Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Alien tanzt Polka: Neue SF und Fantastik aus einem heiteren Universum
Das Alien tanzt Polka: Neue SF und Fantastik aus einem heiteren Universum
Das Alien tanzt Polka: Neue SF und Fantastik aus einem heiteren Universum
eBook351 Seiten4 Stunden

Das Alien tanzt Polka: Neue SF und Fantastik aus einem heiteren Universum

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Weltuntergangsszenarien gibt es in der Science-Fiction zuhauf, Prognosen für eine düstere Zukunft liefert schon die Gegenwart. Fantastische Literatur behandelt eher ernste Themen, Horror ist per se grausam. "Das Alien tanzt Polka" präsentiert das Gegenteil und setzt damit die Reihe der tanzenden Aliens – konkret und übertragen – fort. Die Geschichten sind lustig, heiter bis komisch, skurril, obskur oder absurd.

"Der Feinschmecker versuchte, das Mahl zunächst mit allen ihm zur Verfügung stehenden Sinnen zu erfassen, bevor er zurückhaltend – nahezu vorsichtig – daran knabberte.
›Männlich, 1930er Jahrgang, Stadtmensch, Nichtraucher, leicht adipös, mäßiger Fleischkonsum sowie eine zarte Note von Blutverdünnungsmitteln‹, konstatierte er sachlich, als nähme er an einer Blindverkostung teil. ›Schmeckt nach einem unspektakulären Leben.‹"
(Kai Focke) 
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum4. Sept. 2018
ISBN9783957659316
Das Alien tanzt Polka: Neue SF und Fantastik aus einem heiteren Universum

Mehr von Lothar Bauer lesen

Ähnlich wie Das Alien tanzt Polka

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Das Alien tanzt Polka

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Alien tanzt Polka - Lothar Bauer

    9

    Vorwort

    Das Alien tanzt wieder oder besser gesagt: Es tanzt weiter. Nach der ersten Runde beim Kasatschok hat es sich nun auf Polka verlegt. Polka, das steht im konkreten wie übertragenen Sinn für gefühlsgeladen, spritzig, fantasievoll, heiter bis skurril, aber auch weitergesponnen für obskur bis absurd – so sind die Geschichten, die hier versammelt sind. Und es besteht ein Bedürfnis an heiterer SF und Fantastik, denn die Vorgängeranthologie »Das Alien tanzt Kasatschok« hat es nicht nur in die Midlist des Skoutz Award geschafft, zwei Geschichten wurden für den KLP 2018 nominiert. Deren Autoren Monika Niehaus und Nikolaj Kohler, der damit zudem für den Deutschen Science-Fiction-Preis (DSFP) vorgeschlagen wurde, sind auch im vorliegenden Werk wieder vertreten. In solch guter Tradition darf sich die neue Anthologie präsentieren, die in keiner Weise hinter der ersten zurücksteht.

    Da brechen Aliens als Sextouristen die Herzen der stolzesten Frauen, beenden Blind Dates auf brachiale Art und Weise, verfliegen sich im Weltall, legen spektakuläre Bruchlandungen hin, präsentieren ein ominöses rautenförmiges Eingangstor zu einer neuern Welt oder bauen ganz schnöde die erste Pyramide in Ägypten. Es gibt Neuigkeiten zur Mondlandung der Amerikaner, aber auch zur Chaostheorie, die sich unerwartet aus dem Darminhalt eines hohen Priesters erklärt. Schnelle Hilfe bei kleinen Sünden liefert eine Beichtmaschine und bei großen Glaubenskonflikten hält ein »südfränkisch-alemannisch« sprechendes Alien eine verblüffend einfache Lösung parat.

    Horror ist angesagt, wenn ein hochbegabter Sechsjähriger das Kommando auf einem Raumschiff übernimmt, ein Turbostaubsauger eine ganze Familie aufsaugt oder harmlose Pflänzchen zu boshaften Kletten mutieren. Das Grauen naht, wenn Lungenpest und Gevatter Tod eine Freundin in Form einer neuen Seuche finden, wenn der Tod Menüs für spezielle Gourmets serviert, aber auch wenn der letzte Facebookfreund auf der Strecke bleibt. In der vierhundertachtundsiebzigsten Folge der Abenteuer von Käpt’n Jörg (man muss die vierhundertsiebenundsiebzig vorangegangenen nicht kennen!) deutet sich endlich eine Möglichkeit an, wie das Einhorn des Grauens gefangen werden könnte.

