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Sword Art Online – Phantom Bullet – Light Novel 06
Sword Art Online – Phantom Bullet – Light Novel 06
Sword Art Online – Phantom Bullet – Light Novel 06
eBook418 Seiten5 Stunden

Sword Art Online – Phantom Bullet – Light Novel 06

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Über dieses E-Book

In dem VRMMO Gun Gale Online treibt der mysteriöse "Death Gun" sein Unwesen. Spieler, die er mit seiner pechschwarzen Pistole erschießt, sterben auch im realen Leben. Kirito loggt sich ins Game ein, um die Sache zu untersuchen, und kommt ihm im Finale des Battle-Royale-Turniers "Bullet of Bullets" schließlich auf die Spur. Kirito muss unbedingt herausfinden, wer dahintersteckt und ob er tatsächlich von der virtuellen Welt aus die Wirklichkeit beeinflussen kann …
SpracheDeutsch
HerausgeberTOKYOPOP Verlag
Erscheinungsdatum14. Feb. 2019
ISBN9783842054158
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    Buchvorschau

    Sword Art Online – Phantom Bullet – Light Novel 06 - Tamako Nakamura

    8

    »Brüderchen!«, sprach mich meine liebe Schwester an einem sonnigen Sonntag mit einem strahlenden Lächeln beim Mittagessen an. Dass mich dabei sofort eine böse Vorahnung durchzuckte, bewies wohl, wie wenig mein – Kazuto Kirigayas – Verhalten dieser Tage gutzuheißen war.

    Die Gabel mit der Kirschtomate in meiner Hand verharrte vor meinem Mund, und ich fragte: »Was ist denn auf einmal, Sugu?«

    Als ich sah, was meine Schwester – richtig gesagt, meine Cousine – vom Stuhl neben ihr nahm, bewahrheitete sich meine Befürchtung. »Weißt du, ich hab heute Morgen diesen Artikel im Internet gefunden.«

    Mit diesen Worten hielt sie mir ein A4-Blatt vor die Nase. Es war allem Anschein nach ein Ausdruck der Newssparte der größten nationalen VRMMO-Infoseite MMO Tomorrow, kurz M-Tomo.

    Die Schlagzeile in fett gedruckten Lettern lautete: »Die dreißig Finalisten der dritten ›Bullet of Bullets‹-Meisterschaft in Gun Gale Online«.

    Nach einer knappen Einleitung waren die Namen aller Finalisten aufgezählt.

    Unter dem kurz geschnittenen Nagel von Suguhas Zeigefinger stand klar und deutlich: »F-Block, Platz 1: Kirito (neu)«. Ich warf einen schnellen Blick darauf und versuchte vergeblich, es zu überspielen: »Na so was, da hat jemand einen ähnlichen Namen wie ich.«

    »Der ist nicht einfach nur ähnlich, sondern genau der gleiche.« Unter ihrem akkurat geschnittenen Pony grinste sie mich forsch an. Sie hatte die resoluten, klaren Gesichtszüge einer Sportlerin.

    In der wirklichen Welt war sie eine Kendo-Kämpferin, die schon in ihrem ersten Jahr der Highschool als reguläres Mitglied der Schulmannschaft für die Wettkämpfe zwischen den Schulen und die große Gyokuryuki-Kendo-Meisterschaft ausgewählt worden war. Ein schwächliches Stadtkind wie ich konnte in Sachen Körperkraft nicht einmal annähernd mit ihr mithalten. In der virtuellen Welt des skillbasierten VRMMOs ALfheim Online spielte Suguha die Elfen-Schwertkämpferin Leafa, deren anmutige, beherzte Schwertstreiche manchmal sogar meinen unkonventionellen Stil bezwangen.

    Wenn wir anfangen würden, uns zu streiten, egal ob in der wirklichen oder der virtuellen Welt, würde mir daher nichts anderes übrig bleiben, als sie auf der Stelle um Verzeihung zu bitten. Für gewöhnlich musste ich mir darüber allerdings keine Sorgen machen. In dem Jahr seit meiner Rückkehr in die wirkliche Welt hatten wir unsere Entfremdung aus Kindertagen überwunden und standen uns näher als je zuvor. Selbst unser Vater, der über die Sommerferien nach Hause gekommen war, schien eifersüchtig zu sein.

