Der Geisterpirat
Von Ursel Scheffler und Eva Czerwenka
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Buchvorschau
Der Geisterpirat - Ursel Scheffler
Kapitel 1
Erstes Kapitel, in dem Selim mit frischem Brot im Korb und alten Träumen im Kopf durch die Straßen von Simba geht, dem Sultan begegnet, in den Staub und aus der Backstube fliegt, worauf er schließlich im Hafen landet.
„Brot! Frisches Brot!", ruft Selim und schiebt sich mit seinem Korb durch das Gewühl der engen Gassen von Simba. Dann betritt er die Hafenschänke.
Aber keiner der Gäste im Schielenden Krokodil achtet diesmal auf ihn. Dabei reißen ihm sonst die hungrigen Fischer und Seeleute die duftenden Sesamkringel und Fladenbrote nur so aus den Händen.
Alle drängen sie sich um den Tisch in der Ecke, über dem die Lampe aus Walfischbein hängt. Dort sitzt ein schwitzender, schwarzbärtiger Seemann. Einer von denen, die am Morgen mit der böse zugerichteten Ratonera eingelaufen sind.
Er erzählt, dass sein Schiff in der Straße von Madagaskar überfallen worden ist.
Von El Portugues, dem schrecklichen See-Räuber.
„Geht zum Hafen und seht euch an, wie sie unser schönes Schiff zugerichtet haben", klagt der Schwarzbärtige und fällt dann über das Essen her, das ihm Tape, der Wirt, vorsetzt.
„Was du nicht sagst! Und ich hab gedacht, El Portugues ist seit vielen Jahren tot!", ruft der Wirt überrascht.
„Lügen, alles Lügen. Damit er ungestraft im Namen anderer die Meere leer plündern kann!", behauptet der Schwarzbärtige.
„Ich habe ihn vor sieben Jahren das letzte Mal gesehen. Er saß dort, wo du jetzt sitzt, Schwarzbart. Er trank eine ganze Kanne Wein auf einen Zug. So sind sie nun mal, diese Europäer. Und er zahlte mit echten Golddublonen, erinnert sich Tape. „Man erzählt sich, dass er auf seiner Pirateninsel noch jede Menge davon hat. Ich fand ihn übrigens nicht unsympathisch!
„Ein skrupelloses Scheusal ist er. Wenn ich’s euch sage! Ich habe ihm ins Auge geblickt! Er hat jetzt nur noch eins. Und er hat Falten im Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel. Aber dieses Auge sprüht wie Feuer unter den buschigen Brauen! Er hat einen Ring im linken Ohr, der ist so groß, dass sein Papagei darin sitzen kann. Muskeln hat er wie ein türkischer Ringer. Und das Schwert schwingt er wie ein Samurai."
Mit vollem Mund schildert der Seemann seine Begegnung und mit vollmundiger Beredsamkeit.
„Wie heißt sein Schiff? Und wie sieht es aus, damit wir es gleich erkennen, wenn es unseren Weg kreuzt?", fragt ein Fischer.
„Wenn ihr es erkennt, ist es schon zu spät!", sagt der Seemann und wischt sich den Bart mit dem Ärmel. „Es heißt Anna Conda. Voll aufgetakelt ist es so schnell wie der Wind. Am Hauptmast weht die Flagge mit der schwarzen siebenköpfigen Schlange, seinem Erkennungszeichen."
Atemlos lauscht das Publikum. Der Wirt stützt die Arme in die Seite und sagt grübelnd: „Dann sag doch bloß, wie es gekommen ist, dass ihr diesem schnellen Schiff entwischen konntet!"
„Tja, das war so: Das Glück wollte es, dass wir eine Ladung Rumfässer an Bord hatten. Über die fielen die Seeräuber her. Saufbolde sind sie! Einer schlimmer als der andere. Wir sind fromme Muslims und trinken keinen Tropfen. Da haben wir einfach so lange gewartet, bis alle betrunken waren. Als sie schliefen, konnten wir mit unserem Schiff fliehen …"
„Warum habt ihr die Piraten nicht gefangen genommen oder getötet?, ruft ein Soldat aus der Garde des Sultans. „Dann wären wir sie ein für alle Mal los!
„Bist du des Teufels? Wenn nur einer auf dem Weg ins Paradies einen Mucks oder Freudenseufzer gemacht hätte, dann wären wir alle verloren gewesen! Schließlich waren sie hundert und wir nur sieben!", rechtfertigt sich der Schwarzbart.
„Hundert Mann! Donnerwetter!", schnaubt der Soldat aus der Garde anerkennend und nimmt noch einen Schluck süßen Pfefferminztee.
„Was stehst du herum und gaffst!", sagt ein dicker Kaufmann, der über Selims Korb stolpert.
„Brot! Frisches Brot!", ruft Selim rasch, der fasziniert dem Bericht des Schwarzbärtigen gelauscht hat. Aber keiner kauft ihm etwas ab.
„Nun lauf schon! Du solltest längst zurück sein!", ermahnt der Wirt den Bäckerjungen.
Nur widerstrebend verlässt Selim die Hafenschänke. Was hätte er darum gegeben, zur See fahren zu dürfen, statt Bäckerjunge zu sein. Wie oft hat er schon davon geträumt, auf einem Schiff so schnell wie der Wind über das kristallklare Meer zu gleiten und El Portugues, den gefährlichen Piraten, zu besiegen. Alle würden ihn bewundern, wenn er zurückkäme. Und er würde vom Sultan eine große Belohnung bekommen. Und einen Orden vielleicht …
Plötzlich mischen sich Traum und Wirklichkeit. Ein Trommelwirbel verkündet das Nahen des Sultans, der von Sänftenträgern vom Palast herunter zu seinem Schiff getragen wird.
Selim kann nicht widerstehen. Er läuft die Hafenstraße hinunter, um einen Blick auf den Sultan zu erhaschen.
Da kommt er schon. Voran gehen vier Trommler. Dann kommen vier Sänftenträger, flankiert von zwei Fächer schwingenden Dienern. Dahinter folgen vier Hofbeamte mit dem Gepäck.
Einen Augenblick lang kann Selim das Gesicht des Sultans sehen. Es ist rund, in doppelte Kinnfalten gebettet.
In diesem Augenblick springt Selim ein hungriger Hund von hinten an und stiehlt ein Fladenbrot. Der Junge fällt durch den Stoß in den Staub. Sein Brot liegt im Dreck. Er hat so gut wie nichts verkauft. Tränen der Wut laufen ihm über die Wangen. Welch ein Unglück! Wie soll er dem strengen Bäcker das Missgeschick erklären? Und er ist viel zu spät dran. Da sind Prügel fällig! Hastig sammelt er das staubige Brot ein.
Als er in die Backstube kommt, lässt ihn der Bäcker gar nicht zu Wort kommen. Er nennt ihn Tagedieb, Herumtreiber, Betrüger und droht ihm mit der neunschwänzigen Katze, der Lederpeitsche, mit der auch die Sklaven geprügelt werden.
„Seit einer Stunde warte ich auf dich! Du musst Brot zur