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Als die Wasser fielen
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eBook275 Seiten4 Stunden

Als die Wasser fielen

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Über dieses E-Book

In seinem Roman erzählt der dänische Autor die Geschichte von Holger, der in einem spärlichen Zimmer wohnt und in ärmlichen Verhältnissen lebt. Als sich für Holger die Möglichkeit eröffnet als Schiffsmann auf einem Boot zu arbeiten, ist er sofort bereit sein Zuhause zu verlassen. Schon bald ist Holger mit dem Leben auf der See und dem Schiffswesen vertraut. Als sich jedoch kuriose Situationen auf dem Schiff zu häufen beginnen, versucht Holger herauszufinden, was sich hinter den tatsächlich Zuständen verbirgt... -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum28. Aug. 2017
ISBN9788711474822
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    Buchvorschau

    Als die Wasser fielen - Otto Rung

    www.egmont.com.

    Holger Gude besichtigte wieder die alte Bark, die seit langem hier auf ihrem Ankerplatz am Bollwerk in Nyhavn lag.

    Es war in der Tat ein ungemein trübseliges Schiff. Gudes Schritt tönte dumpf auf den Planken, das Holzwerk war porös wie Bimsstein. Ein Fetzen Segel hing noch in einem sackförmigen Bündel um die Grossmastrahe. Die in den Schiffsraum führenden Treppen waren abgebrochen, wahrscheinlich von den losen Vögeln des Hafens als Brennholz entführt. An Hütte und Kajütenkappe sass noch die Kruste des weissen Anstrichs, auf der alle Nägel und Bolzen rostrote Ränder ausgeschwitzt hatten.

    Zum Bewohnen, wie er es sich gedacht hatte, schien ihm dieser alte Kasten nicht sehr vielversprechend zu sein — selbst nicht für kürzere Zeit.

    Aus einem Verschlage achtern, wohl der Kammer des Steuermanns, hatte er sich einen Wachstuchüberzug zum Sitzen geholt, aber sofort wimmelten Asseln über seine Hand.

    Er blieb an der Backbordreling stehen. In der Takelung waren die meisten Leinen der Wante längst entzweigetreten, und er sah den Nyhavnkanal wie durch die zersprungenen Scheiben eines Treibhauses.

    Bollwerk und Gebäude lagen unverändert da, ungefähr so, wie er sich des Quartiers aus seiner Kindheit erinnerte. Das Fahrzeug lag in Lee, allen Vorüberkommenden durch ein grosses, blassrotes Packhaus verborgen, das den äussersten Flügel des Nyhavnkanals gegen den Hafen bildete. Hier, auf dem engen Platze vor dem jahrhundertealten Gebäude, hatte er sich in seiner Kindheit herumgetrieben. Von hier aus lag am Hafenkai entlang eine Reihe grauer und gelber langrückiger Pack- und Lagerhäuser, die weitläufigen Zeilen der Kvästhusgade, und näher am Toldbodkanal der mächtige Flügel des Kieler Packhauses. Aber heute, wie diesen ganzen Winter hindurch, war der Hafen wie ausgestorben. Alle Luken in den gelben Giebeln waren dicht verschlossen, kein Kran regte sich, kein Lärm ertönte von ladenden oder löschenden Schiffen. Und doch sah man die Dampfer Seite an Seite, eine dreifache Reihe vom Packhause hier bis hinaus zur dunklen roten Mauer des Freilagers: eine Riesenallee von Masten, Regimenter von schwarzrot und blaurotweiss uniformierten Schornsteinen hielten hier und lagen jetzt bald das zweite Jahr auf.

    Er erinnerte sich, dass hier in seiner Kindheit die grossen, haushohen Schiffe der Thingvallalinie mit gelben Sternen auf den Schornsteinen ihren Platz gehabt hatten.

