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Drei Prozent: Was wirst du opfern?
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Drei Prozent: Was wirst du opfern?
eBook285 Seiten4 Stunden

Drei Prozent: Was wirst du opfern?

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Über dieses E-Book

Als auf einem Schrottplatz die mumifizierte Leiche eines jungen Mädchens gefunden wird, ahnt die Bautzener Kommissarin Esther Behrens noch nicht, dass sie sie direkt zurück in ihre Vergangenheit führt.

Zeitgleich kämpft Rada, derzeit vom Dienst beurlaubt, mit ihren Zweifeln, als sie einen Anruf ihres Vorgesetzten erhält. Eines von drei Mädchen, die in den letzten Jahren spurlos aus Görlitz verschwunden sind, ist wieder aufgetaucht und ausgerechnet ihre ehemalige Partnerin Esther wurde mit dem Fall betraut.

Gemeinsam müssen sich die beiden Frauen nicht nur ihren eigenen Dämonen stellen, sondern auch dem Monster, das sich sein viertes Opfer holt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum11. Dez. 2019
ISBN9783750476561
Drei Prozent: Was wirst du opfern?
Autor

Daniela Wiedmer

Dani Wiedmer wurde 1986 in Görlitz geboren. Bereits in den frühen Neunzigern begann sie ihre ersten Geschichten, damals noch auf Omas Schreibmaschine, zu tippen. Doch erst nach einem abgeschlossenen Germanistik-Studium und der Ausbildung zur Buchhändlerin erschien 2014 mit Der mörderische Sagenkreis zu Görlitz ihr Erstlingswerk. Nach einigen Umwegen lebt sie inzwischen wieder in Görlitz und arbeitet in der Verwaltung. Aus den Schattenseiten ihrer beruflichen Tätigkeit und Erzählungen von Freunden schöpft sie immer wieder neue Inspiration für ihre Krimis und Thriller. Mit Drei Prozent - Was wirst du opfern? veröffentlicht sie ihren mittlerweile siebten Roman.

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    Buchvorschau

    Drei Prozent - Daniela Wiedmer

    Für jene, die nie den Weg zurück gefunden haben

    Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst

    werden, bewegt sich bei nur etwa 3 %.

    Bundeskriminalamt,

    Abteilung Vermisstensachbearbeitung

    Inhaltsverzeichnis

    3 Prozent

    1979: Anja

    2018: Leonie

    3.11.2018: Görlitz, am frühen Morgen

    3. November 2018: Bautzen, am späten Nachmittag

    3.11.2018: Görlitz, Früher Nachmittag

    3.11.2018: Früher Abend, Lauske

    6.11.2018: Bautzen, Mittag

    6.11.2018: Görlitz, Abend

    2014: Judith

    2018: Leonie

    6.11.2018: Kränzelstraße, Später Abend

    7.11.2018: Bahnhof Görlitz, Vormittag

    2014: Judith

    2018: Leonie

    7.11.2018: Blumenstraße, Vormittag

    7.11.2018: Kränzelstraße, Später Abend

    2014: Judith

    2018: Leonie

    8.11.2018: Landeskrone, Vormittag

    8.11.2018: Kränzelstraße, Später Nachmittag

    2014: Judith

    2018: Leonie

    9.11.2018: Bogstraße, Vormittag

    2014: Judith

    2018: Leonie

    9.11.2018: Obermühle, Nachmittag

    10.11.2018: Zwei Uhr morgens

    11.11.2018: Vormittag

    17.1.2019: Erster Verhandlungstag, Vormittag

    3 Prozent

    Die Polizei bittet um Mithilfe: Wer hat Nico gesehen?

    Seit Mittwoch, den 6. Mai 2012, 13 Uhr wird der achtjährige Nico aus Königshain vermisst. Er wurde zuletzt in der Nähe des Steinstocks von seinem älteren Bruder gesehen.

    Personenbeschreibung:

    Nico ist etwa 1,30 bis 1,35 Meter groß und kräftig.

