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Im Schatten der Arena: Mainz 05-Krimi
Im Schatten der Arena: Mainz 05-Krimi
Im Schatten der Arena: Mainz 05-Krimi
eBook265 Seiten3 Stunden

Im Schatten der Arena: Mainz 05-Krimi

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Über dieses E-Book

Der Sportjournalist Jonas wird tot aufgefunden, und die Polizei geht zunächst von einem Unfall aus. Seine Kollegin und gute Freundin Johanna kann das nicht glauben und stellt eigene Ermittlungen an. Sie weiß, dass Jonas seit einiger Zeit an einer Geschichte gearbeitet hat, deren Details er nicht mal ihr anvertrauen wollte.
Hängt der Coup mit seiner journalistischen Arbeit rund um den 1. FSV Mainz 05 zusammen? Wieso hat der nur im Sportjournalismus aktive Jonas ein Interview mit einem bekannten Sänger vereinbart? Und welche Rolle spielt Berater Claus Hopfen, dessen Name ständig in seinen Unterlagen auftaucht?

Je tiefer sich die Journalistin in die Recherchen ihres toten Kollegen vergräbt, desto mehr gerät sie selbst in Gefahr. Als ihr Sohn Luca bei einem Kita-Ausflug spurlos verschwindet, läuft Johanna die Zeit davon. Denn die Männer, die ihr Kind in der Gewalt haben, sind nicht zimperlich.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Mai 2018
ISBN9783955423179
Im Schatten der Arena: Mainz 05-Krimi
Autor

Mara Pfeiffer

Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Seit vielen Jahren begleitet sie den 1. FSV Mainz 05 mit ihrer Kolumne und dem Videoformat „Wortpiratin rot-weiß“ in der AZ (Mainz) sowie als Expertin in SWR und Rasenfunk. Für die BBC schätzt sie Themen rund um die Bundesliga ein, im Sport1 „Doppelpass“, dem DLF oder rbb ist sie als Expertin zu Gast. Pfeiffer gehört zur Crew des Podcast FRÜF – Frauen reden über Fußball, ausgezeichnet mit dem Goldenen Blogger. Im Podcast Flutlicht an! spricht sie mit Menschen über Fußball, die zu wenig im Rampenlicht stehen. In ihrer WEB.de-Kolumne schreibt sie über gesellschaftliche Schieflagen und wie diese sich im Fußball widerspiegeln. Bei der Auszeichnung „Journalist*in des Jahres“ wählte die Jury des Medium Magazins sie im Sport 2021 auf Platz 3.Foto: © Christian Kuhlmann

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    Buchvorschau

    Im Schatten der Arena - Mara Pfeiffer

    Mara Pfeiffer

    Im Schatten der Arena

    Mainz 05-Krimi

    Alle Rechte vorbehalten · Societäts-Verlag

    © 2018 Frankfurter Societäts-Medien GmbH

    Satz: Julia Desch, Societäts-Verlag

    Umschlaggestaltung: Julia Desch, Societäts-Verlag

    Umschlagabbildung: Thomas Volk

    E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt

    ISBN 978-3-95542-317-9

    für Alex.

    für immer.

    Kapitel 1

    I

    st das, wonach es aussieht?"

    Jo dreht sich zur Seite und mustert den Typen, der auf dem Barhocker neben ihrem Platz genommen hat, und so etwas wie ein Lächeln versucht. Falls das seine Pick-Up-Line ist, sollte er dringend daran arbeiten.

    „Wonach sieht’s denn aus?"

    „Ehering."

    Schön, wenn Männer komplizierte Sachverhalte in einem einfachen Hauptwort ausdrücken können, statt einen unnötig langen Satz mit Grammatik und dem ganzen altmodischen Schnickschnack zu bilden. Jo verdreht innerlich die Augen.

    „Ist es."

    „Mist."

    Mit dieser Einordnung hat sich für den Typ offenbar auch die Unterhaltung erledigt. Er steht umständlich vom Barhocker auf und stapft grußlos zurück zu dem großen Tisch in der Ecke der Kneipe, wo er sich zu seinen Kumpels setzt. Denen schildert er die Begegnung mit Jo eindeutig wortreicher, als seine tatsächliche Anmache ausgefallen ist, und sie reagieren mit schallendem Gelächter.