    Seine Schwester und er hatten dort zwischen Bauholzstapeln und Warenballen, die so hoch wie die Wälle der Festung waren, gespielt. Von dem alten Hause in der Nähe des Amalienborgplatzes, das ihr Heim gewesen war, kannten sie alle Winkel und Gassen, die durch die Schlossgärten, über Mauern und durch stockfinstere Läger hierher führten; sie schlichen sich an den Planken entlang hoch über aufgehäuften Mais, sie hatten geheime Gänge durch Berge von zusammengebundenem Kork gebohrt, hatten Hürden rollender Fässer mit Petroleum oder Rum genommen, sich durch ein Schlaraffenland von Apfelsinen oder Zuckerrohr gegessen, bis sie hierher gekommen waren, wo der Hafen im Schnee von Salpeter oder in einem Herbstwetter von fegendem Weizen lag, die von „Thingvalla und „Geyser, jenen beiden Schwesterschiffen, gelöscht wurden, die später — jetzt war es schon lange her — Schiffbruch erleiden sollten.

    Dort über dem Rücken der roten Packhausdächer erblickte er undeutlich Giebel und Mansarden des alten Quartiers, in dem er seine Knabenzeit verlebt hatte. Seit vielen Jahren stand es unverändert da, hier die sandsteingekrönten Mauern Amalienborgs, dort, wie ein irischgrüner Helm, die Kuppel der Marmorkirche. Dies alte östliche Viertel von Sankt Annä —.

    Das Fahrzeug, auf dem er sich einzurichten gedachte, war verkommen, finster und schorfig in allen Winkeln, wahrscheinlich ein Rattennest. Alles Wrackgut, das man von Deck aus erreichen konnte, war gekappt und von den Dieben des Quartiers entführt worden. Alles Tauwerk hing ausgedörrt, zusammengeschrumpft, wie der Strick eines Gehenkten, herab. Es hatte kürzlich geregnet, schleimige Pfützen zeigten, wo das Deck am tiefsten ausgebeult war. Unten im schwarzen Kanal lagen halb unter Wasser die letzten Treibeisblöcke und hobelten träge gegen den Bug der Bark. Irgendwo aus der Hütte oder dem Raum klang ein ununterbrochenes Tropfen, als taute auch hier an Bord der Winter und ränne hinaus.

    Einladend war es hier nicht, doch seit seiner, jetzt viele Jahre zurückliegenden Marinezeit war er mit Schiffen vertraut. Wenn hier Ordnung geschaffen wurde, war wohl ein Aufenthalt an Bord möglich, der mit seiner Vorliebe für Isolation und für Wohnungen aus Planken und Brettern übereinstimmte, an die er sich in den vielen Jahren im Norden, zuerst in Finnland, später in den arktischen Gegenden Nordrusslands, gewöhnt hatte.

    Weit Schlimmerem als dieser mitgenommenen Bark war er in den letzten drei Jahren ausgesetzt gewesen. Er hatte gelernt, sich in jeder Art von Räumlichkeiten zurechtzufinden. Der russische Zusammenbruch, die Wartezeit, die Hungerzeit und endlich der Einmarsch der roten Garde in Archangelsk, wo er bis zum letzten Augenblick auf seinem Posten als fungierender Konsul ausgeharrt hatte, hatten ihn allen überflüssigen Komforts entwöhnt. Sein letztes Heim waren die von Ungeziefer wimmelnden Baracken der Werftmannschaft oder ausrangierte Eisenbahnwagen gewesen, die eben erst von Flecktyphuspatienten und steifgefrorenen Choleraleichen geleert waren.

    Dann, nach seiner Heimkehr, war es ein Hotelzimmer gewesen, das monoton, unleidlich durch sein System von Rubriken, gerade Raum genug für einen Gast mit Durchschnittsgewohnheiten bot. Selbst auf seiner Flucht heimwärts, als er sich, lange nach Abmarsch der letzten Engländer, in einem Bauernschlitten versteckt, durch die Vedetten der Roten Garde schlich, hatte er sich nie so heimatlos gefühlt wie hier, wo er von der Etikette des Hotels und hundert aufmerksam dienenden Augen bewacht war. Die grossen, umfassenden Arbeiten, die ihm jetzt übertragen waren, liessen sich nicht wohl in einem Hotelzimmer ausführen, wo er dem Besuch eines jeden, dem er entgehen wollte, ausgesetzt war.

