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Glaube und Zweifel: Das Dilemma des Menschseins
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eBook163 Seiten1 Stunde

Glaube und Zweifel: Das Dilemma des Menschseins

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Über dieses E-Book

Glaube und Zweifel wurden theologisch lange Zeit als sich ausschließende Gegensätze betrachtet. Dahinter steht die Auffassung des Glaubens im Sinne eines Für-wahr-Haltens. Glaube ist aber ein existentieller Akt, der zum Menschen als solchem immer schon dazu gehört. Damit gewinnt der Zweifel aber auch eine positive Bedeutung, bewahrt er den Menschen doch letztlich davor, fundamentalistisch und fanatisch zu werden. Es gilt somit, dieses "Dilemma des Menschseins" (J. Ratzinger) auszuhalten.

Das ist Thema der vier Beiträge des Bandes. Werner Schüßler verdeutlicht es anhand des Glaubensverständnisses von Karl Jaspers, Peter Wust und Paul Tillich. Hans-Georg Gradl zeigt, dass auch im Neuen Testament der Zweifel vorkommt : bei den Jüngern, bei Paulus, bei Thomas. Johannes Schelhas führt aus, wie sehr der Zweifel den christlichen Glauben sowohl anstachelt als auch lähmt. Und Mirijam Schaeidt geht der Frage nach, welche Rolle Zweifel im spirituellen Leben spielen.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Sept. 2016
ISBN9783429062934
Glaube und Zweifel: Das Dilemma des Menschseins

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    Buchvorschau

    Glaube und Zweifel - Hans-Georg Gradl

    WERNER SCHÜSSLER

    Glaube und existentieller Zweifel als Pole des Menschseins

    „Der Gläubige wird häufiger von Zweifeln geplagt als der hartnäckige Skeptiker."

    Sri Aurobindo¹

    1. Hinführung

    In seinem Buch „Der Ohrenzeuge greift der bulgarische Literaturnobelpreisträger Elias Canetti auf eine schon in der Antike von Theophrast begründete Methode zurück, wenn er hier holzschnittartig „fünfzig Charaktere auf eine Art und Weise beschreibt, dass diese durch ihre Überzeichnung beim Leser unvergesslich im Gedächtnis zurückbleiben. Für unsere Überlegungen sind seine diesbezüglichen Ausführungen über den „Gottprotz unübertrefflich, wenn es hier u.a. heißt: „Der Gottprotz muß sich nie fragen, was richtig ist, er schlägt es nach im Buch der Bücher. Da findet er alles, was er braucht. Da hat er eine Rückenstütze. Da lehnt er sich beflissen und kräftig an. Was immer er unternehmen will, Gott unterschreibt es. – Er findet die Sätze, die er braucht, er fände sie im Schlafe. Um Widersprüche braucht er sich nicht zu bekümmern, sie kommen ihm zustatten. Er überschlägt, was ihm nicht von Nutzen ist und bleibt an einem unbestreitbaren Satz hängen. Den nimmt er für ewige Zeiten in sich auf, bis er mit seiner Hilfe erreicht hat, was er wollte. Doch dann wenn das Leben weitergeht, findet er einen anderen. – Der Gottprotz traut der Vorvergangenheit und holt sie zu Hilfe. Die Finessen der Neuzeit sind überflüssig, man kommt viel besser ohne sie aus, sie machen nur alles komplizierter. Der Mensch will eine klare Antwort wissen, und eine, die sich gleichbleibt. Eine schwankende Antwort ist nicht zu gebrauchen. Für verschiedene Fragen gibt es verschiedene Sätze. Es soll ihm einer eine Frage sagen, auf die er keine passende Antwort fände. – Der Gottprotz führt ein geregeltes Leben und verliert keine Zeit. Wenn die Welt um ihn einstürzt, er hat keine Zweifel.²

