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Eine Münze für Anna: Der Christ-Clan
Eine Münze für Anna: Der Christ-Clan
Eine Münze für Anna: Der Christ-Clan
eBook275 Seiten3 Stunden

Eine Münze für Anna: Der Christ-Clan

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Über dieses E-Book

Nationalrat und Staranwalt Markus Christ kann nur schwer den plötzlichen Tod seiner geliebten Frau verkraften. Anna war die Liebe seines Lebens und das Herz der Familie. Markus fühlt sich verraten, ja, nach dreissig gemeinsamen Jahren brutal im Stich gelassen. Warum nur hat Anna ihre Krankheit verheimlicht? Auch die drei Kinder, Florian der Pfarrer, Tina die Ärztin und Claudia die Kommissärin, traf dieser Schicksalsschlag unvorbereitet.
Vielleicht wäre Anna ja zu retten gewesen, wenn sie ihre Tochter Tina konsultiert hätte. Und wie geht es nun weiter ohne die gute Seele und treibende Kraft der Familie? Gelingt es Markus, die Familie zusammenzuhalten? Will er überhaupt noch Bundesrat werden? Kann er sich ein Leben ohne Anna vorstellen? Die bohrenden Fragen blockieren ihn, krallen sich gnadenlos in sein Herz. Zum ersten Mal in seinem Leben steht Markus vor einem düsteren Abgrund.
Anne Gold legt den ersten Roman ihrer neuen Serie vor – der Christ-Clan.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Juni 2019
ISBN9783724523765
Eine Münze für Anna: Der Christ-Clan

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    Buchvorschau

    Eine Münze für Anna - Anne Gold

    KAPITEL

    Bedächtig senkte sich der Sarg in das Grab. Es war totenstill, niemand sprach ein Wort. Obwohl Markus Christ während des Trauergottesdienstes am vergangenen Samstag im Basler Münster ausdrücklich betont hatte, dass die Beisetzung seiner geliebten Frau nur im Kreise der engsten Familie stattfinden sollte, liessen es sich Freunde, Geschäftspartner und Politiker nicht nehmen, Anna Christ auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Mit roten Rosen oder einer Handvoll Erde nahmen die Trauergäste auf dem Hörnli Abschied, ein jeder mit seinen persönlichen Gedanken an die viel zu früh Verstorbene. Nach über einer Stunde lichtete sich die Menge. Kopfschüttelnd stand Markus Christ mit seinem Vater vor dem mit Blumen übersäten Grab. Wie konntest du nur, Anna? Eine tiefe Trauer und eine unsägliche Wut zerreissen mich fast. Du hast mich oft mit deinen Ansichten halb in den Wahnsinn getrieben, aber das hier, das treibt mich in den Abgrund. Wie soll es weitergehen ohne dich?

    «Es ist nicht gut, wenn die Kinder vor ihren Eltern gehen müssen», wandte sich Ernst Christ an seinen Sohn.

    Markus nickte zustimmend. Er wusste, was jetzt kam.

    «Gar nicht gut. Sie war zwar deine Frau, doch für mich wie die eigene Tochter, die uns vergönnt blieb.»

    «Ein sinnloser Tod.»

    «Es ist auch nicht gut, wenn unsere Frauen vor uns gehen. Irene sagte immer, wenn du mich überlebst, muss ich mir da oben Sorgen machen, ob du allein zurechtkommst.»

    «Warum hat sie nicht mit mir geredet? Oder mit Tina?»

    «Weil sie euch nicht belasten wollte.»

    «Nicht belasten? Das ist purer Hohn. Belastet uns ihr Tod nicht tausendmal mehr, als es das Wissen um ihre Krankheit getan hätte? Jetzt haben wir keine Wahl mehr. Wir müssen ohne Anna leben, irgendwie, mit dem schier unerträglichen Gedanken, dass sie bei rechtzeitiger Hilfe vielleicht noch leben könnte.»