    Warum hämmern eine Million Affen auf mechanische Schreibmaschinen ein und warum gehen die Frauen auf Aquarios einem speziellen Badevergnügen nach? Gleich zwei Zeitreisende wollen Probleme in der Vergangenheit klären, mit ungeahnten Folgen … Und was wäre eine Polka ohne ¡oOo!? Das außerirdische Protozoon versucht sich bei seiner Erdsafari diesmal im Wilden Westen und fordert zum Duell heraus.

    Spannung ist also angesagt, wenn die Geschichten im vorliegenden Buch ihren ungewöhnlichen Enden zustreben. Viel Spaß beim Lesen und gute Unterhaltung dabei wünscht

    Ellen Norten

    Halle, im Sommer 2018

    Claudia Aristov: Von Alpha bis Omega

    Schüchtern tasteten erste Strahlen der Morgensonne über die Hauptstadt des ägyptischen Großreiches. Es schien, als überlegte die Sonne, ob es sich am heutigen Tag tatsächlich als vernünftig erwies, durch enge Gassen zu kriechen, um, wie von Anbeginn der Zeit, die dunklen Schatten der Nacht zu vertreiben. Aber, und das unterscheidet Sterne und wandelnde Planeten deutlich von wankelmütigen Menschen, sie betrachten die verlässliche Ausübung ihres Jobs als heilige Pflicht. Und kein interstellarer Tarifvertrag vermöge dies zu ändern. Nun, die solare Vorsicht entpuppte sich als durchaus berechtigt, wie sich noch herausstellen sollte.

    Der Erste Architekt sah auf seinen Teller hinab. Sein verdrießlicher Blick deutete darauf hin, dass er es nicht schätzte, wenn sich sein Frühstück bewegte – jedenfalls, wenn es dies zu langsam tat. Trotzdem schnellte seine Zunge hervor und schaufelte einige träge herumkriechende Skorpione in den froschmauligen Mund. »Von wegen frisch«, maulte er in Gedanken, während seine spitzen, scharfen Zähne sich windende Chitinpanzer knackten. Sehnsüchtig dachte er an die schnuckelige Taverne auf …, als ihn ein Hieb an der Schulter traf.

    »Mensch, Omega. Hier steckst du, Kollege.«

    Omega zuckte zusammen, verschluckte sich und würgte, woraufhin sich eine Salve gut gemeinter Schläge über seinen Rücken ergoss.

    »Massud!«

    Der Zweite Architekt grinste und ließ ein Paar blitzende Zahnreihen sehen: »Der Wesir will uns sehen: Revision vor der eigentlichen Bauabnahme.«

    »Na, dafür ist es ein wenig spät«, erwiderte Omega gallig und spuckte einen Chitinklumpen in den heißen Wüstensand.

    Massud starrte die dürre, in einen landestypischen Lendenschurz gekleidete Gestalt gedankenverloren an. Er, nein, alle hierzulande, vermutlich selbst die Götter, wussten um die Marotten des Ersten Architekten. Seine absonderliche Neigung, lebende Snacks zu konsumieren, erwies sich dabei als die so ziemlich gesellschaftsfähigste von ihnen. Dennoch benahm sich Omega in letzter Zeit noch merkwürdiger als ohnehin schon. Vielleicht war dies aber auch einfach nur der Nervosität geschuldet. Schließlich zeichneten sie beide sich verantwortlich für die erfolgreiche Errichtung des wohl imposantesten Bauwerks der menschlichen Geschichte.

    Wenige Minuten später hatten die beiden obersten Architekten dem Beamtenviertel den Rücken gekehrt und ritten auf zwei mürrischen wiederkäuenden Kamelen ihrem Ziel, dem Platz des Göttlichen Friedens, entgegen. Vorbei an den Baracken der Bauarbeiter und Kornspeicher passierten sie die am Stadtrand angesiedelte Ausstellung der Errungenschaften der ägyptischen Volkswirtschaft, ein Vorzeigeobjekt des ägyptischen Pharaos, mit Hunderten zum Teil aufwendig gearbeiteten Pavillons zu den unterschiedlichsten Themengebieten, wie: Zehn Möglichkeiten, ein Kamel doch durch ein Nadelöhr zu bringen, Einbalsamierung für den Hausgebrauch oder Dämonenevokation richtig gemacht, dazu erhältlich für den ambitionierten Anfänger: ein Starterset mit Formeln, geweihten Kerzen und eingelegten Organen aus dubiosen Quellen. Als wahrer Publikumsmagnet allerdings entpuppte sich der Pavillon der Chirurgie, in welchem angehende Medizinstudenten einem gut gelaunten Publikum ebenso plastisch wie drastisch demonstrierten, wie eine effektive Lobotomie zu bewerkstelligen sei.

