbindung gekommen sind."

    „Warum sollten sie mir so eine Geschichte erzählen? Warum sollten sie so etwas tun?"

    „Sie hatten sich gestritten. Dein Vater wollte nicht mehr mitkommen und deine Mutter hatte überhaupt keine Lust, allein zu fahren und allen zu erklären, wo denn ihr Mann sei und warum er nicht mitgekommen war. Und dann bist du hingefallen. Das war wie ein Zeichen für sie, die bequemste Lösung, aus der Situation zu kommen: Die Geschichte, dass du ins Krankenhaus musstest, schön ausgeschmückt mit der Möhrchen kauenden Krankenschwester. Und du wolltest sie immer wieder hören. So sind die Erinnerungen gewachsen. Es gibt sie aber nur in deinem Kopf."

    „Das ist ja irre!" Sarah streckte ihre Beine aus.

    „Da muss ich dir zustimmen. Irre, aber möglich."

    „Und jetzt willst du sagen, dass die Plätzchen ganz anders geschmeckt haben? Das wäre ja möglich, wenn man sich schon an einen ganzen Krankenhausaufenthalt erinnern kann, den es gar nicht gab. Vielleicht waren sie ja total pappig.

    „Nein, sie waren gut. Aber du verbindest den Geschmack der Plätzchen mit der besonderen Stimmung des Abends. Dadurch wurden sie für dich zu den magischen Keksen, die du in Erinnerung hast. Weißt du noch, wie du die Plätzchen vorher fandest? Waren sie da auch schon besonders? Oder waren es einfach nur die Plätzchen, die du schon immer gebacken hast?"

    Sarah schluckte. „Ich sollte ihnen also noch eine Chance geben?"

    „Ich sehe, wir verstehen uns wieder. Die Stimme lachte. „Dann kann ich dich ja beruhigt dem Teig überlassen. Und noch etwas …

    „Ja?"

    „Vertrau auf dich! Dann habe ich auch keinen Grund mehr, dich zu nerven."

    Sarah lächelte und stand auf. „Schade eigentlich. Ich fange gerade an, mich an dich zu gewöhnen." Dann zog sie das Regal auf, streute Mehl auf die Arbeitsfläche und fing an, den Teig auszurollen.

    2. Dezember:

    Die Kuscheltiere feiern Advent (K)

    In den Wochen vor Weihnachten herrscht in den Kaufhäusern immer besonders geschäftiges Treiben. Eltern und Großeltern suchen Geschenke für die Kinder, Männer verzweifeln an den unausgesprochenen Wünschen der Frauen, und Kinder stehen staunend vor den Kuscheltier- und Spielzeugregalen. Doch was passiert eigentlich an den Wochenenden, wenn der Nachtdienst die Türen verschließt und endlich Ruhe einkehrt?

    ---

    Oskar nahm seine Trompete und schmetterte ein paar schiefe Töne. „Alle einmal hergehört!" Töö-tö-tö-töö-töö-tööööö erklang noch einmal die Trompete. „Wir treffen uns in fünf Minuten am Versammlungsplatz vor den Rolltreppen." Oskar wiederholte das Trompetensignal und kletterte dann mühsam am Regal hinab. Der Abstieg fiel ihm in der letzten Zeit merklich schwerer. Es quietschte und knarrte bei immer mehr Bewegungen. Irgendwann würde er die Versammlungen vor seinem Regal abhalten müssen, dachte er. Aber solange er noch den Weg zurücklegen konnte, wollte er an der Tradition festhalten. Die Tradition, die er selber vor so vielen Jahren begründet hatte. Die Idee dazu hatte er schon kurz nach der Eröffnung des Kaufhauses gehabt. Als einziges der hier lebenden Spielzeuge hatte er die Feier miterlebt. Das feierliche Durchschneiden des Bandes vor dem Hauptportal, das schwungvolle Öffnen der Türflügel, die glänzenden Augen der Menschen. Er hatte alles aus nächster Nähe beobachten können. Karl hatte ihn im Arm gehabt, ihn, Oskar, sein Lieblingsspielzeug. Und als Karl der Chef des Kaufhauses wurde, hatte er Oskar oben auf ein Regal in der Spielzeugabteilung gestellt. Zusammen mit seiner Trommel, der Trompete, einem Köfferchen, seinem Hut, den übergroßen Schuhen und natürlich der Clownsnase. Seine Mechanik war ein wenig eingerostet. Aber es hatte ihn ohnehin schon seit vielen Jahren niemand mehr zum Trommeln und Tanzen gebracht. Stattdessen stand er tagaus, tagein auf seinem Beobachtungsposten und bewegte sich nur dann, wenn kein Mensch im Kaufhaus war. Und im ersten Winter hatte er seine Idee in die Tat umgesetzt und seitdem in jedem Jahr wiederholt.