    Er hat braunes, kurzes Haar und braune Augen.

    Er trägt eine graue Sportjacke, helle, blaue Jeans und weiße Sportschuhe mit grünem Logo.

    Hinweise auf Nicos Aufenthaltsort richten Sie bitte an: ...

    Vermisstenanzeige:

    Wir suchen unsere Tochter Karin, 12 Jahre alt, ca. 1,45 Meter groß, blondes Haar und graue Augen. Sie wurde zuletzt am 31. Juli 1976 in Zodel gesehen. Sie trug eine rote Bluse, eine dunkle Stoffhose und schwarze Schuhe. Sie ist sehr schüchtern und hilfsbereit. Sollten Sie sie gesehen haben, wenden Sie sich bitte an die Polizei unter der Nummer...

    Vermisst! Bitte helft mir!

    Ich suche meinen Mann Jürgen Neumann. Er ist 43 Jahre alt und verschwand am 7. November 1999 auf dem Weg zum Vereinshaus seiner Fußballmannschaft in Oppach. Er trug helle Sportbekleidung und hatte eine Tasche mit der Aufschrift Nike bei sich. Hinweise bitte an...

    Vermisst: Judith Behrens, *12.3.2000, schwarzes langes Haar, grüne Augen, trug zuletzt eine weiße Bluse und einen dunkelblauen Rock sowie eine Tasche der Firma Grav in Regenbogenfarben. Die 14-jährige Schülerin Judith Behrens aus Görlitz wird seit dem 19.10.2014 vermisst. Sie wurde von Zeugen zuletzt gegen 11 Uhr in der Nähe des Theaters gesehen. Hinweise bitte an die Polizei in Görlitz: ...

    Vermisst: Paula L. (37) aus Rothenburg/O.L., Größe: 1,67 Meter, vermisst seit 9. Oktober 2003. Paula L. ist sehr schlank, trug bei ihrem Verschwinden ein helles, geblümtes Sommerkleid und hatte eine rote Ledertasche bei sich. Sie hat braune Augen, färbt sich jedoch regelmäßig die Haare, zuletzt wurde sie mit roten Haaren gesehen. Sie benötigt Medikamente. Sollten Sie Paula L. sehen, halten Sie sie nicht fest, sondern wenden Sie sich an die nächste Polizeidienststelle.

    1979

    Anja

    Oberlausitzer Bote

    7. März 1980, Arnsdorf. Bei einem Rundgang fand der Förster Michael M. einen stark in Mitleidenschaft gezogenen Schädel eines Menschen. Er war unter einer Schicht alten Laubes begraben. Weitere Knochen konnten nicht gefunden werden. Anhand der Größe des Schädels geht die Polizei davon aus, dass es sich bei dem Fund um einen Jugendlichen handelt. Aussagen zum Geschlecht können derzeit keine getroffen werden, da der Schädel im Bereich des Gesichtes zu starke Beschädigungen aufwies und die unteren Extremitäten fehlten. Indes geht die Polizei in der Annahme, dass es sich bei dem Fund um die sterblichen Überreste der im Oktober verschwundenen Anja H. handeln könnte. Das 14-jährige Mädchen war nach einem Streit mit ihrer Mutter nicht nach Hause zurückgekehrt. Seither fehlt jede Spur von ihr. Weitere Untersuchungen müssen jetzt klären, was tatsächlich im Wald geschah.

    Sie hasste sie. Sie hasste sie einfach. Wieso konnte sie sich nicht raus halten? Warum musste sie sich in alles einmischen? Was gab ihr das Recht dazu? Weil sie sie geboren, aus sich herausgequetscht hatte? Sie lachte auf und wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Seit jeher hielt sie ihr vor, sie habe sich ihren Anordnungen zu beugen und wenn sie es nicht tat, dann kam ihre Mutter mit der alten Leier. Sie sei ihr Vormund, sie habe ihr das Leben gegeben, das sie nun beschützen würde, und manchmal müssten Eltern dazu eben Entscheidungen treffen, die ihren Kindern nicht gefielen. Warum das die Lektüre ihres Tagebuches beinhaltete, begriff sie nicht. Und was war schon so schlimm an dem, was sie geschrieben hatte?