    Da unsere Mutter wie üblich in der Redaktion aufgehalten wurde, hatten Suguha und ich für das Mittagessen an diesem Sonntag, den 14. Dezember 2025, eingekauft und gemeinsam Caesar Salad mit pochierten Eiern und Pilaw mit Meeresfrüchten zubereitet. Wir hatten in schönster Harmonie zusammen am Tisch gesessen und gegessen – bis sie diesen Ausdruck hervorgeholt hatte.

    »Tja … nun, ist wohl der gleiche Name, ja.«

    Ich riss meinen Blick von dem unübersehbar deutlich abgedruckten Namen »Kirito« los und stopfte mir die Kirschtomate in den Mund. Während ich darauf herumkaute, fügte ich nuschelnd hinzu: »Aber, na ja, es ist eben ein gewöhnlicher Name. Ich habe ja auch nur meinen echten Namen abgekürzt. Dieser Kirito aus GGO heißt vielleicht … Tougorou Kirigamine oder so ähnlich, wer weiß.«

    Diese fadenscheinige Ausrede versetzte meinem Herzen einen Stich, denn natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, meiner liebsten Schwester eine solch faustdicke Lüge aufzutischen. Es stimmte, dieser Kirito, auf dessen Namen ihr Finger wies, war zu hundert Prozent, ohne jeden Zweifel, mein eigener Avatar.

    Ich musste dies vor ihr geheim halten, da ich meinen Charakter aus seiner Heimatwelt ALO hatte konvertieren müssen, um am Bullet of Bullets, dem großen Turnier im Shooter-MMO Gun Gale Online, teilnehmen zu können.

    Die Konvertierung war eine Funktion aller VRMMOs, die auf der Plattform »The Seed« liefen, und erlaubte es dem Spieler, seinen Charakter aus einem Spiel in ein anderes zu übertragen, wobei die Stärke erhalten blieb. Solch ein System wäre bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

    Doch natürlich gab es Einschränkungen. Die größte bestand in der Regel, dass nur der Charakter selbst transferiert werden konnte, jedoch nicht Items oder Geld in seinem Besitz. Daher wurden Konvertierungen normalerweise nicht für kurze Ausflüge in ein anderes Spiel, sondern eher für permanente Wechsel genutzt.

    Suguha liebte die Elfenwelt, und wenn ich ihr nun erzählt hätte, dass ich von ALO in ein anderes Spiel umgezogen war, wäre sie zweifelsohne schockiert gewesen. Darüber hinaus war ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich ihr erklären sollte, warum ich Kirito zu GGO konvertiert hatte. Denn dieser Schritt hing vor allem mit dem zusammen, was als die Schattenseite der VRMMO-Welt bezeichnet werden musste.

    Ein Staatsbeamter namens Seijirou Kikuoka hatte mich mit einer Untersuchung in der Welt von GGO beauftragt. Ehemals hatte er zur SAO-Sondereinheit der Regierung gehört und war nun bei der Abteilung für Virtuelles des Ressorts für VR-Welten des Ministeriums für Innere Angelegenheiten und Kommunikation.

    Am Sonntag vor einer Woche hatte mich Kikuoka zu einem Treffen zitiert und mir von ein paar unerklärlichen Vorfällen erzählt.

    In einer Stadt innerhalb der Welt von GGO hatte jemand die Avatare anderer Spieler erschossen und diesen Akt als »richten« bezeichnet. Das allein wäre jedoch allenfalls ein böser Scherz oder Schikane gewesen. Doch die beiden Spieler, deren Avatare erschossen worden waren, hatten genau zum gleichen Zeitpunkt in der Wirklichkeit einen Herzinfarkt erlitten und waren gestorben.

    Es war nur ein Zufall. Dessen war ich mir zu neunzig Prozent sicher.

    Doch die restlichen zehn Prozent Unsicherheit, dass doch irgendetwas daran war, konnte ich einfach nicht abschütteln. Aus diesem Grund hatte ich Kikuokas mühseligen und gefährlichen Auftrag angenommen, mich in GGO einzuloggen und mit dem betreffenden Schützen in Kontakt zu treten.

    Da ich nicht die Zeit hatte, einen neuen Charakter aufzuziehen, hatte ich Kirito aus ALO konvertiert und an der gestrigen Qualifikation für das BoB-Turnier teilgenommen, um die Aufmerksamkeit des Schützen auf mich zu ziehen. Glücklicherweise hatte mir eine Spielerin, der ich gleich zu Beginn begegnet war, alle Grundlagen erklärt. Trotz einiger Schwierigkeiten in den für mich ungewohnten Kämpfen mit Schusswaffen war es mir gelungen, die Vorrunden zu gewinnen, und schließlich war ich sogar einem Mann begegnet, der der gesuchte Schütze zu sein schien.