    So, noch das letzte Brett, dann stand er auf dem Fußboden und wackelte zur Rolltreppe. In den ganzen umliegenden Regalen verließen Elefanten, Krokodile, Affen, Schildkröten, aber auch Katzen, Hunde, Mäuse, Teddybären, Delfine, Puppen und Meerjungfrauen ihre zugedachten Plätze und marschierten, hüpften, sprangen oder glitten zum Treffpunkt. Die große Schlange hatte den Wasserbewohnern angeboten, sie zu tragen. Sie drohten, bei jeder Biegung von ihrem Transporttier hinunterzustürzen, kicherten und klammerten sich fest. Und doch kamen alle heil bei der Kundgebung an.

    Oskar kletterte ein paar feststehende Rolltreppenstufen hinauf und drehte sich um. „Ich habe euch hier zusammengerufen, Oskar räusperte sich und machte eine Pause, so wie er es oft bei Karls Vater erlebt hatte, „um euch daran zu erinnern, dass heute ein besonderer Tag ist. Heute ist - wie einigen von euch sicher schon aufgefallen ist - der Tag, auf den viele von euch schon sehnsüchtig warten: Der erste Advent.

    Oskar wartete, bis sich der Jubel gelegt hatte. Dann sprach er weiter. „Ich habe mitbekommen, dass es schon in den letzten Tagen Gesprächsthema war. Die Erfahrenen von euch kennen es noch aus dem letzten Jahr, auch wenn es - außer mir natürlich - nicht mehr viele gibt, die länger als ein Jahr hier verweilen. Die Zeit ist so schnelllebig geworden …"

    Oskar schluckte den Kloß im Hals herunter, den er immer bekam, wenn er an früher dachte, an die Zeit, als er noch in Karls Kinderzimmer gelebt hatte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menge vor sich. Einige von ihnen blickten noch gespannt zu ihm empor, doch die meisten flüsterten und tuschelten aufgeregt miteinander. Oskar runzelte die Stirn und schlug auf seine Trommel. Erschrocken fuhren die Spielzeuge auseinander.

    „Der erste Advent ist für uns das, was für die Menschen der Heilige Abend ist: Der große Festtag der Familie, unserer Spielzeug-Familie hier. Noch sind die meisten von uns vor Ort, aber Adventszeit bedeutet auch Trennung und das Finden neuer Familien. Und deshalb wollen wir feiern: Wir freuen uns, dass wir beisammen sind, nehmen Abschied und freuen uns auf neue Abenteuer. Und bevor ich es später vergesse: Passt auf euch auf! Vor allem ihr", er wandte sich an die Pferdesammlungen und die Affenmamas mit Kind, „die ihr als Familie verkauft werdet. Achtet auf euch, damit ihr gemeinsam euer Abenteuer erreicht!

    Jetzt aber zurück zu unserer Feier: Heute Nachmittag, mit Einbruch der Dunkelheit, beginnt unser Fest. Wir werden wieder hier feiern, hier im Bereich vor den Rolltreppen. Dort an der Regalecke, Oskar deutete auf den Beginn des Spielzeugbereichs, „legen wir eine Decke auf den Boden, darauf kommt dann mein Koffer. Bären und Elefanten, könnt ihr das vorbereiten?

    Die Angesprochenen brummten und tröteten zustimmend.