    Sein Eigentum und die schweren Kisten mit Büchern und Papieren waren bereits an Bord gebracht. Er richtete sich einstweilen achtern in einem Raum ein, den er einigermassen frei von durchtropfendem Regen fand. Die Treppe war hier erhalten. Hier achtern war zugleich die geräumige Kajüte des Kapitäns. Die Hütte, die sich ungefähr in Mannshöhe über Deck erhob, besass noch den grössten Teil ihres kniehohen Geländers. Achteraus öffneten sich Schiebetüren nach diesem niedrigen, aber reichlich grossen Deckhause. Hier schien die Besteckskajüte gewesen zu sein, aber alles, was nicht niet- und nagelfest war, bis zur Hängelampe, fehlte.

    Er fand die Räume vorn besser und beschloss, sich später dort einzurichten. Vorläufig war es hier unbewohnbar. Er stieg in die Mannschaftskajüte wie in eine qualmende Kloake hinab. An allen Wänden entlang liefen, mit einer Schmutzkruste bedeckt, die Kojen der Leute, drei Reihen Borde — Bett an Bett. Sie stanken nach muffigen Kleidern, an einem Nagel hing noch ein Fetzen Oelzeug. Mitten durch die Kajüte, von der Decke bis zum Boden, ging der Fockmast wie der feste Kratzpfosten in einem Grönländerhause, der immer sein Willkommen für den schorfigen Rücken der Gäste bereit hält; in Schulterhöhe war er hohl gescheuert und in Kniehöhe sass noch eine Vertiefung, die wohl Schiffsjunge und Schiffshund gemeinsam auf Hunderten von Reisen gehobelt hatten. Die Rahmen der festen Kojen sahen aus, als ob ein Krippenbeisser seinen Stall hier gehabt hätte, die Bänke waren von Namenszügen und Handzeichen zerschnitten. Das Kuhauge war eine einzige Masse von Spinneweb und Schmutz.

    Vorläufig liess Gude sich also in der Kammer des Steuermanns nieder. Mit ein paar Decken in der Koje und einem angezündeten Petroleumofen fühlte er sich ganz behaglich, fast wie in alten Tagen an Bord des Kadettenschulschiffes. Hier spürte er den bekannten salzigen Duft von Holz, den er von den Blockhäusern Finnlands liebte. Es fehlte nur der Kamin mit dem schneeweissen lodernden Birkenholz.

    Noch einige Male passierte er das Deck. Hier war es frisch, aber keineswegs kalt. Die ihm bevorstehende Arbeit bedrückte ihn. Sie würde kaum allen, vielleicht auch kaum ihm selber Freude bringen.

    Doch als es dunkel wurde, gewann die Unheimlichkeit an Bord grössere Macht. Er beobachtete, wie die Finsternis von unten kam, zu seinen Füssen begann. Das Deck wurde grau, als saugte das poröse Holz Schlamm aus dem Meeresgrunde und würde dunkel. Das Wasser im Hafen leuchtete noch, denn es spiegelte den Schein der soeben untergegangenen Sonne am Himmel. Der Schlamm frass sich an den Seiten der alten Packhäuser empor, bis sie, von Schmutz gesättigt, schwarz bis zum Dachrücken dastanden.

    Im Orient, wo er als Kadett gewesen war, kam die Nacht — wie eine Gabe oder ein Grauen — immer vom Himmel, wie ein Wurf von Allahs Mantel über die Erde. In den arktischen Gegenden am Weissen Meere währte die Nacht ein halbes Jahr, war absolut, ein Fimbulwinter ohnegleichen. Aber hier dunstete sie wie eine Pest aus der Erde empor. Es war, als versänke man langsam vom Knöchel bis zu Knie, Hüften und Brust in einem unersättlichen Sumpfe.

    *


    Auf dem Namensbrett der Bark stand, unbeholfen in Weiss auf den blauen Grund gemalt, ihr Name: Bess Ruthby. Das Fahrzeug, das als totes Schiff in Nyhavn lag, war Gude von einem Wohnungsvermittler aufgegeben worden, dem er seinen Plan, sich eine derartige Unterkunft in diesen Zeiten der Wohnungsnot zu suchen, mitgeteilt hatte.

