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Für einen anderen Populismus: Ein Plädoyer
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eBook89 Seiten1 Stunde

Für einen anderen Populismus: Ein Plädoyer

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Über dieses E-Book

David Van Reybrouck geht es um demokratische Partizipation. Alle Menschen müssen sich in Politik und Entscheidungsfindungen einbringen, deshalb: Mehr Populismus! Besserer Populismus!

Populismus gilt, gerade in Zeiten des zunehmenden Nationalismus, als negativer Begriff, doch in ganz Europa haben populistische Bewegungen starken Zulauf. David Van Reybrouck, selbst Historiker und Archäologe, sieht den Grund dafür in einer immer größeren Kluft zwischen Menschen mit akademischer Ausbildung und Menschen bildungsfernerer Schichten. Während die Riege der Akademiker durchaus die Vorteile der Globalisierung sieht und Toleranz für das Fremde fordert, verbinden Menschen in ungelernten Jobs und mit schlechterer Bezahlung mit dem Wort Globalisierung oft zuallererst Ängste, auch Konkurrenzängste.
In Regierungen sind Nichtakademiker oder die sogenannten einfachen Leute aber mittlerweile völlig unterrepräsentiert. Sie von demokratischen Entscheidungsprozessen auszugrenzen kann aber fatale Folgen haben und sie zu radikalen Positionen treiben.
Nach "Gegen Wahlen" legt Van Reybrouck erneut eine streitbare Schrift vor, die Demokratie und Regierungsbeteiligung für alle fordert: auch und gerade für diejenigen, die in medialen und gesellschaftlichen Debatten oft nicht zu Wort kommen und sich deshalb fatalerweise Parteien zuwenden, die populistisch den Nationalismus und rechtsradikale Bewegungen stärken. Van Reybroucks Plädoyer dagegen: Populismus nicht fürchten, sondern zur Stärkung der Demokratie nutzen!
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum28. Aug. 2017
ISBN9783835341784
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    Buchvorschau

    Für einen anderen Populismus - David Van Reybrouck

    Anmerkungen

    Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Nie war ich nervöser vor der Veröffentlichung eines Buches als damals, als ich Pleidooi voor populisme (dt. Für einen anderen Populismus) schrieb. Meine besten Freunde rieten von der Publikation ab, mein Verleger prophezeite starken Gegenwind und erste Leser reagierten mit Argwohn. War das nicht ketzerisch oder sogar gefährlich? Ich hätte Sympathie gezeigt, wurde mir vorgeworfen, für Rechtsextremisten, für Wähler von populistischen Parteien und für all die fremdenfeindlichen Schattenseiten in Belgien und den Niederlanden, zwei Ländern, die zur Zeit der Erstveröffentlichung (September 2008) noch perplex waren über den Wahlerfolg der radikalen Rechten im Vorjahr.

    Aber im Laufe der Zeit bekam das Buch intensive kritische Aufmerksamkeit, ausgehend von der kulturellen Szene in Flandern. Das führende Kunstmagazin Rekto: Verso widmete dem Buch eine ganze Rubrik, das Brüsseler Theater Beursschouwburg organisierte eine Diskussion zum Thema. Später veröffentlichten niederländische Wochenmagazine wie De Groene und Vrij Nederland längere Interviews. Dass das Buch schließlich mit den beiden führenden Essay-Preisen ausgezeichnet wurde, dem Jan Herlo Essay-Preis in den Niederlanden und dem Flämischen Kulturpreis für Kritik und Essay, war natürlich erfreulich und nahm mir die Angst, ich könnte verdächtigt werden, Ideen nahezustehen, die auf den ersten Blick sehr befremdlich erscheinen.

    Aber was waren das für befremdliche Ideen, die der Essay aufwarf? Dass die Verwendung des Wortes »Populismus« als schnelle Beleidigung nicht besonders hilfreich war, um die großen und neuen politischen Aufgaben anzugehen, mit denen unsere Gesellschaft konfrontiert wurde. Dass es ein schwerwiegender und gefährlicher Fehler war, nicht zwischen den populistischen Wählern und den populistischen Anführern zu unterscheiden. Dass diese Dämonisierung großer Teile der Wählerschaft als eine Art demokratischer »Schimmel«, wie ein belgischer Politiker es genannt hat, auf lange Sicht enorm kontraproduktiv sein würde.

    Ich erinnere mich an die tiefe Frustration wegen der Leichtigkeit, mit der das Wort »Populist« in öffentlichen Debatten benutzt wurde (und immer noch wird), um politische Gegner zu attackieren. Rhetorisch mag das effektiv sein, aber intellektuell ist es jämmerlich und moralisch ist es unfair. Inspiriert durch Slavoj Žižeks Plädoyer für die Intoleranz hatte ich mich entschieden, ein paar schwierige Themen anzusprechen.