    Jo schaut auf die Uhr – kurz nach elf. Zeit, hier die Segel zu streichen. Auch wenn Luca meist durchschläft und von ihren Ausflügen ins Haddocks selten etwas mitbekommt, lässt sie ihn doch nie länger als eine knappe Stunde alleine. Die aber braucht sie hin und wieder, um etwas Abstand zu bekommen von diesem Leben, in dem sie sich ansonsten ganz gut eingerichtet hat.

    Die alte Ruhelosigkeit, an die sie sich schon aus den Tagen ihrer Kindheit erinnert, ist dennoch ihr Begleiter geblieben, den Jo an Abenden wie heute mit Bier und Tequila zum Schweigen zu bringen versucht. War es nicht Gottfried Benn, der gesagt hat, er kokse vor allem, um die Stimmen in seinem Kopf kurzzeitig ruhigzustellen? Guter Mann, dieser Benn.

    „Zahlen! Jo winkt Benny, der in der angrenzenden Küche gerade die Spülmaschine öffnet und für einen Moment kaum zu sehen ist, im Wasserdampf. „Es waren jeweils zwei, oder?, fragt der und zwinkert lächelnd, also Jo auf drei erhöhen will. „Ist ja schon der Zwölfte!", flüstert der Student, der hier an drei Abenden in der Woche den Laden schmeißt, verschwörerisch. Jo erinnert sich dunkel daran, wie sie ihm kürzlich zwischen zwei Shots erzählt hat, dass ihr Gehalt immer am 15. des Monats fällig wird und sie kurz vorher meist etwas knapp bei Kasse ist. Dafür schämt sie sich jetzt angemessen und gleicht das ungute Gefühl mit viel zu viel Trinkgeld aus, obwohl sie tatsächlich verdammt klamm ist. Benny schaut schuldbewusst auf die Münzen in seiner Hand und Jo schwört sich hoch und heilig, für eine Weile mit den Besuchen im Haddocks auszusetzen.

    Bereits bevor sie die Wohnungstür öffnet, kann Jo Obama auf der anderen Seite maunzen hören. Sobald sie im Flur steht, streicht ihr der fette Kater laut schnurrend um die Beine. Jo bückt sich und streichelt ihm den Kopf.

    „Na, Dicker, alles klar bei euch?" Obama leckt ihre Finger und schüttelt sich, wobei sein Gesichtsausdruck so etwas wie Entrüstung annimmt.

    „Sorry. Salz?" Jo kichert albern. Sie ist offenbar doch ein wenig beschwipst.

    „Leise!, ermahnt sie den beleidigten Kater und drückt den Zeigefinger auf ihre Lippen, während sie die Schuhe auszieht und mit den Füßen unter den Spiegelschrank schiebt. „Du weckst sonst Luca. Obama folgt ihr durch den Flur bis zu der Tür, aus der ein schmaler Streifen blaues Licht fällt. Auf Zehenspitzen tapst Jo in das Zimmer, verbeißt sich tapfer einen Aufschrei, als sich ein scharfer Legostein in ihren nackten Fuß bohrt, und tritt ans Bett ihres Sohnes.

    Das blasse Gesicht des Fünfjährigen ist in das blaue Licht seiner kleinen Nachttischlampe getaucht, auf der Fische die Tiefen eines unbekannten Meeres durchschwimmen. Lucas unzählige Sommersprossen wirken beinahe lila und die kleinen Hände liegen so verdreht auf seiner Stirn und unter dem Kopf, als hätte er sich beim Einschlafen noch die Haare gerauft. Jo weiß aus zärtlichen Erzählungen der Großmutter, dass ihre eigene kindliche Schlafhaltung ganz ähnlich gewesen sein muss. Auch die Sommersprossen im Gesicht des Jungen tragen so schon Jo, ihre Oma und Generationen von Frauen vor ihnen. Luca aber ist der erste Bub, dessen Gesicht sie betupfen. „Ein Zeichen für die Regenschauer in seiner Seele", hat ihre Nonna dazu gesagt und Jos Herz beklommen gemacht, weil sie hofft, ihr Sohn möge in seinem Leben verschont bleiben von den Stürmen, die in ihrer eigenen Seele oft toben.

