Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mord am Borsigplatz: Der dritte Fall für das Dortmunder Trio
Mord am Borsigplatz: Der dritte Fall für das Dortmunder Trio
Mord am Borsigplatz: Der dritte Fall für das Dortmunder Trio
eBook331 Seiten4 Stunden

Mord am Borsigplatz: Der dritte Fall für das Dortmunder Trio

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein brutaler Mord im Dortmunder Rombergpark zerstört den Frieden. Ein Schuldiger ist schnell gefasst. Doch Universitätsdozent Friedrich Sachse, genannt Philo, hat den Mann, einen Kollegen, zur Tatzeit in der Stadt gesehen. Gemeinsam mit seinen Freunden Sabine und Raster nimmt er die Ermittlungen auf. Wer will Philos Kollegen hinter Gitter bringen? Und warum schweigt der Beschuldigte? Wie hängt die ungewöhnliche Familiengeschichte des Opfers mit dem Mord zusammen? Das Trio gerät an seine Grenzen, als ein weiterer Mord geschieht …
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum10. Juli 2019
ISBN9783839260845
Mord am Borsigplatz: Der dritte Fall für das Dortmunder Trio

Mehr von Hans W. Cramer lesen

Ähnlich wie Mord am Borsigplatz

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mord am Borsigplatz

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mord am Borsigplatz - Hans W. Cramer

    Zum Buch

    Prügelknabe Der einflussreiche und nicht unumstrittene Chef einer großen Autohauskette wird brutal im Dortmunder Rombergpark ermordet. Eine Zeugin konnte den flüchtigen Täter jedoch bestens beschreiben. Schon bald scheint der Fall abgeschlossen zu sein. Doch Universitätsdozent Philo hat den Tatverdächtigen, einen Kollegen, zur Tatzeit an einem anderen Ort gesehen. Gemeinsam mit seinem Freund Raster versucht er die Hintergründe aufzudecken und stößt dabei auf eine Mauer des Schweigens.

    Sabine bekommt durch Zufall einen anderen Zugang zu der Familie des Opfers. Doch auch hier verbergen dunkle Geheimnisse einer zerstrittenen Familie den Blick auf die Lösung des Falls. Das Trio bekommt diesmal Hilfe von einer jungen Polizistin, die mit den offiziellen Untersuchungen der Behörden nicht einverstanden ist. Doch die Lösung bleibt lange im Verborgenen und die Ermittlungen werden für die vier immer gefährlicher, je näher sie der Wahrheit kommen.

    Hans W. Cramer wurde im Bergischen Land geboren. Bereits mit 14 Jahren schrieb er erste Gedichte, Kurzgeschichten und Märchen. Trotz seiner Ausbildung zum Frauenarzt und der Arbeit in eigener Praxis, ließ ihn das Schreiben nie los. Seit 2013 werden seine Kriminalromane erfolgreich veröffentlicht. Mit seiner Familie lebt der Autor am südlichen Rand des Ruhrgebiets.

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Evas Erbe (2018)

    Spinnenbiss (2017)

    Wer Sünde sät (2016)

    Impressum

    Immer informiert

    Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

    regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

    Gefällt mir!

    398105.png Instagram_Logo_sw.psd Twitter_Logo_sw.jpg

    Facebook: @Gmeiner.Verlag

    Instagram: @gmeinerverlag

    Twitter: @GmeinerVerlag

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2019 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    3. Auflage 2020

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © ArTo / stock.adobe.com

    Druck: CPI books GmbH, Leck

    Printed in Germany

    ISBN 978-3-8392-6084-5

    Haftungsausschluss

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Das Haus Kurl und die Familie Tuxhorn

    404277.png

    1. Kapitel

    Dortmund, Rombergpark, April

    Ein Lächeln huschte über Martinas Gesicht, als ihr die bunte Vielfalt von Scharbockskraut, Vergissmeinnicht, Gelben Windröschen und Forsythien auf den Wiesen und Beeten bewusst wurde. Endlich Frühling. Die erste wärmende Sonne würde ihr helfen, den Schweinehund zu besiegen, der ihr in den letzten Monaten eingeredet hatte, dass ein paar Kilos zu viel gar nicht so schlimm wären.