    „An das Regal hängen wir einen Türkranz. Puppen, könnt ihr den mit einem Auto und Anhänger transportieren?"

    Die Puppen nickten und wollten schon losstürmen, wurden aber von Oskar zurückgehalten. „Wartet bitte ab, bis wir alles besprochen haben. Dann gibt es hinterher nicht so viel Chaos. Oskar fuhr sich mit der Hand über die Stirn und murmelte zu sich: „Das wird es unweigerlich sowieso geben. Niemand kann mehr zuhören, und mitgedacht wird ohnehin nicht …

    Laut fuhr Oskar fort: „Auf den Koffer stellen wir eine elektrische Kerze. Affen und Krokodile, sucht bitte ein schönes Exemplar aus. Ihr findet sie dort in der Dekoabteilung. Ihr könnt zusammen mit den Puppen gehen, später natürlich!

    Dann kommen wir zu der übrigen Deko: Strohsterne, Christbaumanhänger, Lichterbögen und was es sonst noch so gibt. Barbies, das wäre doch eine gute Aufgabe für euch. Fragt die Giraffen, ob sie euch beim Aufhängen helfen."

    Die kleinen Puppen kicherten und drängelten sich zu den Giraffen, die huldvoll ihre langen Hälse beugten und die aufgeregten Mädchen begrüßten.

    „Jetzt benötigen wir noch etwas zu essen. Getränke lassen wir weg. Wenn ich da an den Unfall vom vorletzten Jahr denke … Das war eine Sauerei. Beinahe hätten wir es bis zum nächsten Morgen nicht wieder trocken bekommen. Trotzdem hat der Boden noch entsetzlich geklebt. Und der Geruch ... Die arme Putzkraft musste sich ganz schön was anhören!"

    Oskar schämte sich heute noch, wenn er an das Durcheinander dachte, das sie verursacht hatten. Es war eine ausgelassene Party geworden. Einer der Affen wollte ein Kunststück zeigen und war mit einem Doppelsalto vom Regal gesprungen. Leider war er auf dem Fuß eines Elefanten gelandet, der daraufhin zur Seite ausgewichen war und dabei die Karaffe umgeschüttet hatte. Die Limonade war bis unter die Regale gelaufen, und die Fußspuren waren in der gesamten Abteilung zu finden gewesen. Damals hatte er beschlossen: Nie wieder Getränke.

    „Also, nur Kekse, setzte Oskar seine Rede fort. „Hasen, bitte holt ein paar Tüten aus der Feinkostabteilung. Und für die musikalische Untermalung setzen wir die Spieldosen ein. Meerjungfrauen, bitte kümmert euch darum. Wenn ihr möchtet, könnt ihr auch wieder einen Chor gründen. Da habt ihr ja schon Erfahrung.

    „Au ja, piepste eine rothaarige Meerjungfrau, „das machen wir. Freiwillige können sich bei mir melden!

    „Ihr habt es gehört. Freiwillige wenden sich bitte direkt an unsere Meerjungfrauen. Oskar überlegte und nickte sich dann selber bestätigend zu. „Damit hätten wir auch schon die Planung abgeschlossen. Jeder kennt seine Aufgabe? Oskar ließ seinen Blick durch die Reihen schweifen. „Dann wünsche ich uns allen viel Spaß bei der Vorbereitung und später ein schönes Fest!"

    ---

    Horst, der alte Nachtwächter, der zu einem zusätzlichen Sonntagsdienst eingeteilt worden war, öffnete die Tür zum nächsten Stockwerk des Kaufhauses. Wie immer am Wochenende, wenn die Fahrstühle und Rolltreppen abgestellt waren, musste er zu Fuß gehen. 29 anstrengende Stufen und ein Podest waren es pro Stockwerk, die er im Lichtkegel seiner Taschenlampe bewältigen musste. Erschöpft ließ er den schweren Schlüsselbund in seine Tasche gleiten und atmete durch. Erstaunt lauschte er. Das Treppensteigen musste ihm schwerer gefallen sein als sonst. Er hörte leise Weihnachtsmusik, dazu wurde gesungen. Kicherte da nicht auch jemand? Horst wischte sich über die Augen und ließ dabei die schwere Feuerschutztür los, die den Verkaufsraum vom Treppenhaus trennte. Sie fiel mit einem lauten Knall ins Schloss.