    »Hey, Massud, hallo, Omega!«, brüllte plötzlich eine Stimme aus dem Pavillon der Tausend Freuden. »Hab dich gestern Abend vermisst, Massud. Deine Lieferung ist eingetroffen: gemahlene Springmaushoden. Kannste gleich mitnehmen.« Der Stimme folgte die dazugehörige Gestalt: Pocken-Achmed kam hinausgerannt und breitete einladend die Arme aus, wobei ihm sein Kaftan etwas Fledermausartiges verlieh. »Na, komm«, rief er aufmunternd und verzog den fast zahnlosen Mund zu einem schiefen Lächeln.

    Massud schwieg.

    Der Händler startete einen neuen Versuch: »Hey, Massud, mein Freund! Kennst du mich nicht mehr?! Deine Eier.«

    Massud bemühte sich um einen würdevollen Eindruck und tat, als betrachte er angestrengt einen Punkt in der Ferne.

    Konsterniert blickte Pocken-Achmed in die von Massud anvisierte Richtung. Dummerweise erwies sich der Punkt bei näherer Betrachtung als eifrig kopulierendes Mungopärchen. Kopfschüttelnd ging der Händler in seinen Pavillon zurück und ließ das ungleiche Gespann von dannen ziehen.

    Bald schon verloren sich die Siedlungen, abgelöst nur von vereinzelten Baracken und der Unendlichkeit der Wüste, aus der sich ein monumentales Bauwerk erhob. Obgleich die Bauarbeiten nahezu vollständig abgeschlossen waren, strömten immer noch Arbeiterbrigaden aus allen Himmelsrichtungen dem Bauwerk entgegen, während andere bereits wieder zurückwogten. Es herrschte eine ebenso hektische Betriebsamkeit wie bei einem Ameisenhügel, in dessen Nesteingang ein ägyptischer Termitenbär seinen Rüssel gesteckt hat.

    Rund vierhundert Königsellen zählte das Bauwerk, das erste seiner Art, bereits jetzt geheimnisumflort und dabei nichts weiter als ein simples Pentaeder mit einem Polygon als Grundfläche und vier Dreiecken als Seitenflächen, die sich ihrerseits in der Spitze des Bauwerks trafen. Ebenso wunderbar wie das Bauwerk selbst lautete sein Name:

    Oh–du–wunderbares–den–Göttern–geweihtes–Gebäude–das–dem–Himmel–entgegenwächst–und–den–Priestern–als–heiliger–Ort–der–Transformation–und–Medium–für–die–Kontaktaufnahme–zu–den–Göttern–dient.

    Der Arbeitgeberverband HGP (Höchster Gesalbter Priester) protestierte massiv gegen diese Bezeichnung. Ihre Argumentation gestaltete sich recht simpel: Ausgehend von einer zwölfsekündigen Aussprache habe die hundertmalige Nennung dieses, wenngleich auch heiligen Begriffes pro Arbeiter und Tag einen Arbeitsausfall von zwanzig Minuten zur Folge. Des Weiteren führe die Artikulation zu spasmischen Kontraktionen der oberen und unteren Darmtrakte und mache zusätzliche Toilettengänge erforderlich, die ihrerseits mit weiteren zwanzig Minuten Arbeitsausfall veranschlagt werden könnten. Bei zehntausend Arbeitern läge der Schaden für das Bruttosozialprodukt sowohl hochgerechnet als auch auf der Basis der Daten des Ägyptischen Statistischen Reichsamtes pro Tag somit bei mehr als sechstausendsechshundertsechsundsechzig Stunden, aufzufangen durch Überstunden. Nach Forderungen der Gewerkschaft SVS (Steine Verarbeitender Sklaven) bezüglich zu leistender tariflicher Ausgleichszahlungen erwürgte sich der Leiter des Statistischen Reichsamtes. Noch im Zweikampf mit sich selbst stieß er ein letztes PinIrreMüde aus. Die ägyptische Bauverwaltung interpretierte dies als Verbesserungsvorschlag und benannte das Gebäude kurzerhand in Pyramide um.