    «Möglicherweise unterschätzte sie ihre Krankheit, glaubte, die Schwindelanfälle würden wieder aufhören.»

    «Dass sie ihren Tumor vor mir verheimlichte, kann ich noch verstehen. Aber Tina ist Ärztin. Wenn sie unsere Tochter im Anfangsstadium mit ihren Sehstörungen und ihren Schwindelanfällen konsultiert hätte, würden wir nicht hier stehen. Da bin ich ganz sicher.»

    Markus nahm von seiner Assistentin Nicole einen Strauss Rosen entgegen und legte ihn sanft aufs Grab. Ruhe in Frieden. Du bist und bleibst meine grosse Liebe … nur, das verzeihe ich dir nie. Mit Tränen in den Augen wandte er sich ab.

    «Sie ist einfach gegangen, Vater. Ohne Vorwarnung.»

    «Ja, ich weiss. Es ist grausam. Vielleicht wusste sie, dass es keine Rettung mehr gab.»

    Florian Christ legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter.

    «Wir sollten langsam aufbrechen, Paps. Die Gäste warten bereits im Lokal.»

    «Geht schon mal vor. Ich bleibe noch einen Moment hier.»

    Markus blickte seinen drei Kindern nach, die mit ihrem Grossvater den Friedhof verliessen. Anna, ich bin stolz auf unsere Kinder. Unsere Zweitgeborene, Tina, war immer dein Liebling. Ja, das ist so, ob du es zugeben willst oder nicht. Sie ist das geworden, was du dir immer gewünscht hast – Ärztin aus Leidenschaft. Markus schmunzelte. Ich sehe noch dein Gesicht vor mir, als Andrea, die Älteste im Bunde, verkündete, sie werde Polizistin. Für einen kurzen Moment warst du sprachlos, ich erinnere mich noch gut an unsere Sinnlosdiskussionen. Und dann folgte der zweite Schock, als unser Jüngster, Florian, uns eröffnete, er fühle sich zum Geistlichen berufen. Deine zahlreichen Versuche, ihn von seiner Berufung abzubringen, waren vergeblich. Ein Pfarrer! Wie schrecklich. Anwalt oder Architekt ja, das wäre in Ordnung gewesen, aber doch kein Pfaffe. In den letzten Jahren fandest du dich damit ab. Endlich, kann ich nur sagen. Und, wenn du ehrlich bist, weisst du, dass beide den richtigen Beruf gewählt haben. Gibs zu, du bist sogar stolz auf die erfolgreiche Kommissärin und den Pfarrer, der in den wenigen Jahren seines Wirkens viel in unserer Stadt bewegt hat. Anna! Warum lässt du mich allein? Wieso hast du mit niemandem über deinen Hirntumor gesprochen? Komm mir nicht damit, dass du es nicht wusstest. Es ist verdammt egoistisch von dir, mich einfach allein zurückzulassen.

    «Chef, wir sollten langsam zu den anderen gehen», ermahnte ihn seine Assistentin sanft.

    Irritiert sah sich Markus um.

    «Nicole? Warst du die ganze Zeit hier?»

    «Ja, natürlich. Wo soll ich sonst sein?»

    «Bei den Gästen.»

    «Wir sollten sie nicht länger warten lassen.»

    «Gib mir noch eine Minute.»

    Umständlich kramte Markus eine Münze aus der Jacke, legte sie ins Grab und bedeckte sie mit frischer Erde. Geh behutsam mit ihr um, Anna. Ich will sie zurück, wenn wir uns wiedersehen. Und das werden wir, meine Liebe.

    «Der Wagen steht oben auf dem Parkplatz.»

    Schweigend gingen sie nebeneinander her. Der Schmerz und die tiefe Trauer wogen schwer.

    «Danke, dass du gewartet hast.»

    «Das ist mein Job.»

