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Wo sind wir hier eigentlich?: Österreich im Gespräch
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eBook215 Seiten2 Stunden

Wo sind wir hier eigentlich?: Österreich im Gespräch

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Über dieses E-Book

Was haben Heide Schmidt und Armin Wolf, Adele Neuhauser und Lisz Hirn oder Heinz Fischer und Andreas Treichl gemeinsam? Sie sind Akteure in dem Stück, das sich "Österreich" nennt – aber Österreich, was ist das eigentlich? Und wie viele? Worauf sind wir stolz und worauf weniger? Was können wir gut und was besser?
Anlässlich des 15. Geburtstages wagt die Redaktion von DATUM, Österreichs Monatsmagazin für Politik und Gesellschaft, ein publizistisches Experiment: Österreich in einem Stück. In drei Akten kommen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie Kunst und Sport im Laufe eines Tages zusammen, um über die Idee Österreich, Herkunft und Zukunft des Landes zu sprechen. Ein Stammtisch, an dem Gegensätze aufeinandertreffen, diskutiert und manchmal sogar vereint werden. Das Ergebnis erscheint verdichtet als Buch, mit dem Ziel einen breiten öffentlichen Diskurs anzustoßen.
Ob Tragödie oder Komödie, Lustspiel oder Publikumsbeschimpfung – das Ergebnis ist in jedem Fall eine Überraschung!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum6. Sept. 2019
ISBN9783710604133
Wo sind wir hier eigentlich?: Österreich im Gespräch

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    Buchvorschau

    Wo sind wir hier eigentlich? - Christian Brandstätter Verlag

    Zach

    1. Akt

    Woher wir kommen.

    Über kollektive Altlasten und kulturelles Erbgut, Ich-Schwäche und Gruppenidentität, die uneigentliche Rede und Gottvergessenheit

    1. Szene

    Handelnde Personen:

    Barbara Coudenhove-Kalergi (*1932), Journalistin

    Konrad Paul Liessmann (*1953), Philosoph

    Florian Scheuba (*1965), Kabarettist

    Anneliese Rohrer (*1944), Journalistin

    Hannes Androsch (*1938), Unternehmer und ehem. SPÖ-Politiker

    Andreas Salcher (*1960), Unternehmensberater und Buchautor

    Terezija Stoisits (*1958), Volksanwältin a.D. und ehem. Grünen-Politikerin

    (v. o. li. n. u. re.)

    Barbara Coudenhove-Kalergi, Konrad Paul Liessmann, Anneliese Rohrer und Florian Scheuba sitzen am Tisch.

    DATUM: Willkommen am Beginn eines langen Gespräches. Wir diskutieren heute neuneinhalb Stunden lang über Österreich.

    COUDENHOVE-KALERGI: Gut, dass wir jetzt schon da sind, es wird euch schon fad sein am Ende.

    DATUM: Im ersten Akt begeben wir uns unter anderem auf die Suche nach Antworten auf die Frage, woher wir kommen. Als Republik, als Land, als Gesellschaft. Wo, Frau Coudenhove-Kalergi, würden Sie die Erzählung über Österreich beginnen?

    COUDENHOVE-KALERGI: Das ist eine spannende Frage, weil wir auf der einen Seite natürlich die Erben des Vielvölkerstaates, die Erben der multinationalen Donaumonarchie sind. Und auf der anderen Seite sind wir das kleine Österreich. Eine der Fragen, die sich heute stellt: Sind wir jetzt nur das kleine Österreich oder sind wir auch ein Teil Europas? Zu meinem Schlüsselerlebnis: Ich komme aus Böhmen, bin als 13-Jährige nach Österreich gekommen, und zwar in den Lungau. Das war unmittelbar nach dem Krieg. Als Kind wurde mir gesagt: Du bist jetzt das Alpenmädchen aus den Bergen, trägst ein Dirndl und Österreich ist deine Heimat. Und zwar das kleine Österreich. Wir haben damals 850 Jahre „Ostarrichi" gefeiert. Das war eine eigentlich ziemlich belanglose Urkunde, die vor 850 Jahren hergestellt worden ist. Irgendeine Fläche Land wurde an ein Stift bei Neuhofen an der Ybbs verkauft, ich hatte natürlich keine Ahnung, wo das ist, aber wir mussten das jetzt feiern. Die Idee war natürlich, eine neue Identität zu schaffen nach der Nazizeit. Es musste ein Fest gefunden werden, ein Identitätsmerkmal, das nichts mit Nazideutschland oder der Monarchie zu tun hat, also das Kleinstmögliche. Damit ist meine Generation aufgewachsen. Jetzt kommt natürlich die europäische Dimension dazu, und ich glaube, viele von den Problemen, die wir jetzt haben, also Identität, Zuwanderung, Vielfalt, das Sich-Zurückzuziehen auf das Eigene, das alles resultiert aus diesem Spannungsfeld. Deswegen stehen wir heute vor einer interessanten Zeitenwende für Österreich.