    Die zentrale Frage, die meinem leicht provokativen Titel zugrunde liegt, war: Wer schenkt heute der weißen Unterschicht Beachtung außer den Populisten? Wer setzt sich für sie ein, gerade wenn es alles andere als sicher ist, dass die Populisten einlösen, was sie versprechen? Ihre »Verpflichtung« gegenüber den eigenen Wählern entpuppt sich oft als eine zynische Art politischen Unternehmertums, das populäre Ressentiments anzapft und schürt, um eine Wahl zu gewinnen und das daraus resultierende Mandat zu nutzen, um weiterhin elitäre Interessen zu verfolgen. Die ganze Zeit werden die Wähler mit Reden und Spektakeln durch die Illusion eingelullt, dass sich jemand um ihre Bedürfnisse kümmert. Es genügt, einen Blick auf die USA zu werfen, ein Land, das einmal als »Führer der freien Welt« bekannt war, um diesen Zynismus in der Realität zu beobachten.

    Die Fragen bleiben. Wenn heute Menschen ohne höheren Schulabschluss mit höherer Wahrscheinlichkeit eine populistische Partei wählen (ich habe dargelegt, dass es so ist) und wenn Bildung die entscheidende soziale Trennlinie in einer Epoche der »wissensbasierten Ökonomien« geworden ist (die »Diplomdemokratie« ist ein Faktum) – wie klug ist es dann, den Aufstieg der populistischen Parteien ihren Wählern vorzuwerfen?

    Während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 bezeichnete Hillary Clinton einen Teil der Wählerschaft von Trump als einen »Haufen von Bedauernswerten«. War das klug?

    Und bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2016 forderte Martin Schulz, damals Vorsitzender des Europaparlaments, uns auf, dem Aufstieg des Populismus in Europa »laut und deutlich zu widersprechen«. Er forderte nicht weniger als einen »Aufstand der Anständigen«. Dafür erhielt er stehende Ovationen.

    Könnte ich nur diese Begeisterung teilen!, dachte ich. Natürlich, genau so wie Schulz, mache ich mir Sorgen über den Populismus, aber es hat keinen Zweck, nur die politische Perversion anzugreifen, ohne die tieferen Ursachen zu beachten.

    Nehmen wir mal an, ich wäre ein ungelernter, schlecht bezahlter Fabrikarbeiter aus Mecklenburg-Vorpommern, immerhin mit gesetzlichem Jahresurlaub, aber doch mit einer ungewissen Zukunft. Und nehmen wir mal an, dass ich zuhörte, wie der Vorsitzende des Europaparlaments, also jemand aus der Spitze der politischen Elite, bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, des Hochamts der kulturellen Elite, für einen »Aufstand der Anständigen« plädierte – dürfte ich dann nicht wütend werden? Würde es mich nicht ankotzen, dass eine Elite es wagt, zu suggerieren, ich sei unanständig, obwohl ich doch ein Leben lang schwer arbeite und Steuern zahle? Warte nur! Ich werde vielleicht noch schneller und öfter und leidenschaftlicher Alternative für Deutschland wählen.

    Trotz seiner guten Absichten hat Martin Schulz durch diese Rede die Kluft zwischen Elite und Masse vergrößert.

    Ich habe oft an meine Großeltern gedacht, als ich dieses Buch geschrieben habe. Keiner von ihnen hat eine höhere Bildung genossen. Meine Großväter waren Arbeiter, die in und um Brügge herum gearbeitet haben und einigermaßen über die Runden kamen, indem sie etwa zusätzlich noch etwas Landwirtschaft betrieben wie einer meiner Großväter. Meine Großmütter kümmerten sich um die Familien mit drei beziehungsweise sechs Kindern. Und dennoch fühlten sie sich ihr ganzes Leben durch die großen politischen Parteien repräsentiert, die sie immer gewählt haben. Ihre Sorgen und Hoffnungen erreichten diejenigen an der Macht über die verschlungenen Kanäle der Parteien, Gewerkschaften oder der Kirche. Aber wären meine Großeltern heute noch am Leben, könnte es gut sein, dass sie sich durch die Sprache und die Lockmittel der populistischen Anführer angesprochen fühlen würden. Bei einigen ihrer Nachfahren ist es tatsächlich so. Auch in meiner weitläufigen Familie gibt es einige Verwandte, meist solche, die keine höhere Schule besuchen konnten, die wirklich für populistische Parteien stimmen.

    Natürlich wurde das Buch nicht geschrieben, um meine Verwandten zu verteidigen, aber ganz sicher, um die populistischen Wähler nicht einfach auszugrenzen.

    Andere Autoren haben sich ähnlichen Arbeiten gewidmet. Seit mein Essay erschienen ist, hat etwa Owen Jones sein bahnbrechendes Buch Chaves. The Demonization of the Working Class über die Situation in Großbritannien veröffentlicht (2011). Hillbilly Elegy (2016), ein einflussreiches Werk von J. D. Vance, präsentiert eine einfühlsame Innensicht der sogenannten »white trash«-Gesellschaft in

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