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Jouline Johnson: Ein verfluchtes Erbe
Jouline Johnson: Ein verfluchtes Erbe
Jouline Johnson: Ein verfluchtes Erbe
eBook270 Seiten3 Stunden

Jouline Johnson: Ein verfluchtes Erbe

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Über dieses E-Book

Wenn dein Leben durch einen Fluch bestimmt wird, für wen wärst du bereit, es zu opfern?

Nach dem Unfalltod ihrer Mutter gerät das Leben der 24-jährigen Jouline Johnson komplett aus den Fugen. Nicht nur, dass ihre Mutter ein tödliches Geheimnis vor ihr hütete, nun wird sie in ihren Träumen auch noch von einem geheimnisvollen Mann verfolgt.

Je heftiger sie versucht, die Fesseln der Vergangenheit zu lösen, desto mehr seltsame und schreckliche Dinge geschehen. Doch Jouline gibt nicht auf, selbst als sich der Geschmack von Blut auf ihre Zunge legt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. März 2020
ISBN9783946843764
Jouline Johnson: Ein verfluchtes Erbe

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    Buchvorschau

    Jouline Johnson - Felizitas Montforts

    Der Fluch

    Als Leben den Tod gewählt,

    wird er, der nicht zu seinesgleichen gehört,

    über die Erde wandern.

    Wandern wird er

    Um die, die im Blut mit ihm vereint,

    zu sich zu holen.

    Durch den Bund der Vereinten

    wird er zu der Macht gelangen,

    die er begehrt.

    So wird er auferstehen zu dem,

    den Seinesgleichen fürchten,

    mehr als das Leben.

    Im Blut verbunden

    liegt die Hoffnung.

    Wenn anstatt Leben gewählt wird der Tod.

    So seid ihr, die zu einer Familie gehören,

    verbunden im Leben sowie im Tod.

    Prolog

    Krietsch!

    Das schrille Geräusch einer Autobremse durchschnitt die Dunkelheit. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Jouline auf die Straße, auf der eben ihre Katze im Scheinwerferlicht aufgetaucht war.

    „Boah, Bastet, du flohverseuchter Vierbeiner. Bist du lebensmüde?" Ihr Herz pochte wild vor Schreck.

    Natürlich erhielt sie von Bastet keine Antwort. Ihr Schatten war längst im prasselnden Regen verschwunden.

    Tief atmete Jouline durch und rieb sich erschöpft die Augen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte. Zum Glück wurde die Friedhofsallee, die Straße, in der sie wohnte, nur wenig befahren, erst recht zu dieser späten Uhrzeit. Da störte es nicht, dass ihr bereits in die Jahre gekommener Mini die Fahrbahn blockierte.

    Langsam ließ Jouline den Blick über die Nachbarschaft gleiten. Licht blitzte durch die Rollläden der fest geschlossenen Fenster. Ihre Nachbarn genossen den Feierabend. Nur sie hatte mal wieder viel länger als nötig gearbeitet. Aber warum war bei ihr alles dunkel? Jouline stutzte. War ihre Mutter etwa schon ins Bett gegangen? Das wäre ungewöhnlich. Normalerweise arbeitete Tamara Johnson an ihren Manuskripten, bis Jouline sie aus ihrer rosaroten Liebesroman-Wattewelt holte.

    Besorgt setzte Jouline den Wagen wieder in Bewegung, um ihn nur wenige Meter weiter in der kleinen Auffahrt vor ihrem Haus zu parken. Kaum, dass der Motor erstarb, ging die Innenbeleuchtung des Wagens an und ließ die draußen herrschende Dunkelheit noch undurchdringlicher wirken. Eilig zog Jouline die Kapuze ihrer roten Sweatjacke über den Kopf, stieg aus dem Auto und eilte durch den Regen die wenigen Schritte und Stufen hoch bis zur Haustür. Erst hier verriegelte sie den Mini per Knopfdruck. In dem Augenblick, als der Wagen abgeschlossen war, erlosch das letzte bisschen Licht, das ihr den Weg gewiesen hatte.