    Der Wiesenbach und die Schondelle schlängelten sich malerisch durch den Rombergpark im Süden Dortmunds, während Martina Struck auf den ersten hundert Metern ihrer Joggingrunde kräftig ins Schnaufen kam.

    Es waren kaum Menschen unterwegs an diesem frühen Dienstagmorgen im April und sie genoss die friedliche Stille, die nur durch das regelmäßige »Tapp-Tapp« ihrer Laufschuhe und das leise Vogelgezwitscher gestört wurde. Am Parkeingang hatten einige Spaziergänger die ersten Sonnenstrahlen willkommen geheißen. Seit gut zehn Minuten hatte sie keine Menschenseele mehr gesehen.

    Die Gedanken schweiften zu ihrem Mann Günther, der ihr überdeutlich zu verstehen gegeben hatte, dass ihn die kleinen Fettpölsterchen in keiner Weise stören würden, seine Augen ließen eher das Gegenteil vermuten. Aber nicht für ihn, sondern für sich selbst wollte sie bald wieder das Gewicht erreichen, das sie vor zwei Jahren auf die Waage gebracht hatte. Auch wenn das hieß, dass sie mindestens dreimal pro Woche ausgiebig Sport treiben musste.

    Als Martina gedanklich bei besagtem Beschluss angekommen war, machte der Weg eine Linksbiegung, um etwa 200 Meter an einem kleinen Waldstück entlangzuführen. Martina liebte diesen Teil der Runde: Rechts der niedrige Wald mit seinen geheimnisvollen Schatten und den Vogelstimmen, die anders waren als noch Minuten zuvor, während sich links auf freier Fläche der Wiesenbach nach Norden schlängelte …

    Irgendetwas passte nicht ins Bild. Martina verlangsamte ihr ohnehin gemächliches Tempo und versuchte das Dämmerlicht, das unter den Bäumen herrschte, zu durchdringen. Etwas war falsch. Sie blieb stehen und ging ein paar Schritte rechts vom Weg ab. Gelbe Farbtupfer inmitten der dunkelgrünen Äste schimmerten vielleicht 20 oder 30 Meter entfernt, angestrahlt von den vereinzelt den Waldboden erreichenden Sonnenstrahlen. Neugierig schlich sie weiter auf die Erscheinung zu. Ihr Herz schlug fest und schnell in ihrer Brust. Zu schnell, als dass man es nur mit der Anstrengung hätte erklären können. Schließlich öffneten sich die letzten Büsche vor einer kleinen, etwa zweimal zwei Meter großen Freifläche. Unwillkürlich hielt sich Martina die rechte Hand vor den Mund, als wollte sie den Schrei, der sich in ihrer verkrampften Brust bildete, zurückhalten. Doch es kam kein Schrei. Regungslos verharrte sie vor dem Anblick, der sich ihr bot.

    Ein älterer Mann mit einer blutbefleckten gelben Jacke aus Fliegerseide lag unnatürlich verkrümmt halb auf der Seite, halb auf dem Rücken. Seine offenen Augen starrten direkt in Martinas Richtung, als rufe er noch verspätet um Hilfe. Auf der linken Brustseite sammelte sich das Blut und bedeckte vollständig das ursprüngliche Gelb der Jacke. Das Allerschlimmste war das, was sie um den Toten herum wahrnahm. Überall an den Bäumen, den Ästen und im halbhohen Gras waren Blutspritzer verteilt. In Körpernähe große Flecken, an den Stämmen, die weiter weg standen, kleine, feine Spritzer. Hier und da glitzerte das Blut, als wäre es frisch. Sie taumelte zurück in den Schatten der Bäume und erbrach sich immer und immer wieder, bis nur noch ein saures Würgen ihren Körper schüttelte.

    Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken an einen Baum direkt neben dem Weg, als sich die ersten Polizeiwagen mit Blaulicht und Martinshorn näherten. Das Handy war ihr aus der Hand ins Gras gerutscht. Egal. Warum machen die eigentlich so einen Krach, fragte sich Martina. Hier ist doch niemand, den sie warnen müssten. Ein irres Kichern stieg ihr die Kehle hoch. Sie besann sich wieder auf den Ernst der Lage. Was sollten denn die Beamten denken, wenn sie sie kichernd nur wenige Meter neben dem Toten vorfinden würden? Tränen drängten sich in ihre Augen. Mann, ist das eine Achterbahnfahrt, dachte sie noch, bevor sie in eine gnädige Ohnmacht fiel.

    Als sie aufwachte, lag sie auf einer Liege, hinter ihr ein Notarztwagen. In ihrem linken Arm steckte eine Kanüle mit einem Infusionsbeutel, der an einem Ständer baumelte. Sie fror erbärmlich trotz der Decke, die man über sie gelegt hatte. Eine junge Ärztin fühlte ihren Puls und streichelte ihr das kaltschweißige Gesicht.

    »Es wird alles gut. Sie haben einen kleinen Schock erlitten. Was kein Wunder ist bei dem Anblick. Sie sagen einfach, wenn Sie bereit sind, Fragen zu beantworten. Dieser Herr dort vorne«, sie zeigte mit der rechten Hand auf einen rauchenden Mann in Zivil, der unruhig hin und her tigerte, »wartet nämlich ungeduldig auf ein paar Antworten. Aber Sie geben das Kommando. Okay?«

    Martina nickte dankbar und schloss die Augen. »Ich möchte nach Hause, Frau Doktor«, flüsterte sie. »Wann …?«

    »Bald. Haben Sie noch ein wenig Geduld. Herr Bartsch! Kommen Sie bitte mal!«, rief die Ärztin in Richtung des wartenden Mannes, der sich sofort in Bewegung setzte. »Ich würde die Zeugin gerne mit ins Krankenhaus nehmen. Sie hat einen ausgeprägten Schock.«

    Der Angesprochene ignorierte die letzten Sätze und wendete sich direkt an Martina. »Hören Sie! Wir können die Aussage auch morgen aufnehmen, aber würden Sie mir bitte ein oder zwei Fragen jetzt beantworten?«

    Die Ärztin runzelte ärgerlich die Stirn und wollte gerade einschreiten, doch Martina legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. »Lassen Sie nur. Es geht schon. Nur nicht zu lange.«

    Kriminaloberkommissar Bartsch stellte ihr tatsächlich nur wenige Fragen über ihre Identität, den Zeitpunkt der Leichenauffindung und vor allem, ob sie andere Personen in der Nähe gesehen habe.

    Martina antwortete, soweit sie konnte, wurde dabei aber immer leiser und stockender, bis die Notärztin schließlich rigoros die Befragung für beendet erklärte.

    Während der Fahrt durch den Park, die Martina Struck nur halb mitbekam, ging ein Gedanke mantragleich durch ihren Kopf: Sie musste sich unbedingt eine andere Joggingrunde suchen. Der Rombergpark war ab sofort verbrannte Erde.

    2. Kapitel

    Dortmund, Kreuzviertel, Mai

    Hans Schulz, von allen wegen der langen Rastalocken nur Raster genannt, warf vor Schreck beinahe seinen halb vollen Kaffeebecher um, als ein lautes Gepolter im Flur losbrach. Was war denn da los? Er sprang auf, öffnete die Zimmertür und fand sich dem puterroten und vor Wut verzerrten Gesicht seines Freundes und Mitbewohners Friedrich Sachse gegenüber. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Philo? Du siehst aus, als hätte jemand absichtlich dein nicht vorhandenes Auto geschrottet.«

    Sachse, der auf den Spitznamen Philo hörte, da er als Dozent für Philosophiegeschichte arbeitete, hatte seine Aktentasche voller Wucht auf den kleinen Stuhl neben der Kommode gepfeffert, sodass dieser krachend gegen ebendiese geflogen war. »Man glaubt es nicht! Ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat! Und jetzt das! Unabhängige Justiz, ha! Dass ich nicht lache! Verbrecher! Alles Verbrecher! Raster, ich sag dir eins: Verlass dich nie auf unsere Richter! Die sind alle gekauft! So etwas hab ich ja noch nie erlebt.«

