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Im Paradies des Teufels: Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin
Im Paradies des Teufels: Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin
Im Paradies des Teufels: Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin
eBook600 Seiten8 Stunden

Im Paradies des Teufels: Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin

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Über dieses E-Book

Als Monteur in einem Land, in dem die Märchen aus tausendundeiner Nacht entstanden - dem Irak. Umgeben vom Zauber des Orients, dem Duft fremdländischer Gerüche in den Basaren, köstliche unbekannte Speisen und das quirlige Leben Arabiens. Farbige Lichterketten und gegrillte Speisen in den Lokalen am Tigris. Der Genuss arabischen Tschais und dem Rauch einer Nargila. Heulende Sirenen, die einen Bombenangriff ankündigen, Trommelfeuer aus hunderten Gewehren, schreiende Menschen, explodierende Munitionstransporte - auch das ist der Irak während der Zeit des ersten Golfkrieges. Der Autor erlebte beides - »Im Paradies des Teufels - dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin«.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Aug. 2016
ISBN9783960086451
Im Paradies des Teufels: Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin

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    Buchvorschau

    Im Paradies des Teufels - Klaus-Peter Enghardt

    Klaus-Peter Enghardt

    IM PARADIES DES TEUFELS

    Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin

    Engelsdorfer Verlag

    Leipzig

    2016

    Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

    Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    ZWEITE ÜBERARBEITETE UND ERWEITERTE AUFLAGE

    Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

    Alle Rechte beim Autor

    Fotografien © Klaus-Peter Enghardt

    Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

    www.engelsdorfer-verlag.de

    INHALT

    Cover

    Titel

    Impressum

    Vorwort

    Auf dem Weg nach Bagdad

    Muthana, Abu Ghraib und Bagdad

    Hermann, der feige Hund

    Das Camp, die Baustelle, Bagdad und der Mittelirak

    Mohammed

    Zurück im Irak

    Die Zeit des Ramadan

    Exkursionen mit Überraschungen

    Dritter Montagezyklus

    Die Asphaltquellen von Hit, die Wasserräder von Ana und das Zentrallager

    Auf der Baustelle und in Bagdad

    Samarra

    Erlebnisse im Beduinendorf und im Munitionslager

    Im Tariq-Camp

    Kulturausflug nach Bagdad

    Adé, mein Freund

    Peinlicher Zwischenfall

    Babylon

    Erbil, Provinzhauptstadt in Kurdistan

    Das Kloster Deir Mar Matta

    Der Alltag in Erbil

    Aufregende Tage

    Eine Einladung nach Mosul

    Nette Überraschungen

    Kallebusch

    Im Reich der „Gotteskrieger"

    Erlebnisse in Erbil und Nordirak

    Ninive und Mosul

    Aqra

    Schwarze Tage

    Kirkuk, Stadt des Öls

    Meine letzte Reise

    Die letzte Station – Sulaymaniyah

    VORWORT

    Nachdem ich in meiner Jugend einen Roman über das abenteuerliche Leben eines Auslandsmonteurs in Vorderasien gelesen hatte, reizte mich der Zauber des Orients. Deshalb war es für mich keine Frage, Jahre später das Angebot meiner Firma als Monteur in den Irak zu reisen, anzunehmen.

    Obwohl der erste Golfkrieg bereits seit neunzehn Monaten tobte, ließ ich mich von niemand durch gutgemeinte Warnungen von diesem Vorhaben abbringen.

    Fast hätte ich damit jedoch die falsche Entscheidung getroffen.

    In meinem Buch beschreibe ich die zahlreichen Erlebnisse und zum Teil lebensgefährlichen Abenteuer als Monteur während des ersten Golfkrieges im Irak.

    Durch verschiedene Umstände war es mir möglich in außergewöhnlicher Weise in eine fremde Kultur einzutauchen, ich lernte die Schönheit des Landes mit all ihren Facetten kennen und durfte bei den unterschiedlichsten Menschen zu Gast sein.

    Geblieben sind allerdings auch die Erinnerungen an den Krieg zweier verfeindeter Armeen und an die Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Armee und den gefürchteten „Gotteskriegern", den Peschmergas.

    Ich beschönige in diesem Buch nichts, überziehe jedoch auch nichts von dem, was ich erlebt habe, alle Begebenheiten entsprechen der Wahrheit.