    Sie blieb stehen und sah auf ihre geballten Fäuste hinab. Auf ihren Handflächen zeichneten sich die Spuren ihrer Fingernägel ab. Sie hatte die Tür so fest zugeschlagen, dass sie noch die Vibration in ihren Fingern spüren konnte. Am liebsten hätte sie ihre Mutter geschlagen, auch wenn ihr der Gedanke nicht recht behagte. Die Wut über ihren Verrat grollte noch in ihr. Ihre Wangen waren noch rot vom aufschießenden Blut. Doch langsam wurde es kälter.

    Sie hob den Kopf und Regentropfen prallten auf ihre Augenlider. Hier im Wald fingen die Baumkronen den meisten Regen ab, dennoch war sie durchnässt. Sie hatte nur einen dünnen Pullover mitgenommen, der jetzt unangenehm an ihrer Haut klebte. Bis gestern war der Herbst warm und trocken gewesen. Einen wunderschönen Altweibersommer hatte ihre Mutter es genannt. Sie verabscheute den Begriff. Es klang nach Vergänglichkeit und nach Vergangenem, zu melancholisch. Peter dagegen gab diesen Tagen keinen Namen, sondern genoss die Wärme und die Sonnenstrahlen, tobte durchs Laub und schien völlig unbekümmert. Darum mochte sie ihn ja auch so. Obwohl er schon zwanzig war.

    Mit ihm war alles viel einfacher als mit ihrer Mutter und gleichzeitig war Peter keiner, der nur auf Feten wollte oder andauernd über Musik redete oder sogar irgendwelche Pilze rauchte, wie es neuerdings in ihrem Freundeskreis der Fall war. Peter war etwas Besonderes, das hatte sie vom ersten Moment an gespürt. Darum hatte sie es auch ihrem Tagebuch anvertraut. Auch weil sie die Gefühle, die sie jetzt hegte, für immer behalten wollte. Um nicht irgendwann in ihrem Altweibersommer zurückzublicken und diese Melancholie zu spüren.

    Doch ihre Mutter hatte es ruiniert. Hatte einfach in ihrem Tagebuch gelesen und das nur, weil sie ein paar Tage lang abends zu spät nach Hause gekommen war. Sie hatte ihr das Büchlein mit dem roten Leineneinband und der Verzierung am Rand hingehalten und sie gefragt, was das solle. Wer dieser Peter sei. Wie lange sie schon mit ihm weggehe. Ob sie mit ihm - Aber Peter hatte das nie gewollt. So war er nicht. Er hatte sie noch nicht mal geküsst. Nur ein bisschen gestreichelt. Keine große Sache. Außer für sie. Aber das sagte sie ihrer Mutter nicht. Stattdessen schrie sie sie an, wie sie es wagen könne, einfach in ihren privaten Sachen zu wühlen. Sie sei schlimmer als die Stasi. Daraufhin hatte sie eine Ohrfeige bekommen. Stasi war eines jener Wörter, die ihre Mutter nicht in der Wohnung hören wollte. Die Wände waren zu dünn.

    Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was sie ihrer Mutter noch an den Kopf geworfen hatte. Es waren keine schönen Worte und sie wollte auch so nicht mit ihr reden. Ihre Mutter zog sie allein groß, nachdem ihr Vater sich aus dem Staub gemacht hatte. Sie ging arbeiten und versuchte, ihr zu geben, was möglich war. Das wusste sie. Aber manchmal war ihr diese Fürsorge zu viel. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte zu Peter ziehen und mit ihm leben. Nur ging das jetzt noch nicht. Sie war zu jung und sie waren nicht verheiratet. Ohne Trauschein, keine Wohnung, sagte ihre Mutter, und sie musste es wissen. Bis sie als alleinerziehende Frau eine Wohnung bekommen hatte, die erträglich - ohne Schimmel - war, hatte es Monate gedauert, die sie bei ihren Großeltern zubringen mussten.

