Und er spricht mit leisen Deuteworten...: 164 Gedichte zu biblischen Themen, Motiven und Figuren
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Über dieses E-Book
- 164 Gedichte zu biblischen Motiven, Figuren und Erzählungen
- Querschnitt über die Rezeptionsgeschichte der Bibel
- Jedes Kapitel mit einer Einführung von Prof. Dr. Langenhorst
Zielgruppe:
- Leser klassischer und moderner Lyrik
- An der Rezeptionsgeschichte der Bibel Interessierte
- Kulturell Interessierte
Georg Langenhorst
Georg Langenhorst, Dr. theol., geb. 1962, Inhaber der Lehrstuhls für Didaktik des Katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg; viel gefragter Referent in der Erwachsenenbildung; Autor zahlreicher Bücher, vor allem im Grenzbereich von Theologie und Literatur.
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Buchvorschau
Und er spricht mit leisen Deuteworten... - Georg Langenhorst
Männer.
Das Alte Testament
¹ / Adam und Eva
Das erste Menschenpaar! Mehr als das einige Jahrhunderte später verfasste, die Bibel eröffnende ‚Sieben-Tage-Werk‘ hat es die Künstler und Dichter aller Zeiten fasziniert. Welche Vielfalt von archetypisch geformten Grundmotiven menschlicher Selbstdeutung findet sich in dieser ersten großen Erzählung des Buches Genesis: der Garten Eden als das Paradies, die Schlange, die Versuchung, der Fall, die Urschuld, die Selbst- und Fremderkenntnis, die Vertreibung!
Kaum eine biblische Erzählung ist so wirkmächtig in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingedrungen wie die von Adam und Eva. Keine andere ist in gleicher Weise so tragisch missverstanden worden wie in den Engführungen der so genannten ‚Erbsündenlehre‘, mit der diese Erzählung selbst kaum etwas gemeinsam hat. Nicht um fixierbar-eindeutige Lehren geht es den wunderbaren Erzählungen der ‚Urgeschichte‘ in Genesis 1–11, sondern um ein Umkreisen der unbeantwortbaren Grundfragen: Woher? Wohin? Warum so? Nicht Dogmen will die Bibel anregen, sondern immer wieder neu Identität stiftende Erzählungen und sinnbergende Gedichte.
Die ersten vier Texte dieses Buches zeigen gleich die Breite der möglichen poetischen Rezeptionsformen auf: Heinrich Heine (1797–1856) eröffnet den Blick auf die Deutungsvielfalt mit einem satirischen, frech und schräg gereimten Spottgedicht. Gegen alle theologischen Überlagerungen der Urgeschichte beharrt er auf seinem „Freiheitsrecht", das ihm mehr wert ist als alle paradiesischen Beschränkungen. Ganz anders zeigt sich der Ton in Otto Julius Bierbaums (1865–1910) Gedicht. Ein hoher, ausschmückender, pathos-geladener Ton malt die „keusche Reine" des Paradieses, der nur in einer unterschwelligen Ahnung Adams die Andeutung eines ersten Risses eingezeichnet wird. Christian Morgensterns (1871–1914) Doppelzeilengedicht begnügt sich demgegenüber mit einer pointierten, psychologisierend ausgemalten Nachzeichnung der Erzählung. Bei Rose Ausländer (1901–1988) schließlich fällt der Blick erstmals auf Eva, die Frau. Spielerisch-leicht – „wie ein Ball" – verschiebt sich in ihrem Gedicht der Fokus auf das Erblühen der Sexualität, die ja erst im und nach dem vermeintlichen ‚Sündenfall‘ ihren Raum und Sinn fand.
Heinrich Heine
Adam der Erste
Du schicktest mit dem Flammenschwert
den himmlischen Gendarmen,
und jagtest mich aus dem Paradies,
ganz ohne Recht und Erbarmen!
Ich ziehe fort mit meiner Frau
nach andren Erdenländern;
doch daß ich genossen des Wissens Frucht,
das kannst du nicht mehr ändern.
Du kannst nicht ändern, daß ich weiß,
wie sehr du klein und nichtig,
und machst du dich auch noch so sehr
durch Tod und Donnern wichtig.
O Gott! wie erbärmlich ist doch dies
Konsilium abeundi!