    »Beruhige dich doch erst einmal! Ich verstehe kein einziges Wort. Du legst jetzt ab, setzt dich mit mir in die Küche, dann bekommst du von mir einen Kaffee – oder vielleicht besser einen Kräutertee – und erzählst mir in Ruhe, was dich ärgert.«

    Philo entledigte sich seiner Jacke und trottete mit hängendem Kopf in die Küche, wo er sich auf einen Stuhl fallen ließ. »Ich möchte jetzt nichts trinken. Danke, Raster. Setz dich einfach zu mir. Das ist eine echt unglaubliche Geschichte.«

    Die Freunde wohnten seit Jahren in einer geräumigen Altbauwohnung in der Große-Heim-Straße im Dortmunder Kreuzviertel. Eigentlich gehörte noch eine dritte Person dazu, die die Männer schrecklich vermissten: Sabine Funda, 41 Jahre alt, war vorübergehend bei ihrer Schwester Hanna in Herne untergekommen. Diese hatte ein Mädchen in Pflege genommen, dessen Vater für lange Jahre ins Gefängnis musste, und deren Mutter – wohl wegen des Downsyndroms der Tochter – sich stur weigerte, ihrer Rolle gerecht zu werden. Da Hanna selbst Mutter eines zwölfjährigen Mädchens war, hatte Sabine kurzerhand beschlossen, ihr zumindest für den Anfang zu helfen. Als freie Ärztin im Notdienst der Städtischen Kliniken in Dortmund konnte sie getrost eine Zeit lang aussetzen. Finanziell war sie gut ausgestattet. Außer ihren sportlichen Aktivitäten wie Joggen und Tennis betrieb sie keine kostenintensiven Hobbys.

    Raster stellte seine Kaffeetasse vor sich auf den Tisch und Philo knetete unverändert wütend die Finger ineinander. Würde Sabine noch hier wohnen, sähe die Küche sicherlich aufgeräumter und wohnlicher aus. Raster, der bis vor einem Jahr der totale Chaot gewesen war, hatte sich deutlich gebessert und half dem sehr peniblen Philo immer wieder bei den anstehenden Pflichten im Haushalt. Trotz ihrer großen Andersartigkeit oder vielleicht gerade deswegen hingen sie aneinander fast wie ein Liebespaar. Sie scherzten miteinander und zogen einander auf, aber wenn es darauf ankam, passte kein Blatt Papier zwischen die beiden.

    Philo setzte seine Brille mit dem breiten, braunen Gestell wieder richtig auf die Nase und zog den hellbraunen Pullunder gerade. »Wir haben uns in letzter Zeit so wenig gesehen, dass ich dir noch gar nicht von der Sache erzählen konnte.«

    »Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst. Du weißt, wie viel ich unterwegs war. Erst der Crash im Rathaus, dann die Fortbildung. Nein, ich weiß tatsächlich nicht, was los ist.« Raster arbeitete als IT-Spezialist und Netzwerkbetreuer für etliche Rathäuser und Stadtwerke in Dortmund und Bochum. Außerdem programmierte er als freier Mitarbeiter für Spielehersteller weltweit, womit er sich mittlerweile ein kleines Vermögen verdient hatte, das er aber, wie Sabine, achtlos auf der Bank liegen ließ. Er war zufrieden mit seinem Leben und brauchte keinen Luxus. Das Einzige, was er sich wünschen würde, wäre eine andere, intensivere Beziehung zu Sabine, die er seit Jahren offen liebte und verehrte. Diese gab ihm die gute Freundin zurück, mehr jedoch nicht.

    »Also, dann muss ich ganz vorne anfangen«, begann Philo mit seiner Erzählung. »Vor etwa drei Wochen saß ich zufällig mit einer Mitarbeiterin von mir in der Kantine beim Mittagessen. Irgendwann meinte sie beiläufig, ich würde doch den Kollegen Volker Kuklinski von den Wirtschaftsmathematikern kennen. Ich nickte, woraufhin sie mir erzählte, der wäre wegen Mordverdachts verhaftet worden.«

