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Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie
Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie
Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie
eBook424 Seiten5 Stunden

Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie

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Über dieses E-Book

Wie wir lernen, Mitgefühl im Alltag zu entwickeln

Seit einigen Jahren versteht die westliche Wissenschaft immer besser, was der Buddhismus uns seit Jahrtausenden lehrt: dass das bewusste Entwickeln von Mitgefühl sich positiv auf unseren Geist, unser Gehirn und unser allgemeines Wohlbefinden auswirkt.

Die Weisheit eines offenen Herzens ist ein Handbuch fürs tägliche Leben. Leicht nachvollziehbare Geschichten und Betrachtungen dienen als Inspiration und Anleitung, wie wir durch Mitgefühl unsere Beziehung zu uns selbst wohlwollender und freundlicher gestalten können, eigene negative Programme erkennen, um diese hinter uns zu lassen, und so zu mehr Gelassenheit und innerem Frieden finden.

Stimmen zum Buch:
"Dieses Buch ist eine große Inspiration, denn es berührt unsere tiefste Sehnsucht: dass alle Wesen, auch wir selbst, glücklich und frei von Leiden sein mögen."

Christopher Germer

"In "Die Weisheit eines offenen Herzens" verbinden sich höchst wirkungsvoll Weisheit und praktische Anleitung auf der Grundlage von Russell Kolts umfassender Erfahrung mit der Compassion Focused Therapy (CFT) und Thubten Chodrons lebenslanger Hingabe an die Praxis des tibetischen Buddhismus."

Sharon Salzberg
SpracheDeutsch
HerausgeberArbor Verlag
Erscheinungsdatum25. Juli 2018
ISBN9783867812320
Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie

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    Buchvorschau

    Die Weisheit eines offenen Herzens - Russell Kolts

    1 Unsere Motivation ausrichten

    In diesem Buch geht es darum, zu lernen, Mitgefühl in unseren Alltag zu bringen, wie hektisch oder fordernd dieser auch sein mag. Wenn man sich auf eine wichtige Reise begibt, lohnt es sich, einige Vorbereitungen zu treffen – und auf diese Reise kommt es ganz besonders an. Bereiten wir uns also gemeinsam darauf vor, indem wir uns mit der Frage der Motivation befassen, die ein wesentliches Element des Mitgefühls ist.

    Haben Sie sich jemals gefragt, warum Sie tun, was Sie tun? Wir haben viele unterschiedliche Motive, die mit einer ganzen Reihe von Zielen verknüpft sind: Vielleicht wollen wir Beziehungen aufbauen, Geld verdienen, Status oder Besitz erwerben, einen Sinn im Leben finden oder glücklich werden. Manchmal sind uns unsere Motive auch überhaupt nicht bewusst und wir haken den ganzen Tag über eine „To-do-Liste" ab, ohne uns im Klaren darüber zu sein, warum wir diese Dinge tun. Wir können uns allerdings für eine Motivation entscheiden und sie bewusst kultivieren, so wie wir Setzlinge in einem Garten hegen und pflegen. Insbesondere können wir beschließen, alles, was wir tun, zum Wohle aller Beteiligten zu tun. Und das hat beträchtliche Vorteile: Das Motiv hinter einer Tat – der Grund, warum wir dies tun – hat einen enormen Einfluss darauf, wie wir es tun, wie wir uns dabei fühlen sowie auf das Ergebnis der Aktion. Wenn wir innehalten, um uns bewusst auf eine mitfühlende Motivation auszurichten, bevor wir handeln, verändert sich im Laufe der Zeit unser Bewusstseinszustand, wir treffen klügere Entscheidungen und unsere Lebensqualität verbessert sich.

    Wir alle haben verschiedene Verantwortlichkeiten und Pflichten im Beruf oder zu Hause. Stellen Sie sich vor, eine Ihrer Aufgaben bestünde darin, das Abendessen für Ihre Familie oder Ihre Mitbewohner zuzubereiten. Wenn Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag müde nach Hause kommen, könnten Sie die Zubereitung des Essens leicht als eine weitere Erledigung auf Ihrer To-do-Liste abhaken. Vielleicht verspüren Sie sogar einen gewissen Widerwillen und denken: „Ich muss das tun", selbst wenn es eine Aufgabe ist, die zu übernehmen Sie sich bereit erklärt haben und die ihnen oft Freude macht.