    „Mist", fluchte Jouline, als sie nun im Dunkeln versuchte, das Schlüsselloch zu finden. Sie sollte endlich mal eine Lampe mit Bewegungsmelder installieren, ging es ihr durch den Kopf.

    Schließlich hatte sie das Loch gefunden und schloss mit klimperndem Schlüsselbund auf.

    „Mom, ich bin da!", rief Jouline, schloss hinter sich die Tür und knipste das Licht im Flur an. Ihr Blick fiel auf die unnatürlich und absolut reglos daliegende Gestalt ihrer Mutter - und in diesem Moment wurde ihr klar, dass es für Tamara Johnson nie wieder eine rosarote Wattewelt geben würde.

    1

    Jouline, sollte mir irgendetwas zustoßen, findest du in diesem Fach alle wichtigen Unterlagen und meinen letzten Willen. Bitte merk dir das gut, mein Schatz." Die lang vergangenen Worte ihrer Mutter tönten Jouline noch in den Ohren und sie erinnerte sich an den Kuss, den sie ihr damals auf die Wange gab.

    Vorsichtig fasste sie sich ins Gesicht und glaubte, die zarte Berührung der Lippen noch immer zu spüren. Doch das Einzige, was sie dort ertastete, war ihre tränennasse Haut.

    Damals war sie noch ein Kind gewesen. Sie hatte keinen weiteren Gedanken an die Unterlagen verschwendet, bis sie diese vor einer Woche hatte hervorholen müssen.

    Tamara Johnson hatte für den Fall ihres Todes alles geregelt. Mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren war Jouline nun Hausbesitzerin. Sie hatte Zugriff auf alle Konten, und das Grab, an dem sie nun in Süchteln, einem idyllischen Stadtteil der Kreisstadt Viersen, stand, war samt ausgesuchtem Sarg bereits bezahlt. Jouline hatte nur noch eine Nummer anrufen müssen und alles Weitere wurde automatisch geregelt.

    Wer bitte machte so etwas? Diese Frage schrie eine Stimme in ihrem Kopf immer und immer wieder. Wer rechnete so fest mit seinem Tod, dass er alles bis ins kleinste Detail durchorganisierte? Und dann passierte tatsächlich ein Unfall, der ihrer Mutter das Leben kostete.

    Schon spürte Jouline den ihr in den letzten Tagen so vertrauten Schmerz in der Brust. Angestrengt sog sie die Luft ein. Es tat weh, zu atmen. Ihre Mutter war tot! Sie würde nie, nie, nie wieder mit ihr sprechen können.

    Krampfhaft ballte Jouline ihre Hände zu Fäusten. Der Regen vermischte sich mit kaltem Schweiß, der ihr auf die Stirn trat. Sie musste langsam atmen, sich entspannen. Aber wie, wenn das schwarze Loch, in das man ihre Mutter hinablassen würde, zu wachsen schien, als ob es auch sie verschlingen wollte?

    Eine Hand legte sich vorsichtig auf Joulines Arm.

    „JJ, Süße, es ist soweit", hörte sie ihre beste Freundin wie aus weiter Ferne. Was war soweit? Benommen blickte Jouline sich um und wurde sich der wartenden Blicke der anwesenden Trauergäste bewusst. Nun spürte sie auch wieder den stetigen Nieselregen, der ihren schwarzen Trenchcoat bereits durchdrungen hatte. Das Wetter konnte kaum passender sein. Grau und trostlos, genau wie sich ihr Leben gerade anfühlte.

    „Jouline?" Auffordernd hielt Nicole ihr eine weiße Rose entgegen. Im ersten Moment wusste Jouline gar nicht, was sie von ihr wollte, bis ihr klar wurde, dass sie keins der Worte, die der Pfarrer gesprochen hatte, mitbekommen hatte. Jetzt war sie an der Reihe, ans Grab zu treten, und sich von ihrer Mutter zu verabschieden. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass der Leichnam ihrer Mutter dort unten in dieser aufgehübschten Holzkiste lag. Sie war nicht bereit, Lebewohl zu sagen. Es war zu früh, sie brauchte ihre Mum. Nein, das musste ein furchtbarer Irrtum sein!