    Raster pfiff durch die Zähne. »Und? Kennst du diesen Kuklinski näher?«

    »Näher würde ich das nicht nennen. Aber wie das bei uns Philosophen nun mal ist: Es gibt immer wieder mal Überschneidungen mit der Mathematik. Wir hatten zusammen einige Seminare und sind zweimal gemeinsam auf Kongressen in den Staaten gewesen. Ein echt netter Zeitgenosse. Ich schätze ihn auf Ende 40. Und eins sage ich dir: Der fängt schon an zu weinen, wenn du eine Fliege erschlägst. Der und Mord? Niemals! Jedenfalls war ich einigermaßen geschockt über diese Nachricht und fragte nach Einzelheiten. Meine Mitarbeiterin konnte mir aber mehr nicht sagen.«

    »Und da bist du zu unseren Freunden im Polizeipräsidium gegangen, nehme ich an«, meinte Raster grinsend.

    Die drei hatten in den letzten Jahren einige Male der Polizei gute Dienste erwiesen und pflegten daher einen engen Kontakt zu dem einen oder anderen Beamten.

    »Genau. Du sagst es.« Jetzt lächelte endlich auch Philo das erste Mal an diesem Nachmittag. »Jedenfalls konnten die mir zumindest sagen, wann und wo der Mord stattgefunden haben soll. Wer das Opfer war und genauere Tatumstände wollten sie mir natürlich nicht mitteilen.«

    »Jetzt wird es spannend.« Raster beugte sich vor und fixierte Philo mit zusammengekniffenen Augen. »Du würdest hier doch nicht so ein Theater machen, wenn du selber nicht irgendwie ins Spiel gekommen wärst.«

    »Da hast du recht. Es war nämlich so, dass der vermeintliche Mord an einem Dienstagmorgen, drei Wochen vor meinem Besuch bei der Polizei, stattgefunden haben soll. Und zwar im Rombergpark. Nur: Gerade an diesem Morgen habe ich zu exakt der fraglichen Zeit Volker Kuklinski an der Möllerbrücke gesehen.« Triumphierend richtete sich Philo auf und strich seine wie immer akkurat gescheitelten blonden Haare nach hinten.

    »Dann muss die Polizei den Falschen geschnappt haben. Aber sag mal. Wie kannst du dir so sicher sein? Also ich wüsste nicht mehr, was ich an einem Dienstagmorgen vor drei oder vier Wochen …«

    Philo hasste diese schlechte Angewohnheit Rasters, immer den Rest eines Satzes wegzulassen, wenn er meinte, die letzten Wörter könnte man sich aus dem bisher Gesagten herleiten. Aber man gewöhnte sich an seine Eigenheiten nach einer so langen Zeit des Zusammenlebens. »Just an diesem Morgen hatte ich in der Uni einen kleinen Umtrunk. Dienstjubiläum meiner Sekretärin. Also habe ich auf dem Weg dorthin in dem Blumengeschäft an der Lindemannstraße angehalten und einen Strauß gekauft. Du weißt doch, der Laden, der immer früh auf hat.«

    Raster zuckte mit den Schultern. Er konnte sich nicht erinnern, jemals in einem Blumenladen gewesen zu sein.

    »Und als ich da raus kam«, fuhr Philo fort, »sah ich Kuklinski auf der anderen Straßenseite Richtung Möllerbrücke spazieren. Wie ich jetzt erfahren habe, deckt sich das mit den Angaben, die er bei seiner Festnahme gegenüber der Polizei gemacht hat.«

    »Aber dann ist doch alles klar!«, rief Raster aus. »Wieso machst du denn so ein Drama von wegen Ungerechtigkeit?«

    »Pass auf! Ich bin ja noch nicht fertig. Ich habe daraufhin in Erfahrung gebracht, wer der Anwalt meines Kollegen ist. Der hat alles aufgenommen und meinte, ich müsste das auch vor Gericht bezeugen, weil die Staatsanwaltschaft eine Gegenzeugin habe.«

    »Okay. Und wie ging das weiter?«

    »Heute war der erste Tag der Hauptverhandlung. Kuklinski sitzt wegen Fluchtgefahr in U-Haft. Jedenfalls komme ich gerade da her.«