    Noch war ungewiss, ob der Mann, der sich selbst »Death Gun« nannte, tatsächlich die Fähigkeit hatte, Spieler aus der virtuellen Welt heraus zu töten.

    Doch zumindest eines war ans Licht gekommen: Zwischen Death Gun und mir gab es eine gänzlich unerwartete Verbindung.

    So wie ich war auch Death Gun ein Überlebender aus SAO, jenem Spiel auf Leben und Tod. Und nicht nur das. Wahrscheinlich hatten er und ich früher einmal die Klingen gekreuzt in einem Kampf ums nackte Überleben …

    »Brüderchen, du machst schon wieder so ein böses Gesicht.«

    Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich fokussierte meinen Blick wieder, der ins Leere gerichtet gewesen war, und sah Suguha an, die besorgt die Stirn runzelte.

    Sie legte den ausgedruckten Artikel auf den Tisch, dann faltete sie die Hände und starrte mich direkt an. »Hör mal, ich weiß längst, dass du Kirito von ALO zu GGO konvertiert hast«, sagte sie, woraufhin ich erschrocken die Augen aufriss.

    Als meine ein Jahr jüngere Schwester das sah, lächelte sie vage, als würde sie mich komplett durchschauen. »Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass ich es nicht bemerken würde, wenn Kirito plötzlich von meiner Freundesliste verschwindet, oder?«

    »A… Aber ich hatte auch vor, nach diesem Wochenende wieder zurückzukonvertieren … und wer schaut schon jeden Tag in seine Freundesliste …«

    »Ich hätte es auch bemerkt, ohne hineinzusehen«, behauptete Suguha entschieden. In ihren Augen lag ein geheimnisvoller Glanz, und unpassenderweise wurde ich mir ihrer Weiblichkeit bewusst. Aus Scham über meine Gedanken und wegen meines schlechten Gewissens darüber, dass ich stillschweigend meinen Charakter konvertiert hatte, wandte ich den Blick ab.

    Sanfter fuhr sie fort: »Mir ist gestern Abend aufgefallen, dass Kirito verschwunden war. Ich habe mich sofort ausgeloggt und wollte schon fast in dein Zimmer stürmen. Aber du würdest nicht einfach grundlos aus ALO verschwinden, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich dachte mir, dass du schon deine Gründe gehabt haben musst, also habe ich erst mal Asuna kontaktiert.«

    »Oje«, murmelte ich und zog den Kopf noch etwas weiter ein.

    Nur Asuna Yuuki und unserer »Tochter«, der AI Yui, hatte ich erzählt, dass ich von ALO zu GGO konvertieren würde. Denn vor Yui, die immerhin über eingeschränkte Systemrechte in ALO verfügte, hätte ich mein Verschwinden nicht für zwei Sekunden, geschweige denn für zwei ganze Tage verbergen können.

    Zudem mochte Yui es nicht, wenn ich etwas vor Asuna verheimlichte. Vermutlich hätte sie es akzeptiert, wenn ich ihr erklärt hätte, dass ich meine Gründe hatte, doch bei dem Gedanken, dass solch eine Aussage ihr Kernprogramm belastete, hatte ich es nicht über mich gebracht.

    Also hatte ich Asuna und Yui lediglich mitgeteilt, dass ich im Auftrag von Seijirou Kikuoka zwecks einer Untersuchung des Aufbaus von The Seed in die Welt von GGO gehen musste. Den eigentlichen Inhalt der Untersuchung konnte ich ihnen beim besten Willen nicht sagen: die Schüsse von Death Gun im Spiel und die zwei Toten in der Wirklichkeit, die damit zusammenhingen …

    Es war vollkommen absurd. Aber ich konnte das Unbehagen nicht verleugnen, das mir diese verrückte Geschichte bereitete. Und das war auch der Hauptgrund, aus dem ich Suguha und meinen anderen Freunden nicht von meiner Konvertierung erzählen konnte.

    Ich hielt den Blick gesenkt, als ich einen Stuhl über den Boden scharren hörte.