    Stellen Sie sich vor, Sie würden mit einer anderen Haltung an die Zubereitung des Essens gehen. Was wäre, wenn Sie, zu Hause angekommen, „in einen anderen Gang schalten" würden, indem Sie sich ein paar Minuten für sich allein gönnten oder einfach eine Minute tief durchatmeten, um die Spannung in Ihren Muskeln zu lösen? Was, wenn Sie sich dann bewusst auf die Motivation ausrichteten, eine schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten, um diese Menschen zu nähren, die Ihnen am Herzen liegen, um ihr Leben besser zu machen? Stellen Sie sich vor, wie Sie dieses Essen mit einer Absicht zubereiten – einer Absicht, die die Werte widerspiegelt, die Ihnen wichtig sind, wie Güte, Liebe, Mitgefühl und Freundlichkeit. Stellen Sie sich weiter vor, wie sich die anderen freuen und durch die von Ihnen mit Liebe zubereitete Mahlzeit gestärkt werden. Wenn wir Mitgefühl in unsere Motivation hineinbringen, kann das die alltäglichsten Aufgaben auf eine andere Ebene heben. Wir können das Geschirr so spülen, dass andere daraus essen können, ohne krank zu werden. Als Eltern und Lehrer können wir Kinder leiten und gelegentlich disziplinieren, mit der Absicht, ihnen zu helfen, Qualitäten zu entwickeln, die ihnen zugutekommen, wenn sie heranwachsen. Wir können mit Kunden mit der Absicht kommunizieren, ihnen zu helfen, das zu finden, was sie brauchen und woran sie sich erfreuen. Buddhistische Lehrer ermutigen uns, unsere Motive zu hinterfragen, bevor wir handeln, um sicherzugehen, dass es keine selbstsüchtigen oder unfreundlichen sind und dass es unser höchstes Ziel ist, anderen zum Segen zu gereichen und dazu beizutragen, ihr Leiden zu lindern. Stellen Sie sich vor, sie würden aus der Motivation heraus handeln, alle Wesen – auch sich selbst – vom Leiden zu befreien. Bremsen Sie sich nun nicht mit dem Gedanken: „Das ist Unsinn, völlig unmöglich, das kann ich doch nicht." Stellen Sie sich einfach vor, wie Sie sich fühlen würden, wie Sie denken und handeln würden, wenn das Ihr Motiv wäre.

    BETRACHTUNG:

    Mit einer Motivation arbeiten

    Denken Sie nun am Anfang unseres Diskurses über Mitgefühl einmal darüber nach, dieses Buch mit der Absicht zu lesen, positive Qualitäten zu entwickeln und zu kultivieren, damit Sie zum Wohlergehen aller beitragen können, mit denen Sie in Kontakt kommen, auch Sie selbst. Stellen Sie sich vor, dass Sie mit der aufrichtigen Motivation handeln, die Welt um Sie herum zu einem freundlicheren, glücklicheren Ort zu machen und das Leiden derjenigen zu verringern, mit denen Sie zu tun haben. Versuchen Sie, sich jeden Morgen, bevor Sie aufstehen, einen Moment Zeit zu nehmen, um Ihre Motivation auszurichten: „Heute will ich mein Bestes tun, um den Menschen, mit denen ich zu tun habe, mit Freundlichkeit und Mitgefühl zu begegnen. „Heute will ich versuchen, weniger zu urteilen. „Heute werde ich meinen Kindern ein Beispiel für Geduld und Beständigkeit sein, damit sie diese Eigenschaften verinnerlichen." Experimentieren Sie damit, jeden Morgen Ihre Motivation auf diese Weise auszurichten und schauen Sie, ob das Ihren Tag in irgendeiner Weise verändert.

    TEIL I

    Mitgefühl:

    Was es ist, was es nicht ist

    und warum es sich lohnt, es zu

    entwickeln und zu kultivieren

    2 Was ist Mitgefühl und warum brauchen wir es?

    Die Definition von Mitgefühl, ob aus dem Wörterbuch oder vom Dalai Lama, beinhaltet immer zwei Elemente: Sensibilität für das Leiden und die Motivation, zu seiner Linderung beizutragen. Ersteres setzt die Offenheit voraus, sich angesichts von Schmerz und Leid berühren zu lassen – wir sind bereit, hinzuschauen, wenn wir und andere mit Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert werden, und uns davon berühren zu lassen. Diese Erfahrung, vom Leiden bewegt zu sein, ruft das zweite Element wach: Die Motivation, zu einer Verbesserung der Situation beizutragen.

    Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt oft: „Wenn du willst, dass andere glücklich sind, praktiziere Mitgefühl. Wenn du selbst glücklich sein willst, praktiziere Mitgefühl. Warum stimmen der Dalai Lama und so viele andere darin überein, dass gerade diese innere Qualität es wert ist, entwickelt und kultiviert zu werden? Das Leben kann schwierig sein und wir sitzen alle im selben Boot. Sogar wenn wir in eine privilegierte Situation hineingeboren werden, Eltern haben, die uns lieben und gut versorgen, gutes Essen im Überfluss, ein schönes Zuhause und Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben, hat dennoch jeder von uns große Schwierigkeiten im Leben zu überwinden. Jeder von uns wird mit Krankheit, Altern und Tod konfrontiert. Jeder von uns verliert geliebte Menschen. Manchmal geben wir unser Bestes und scheitern dennoch. Die meisten von uns wissen, wie es ist, wenn einem das Herz gebrochen wird – nicht nur einmal, sondern mehrmals. Manchmal tauchen auch andere schmerzliche Gefühle auf: Angst, Traurigkeit, Wut oder innere Unruhe. Das ist der Schmerz, der zum menschlichen Dasein gehört. Das ist der „Eintrittspreis. Hinzu kommt, dass viele von uns in Situationen hineingeboren werden, die die normalen Schwierigkeiten noch übersteigen: ein missbrauchendes oder vernachlässigendes Elternhaus, extreme Armut oder ein kulturelles Umfeld, in dem systematisch bestimmte Menschen bevorzugt und andere benachteiligt werden. Das Leben ist eine Herausforderung und die Chancen sind alles andere als gleich.

    Angesichts all dieses Leidens und dieser Not ist Mitgefühl die einzig sinnvolle Antwort. Natürlich könnten wir eine ganze Reihe anderer Dinge tun. Wir könnten uns aufregen, nach Sündenböcken Ausschau halten und wütend auf sie werden. Wir könnten einfach die Augen vor all den Dingen verschließen, die uns missfallen, könnten schmerzliche Gefühle unterdrücken oder mit Drogen oder Alkohol betäuben. Wir könnten den Blick abwenden, wenn wir mit dem Leiden anderer konfrontiert werden oder ihnen sogar die Schuld daran geben. Das Dumme daran ist nur, dass die Herausforderungen des Lebens – seien es unsere eigenen Gefühle, die wir nicht haben wollen, oder Konflikte mit anderen Menschen oder die Probleme in der Welt – nicht verschwinden, wenn wir sie ignorieren. Im Gegenteil, sie werden im Allgemeinen größer.

    Obwohl es gewiss nicht einfach ist, dem Schmerz und all den Schwierigkeiten ins Gesicht zu sehen, hat dies dennoch einen großen Vorteil. Wenn wir erst einmal aufgehört haben, unsere Probleme zu leugnen, vor ihnen zu flüchten oder sie zu ignorieren, können wir daran arbeiten, die Dinge zu verbessern. Mit Mitgefühl auf die Welt zu schauen befreit uns von dem Drang, uns selbst und andere dafür zu verurteilen und zu beschämen, dass wir ganz menschliche Gefühle haben. Stattdessen können wir lernen, innerlich ausgeglichener zu werden, damit wir das Beste aus uns hervorholen können. Unsere Zuversicht und unser Selbstvertrauen wachsen, wenn wir die Erfahrung machen, dass wir schwierige Gefühle und Situationen konfrontieren und aushalten können und daran arbeiten können, die Dinge zu verbessern. Dieses Selbstvertrauen hilft uns, das Leben zu nehmen, wie es ist, ohne von Ängsten und Sorgen aufgefressen zu werden. Es lässt uns von einer ängstlichen Grundhaltung, mit der wir ständig potenzielle Fehler oder Probleme wittern, auf eine offenere, gelassenere Haltung umschalten, mit der wir auf Herausforderungen antworten und dennoch die guten Dinge des Lebens genießen können und dankbar dafür sind.