Das nenne ich einen Magnifikus
der Welt, ein Lumen Mundi!
Vermissen werde ich nimmermehr
die paradiesischen Räume;
das war kein wahres Paradies –
es gab dort verbotene Bäume.
Ich will mein volles Freiheitsrecht!
Find’ ich die geringste Beschränknis,
verwandelt sich mir das Paradies
in Hölle und Gefängnis.
Otto Julius Bierbaum
Gott zeigt Adam das Paradies
Führt der gütestille Herr der Welten,
Ewig jung in seinem blonden Barte,
Vor das Blüheland der jungen Erde
Adam hin, den nackten braunen Knaben.
Zeigt ihm all die moosblühbunten Steine,
All die schönen Vögel, stillen Tiere,
All die weiten saftiggrünen Wiesen,
Berg und Tal und Busch und Baum und Wasser.
Alles liegt in frischer, keuscher Reine
Unterm silbergrauen hohen Himmel.
Und er spricht mit leisen Deuteworten,
Wie der Vater spricht zum kleinen Kinde,
Und er legt den Vaterarm um Adam.
Ängstlich vor dem Reichtum steht der Knabe,
Halbgebeugt vor dieser schönen Erde.
Hielt ihn nicht der Gottesarm, der linde,
Sänk er nieder auf den Schoß der Keime.
Ahnung senkte ihm ins Herz der Vater.
Christian Morgenstern
Adam und Eva
Adam und Eva stehen an dem Baum,
aus dem es ihnen rauscht wie Zukunftstraum.
Aus dunklem Laube zischt der Schlange Witz:
Wofern ihr esset, fährt in euch der Blitz.
Und Eva blickt auf Adam wie gebannt,
und Adam blickt auf Eva unverwandt.
Und wie die Augen ineinanderruhn,
da müssen sie das Ungeheure tun.
Sie hebt den Arm und biegt den Zweig zu ihm.
Von ferne blitzt das Schwert der Cherubim.
Erwählt den schönsten Apfel totenbleich.
Und beide essen von der Frucht zugleich.
Von ihrer Seele sinkt der Unschuld Flor.
Es wühlt die Flamme sich der Scham empor.
Die Hände kreuzend überm Schoß, so stehn
sie da, die sich zum ersten Male sehn.
Und Zwiespalt, ob er gehn, ob bleiben soll,
verwirrt sie, jeden, süß und wehevoll.
Da fällt ein großer Schatten über sie –
Und zitternd wendet sich zur Flucht ihr Knie.
Rose Ausländer
Eva
Sie gab ihm eine Aprikose,
die duftete nach Mittagsruh,
Dann warf sie eine Rose
wie einen Ball ihm lachend zu.
Er ließ sie fallen. Aus dem Stengel
hob sich die Schlange, schlank und schlau.
Sie glitt zu ihrem Lieblingsengel
dem Apfelbaum und bot der Frau
den Apfel an. Sie stand am Baum
rot roch der Apfel in der Hand.
Sie aß und gab den Rest dem Mann,
erkannte ihn und ward erkannt.
Mit Adam fand sie sich im Korn.
Der Sonne roter Apfel schien.
Daß sie der Herr in seinem Zorn
verfluchte – sie verzieh es ihm.
² / Kain und Abel
Die Bibel ist klar und scharf zugleich: Die erste Tat des freien, selbstverantwortlichen Menschen außerhalb des Paradieses umfasst eines der abscheulichsten Verbrechen überhaupt: den Brudermord. Der vorherigen Ausmalung eines schönen, reinen, idealen Daseins in Harmonie und Frieden bleiben im Buch Genesis nur wenige Zeilen und Bilder. Ob aus Eifersucht, aus Kampf um Gunst und Anerkennung oder aus sadistischer Mordlust: Mensch zu sein heißt der Bibel zufolge, ein unendliches Aggressionspotential in sich zu tragen. Nicht nur, aber auch.
Menschliche Kultur versucht, aus dieser Einsicht Regeln und Wege für ein friedliches Miteinander zu entwerfen. Mensch sein heißt, beides in sich selbst zu wissen: die Friedfertigkeit des den Tieren zugewandten Hirten Abel, die ihn immer wieder in die Gefahr bringt, zum Opfer zu werden – aber auch die besitzergreifende und ausnutzende Härte des Ackerbauers Kain, der letztlich zum Urvater aller Menschen wird.