    Leise Schritte. Dann legten sich zwei Hände auf meine Schultern. »Brüderchen …«, flüsterte Suguha und lehnte ihren Körper an meinen Rücken. »Asuna hat gesagt, du würdest dich in GGO nur einmal austoben und dann gleich zurückkommen. Aber sie wirkte besorgt. Und ich bin es auch. Ich meine … als du gestern spätabends nach Hause gekommen bist, hast du ein schrecklich grimmiges Gesicht gemacht.«

    »Hab ich das …?«

    Ich konnte ihr nicht mehr sagen. Suguhas kurze Haare kitzelten meinen Nacken. Dicht an meinem linken Ohr hörte ich sie seufzen. »Du … du machst doch keine gefährlichen Sachen, oder? Ich will nicht, dass du wieder irgendwohin verschwindest …«

    »Werde ich nicht«, sagte ich, dieses Mal laut und deut-lich. Ich legte meine Hand auf ihre kleine, die auf meiner linken Schulter ruhte. »Das verspreche ich dir. Wenn das Turnier-Event in GGO heute Abend vorbei ist, komme ich wieder zurück. Nach ALO … und nach Hause.«

    »Okay …« Ich spürte, wie sie nickte, und für einen Moment blieb sie reglos an mich gelehnt stehen.

    Die zwei Jahre meiner Gefangenschaft in SAO hatten ihr großen Kummer bereitet, und sie wieder derart zu beunruhigen, war unverzeihlich von mir.

    Ich hatte immer noch die Option, Seijirou Kikuoka eine E-Mail zu schicken, dass ich den Auftrag abbrechen würde, und dann alles zu vergessen. Aber nachdem ich die gestrige Qualifikation bestritten hatte, war das aus zwei Gründen schwierig geworden.

    Zum einen hatte ich Sinon eine Revanche versprochen, der Scharfschützin mit dem riesigen Gewehr, die mir alles so freundlich erklärt hatte, solange sie mich für einen weiblichen Spieler gehalten hatte.

    Und der zweite Grund war die Verbindung zwischen mir und Death Gun.

    Ich musste diesem Mann im grauen Umhang erneut gegenübertreten und mich vergewissern. Ich musste seinen früheren Namen und die Namen seiner zwei Kameraden, die ich getötet hatte, herausfinden. Es wäre meine Pflicht gewesen, das gleich nach meiner Rückkehr in die Wirklichkeit zu tun …

    Ich tätschelte Suguhas Hand auf meiner Schulter und fügte hinzu: »Keine Sorge, ich werde auf jeden Fall zurückkommen. Jetzt lass uns essen, bevor es kalt wird.«

    »Ja«, pflichtete sie mir etwas entschlossener als zuvor bei. Sie drückte für einen Moment fest meine Schultern und ließ dann los.

    Mit kleinen Schritten kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück, und nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, machte sie ihr gewohnt munteres Gesicht. Suguha stopfte sich einen großen Bissen Pilaw in den Mund und schwenkte den Löffel dann leicht. »Übrigens, Brüderchen …«

    »Hm …?«

    »Ich habe von Asuna gehört, dass dieser Job richtig gut bezahlt wird.«

    »Urgs.« Vor meinem inneren Auge erschienen mit einem Katsching das von Kikuoka versprochene Honorar von 300.000 Yen und der PC mit den allerneuesten Spezifikationen, den ich mir von dem Geld kaufen wollte. Ich befand, dass ich wohl notgedrungen die Speicherkapazität etwas verringern musste, und neigte den Kopf. »Ja, okay, ich geb dir aus, was du willst.«

    »Jippieh! Weißt du, ich wünsche mir schon lange ein Shinai* aus Nanocarbon!«

    Um den Berufsverkehr zu umgehen, brach ich schon um drei Uhr nachmittags mit meiner Schrottmühle auf.

    Ich fuhr auf der Kawagoe-Schnellstraße nach Osten, durch Ikebukuro und weiter auf der Kasuga-Straße zum Stadtzentrum. In Hongo bog ich nach Süden ab, um vom Bunkyo- zum Chiyoda-Bezirk zu gelangen, und ein paar Minuten später tauchte mein Ziel, die Allgemeinklinik, vor mir auf.

    Ich war erst am Vortag hier gewesen, aber es fühlte sich an wie eine ferne Erinnerung.

    Der Grund war offensichtlich. Als ich letzte Nacht endlich in mein Bett gefallen war, hatte ich keinen Schlaf gefunden. Mit offenen Augen hatte ich in der Dunkelheit gelegen und an die Vergangenheit gedacht. Immer wieder war ich im Geiste alle Einzelheiten der dramatischen Vernichtung der PK-Gilde »Laughing Coffin« in SAO durchgegangen – Erinnerungen, die ich lange verdrängt und vergessen geglaubt hatte.