    Mit einiger Mühe bekam er die Adresse von Bess Ruthbys Reeder, oder vielmehr dem Direktor der „Schiffahrts-Aktien-Gesellschaft Bess Ruthby von Kopenhagen" heraus.

    Er hatte über „Bess Ruthby erfahren, dass ihr Kiel vor gut zwei Menschenaltern auf einer norwegischen Werft gelegt worden war. Ihre Lebensdauer als Seeschiff war längst verstrichen; doch hatte sie in den ersten drei Kriegsjahren noch Reisen, meist, wie es hiess, mit Kriegskonterbande nach baltischen Häfen gemacht. Aber der Tonnagebedarf des Weltkrieges liess in den Reedern Träume von abenteuerlichen Frachten erstehen. Die Bark „Bess Ruthby wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in Gammelholmer Kaffees von Tisch zu Tisch zwischen kapitalstarken, auf der Heimreise von timecharter-Touren befindlichen Steuermännern und schwedischen Gummihändlern beim letzten Glase Punsch vor Abgang der Malmöfähre verjobbert.

    Jetzt, nach dem Frieden, waren die Aktien der „Schiffahrts - Aktien - Gesellschaft Bess Ruthby" nur ein Bündel Makulatur als Zugabe bei den Konkursmasseauktionen des Krieges, und das Schiff lag nach wie vor auf seinem ewigen Ankerplatz an der Spitze des Nyhavnkanals, dicht beim Hafen, festgewachsen im Schlamm, an seinen Vertäuungen nagend und den verrosteten Ankerarm dicht an seinen kupferbeschlagenen Bug gepresst.

    Zuletzt war die mit Stecknadeln zusammengeheftete Aktienmasse von einem norwegischen Maler in einem Bridge gewonnen worden, zu dem er express von einem schonenschen Baron und Rennreiter geholt war, der schwer krank in seinem Hotelzimmer lag und daher einen vierten Mann zu einem Spiel auf der Bettkante suchte, an dem ausserdem eine zugereiste Damenfriseurin aus Uddevalla und der Nachtportier des Hotels teilnahmen.

    Gude hatte daraufhin den norwegischen Maler, Edvin Rustad, in dessen Hotel hinter dem Raadhusplads aufgesucht. Rustads Name als Maler war weitbekannt. Gude war seinen Bildern in den Galerien der ganzen Welt begegnet. Es waren Nordlandsmotive von den Lofoten und Lappland, in Farben wütend, mit dem Sinn eines Wilden gesehen, gefrässig und verdichtet zugleich. „Spaltend wie ein Eiskristall ist sein Auge", sagte man. —

    Gude musste lange in einem Zimmer mit herabgelassenen Gardinen warten, dessen Bettbezug den Abdruck eines ungeheuren Körpers zeigte. Auf dem Tisch lagen Bridgekarten zwischen Flaschen und Gläsern verstreut. Leinwand oder Malgerät war nicht zu sehen.

    Schliesslich war Rustad gekommen, nachdem er die Tür leise geöffnet hatte, um sich den nach Aussage des Hotelportiers Wartenden anzusehen. Es zeigte sich, dass er ein blasser Koloss mit einem Gesicht wie ein betagter Leichenbitter war. Wie Gude gehört hatte, ging er stets in mächtigen Ueberziehern, und so zog er auch jetzt nach einer tiefen, ehrerbietigen Verbeugung einen gewaltigen gelben Paletot aus. Darunter schien er noch einen ungeheuer umfangreichen Ueberzieher, seine Redingote, zu tragen. Mit dem Zeigefinger entfernte er eine blassgelbe, mit Wasser gekämmte Locke von seinem rechten Auge.

    Als Gude ihm seinen Plan betreffs Bess Ruthby vorgelegt hatte, seufzte er ernsthaft.