    »Jetzt spann mich nicht so auf die Folter, Philo! Was ist schiefgelaufen?«

    »Die Staatsanwaltschaft präsentierte vor meiner Aussage eine Frau, die unter Eid bezeugte, dass sie Kuklinski zum fraglichen Zeitpunkt in der Nähe des Tatorts, im Rombergpark, gesehen habe.«

    »Dann lügt die! Mann! Ich glaube eher dir als irgendeiner womöglich gekauften Pseudozeugin. Aber das muss der Richter doch genauso eingeschätzt haben. Oder etwa nicht?«

    »Der war anfangs tatsächlich skeptisch und hat die Frau ganz schön in die Mangel genommen. Aber dann hat die Staatsanwältin die Bombe platzen lassen.«

    Raster zog gespannt die Augenbrauen in die Höhe. »Und?«

    »Die Frau behauptet, nicht nur Kuklinski gesehen zu haben, sondern er sei richtiggehend in sie hineingelaufen. Daraufhin bestätigte ein Gutachter von der Kriminaltechnik, an einer von Kuklinskis Jacken Fasern gefunden zu haben, die eindeutig vom Pullover der Zeugin stammen, den sie an jenem Morgen getragen hat.«

    3. Kapitel

    Herne, Gysenbergpark, Mai

    Die Sonne schien von einem klaren hellblauen Himmel. Die Luft war noch frisch, aber die sommerlichen Gerüche der diversen Pflanzen versprachen einen warmen Tag.

    Sabine Funda war früh unterwegs an diesem Donnerstagmorgen. Sie hatte mit ihrer Schwester und den beiden Mädchen gefrühstückt, Hanna geholfen, den üblichen morgendlichen Zeitdruck zu überstehen, bis Clarissa und Laura endlich in ihren jeweiligen Schulbussen saßen und sich danach in ihren Joggingsachen zum Gysenbergpark aufgemacht. Sie musste den Kopf freibekommen und sich über einige Sachen klar werden. Und wobei ging das besser als beim Joggen?

    Sie startete an der Therme Lago, lief eine Runde am Forsthaus vorbei, überquerte die Gerther Straße und bog in ihr Lieblingswaldstück, den Volkspark, ein. Vielleicht war sie die erste Runde zu schnell angegangen, vielleicht war sie in den letzten Monaten außer Form geraten. Die Zeit bei ihrer Schwester hatte ihre Alltagsgewohnheiten ziemlich durcheinandergebracht. Nach Luft schnappend sank sie auf eine Bank in der Nähe des Sportplatzes mit einem wunderschönen Blick auf die angrenzenden Felder.

    Sie wollte nachdenken, Dinge abwägen und überlegen, wie ihr Leben in Zukunft weitergehen sollte. Doch im Grunde wusste sie bereits, wie sie sich entscheiden würde. Der tiefe Schock, der sie bis ins Innerste getroffen hatte, war mittlerweile überwunden und einer Reife und Gelassenheit gewichen, die sie noch vor wenigen Monaten nicht für möglich gehalten hatte. Die Erkenntnis, dass ausgerechnet der Mann, den sie endlich als den Richtigen angesehen hatte, und der vermeintlich in ihr Wunschbild – nämlich ihrem Vater sehr ähnlich zu sein – passte, sich als Verbrecher, Lügner und Betrüger entpuppt hatte, hatte sie nicht zerbrechen können, sondern stärker werden lassen. Die Sehnsucht nach einer neuen Partnerschaft war verschwunden, einfach weg. Aber Sabine fand das nach einer solchen Erfahrung normal. Sie würde sich Zeit geben und vor allem nicht mehr diesem Idealbild eines Vaterersatzes hinterherhecheln.