    Bisher scheint ihr Wunsch sich zu erfüllen. Der Kleine ist ein aufgewecktes, herzliches Kind, das immer lacht. Die Pendelei zwischen Kita, Zuhause und seiner Urgroßmutter scheint ihn nicht weiter zu belasten, auch wenn Jo sehr wohl weiß, dass die alte Frau seinem Temperament nicht ewig gewachsen sein wird. Aber noch kommen sie zu dritt gut zurecht und so unterdrückt Jo den Anflug von schlechtem Gewissen über die zurückliegende Stunde an der Bar – die Kneipe liegt schließlich im selben Haus wie ihre Wohnung – und schleicht aus dem Zimmer des Jungen, nachdem sie das Licht neben seinem Bett gelöscht hat.

    In ihrem eigenen kleinen Schlafzimmer zieht Jo den Ehering ihrer toten Mutter vom Finger und legt ihn in eine Schatulle auf der Kommode, bevor sie ihre Kleider achtlos auf den Boden wirft und nackt unter die Bettdecke schlüpft.

    Jo wird von dem Geruch frischen Kaffees geweckt und ahnt sofort, das verheißt nichts Gutes. Ihr Gefühl bestätigt sich, als sie die Augen öffnet und in Lucas nutellaverschmiertes Gesicht schaut.

    „Mama, du hast verschlafen", erläutert der Dotz eine Tatsache, die zwischenzeitlich auch seiner Mutter klar geworden ist.

    „Na sowas, murmelt sie. „Und deswegen kriege ich keinen Guten-Morgen-Kuss?

    „Doooch!", ruft Luca enthusiastisch und schmatzt ihr einen Teil seiner Schokolade ins Gesicht, bevor er zurück Richtung Küche wackelt.

    Leise fluchend greift Jo nach dem Handy auf ihrem Nachttisch. In einer Push-Meldung informiert RPR1 über einen Autounfall auf der B9 kurz hinterm Bodenheimer Wasserwerk und die Allgemeine Zeitung Mainz verkündet, dass weitere Details zu den inoffiziellen Bezügen des 05-Präsidenten bekannt geworden sind.

    Sie seufzt. Diese Geschichte zieht sich nun schon seit Wochen. Aber sie möchte eigentlich gerade nur kontrollieren, ob sie letzte Nacht betrunken irgendwelche peinlichen Nachrichten abgesetzt hat. Doch da ist scheinbar alles sauber: Postausgang, Anrufliste, SMS. Lediglich im WhatsApp-Verlauf mit ihrem Kollegen Jonas hat sich etwas getan: „Morgen Mittagspause im Bullys?", hat sie ihm um 2.51 Uhr geschrieben. Kurz vor drei. Jo massiert sich die Schläfe. Kein Wunder, dass ihr Kopf derartig dröhnt. Aber eher ungewöhnlich, dass Jonas noch nicht auf ihren Vorschlag reagiert hat, zumal, wenn es um Burger geht. Für die lässt er eigentlich alles stehen und liegen.

    „Guten Morgen, Engelchen." Es ist Jos Großmutter vorbehalten, Kosenamen einen Klang zu geben, der einem Tadel gleichkommt.

    „Du solltest dich hier nicht immer so reinschleichen, Nonna", sagt Jo statt einer Antwort, während sie sich ungelenk an den Küchentisch setzt. Sie bemüht sich nur Luca zuliebe darum, die Schärfe, die sie eigentlich verspürt, aus ihrem Tonfall zu halten.

    „Und du solltest dich hier nicht immer so rausschleichen." Die Großmutter knallt ungerührt eine Tasse Kaffee, schwarz mit wenig Zucker, vor Jo auf den Tisch, die bei dem lauten Geräusch gequält zusammenzuckt.

    „Das geht dich überhaupt nichts an."

    „Wenn mein Ur-Enkel zu spät in die Schule kommt, schon."

    „Mein Sohn geht noch in den Kindergarten. Und wir schaffen das gerade so alleine."

    „Sieht mir nicht danach aus, Engelchen."

    „Lass das Engelchen stecken, Nonna. You’ve got to stop it."

    „Was? Dafür zu sorgen, dass meine drunk ass granddaugther nicht verschläft?"

    Wie immer, wenn die Frauen vor Luca streiten, verfallen sie ins Englische, damit der Junge sie nicht versteht.

