Die Muslime und der Islam: Wer oder was gehört zu Deutschland?
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Buchvorschau
Die Muslime und der Islam - Hanna Nouri Josua
Hanna Josua
Die Muslime
und der Islam
Wer oder was gehört zu Deutschland?
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig
Coverbilder: Kara/Fotolia.com und epd
Satz und Gestaltung: Steffi Glauche, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-374-05873-0
www.eva-leipzig.de
Vorwort
Gehört der Islam zu Deutschland? Im Frühjahr 2018 erhielt die Debatte um diese Frage neue Nahrung. Mit einem Satz wie ein Paukenschlag »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« setzte Horst Seehofer (CSU) die Duftmarke für sein neues Amt als Bundesinnenminister, steckte die Claims ab und widersprach damit diametral seiner Kanzlerin, die zuvor mit dem Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« die Diskussion hatte beenden wollen.
Die Frage nach der Zugehörigkeit und Bedeutung des Islam für unsere Gesellschaft geht bereits ins achte Jahr. Eigentlich hätte man annehmen können, dass in dieser Zeit längst eine Antwort auf diese – zugegeben sehr unpräzis formulierte – Fragestellung hätte gefunden werden können. Doch die Frage war keineswegs beantwortet, sondern schwelte immer noch unter der Oberfläche weiter. Das zeigte sich spätestens nach den Bundestagswahlen im Herbst 2017, der sich quälend lange hinziehenden Regierungsbildung und der Einrichtung eines in Zeiten der Globalisierung kaum noch für nötig – und möglich – gehaltenen Heimatministeriums.
Spätestens die Flüchtlingswelle ab dem Jahr 2015 hat die Diskussion wieder befeuert. Dabei ging es nicht nur um die schiere Masse der mehrheitlich muslimischen Ankömmlinge, die teilweise auch durch ihre äußere Erscheinung wie etwa Frauen mit Kopftuch in der Öffentlichkeit zu erkennen waren. Verheerende Ereignisse wie der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidtplatz am 19. Dezember 2016 sowie die massenhaften sexuellen Übergriffe überwiegend nordafrikanischer junger Männer in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 gaben der Debatte endgültig einen negativen Grundton. Die Kluft in der Bevölkerung, nicht nur zwischen Einheimischen und Zuwanderern oder Geflüchteten, sondern auch innerhalb der Einheimischen selbst, wurde immer größer. Ja, sie scheint mittlerweile unüberbrückbar geworden zu sein. Sie hat Aussagen hervorgebracht, die man vor zehn oder zwanzig Jahren noch für undenkbar gehalten hat in unserem Land, das durch das Fegefeuer einer menschenausgrenzenden und
-verachtenden
Ideologie mit all ihren katastrophalen Folgen gegangen ist. Die Frage nach dem Islam ist, zusammen mit der Flüchtlingsfrage, zur »Gretchenfrage der Nation«¹ geworden. Und es ist wohl verfrüht, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) ein Ende der Debatte zu fordern.²
Dieses Buch möchte jedoch nicht bei der viel zu kurz greifenden Frage »Gehört der Islam zu Deutschland?« bleiben, sondern hat bewusst eine andere Formulierung gewählt, um die Diskussion auf eine breitere Basis zu stellen: »Die Muslime und der Islam. Wer oder was gehört zu Deutschland?« Es geht in erster Linie um den Blick auf die Menschen – und erst danach auf die Religion, der sie angehören. Dies ist nicht nur der Blick des Autors, der berufsbedingt – als Pfarrer – den individuellen Menschen sieht mit seinen Wünschen, Träumen und jeweiligen Glaubensvorstellungen. Auch bundesweit ist die Akzeptanz »der Muslime« deutlich höher als die Akzeptanz »des Islam«. Darum verfängt die verbreitete Argumentation nicht, dass der Islam zu Deutschland gehöre, nur weil inzwischen sehr viele Muslime in Deutschland leben. Vor allem aber hat die Frage, was zu Deutschland gehört, nur Sinn, wenn es um mehr als die summarische Aufzählung aller im Land vorkommenden religiösen oder weltanschaulichen Ideen geht. Relevant ist die Frage nur dann, wenn gefragt wird, was unser Land politisch, rechtlich sowie religiös und kulturell prägt.
Hanna Josua, Januar 2019
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Einleitung
1Stimmen zur Islamdebatte
2Hintergrundinformationen
2.1Zahlen und Herkunft der Muslime in Deutschland
2.2Zum Ursprung des Wulff-Diktums
2.3Öffentliche Positionierungen zum Wulff-Diktum
3Der politische Diskurs
3.1Bundespräsident a. D. Christian Wulff
3.2Bundespräsident a. D. Joachim Gauck
3.3Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU
3.4Die CSU
4Der religiöse Diskurs
4.1Stimmen christlicher Kirchen
4.2Jüdische Stimmen
4.3Muslimische Stimmen
5Juristische Dimension – praktischer Islam im Alltag von Muslimen
5.1Scharia im Alltag von Muslimen?
5.2Streitpunkt weibliche Bedeckung
5.3Kindeswohl contra Tradition
5.4Apostasie
5.5Antisemitismus
5.6Folgerungen
6Muslime, Islam, Integration
6.1Kulturgeschichtlicher Einfluss
6.1.1al-Andalus / Andalusien
6.1.2Siqiliya/Sizilien
6.1.3Die Osmanen in Europa
6.1.4Geistige und kulturelle Entwicklungen in Europa
6.1.5Arbeitsmigration und Flucht nach Europa
6.2Integration von Muslimen in Deutschland
6.2.1Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Integration
6.2.2Die Rückbindung muslimischer Migranten an die Herkunftsländer und die Macht der Dachverbände
6.2.3Innere Integrationshemmnisse und äußere Hindernisse
7Ergebnisse und Forderungen
7.1Die Ausgangsfrage
7.2Staatliche Neutralität
7.3Neuanfang in Europa
7.4Integration von innen
7.5Toleranz gegenüber Andersdenkenden und gesellschaftliche Diversität
7.6Die Rolle der schweigenden Mehrheit
7.7Eine Chance für den Reformislam
7.8Identitätsstiftender Islam?