    Ich hatte einen Abstand von zwanzig Jahren gebraucht, um mich zu entschließen, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Zum einen plagten mich immer wieder Albträume, in denen mich schreckliche Erlebnisse einholten, zum anderen hätte ich das Buch in seiner ursprünglichen Form im damaligen politischen System der DDR nicht ohne Konsequenzen veröffentlichen können.

    Die jüngeren Ereignisse im Irak haben den Ausschlag zur Entscheidung gegeben, diesen Roman zu überarbeiten und noch einmal an das Land zu erinnern, von dem ich die heiligsten Stätten, die kulturhistorisch wichtigsten Kleinode, die wundervollen Städte mit ihrem pulsierenden Leben und vor allem, die unvergleichlichen Basare, noch unzerstört gesehen hatte.

    Landschaften von unbarmherziger Kargheit oder von außerordentlicher Schönheit, spiegelklare Seen, mächtige Berge, saftige Wiesen, gnadenlose Wüsten oder fruchtbare Oasen und das Leben an den Flüssen Euphrat und Tigris, geben ein Bild von dem Land wieder, das als die Wiege der Menschheit galt. Der Garten Eden, Quelle des menschlichen Lebens, so sagt die Legende, befindet sich tief im Süden des Landes bei Quarna, nahe Basra, am Persischen Golf.

    Ich schloss Bekanntschaften mit ganz besonderen Menschen, Mohammed, ein weiser Mann aus Ägypten etwa, der mich in der arabischen Sprache unterrichtete und mir, nach neununddreißig Jahren der Flucht, als ersten Europäer, seine bewegende Lebensgeschichte erzählte. Oder Sadir, ein Kurde, den ich mit Stolz als Freund bezeichnen darf. Durch ihn lernte ich Land und Leute in einer unvergleichlichen Weise kennen, die in dieser Komplexität, jedem Tourist verschlossen blieb und es eröffnete sich für mich eine Betrachtungsweise der politischen und humanitären Gegensätze, die ich ohne meinen Freund Sadir nicht kennengelernt hätte.

    Noch immer leiden die Menschen im Irak unter der politisch unsicheren Situation, unter Terroranschlägen und Unterdrückung durch die Aggressoren des sogenannten Islamischen Staates (IS).

    Meine Gedanken sind sehr oft bei diesen Menschen und ich hoffe, dass dieses Land sehr bald zur Ruhe kommt und Normalität im Irak einzieht.

    AUF DEM WEG NACH BAGDAD

    Ein kühler, regnerischer Frühlingstag bestätigte mir die Richtigkeit meiner Entscheidung, für ein paar Jahre als Monteur in das Land zu reisen, welches ich bisher nur als Kind aus dem Märchenbuch „Geschichten aus 1001 Nacht" kannte. Später erfuhr ich im Geschichtsunterricht mehr, als wir über das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak, sprachen. Ein Land voller kulturhistorischer Schätze, in dem Hitze und Sonnenschein keinesfalls als Mangelerscheinungen galten.

    Ein Buch aus meinen Jugendtagen, in dem die Erlebnisse und Abenteuer eines deutschen Monteurs in einem arabischen Land beschrieben wurden, hatte damals in mir ein unstillbares Fernweh ausgelöst, das ich viele Jahre in mir trug, ohne Hoffnung, dass diese Sehnsüchte irgendwann Realität werden könnten.

    Noch weniger ahnte ich, dass ich selbst einmal so aufregende Abenteuer erleben würde, die sich lohnen würden, sie in geeigneter Form wiederzugeben. Und nicht genug, dass diese Erlebnisse jetzt tatsächlich in einem Buch Platz finden, begleiten mich diese Erinnerungen an meine, zum Teil lebensgefährlichen Abenteuer, bis heute. Sie haben über drei Jahrzehnte meines Lebens geprägt.

    Am Tag meiner Ausreise in den Irak hoffte ich, Abenteuer zu erleben, ähnlich, wie ich sie in meinen Büchern gelesen hatte.

    Dass meine Erlebnisse diese noch übertreffen würden, hätte ich nie geahnt.

    Es war Mittwoch, der achtundzwanzigste April 1982 und der Geburtstag jenes Mannes, in dessen Land ich flog – Saddam Hussein, Präsident des Irak und Herrscher über sagenhafte Schätze, Ölvorkommen und ungeahnte kulturhistorische Reichtümer.

    Seit Wochen hatte ich dieses Ereignis geplant, hatte jede mögliche Literatur studiert und versucht, mich so gut wie möglich auf die kommende Zeit einzustellen.