    Horst horchte. Er musste sich getäuscht haben. Alles war still, kein Gesang, kein Kichern war mehr zu hören. Er ging ein paar Schritte, bis er den Bereich vor den Rolltreppen erreichte. Dort war ein weihnachtlicher Läufer ausgebreitet, auf dem ein Koffer lag. Darauf stand eine flackernde LED-Kerze inmitten von künstlichen Zweigen, Sternen, Wichteln und Skifahrern. Um die Kerze waren unglaublich viele Kuscheltiere und Spielsachen angeordnet. Es wirkte auf ihn wie ein weihnachtliches Schaufenster mitten im Kaufhaus. Hatte der Bär dort vorn nicht sogar einen angebissenen Keks in der Pfote?

    Horst schüttelte den Kopf. Er musste den Chef informieren. Wer auch immer sich das überlegt hatte, mit ihm war es nicht abgesprochen. Es ging ja auch gar nicht. Die Sicherheit, wenn dort jemand stolperte … Horst zog sein Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und setzte seinen Rundgang durch die Gänge fort.

    Sein Chef meldete sich am Telefon. „Horst, ich hoffe, es ist wichtig, wenn Sie mich schon am Sonntag stören! Meine Familie erwartet mich beim Adventsessen. Es gibt Raclette und hinterher die leckeren Kekse, die mein Schwiegervater mit den Kindern gebacken hat. Wir feiern doch immer am ersten Advent mit der Familie."

    „Das ist ein gutes Stichwort, Chef, antwortete Horst. „Ich bin grad auf meiner Runde. Und wissen Sie, was ich da entdeckt habe?

    „Nein. Aber Sie werden es mir bestimmt gleich verraten."

    „Hier findet auch eine Adventsfeier statt. Also, es ist alles dafür aufgebaut, aber mit Kuscheltieren und mitten im Gang."

    Der Chef lachte dröhnend ins Telefon. „Sie wollen mir also sagen, die Kuscheltiere feiern Advent?!?"

    „Genau, Chef. Warten Sie, ich schicke Ihnen gleich ein Foto."

    Horst beendete das Telefonat und ging um die Ecke. Vor ihm lag wieder der Platz bei den Rolltreppen. Er war frei. Kein Kuscheltier und kein Spielzeug stand mehr im Weg. Nur ein angebissener Keks lag noch herum.

    Horst schüttelte den Kopf. Das war doch nicht möglich … Gerade hatte es noch so ausgesehen, als ob da im Gang eine Adventsfeier mit ganz vielen Kuscheltieren stattgefunden hätte. Und jetzt? Der Aufbau konnte sich doch nicht in Luft auflösen.

    Horst sah sich um. Dort hinten hing ein Affe am Wandregal, mitten vor den anderen Fächern. Schwankte der nicht hin und her? Und der alte Clown mit der Trommel, der sonst immer auf dem obersten Brett stand, saß daneben und stützte sich auf einen Schlägel. Zwinkerte der ihm etwa zu? Das konnte nicht sein. Er, Horst, Nachtwächter aus Leidenschaft, war es doch gewohnt, nachts zu arbeiten. Da sah er doch nicht plötzlich Dinge, die es so nicht gab. Nicht geben konnte. Oder etwa doch?

    Ein Bild, das Kerze enthält. Automatisch generierte Beschreibung

    2. Dezember:

    Weihnachtserdnüsse (J&E)

    „… und deshalb haben sie sich überlegt, es dieses Mal digital stattfinden zu lassen. Ein Adventskalender für die ganze Familie, live im Internet. Na ja, nicht live, aber für jeden einzelnen ja irgendwie schon!"