    Jouline schüttelte hilflos den Kopf. Es war kein Irrtum. Die Gestecke, die neben dem aufgeweichten Erdloch lagen, waren real. Genauso wie der leblose Körper, den sie am Fuße der Treppe gefunden hatte.

    Mit zittrigen Händen nahm sie die Blume, von der man vorsorglich alle Dornen entfernt hatte, entgegen.

    „Du schaffst das!", sprach ihr Daniel, Joulines Fels in der Brandung und bester Freund, leise Mut zu. Seine hellbraunen Haare klebten nass am Kopf und wirkten viel dunkler als sonst. Dunkel waren auch die Schatten unter seinen Augen. Er war ihr, genau wie Nicole, seit dem tragischen Unfall nicht von der Seite gewichen. Beide waren für sie da gewesen, wenn sie schweißgebadet und schreiend aus Albträumen erwachte. Es war jedes Mal derselbe Traum, der mit den leblosen, offen stehenden Augen ihrer Mutter endete, die sie vorwurfsvoll anblickten. Nacht für Nacht versuchte Jouline, den Unfall zu verhindern. Sie verließ früher die Arbeit, sie rief Zuhause an, sie meldete sich krank und doch war der tödliche Sturz nicht aufzuhalten. Dann erwachte sie mit der Gewissheit, dass alles nur ein Traum gewesen war und die Wirklichkeit noch viel grausamer sein konnte als jeder Albtraum.

    Ihre Freunde waren da gewesen, um sie zu halten und zu trösten, wenn die Tränen nicht aufhören wollten, zu fließen. Wenn der Schmerz über den Verlust sie so gefangen hielt, dass ihr das tägliche Leben, einfach den Tag zu überstehen, schon als unmögliche Aufgabe erschien. Die letzte Woche hatte alle drei an ihre Grenzen gebracht und Jouline immer wieder gezeigt, wie dankbar sie sein musste, solche Freunde zu haben.

    Vorsichtig trat sie an den Rand des Grabes. Den schlichten Eichensarg hatte man bereits hinabgelassen und sie konnte die Blicke der ungeduldigen Friedhofsangestellten regelrecht spüren, die endlich mit ihrer Arbeit fortfahren wollten.

    Rasch warf sie die Rose hinab und trat zurück. Nicole und Daniel folgten ihrem Beispiel und stellten sich dann rechts und links von ihr auf. Insgeheim fragte sich Jouline, ob ihre Freunde sie nur bei dem, was nun kam, unterstützen, oder sie daran hindern wollten, davonzulaufen.

    Schon näherte sich eine schlicht, aber stilvoll gekleidete Frau mittleren Alters. Angestrengt versuchte Jouline, sich zu erinnern, ob sie dieser bereits einmal begegnet war. Bevor ihr Gedächtnis aber die Arbeit aufnehmen konnte, streckte ihr diese unbekannte Person die Hand entgegen, die Jouline ganz automatisch ergriff.

    „Im Namen des gesamten AP Bernsen Verlages möchte ich Ihnen unser aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust aussprechen. Ihre Mutter hinterlässt eine große Lücke und wir werden sie sehr vermissen".

    Ah, eine Verlagsvertreterin, schoss es Jouline durch den Kopf. Schnell bedankte sie sich und atmete erleichtert auf, als ihr ein bekanntes Gesicht entgegentrat.

    Herzlich nahm sie Sonja Maier in die Arme. Sie war die wohl einzige Freundin ihrer Mutter und gleichzeitig deren langjährige Lektorin gewesen.

    „Es tut mir so furchtbar leid. Du weißt, du kannst dich immer an mich wenden, wenn irgendetwas ist, oder du einfach nur reden möchtest. Versprich mir, dass du mich anrufst!"

    „Danke Sonja, das werde ich bestimmt machen." Schnell wischte sich Jouline die Wangen trocken. Sie hatte gar nicht bemerkt, wann sie wieder angefangen hatte zu weinen. Ihre Augen sahen bestimmt rot und geschwollen aus.