    Langsam begann sich die Wut zu legen. Die Kälte kroch tiefer in ihre Haut und sie schlang die Arme um sich. Wenn sie geblieben wäre und es ihr erklärt hätte, vielleicht hätte sie es ja sogar verstanden. Und Peter hatte ihre Mutter sowieso gerne kennenlernen wollen. Konnte ja sein, dass sie ihn mochte. Solange sie nicht diese Sache taten, war sie ja womöglich sogar einverstanden, wenn sie sich trafen. Eigentlich, dachte sie, war sie ja eh noch ein bisschen zu jung dafür. Es gab zwar schon Mädchen in ihrer Schule, die es getan hatten, aber die galten als leicht zu haben. Und das wollte sie nicht. Deshalb tanzte sie auf Feten auch immer nur mit ihrer besten Freundin. Nur mit Peter, da konnte sie es sich vorstellen. Irgendwann.

    Der Regen wurde schlimmer. Sie beschloss beim nächsten Pfad abzubiegen und nach Hause zu gehen. Über ihr verdunkelte sich der Himmel bereits und ihre Mutter hatte womöglich schon alle Nachbarn zusammengetrommelt, um nach ihr zu suchen. Sie wollte sich nicht vor allen rechtfertigen müssen. Sie wischte sich den Regen aus den Augen und suchte nach einem der Wegweiser, die normalerweise einen Anhaltspunkt bildeten, wo sie sich befand. Für einen Moment glaubte sie, einen hundert Meter vor sich zu sehen, doch das Objekt blieb nicht stehen, sondern rannte geradewegs in ihre Richtung. Einer der Läufer. Die waren ihr hier schon öfter begegnet, nur bei Regen noch nie. Sie hielt den Kopf gesenkt, damit er sie nicht ansprach, und achtete auf mögliche Abzweigungen.

    Der Mann kam näher. Für die Jahreszeit war er nur sehr leicht bekleidet mit einer kurzen Hose und einem durchgeschwitzten Hemd. Seine Haare klebten nass an seinem Kopf und gaben platschende Geräusche von sich, wenn er für Millisekunden den Boden verließ und wieder aufkam. Er war noch jung, das erkannte sie, als er ein wenig näher gekommen war. So alt wie Peter, schätzte sie. Sein Körper war nicht muskulös, aber schlank. Wie Peter.

    Sie lächelte. Sie musste unbedingt mit ihrer Mutter reden und ihr Peter vorstellen. Am Wochenende, wenn sie nicht arbeiten musste, wenn sie entspannter war. Das wäre ein guter Zeitpunkt. Ihretwegen lud sie ihn auch zu Kaffee und Kuchen ein, ganz auf die altmodische Art, die ihrer Mutter so gefiel.

    Der junge Mann lief an ihr vorbei. Sie hob kurz den Kopf und lächelte, dann richtete sie den Blick nach vorn und suchte nach einem der Wegweiser. Wie tief war sie in den Wald gelaufen? Sie hatte lange Zeit nicht darauf geachtet, welchen Pfad sie eingeschlagen hatte. Aber irgendwo musste sie eine Abzweigung finden. Hier verlief sich niemand einfach so. Das war die Massenei. Das war nicht der Urwald. Hätte sie den jungen Mann um Hilfe bitten sollen? Sie drehte sich um, wollte sehen, ob er noch da war, denn das Knirschen seiner Schuhe war nicht mehr zu vernehmen.