    DATUM: Herr Liessmann, wir stehen auf den Schultern von Menschen, die vor uns kamen, aber sozusagen auch von Ideen. Worauf fußen wir als Gesellschaft ideengeschichtlich?

    LIESSMANN: Das ist natürlich nicht ganz einfach. Gerade auch weil wir, Frau Coudenhove-Kalergi hat es ja bereits ausgeführt, durch die etwas komplizierte Herkunftsgeschichte Österreichs auch eine etwas komplizierte Ideengeschichte haben. Es gibt ja die Theorie, dass die Gegenreformation für das geistige Umfeld und das Lebensgefühl in Österreich bestimmend war. Das liegt jetzt zwar schon Jahrhunderte zurück, setzt sich aber mentalitätsmäßig fort, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Das Zweite ist natürlich, dass Österreich, das mag auch mit einer barocken Tradition zu tun haben, ein in hohem Maße ästhetisch geprägtes Land ist. Das heißt also, dass bestimmte Fragen der Form, der Präsentation, der Inszenierung für dieses Land wichtiger waren als für andere Kulturen. Und das reicht tatsächlich von der Zelebration bestimmter öffentlicher Ereignisse bis hin zur sprichwörtlichen „schönen Leich’" in Wien, also dem vollendeten Begräbnis. Das Dritte ist natürlich das ambivalente Verhältnis der österreichischen Kultur, des österreichischen Denkens zu den Ideen der Aufklärung. Österreich war hier nicht führend beteiligt, gleichzeitig haben wir mit dem Josephinismus ein spezielles Modell von praktizierter Aufklärung etabliert, von dem ich glaube, dass es vor allem für bestimmte politische Bewegungen in Österreich nach wie vor hochattraktiv ist: vernünftig zu sein, alles für das Volk zu tun, aber möglichst wenig durch das Volk selbst geschehen zu lassen. Ein bestimmter linker Paternalismus fußt zweifellos in dieser josephinischen Tradition, die ihre guten und schlechten Seiten hat. Was Aufklärung, was Moderne betrifft, darf man nicht vergessen: Österreich war um 1900 ein Experimentierfeld der Moderne und der modernen Ideen. Natürlich auf ästhetischem Gebiet – man braucht ja nur an die großen Künstler dieser Zeit denken: Es gäbe keinen modernen Roman ohne Robert Musil, es gäbe keine moderne Malerei ohne Klimt oder Schiele, es gäbe keinen europäischen Jugendstil ohne spezifische österreichische Ausprägungen. Aber es gäbe auch keine moderne Naturwissenschaft ohne Beteiligung der Österreicher. Man denke an Ludwig Boltzmann oder andere. Es gäbe keine moderne Philosophie ohne Ludwig Wittgenstein. Und dann gibt es natürlich, wenn wir bei geistigen Wurzeln sind, ein unglaublich interessantes Phänomen, nämlich das Phänomen Sigmund Freud und die Entdeckung der Psychoanalyse. Die hat auf der einen Seite, wie soll ich’s sagen, das österreichische Bewusstsein so sehr geprägt, dass jeder Sportler heute davon sprechen kann, dass im Unterbewusstsein die Angst mitfährt am Hahnenkamm. Und gleichzeitig ist die Geschichte der Psychoanalyse selbst auch die Geschichte einer Verdrängung, denn auf akademischem Boden spielt die Psychoanalyse in Österreich überhaupt keine Rolle mehr. Österreich ist, glaube ich, das einzige Land der Welt, das keinen Lehrstuhl für Psychoanalyse hat. Das könnte man wieder symbolisch nehmen für unser höchst gespanntes und ambivalentes Verhältnis zu unserer eigenen Tradition. Die Frage der Identitätsbildung nach 1918 war keine einfache. Die Erste Republik stand ja noch unter dem Schock des Zerfalls. Das Bekenntnis zu Österreich hielt sich, wie wir wissen, in Grenzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den politisch motivierten Wunsch, diese Zweite Republik in ihrer Kleinheit zu erhalten. Aus dieser Kleinheit heraus entstanden natürlich auch bestimmte Ressentiments gegenüber den großen geistigen Traditionen, die das Vorkriegsösterreich gekennzeichnet und ausgezeichnet hatten. Die Zweite Republik, besonders die 50er Jahre, waren eine reaktionäre, kleinbürgerliche Idylle, gegen die dann erst der Wiener Aktionismus, die Wiener Gruppe auftreten musste. Popkultur, revolutionäre Ideen mussten nach Österreich importiert werden, aus Deutschland, aus Amerika, damit man in unserem Land überhaupt das Gefühl hatte, dass etwas weitergeht. Dieses beschriebene Spannungsverhältnis macht die heutige österreichische geistige Mentalität aus.