    Die Sonne hatte leichtsinnigerweise ihren anfänglichen Argwohn aufgegeben und stand fast im Zenit, als Omega und Massud am Platz des Göttlichen Friedens eintrafen. Von dem als Tjati bezeichneten Wesir fehlte noch jede Spur. Eine Tatsache, die die beiden Architekten begrüßten, verlangte es doch die Tradition, dass sich Oberster Beamter und die, gewissermaßen zum Fußvolk zählenden, Staatsdiener der zweiten Leitungsebene spinnefeind waren. In Massuds Fall allerdings kamen weitere erschwerende Umstände hinzu. »Möge Re geben, dass dem syphilitischen Hurensohn bald die Eier abfallen.«

    »Wieso?«, erwiderte Omega und kletterte umständlich vom Kamel. »Deine Frau hat doch schon vorher mit anderen …«

    »Halt bloß den Mund!«, fauchte Massud und musterte missmutig das Grabmal. Die Rampen waren bereits demontiert, die Fassaden poliert und weiß gekalkt. Das goldene Pyramidion an der Spitze des Bauwerks funkelte in der Sonne. Am Fuße der Pyramide herrschte munteres Treiben: Händler priesen ihre Waren an, alte Mütterchen verscheuerten noch älteres Federvieh als junge Legehennen und Geldwechsler versuchten sich in Transmutation, indem sie ihren Kunden Bleilegierungen als Goldmünzen unterjubelten. Sie alle hauchten, untermalt von lautem Rufen sowie den Gesängen einiger Eunuchenverbände, deren Schicht gleich zu Ende ging, der Totenstätte pulsierendes Leben ein.

    »Hier geht es ja zu wie auf dem Basar«, schimpfte Massud und verscheuchte eine Gruppe bunt bemalter Zwerge, die mit Keulen auf eine Rotte pöbelnder Halbstarker einprügelte. Gerade wollte er die allzu aufdringliche Schlange eines Schlangenbeschwörers zurück in ihren Korb befördern, als sich stählerne Finger um seinen Unterarm schlossen. »Komm mit, schnell!«, raunte ihm Omega ins Ohr und zog ihn mit sich fort.

    »Doch nicht jetzt. Der Tjati kann jeden Moment kommen.«

    »Egal. Glaub mir. In die kleine Grabkammer.«

    Niemand achtete auf die beiden Architekten, die schnellen Schrittes Richtung Pyramide eilten. Allein der Wachtposten stutzte kurz. Überraschung legte sich auf sein einfältiges Gesicht, dann Erkennen. Wie ein Echo folgte das Zittern des Doppelkinns dem zustimmenden Nicken. Die beiden Architekten passierten ungehindert den Eingang ins Allerheiligste.

    Hier, im Halbdunkel, bemerkte Massud entgeistert, wie Omegas steinerner Skarabäus, den dieser um den Hals gebunden trug, ein verstörendes Eigenleben entwickelte: Der Stein glühte blutrot auf, begleitet von einem schnellen, rhythmischen Pulsieren. Es hätte das Herz einer lebensmüden Katze sein können, die – aus welchen Gründen auch immer – im Begriff steht, einem hungrigen Krokodil ins Maul zu springen. Plötzlich ließ ein leichtes Beben den Boden erzittern.

    »Es fängt an!«, kreischte Omega und hüpfte von einem Bein auf das andere. »Schnell nach links, nein, rechts. Wir müssen in die Felsenkammer.«

    Es war schwer zu sagen, was genau den Schock auslöste: der Skarabäus, das Beben oder die Panik in Omegas Stimme. Aber eigentlich war es auch egal. Widersprüchliche Eingangssignale regten sämtliche Hirnareale zu einem wüsten Widerstreit an, das neuronale Netzwerk feuerte ununterbrochen, Synapsen liefen heiß und der Kurzschluss schien vorprogrammiert. Doch Massuds Körper fand eine elegante Lösung für das Problem: Sein Großhirn quittierte vorläufig den Dienst und delegierte alle Aufgabenbereiche an Stamm- und Kleinhirn. Er hätte es aktuell weder begreifen noch artikulieren können, doch sein Körpergedächtnis wusste, dass der aufsteigende Korridor zu der Königinnenkammer führte und der absteigende in die Felsenkammer. Mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte er sich durch das Labyrinth der Gänge, folgte mal dem einen, mal dem anderen Gang und fand sich zu seinem eigenen Erstaunen plötzlich in der Felsenkammer wieder.

    Als Massuds Gedanken sich mit der Behändigkeit einer angefahrenen Schnecke zu sortieren anfingen, musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass er gerade versuchte, sich eines zitternden und wimmernden Omegas zu entledigen, den er offenbar huckepack getragen hatte.