    Um vier Uhr morgens gab ich den Versuch, einzuschlafen, auf, setzte mein AmuSphere auf und machte einen Full Dive in einen lokalen VR-Raum. Ich rief meine »Tochter« Yui von ihrem PC im LAN auf und unterhielt mich mit ihr über Belanglosigkeiten, bis ich endlich irgendwann einschlief. Aber ich fand keinen tiefen Schlaf mehr und träumte einen langen Traum.

    Zum Glück erinnerte ich mich kaum an den Inhalt, doch seit dem Aufwachen bis jetzt echote ein einziger Satz in meinen Ohren: Bist du Kirito?

    Es waren die Worte, die mir der mutmaßliche Death Gun während des Qualifikationsturniers für das BoB zugeflüstert hatte.

    Und gleichzeitig war es die Frage der zwei – nein, drei mit Asunas Leibwache – Mitglieder von Laughing Coffin, die ich mit meinem eigenen Schwert getötet hatte.

    Bist du es? Bist du der Kirito, der uns getötet hat?

    Ob am Veranstaltungsort der BoB-Qualifikation oder in meinem Traum, ich konnte diese Frage nicht bejahen.

    Ob ich diesem geisterhaften Mann in der Hauptrunde heute Abend um acht Uhr erneut gegenüberstehen würde? Wenn er mir wieder die gleiche Frage stellte, müsste ich dieses Mal zustimmen.

    Aber momentan fehlte mir dazu noch das Selbstvertrauen. »Wenn ich das gewusst hätte …«

    … hätte ich Kirito nicht von ALO konvertiert, sondern mit einem neu erstellten Charakter den Dive nach GGO gemacht.

    Ich lächelte bitter über meine eigene Sturheit, während ich mein Motorrad anhielt, und ging zur stationären Abteilung des Krankenhauses.

    Da ich eine E-Mail geschickt hatte, bevor ich das Haus verlassen hatte, fand ich die Krankenschwester Aki bereits im selben Zimmer wie gestern vor. Ihre Haare waren wieder zu einem lockeren Zopf geflochten, doch heute trug sie eine randlose Brille auf der Nase. Sie saß auf einem Stuhl neben dem Bett, die langen Beine übereinandergeschlagen, und blickte auf ein unzeitgemäßes Taschenbuch aus Papier. Als ich die Tür öffnete, klappte sie ihr Buch schwungvoll zu und sah lächelnd zu mir auf.

    »Hey, du bist ja früh dran, Kleiner.«

    »Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen wieder Arbeit mache, Aki.«

    Ich nickte ihr zu und warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war noch nicht mal vier, also blieben noch über vier Stunden bis zum Beginn des BoB, aber ich war nicht so wenig lernfähig, dass ich mich wieder erst kurz vor Anmeldeschluss eingeloggt hätte, um dann in kalten Schweiß gebadet zum Turnier zu hetzen. Ich wollte mich lieber schon früher einloggen und vielleicht noch den Kampf mit Schusswaffen trainieren.

    Während ich meine Jacke auf einen Kleiderbügel hängte, sagte ich zu Aki: »Der Wettkampf geht eigentlich erst um acht Uhr richtig los, also reicht es, wenn Sie mein EKG ab dann überwachen.«

    Die Krankenschwester in ihrer weißen Uniform reagierte mit einem kurzen Schulterzucken. »Schon gut, ich habe heute ohnehin eine Freischicht nach dem Nachtdienst. Ich werde bei dir bleiben, solange es eben dauert.«

    »Oh … da habe ich erst recht ein schlechtes Gewissen …«

    »Ach ja? Dann leg ich mich vielleicht ein bisschen zu dir, wenn ich müde werde«, erwiderte sie und zwinkerte mir zu. Als VRMMO-Junkie hatte ich nur wenige Erfahrungspunkte im wirklichen Leben, also konnte ich nur vor mich hin stammeln und beschämt den Blick senken. Als Aki das sah, lachte sie hell auf. Sie hatte mich in meinen schwächsten Momenten während meiner Rehabilitation begleitet, gegen sie würde ich nicht ankommen.

    Um meine Verlegenheit zu verbergen, ließ ich mich auf das Bett fallen und sah erst zu dem imposanten Überwachungsgerät daneben und dann zu der Kopfbedeckung mit den zwei silbernen Ringen – dem AmuSphere –, die auf dem Kopfkissen ruhte.

    Kikuoka hatte ein brandneues Gerät bereitgestellt, dessen Außengehäuse mit Aluminiumpolitur und Innenverkleidung aus Kunstleder noch makellos waren. Verglichen mit dem NerveGear, das ein plumper Helm war, hatte das AmuSphere ein bei Weitem eleganteres Design und war schon fast mehr ein Schmuckgegenstand als ein Elektrogerät.