    Ich (Russell) habe eine Therapiegruppe in einem Gefängnis aufgebaut, in der wir mit der Compassion Focused Therapy arbeiten. Dieses Programm soll den dort einsitzenden Männern helfen, zu lernen, auf mitfühlende Weise mit ihrer Wut umzugehen. Viele von ihnen gehen mit großen Vorbehalten in die Gruppe, weil sie meinen, Mitgefühl bedeute, schwach und verwundbar zu sein, „ständig nett zu sein". Aber im Laufe ihrer Teilnahme verändert sich ihre Einstellung zum Mitgefühl dramatisch, wenn sie entdecken, dass Mitgefühl Mut erfordert, den Mut, den Problemen des Lebens und den starken Gefühlen, die manchmal hochkommen, ins Gesicht zu sehen. Es braucht Mut und Engagement, dabei zu bleiben, das Unbehagen auszuhalten, das wir unweigerlich verspüren, wenn wir uns mit diesen Schwierigkeiten auseinandersetzen und lernen, damit zu arbeiten. Mitgefühl ist alles andere als Schwäche.

    Und Mitgefühl hat noch weitere Vorteile. Indem uns klar wird, dass wir alle im selben Boot sitzen, hören wir auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen oder den Kopf in den Sand zu stecken, und fangen an, einander zu unterstützen. Unser aller Leben ist voller Herausforderungen und wir alle haben manchmal mit intensiven Gefühlen zu kämpfen. Wir können diesen Herausforderungen besser begegnen, wenn wir einander ermutigen. Wenn wir Verantwortung übernehmen, falls wir diejenigen sind, die die Probleme verursachen. Wenn wir uns sicher, angenommen und geschätzt fühlen, sind wir in der Lage, mit den Problemen in unserem Leben umzugehen und verantwortlich auf sie zu reagieren. Das ist ein Geschenk, das wir uns selbst und anderen machen können, ein Geschenk, das dem Gebenden genauso viel gibt, wie dem Empfangenden.

    BETRACHTUNG

    Drei Schüler und drei Lehrer

    Stellen Sie sich vor, drei Schüler versuchten, eine schwierige neue Aufgabe zu bewältigen, wie beispielsweise ein Instrument zu spielen oder ein Mathe-Problem zu lösen. Alle drei haben mit der Aufgabe zu kämpfen. Ein Kind hat einen Lehrer, der es ignoriert und seine Schwierigkeiten gar nicht wahrnimmt. Ein anderes hat einen ungeduldigen Lehrer, der es ständig darauf hinweist, welche Fehler es macht, und es kritisiert. Das dritte Kind hat einen mitfühlenden Lehrer, der es sanft führt und ihm vermittelt, dass diese Aufgabe anfangs schwierig ist, der es aber ermutigt „dranzubleiben" und der die Fortschritte des Kindes in den Vordergrund stellt. Welches Kind wird die besten Ergebnisse erzielen? Welchen Lehrer würden Sie bevorzugen?¹

    3 Mitgefühl, wechselseitige Abhängigkeit und universale Verantwortung

    Wir alle müssen lernen, miteinander als Brüder und Schwestern zu leben, oder wir werden zusammen als Narren untergehen. Das ist die große Herausforderung der Stunde. Das gilt für Individuen. Das gilt für Nationen. Kein Mensch kann für sich allein existieren. Keine Nation kann für sich allein existieren.

    Martin Luther King

    Wie Martin Luther King betonte, kann niemand von uns für sich allein existieren, wir alle sind voneinander abhängig. Was müssen wir lernen, um miteinander wie Brüder und Schwestern zu leben? Die Antwort heißt: Mitgefühl. Mitgefühl zu haben heißt, sich um das Leiden der anderen zu kümmern und ihnen zu wünschen, frei vom Leiden und seinen Ursachen zu sein. Mitgefühl ist eng mit der Liebe verbunden, die den Wunsch beinhaltet, dass alle lebenden Wesen Glück und seine Ursachen erfahren mögen.

    Es ist sinnvoll, Mitgefühl zu haben. Wenn wir uns nicht um andere scheren, werden wir alle leiden: Entweder, weil unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, oder weil wir von unglücklichen Menschen umgeben sind – eine Situation, die unser eigenes Leben vergiftet. Aus diesen Gründen rät Seine Heiligkeit der Dalai Lama: „Wenn du egoistisch sein willst, dann sei intelligent egoistisch und hilf anderen."