Epilog 1: Wer oder was gehört zu Deutschland?
Epilog 2: Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten
Anmerkungen
Zum Autor
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Einleitung
Seit dem Jahr 1980 lebt der aus dem Libanon stammende Autor dieser Seiten in Deutschland – und besitzt seit vielen Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit. Als jemand, der aus einem Land mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit kommt, habe ich auf manche Entwicklungen rund um das Themenfeld Migration und Integration einen anderen Blick als viele Einheimische. So erstaunt mich, wie Muslime in Deutschland und Europa religiöse Rechte auf politischem und juristischem Weg öffentlich einfordern, ohne im Gegenzug die gesellschaftliche Marginalisierung und oft gar Unterdrückung von Christen und Juden in ihren Heimatländern zu kritisieren. Und oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade interreligiöse Dialoge weniger für den freien kritisch-theologischen Diskurs und den spirituellen Austausch genutzt werden, denn zur Durchsetzung rein politischer Wunschlisten. Auf der anderen Seite bleibt im medialen Hype um besonders schlagzeilenträchtige Schreckens- und Horrormeldungen oft kaum Zeit zu unterscheiden, ob es sich um voreilige, aufgebauschte, manchmal gar frei erfundene Fake-News oder auch sekundäre folkloristische Informationen handelt oder ob es um wirkliche Probleme von soziopolitischer Tragweite geht, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aushöhlen und die Konvivenz³ in unserer Gesellschaft bedrohen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass sich Problemfelder aufgetan haben. Bedauerlicherweise werden diese in den Medien, obwohl vor allem von liberalen Muslimen deutlich thematisiert, von der Politik und auch von den Kirchen heruntergespielt. Da kann es nicht ausbleiben, dass sich eine Front bildet, die von einem grundsätzlichen Misstrauen gegen »die da oben« geprägt ist – was dann häufig zu einer islamfeindlichen oder sogar antiislamischen Haltung führt. Selbstverständlich ist hier zu unterscheiden zwischen der zur Gewohnheit gewordenen Selbstviktimisierung der großen islamischen Dachverbände und der tatsächlichen Ab- und Ausgrenzung Andersgläubiger, die einhergeht mit einer Verletzung der Menschenwürde und die scharf zu verurteilen ist. Eine Eskalation gegenseitiger Schuldzuschreibungen und Verletzungen ist nicht zielführend für den gesellschaftlichen Frieden. Allerdings sollten sich Muslime – in ihrem eigenen Interesse – ernsthaften Fragen, Forderungen und Vorgängen stellen, die nicht nur Ängste auslösen, sondern teilweise weder mit koranischen noch traditionell islamischen Vorschriften einhergehen. Beispielhaft sind folgende Problemfelder zu benennen:
– Muslime, die sich weigern, einem Gegenüber des anderen Geschlechts zur Begrüßung die Hand zu geben, weil dies angeblich Zeichen einer sexuellen Annährung ist;
– Kinder in Kindergärten oder Grundschulen, die im Monat Ramadan fasten, obwohl dies unterhalb der religiösen Mündigkeit keine Pflicht ist;
– Ramadankalender nach Art von Adventskalendern in säkularen Supermärkten;⁴
– muslimische Mädchen, die in der Grundschule Kopftuch tragen, was für dieses Alter ebenfalls keine religiöse Pflicht ist;⁵
– Ablehnung von koedukativem Sport- und Schwimmunterricht;
– burkinitragende Mädchen beim Schwimmen;
– Ablehnung christlich geprägter Traditionen, etwa im Kindergarten;
– Forderungen von islamischen Gebetsräumen in Schulen;
– Forderung der Einhaltung von Gebetszeiten in Schulen, was selbst in den meisten mehrheitlich islamischen Ländern an Schulen und Hochschulen gar nicht praktiziert wird;
– Forderung, während des Ramadan auf Klassenarbeiten zu verzichten; auch dies ist in islamischen Ländern kein Thema;
– Abhängen von Kreuzen bei Veranstaltungen in kirchlichen Räumen;
– mit Halal-Siegel versehenes Fleisch bei säkularen Dienstleistern;
– keine klare Stellungnahme und damit Duldung der Verheiratung minderjähriger Mädchen und zu Zwangsheirat;
– keine Positionierung gegen Bigamie, sondern die Forderung der Möglichkeit einer rein religiösen Zweitehe;
– juristische Schritte zur Durchsetzung des Kopftuchs im öffentlichen Dienst;
– überdimensionierte islamische Zentren und Moscheen mit der stereotypen Versicherung, sie seien nicht vom Ausland (mit-)finanziert;
– mimosenhaftes Verhalten beim bloßen Verdacht von Islamophobie sowie bei Islamkritik und beim Anschein der Verletzung religiöser Gefühle (siehe Karikaturenstreit);
– Ausgrenzung und Diffamierung liberaler Muslime;
– die stereotype Behauptung, Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun;
– sogenannte Friedensrichter, was de facto Selbstjustiz und Paralleljustiz bedeutet;
– Bedrängung von Andersgläubigen, Nichtgläubigen sowie Konvertiten zum Christentum, etwa in Gemeinschaftsunterkünften.