    Nein, diesbezüglich war alles wieder gut. Mehr Gedanken machte sie sich über etwas anderes. Sie hatte, nachdem Lauras Vater inhaftiert worden war, ihre Aufgabe darin gesehen, ihrer Schwester beizustehen. Sabine war immer noch überwältigt von der Selbstverständlichkeit, mit der Hanna die kleine Laura aufgenommen hatte. Natürlich konnte man ein Kind mit Downsyndrom mindestens so lieb haben wie ein vollkommen gesundes, aber jeder, der behauptete, die Belastung und Arbeit wäre dieselbe, der log. Gerade am Anfang war es gut gewesen, dass sie sich die verschiedenen Aufgaben geteilt hatten. Zumal Hannas Tochter Clarissa auf keinen Fall das Gefühl bekommen durfte hintenanzustehen. Jetzt war allerdings eine Routine in den Alltag gekommen, die Sabines Anwesenheit nicht mehr unbedingt erforderlich machte. Außerdem war ein Mann in Hannas Leben getreten. Sabine freute sich riesig für ihre Schwester, die bei einem Workshop, zu dem sie von ihrer Firma geschickt worden war, einen richtig netten Typ kennengelernt hatte, der nicht gleich das Weite suchte, als er von den beiden Mädchen hörte. Ohne Neid gönnte Sabine ihrer Schwester diese Entwicklung. Auch Hanna hatte genügend schlechte Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht.

    Sabine überlegte weiter. In der kleinen Mietwohnung wurde es ihr langsam ein wenig eng. Sie vermisste ihr großes Zimmer in der WG in Dortmund, ihre Bücher, ihre Intimität. Jetzt schlief sie seit Monaten entweder im Wohnzimmer auf der Couch oder, wenn es sich abends nach dem Vorlesen so ergab, bei einem der Mädchen im Bett.

    Und noch ein dritter Aspekt drängte sich immer mehr in ihr Bewusstsein: Ihr fehlte die Arbeit. Finanziell war es sicherlich nicht nötig, sofort wieder anzufangen, aber Sabine liebte ihren Beruf. Was genau sie in Zukunft machen würde, war ihr noch nicht klar. Aber Ärztin zu sein, innerhalb kurzer Momente teilweise lebenswichtige Entscheidungen zu treffen, oder einfach nur für Menschen da zu sein, brauchte sie wie andere das tägliche Brot. Im Deutschen Ärzteblatt hatte sie erst vor wenigen Tagen eine Annonce gefunden, in der eine Familie aus dem Dortmunder Osten eine Ärztin suchte. Es ging um die Betreuung des betagten Großvaters, der an einer COPD litt. Sabine wusste natürlich, wie beeinträchtigend diese chronische Lungenerkrankung sein konnte, dass eine Familie jedoch eine Ärztin und nicht einen Pfleger für den alten Herrn suchte, war ungewöhnlich. Entweder wussten sie nicht, wie teuer eine Rundumbetreuung durch einen Arzt war oder es lag hier ein Missverständnis vor. Andererseits war die Anzeige so aufwendig gestaltet, dass allein die eine gehörige Summe gekostet haben musste. Interessant war auch, dass explizit eine Ärztin und kein Arzt gesucht wurde. Vielleicht wäre das ja was für sie. Etwas ganz anderes als ihre bisherige Arbeit auf dem Rettungswagen. Wahrscheinlich sehr viel ruhiger und beschaulicher, als das hektische Agieren an einem Unfallort oder bei einem Akutpatienten. Außerdem hätte sie die Wochenenden frei und wäre unter der Woche wohl kaum in der Wohnung des Patienten gefangen.

    Sabine merkte, dass ihre Gedanken in den Bereich der Spekulationen abglitten. Noch hatte sie die Stelle ja nicht. Müßig blinzelte sie in die Sonne, die ihr warm ins Gesicht schien. Gleichzeitig registrierte sie mit leiser Freude, dass zwei junge Männer, die an ihrer Bank vorbeijoggten, verstohlene Blicke auf die Frau warfen, die da mit lang ausgestreckten Beinen die Sonne genoss. Sie war nicht stolz oder eingebildet auf ihr Äußeres. Sie freute sich einfach darüber, dass sie mit 41 Jahren noch fit war, eine sportliche Figur besaß und war dankbar für ihr hübsches Gesicht. Ein wenig wehmütig dachte sie an ihre Mutter, die in diesem Alter ähnlich ausgesehen hatte. Leider war sie nicht viel älter geworden. Ihre Eltern waren zusammen bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Sabine gerade einmal 19 Jahre alt war. Ihre drei Brüder und ihre Schwester lebten bereits

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1