    „Hey Kleines!", begrüßte Maximilian Black sie auf seine übliche Weise. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf Joulines Gesicht, als Max - wie sie ihn nannte - auf sie zukam. Seine Umarmung war fest, warm und absolut ehrlich, und sie war froh, dass er gekommen war.

    Maximilian Black, groß, schwarzhaarig und einfach zum Anbeißen. Fast zu gut aussehend für einen Mann, wenn da nicht diese kleine Narbe an der linken Augenbraue wäre, die Joulines Blick immer wie magisch anzog. Seit Jahren war er ihr heimlicher Schwarm, leider aber nie mehr.

    Oft war er ihrer Mutter bei der Arbeit eine große Hilfe gewesen. Auch wenn sich Jouline fragte, warum ihre Mutter für das Schreiben von historischen Liebesromanen die Hilfe eines jungen Anwaltes brauchte. Tamara Johnson hatte mit ihrer Tochter kaum über die Arbeit gesprochen und Tamaras Verhältnis zu Max war immer rein beruflich gewesen. Leider traf dieses professionelle Verhalten auch auf sie und Max zu.

    „Danke, dass du gekommen bist!" Im schwarzen Maßanzug und dem langen Mantel war Max eine beeindruckende Erscheinung und Jouline genoss das Gefühl seiner muskulösen Arme. Kurz erlaubte sie sich, den Kopf an seiner Schulter abzulegen und seinen vertrauten Duft nach Seife und Wald einzuatmen. Wie konnte ein Anwalt, der den ganzen Tag im Büro saß, nach Wald riechen? Er sollte dieses Geheimnis zu Geld machen. Oder nein, besser nicht, es machte ihn zu etwas Besonderem.

    „Ich hatte deine Mutter sehr gern und werde unsere gemeinsame Arbeit vermissen, holte Max Jouline wieder in die Gegenwart zurück. Nur langsam löste er die Umarmung und schaute sie lange und eindringlich aus seinen grünen Augen an. Jouline hatte das Gefühl, dass er noch etwas sagen wollte, es sich dann jedoch anders überlegte. Mit einem Nicken begrüßte er Nicole und Daniel. „Danke, dass ihr für JJ da seid. Freunde wie ihr es seid sind unbezahlbar.

    „Das ist doch selbstverständlich, erwiderte Nicole und legte Jouline, die einen Schritt von Max zurückgetreten war, einen Arm um die Schultern. „Wir sollten jetzt aber besser gehen. Der Regen nimmt zu.

    „Da hast du recht. Max strich Jouline kurz über eine ihrer langen braunen, nassen Haarsträhnen. „Jouline, du kannst dich jederzeit bei mir melden, wenn irgendwas ist. Unter dieser Nummer erreichst du mich immer und brauchst nicht in der Kanzlei anrufen. Okay? Max reichte ihr eine Visitenkarte, die sie teilnahmslos einsteckte.

    „Danke, Max."

    Jouline wurde mit einem Mal bewusst, dass sie und ihre Freunde, mit Ausnahme der Friedhofsmitarbeiter, tatsächlich die Einzigen waren, die noch am Grab standen. Dabei spürte sie deutlich, wie die Nässe begann, durch ihre Kleidung zu dringen. Ein letztes Mal ließ sie ihren Blick über das Grab, den von Nässe glänzenden Sarg mit den vereinzelten, wirr darauf liegenden Rosen, und die wenigen Gestecke gleiten. Es war nicht viel, was die letzte Ruhestätte ihrer Mutter schmücken würde.

    Irgendwie machte es Jouline traurig, dass sich nur so wenige von ihrer Mutter hatten verabschieden wollen. Tamara Johnson war eine liebevolle Mutter und ein guter Mensch gewesen. Mit ihren Büchern hatte sie vielen Lesern Freude bereitet. Sie hatte es verdient, betrauert zu werden. Aber wenn Jouline ehrlich zu sich war, war es genau das, was ihre Mutter nie gewollt hatte. Fast schon krankhaft hatte sie darauf geachtet, ihren Beruf nicht öffentlich zu machen. Weder zu Lesungen noch zum Besuch von Buchmessen hatte sie sich überreden lassen. Niemand wusste, dass Tamara Johnson eine erfolgreiche Schriftstellerin gewesen war. Allen Lesern würde sie bloß als T. J. Freston in Erinnerung bleiben.