    «Ist es nicht, aber ich weiss es sehr zu schätzen.»

    Nicole Ryff begleitete die Karriere des Nationlarats seit mehr als zwölf Jahren. Als seine rechte Hand koordinierte sie alle Termine, hielt ihm den Rücken frei und griff zuweilen regulierend ein, wenn ihr Chef übers Ziel hinausschoss.

    «Weshalb tust du das?»

    «Was?»

    «Du weisst, was ich meine.»

    «Weil es mir Spass macht.»

    «Einem mürrischen Politiker die Termine zu organisieren, stundenlang auf ihn zu warten und den ganzen Tag seinen Gemütsschwankungen ausgesetzt zu sein? Ich kann mir weit Besseres für eine intelligente, attraktive Dreissigjährige vorstellen.»

    «Achtunddreissig.»

    «Das ist keine Antwort.»

    Nicole stieg in den Mercedes, Christ setzte sich auf den Beifahrersitz.

    «Ist es ein Affront, wenn wir nicht am Leichenmahl teilnehmen?»

    «Das ist es. Aber es wird keiner wagen, darüber ein Wort zu verlieren.»

    «Und die Kinder?»

    «Die kennen dich besser, als du dich selbst. Tina lässt dir ausrichten, dass es in Ordnung ist, wenn du nicht erscheinst. Sie versteht es.»

    «Die Teilnahme so vieler Menschen entsprach absolut nicht meinem Wunsch nach einer Beisetzung im engsten Familienkreis.»

    «Ja, leider. Da unsere Telefone in den letzten Tagen heissliefen, war ich darauf vorbereitet.»

    «Deshalb auch der Lautsprecher ausserhalb der Kapelle.»

    «Genau. Es war eine würdige Abdankung. Florian war sehr gut … Ich musste weinen.»

    «Das heisst viel.»

    «Das letzte Mal weinte ich beim Tod meines Bruders. Nach Hause?»

    «Du schuldest mir noch eine Antwort.»

    «Mir macht es wahnsinnig Spass, dein Sekretariat zu leiten.»

    «Aber das genügt dir doch nicht auf lange Sicht.»

    «Überlass das getrost mir. Für die nächsten Tage habe ich alle Termine abgesagt.»

    «Und das gab keine Probleme?»

    «Nein, das heisst, nur dein schmieriger Parteifreund war uneinsichtig.»

    «Du magst Ingo nicht besonders, stimmts?»

    «Korrekt. Ich sehe ihm seine perversen Gedanken förmlich an. Wenn er mich einmal, nur ein einziges Mal berührt, geht er durch die Hölle.»

    «Was will er?»

    «Das verschwieg er. Es sei ungeheuer dringend. Der Kerl kann ganz schön nerven.»

    «Wann?»

    «Morgen, um zehn. Wenn du willst, vertröste ich ihn auf den Nachmittag oder auf Donnerstag. So dringend wird es wohl nicht sein.»

    «Schon gut. Ich will hören, was Ingo so dringend unter den Nägeln brennt.»

    «Was war das für eine Münze?», fragte Nicole.

    «Über diese Münze lernte ich Anna kennen. Ich vertrat als junger Anwalt eine Firma in einem Arbeitsprozess.»

    «Eine Tochterfirma deines Vaters?»

    «Nein. Die ersten Sporen verdiente ich mir in einer kleinen Kanzlei ab. Ein KMU entliess einen Mitarbeiter fristlos in seiner Zweigstelle in Lörrach, weil er angeblich die Portokasse geplündert hatte. An und für sich eine Lappalie, doch der Entlassene zog vor Gericht. Als ich den Mann sah, wusste ich, dass ich mir den Weg nach Lörrach hätte sparen können. Das war kein Dieb. Der Richter kanzelte mich als Vertreter des KMU grausam ab. Zu Recht. Und so kroch ich mit meiner Schlappe gebeutelt zum Parkhaus, ohne Kleingeld und plötzlich ging die Sonne auf. Eine wunderschöne Frau half mir mit einer Münze aus.»