    In seinen Gesprächen mit Juan Arias, die in dem Buch „Bekenntnisse eines Suchenden festgehalten sind, äußert sich der brasilianische Bestseller-Autor Paulo Coelho demgegenüber zum Glauben wie folgt: „Wir, die wir uns für Gläubige halten, müssen […] zugeben, daß unser Glaube immer wackelig und gefährdet ist. Heute glaube ich zum Beispiel, daß mein Glaube unerschütterlich ist, doch schon heute Nacht mag diese Gewißheit zerronnen sein. Der Glaube ist nichts Gradliniges. Juan Arias verweist in diesem Zusammenhang auf den sizilianischen Schriftsteller Leonardo Sciascia, der einmal gesagt haben soll, „daß er manchmal am Straßenrand stehenblieb und glaubte und beim Überqueren des Zebrastreifens schon nicht mehr glaubte."³

    Beide hier geschilderten Positionen, wie sie im „Gottprotz Canettis auf der einen Seite und in den Worten von Coelho und Sciascia auf der anderen zum Ausdruck kommen, sind extrem. Das Leben aber spielt sich zumeist in der Mitte ab. Und doch gibt es auch diese extremen Positionen: Fundamentalisten und Fanatiker stehen für die erste Richtung, Zweifler und Skeptiker für die zweite. In diesem Zusammenhang stellt sich mir auch immer wieder die Frage, weshalb anscheinend glaubensgewisse Menschen nicht selten einen gewissen Hang zum Fanatismus aufweisen und warum Menschen, die mehr zum Zweifel neigen, nicht selten wesentlich toleranter zu sein scheinen, aber sich selbst auch schnell für nicht religiös genug halten und darum „schlecht fühlen.

    Glaube und Zweifel wurden theologisch lange Zeit als sich ausschließende Gegensätze betrachtet. Dahinter steht die Auffassung des Glaubens als eines Für-wahr-Haltens.⁴ Und so ist es nur konsequent, wenn der Zweifel schon als Sünde gedeutet wird. Von daher ist das Wort Nietzsches: „Das Christentum hat das Äußerste getan, um den Zirkel zu schließen, und schon den Zweifel für Sünde erklärt", nicht ganz aus der Luft gegriffen.⁵

    Selbst im „Katechismus der Katholischen Kirche" ist diese Sicht nicht ganz aufgegeben, wenn es hier u.a. heißt: „Man kann auf verschiedene Weise gegen den Glauben sündigen: Freiwilliger Glaubenszweifel besteht in der Vernachlässigung oder Weigerung, für wahr zu halten, was Gott geoffenbart hat und die Kirche zu glauben vorlegt. Unfreiwilliger Zweifel besteht im Zögern, zu glauben, in der Mühe, über Einwände gegen den Glauben hinwegzukommen […]. Unglaube besteht in der Missachtung der geoffenbarten Wahrheit oder in der willentlichen Weigerung, ihr zuzustimmen."⁶ Es ist natürlich keine Frage, dass mit einem voluntaristischen Glaubensbegriff die Ächtung des Zweifels einhergeht.

    Ein solches Verständnis findet auch einen gewissen Anhalt am Neuen Testament. So heißt es im Hebräerbrief 11,1-6: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft; Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. […] Ohne Glauben aber ist es unmöglich, (Gott) zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist und daß er denen, die ihn suchen, ihren Lohn geben wird."

    Aber es finden sich auch Bibelstellen, wo das anders gesehen wird: Denken wir nur an Mk 15,34, wo Jesus am Kreuz aufschreit: „Mein Gott, mein Gott, warum (wozu) hast Du mich verlassen?" Hier scheint ihm die Glaubens gewissheit abhanden gekommen zu sein. Doch gerade in der Klage hält Jesus immer noch an Gott fest, und er hofft darauf, dass es Gott doch noch recht machen wird. Oder denken wir an das bekannte Urbild des Zweiflers in Joh 20, 24-29, wo die Geschichte vom ungläubigen Thomas erzählt wird.