    Sanft fasste Daniel Jouline am Arm und zog sie mit sich in Richtung Parkplatz. Auf den mit Schotter bestreuten Wegen hatten sich mittlerweile große Pfützen gebildet. Sie wich ihnen nicht aus. Sie spürte weder Nässe noch Kälte. Sie spürte überhaupt nichts. Nur Leere. Vielleicht konnte der Regen einfach alles wegspülen? Die Erde, die Trauer, den Schmerz.

    Kurz hob Jouline ihren Blick zu den grauen Wolken, bevor sie in Daniels Auto stieg. Zumindest der Himmel weint um dich - dachte Jouline, als sie die Autotür schloss.

    2

    Konnte sie wirklich so dumm sein? So nachlässig? So hilfreich!

    Ein eisiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er mit der Hand sanft über die vor ihm liegende Sterbeanzeige strich.

    Ja, sie konnte!

    Lange drückte Nicole auf den runden Klingelknopf und lauschte dem penetranten Läuten im Haus. Keine Reaktion.

    „Daniel, was meinst du? So fest kann nun wirklich niemand schlafen, oder? Das muss sie doch hören." Erneut malträtierte sie die Klingel.

    „Vielleicht will sie es ja nicht hören. Hast du schon mal daran gedacht, dass JJ noch etwas Zeit für sich braucht? Ihre Mutter ist gestorben! Wie würde es dir da gehen?", antwortete Daniel leicht genervt.

    Nicole stieß geräuschvoll die Luft durch die Nase aus und nahm den Finger vom Knopf. Den Mund frustriert zusammengepresst, wandte sie sich zu ihrem Freund um. Sich in Pose bringend, wie es für sie typisch war, schmiss sie die langen blonden Haare, die zurzeit von rosa Strähnchen durchzogen waren, über die Schulter und stemmte dann die Hände in die Hüfte. Diese nun leicht angewinkelt, perfektionierte sie ihre trotzige Nicole-Haltung und legte los.

    „Klar will sie ihre Ruhe haben, sonst würde sie ja ans Telefon oder an die Tür gehen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen ‚seine Ruhe haben wollen‘, und ‚die Welt komplett aussperren‘. Ich will doch nur wissen, ob es ihr gut geht. Sie hat ihren Termin bei der Psychologin platzen lassen, den ich ihr besorgt habe. Weißt du wie peinlich das für mich ist? Die Ärztin ist eine gute Kundin bei mir im Laden. Nach Joulines Aktion kann ich mir mein Trinkgeld in Zukunft abschminken."

    „Geht es jetzt um Jouline oder um dein Trinkgeld?" Daniel wusste, dass Nici oftmals etwas oberflächlich war, dafür kannte er sie nun wirklich lange genug. Aber in einer solchen Situation an Geld zu denken, fand er absolut daneben.

    „Tut mir leid. Nicole ließ die Arme sinken und blickte beschämt zu Boden. „Natürlich geht es um Jouline. Ich mach‘ mir Sorgen, weil sie nicht zu dem Termin gegangen ist. Sie muss den Verlust verarbeiten, statt sich vor der Welt zu verstecken. Wenn sie nicht mit uns darüber reden möchte, dann sollte sie es zumindest mit einem Profi.

    „Dass sie mit jemandem reden sollte, da gebe ich dir recht. Aber wann sie dafür bereit ist, das entscheidet ganz allein Jouline. Bitte dränge sie nicht. Lass uns einfach für sie da sein. Der Rest wird sich schon finden."