    Hätte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch gewusst, wie viele Abenteuer ich erleben würde, zum Teil unter größter Lebensgefahr, ich glaube, dass ich dann meine Entscheidung, in dieses Land zu reisen, doch noch einmal reiflich überdacht hätte.

    Zu jenem Zeitpunkt war ich jedoch optimistisch und freute mich auf die kommende Zeit. Zugleich war ich aber auch ein wenig aufgeregt, allein so eine weite Reise zu unternehmen, ohne einen Bekannten, Freund oder Kollegen und unsicher, ob ich die an mich gestellten Erwartungen in einem mir unbekannten Terrain auch wirklich erfüllen könnte.

    Auf dem Flughafen angekommen, suchte ich erst einmal den Treffpunkt, an dem sich alle Kollegen einfinden sollten.

    Das war nicht allzu schwer, denn mir fiel gleich eine größere Gruppe Männer auf, die sich lautstark unterhielten, lachten, und sich quer durch die Empfangshalle zotige Worte zuriefen. Ich gesellte mich also zu dieser Gruppe, stellte mich abwartend an die Seite und ging dann gemeinsam mit ihnen zur Abfertigung.

    Dort wartete bereits der Verantwortliche, der diesen wilden Haufen ziemlich schnell zur Ruhe brachte, denn er wusste, dass die Männer mit ihrem Auftreten eigentlich nur die Situation der Abwesenheit von Familie, Frau oder Freundin überspielen wollten, von denen wir immerhin für zehn bis zwölf Wochen getrennt waren.

    Nach der Abfertigung fanden sich die Kollegen im Aufenthaltsraum wieder. Dort wurden unsere Namen verlesen und jeder bekam fünfzehn US-Dollar Handgeld. Wir warteten auf den Abflug und ich stellte erstaunt fest, dass das Bier in Strömen floss und auch dem Hochprozentigen mit Eifer zugesprochen wurde.

    Irgendwie hatte ich die mir gepriesene Elite unseres Landes anders vorgestellt, als mir bei meiner Bewerbung eröffnet wurde, dass nur auserwählte, verlässliche und moralisch einwandfreie Leute die Möglichkeit bekamen, unser Land im Irak zu vertreten.

    Vielleicht würde ich mein Vorurteil jedoch bald revidieren können, wenn ich diese Männer besser kennengelernt hatte.

    Auch ich bestellte mir ein Bier und obwohl ich mir eigentlich bereits vor Monaten das Rauchen abgewöhnt hatte, kaufte ich mir Zigaretten und zündete mir eine an, um die Nervosität zu überspielen.

    Ein Kollege kam an meinen Tisch und gab mir ein paar wertvolle Tipps und Verhaltensmaßregeln, da er in mir sofort den Neuling erkannt hatte.

    Eine dieser Regeln davon war, niemals ohne Schnaps anzureisen, da die Kollegen immer auf eine Einreisefeier warteten. Ich wollte natürlich unter keinen Umständen unangenehm auffallen und kaufte von meinen fünfzehn Dollar einen Liter Dujardin, den ich im Handgepäck verstaute.

    Endlich wurde unser Flug aufgerufen. Es war inzwischen kurz nach siebzehn Uhr und ich erfuhr, dass die Flüge in den Irak immer erst gegen Abend stattfanden, weil die Flugzeuge die irakische Grenze nur bei Dunkelheit überfliegen durften. Eine Sicherheitsmaßnahme, seitdem am zweiundzwanzigsten September 1980 der irakisch-iranische Krieg ausgebrochen war, die verhindern sollte, dass die Maschinen von feindlichen Jägern beschossen wurden.

    Außerdem mussten vor dem Überfliegen der irakischen Grenze die Fenster verdunkelt werden.

    Zum ersten Mal wurde mir ein wenig mulmig, aber da die Stimmung an Bord sehr aufgekratzt war, beruhigte ich mich wieder und wartete auf den Start.

    Als die Maschine auf das Flugfeld rollte, schaute ich mich verstohlen um und wurde Sekunden später durch den Schub der Turbinen in die Polster gedrückt.

    Innerhalb weniger Sekunden stieg der Jet steil in den Himmel und neigte sich dann zur Seite, so dass ich auf Berlin schauen konnte. Wir durchbrachen die Wolkendecke und ich war begeistert, dass darüber der herrlichste Sonnenschein zu sehen war.