    »Es tut mir leid, es tut mir leid!« Wimmernd krallten sich Omegas dürre Hände tief in Massuds fleischigen Hals. Erst ein beherzter Ellenbogenhieb in Omegas dürre Rippen ließen diesen wie überreifes Obst auf den staubigen Boden klatschen. Verzweifelt klammerte der sich nun an Massuds Waden.

    »Dasch wollte ich nicht, muscht du mir glauben«, nuschelte Omega tränenerstickt. Es entlud sich ein unkontrollierter Redeschwall: »Ich bin kein Mensch, sondern komme aus einer der Außenregionen der Galaxis, genauer von Sirion-Theta-3. Eigentlich heiße ich Xerisa, aber man nennt mich Omega-10³. Ich bin Inspektor für interstellare Angelegenheiten, Abteilung II, Fachbereich humanoide Lebensformen. War ich zumindest, bis mir«, Omega hüstelte, »ein kleiner Fauxpas unterlaufen ist. Seitdem bin ich nur noch Hyperraum-Bauingenieur.«

    Omega fing Massuds Blick auf und setzte zu einer Erklärung an: »Das ist ungefähr so, als hättest du Medizin studiert, um dann verstorbene Haustiere einzubalsamieren. Es ist einfach nur demütigend. Jedenfalls bin ich vor mehr als zehn Jahren hier gelandet, um eine Invasion der Nexutorianer bautechnisch vorzubereiten, damit sie euch in einem gezielten Schlag eliminieren können.«

    »Nexutorianer? Eliminieren? In einem gezielten Schlag?«, echote Massud. Zwar hatte sich sein Großhirn aus dem Kurzurlaub zu einem kurzen Kollegenschwatz zurückgemeldet, trotzdem weigerten sich die Hirnwindungen beharrlich, eben Gehörtes informativ zu verarbeiten und ins vegetative Nervensystem einzuspeisen.

    »Warum?«, fragte er stattdessen schlicht und bewies damit, dass nicht nur Körper einem Trägheitsmoment unterliegen.

    »Weil wir euch durch eine interessantere, vielversprechendere Rasse ersetzen wollen. Aber dich, das musst du mir glauben, wollte ich retten. Ich dachte, wir hätten noch Zeit.«

    »Vielversprechendere Rasse?« Massud kniff die Augen zusammen und ließ seinen Worten aggressives Schweigen folgen.

    Omega wand sich unter dem Blick seines Freundes, wie ein in Squirtsch (hochprozentiges ägyptisches Nationalgetränk, gern auch als Rohrreiniger genutzt) eingelegter Wurm.

    Obwohl sein Intellekt immer noch an dem Informationsüberfluss laborierte, verstand Massud, dass seine früheren Probleme vergleichsweise banal waren, verglichen mit den aktuellen.

    »Ich möchte nur ganz sichergehen, das richtig zu verstehen. Es gibt also Leben auf anderen Planeten?«

    »Ja.«

    »Und du bist so einer, so ein …«

    »Außerirdischer«, half Omega aus.

    »Ein Außerirdischer. Und die Menschen sollen vernichtet werden.«

    »Eliminiert.«

    »Ist das nicht das Gleiche?«

    »Irgendwie schon. Aber so, wie du das sagst, hörst sich das so aggressiv an.«

    Massud nickte kummervoll. Ein weiteres Beben folgte.

    »Was ist das?«

    »Sie sind im Landeanflug.« Omega erschauerte, die wimpernlosen Lider seiner Augen zuckten nervös. Als er Massuds verständnislosen Blick auffing, fügte er hinzu: »Wir können fliegen. Mit Schiffen. Im Himmel und sogar von Planet zu Planet.«

    Massud bedachte ihn mit einem scheelen Blick. Wäre nicht das Beben und der Skarabäus gewesen, er hätte es vorgezogen, sofort die Flucht zu ergreifen.

    »Und der Skarabäus?«

    »Ein InterFluKom, Interstellarer Flugobjekt-Kommunikator, eigentlich gedacht für den interstellaren Reiseverkehr. Es meldet immer, wenn sich ein Raumschiff nähert. Ist aber mittlerweile zur Hälfte Schrott und zeigt deswegen ziemlich spät die Ankunft von Raumschiffen an.«

    Massud verstand zwar rein gar nichts, nickte aber trotzdem und genoss die Vertrautheit dieser Bewegung. Ein diffuses Gefühl stellte sich ein. Wäre sein Geist in der Lage gewesen, den dahinterstehenden Gedanken zu fassen, hätte er es folgendermaßen formuliert: Massud wünschte sich ein dimensionales Leck, durch welches er in die Normalität zurückkriechen konnte.