    Das Verhältnis von Glaube und Zweifel scheint also doch wesentlich komplizierter zu sein, als es auf den ersten Blick aussehen mag. So wissen wir selbst von der Hl. Mutter Teresa, dass sie im Alter von furchtbaren Glaubenszweifeln geplagt wurde, was an die „dunkle Nacht" mystischer Erfahrung erinnert.⁷ Und wirkliche Atheisten, von denen es nicht sehr viele gibt – ich denke hier an Jean-Paul Sartre, Albert Camus oder den rumänischen Dichter-Philosophen und Skeptiker Emil Cioran –, haben sich ihr Leben lang mit der Gottesfrage beschäftigt. Das kann auch nicht anders sein, denn wirkliche Atheisten quält ja bekanntlich die Frage, ob es Gott nicht vielleicht doch gibt. Ganz in diesem Sinne kommentiert der Schriftsteller Martin Walser in seiner Schrift „Über Rechtfertigung, eine Versuchung das Wort des amerikanischen Philosophen Ronald Dworkin: „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn, wie folgt: „Das ist eine Nachricht, die mich natürlich froh macht. Eine Nachricht gegen die Selbstgenügsamkeit des sogenannten Atheisten. In der Welt des Atheisten hat doch die Leere keinen Platz. Leere gibt es nur dort, wo Gott fehlt. Und wo er dann durch keinen -ismus ersetzt wird. Eine Welt ohne Leere ist eine zu arme Welt."⁸

    In seiner bekannten Schrift „Dynamics of Faith (1957), der deutsche Text trägt den Titel „Wesen und Wandel des Glaubens, schreibt der bekannte deutschamerikanische evangelische Theologe und Philosoph Paul Tillich in seiner „Vorbemerkung zu Recht: „Es gibt kaum ein Wort der religiösen Sprache – weder der gelehrten noch der volkstümlichen –, das mehr Missverständnissen, Entstellungen und fragwürdigen Begriffsbestimmungen ausgesetzt ist als das Wort ‚Glaube‘. Es gehört zu jenen Begriffen, die selbst erst geheilt werden müssen, ehe sie zur Heilung des Menschen gebraucht werden können. Heute erzeugt das Wort ‚Glaube‘ mehr Leiden als Gesundheit. Es verwirrt, führt in die Irre und erzeugt bald Skepsis, bald Fanatismus, Widerstand auf Seiten des Verstandes und gefühlsmäßige Hingabe, Abwendung von echter Religion und Unterwerfung unter Ersatzmittel. Manchmal möchte man fast dazu raten, das Wort ‚Glaube‘ gänzlich aus dem Spiel zu lassen. Aber wie wünschenswert das auch sein mag, so ist es doch kaum möglich. Eine mächtige Überlieferung schützt dieses Wort. Und außerdem besitzen wir bisher keinen Ersatzbegriff, der der Wirklichkeit gerecht wird, auf die das Wort ‚Glaube‘ hinweist.⁹ Tillich geht es im weiteren Verlauf dieser Schrift, auf die ich noch einmal zurückkommen werde, darum, dieses Wort neu auszudeuten und die irreführenden und verzerrenden Bedeutungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte hier eingestellt haben, auszuschalten.

    Glaube, das soll in den folgenden Ausführungen deutlich werden, ist ein existentieller Akt, und er darf weder auf Glaubensgehorsam noch auf Für-wahr-Halten reduziert werden.¹⁰ Damit wird auch schon deutlich, dass der Zweifel nicht nur negativ zu sehen ist, sondern zum Glauben als solchen immer schon dazu gehört. Eine solche Sichtweise erschließt sich aber nur, wenn das Problem von Glaube und Zweifel von einer tieferen Schicht her angegangen wird, nämlich von der anthropologischen und existentiellen Dimension her. Dies soll im Folgenden anhand des Glaubensverständnisses von Karl Jaspers, Peter Wust und Paul Tillich verdeutlicht werden.