    Bei diesem Anblick fiel mir ein, dass schon ein bekannter deutscher Liedermacher in einem seiner Songs zwar nicht den grandiosen Sonnenschein beschrieb, jedoch die Freiheit, die über den Wolken wohl grenzenlos sein müsse, und ich konnte dem nur beipflichten.

    Ich genoss den Flug und es dauerte gar nicht lange, da wurden Speisen und Getränke serviert, ein wenig später rollten die Stewardessen gar ihre schmalen Wagen durch den Gang und boten zollfreie Waren an.

    Vom Flugkapitän kam irgendwann über den Bordfunk die Aufforderung, unsere Fenster zu verdunkeln. Während des Fluges erfuhr ich von einem Monteur, dass an jenem Tag, zum Geburtstag des Präsidenten Saddam Husseins, zum ersten Mal der Airport in Bagdad angeflogen wurde, ein bejahrter Flughafen zwar, doch ein neuer befand sich bereits kurz vor seiner Vollendung.

    Bisher waren die Maschinen für die Kollegen, die im Süden des Landes arbeiteten, nach Kuwait City geflogen und für die Kollegen im Mittel- oder Nordirak nach Damaskus, in Syrien.

    Von dort ging es mit sogenannten Wüstenbussen zu den Sammelpunkten Basra oder Bagdad.

    Diese Wüstenbusse sahen sehr spektakulär aus. Es waren PS-starke, klimatisierte, sehr farbenfrohe Sattelschlepperbusse, riesenlang und mit armdicken Chromstangen geschützt, um vorwitziges Vieh, wie Wildkamele, Esel, Schafe oder Rinder, von der Fahrbahn räumen zu können, wenn sie die Straße unvermittelt überquerten, nachdem sie scheinbar teilnahmslos am Fahrbahnrand gestanden hatten.

    Die Fahrt in diesen Bussen war recht bequem, der Nachteil dieser Busfahrten allerdings lag darin, dass die Fahrer die gesamte Strecke hin und zurück alleine bewältigen mussten.

    Das mag bei der Tour Kuwait-Basra-Kuwait nicht gar so schlimm gewesen sein, da dort eine einzelne Strecke nur etwa einhundertfünfundsechzig Kilometer betrug, aber bei der Tour Damaskus-Bagdad-Damaskus war eine einzelne Strecke achthundertfünfunddreißig Kilometer lang, so dass der Fahrer also 1670 Kilometer am Stück zurücklegen musste, eine Strecke davon bei Nacht. Das war mitunter sehr gefährlich, denn manchmal kam es vor, dass plötzlich Tiere die Fahrbahn querten, so dass der Fahrer dann den Bus ruckartig aus dem Gefahrenbereich bringen musste oder eine Vollbremsung machte.

    Manchmal geschah es jedoch auch, dass ein Fahrer einnickte. Zum Glück waren die meisten Straßen im Irak sensationell ausgebaut und so konnte der Bus in diesen Fällen, meist gefahrlos in der Wüste ausrollen.

    Für eine einzelne Strecke von Damaskus nach Bagdad benötigte der Busfahrer etwa achtzehn Stunden und jeder Kollege erhielt dafür einen Liter Trinkwasser, das allerdings schon nach kurzer Zeit ausgetrunken war, dann begann der Durst, der bis zum Ziel zur Qual wurde.

    Das Abenteuer so einer Fahrt war mir glücklicherweise erspart geblieben und darüber war ich nicht traurig.

    Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Was wusste ich eigentlich von diesem Land, in dem ich für längere Zeit leben würde und das als die Wiege der Menschheit bezeichnet wird?

    Abgesehen vom Geschichtsunterricht der sechsten Klasse, als man uns Schüler versuchte, das Zweistromland näher zu bringen, hatte ich jahrelang nichts mehr vom Irak gehört, bis im September 1980 dieser schreckliche Krieg zwischen den beiden Golfstaaten Irak und Iran ausbrach und ich mich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen hatte, in einem der beiden Länder arbeiten zu können.

    Der Irak war zu jener Zeit eines der fortschrittlichsten arabischen Länder und war bereits im Altertum eine Brücke zwischen Europa und Asien. Die Lebensadern, die dieses Land durchziehen, sind vor allem der Euphrat und der Tigris, an dessen Ufern sich zahlreiche Ansiedlungen befinden, die nur durch diese Flüsse lebensfähig sind. Diese beiden Flüsse gaben dem Land den Namen Zweistromland und grenzen das eigentliche Kernland Mesopotamien ein.