    Gemäß dem Herstellermotto »Garantierte Sicherheit« war seine Hardware zudem so konstruiert, dass von diesem Gerät keine tödlichen, sondern nur extrem schwache Mikrowellen generiert werden konnten.

    Daher gab es logisch betrachtet keine Notwendigkeit, in einem Krankenhaus mit Elektroden an ein EKG-Gerät angeschlossen und dazu noch permanent von einer Krankenschwester überwacht zu werden. Egal mit welchen Mitteln, die Wahrscheinlichkeit, dass ich durch das AmuSphere verletzt werden würde, lag bei null. Sie war nicht existent.

    Trotzdem waren die berühmten GGO-Spieler XeXeeD und Usujio Tarako unbestreitbar tot.

    Death Gun, der virtuelle Patronen auf ihre Avatare abgefeuert hatte, war früher in der Welt von SAO ein roter Spieler, ein Player Killer gewesen – jemand, der bewusst andere Menschen tötete.

    Was, wenn es in der Full-Dive-Technologie einen bislang unbekannten Risikofaktor gab?

    Was, wenn zum Beispiel ein Spieler, der in der einzigartigen Welt von SAO andere Menschen getötet hatte, gelernt hatte, für die virtuelle Umgebung optimierte, digitale Gefühle von Mordlust und Hass zu entfesseln, die vom AmuSphere in Daten umgewandelt wurden, durch das Netzwerk reisten, schließlich als irgendein Signal in das Nervensystem der Zielperson drangen … und deren Herz tatsächlich zum Stillstand brachten?

    Unter dieser Annahme wäre es auch möglich, dass durch Death Guns Angriffe in GGO die Spieler in der Wirklichkeit starben.

    Zugleich war es dann auch denkbar, dass Kiritos virtuelles Schwert Death Gun oder jemand anderen töten konnte.

    Denn auch ich hatte in Aincrad andere Spieler umgebracht. Und vielleicht hatte ich sogar mehr getötet als der Großteil der PK-Spieler.

    Bisher hatte ich bewusst versucht, die Leute zu vergessen, die durch mein Schwert ihr Leben verloren hatten. Doch gestern hatte sich der Deckel auf diesen Erinnerungen schließlich wieder geöffnet.

    Ich hatte sie niemals wirklich vergessen können. Im letzten Jahr hatte ich nur die Augen davor verschlossen und so getan, als würde ich sie nicht sehen. Die Schwere meiner Schuld, die ich hätte ertragen und sühnen müssen …

    »Was ist los, Kleiner, warum schaust du so böse?« Plötzlich tippte die Spitze eines weißen Slippers gegen mein Knie.

    Vor Schreck verkrampften sich meine Schultern, und ich sah zu Aki auf, die mich durch ihre randlose Brille mit einem sanften Blick bedachte.

    »Ach … es ist nichts …« Ich schüttelte leicht den Kopf, biss mir dann aber auf die Lippe. Erst vor wenigen Stunden hatte ich aus genau demselben Grund Suguha Sorgen bereitet, und nun tat ich das Gleiche bei Aki, die sich wegen dieses mühseligen Auftrags um mich kümmern musste. So erbärmlich konnte ich doch wohl nicht sein.

    Doch die Krankenschwester schenkte mir das gleiche Lächeln, mit dem sie mich schon während meiner Rehabilitation ermutigt hatte, stand vom Stuhl auf und kam herüber zu mir.

    »Du hast hier die einmalige Gelegenheit zu einer kostenlosen Beratung bei einer hübschen Krankenschwester, also schütte mir ruhig dein Herz aus!«

    »Ich schätze, wenn ich das ausschlage, wird es mir noch leidtun, was?«

    Ich stieß einen langen Seufzer aus und blickte zu Boden. Nach kurzem Zögern fragte ich: »Also … vor Ihrer Arbeit in der Abteilung für Rehabilitation waren Sie doch in der Chirurgie, oder?«

    »Ja, wieso?«

    »Na ja, die Frage ist vielleicht unhöflich oder vollkommen taktlos …« Ich blickte kurz zu ihr und fragte mit noch leiserer Stimme: »Wie gut erinnern Sie sich noch an die Patienten, die verstorben sind …?«

    Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie mich für diese Frage zurechtgewiesen oder zumindest entsetzt angesehen hätte. Ich an ihrer Stelle hätte mich gefragt, warum ein Kind, das keine Ahnung von der Arbeit in der Medizin hatte, meinte, so klug daherreden zu müssen.