    Sie wandte den Kopf und brauchte ein paar Sekunden, um zu erfassen, was sie sah. Fünfzig Meter hinter ihr war der Mann stehen geblieben. Er stand dort und sah sie direkt an. Durch den Regen konnte sie seine Augen nicht erkennen, aber sie war ganz sicher, dass er sie ansah. Ein Schauer lief ihr über die Arme. Warum tat er das? Wollte er sie auch ansprechen? Sie fragen, was sie bei dem Wetter hier verloren hatte? Aber warum kam er dann nicht näher? Warum blieb er dort stehen, rührte sich nicht und rief auch nicht nach ihr? Ihr Herz schlug schneller. Ein paar Augenblicke lang wog sie ab, ob sie ihn ansprechen oder weglaufen sollte. Sie beschloß, sich einfach umzudrehen und weiterzulaufen. Doch als das Knirschen hinter ihr zu hören war, das sich nicht entfernte, sondern näher kam, begann sie zu rennen.

    Sie kam nur wenige Schritte weit, bevor ein schwerer Körper sie zu Boden riss. Sie schaffte es noch, die Arme nach vorn zu reißen, um den Sturz abzufangen. Hände griffen nach ihren Gelenken und drehten sie auf den Rücken. Sie versuchte, sich zu wehren und auf die Beine zu kommen, doch er wälzte sie herum, bis sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Jetzt waren die Augen des Mannes deutlich zu erkennen. In ihnen war nichts als Gier. Seine Hände legten sich auf ihre Wangen. Ein Lächeln trat auf seine Lippen, aber es trieb ihr nur die Tränen in die Augen. Bevor sie schreien konnte, hob der Mann ihren Kopf an und schlug ihn auf den Boden. Sie war zu überrascht, um Schmerz zu empfinden. Sein Gesicht drehte sich, als er ihren Kopf ein weiteres Mal hob. Dieses Mal verlor sie das Bewusstsein. Aber der erlösende Zustand wehrte nicht lange.

    Es war dunkel, als sie es zum ersten Mal wieder wagte, die Augen zu öffnen. Der Regen hatte aufgehört, aber es war eiskalt. Sie lag am Boden zwischen Sträuchern. Ihr Rücken schmerzte, weil sich irgendetwas hineinbohrte, aber das war nichts im Vergleich zu dem Brennen ihres Unterleibes. Sie richtete den Blick nach oben. Tränen liefen über ihre Schläfen, tropften auf den Boden oder rannen ihr an den Ohrläppchen entlang. Doch sie war nicht die Einzige, die weinte.

    Er saß neben ihr und sein Wimmern war unerträglich. Unentwegt flüsterte er Entschuldigungen, aber was half ihr das? Was änderte es an dem, was er ihr angetan hatte? Sie drehte sich auf die Seite, wollte fort von ihm. Sie wollte nach Hause. Sie wollte zu ihrer Mutter. Fortan würde sie nichts mehr vor ihr verschweigen, das schwor sie. Wenn sie nur lebend von hier fortkam. Konnte sie überhaupt laufen? Sie würde es müssen. Sie würde einfach den Schmerz verdrängen und um ihr Leben rennen.

    „Du kannst nicht weg, hörte sie ihn hinter sich sagen und beschleunigte ihre Versuche, sich aufzurichten. Sie kroch zu einem Baum hinüber und zog sich an der rauen Rinde nach oben, die ihr die Handflächen aufriss. „Es geht nicht. Das weißt du. Es tut mir so leid. Es tut mir so schrecklich leid.

    „Lass mich gehen, erwiderte sie. „Bitte. Meine Mama wartet auf mich.

    Sie wusste nicht, warum sie es sagte, aber sie hoffte, es werde ihm helfen zu verstehen, dass es nicht nur um ihr Leben ging, das er zerstörte. Sondern dass sie eine Mutter hatte, einen Vater, Freunde, Peter.

    „Es tut mir leid. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt."