    „Wenn du dich derart für das drinking problem deiner eigenen daugther interessiert hättest, she might still be alive – und du müsstest dein schlechtes Gewissen nicht damit beruhigen, to show up here all the time."

    Jo spürt bereits während die aufgewühlten Worte ihren Mund verlassen, dass sie im Begriff ist, zu weit zu gehen. Aber sie kann sich trotz der Alarmglocken in ihrem Kopf nicht bremsen. Sie hasst es, sich in die Ecke gedrängt zu fühlen. Und niemand schafft es besser als ihre Großmutter, ihr das Gefühl zu geben, auf ganzer Linie zu versagen. Dass Nonna – ein Begriff, der sich nach einem gemeinsamen Italienurlaub von Jo, ihrer Mama und der Großmutter in den Achtzigern gehalten hat – es nur gut meint, ändert daran überhaupt nichts, im Gegenteil.

    „Um die Sauferei deiner Mutter zu beenden, hätte man sie emotional von deinem Vater loseisen müssen. Du weißt so gut wie ich, dass das unmöglich war", presst Nonna unüberlegt ohne schützendes Englisch hervor und fixiert Jo mit wütendem Blick.

    „Mama hat gar keinen Vater, mischt Luca sich krähend in die Unterhaltung ein, sichtlich froh darüber, etwas zu verstehen und zugleich einen Punkt gefunden zu haben, an den er anknüpfen kann. „Genau wie ich!

    Der Tonfall des Jungen drückt aus, dass er diese Tatsache für etwas Positives hält. Jo bestärkt ihren Sohn darin, indem sie ihm die ausgestreckte Hand zum High-Five anbietet, das der Junge klatschend und breit grinsend einlöst. Nonna schnaubt aufgebracht. „So ein Unsinn! Jeder Mensch hat einen Vater."

    „Mag sein, entgegnet Jo kühl. „Aber manchen von uns geht’s dabei eben wie Luke Skywalker mit Darth Vader: Wir hätten lieber niemals davon erfahren.

    Wenig später stapft Jo mit Luca an der Hand durch den schmelzenden Schnee zur Kita. Ihr Kopf fühlt sich seltsam leicht an, während ihr Herz schwer in der Brusthöhle liegt. Verfluchte Schnäpse. Verfluchte Nonna. Und verfluchte Erkenntnis, dass beides irgendwie zusammenhängt und weniger Schnaps auch seltenere Überraschungsbesuche der Großmutter bedeuten würde. Am liebsten möchte Jo den Mülleimer, an dem sie gerade mit ihrem Sohn vorbeiläuft, aus der Verankerung treten, eine Runde heulen und den Rest des Tages in der Badewanne und im Bett verbringen. Bestenfalls in Begleitung einer guten Flasche Rotwein. Stattdessen ist ausgerechnet heute Stadtratssitzung – und sie weiß noch nicht wirklich, wohin mit Luca. Eigentlich wollte sie ihre Großmutter bitten, auf ihn aufzupassen, aber nach ihrem eigenen Auftritt gerade kommt das nicht mehr in Frage. Jo stöhnt frustriert auf und verspürt Lust auf eine Zigarette.

    „Warum hast du mit Nonna gestreitet?", fragt Luca in den Lärm ihrer Gedanken hinein. Jo bleibt stehen und geht vor ihrem Sohn in die Hocke.

    „Wer ist dein bester Freund auf der ganzen Welt, Cookie?"

    „Emil."

    „Und was macht Emil in der Kita oft beim Mittagessen?"

    „Seine Sachen auf meinen Teller schieben."

    „Warum macht Emil das?"

    Luca überlegt einen Moment. „Weil er mich lieb hat, verkündet er dann strahlend. „Und weil ich immer so viel Hunger kriege und er nicht. Jo lächelt ihren Sohn an.

    „Und wie findest du das? Wieder arbeitet es hinter Lucas Stirn. „Halbe-halbe. Ich mag sein Essen, aber nicht auf meinem Teller. Es ist ja meiner, erklärt er dann und zählt dabei die gesprochenen Wörter mit dem Finger der linken Hand an der rechten ab.

    „Siehst du, so ist das auch mit Nonna und mir. Ich liebe sie sehr, aber es ist unsere Wohnung. Und manchmal will ich nicht, dass sie ihr Essen reinkippt."