    Nach fünf Stunden Flug teilte uns der Flugkapitän über den Bordfunk mit, dass wir in wenigen Minuten den Airport Bagdad erreichen werden und dass wir die Verdunkelung wieder entfernen können. Die Uhr an meinem Handgelenk zeigte an, dass es kurz nach dreiundzwanzig Uhr mitteleuropäischer Zeit war, also kurz nach ein Uhr morgens irakischer Zeit.

    Die augenblickliche Temperatur in Bagdad betrug fünfunddreißig Grad Celsius und ich fragte mich ernsthaft, welche Temperaturen Ende April am Tage herrschen würden und wie heiß es überhaupt werden kann.

    Ich werde in meinem ganzen Leben das Gefühl nicht mehr vergessen, als ich im Landeanflug auf diese traumhafte Stadt schaute und alle Moscheen farbig angestrahlt waren. Entlang des Tigrisufers waren die zahlreichen Cafés mit bunten Lichterketten versehen und die Straßen erstrahlten als einziges Lichtermeer.

    Die Stadt war so riesig groß, dass wir minutenlang über diesem Lichtermeer hinweg glitten, bis der Jet den Landeanflug fast geräuschlos bis unmittelbar vor dem Airport durchführte. Erst dort wurden die Turbinen wieder hochgefahren, um die Landung zu vollziehen.

    Ein Krieg schien mir in diesem Land so absurd zu sein wie eine Blumenwiese in der Wüste.

    Ich vibrierte innerlich vor Staunen und Aufregung und freute mich nun tatsächlich auf alles, was in Zukunft auf mich zukommen würde.

    Wir landeten auf dem International Airport Bagdad, einem älteren unspektakulären Flughafen.

    Als das Gepäck kontrolliert wurde, bemerkte ich mit Erstaunen, dass die irakischen Zollbeamten Unmengen an Schnaps und Zigaretten aus den Koffern der Kollegen „fischten" und scheinbar uninteressiert in die hinter ihnen stehenden Behältnisse warfen. Offensichtlich hatten diese Kollegen die Einreisebestimmungen nicht eingehalten und hatten nun das Nachsehen.

    Nach der Abfertigung ging es hinaus auf den riesigen Vorplatz des Airports und erneut war ich überwältigt.

    Zum ersten Mal sah ich riesige Palmen in der Natur und eine Architektur, wie ich sie bisher nur aus Berichterstattungen im Fernsehen kannte. Doch besonders aufregend waren für mich die Menschen in ihrer außergewöhnlichen Kleidung. Frauen trugen entweder schwarze Gewändern oder farbenfrohe lange Kleider und Männer waren in bodenlange Dschellabas gehüllt und trugen Kopftücher, die ein doppelter schwarzer Reifen auf dem Kopf hielt.

    Doch bei aller Vorfreude, allem Staunen und Schauen überlegte ich, wie es nun mit mir weitergehen würde?

    Ich fragte einen deutschen Monteur, ob er mir sagen könnte, mit welchem der bereitgestellten Busse ich mitfahren müsste und er knurrte, dass es egal wäre, mit welchem Bus ich fuhr. Das verstand ich zwar nicht so recht, da es doch sicher verschiedene Baustellen im Land gab, aber ich stieg dann doch, leicht verunsichert zwar, in den nächsten Bus ein.

    Die Fahrt führte mich vom Flughafen südöstlich nach Abu Ghraib, einem Stadtteil von Bagdad, der an der Straße von Bagdad nach Falludscha liegt und viele Jahre später noch traurige Berühmtheit erlangen sollte.

    Dort angekommen, blockierten schon mehrere Busse die schmalen Straßen der Siedlung, in der sich unser Ziel befand, und nun begriff ich, warum es egal war, mit welchem Bus ich fuhr.

    Alle Monteure versammelten sich nämlich zunächst in einem großen Haus in diesem Wohngebiet und wurden von dort aus neu verteilt.

    In diesem Haus wurden unsere Pässe eingesammelt und ersatzweise mit provisorischen irakischen Pässen ausgetauscht. Das war eine Anordnung der irakischen Behörden und ich wunderte mich, dass auch ich bereits am Tag meiner ersten Ankunft so einen Pass bekam, aber schließlich fiel mir ein, dass ich ja bereits vor Monaten bei meiner Firma vierzig (!) Passbilder abgegeben hatte.