    Doch Aki lächelte unbeirrt weiter. Nachdenklich blickte sie zur weißen Zimmerdecke auf und begann dann langsam zu sprechen: »Wenn ich versuche, mich zu erinnern, fallen mir die Gesichter und Namen wieder ein. Sogar die Patienten, mit denen ich nur für eine Stunde im selben Operationssaal war … ja, ich erinnere mich an sie. Seltsam, dabei habe ich nur ihre schlafenden Gesichter gesehen, während sie unter Narkose standen.«

    Das bedeutete also, dass bei Operationen, bei denen Aki assistiert hatte, Patienten gestorben waren … Obwohl mir bewusst war, dass man dieses Thema nicht leichtfertig ansprechen sollte, platzte die Frage aus mir heraus: »Hatten Sie nie den Wunsch, sie zu vergessen?«

    Als hätte Aki irgendetwas in meinem Gesichtsausdruck erkannt, blinzelte sie zweimal. Doch das Lächeln verschwand nicht von ihren blassroten Lippen.

    »Hmm … nun ja. Ich weiß nicht, ob das deine Frage beantwortet, aber …«, setzte sie an und fuhr dann mit etwas rauerer Stimme fort: »Wenn man etwas vergessen sollte, wird man es auch vergessen, denke ich. Ohne sich auch nur zu wünschen, es zu vergessen. Denn je öfter man sich wünscht, etwas zu vergessen, desto mehr festigt sich diese Erinnerung, nicht wahr? In dem Fall hält man es im Grunde seines Herzens … also unbewusst wohl für etwas, das man nicht vergessen darf.«

    Bei dieser unerwarteten Antwort sog ich scharf die Luft ein.

    Je mehr man etwas vergessen wollte, desto weniger sollte man es eigentlich vergessen …?

    Während die Worte in mein Bewusstsein drangen, bildete sich ein bitterer Geschmack in meinem Mund, der sich zu einem sarkastischen Grinsen formte, als ich hervorstieß: »Dann bin ich ein schrecklicher Mensch …«

    Um Akis fragendem Blick auszuweichen, sah ich auf den Boden zwischen meinen Füßen. Ich verschränkte meine Arme fest auf meinen Knien und presste die Worte hervor: »Ich habe in SAO drei Spieler … nein, Menschen getötet.«

    Meine heisere Stimme hallte von den weißen Wänden wider, und ihr Echo klang seltsam verzerrt. Tatsächlich echote es wohl nur in meinem Kopf.

    Während meines stationären Krankenhausaufenthalts für die Rehabilitation im November und Dezember letzten Jahres war Aki als Krankenschwester für mich zuständig gewesen. Daher wusste sie, dass ich zwei Jahre lang in der virtuellen Welt gefangen gewesen war. Aber bisher hatte ich ihr nie von den Geschehnissen innerhalb dieser Welt erzählt.

    Jemand, dessen Arbeit darin bestand, Menschenleben zu retten, musste es abscheulich finden, wenn jemandem das Leben genommen wurde – ganz gleich aus welchen Gründen. Aber ich konnte die hervorsprudelnden Worte nicht mehr stoppen. Ich ließ den Kopf noch tiefer hängen und sprach mit trockener Stimme weiter: »Sie alle waren rote Spieler … also Mörder, aber ich hätte die Wahl gehabt, sie einfach unschädlich zu machen, ohne sie zu töten. Stattdessen habe ich sie getötet. Ich habe sie aus Wut und Frust … einfach nur aus Rachsucht getötet. Und ich habe sie im letzten Jahr total vergessen. Nicht einmal jetzt, wenn ich darüber rede, kann ich mich an die Gesichter oder Namen von zwei von ihnen erinnern. Das macht mich also zu jemandem … der die Menschen vergisst, die er eigenhändig umgebracht hat.«

    Als ich verstummte, füllte eine drückende Stille das Zimmer.

    Nach einer Weile nahm ich das Rascheln von Kleidung und ein Schwanken der Matratze wahr. Ich dachte, Aki würde von ihrem Platz links neben mir aufstehen und den Raum verlassen.