    Dürfte er Herrn Gude vielleicht ein Glas Whisky und Soda anbieten? Möglicherweise spielte Herr Gude auch Bridge? Er könnte in aller Eile zwei Partner schaffen. Rustad griff nach dem Haustelephon. Gude lehnte höflich ab. Sie sassen eine Weile da und betrachteten einander. Kurz darauf war es, als tagte es auf Herrn Rustads riesigem Gesicht. Mit einer kleinen Verbeugung erhob er sich ein wenig von seinem Sitze.

    „Ja, jetzt erinnere ich mich dieser Aktien, sagte er. „Ich habe ganz sicher das Paket hier in der Schublade unter meinem Kleiderschrank. Wo, wie und was Bess Ruthby sonst ist, weiss ich nicht mehr. Aber wenn sie, wie Sie sagen, ein Schiff und nicht im Hafen versackt ist, dann können Sie sie gern haben. Wie sie geht und steht.

    Von Miete wollte er nichts hören. Nach Gudes Protest sagte er jedoch: „Schön, Herr Gude, Sie können bezahlen, was die Unterhaltung kostet. Sehen Sie im Schiffsregister nach, ich habe selbst keine Zeit dazu gehabt."

    Er fügte hinzu: „Nur eines müssen Sie mir zugestehen, Herr Gude: Zutritt an Bord, wenn ich einmal Lust bekommen sollte, ein Seestück zu malen. Aber das ist seit dem Kriege — leider — nicht vorgekommen."

    Seine Augen wurden feucht. „Ich will Ihnen nämlich sagen, fuhr er mit gebrochener Stimme fort, „ich habe entdeckt, dass die Hantierung mit dem Pinsel meinen Billardstoss verdirbt!

    Als Gude kurz darauf ging, hörte er noch in der Tür das Bett unter dem mächtigen Körper, der sich hineinwarf, krachen.

    *


    In den folgenden Tagen richtete Gude sich an Bord ein.

    Er hatte zu allererst im Schiffsregister nachgesehen. Wie erwartet, war die Bark „Bess Ruthby" bis hoch über die Spitze des Grossmastes mit Hypotheken belastet. Die Zinsen von zwei Terminen waren nicht bezahlt, auch Bollwerksgeld nicht, und ein Gammelholmer Gastwirt hatte das Schiff mit Beschlag belegen lassen für Lokalmiete und Verschiedenes, das bei Sitzungen der früheren Reeder der Bark in seinem Restaurant verzehrt worden war. Gemäss seiner Vereinbarung mit Herrn Rustad beglich Gude diese nicht unbedeutenden Beträge und fühlte sich hiernach soweit in sicherem Besitz seiner Wohnung.

    Die Einrichtung an Bord verursachte ihm erhebliche Mühe. Es war ihm schliesslich gelungen, zwei arbeitslose Handwerker zu überreden, an Bord zu gehen und eine etwa mögliche Verbesserung der vorderen Räume, die er zu bewohnen gedachte, zu erwägen.

    Er stellte den beiden äusserst höflichen Handwerkern anheim, die Luke vom vorderen Lastraum abzunehmen. Dann gedachte er eine Glasscheibe als Skylight darüber zu legen.

    Der eine der beiden Tischler rieb sich das Kinn und lächelte.

    „Das ist Glaserarbeit, sagte er, „und nicht mein Fach.

    „Schön, räumte Gude ein. „Aber ich habe den Plan, den Lastraum nachher neu mit Paneelen bekleiden und ausserdem das Schott zwischen Raum und Mannschaftskajüte durchschneiden und eine Tür vom Arbeitsraum zur Schlafkammer anbringen zu lassen.

    „Das ist Schiffszimmermannsarbeit", bedauerte der andere Tischler, worauf beide den rechten Handschuh abzogen, um sich zu verabschieden. Er sah ihre Rücken langsam und feierlich, als folgten sie einer Leiche, in Nyhavn verschwinden. —

    Es glückte ihm indessen am selben Tage, einen Seemann als Besatzung und Hilfe bei aller Zimmerarbeit an Bord zu heuern.