    Luca kichert über ihre Worte, ganz offensichtlich mit Bildern von Lastwagen beschäftigt, von deren Ladefläche Nonna Essen in die Wohnung schüttet. Hand in Hand laufen Mutter und Sohn weiter zum Feldbergplatz.

    Als Jo sich in der Kita gerade von ihrem Sohn verabschieden will, zupft er plötzlich nervös an ihrer Hose. Sie beugt sich so zu ihm herunter, dass ihre Haare das, was zwischen ihren Gesichtern passiert, wie ein Vorhang von der Außenwelt abschirmen. „Aber Mama, flüstert Luca heiser. „Nonnas Essen ist wirklich sehr lecker. Und du vergisst manchmal einfach, zu kochen.

    Kapitel 2

    I

    m Büro der Lokalredaktion am Markt angekommen, checkt Jo erneut ihr Handy. Immer noch kein Wort von Jonas. „To Burger or not to Burger, that’s the question, tippt sie im Zwei-Finger-System. Von hinten nähert sich ihre Chefin. „Oh, so dürftest du dich aber nicht von meiner Tochter erwischen lassen.

    „Was meinst du?"

    „Das Gehacke mit den zwei Fingern. Mia würde dich auslachen, oder in ihrem Jargon: hart verlachen. So tippen nur alte Leute. Sagt Mia."

    Jo stöhnt auf. „Warst du heute schon im Haupthaus?"

    Anda schüttelt den Kopf. „Nein, mittwochs ist die Konferenz doch erst später. Und ich verkneife sie mir heute vermutlich ganz, weil es sonst so spät wird mit dem Stadtrat. Warum?"

    „Weil Jonas nicht auf meine Nachrichten reagiert. Ich dachte, du hättest ihn vielleicht gesehen. Er sitzt doch diese Woche für den Sport in der Konferenz, oder?"

    „Nee, er hat mit Gabi getauscht, weil er irgendeine Recherche zu Ende bringen will. Da weißt du vermutlich mehr als ich."

    Jo verspürt einen Stich. Sie weiß überhaupt gar nichts. Weder von irgendeiner Recherche, noch, dass Jonas Dienste tauscht – und am allerwenigsten, wieso er nicht auf ihre Nachricht reagiert.

    „Hey, klappt bei dir nachher alles mit dem Stadtrat? Du und ich und die Schnarchnasen aus sechs Fraktionen?"

    „Ja, klar, ich muss mir nur noch was für Luca überlegen. Mia hat nicht zufällig Lust, sich ein paar Euro zu verdienen und heute auf unserer Couch Pizza zu essen?"

    „Mh, warum eigentlich nicht? Sie erzählt seit Monaten, dass sie endlich ihr eigenes Geld will. Irgendwo muss das ja herkommen. Könntest du sie denn vor der Stadtratssitzung abholen – und ich nehme sie hinterher wieder mit heim? Donnerstags hat sie eh erst zur dritten Stunde Schule, insofern passt das doch. Testlauf?"

    Jo spürt, wie sich in ihrem Inneren die klemmenden Schleusen öffnen und Erleichterung warm ihre gereizten Nerven umspült. „Echt? Du bist ja ein Schatz. Das war eigentlich mehr als Scherz gedacht."

    „Ach, Quatsch, das haut schon hin. Ich rufe Mia direkt an. Aber dafür kümmerst du dich heute um die neue Volontärin, für die habe ich nicht auch noch Nerven. Ich muss mich unbedingt in die Themen für den Stadtrat einlesen. Und wenn dem Mädel niemand hilft, müssen wir für die drei Polizeimeldungen, die sie bearbeitet, morgen fünf Seiten freihalten."

    Anda grinst breit, Jo reagiert mit einem abwesenden Nicken. Ihre Begeisterung darüber, sich mit einem fast fremden Menschen zu beschäftigen, der am Ende noch den Anspruch hat, etwas von ihr lernen zu wollen, hält sich in eng gesteckten Grenzen. Aber sie wagt es nicht, einen Termin außer Haus vorzutäuschen, weil die Chefin ihr gerade echt den Hintern gerettet hat. Und das nicht zum ersten Mal. Trotz ihrer zehn Jahre Altersunterschied und der klaren Hierarchie im Joballtag sind die beiden Frauen seit vielen Jahren gute Freundinnen, und Jo gibt die vage Hoffnung nicht auf, die strukturierte, besonnene Art der Älteren könne irgendwann noch positiv auf sie abfärben.