    So vernünftig Daniel auch versuchte zu argumentieren, konnten ihn seine Worte selbst nicht beruhigen. Die ständigen Sorgen um Jouline raubten ihm den Schlaf. Er wollte es sein, dem sie sich anvertraute. Er wollte sie halten, wenn sie in der Nacht erwachte oder weinte, doch seit der Beerdigung hatte sie sich komplett von ihm und der restlichen Welt zurückgezogen.

    „Daniel? Hast du mir überhaupt zugehört?", riss Nicole ihn aus seinen Gedanken.

    „Sorry, hast du etwas gesagt?"

    „Du hast doch einen Schlüssel zum Garten, oder?"

    Er schaute sie erstaunt an. „Ja, und?"

    „Gib ihn mir!"

    Daniel liebte Nicole wie eine Schwester, aber sie konnte wirklich herrisch, ja regelrecht unausstehlich werden, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Nur zögerlich suchte er in seiner Jacke.

    „Geht das auch etwas schneller?"

    „Du weißt, dass das unerlaubtes Betreten ist, oder?"

    „Red keinen Quatsch. Wie kann das unerlaubt sein, wenn wir einen Schlüssel haben?"

    „Der nur für den Notfall ist!", erinnerte er sie.

    „Also ich bin mir ziemlich sicher, dass im Haus jemand um Hilfe gerufen hat. Hast du das etwa nicht gehört? Frech grinsend schnappte sie sich den Schlüsselbund aus Daniels Hand. „Verdammt, wofür brauchst du die alle? Welcher ist der Richtige? Ungeduldig drehte sie sich zu Daniel um.

    „Komm, lass mich mal machen." Etwas Rütteln und Rappeln, die Klinke anheben und schon ging die graue Metalltür zum Garten hin schwerfällig auf.

    „Ach du meine Güte! Das ist ja der reinste Urwald!", entfuhr es Nicole.

    Nur mit aller Kraft war es Daniel gelungen, die Tür aufzudrücken. Hohes, wildgewachsenes Gras, Schachtelhalm und Efeu machten das Durchkommen fast unmöglich.

    „Ich habe ihr bestimmt schon tausendmal gesagt, dass sie endlich einen Gärtner einstellen soll", meinte Daniel, aber Nicole hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Sie hatte sich bereits einen Weg zur Terrasse gebahnt, nahm die wenigen Stufen hinauf mit zwei großen Schritten und klopfte dann energisch an die gläserne Hintertür.

    Daniel war nach wie vor der Meinung, dass sie Jouline einfach noch ein paar Tage Ruhe gönnen sollten. Sie würde sich schon wieder fangen und sich bei ihnen melden, wenn sie dazu bereit war. Okay, es waren bereits anderthalb Wochen vergangen, in denen es von Jouline kein Lebenszeichen gegeben hatte. Auch ans Telefon ging sie nicht, aber was waren schon anderthalb Wochen nach einem solch großen Verlust? Gar nichts!

    Joulines Chefin, die Besitzerin einer Massagepraxis in der Viersener City, wurde mittlerweile ungehalten. Aus lauter Verzweiflung, weil sie Jouline nicht ans Telefon bekam, hatte sie sich an ihn gewandt. Der Anruf war jedoch nicht sehr erbaulich gewesen. Sollte sich Jouline nicht bald bei ihr melden, würde sie sich trotz aller Freundschaft nach einer anderen Masseurin umschauen müssen. Daniel wusste, wie sehr Jouline ihren Job liebte. Sie würde bestimmt nicht riskieren wollen, gefeuert zu werden. Diese Einsicht brachte ihn in Fahrt und im nächsten Moment stand er neben Nici auf der Veranda und klopfte seinerseits an die Tür.

    „Jouline, mach bitte auf! Wir wollen nur wissen, ob es dir gut geht und ob du irgendetwas brauchst", rief Nici nun bestimmt schon zum dritten Mal.

    Daniels Blick fiel auf die benutzten Futternäpfe, die auf der Terrasse standen. Das sollten sie unbedingt wegräumen, sonst würden die Reste bald Ratten anlocken.

    „Alles okay bei euch?", fragte da eine Stimme vom Nachbargrundstück herüber.

    „Hey Alex, wir sind es nur, Daniel und

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