    Carolin rollte genervt mit den Augen, während das Lachen ihres Chefs dröhnend durch das Telefon klang. Eigentlich war er gar nicht wirklich ihr Chef. Sie war Freelancerin, arbeitete aber schon so lange für dieses Entwicklerbüro als Grafikerin, dass es sich fast so anfühlte, als würde sie fest dazugehören. Früher war sie auch mindestens einmal im Monat zu einer persönlichen Besprechung im Büro gewesen. Der direkte Kontakt war ihren Auftraggebern immer wichtig. Doch das schien wie aus einer anderen Welt zu sein. Inzwischen hatte sie ihr Büro ins Wohnzimmer verlegt. Auf dem Esstisch stand ihr Laptop mit dem großen Monitor, daneben stapelten sich Bleistiftskizzen. Den Couchtisch hatte ihre jüngere Tochter mit ihren Schulsachen in Beschlag genommen, genauso wie den umliegenden Boden, die Sofas und Stühle. Und um überhaupt zu den Tischen gelangen zu können, musste man Slalom laufen oder wie ein Storch stolzieren. Kneippen im Wohnzimmer. Und im Flur. Von den Kinderzimmern ganz zu schweigen … Carolin seufzte. Schön sah es nicht aus. Aber die Zeit …

    „… einen ersten Entwurf bis Ende der Woche. Bekommst du das hin?"

    Ups, er redete ja schon wieder. Es ging wohl um das Design der Türchen, so hoffte sie zumindest.

    „Bis Ende der Woche ist ganz schön knapp. Da ist ja auch noch der CFI-Auftrag."

    „Mach dir darüber keine Gedanken, unterbrach sie der Projektleiter. „Das kannst du schieben. Mit der Adventszeit lässt sich das aber nicht machen.

    Carolin seufzte. „Nein, leider nicht. Ich habe für unsere Adventskalender noch gar nichts."

    „Dann kannst du deinen Girlies ja den Link zu unserem Projekt geben. Adventskalenderproblem gelöst."

    „Ich glaube, dann hätte ich erst recht ein Problem!" Carolin konnte sich die enttäuschten Gesichter ihrer Töchter lebhaft vorstellen, wenn sie ihnen als Adventskalender nur einen Link präsentieren würde. Aber mit dieser Baustelle würde sie sich ein anderes Mal beschäftigen.

    „Doch zurück zu unserem Projekt, unterbrach der Projektleiter ihre Gedanken. „Erster Entwurf bis Ende der Woche? Ist das gebongt? Und die fertige Abgabe dann eine Woche später. Ich erwarte also kein achtes Weltwunder. Einfach nur nette Bildchen, die auf einen Blick zusammen schön aussehen. Geeignet für die ganze Familie, also nicht zu kitschig, aber auch nicht zu verstaubt. Die Kinder sollen sich ja auch angesprochen fühlen. Du weißt ja: …

    „Verspielte Seriosität?, ergänzte Carolin und grinste. Das hatte einmal ein Kunde gefordert und es hatte sich zum geflügelten Wort im Büro entwickelt. „Okay, wenn ich CFI erst einmal aufs Eis legen kann, dann schaffe ich das. Sind ja drei Tage bis Freitag. Das sollte reichen für einen ersten Entwurf. Schreibst du alles noch in den Projektordner?

    „Klar, lege ich dir ab. Und danke schon mal."

    „Danke dir!", entgegnete Carolin automatisch und verabschiedete sich.

    „Wer war das?", fragte Leonora ihre Mama, als diese das Headset absetzte.

    Carolin seufzte. Sie hatte schon so oft darum gebeten, in Ruhe telefonieren zu können. Das klappte inzwischen. Schließlich gingen beide Kinder ja auch schon in die Schule. Also theoretisch zumindest. Im Moment bedeutete es: Schule zu Hause. Aber dass das Gespräch noch nicht bei der Verabschiedung vorbei war, schien Leonora immer wieder zu vergessen. Hoffentlich hatte ihr Gesprächspartner es nicht gehört. Wobei, eigentlich wäre es nicht so schlimm. Zurzeit arbeitete ja fast jeder zu Hause. Wie oft waren da schon Kinder in die Videokonferenzen hineingeplatzt oder hatten auf dem Schoß der Kollegen gesessen, weil sie Kuschelzeit brauchten … Aber sie versuchte trotzdem noch, eine gewisse Arbeitsatmosphäre zu bewahren.