    Am Computer ruft Jo die Seiten der morgigen Lokalausgabe auf. Eingeplant sind sechs, neben der Titelseite im dritten Buch eine für die Kultur vor Ort, eine halbe für den heutigen Stadtrat, die übliche Seite für die Mainzer Stadtteile, zweieinhalb reguläre Lokalseiten und dann ein Spezial über Horst Bauer, inklusive Interview. Der Präsident des FSV Mainz 05 steht seit einiger Zeit in der Kritik, weil öffentlich geworden ist, dass sein monatliches Salär für ein angebliches Ehrenamt recht üppig ausfällt.

    Beim Gedanken an die fünfstellige Summe, die der Mann Monat für Monat einstreicht, schüttelt Jo unwillig den Kopf. Klar, Fußball ist ein Millionengeschäft, aber wieso verkauft man sich dann als Ritter von edler Gestalt, statt so ehrlich zu sein, zu dem Gehalt, das man bekommt, auch zu stehen? Es erwartet doch niemand, dass Leute – in welcher Position auch immer – für lau arbeiten. Wozu die Heimlichtuerei? Und auch Bauers Umgang mit den Veröffentlichungen findet sie reichlich kläglich: kein Unrechtsbewusstsein, wenig bis keine Reue, erst recht keine Entschuldigung. Stattdessen Presse-Bashing vom Feinsten, auch gegen Jonas, der in der Sache viel recherchiert und berichtet hat. Passt halt in eine Zeit, in der Leute mit Schildern und Fackeln auf die Straße gehen, um gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren und dabei lautstark „Lügenpresse" zu skandieren.

    Für Statements oder gar Interviews steht Bauer der AZ und anderen Medien im Umkehrschluss schon seit Wochen nicht zur Verfügung, Anrufe ignoriert er, Mails bleiben unbeantwortet. Klar, warum auch miteinander sprechen, wenn man so herrlich übereinander reden kann. Heute aber soll es endlich so weit sein, der Chefredakteur höchstpersönlich trifft sich zum Gespräch mit dem gescholtenen Vereinsboss, nachdem der plötzlich ziemlich überraschend von sich aus den Kontakt gesucht hat. Sportchef Dave Wright bereitet zum Interview einen Zeitstrahl der jüngsten Ereignisse vor und schreibt den Hintergrundbericht. Noch weiß allerdings niemand, in welche Richtung sich das Treffen im Haasekaste an der Arena entwickeln wird.

    Als ihr Handy piept, formuliert Jo in Gedanken eine halbwegs originelle Schimpftirade für Jonas und sein Schweigen. Doch die WhatsApp, die ihr Display zum Leuchten bringt, ist von Mia. „Ho, Jo! Voll chillig mit Babysitten. Hast du Netflix? Und gibt’s bei dir Döner?"

    Jo kratzt sich am Kopf und versucht sich Mias Gesicht vorzustellen, wenn sie gleich liest, dass Jo ihre sporadischen Fernsehabende noch auf einer alten Röhre genießt. Sie tippt: „Netflix nein, aber meine Hood ist das Dönerparadies von Mainz", nur um sich beim Versenden zu fragen, warum sie als erwachsene Frau und Mutter das reichlich schwachsinnige Bedürfnis hat, die Teenietochter ihrer Freundin mit dem Wort ‚Hood‘ zu beeindrucken.

    „Alles klar, Robin, dann hoffe ich, du hast gute DVDs. Döner geht auf dich, ja?" Zwischen den Worten flimmern und flackern unzählige Emojis, und Jo fühlt sich plötzlich ziemlich alt.

    Vor allem aber knurrt ihr Magen, der heute bislang nur einen gezuckerten Kaffee zu sehen bekommen hat. Wieso antwortet Jonas bloß nicht? Sie sucht ihren Chat auf dem Handy und stellt fest, dass neben der letzten Nachricht nur ein einzelner Haken zu sehen ist. Das würde bedeuten, der Freund hat sein Handy aus – erst, wenn auch der zweite Haken zu sehen ist, gilt eine Nachricht als zugestellt. Wechseln die Haken von blass auf blau, wurde der Chat mit der neuen Nachricht auch aufgerufen. Seltsam genug, dass Jonas das Handy

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