    2. Karl Jaspers: Die Polarität von Glaube und Unglaube

    Karl Jaspers (1883-1969) ist neben Martin Heidegger zweifellos der bedeutendste Vertreter der sog. Existenzphilosophie.¹¹ Von der Medizin und Psychiatrie herkommend, hatte er in Heidelberg zuerst eine Professur für Psychologie inne, bevor er dann in die Philosophie überwechselte. Im ersten Band seiner dreibändigen „Philosophie von 1932, der den Titel trägt „Philosophische Weltorientierung, findet sich ein aufschlussreicher Abschnitt mit der Überschrift „Glaube und Unglaube.¹² Doch bevor ich mich diesem näher zuwende, müssen noch kurz zwei wichtige Aspekte seines Denkens angesprochen werden: der Begriff des „philosophischen Glaubens sowie derjenige der „existentiellen Wahrheit".

    Zum ersten Aspekt: Jaspers vertritt die Position eines „philosophischen Glaubens". Religion, die er als Offenbarungsglauben deutet, lehnt er mit der Begründung ab, diese verendliche Gott und zerstöre die menschliche Freiheit. Dazu wäre viel zu sagen, was aber an dieser Stelle vom Thema zu weit wegführte.¹³ Trotz dieser scharfen Kritik an der Religion ist aber für Jaspers der innerste Personkern des Menschen, den er mit dem Begriff der „Existenz bezeichnet und der für ihn wesentlich durch Freiheit charakterisiert ist, immer schon per se auf „Transzendenz bezogen. Existenz und Transzendenz sind für ihn auch, nicht anders als für Augustinus, die eigentlichen „Gegenstände der Philosophie, die selbst „ungegenständlich sind.

    Zum zweiten Aspekt: Für Jaspers ist philosophische Wahrheit wesentlich durch ihren existentiellen Charakter ausgezeichnet, und hierdurch unterscheidet sie sich grundlegend von der einzelwissenschaftlichen Wahrheit. „Die radikale Verschiedenheit des Wahrheitssinns, schreibt er in seinem monumentalen Werk „Von der Wahrheit aus dem Jahr 1947, „zeigt sich eindringlich an dem Unterschied der Wahrheit, deren Bestand mein Wesen nicht betrifft, die ich zwar mit meinem Verstande anerkenne, die aber zu bekennen sinnwidrig wäre, und der Wahrheit, die nur ist, wenn ich ihr durch mein Leben entspreche, die ich ‚bekenne‘, wenn sie meine Wahrheit ist, und die mit dem Ausbleiben des Bekennens selber verschwindet."¹⁴ Jaspers verdeutlicht dies an einem Vergleich zwischen Galileo Galilei auf der einen und Sokrates und Giordano Bruno auf der anderen Seite: „Galilei stellte nicht die Richtigkeit seiner astronomischen Einsicht in Frage, wenn er unter Zwang sie verleugnete, wie er umgekehrt durch ein Bekenntnis sie nicht wahrer gemacht hätte. Sokrates und Bruno starben für ihre philosophische Wahrheit, weil sie mit ihnen identisch war: durch ihren Tod ist eine Wahrheit vollendet worden."¹⁵ Das Leben wird so für das philosophische Denken zur spezifischen Verifikation.

    Was Jaspers damit sagen will, ist Folgendes: Nicht das wissenschaftliche Wissen trägt das Leben, sondern der Glaube, der existentieller Natur ist. Ganz in diesem Sinne schreibt er in dem oben genannten Abschnitt aus dem zweiten Band seiner „Philosophie": „Der Kern der Weltanschauung ist Glaube. Unfähig, Gegenstand eines ihm angemessenen Wissens zu werden, ist er der Ursprung, der an der Grenze des Wißbaren als das Bewußtsein unbedingter Wahrheit spürbar ist."¹⁶

    Beim Glauben geht es also um eine unbedingte Wahrheit, für die ich leben und sterben kann – und nicht um eine Wahrheit, die allgemeingültig ist und hypothetisch zwingenden Charakter besitzt, wie das bei der einzelwissenschaftlichen Wahrheit der Fall ist. Wenn Jaspers sagt: „Glaube ist weder durch Argumente zu erzwingen noch durch Faktizität zu

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