    „Das war mein Arbeitskollege, beantwortete Carolin die Frage ihrer Tochter. „Ich habe einen neuen Auftrag.

    „Oh cool, was denn?"

    „Ich soll Bilder für die Türchen eines Adventskalenders gestalten."

    „Ooooooh! Leonora stand auf. Sie redete immer mit Händen und Füßen. „Kann ich nicht auch so was machen? Das wäre was für mich. Das wäre viel cooler als das blöde Mathe hier. Ich hab keinen Bock auf Schule. Wann bin ich denn fertig für heute? Sie trank einen Schluck Wasser. Dann streckte sie ihrer Mutter den Zeigefinger hin. „Weißt du, warum ich mir hier ein Pflaster drangemacht habe?"

    „Nein." Abgelenkt schaute Carolin auf ihren Zeichenblock. Darauf waren bisher nur mehrere Kästchen zu sehen. Wie könnte sie sie wohl füllen?

    „Das habe ich draufgemacht, damit ich nicht mehr dran knabbern kann. Das soll mein einziger langer Fingernagel werden. Leonora griff nach dem Holzstück aus der Dominokiste, das vor ihr auf dem Sofa lag. Sie tippte mit dem umwickelten Finger darauf. „Klingt schön. Ganz anders als mit den anderen Fingern. Mama, hörst du das? Sie ging zu ihrer Mutter hinüber. „Hier, klingt viel heller, hörst du?"

    „Hmmm …"

    Leonora sah auf den Tisch. „Du könntest doch Engel malen. Einer könnte trommeln. Oder Blockflöte spielen. Sie drehte den Dominostein, den sie für ihre Matheaufgaben als Beispiel für einen Quader herausgeholt hatte, tippte darauf und tat so, als würde sie hineinblasen. „Das ist doch fast ‘ne Blockflöte, oder? Sie legte den Stein weg, ging zum Schrank und griff nach ihrer alten Plastikblockflöte. „Ist doch fast genauso. Sie spielte ein paar Töne. „Das geht aber schlecht mit dem Pflaster. Man trifft ja gar nicht … Prompt wanderte die Flöte neben den Quader auf den Tisch. „Was hattest du denn gedacht?"

    „Was? Carolin tauchte aus ihren Gedanken auf. „Ach so. Na ja … Engel sind irgendwie so normal. Ich würde gern irgendwas Witziges haben. Vielleicht ein Tier oder so. Und die Zahl muss auch immer noch dabei sein.

    „Nimm doch einen Pinguin! Pinguine sind immer süß. Und es gibt immer weniger."

    „Weil die Eisbären so viele auffuttern?", vermutete Carolin und grinste.

    „Nein, Mama! Das geht überhaupt nicht! Aber das weißt du doch! Guck mal! Leonora holte sich den Ball vom Sofa, der bei ihrer Matheaufgabe die Kugel verkörpert hatte. „Guck mal: Da oben leben die Eisbären. Da, am Nordpol. Und da unten, sie drehte ihren imaginären Globus, „da leben die Pinguine. Die KÖNNEN sich also gar nicht begegnen!"

    Carolin grinste.

    „… denn das ist der Südpol. Da sind die Pinguine. Und da oben am Nordpol sind die Eisbären. Und der Weihnachtsmann. Dann würden ja eigentlich Eisbären besser passen. Aber die sind nicht so süß. Außer die Kleinen. Kleine Eisbären sind auch süß. So wie die, die auf meinem Koffer sind. Aber wenn die groß werden … Grrrr …"

    „Deshalb machst du lieber weiter mit deinen Quadern, Kugeln und Würfeln, und ich versuche mal ein paar Pinguine."

    „Muss das sein?"

    „Ich dachte, du findest die süß", wunderte sich Carolin.

    „Nein, ich meinte Schule. Ich hab heute doch schon so viel gemacht!"