    Doch das war nicht der Fall. Plötzlich legte sich eine Hand um meinen Rücken auf meine rechte Schulter und zog mich mit einem Ruck kräftig heran. Ich erstarrte, als mein Körper sich gegen ihre weiße Uniform drückte. Ich spürte ihren Atem, als sie mir aus nächster Nähe mit ruhiger Stimme zuflüsterte: »Tut mir leid, Kazuto. Ich sagte zwar, du würdest eine Beratung von mir bekommen, aber ich kann die schwere Last, die du trägst, weder von dir nehmen noch kann ich sie mit dir teilen.«

    Sie nahm die Hand von meiner Schulter und strich mir durchs Haar.

    »Ich habe weder Sword Art Online noch irgendein anderes VR-Spiel je gespielt … daher kann ich nicht abschätzen, wie schwerwiegend diese ›Morde‹ waren, von denen du gesprochen hast. Aber eines weiß ich. Du hast es getan oder vielmehr musstest es tun, um jemand anderen zu retten, nicht wahr?«

    »Äh …«

    Wieder kamen ihre Worte gänzlich unerwartet für mich.

    Um jemanden zu retten. Dieser Faktor hatte sicherlich auch eine Rolle gespielt. Und dennoch …

    »Auch in der Medizin gibt es Situationen, in denen man sich für ein Leben entscheiden muss. Man muss das Baby aufgeben, um die Mutter zu retten. Man gibt den hirntoten Patienten auf, um denjenigen zu retten, der auf eine Transplantation wartet. Bei großen Unfällen oder Katastrophen wird manchen Patienten nach der Triage Priorität gegeben. Natürlich bedeutet das nicht, dass man jemanden töten darf. Das Gewicht eines verlorenen Lebens bleibt immer gleich, egal unter welchen Umständen. Aber … jeder, dem so etwas widerfährt, hat das Recht, an die dadurch geretteten Leben zu denken. Auch du. Du hast das Recht, dich selbst zu retten, indem du dich an die Menschen erinnerst, die du gerettet hast.«

    »Das Recht … mich selbst zu retten?«, flüsterte ich heiser, dann schüttelte ich heftig den Kopf, auf dem immer noch Akis Hand lag. »Aber … aber ich habe diejenigen vergessen, die ich getötet habe. Ich habe auf diese Bürde … auf meine Verantwortung gepfiffen. Also habe ich kein Recht auf Rettung …«

    »Wenn du sie wirklich vergessen hättest, würdest du nicht so sehr darunter leiden«, erwiderte Aki entschieden und legte ihre Hand auf meine Wange, um mein Gesicht zu ihr zu drehen. Ein starkes Licht glomm in ihren Mandelaugen hinter den Brillengläsern. Erst als ihr Daumen mit dem kurzen Fingernagel über meinen Augenwinkel wischte, bemerkte ich, dass mir Tränen in die Augen gestiegen waren.

    »Du erinnerst dich an sie. Wenn der richtige Moment dafür kommt, wird dir alles wieder einfallen. Und dann musst du dich auch an all die Menschen erinnern, die du beschützt und gerettet hast«, flüsterte sie und legte ihre Stirn an meine.

    Die kühle Berührung verlangsamte den Strudel an bedrückenden Gedanken in meinem Kopf. Ich entspannte mich und schloss die Augen.

    Ein paar Minuten später lag ich auf dem Bett, mit Gel-Elektroden für das Überwachungs-EKG auf meinem nackten Oberkörper, und hob das AmuSphere hoch.

    Die kalte Last der Furcht und Gewissensbisse, die mich seit dem Vorabend geplagt hatte, fühlte sich jetzt weit entfernt an. Aber wenn ich in Gun Gale Online wieder diesem Death Gun begegnen sollte, würde sie gleich wieder da sein und mich erdrücken.

    Ich setzte mir das VR-Interface auf, das so schwer wie Gusseisen wirkte. Sobald ich es einschaltete, verkündete ein Ton das Ende des Stand-by-Betriebs. Ich blickte zur Seite und sprach zu Aki neben dem Überwachungsmonitor: »Danke schon mal, dass Sie auf mich aufpassen. Und wegen gerade … danke schön.«

    »Ach was, das war doch nicht der Rede wert«, antwortete die Krankenschwester resolut und legte eine dünne Decke über meinen Körper. Ich atmete den sauberen Geruch von Seife ein und schloss fest die Augen.

    »Ich denke nicht, dass vor acht Uhr irgendwas passieren wird … Wahrscheinlich werde ich mich gegen zehn Uhr wieder ausloggen. Also dann, bis später … Link Start!«

    Ein regenbogenfarbenes Licht breitete sich strahlenförmig vor mir aus und umgab mich.

    Bevor meine fünf

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