    Sie drehte den Kopf, als sie das Rascheln des Laubes hinter sich hörte, durch das Peter noch vergangene Woche wie ein Kind gewatschelt war. Wie sie gelacht hatte! Über sein entzücktes, braun gebranntes Gesicht. Sie schloss die Augen. Sie wollte, dass es das Letzte war, was sie sah. Deshalb traf der erste Schlag sie unvorbereitet und beim zweiten schwanden ihr die Sinne. Den dritten und alle darauf folgenden Schläge spürte sie nicht mehr. Sie sah auch nicht den Stein, der neben ihr ins Laub fiel. Blut befleckt. Sie spürte auch nicht mehr, wie er ihren nackten Körper zu einer Grube trug und ihn dort hinein legte, bevor er sie mit Laub überhäufte.

    Ihre Kleidung nahm er mit und wischte sich damit die Tränen ab, als er auf dem alten Pfad den Heimweg antrat. Unterwegs verließ er den Weg, ging in den dichten Wald und stopfte die Sachen in einen ausgehöhlten Baumstamm, der schon öfter vom Blitz getroffen worden war. Sie wurden nie gefunden.

    Anders als Anja, auf die recht bald zwei Füchse, zahlreiche Fliegen und Käfer und mehrere neugierige Wildschweine aufmerksam wurden. Es dauerte nur wenige Wochen, bis das Fleisch von ihren Knochen genagt und die feinen weißen Gelenke im Wald verteilt waren. Alles, was blieb, war ein zertrümmerter Schädel, begraben unter Laub.

    2018

    Leonie

    Als er die Tür öffnete, strich ein muffiger kühler Luftzug über seine erhitzten Wangen. Er sah kurz zu ihr, ob sie den Geruch ebenfalls wahrgenommen hatte, bevor er die Tür weiter aufzog. Sie klemmte nach all den Jahren und er musste an der rostigen Klinke zerren, während das Holz über den steinernen Boden schrammte. Er zögerte, bevor er durch die Tür trat.

    Da saß sie, sein kleiner Augenstern. Auf dem Stuhl, auf dem er sie hatte zurücklassen müssen. Es war nicht seine Absicht gewesen, gewiss nicht. Er hatte versucht, das Beste für sie zu tun, aber sie hatte sich geweigert und ihre Schreie hatten ihn in Gefahr gebracht. Niemand betrat jemals diesen Keller und das dicke Gemäuer schluckte die meisten Geräusche, aber er wollte kein Risiko eingehen. Deshalb hatte er sie verlassen und es über viele Jahre bereut. Nun war die Gelegenheit gekommen, es wieder gut zu machen.

    Er hockte sich vor den Stuhl, auf dem sie saß. Ihre Kleider lagen noch sorgsam geordnet unter ihr, wie er sie zurückgelassen hatte. Ihre schönen Haare waren daneben zu Boden gefallen. Er strich an ihren Beinen entlang. Die lederne Haut fühlte sich rau unter seinen Fingern an. Sie war so mager geworden. Ihre Knie stachen schmerzhaft hervor. Von ihrer zarten Brust war nichts verblieben und jene Scham, die er als Erster geöffnet hatte, war nur ein knöcherner Schatten. Aus den Augenhöhlen war das Grün verschwunden. Jenes helle, leuchtende Grün, das ihn so angezogen, ihn ganz und gar willenlos gemacht hatte. Er fuhr über die verbliebenen Haarsträhnen an ihrem Schädel, aber sie waren nicht mehr so schön weich und der Geruch, den sie verströmte, glich nicht mehr jenem, der ihn um den Verstand gebracht hatte. Was dort vor ihm saß, hatte mit ihr nichts mehr gemein. Er wusste, dass das seine Schuld war, doch er konnte den Ekel, der ihn befiel, dennoch nicht verbergen.

    „Hilfe", flüsterte es hinter ihm. Er konnte eine Bewegung außerhalb des Kellers ausmachen. Sie war erwacht. Er musste sich beeilen. Mit gebotener Vorsicht und trotz des widerlichen Gefühls unter seinen Fingern hob er sie vom Stuhl und brachte sie aus dem Keller. Er legte ihren steifen Körper auf den kalten Boden und entschuldigte sich leise dafür. Dann ging er zurück, um ihre Kleider zu holen. Er betrachtete den Stuhl, auf dem sie die Jahre über gesessen hatte. Er war von ihren Flüssigkeiten durchdrungen und morsch geworden. Aber es gab hier unten genügend andere Stühle. Er tauschte ihn gegen einen in der Ecke stehenden aus, musste aber feststellen, dass er wackelte.