Gleich der erste Text dieser Abteilung, Hermann Hesses (1877–1962) „Lied von Abels Tod" ist als Friedensgedicht konzipiert, anschreibend gegen eine Verdrängung der Todesgewalt Kains vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Kein singbares Lied liegt vor uns, sondern ein Text, der die anfänglich noch aufgenommenen Konventionen des Liedes angesichts der Ungeheuerlichkeit des Beschriebenen mehr und mehr wortreich aufsprengt. Ganz anders der knappe, Wort für Wort gesetzte Text von Walter Helmut Fritz (1929–2010). Was macht Mörder wie Kain in unserer Zeit zum Täter? „Gleichgültigkeit"! In perspektivischer Innenrede formuliert hingegen Dagmar Nick (*1926) Rückfragen des Täters an sein Opfer. Ist seine Rolle als mordgezeichneter Urvater der Menschheit letztlich die schwierigere? Eine Neubewertung Kains nimmt schließlich auch Ludwig Steinherr (*1962) vor. Sein Gedankengedicht porträtiert Kain als ersten Mörder, der seine Tat bereut und mit dem Wissen um diese Schuld sein Leben – unser Leben – gestalten muss. Kultur wächst aus diesem Umgang mit dem Wissen um die eigene Zerstörungskraft.
Hermann Hesse
Das Lied von Abels Tod
Tot in den Gräsern liegt Abel,
Bruder Kain ist entflohn.
Ein Vogel kommt, taucht den Schnabel
Ins Blut, schrickt auf, fliegt davon.
Der Vogel flieht durch die ganze Welt,
Sein Flug ist scheu, seine Stimme gellt,
Er klagt unendliche Klage:
Um den schönen Abel und seinen Todesschmerz,
Um den finsteren Kain und seine Seelennot,
Um seine eigenen jungen Tage.
Bald schießt ihm Kain seinen Pfeil ins Herz,
Bald wird er Streit und Krieg und Tod
In alle Hütten und Städte tragen,
Wird sich Feinde schaffen und sie erschlagen,
Wird sie und sich selber verzweifelt hassen,
Wird sie und sich selber in allen Gassen
Verfolgen und quälen bis zur nächsten Welten-Nacht,
Bis Kain endlich sich selber umgebracht.
Der Vogel flieht, aus seinem blutigen Schnabel
Schreit Todesklage über die ganze Welt.
Es hört ihn Kain, es hört ihn der tote Abel,
Es hören ihn Tausend unterm Himmelszelt.
Zehntausend aber und mehr, die hören ihn nicht,
Sie wollen nichts wissen von Abels Tod,
Nichts von Kain und seiner Herzensnot,
Nichts vom Blut, das aus so vielen Wunden bricht,
Nichts vom Krieg, der noch gestern gewesen
Und von dem sie jetzt in Romanen lesen.
Für sie alle, die Satten und Frohen,
Die Starken und die Rohen
Gibt es nicht Kain noch Abel, nicht Tod noch Leid,
Und den Krieg preisen sie als große Zeit.
Und wenn der klagende Vogel vorüberfliegt,
Dann nennen sie ihn Schwarzseher und Pessimist,
Fühlen sich stark und unbesiegt
Und werfen nach dem Vogel mit Steinen,
Bis er verstummt und verschwunden ist,
Oder machen Musik, daß man ihn nicht mehr hört,
Weil seine traurige Stimme sie stört.
Der Vogel mit seinem kleinen
Blutstropfen am Schnabel fliegt von Ort zu Ort,
Seine Klage um Abel tönt fort und fort.
Walter Helmut Fritz
Kain
Er geht nicht mehr
als Ackermann über die Felder,
braucht keine Keule.
Er fragt nicht mehr
in anmaßender Weise,
ob er der Hüter sein solle
seines Bruders.
Er ist nicht mehr
unstet und flüchtig.
Er trägt Masken,
dem eigenen Gesicht
aus dem Gesicht geschnitten.
Eine heißt Gleichgültigkeit.
Dagmar Nick
An Abel
Mein toter Rivale Abel,
wohlgefällig im Dunst
deiner Widderkadaver,
du Erstgeburtenverschleuderer,
hast du Rachegelüste
und schließt ein Komplott
mit dem rauchfahnensüchtigen Gott
ohne Namen?