    Er hatte ihn eines Abends auf dem Heimwege in der Nähe von Kongens Nytorv, ungefähr an der Ecke der Strandsträde getroffen. Dort hatte ein Haufen sich herumtreibender Seeleute nebst Anhang aus den Spelunken Nyhavns sein Standquartier. Junge Havaristen mit Wasserleichenfratzen, ausrasiertem Nacken und Beulen wie Rubinketten um den Hals. Sie sassen am Eingang der Notdurftsanstalt und auf den Stufen der Nyhavnsfähre, hingen auf zwei langen Steinbänken, drehten Zigaretten zwischen den Fingern und bewegten die Zehen in den Latschen, während sie einen Kameraden nach warmen Würstchen zu dem Manne mit dem Kesselwagen auf Kongens Nytorv schickten. Sie sprachen ein gedehntes Englisch oder Lolländisch, je nachdem, ob sie von einem Kohlendampfer oder einem Apfelkahn fortgelaufen waren, aber alle waren sie gleich geschwollen und hoch erhaben über das feine Gesindel, das auf den Fliesen an ihrer Börse für alle Art Schiffs- und Hafenneuigkeiten nach der Bredgade vorbeipromenierte. Nur ab und zu erbettelten sie sich drohenden Blickes Zigaretten von einem lebenslustigen Nachtschwärmer oder einem von Nyhavns fetten, finnigen Mädchen, die im Ulster, mit einem Matrosenkragen darüber, auf ausgeschnittenen Schuhen oder Schlappen aus einem der Nyhavner Keller, „Café Ausguck oder „Zum sicheren Hafen angelatscht kamen.

    Gude wurde von einem jungen Burschen in mit Bindfaden umgürtetem Regenmantel ohne Kopfbedeckung angehalten. Seine blossen Füsse staken in Segeltuchschuhen. Gude hatte eben gesehen, wie er von seinem Platz am äussersten Ende der Bank heruntergestossen war durch den Tritt eines langen Beines im Seestiefel, das einem Kerl gehörte, der sich lang hinlegte, damit er ihn, ohne aufstehen zu müssen, erreichen konnte. Der Bursche bat in schlechtem Englisch um Unterstützung für eine Unterkunft. Es zeigte sich, dass er ein von einem amerikanischen Tramp weggelaufener Finne war, seine vier, fünf dänischen Ausdrücke waren, offenbar ohne sein Wissen, äusserst gemein.

    Am nächsten Tage erschien er auf Gudes Aufforderung an Bord. Vermutlich hatte er mit Heuer auf einem wirklichen Seeschiffe, wie er es gewohnt war, gerechnet, doch nahm er die Aufträge, die Gude ihm erteilte, willig entgegen. Das für sein Fach äusserst Naturwidrige, dass ein Schiff nicht in See stach, sondern als Haus diente, schien seine unsagbar träge Seele nicht zu stören. Gude sprach ihn auf Finnisch an, doch der Mann war sehr wortkarg und gab nur zögernd Antwort. Sein Name war Matti.

    Als Gude dem Finnen Säge und anderes Werkzeug, das er in der Zimmermannskiste an Bord fand, zeigte, machte sich der Mann jedoch willig an die Arbeit. Er war im Holzlande an der finnischen Bucht geboren und, ungefähr seit er gehen konnte, auf Holzschiffen gefahren. Seine regengrauen Augen bekamen zwar keinen Ausdruck, doch fasste seine Hand die Axt mit einem Griff, als ob seine Muskeln auf einmal erlöst würden.

    Er tastete an einem Lederbeutel herum, den er auf der blossen Brust trug. Sein Schiffahrtsbuch war gestohlen oder möglicherweise vom letzten Schiffer beschlagnahmt, doch er zog einen Fetzen Papier hervor und gab ihn Gude zu lesen.

    Es war eine mit verwaschener Tinte auf nach Parfüm und Schmutz duftendem rosa Papier geschriebene Empfehlung: „Gib Matti keine Arbeit, er ist ein Spitzbube und ganz verlogen."

    Matti wartete, den ziellosen Blick zur Takelung des Schiffes erhoben. Und Gude dachte, dass ein Mann keine bessere Empfehlung haben könnte als diesen Judasbrief, der, für ihn selbst unleserlich, von grinsenden Kameraden irgendeinem schreibkundigen Frauenzimmer in einem Nyhavner Keller diktiert war — und von Matti wie ein Schatz verwahrt wurde.