    Mitgefühl braucht es in allen Bereichen unseres Lebens: auf einer persönlichen Ebene das Mitgefühl für uns selbst, für Freunde und Angehörige, für unsere Kollegen und unseren Chef und sogar für Leute, die uns manchmal lästig sind; auf einer kommunalen Ebene Mitgefühl einer Gruppe für eine andere; auf einer internationalen Ebene Mitgefühl der Bürger einer Nation für die Menschen anderer Nationen. Mitgefühl ist das Gegenteil von und das Heilmittel für unsere übliche Selbstbezogenheit, die uns drängt, das Beste und Meiste für uns selbst herauszuholen, um unser eigenes Glück sicherzustellen. Selbstbezogenheit bringt Schwierigkeiten für die Menschen in unserer Umgebung mit sich, und ihre Probleme stören nicht nur deren Ruhe, sondern auch unsere.

    Vor vielen Jahren wollten viele der Bürger der Stadt, in der ich (Chodron) damals lebte, keine höheren Steuern zahlen, um Schulen und außerschulische Aktivitäten für Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Sie dachten sich, sie hätten, da ihre eigenen Kinder schon erwachsen waren, keinen Grund, für die Bildung anderer Leute Kinder zu zahlen. Gegen die Verwendung ihrer Steuern für den Bau weiterer Gefängnisse, die sie vor Kriminellen schützen sollten, hatten sie jedoch nichts einzuwenden. Was sie allerdings nicht erkannten, war, dass diese beiden Dinge zusammenhängen.

    Wenn Kinder keine gute Bildung erhalten und außerschulische Aktivitäten wie beispielsweise Sport gestrichen werden, kann es leicht passieren, dass sie in die Drogenszene abrutschen. Der Drogenkonsum kostet jedoch Geld, also beginnen manche von ihnen zu stehlen. Die Läden, die sie ausrauben und die Häuser, in die sie einbrechen, gehören oftmals den Leuten, die gegen eine Erhöhung der Einkommensteuer stimmen. Wenn Kinder keinen Zugang zu den Einrichtungen und der Bildung haben, die sie brauchen, und ihre Familien, Schulen und die Gesellschaft im Allgemeinen nicht gut für sie sorgen, hat das negative Folgen für uns alle. Wir sind alle miteinander verbunden.

    Wir mögen uns durchsetzen, wenn wir uns nur um uns selbst und die uns nahestehenden Menschen scheren, aber es wird fast immer auf uns zurückfallen, wenn wir andere demütigen und ihr Leid ignorieren. Alle Konflikte und Kriege der Weltgeschichte bezeugen diese Tatsache. Wenn wir also selbst glücklich sein wollen, müssen wir auch das Glück anderer im Blick haben. Anstatt manche Menschen als „Feinde" zu betrachten, deren Bedürfnisse keine Rolle spielen, können wir zu ihrem Wohlergehen beitragen. Weil wir sie als Menschen achten, ihnen helfen, ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Obdach und medizinische Versorgung zu erfüllen, und ihren Wunsch respektieren, akzeptiert zu werden, Liebe und Fürsorge zu empfangen und zu geben und zum Gemeinwohl beizutragen, gibt es keinen Grund für sie, uns feindlich gegenüberzutreten, denn wir haben alles getan, damit sie glücklich sein können und ihr Leiden enden kann. Ein Feind wird zum Freund. In der Geschichte gibt es viele Beispiele dafür, manche sogar aus unserer Zeit. Großbritannien und die USA betrachteten beispielsweise Deutschland und Japan in den 1940er Jahren als Feinde und heute sind diese Länder Verbündete, die gut zusammenarbeiten.

    Die Menschen sind heutzutage abhängiger voneinander als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Anders als vor Jahrhunderten bauen heute nur noch sehr wenige Menschen ihre eigene Nahrung an, stellen ihre Kleidung selbst her oder bauen ihre Häuser selbst. Viele von uns wissen gar nicht, wie man das macht, und so sind wir abhängig von Leuten, die das können. Wir sind auch abhängig von den Menschen, die unsere Straßen bauen oder bestimmte Technologien entwickeln, sowie von denen, die uns alles beibringen, was wir wissen, um nur ein paar zu nennen. Wenn uns erst einmal bewusst wird, dass wir untrennbar miteinander verbunden sind, erkennen wir, dass gegenseitige Fürsorge heute unverzichtbarer ist als je zuvor.