    Die Formalitäten wurden von drei Leuten erledigt, zwei Männer und einer Frau. Diese Frau war von fast arabisch zu nennender Schönheit und ich musste sie zwanghaft immer wieder heimlich anschauen.

    Sie trug ein farbenfrohes Kleid, wie es oft die jungen kurdischen Frauen tragen und hatte eine makellos gebräunte Haut. Ihr tadelloses Makeup unterstrich ihre aparte Erscheinung. Auffällig an ihr waren ihre mandelförmigen Augen, deren Wirkung sie jedoch zusätzlich geschickt mit Wimpernspirale sowie Kajal- und Augenbrauenstift unterstrich.

    Wie ich erfuhr, nannten die Monteure sie „Mary". Ihr richtiger Vorname war eigentlich Marina.

    Sie war bei allen deutschen Monteuren äußerst beliebt, und auch ich konnte ihr meine sofortige Sympathie nicht versagen.

    Zum ersten Mal hörte ich beim Passtausch von Baustellen in den Städten Bagdad, Basra, Samarra, Mosul, Hilla, Sulaymaniya, Tikrit, Nasiriya und anderen Orten, die mir jedoch völlig unbekannt waren.

    Ich wurde der Flughafenbaustelle Muthana zugeteilt, ein Ort am Stadtrand Bagdads, was bedeutete, dass ich in jener Nacht in keinen Bus mehr steigen musste, weil ich gleich im Haus gegenüber untergebracht war.

    Edgar, der Hausmeister der beiden Gebäude, der übrigens gleichzeitig auch Einkäufer und Postbote war, zeigte mir und einem weiteren, neu eingereisten Kollegen unser Zimmer und machte uns auf den dritten Mitbewohner aufmerksam, der ein etwas spezieller Mann mit ungewöhnlichen Eigenheiten sein sollte und deshalb bisher allein wohnte.

    Wir gingen leise in das Zimmer hinein und ich war überrascht, was wir vorfanden.

    Der Tisch war mit Gläsern, Kaffeetassen und einer kleinen Schale Gebäck gedeckt und unser Mitbewohner unterbrach seine Nachtruhe, um uns zu bewirten. Das war verwunderlich, denn immerhin war es jetzt bereits nach drei Uhr morgens. Er schaltete die vorbereitete Kaffeemaschine ein und bot uns erst einmal gekühlte Getränke an. Unser Zimmerkamerad hieß Richard und wohnte in der Heimat nur fünfundzwanzig Kilometer von mir entfernt, wie sich bei unserem Gespräch herausstellte, und zumindest wir beide waren uns auf Anhieb sympathisch. Wir tranken unseren Kaffee, aßen ein paar Plätzchen und waren dann froh, endlich schlafen zu können.

    Der Tag nach unserer Ankunft war für uns frei.

    Wir schliefen bis nach neun Uhr und nach der Morgentoilette, gegen zehn Uhr, bekam ich auch gleich die Antwort auf den ersten Teil meiner Frage, wie warm es im April am Tage wird. Im Zimmer lief die Klimaanlage und hielt die Temperatur konstant auf dreiundzwanzig Grad Celsius. Als ich die Tür öffnete, um forsch ins Freie zu treten, prallte ich entsetzt zurück, als ob mich eine unsichtbare Faust getroffen hatte.

    Oh Gott, das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht vermutet! Ich suchte ein Thermometer und wurde auch fündig. Da es sich im Schatten der Hauswand befand, musste ich wohl glauben, was ich auf der Scala ablas. Die Temperatur betrug achtundvierzig Grad im Schatten. Trotz der Hitze machte ich, gemeinsam mit dem neuen Kollegen, den ersten Spaziergang und allmählich gewöhnte ich mich an die Temperatur.

    Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich eine Sonnenbrille vergessen hatte und diese Tatsache war mehr als ärgerlich. Erstens hatte ich noch kein irakisches Geld, um mir eine Sonnenbrille kaufen zu können und zweitens wusste ich nicht, wann ich überhaupt die Gelegenheit zu einem Einkauf bekommen würde.