    DATUM: Der von Ihnen beschriebene Paternalismus ist in Österreich links wie rechts zu finden?

    LIESSMANN: Paternalismus ist ja eigentlich ein Wesensmerkmal des Konservativismus. Das heißt, das Patriarchat, oder auch der Kaiser, der sich als Kaiser von Gottes Gnaden fühlt, hatte die Aufgabe, sich um seine Untertanen zu kümmern, wie sich eben ein guter Vater um seine Kinder kümmert. Die linke Bewegung beruft sich auf die menschenrechtliche Tradition der Aufklärung, auf die Ideen der Französischen Revolution. In Österreich aber gibt es so wunderbare Formulierungen wie „Joseph II. und seine linken Jakobiner". Das waren aber Hofräte. Ein Jakobiner in Österreich konnte ein Hofrat sein, das gab es in Frankreich oder Deutschland so nicht. Man sagt mit Recht, dass das Scheitern der Revolution von 1848 für das Demokratiebewusstsein in Österreich sicher ein Problem war. Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen, dass dieses Scheitern eine ganz bestimmte Form von politischer Aufklärung in Österreich etabliert hat, die dann eben nicht mehr erwartete, dass die großen Veränderungen von unten kommen, sondern die gesagt hat: Wenn wir verändern wollen, und das wollen wir, dann müssen wir die großen Reformen von oben einsetzen. Man konnte das sehr gut bei Kreisky sehen: Auf der einen Seite gab es eine der reformfreudigsten Regierungen, die Österreich je hatte. Und auf der anderen Seite herrschte eine tiefe Skepsis gegenüber allen Bewegungen, die von unten gekommen sind. Das betraf die eigene Partei genauso. Kreisky war kein Fan des VSStÖ und schon gar nicht von anderen linken Gruppierungen.

    DATUM: Herr Scheuba, gibt es einen spezifisch österreichischen Humor, und falls ja, was sagt der über uns?

    SCHEUBA: Es gibt meiner Meinung nach sehr wohl eine Eigenart des Humors, die typisch österreichisch ist. Das ist die uneigentliche Rede. Wenn wir das vergleichen mit unseren gleichsprachigen Nachbarn, stellen wir fest, dass es das in dieser Form in anderen Ländern nicht gibt, zumindest in anderen deutschsprachigen Ländern. Und das wird auch im Ausland als exotisch wahrgenommen, es sorgt immer wieder für Missverständnisse.

    DATUM: Was wäre ein Beispiel für die uneigentliche Rede?