    Bei einem Treffen mit Großstadtkindern, die in Stadtvierteln mit hoher Kriminalität leben und daher gefährdet sind, selbst zu Gewalttätern zu werden, sagte der Dalai Lama: „Gewalt ist altmodisch. Krieg ist altmodisch. Wir verfügen über ein so hoch entwickeltes Gehirn wie keine andere Spezies, also müssen wir unsere Intelligenz benutzen, um einander zu helfen. Dann werden wir alle profitieren und in Frieden miteinander leben." Mitgefühl ist der Weg dorthin.

    BETRACHTUNG

    Mitgefühl in die Welt tragen

    Stellen Sie sich eine Situation in der Welt oder in Ihrem eigenen Leben vor, die durch Mitgefühl verbessert werden könnte. Stellen Sie sich vor, wie anders diese Situation sein könnte, wenn die daran beteiligten Menschen mitfühlend empfinden, denken und handeln würden und wünschten, dass andere nicht leiden müssen.

    4 Echtes Mitgefühl

    Mitgefühl ist eine innere Qualität, die man bewusst kultivieren kann. Anders als geistige Zustände, die einer verzerrten Wahrnehmung und falschen Vorstellungen entspringen, wie beispielsweise Wut und Habgier, entsteht Mitgefühl aus einer rationaleren inneren Haltung, die weder die positiven noch die negativen Seiten einer Person, einer Sache, Idee oder Situation aufbauscht. Außerdem beeinflusst Mitgefühl unsere anderen Gedanken und Emotionen. Wut, Eifersucht und Feindseligkeit können durch Mitgefühl aufgelöst werden, während die Liebe bewusst kultiviert und vertieft werden kann.

    Mitgefühl ist nicht wie ein Brunnen, der eines Tages austrocknet. Im Gegenteil: Je mehr wir unser Herz mitfühlend öffnen, desto größer wird unser Mitgefühl. Und es ist nicht so, dass wir, wenn wir Mitgefühl für eine Gruppe empfinden, nicht mehr genügend für eine andere Gruppe übrig haben. Mitgefühl dehnt sich aus, je mehr da ist, desto mehr wird da sein. Mitgefühl ist eine innere Haltung, die sich in unserem Verhalten ausdrücken kann, doch es ist nicht das Verhalten an sich, denn ein und dasselbe Verhalten kann unterschiedlichen Motiven entspringen. Wir pflegen vielleicht einen erkrankten Angehörigen, weil wir echte Zuneigung für ihn empfinden. Aber es kann auch sein, dass wir ihn pflegen, weil wir sein Haus erben wollen. Die Handlung ist dieselbe, aber die Motivation ist unterschiedlich. Die erste entspringt echter Zuneigung, die zweite der Selbstsucht.

    Mitfühlendes Handeln erfordert, dass wir kreativ sind und wissen, dass nicht in jeder Situation dasselbe Verhalten angebracht ist. In manchen Situationen kann es ein Zeichen von Mitgefühl sein, wenn wir teilen, was wir besitzen, während wir unter anderen Umständen vielleicht Mitgefühl zeigen, indem wir „Nein" sagen. Mitgefühl muss also mit einem guten Urteilsvermögen einhergehen.

    BETRACHTUNG

    Mitfühlende Absicht

    Versuchen Sie im Laufe des Tages Ihre Absicht, Mitgefühl in die Situationen hineinzubringen, mit denen Sie konfrontiert werden, kreativ umzusetzen. Denken Sie beim Geschirrspülen beispielsweise daran, dass sie es tun, damit andere essen können, ohne krank zu werden. Wenn Sie mit anderen kommunizieren, tun Sie es mit der Absicht, den Tag dieser Menschen ein bisschen heiterer zu machen. Wählen Sie ein paar Situationen aus, mit denen Sie im Alltag regelmäßig konfrontiert werden, und experimentieren Sie damit, eine mitfühlende Absicht hineinzubringen. Schauen Sie, wie das Ihr Erleben der jeweiligen Situation beeinflusst.

    5 Falsche Vorstellungen loslassen und Frieden mit unseren Ängsten schließen

    Wenn wir das Wort „Mitgefühl" hören, kommen uns verschiedene Bilder in den Sinn: eine Mutter, die zärtlich für ihr Kind sorgt, Mutter Theresa, die sich liebevoll um Sterbende kümmert, Anteilnahme am Leid anderer. Das Wort kann aber auch andere, weniger positive Assoziationen auslösen: das Gefühl, vom Leid anderer erdrückt oder überfordert zu werden, die Furcht, ausgenutzt zu werden, oder Dinge zuzulassen, mit denen man eigentlich gar nicht einverstanden ist.