    «Anna.»

    «Ja. Wir verliebten uns auf den ersten Blick. Es war Schicksal. Die Münze habe ich dann gar nicht benötigt, denn während wir uns unterhielten, kam der Beklagte und entschuldigte sich bei mir für die beleidigenden Worte des Richters. Ich könne ja nichts dafür. Er lud Anna und mich zum Kaffee ein und versorgte mich mit Kleingeld für die Parkgebühren. Annas Münze behielt ich als Erinnerung an unsere erste Begegnung.»

    «Und jetzt liegt sie auf ihrem Grab.»

    «Sie wird sie mir zurückgeben, wenn wir uns wieder treffen.»

    «Ich dachte im ersten Moment an die griechische Mythologie.»

    «Den Fährmann Charon, der die Toten gegen einen Obolus über den Acheron ins Reich des Hades fährt?»

    «Exakt. So, wir sind da.»

    «Kommst du noch auf einen Kaffee mit rein?»

    «Natürlich.»

    Nicole gab Hannah, der Hausdame der Familie Christ, zu verstehen, dass Markus einen Augenblick allein sein wollte, und zog sich mit ihr in die Küche zurück. Gedankenversunken setzte sich Markus an seinen Lieblingsplatz mit Sicht auf den Garten und den Swimmingpool. Wo ich hinschaue, erinnert mich alles an Anna. Als sie noch lebte, war mir das nie bewusst. Schon seltsam. Erkennt man wirklich erst, was man hat, wenn es bereits verloren ist? Vielleicht hat es etwas mit Glück zu tun, dass alles, was wir haben wollen, wir entweder nicht bekommen oder es uns genommen wird. So ein dummer Spruch oder steckt womöglich ein Funke Wahrheit darin? Anna, du fehlst mir so. Schaue ich in den Garten, sehe ich, wie du die Hecken schneidest, den Rasen mähst, um danach über die Gartenarbeit zu stöhnen. Meinen Vorschlag, für die schwere Arbeit einen Gärtner zu engagieren, winktest du jedes Mal aufs Neue ab. Das war Teil unseres Rituals. Der Garten war dein Reich. Nicht einmal unsere Kinder durften es wagen, in deinem Königreich zu wildern.

    «Kaffee oder etwas Stärkeres?»

    «Einen Whisky mit wenig Eis, bitte.»

    «Kommt sofort.»

    Wohin ich schaue, ich erwarte, dass Anna im nächsten Moment durch die Tür tritt und das Zimmer mit Leben füllt. «Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet, hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt. Nordisch nobel, deine sanftmütige Güte, dein unbändiger Stolz. Das Leben ist nicht fair.» Wie recht Herbert Grönemeyer mit diesen Zeilen hat. Es ist, als hätte er sie für Anna geschrieben. Ich muss mich daran gewöhnen, dass ich allein bin. Irgendwie. Irgendwann. Zu Hause in dieser riesigen Villa sind der Schmerz und die Einsamkeit am grössten. Wie konnte das nur so enden? Anna, du fehlst mir so sehr! Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit, wurden vom Glück verwöhnt. Drei wunderbare Kinder bereichern unser Leben und ehrlich, sie sind das Beste, was uns je passierte. Auch Geld spielte nie eine Rolle, es war einfach da. Diese finanzielle Unabhängigkeit hat unseren Alltag sehr erleichtert. Ich würde dem Spruch «Geld macht nicht glücklich» nie und nimmer zustimmen. Wir waren es, nicht zuletzt wegen unseres Vermögens. Am Anfang tat sich Anna schwer mit unserem Stand. Verständlich, wuchs sie als unerwünschtes Kind im Waisenhaus auf. Hinzu kam erschwerend, dass meine Mutter ihr offen zeigte, dass sie keine standesgemässe Partie für ihren Sohn war. Anna konnte sich bemühen, wie sie wollte, sie stiess auf totale Ablehnung. Der Tanz auf dem Vulkan dauerte ganze zwei Jahre.