    Am Abend fand in unserem Haus die schon erwähnte Einreisefeier statt und ich war froh, im Flugzeug zusätzlich noch eine Flasche Whisky gekauft zu haben. Ich stellte die Flasche auf den Tisch, was von den Anwesenden wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde und mich in ihren Kreis integrierte. Bier gab es nicht, das war im Mittelirak ein Engpass, und so trank man zum Schnaps Cola oder eine weiße Limonade, Seven Up, genannt.

    Am nächsten Morgen begann dann mein erster Arbeitstag.

    MUTHANA, ABU GHRAIB UND BAGDAD

    Um fünf Uhr dreißig versammelten wir uns vor dem Haus und warteten auf die Baustellenbusse aus Bagdad City, die uns zur Baustelle „Muthana brachten. Im Bus spielten immer die neuesten Musikkassetten, die sich die Fahrer vom sogenannten „deutschen Kassettenshopper in Bagdad besorgten. Das war jedoch nicht etwa ein ausgewanderter Deutscher, wie man vermuten könnte, sondern einfach nur ein irakischer Musikkassettenhändler, der als einziger in Bagdad neben englischer auch deutsche Musik anbot.

    Er flog ein paar Mal im Jahr nach Deutschland und brachte von dort die neuesten Platten mit, die dann in seinem Shop in Bagdad von ihm raubkopiert wurden. Das war in diesem Land gängige Praxis und völlig legal.

    Beliebt unter den Monteuren waren Mischkassetten, die unter der Rubrik „Tophits nummeriert angeboten wurden. Die aktuelle Kassette, die zu jener Zeit in den Bussen auf und ab lief, hieß „Tophits 32 und dudelte morgens und abends.

    Wencke Myhre gab darauf die Warnung ihrer Mutter weiter, sich von bösen Buben fernzuhalten, Nickebocker und Biene verrieten uns, dass sie ihr ganz großes Glück in einem Zug nach Osnabrück gefunden hatten, James Last ließ uns von der „Biskaya träumen und Al Bano und Romina Power besangen mit „Sharazano Sharazan ihr heimliches Paradies.

    Der Laden des Kassettenshoppers befand sich an der Karrada, schräg gegenüber der BRD-Botschaft.

    Wenn die deutschen Monteure den Shop okkupierten, nahmen die darin befindlichen Iraker bald Reißaus, denn dann wurde es meist laut. Vor allem, wenn ich meine Wünsche äußerte und der Händler mit Begeisterung und voller Lautstärke Titel von Black Sabbath, Deep Purple, Metallica oder Iron Maiden spielte.

    Ganz hoch in der Gunst der Monteure standen aber auch zwei Stimmungskassetten, die der Händler mit „Das grobe und „Das Super beschriftet hatte. Später bekam ich einmal die Plattencover in die Hände und konnte die richtigen Titel lesen. Sie hießen: „Das große Stimmungsalbum" und „Das Super-Stimmungsalbum. Offensichtlich waren dem Händler jedoch die Namen zu lang. Beliebt war auch eine sehr deftige Stimmungskassette, auf der sich Titel wie „Schnell, schnell, schnell, wir fahren ins Bordell oder „Ja, ja in Hollywood, da ist der Puff kaputt" oder gar noch deftigeres Liedgut deutscher Schlüpfrigkeit befand. Diese Kassette wurde meist von den älteren Kollegen gekauft, die damit wohl heimliche Sehnsüchte stillten oder bei denen eher der Wunsch der Vater des Gedanken war.

    Nun aber trat ich zum ersten Mal die Fahrt zu meiner neuen Arbeitsstelle an. Dazu fuhren wir auf der Fernstraße zehn, die von Bagdad nach Falludscha führte. Für diese Stadt gab es, wie für die meisten Städte im Irak, mehrere Schreibweisen. Die Iraker bezeichneten sie „Al-Fallujah" oder

    „Al-Anbar". Ich gehe später noch ein wenig näher auf diese Stadt ein und auch auf das Schicksal, das diese Stadt noch über drei Jahrzehnte nach meinem Aufenthalt erlitt.

    Die Fernstraße führte von Falludscha über Hit und Rutbah, weiter bis Jordanien oder Syrien.

    In Abu Ghraib unterfuhren wir eine Fußgängerbrücke. Ohne sie hätte das Überqueren der Straße für die Fußgänger einen täglichen Überlebenskampf bedeutet. Es wäre schlicht selbstmörderisch gewesen, diese Straße an anderer Stelle zu passieren.