    „Bitte", stöhnte es hinter ihm. Er war unzufrieden. Nicht nur mit dem Stuhl, sondern auch mit dem Mädchen. Aber er wusste, dass dies nur seiner eigenen Ungeduld geschuldet war, die ihn letztlich schon seinen Augenstern gekostet hatte. Er musste sich zusammenreißen, durfte es dieses Mal nicht wieder ruinieren. Er tauschte den Stuhl gegen einen weiteren und stellte erleichtert fest, dass er nicht wackelte und der Zahn der Zeit weit weniger an ihm genagt hatte als an den anderen. Für die ersten Tage würde er reichen. Sobald sie sich eingewöhnt hatte, ließ sich vielleicht etwas Bequemeres finden und dann konnte er ja auch die Fesseln weglassen. Doch zuerst musste er sehen, wie sie sich benahm.

    „Nicht wahr, mein Augenstern? Wenn du lieb bist, dann brauchen wir die Fesseln nicht mehr." Er ging zu ihr und kniete sich neben sie. Ihre Augen waren ganz dunkel, noch benommen von dem leichten Betäubungsmittel, das er ihr gegeben hatte. Ihre Hände waren auf ihrem Bauch gefesselt. Die Arme drängten die sanften Rundungen ihrer Brüste zusammen. Ihr Rock war weit über die Knie gerutscht. Ein feuchter Schleier lag noch über den Innenseiten ihrer Oberschenkel. Er hatte sich vorgenommen, sich zu beherrschen, aber es war ihm nicht gelungen. Nicht nach all den Jahren, die er ohne sie hatte verbringen müssen. Auch jetzt spürte er die Sehnsucht und musste aufstehen, um zu verhindern, dass er die Kontrolle verlor. Er hob sie hoch und brachte sie zu dem Stuhl. Er legte sie davor ab und begann, sie auszuziehen. Sie stöhnte, als er ihr den Rock von den Beinen streifte. Verlegen stellte er fest, dass er ihren Slip hinter den Glascontainern vergessen hatte. Er musste dort irgendwo im Gebüsch liegen. Ob er ihn holen sollte? Darüber konnte er später noch nachdenken. Er knöpfte ihre Bluse auf, nahm ihr die Fesseln ab, woraufhin sie begann, zaghaft nach ihm zu greifen. Ihre Bewegungen waren unkontrolliert, schläfrig. Er zog die Bluse aus und spürte die Hitze in seinen Wangen, als er ihren BH sah. Hinter den Glascontainern hatte er seine Begierde stillen müssen, jetzt blieb ihm Zeit, sie zu bewundern.

    „Nicht", seufzte sie, als er über die zarten Rundungen fuhr und den BH abstreifte. Ihre Hand schlug ihm schwerfällig ins Gesicht. Erbost drückte er ihre Arme nach oben, so dass ihre Brüste frei zu sehen waren. Seine Kiefer mahlten vor Zorn und vor der Angst, sich zu verlieren, aber als er in ihre Augen sah, konnte er nicht mehr an sich halten.

    Als sie auf dem Stuhl saß, band er ihre Arme hinter ihrem Rücken an die Lehne. Es war keine bequeme Stellung, das wusste er, aber es war nur für eine begrenzte Zeit und er würde oft nach ihr sehen. Er trat vor sie, wollte sie anlächeln, aber sein Blick fiel auf die Feuchtigkeit an ihrem Bauch. Beschämt sah er weg. Er würde einen Waschlappen und warmes Wasser mitbringen, wenn er in ein paar Stunden zurückkäme. Er faltete ihre Kleidung sorgfältig zusammen und legte

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