    «Hier Whisky mit wenig Eis.»

    «Danke. Ich weiss nicht, ob ich in der Villa bleibe. Jede Kleinigkeit erinnert mich an Anna. Ich könnte dir über jedes Möbelstück, sogar über die Kissen und den Teppich eine Geschichte erzählen. Eben musste ich an ihren zwanzigsten Geburtstag denken.»

    «Ihr wart lange zusammen. Was war am Zwanzigsten?»

    «Paps lud uns ins Stucki ein und der Horror begann. Ich wollte die Einladung ausschlagen, weil ich ahnte, was passiert. Meine Mutter war eine schwierige Person. Leider tat ich es nicht, vermutlich war ich zu wenig aufmüpfig.»

    «Du scheutest wohl die Konfrontation mit deiner Mutter.»

    «Ja, bestimmt. Sie war sehr dominant, ich konnte ihr nicht auf Augenhöhe begegnen.»

    «Was ist an dem Abend passiert?»

    «Anna freute sich riesig auf das Essen und interpretierte die Einladung als Zeichen dafür, dass sie endlich akzeptiert sei. Die Freude war von kurzer Dauer.»

    «Deine Mutter machte Terror.»

    «Und wie. Sie führte Anna richtig vor.»

    «Und das liessest du zu?»

    «Ich kam gegen meine Mutter nicht an. Du brauchst gar nicht mit den Augen zu rollen … Abwesend assen wir Gang um Gang und sehnten uns einzig und allein nach dem Ende des Schreckens. Plötzlich platzte Paps der Kragen.»

    «Was deine Mutter nicht besonders beeindruckte.»

    «Überhaupt nicht. Sie lachte nur verächtlich und begann mit Paps zu streiten. Der legte ganz ruhig sein Besteck auf den Tisch und sagte: ‹Irene, es ist jetzt besser, wenn du dich in ein Taxi setzt und nach Hause fährst.›»

    «Das ist ihr eingefahren.»

    «Ganz und gar nicht. Sie provozierte so lange weiter, bis sich Paps erhob. ‹Wenn du nicht gehst, ist es Zeit für mich›, entschied er. Dann entschuldigte er sich bei Anna. Als ihn Mutter unterbrechen wollte, rastete er aus. ‹Du bist sofort still, ich will kein Wort mehr hören. Nur, weil ich ein Christ bin und du eine Merian bist, gibt es uns noch lange kein Recht, auf andere herabzusehen.› Er erinnerte meine Mutter daran, dass sie nur mit grossem Engagement und mit etwas Glück die heruntergewirtschaftete Bank ihrer Eltern sanieren konnten, sonst würden sie nicht hier sitzen. Sie solle es ja nie mehr wagen, in seiner Gegenwart so aufzutreten wie heute. Das war eine starke Ansage von Paps. Zum Abschied nahm er Anna in den Arm. Die Liebe sei etwas Wunderbares und wir sollten unsere mit beiden Händen festhalten. Natürlich bekam ich auch noch mein Fett ab, weil ich mich zu wenig für Anna eingesetzt hatte. Was der Wahrheit entsprach. Zu guter Letzt lud er uns für Heiligabend ein, du hättest das Gesicht meiner Mutter sehen soll. Unbezahlbar.»

    «Und Irene?»

    «Sie schimpfte vor sich hin. Paps lächelte, küsste sie und gestand ihr seine Liebe. Er wüsste nicht, was er ohne sie machen würde. Das Seltsame daran war der Tonfall, ich bekam Gänsehaut. Damit war die Angelegenheit für immer erledigt. Ein Jahr später heirateten wir, kurz bevor Tina zur Welt kam.»