    „Du hast grad erst angefangen! Und dann kam mein Telefonat, und dabei hast du fast gar nichts mehr gemacht! Guck, mit Mathe bist du doch fast fertig. Nur noch die Körper aufmalen. Dann hast du es geschafft. Und bei Deutsch war es doch auch nur noch das Buchstabenpuzzle!"

    „Hmmmm …" Grummelnd ging Leonora wieder zurück zu ihrem Arbeitsplatz am Couchtisch. In ihrem Zimmer konnte sie sich nicht motivieren. Daher hatte Carolin sie irgendwann ins Wohnzimmer geholt. Und Leonora hatte nichts dagegen gehabt. Bei Mama war es viel schöner. Und man hatte immer jemanden zum Quatschen, sehr zu Carolins Leidwesen, die Mühe hatte, sich zumindest zeitweise zu konzentrieren.

    Sie malte jetzt einen Pinguin, der ein Schild in der Hand hielt. Ja, das könnte gehen. Vielleicht noch mit Mütze und Schal? Oder doch lieber ein Rentier? Oder einen Weihnachtsmann mit Sack? Oder Schlitten? Alles nett. Aber irgendwie fehlte das gewisse Etwas.

    Da ploppte eine Nachricht auf. Carolin wechselte in den Chat. Der Projektleiter hatte geschrieben. „Kurze Korrektur: Der Entwickler braucht doch morgen schon ein erstes Beispiel für ein Layout. Er braucht was, womit er arbeiten kann. Schickst Du dann einen ersten Entwurf? Der muss auch noch nicht final sein."

    Carolin lachte hektisch auf. Morgen! Wann sollte sie das denn machen? Ihr blieben eigentlich nur die Abende, um wirklich konzentriert arbeiten zu können. Am Vormittag war Schule angesagt, das hieß, sie musste Leonora dazu bringen, die Arbeitsblätter zu bearbeiten. Eigentlich war ihre Tochter gut in der Schule, sehr gut sogar. Wenn sie einmal anfing, ging es schnell. Das Problem war eher die fehlende Motivation, überhaupt erst einmal anzufangen ... Ihre große Tochter arbeitete allein in ihrem Zimmer und kam nur ab und zu mit einer Frage heraus. Sie erarbeitete sich fast alles eigenständig, auch neue Themen. 

    Carolin starrte auf die Wand ihr gegenüber. Wie mochte es erst den Familien ergehen, deren Kinder ohnehin schon Probleme in der Schule hatten? Wie sollte das mit der eigenen Arbeit kombiniert werden können? Carolin raufte sich die Haare. Auch wenn sie es scheinbar gut getroffen hatte, löste es trotzdem nicht ihr Problem, bis morgen eine Idee nicht nur entwickelt, sondern dann auch noch umgesetzt haben zu müssen.

    Verzweifelt schmierte sie noch einen Pinguin auf das Blatt. Leonora kam zu ihr.

    „Was ist denn Mami? Hast du schon was?"

    „Na ja, nicht wirklich …"

    Leonora sah auf die Skizzen und kicherte. „Das da ist toll! Sie zeigte auf den letzten Entwurf. „Eine Erdnuss mit Weihnachtsmannmütze!

    Carolin musste widerwillig lachen. Leonora hatte recht. Der Pinguin sah wirklich eher aus wie eine Weihnachtserdnuss. Aber … Sie überlegte. Ja, warum eigentlich nicht. Das könnte was werden. Weihnachtserdnüsse, Weihnachtsorangen, Weihnachtsäpfel, Weihnachtszapfen. Und immer mit der Zahl drauf oder dabei. „Ich glaube, das probiere ich mal!"

    „Die Pinguine?" Leonora schmiegte sich an sie und zeigte auf die ersten Entwürfe.

    „Nein! Carolin grinste. „Weihnachtserdnüsse.

    3. Dezember:

    Die Wichteltür (K)

    „Papa, Papa, wir haben jetzt einen Adventskalender! Und wir durften helfen! Anna und Emil haben ihn getragen, und ich hab ihn aufgehängt! Das ist soooooo aufregend!" Paul hüpfte vor seinem

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