    Die wahre Bedeutung von Mitgefühl zu verstehen, ist gar nicht so leicht. Hier ist Kontemplation notwendig, und wir müssen Frieden mit unseren Ängsten schließen und falsche Vorstellungen loslassen. Dadurch öffnet sich unser Herz für uns selbst und andere auf eine Weise, wie wir es nie zuvor für möglich gehalten hätten.

    Eine falsche Vorstellung ist die, Mitgefühl bedeute, jemanden zu bemitleiden. Stellen Sie sich vor, Ben stellt sich mit einer überlegenen Attitüde vor einen Obdachlosen und denkt: „Wie schrecklich! Armer Teufel! Du tust mir leid, wobei unausgesprochen mitschwingt: „Es ist eine Schande, dass du nicht so intelligent bist wie ich und dumme Sachen gemacht hast, so dass du auf der Straße gelandet bist. Das ist kein Mitgefühl, sondern Herablassung gemischt mit Bemitleiden.

    Anderen mit Mitgefühl zu begegnen bedeutet, sie als gleichwertig zu betrachten. Wir sind alle Menschen, die nach Glück streben und nicht leiden wollen. Shantideva, ein buddhistischer Weiser, der im achten Jahrhundert lebte, veranschaulicht dies mit der Analogie unserer Hand, die einen Dorn aus unserem Fuß zieht. Die Hand denkt nicht: „Ich, die großartige und glorreiche Hand, schenke dir gnädig mein Mitgefühl, dem dummen Fuß, der nicht aufgepasst hat, wo er hintrat, obwohl ich dir gesagt hatte, dass du dich vor Dornen in Acht nehmen sollst. Und jetzt steckst du in diesen Schwierigkeiten und hast wirklich großes Glück, dass ich da bin, weil ich dich wieder einmal retten werde. Fuß, ich wünschte wirklich, du würdest dich einmal zusammenreißen und auf dich selbst aufpassen. Es ist mir sehr lästig, dir zu helfen, aber ich tue es trotzdem. Vergiss also nicht, was ich für dich tue, denn du bist mir nun etwas schuldig."

    Uff, da lädt die Hand eine Menge auf dem Fuß ab, der ja schon unter dem Dorn zu leiden hat. Weder die Hand noch der Fuß sind glücklich mit der Situation.

    Wenn echtes Mitgefühl da ist, erkennen die Hand und der Fuß, dass sie Teil desselben Organismus sind. Da gibt es kein Machtgefälle, keinen herablassenden Ego-Trip, keine Schuldzuweisung oder Verpflichtung. Die Hand zieht einfach den Dorn aus dem Fuß, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Es ist ihr natürlicher Instinkt und es kommt beiden zugute. Wenn wir also anderen helfen, sollten wir auf unsere Motive achten und es mit echtem Mitgefühl tun.

    Respekt für andere ist ein wesentliches Merkmal des Mitgefühls und echtes Mitgefühl fördert Respekt. Den meisten Menschen ist es wichtiger, respektvoll behandelt zu werden, als es physisch bequem zu haben. Diejenigen unter uns, die normalerweise mit Respekt behandelt werden, betrachten das vielleicht als selbstverständlich und verstehen gar nicht, wie essenziell das tatsächlich für uns ist. Menschen, denen Respekt versagt wird – Arme, Kranke, Behinderte, Inhaftierte und Unterdrückte –, kennen den Schmerz, den Respektlosigkeit verursacht, nur allzu gut.

    Während eines Seminars, das ich (Chodron) über Mitgefühl hielt, bat ich meine Schüler, zu versuchen, täglich mindestens eine Tat aus echtem Mitgefühl heraus zu tun. In der folgenden Woche erzählte ein Schüler, dass er in der Innenstadt gewesen war, wo er eine Frau gesehen hatte, die auf dem Bürgersteig saß und bettelnd ihre Hände ausstreckte. Das hatte sein Mitgefühl geweckt und er wollte helfen. Er hatte nicht viel Geld bei sich, aber er zog einen Dollar aus der Tasche und überreichte ihn der Frau mit beiden Händen, während er ihr in die Augen schaute und sagte: „Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr geben, aber das ist alles, was ich bei mir

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