    SCHEUBA: Auf einer Bühne spielst du eine Figur, die etwas sagt, das nicht deine Meinung ist. Sondern du karikierst etwas. Das ist in Deutschland schon etwas schwieriger in der Wahrnehmung. In Deutschland wird gleich hinterfragt, na, wie meint er das jetzt? Meint er das selber? Wieso sagt er das? In Österreich ist es sofort klar: Wenn ich auf eine Bühne gehe und gewisse Sachen in einer Art Tonfall oder in einer Figur sage, wird verstanden, dass ich nicht als privater Mensch diese Meinung habe, sondern dass das jetzt auf einer Metaebene funktioniert. Das ist eine spezifische österreichische Humorausformung. Konkret so etwas wie der Herr Karl. Niemand wäre auf die Idee gekommen zu sagen, Helmut Qualtinger sagt uns hier seine Meinung. Oder Helmut Qualtinger erzählt aus seinem Leben. Sondern es war klar, wie es gemeint ist. In Deutschland wäre das zu diesem Zeitpunkt etwas schwieriger gewesen. Da hätte sich der Qualtinger davor noch erklären müssen, klar sagen müssen, ich schlüpfe jetzt in die Rolle dieser Figur und erzähle aus ihrem Leben.

    DATUM: Inwiefern ist diese spezifische Ausprägung des Humors ein Ergebnis dieses Obrigkeitsdenkens, das vorhin angeklungen ist? Oder ist es ein Ventil dafür?

    SCHEUBA: Es ist ein naheliegender Gedanke, dass diese Art des Humors dort seine Wurzeln hat. Ich glaube, die uneigentliche Rede gehört auch mittlerweile zum Inventar dazu, um sich österreichisch zu fühlen. Also wenn jemand komplett schmähbefreit ist, wie man das in Wien sagt, hat er glaub ich ein bisschen ein Integrationsproblem in Österreich. Aber ganz grundsätzlich: Wir leben ja heute in einem Österreich, in dem es den Begriff der „österreichischen Nation" viel weniger braucht als früher. Als ein Politiker sagte, die österreichische Nation sei eine ideologische Missgeburt, wurde noch ernsthaft darüber diskutiert. Das ist eigentlich vorbei. Für mich war ja Córdoba 1978 ein einschneidendes Erlebnis, das 3:2 gegen Deutschland. Ich war damals 13, und in der Schule sind wir am nächsten Tag alle beieinandergesessen und waren begeistert, wie toll das war. Nur einer in unserer Klasse war total angefressen und sagte, es hätten die Falschen gewonnen. Mittlerweile sitzt er für die FPÖ in führender Position im Parlament. Das war einfach die familiäre Prägung. Bei ihm zu Hause hieß es, wenn Österreich gegen Deutschland spielt, dann muss man zu Deutschland halten. Das ist meiner Meinung nach aber mittlerweile eine derartige Minderheitenposition geworden, dass es eigentlich aus der öffentlichen Debatte verschwunden ist.

    COUDENHOVE-KALERGI: Ich finde interessant, was Sie da sagen. Das Zugehörigkeitsgefühl zu den Deutschen, wenn sie gegen Österreich Fußball spielen, ist ein konstitutionelles Element des sogenannten Dritten Lagers, das heute von der FPÖ repräsentiert wird. Ich bin in der Nazizeit in die Schule gegangen, und wir haben natürlich gelernt, dass wir deutsche Kinder sind speziell in Böhmen. Als böhmische Kinder haben wir gesungen: „Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukinds Stamm!" In Österreich gab es seit dem frühen 19. Jahrhundert eine Richtung, die gesagt hat, es gibt die Slawen, es gibt die Ungarn, es gibt die Deutschen, und wir gehören eben zur deutschen Kulturgemeinschaft. Das war für mich eigentlich das einzige Schlüssige an der FPÖ-Ideologie. Vor allem, weil man sich da auf 1848 berufen konnte, auf den anti-napoleonischen Freiheitskampf, auf das Hambacher Fest, also auf eine durchaus demokratische deutsche Tradition. Aber das ist weg, geblieben ist nur die Ausländerfeindlichkeit. Das ist eigentlich das einzige Anliegen der FPÖ und des Dritten Lagers, die einzige Idee, die ich momentan sehe. Das ist nicht nur einer, wie bei euch damals in der Klasse, der beim Fußball zu den Deutschen hielt, sondern das sind gute 20 Prozent. Da ist ein harter Kern von Leuten, die sich auf die Nazi-Tradition und

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