    «Und das Verhältnis zwischen Anna und Irene?»

    «Wurde nach und nach besser, aber nie besonders herzlich. Mutter wusste, dass sie einlenken musste. Dafür kannte sie ihren Mann zu gut. Paps ist der gutmütigste Mensch auf der Welt, bis ihm der Kragen platzt. Dann muss man sich sehr warm anziehen.»

    «Du bist unverkennbar sein Sohn. Viele verwechseln allerdings deine Gutmütigkeit mit Dummheit und sind erstaunt, wenn sie abserviert werden. Noch einen Whisky?»

    «Einen kleinen.»

    Dreiunddreissig Jahre verheiratet! Niemand dachte, dass unsere Ehe hält. Doch wir meisterten alle Krisen, auch die heftigsten und ich bedaure keinen einzigen Tag. Ganz im Gegenteil. Anna, du bist und bleibst meine grosse Liebe.

    «Hier zum Zweiten mit wenig Eis.»

    «Danke. Florian sucht eine neue Wohnung, er soll in die Villa ziehen.»

    «Guter Plan. Pfarrer Florian verkündet von der Kanzel herab, Geben ist seliger denn Nehmen, steigt in seinen Ferrari, rast durch die Stadt aufs Bruderholz und schwimmt einige Runden im Pool.»

    «Nur nicht so zynisch.»

    «Das ist eine Schnapsidee. Es sei denn, du erlaubst ihm, aus deinem bescheidenen Heim eine Obdachlosenunterkunft zu machen.»

    «Wohl nicht der geeignete Standort dafür.»

    «Wenigstens darüber sind wir uns einig. Wo möchtest du denn in Zukunft wohnen, wenn nicht in der Villa?»

    «In einem unserer anderen Häuser. Davon gibts schliesslich genügend.»

    «Lass es einen Monat oder zwei ruhen und entscheide dann. Übrigens, Tina fühlt sich schuldig.»

    «Wegen Anna?»

    «Ja. Sie gibt sich die Schuld an ihrem Tod.»

    «Weshalb weiss ich nichts davon?»

    «Weil es gestern Abend ein Gespräch unter Freundinnen war. Zudem erzähle ich es dir ja jetzt. Sie meint, dass sie aufgrund gewisser Symptome hätte aufhorchen müssen.»

    «Anna war eine Meisterin darin, etwas zu verschleiern.»

    «Das sagte ich Tina auch, aber wirklich beruhigen konnte ich sie nicht. Sie zweifelt total an sich. Als Ärztin habe sie versagt, weil sie die Anzeichen nicht bemerkte, als Tochter sowieso. Sie leidet extrem unter dem Tod ihrer Mutter.»

    «Soll ich mit ihr sprechen?»

    «Noch nicht. Wir gehen morgen nochmals essen. Dann sehen wir weiter. Brauchst du mich noch? Falls nicht, würde ich langsam gehen.»

    «Ich begleite dich noch hinaus.»

    «Wann soll ich dich morgen abholen?»

    «Ingo kommt um zehn, sagen wir um neun.»

    Nicole küsste ihn auf die Wangen.

    «Kann ich dich wirklich allein lassen?»

    «Ja, natürlich.»

    «Gut. Aber keine Dummheiten machen.»

    «Ich gebe mir Mühe.»

    Christ zappte durchs Fernsehprogramm, während das von Hannah zubereitete Essen auf dem Clubtisch verkümmerte. Anna hielt die Familie zusammen, symptomatisch dafür war das wöchentliche Essen am Sonntagabend bei uns. Vater, die Kinder und je nach Lust und Laune der jeweilige Lebenspartner von Andrea und Tina. Florian brachte noch nie jemanden mit, was Andrea dazu verleitete, ihn zu provozieren. Mehrmals griff Anna im letzten Moment ein, bevor die Situation eskalierte. Andrea vermutete, ihr Bruder sei

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