Was soll diese Gnade,
mich an deiner Statt
Geschlechter zeugen zu lassen,
Mörder um Mörder,
die das Blutopfer lieben
wie du?
Was soll diese Gnade?
Ludwig Steinherr
Kain
Natürlich nicht der erste der einen Stein hob
Nicht der erste der das Gehirn seines Bruders
auf die Erde spritzte
Doch als ersten traf ihn dabei
der Blitz der Selbsterkenntnis
Als erster krümmte er sich vor Reue
Beseitigte Spuren. Suchte Ausreden
Wälzte sich in Dornen – keuchend im Kampf
mit dem Über-Ich
Als erster sagte er sich:
Du bist nicht der erste und nicht der letzte!
Es muß weitergehen!
Darin war er sich einig
mit seinem Gott
Und erfand Verdrängung
und Sublimierung
Und zeugte Kinder
fähig zu Mord Reue Verdrängung Sublimierung
Und gründete eine Stadt
in der es nicht schlechter zuging
als in jeder anderen Stadt
in der die Mordrate
nicht höher lag
als in Babylon
oder Kapstadt
und in der die Künste
zum ersten Mal
aus blutigem Lehm
Erstaunen schöpften
³ / Noach und die Arche
Die Bibel entfaltet die Geschichte zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen Gott und Mensch, in aller Härte. Kaum ist die Welt in all ihrer Ordnung und Schönheit, in all ihrer Brüchigkeit und Brutalität geschaffen, da wird sie auch schon wieder in Frage gestellt. Alles sinnreich erdachte Leben wird zerstört. Eine Urflut stürzt die Welt ins Chaos zurück. Und wieder war Tohuwabohu … wäre da nicht Noach gewesen! Um seinetwillen, angesichts seiner Gerechtigkeit geht das Leben weiter, bleibt die ursprüngliche Schöpfungsordnung gewahrt.
Für Kinder ist und bleibt diese Erzählung die Kerngeschichte des Alten Testaments: die Rettung der Tiere, Paar für Paar. Und selbst Erwachsene vergessen immer wieder nur zu gern, dass von den ‚reinen Tieren‘ sieben Paare mit in die Arche gingen. Denn das erste, was Noach und die Seinen nach der Rettung vollbringen, ist die Aufschichtung eines Altares und die Opferung der dafür von Anfang an vorgesehenen überzähligen Tiere. Tiefer in Erinnerung bleibt hingegen der Regenbogen als Urzeichen des ersten Bundes Gottes mit seiner Schöpfung: ein an den Himmel gezeichnetes Versprechen von Verschonung und Schutz.
Der erste, nur in erster Hälfte abgedruckte Text dieser Rubrik stammt von Karl Gerok (1815–1890). In einer typischen, im Kreuzreim verfassten Ballade bündelt er die biblische Erzählung in Dramatisierung und Ausmalung, fokussiert auf die Stätte der Rettung, den Ararat. In der Binnenlogik der Ballade kann hier Gott selbst in direkter Anrede die Schlussstrophe sprechen. Was für ein Gegensatz zu der expressionistischen Annäherung an die Sintflut bei Ernst Stadler (1883–1914)! Mitten hinein in das Geschehen spülen uns die ungebändigten, nicht mehr an Metrum und klarem Reimschema orientierten Versgruppen in das Geschehen, so dass sich die Rettung verheißende Taube tatsächlich als emotionaler Ausweg aus dem Schlussvers erhebt. Ingeborg Bachmann (1926–1973) nimmt uns in ihren knappen Versen hinein in die Szenerie nach dieser Sintflut, nach den Erfahrungen von Weltkrieg und atomarer Vernichtung. Nur die Taube, allein sie, sollte jetzt besser gerettet werden. Diese drei Texte sind im Präsens verfasst, nehmen die Lesenden direkt mit in das geschilderte Geschehen. Anders das letzte Gedicht dieser Abteilung. Auch hier geht es wie bei Bachmann um unsere Zeit, nicht zurück in die biblischen Erzählungen. Bei Nora Bossong (*1982) jedoch werden Wahrnehmungen und Empfindungen der Gegenwart vor dem Spiegel biblischer Urbilder