    Den erstaunten Menschen außerhalb der Pyramide bot sich folgender seltsamer Anblick: Eine große schwarze Scheibe durchpflügte die Thermo-, Meso-, Stratosphäre und stoppte innerhalb der Troposphäre abrupt ab. Dann senkte sich das Raumschiff, von dem die Menschen nicht wussten, dass es eins war, langsam hinab, schien zu zögern, zog wieder ein Stück nach oben und wirkte damit wie eine überdimensionale, indigniert zuckende Augenbraue.

    Die Menschen vor der Pyramide verharrten in verständnislosem Schrecken. Sie waren ja einiges von den Göttern gewohnt. Aber das hier ging dann doch ein wenig weit. Zwar stand göttlicher Beistand auf der menschlichen Wunschliste ganz oben, göttliche Einmischung indes nicht.

    Der SVS-Vorsitzende, dessen wohl größter Verdienst – neben der Einführung der Viertagewoche – in der Organisation medienwirksamer Auftritte für Papyrus News und die Ägyptische Buschtrommel bestand, reckte die kümmerliche Brust empor und fühlte sich genötigt, ein paar mahnende Worte an die Götter zu richten: »Ich möchte jetzt in einer Atmosphäre konstruktiver Kritik …« Was er im Weiteren zu sagen beabsichtigte, ging im allgemeinen Tumult unter, denn das Raumschiff sackte drohend dreihundert Königsellen ab. Ein Aufschrei lief durchs Volk. Die Menschen sanken ehrfurchtsvoll auf die Knie.

    »Los, du Idiot, wirf dich auf die Erde!«, herrschte der HGP-Vorsitzende seinen Kollegen aus dem feindlichen Lager an und riss ihn mit sich in den Staub. Dann hob der Priester mit singender Stimme an: »Seid gegrüßt, oh, ihr mächtigen Götter, hinabgestiegen aus dem unendlichen kosmischen Sarkophag, uns auf Erden mit eurer Gegenwart zu ehren. Ihr unumschränkten Gebieter des Himmels, der Erde und der Welt der Toten. Oh ihr …«

    »Mama, mir ist langweilig. Und wovon redet der dicke, kahl geschorene Mann überhaupt?«

    »Sei ruhig!« Das satte Klatschen einer flachen Hand auf kalkhaltige Knochensubstanz hallte durch die Stille.

    Die Stimmung in der Pyramide gestaltete sich weitaus weniger harmonisch. Der InterFluKom knackte. Eine Stimme war zu hören, und das nexutorianische Genuschel legte den Schluss nahe, dass ihr Sprecher nicht wusste, dass er sich auf Sendung befand: »… ich weiß, dass uns der Saft ausgeht und wir andocken müssen, verdammt noch mal. Aber ich kriege keinen Kontakt zu diesem Idioten.« Dem Knacken folgte ein Rauschen. Dann war es still.

    »Das sind sie, nicht wahr?! Und jetzt?« Massuds Verstörtheitspegel hatte das höchstmögliche Niveau erreicht. Und da er jegliche Hoffnung auf ein gutes Ende begraben hatte, wozu sich eine Pyramide nun geradezu anbot, war seine Frage rein rhetorischer Natur. Er schlug die Hände vor das Gesicht und erwartete das Schlimmste.

    Omega seinerseits zuckte kummervoll mit den Achseln, als plötzlich das InterFluKom wieder Lebenszeichen von sich gab: »… größter Schwachkopf des intergalaktischen Systems …« Die Übertragung stockte. Es knackte. Jemand klopfte offenkundig gereizt auf das Mikrofon. Eine Stimme wandte sich dem Mikrofon zu: »Jetzt geht es. Omega-10³, bitte Meldung machen! Hier spricht Captain Meluran.«

    Stoisch drückte der Angesprochene auf den Sendeknopf: »Ja, hey, ich bin's. Wo brennt's denn?«

    Am anderen Ende schnappte jemand hörbar nach Luft. »Verdammt, Omega-10³, salutieren sie gefälligst, wenn Sie …, ach, es hat ja alles doch keinen Zweck.« Jetzt ging die Tonlage glatt zwei Oktaven nach unten, und nexutorianisches Kauderwelsch drang an die Ohren der beiden Architekten: »Esdrag ülmay nechnichtomal. U was betat …«

    Omega unterbrach den einsetzenden Redeschwall: »Äh, hör mal, das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Mein Nexutorianisch ist ein wenig eingerostet. Sorry.«

    Das Schnauben des nexutorianischen Vorgesetzten ließ nur zwei Rückschlüsse zu: Entweder befand sich dieser in einem emotional eher unausgeglichenen Zustand oder aber polypöse Wucherungen ließen dringend einen Besuch bei einem fachkundigen HNO-Arzt anraten. Der Erste Architekt tippte auf Letzteres.