    Als erstes gab er dem Finnen Schwapper und Pütze und liess ihn das Deck spülen. Matti wälzte sich langsam aus dem zerrissenen Regenmantel heraus. Darunter trug er nur Hosen, die steif von Teer und Schmutz waren. Das Hemd war vom Nacken bis zu dem Bindfaden um seinen Leib zerrissen und entblösste auf dem Rücken eine schwarze und rote Tätowierung, die fleckig wie alte Fresken auf geronnenem Kalk erschien. Die Zeichnung stellte ein Meerweib oder möglicherweise eine Aphrodite des Meeres dar, die gewandt ausgeführt, aber ausserordentlich obszön war, und die er wahrscheinlich selbst nie gesehen hatte — eine Belustigung nur für Kameraden, zum ewigen Gaudium der Gäste der Mannschaftskajüte in seinen Rücken geritzt. Seine Arme trugen noch blaue Flecken von ihren Knüffen.

    Das Seewasser stürzte aus den Pützen über seine Füsse und spülte Schlamm und Kohlenstaub nach allen Speigatten über das Deck. Gude erinnerte sich mit Freude aus seiner Kadettenzeit dieses Planschens, wenn die Jungens mit Schwappern und Pützen das Schiff badeten, bis alle Planken weiss — wie Jungfernhaut, wie der Bootsmann sagte — waren!

    — — Dieser rieselnde Laut von tausend Quellen, diese fortschreitende Sauberkeit, diese Geschäftigkeit von laufenden Segeltuchschuhen über Deck, der Druck der Stückschaufeln gegen die nassen Planken, dies Plätschern blosser Füsse im Wasser über Schanze, Back und Zwischendeck!

    Er nahm selbst einen Schwapper und folgte seinem Matrosen. Endlich einmal aufräumen mit Kohlenstaub und Schmutz hier auf dem alten Deck nach drei schmählichen Jahren in der elenden Rinne von Nyhavn! Er dachte, dass so auch die Mission wäre, die er selbst hier hatte, die Aufgabe, die ihm jetzt, wo die gewaltige Konjunkturzeit des Krieges vorbei war, bei der grossen Abrechnung gestellt war. Ruinen und Wracks waren die Länder, in denen er bis jetzt gelebt hatte. Städte hatte er gesehen, die dem Erdboden gleichgemacht waren, Völkerschaften als Leichen nach Pest, Metzelei oder Hunger. Hier zu Hause war totes Wasser, waren durch Schleusen versperrte Kanäle, Ohnmacht, Zusammenbruch, hier waren Industrien getötet, hier war der Handel durch Konkurse gelähmt. Und wo er Leute traf, die er früher in seiner Jugend als aufrecht, zuverlässig und allen Tönen des Lebens lauschend gekannt hatte, sah er jetzt geduckte Nacken, verdächtige Mienen, kleine egoistische Bankrottierer, versimpelt, verkommen und feil, die nach dem Hasard der grossen Börsenzeit noch nach billiger Wollust schnauften.

    Er genoss diesen aus allen Poren des Schiffes rieselnden Laut, den ersten frischen Laut vom Morgen aller Zeiten, der wie Quellenstrudel und sausende Wogen klang.

    Das nasse Deck schien fast eine Fläche mit der See zu bilden, der Hafen lag blank wie der frischgescheuerte Fussboden da, dessen er sich von den Morgenstunden in seinem Heim entsann: Sausen in allen Gardinen und die fleissig scheuernden Mädchen. Und dort, an der niedrigen Täfelung des feuchten Bollwerks entlang, lagen die Bojen des Hafens wie Spielzeug, das die Kinder am Abend vergessen hatten.

    Er ging munter umher und gab seinem Mann Aufträge. Hier sollte eine Kette freigemacht, da ein verfaulter Persenning abgerissen, dort eine Stag gestrafft oder eine Want mit Kabelgarn gespleisst werden. Für einige Tage erhielten sie Hilfe von

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