    »Omega-10³, wärst du freundlicherweise geneigt, uns mitzuteilen, wo sich die Lande-Auftank-Rampe befindet?! Eventuell würden wir dich dann sogar vor der Eliminierung an Bord nehmen.« Buhrufe erklangen im Bauch des Schiffes.

    »Äh, die Rampe ist direkt vor eurer Nase.«

    »Wie? Wo?«, schnappte die Stimme und befahl einem Crewmitglied einen erneuten Umgebungsscan.

    »Das Polyeder. Unter euch.«

    Einem kurzen, verwirrten Schweigen folgte ein Wutausbrauch mit Stärke fünfundneunzig auf der offenen Vulkanierskala.

    »Du Idiot!!! Sag mir, dass das nicht wahr ist!«

    »Wieso? Ich habe alles so gemacht wie aufgetragen!«, näselte Omega beleidigt. »Hier ist sogar der Bauplan.« Umständlich zog Omega ein zerknittertes Stück Papier aus seinem nicht minder zerknitterten Lendenschurz hervor und hielt es vor die Linse des InterFluKoms.

    Captain Meluran rang nach Begutachtung der Bildübertragung hörbar um Selbstbeherrschung: »Ja, das ist der Bauplan. Wunderbar. Nur sehe ich hier draußen einen Polyeder, der auf dem Kopf steht.«

    »Wie jetzt?« Verständnislos drehte Omega den Bauplan hin und her.

    »Wollen Sie mich verarschen? Sie hatten zehn Jahre Zeit, um diese scheiß Lande-Auftank-Rampe zu bauen!«, brüllte der Captain in einem plötzlich aufbrandenden Wutanfall. Omega duckte sich unter der Wucht einschlagender Wörter.

    »Der Polyeder, er muss auf der Spitze stehen, sonst können wir nicht landen. Eigentlich logisch, oder?! Und nur durch eine vorinstallierte Leitung, die durch die Pyramide bis in den Erdkern führt, können wir das Fluxinon-Plasma ansaugen, um zu tanken!«

    Omega verschluckte sich vor Empörung. »So, jetzt habe ich aber genug. Erst werde ich degradiert und auf entwürdigende Missionen geschickt. Und das alles nur, weil mir ein kleines Missgeschick passiert ist. Und dann …«

    »Missgeschick?! Wegen deiner falschen Koordinaten haben wir einen unserer besten Rohstoffplaneten in die Luft gejagt.« Die Stimme des Captains ging direkt in eine Schnappatmung über.

    Doch Omega hörte schon gar nicht mehr zu. Jahrzehnte der Erniedrigung brachen sich nun Bahn: »Seit vierzig Jahren werde ich von einem Planeten zum anderen gejagt. Muss mich teilweise mit Kreaturen abmühen, deren Intelligenzquotient kaum über dem meines Frühstücks liegt. Und was ist der Dank? Demütigungen! Massud und ich haben ein einzigartiges Bauwerk der Menschheit geschaffen. Jahrelang dafür den Staub der Wüste geschluckt. Was kann ich denn dafür, wenn ihr zu beschränkt seid, die Baupläne richtig einzunorden, hä!«

    Nach einem kurzen Röcheln verstummte die Stimme des Captains. Stattdessen schaltete sich der Erste Offizier zu: »Captain. Ein Funkspruch von Alpha-1. Auf Centauri-Epsilon-5 befindet sich eine intakte Lande-Auftank-Rampe. Entfernung lediglich drei Lichtjahre. Captain, bei allem Respekt: Ich würde sagen, Mission Erde ist gescheitert. Wir sollten schnellstens umkehren, solange wir noch etwas Treibstoff haben. Captain? Captain!«

    Eine Minute später drehte das nexutorianische Raumschiff ab und verschwand in den Weiten des Weltalls.

    Zwei Minuten später brach der Zweite Architekt das beredte Schweigen: »Sag mal, was hat es mit diesem Omega-10³ auf sich?«

    »Wir erhalten unsere Namen je nach Erfolgsquote. Ein Alpha gehört demnach zu den Besten und …, ach, nicht so wichtig.«

    »Mhm, ich mag Omega eigentlich ganz gern. Erzähl mir von deinem Leben da draußen.«

    Omega verzog den breiten Mund zu einem glücklichen Lächeln und schlang eines seiner dürren Ärmchen um Massuds fleischige Hüfte: »Weißt du, es gibt da so eine Taverne auf Kappa-Omikron-3, die macht die besten Skorpione der Galaxie. Das kannst du dir einfach nicht vorstellen, serviert in …«

    Michael Schmidt: Die Gebeine des PKD

    Das dämmrige Zwielicht wurde immer wieder vom Aufflackern des Bildschirms erhellt.

    »Nein. Ich werde nicht nach deiner Pfeife tanzen. Never!«

    Schlanke weiße Finger huschten über die Tastatur, während die blauen Augen ärgerlich blitzten. KƱ±LL K+§sr±ƍ, besser bekannt als K. K., fixierte die bleiche Gestalt und wirbelte derweil das lange blonde Haar durch die abgestandene Luft, ein untrügliches Zeichen, das er besonders erregt war.

    »Wie ich bei unserer letzten Begegnung schon in epischer Breite philosophierte, ich, KƱ±LL K+§sr±ƍ, der individuellste aller männlichen Exemplare aus dem Volk der Judas, werde mir von keinem Weib, egal wie umwerfend bezaubernd oder geistreich sie ist, sagen lassen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich werde mich nicht im Entferntesten ihrer gottesgleichen Schönheit unterordnen und sie vor den Gesetzen des Pop und ihrer Götter ehelichen. Selbst du, die bezauberndste, schönste und geistreichste Poperin, die das Universum jemals erblickt hat, kannst nicht von mir verlangen, dass ich mein individuelles Sein deiner unbeschreiblich charmanten und einnehmenden Persönlichkeit beuge.«

    »Aber«, erklang es kurz von der honigsüßen Stimme im Bildschirm, bevor KƱ±LL K+§sr±ƍ, in Adrenalin badend, ihr entgegen schrie: »Nein! Nie! Never ever!«

    Der Druck war weg. Er hatte sich Luft verschafft. Gefasst lehnte er sich zurück, bereitete sich auf den zwangsläufig folgenden Monolog vor, der wie einem generischen Drehbuch folgend, immer genau an dieser Stelle aus ihrem Munde hervorsprudelte, wie eine unter hohem Druck stehende und leck geratene Dampfversorgungsleitung.

    Doch stattdessen wurde der Bildschirm schwarz, ihre süße Stimme verebbte abrupt, während das Zwielicht erlosch, welches durch ein hektisch blinkendes rotes Licht ersetzt wurde, das von einer durchdringenden Sirene flankiert wurde.

    Red Alert, this house is a-rockin’!

    Was im Gedenken an den heiligen John W. Campbell war hier los? Waren die Gesetze der Naturwissenschaft außer Kraft gesetzt worden? Oder stand die Rückkehr des legendären Robert A. Heinlein bevor und mit ihm der Tag der ungezügelten Entropie?

    K. K. knöpfte sich nervös die Lederweste auf, ein Zeichen, dass er ernsthaft besorgt war. Eigentlich befand er sich auf dem Flug in das legendäre System Painkiller und pünktlich zum Höhepunkt von Madonnas Ausführungen wäre er in den Überraum geschossen, hätte seiner gehörnten Braut die Rücklichter gezeigt und sich damit aller akuten Sorgen entledigt.

    Unglücklicherweise war seine Planung obsolet. Wie ein Check der Systeme offenbarte, hing er in diesem trostlosen Sektor des weiten Raumes fest. Zehn Minuten unflätigen Fluchens später und nach mehrmaligem Überprüfen aller Systeme musste er die Wirklichkeit anerkennen, ihm blieb der Überraum im Moment verwehrt. Immerhin schaffte er es den unerträglichen Red Alert und damit auch das furchtbare Geräusch abzustellen. Er checkte die Systeme und bekam als Analyse, dass ein elektrostochastischer Impulsinverter den Antrieb seines Schiffes lahmgelegt hatte. Ein elektrostochastischer Impulsinverter? Was zum Teufel sollte das sein?

    Er recherchierte eine geschlagene halbe Stunde, doch außer diesem sperrigen Begriff warf die Bordintelligenz keinerlei Informationen aus.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1