    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich die Zufahrt zu einem riesigen Parkplatz, auf dem mehrere hundert Trucks und Lkw standen. Dieser Platz war ein Zollparkplatz von unübersehbarer Größe. Den Fahrern blieb es nicht erspart geduldig zu warten, bis ihre Fahrzeuge endlich kontrolliert, abgefertigt und für die Weiterfahrt freigegeben wurden.

    Bei manchen dauerte das Wochen, es sei denn, die Fahrer konnten das nötige „Schmiermittel" einsetzen, um die Zöllner in Bewegung zu bringen. Bestechung war bei den meisten Behörden im Irak nämlich das A und O und deshalb auch völlige legitime Praxis.

    Wir bekamen das später manchmal auf den Baustellen zu spüren, wenn unsere dringend erwarteten Materialtrailer auf den jeweiligen Parkplätzen standen und erst ein saftiges Handgeld die sofortige Freigabe ermöglichte.

    Mancher hohe Zollbeamte fuhr einen von unserer Firma „gesponserten" Toyota Corolla, wenn zum Beispiel in Basra ein Schiff mit unseren Materialcollies auf Reede lag und die dringend benötigte Ladung sonst nicht kurzfristig gelöscht wurde.

    Einige hundert Meter hinter dem Parkplatz standen auf einem riesigen Arial riesenhafte rot-weiße Sendemasten, die mit armdicken Stahlseilen mehrfach abgespannt und an allen vier Seiten durch Flakstellungen gesichert wurden.

    Nach ein paar Kilometern verlief die Straße dann nach links, zu unserer Flughafenbaustelle. Dort standen einige Bauwagen und Baucontainer für die Arbeitskräfte, versehen mit Klimaanlagen und Kühlschränken.

    Ein deutscher Monteur sorgte dafür, dass immer ausreichend Kaltgetränke für die Kollegen zur Verfügung standen, obendrein betreute er das Materiallager.

    Die Getränke brachten die Busse aus Bagdad mit, zahlreiche Kästen Cola, Wasser und Seven Up aber auch einen süßen Fruchtsaft, der wegen seiner gelbroten Farbe von uns „Möhre" genannt wurde.

    Außerdem gab es noch einige Thermokübel mit kaltem Tee.

    Zum Betreiben unserer Geräte und zur Versorgung der Baustelle mit Strom liefen den ganzen Tag über Notstromaggregate. Bei den Aggregaten handelte es sich um leistungsstarke, mit Wasser gekühlte Dieselmotoren, die den gesamten Arbeitstag mit voller Leistung liefen. Kraftstoff sparen brauchte man nicht, den gab es in diesem Land im Überfluss und zu geringsten Preisen. Eine Limo oder Cola an der Straßenecke kostete das Fünffache eines Liters Benzin oder Diesel.

    Von Zeit zu Zeit kam ein Tankwagen unserer Firma auf die Baustelle, der unsere Tankfässer vor Ort befüllte. Der Fahrer betreute alle Baustellen im Irak und hatte gut zu tun.

    Wir montierten auf der Baustelle Leichtbauhallen und ich wurde der Dachkolonne zugeteilt. Wie ich später erfuhr, war das die unbeliebteste Arbeit unter den Monteuren. Bereits wenige Tage später konnte ich das nachvollziehen.

    Ich bekam die Hitze aus erster Hand, und die war so gewaltig, dass man selbst die kleinste Schraube nur mit Arbeitshandschuhen anfassen konnte. Die Monteure am Boden stöhnten bereits bei dieser Hitze, aber auf dem Dach war sie noch wesentlich gnadenloser, denn die Dachplatten reflektierte die Sonneneinstrahlung und verstärkte sie ungemein.

    Um die Temperatur zu testen, schlugen wir auf einer Dachplatte einmal ein Ei auf und siehe da, es wurde tatsächlich ein Spiegelei daraus.

    Der Sonnenbrand war mein täglicher Begleiter und ich war froh, dass ich mich so reichlich mit Sonnenschutzmitteln und heilendem Panthenolspray versorgt hatte. Nur langsam gewöhnte ich mich an die sengende Hitze und an das gleißende Sonnenlicht.

    Vernünftiger wäre es natürlich gewesen, in langer Arbeitskleidung zu arbeiten, aber das war mir lästig und unangenehm. Ich musste mir deshalb im Verlauf meiner Montagetätigkeit im Irak von unserem Tropenarzt so manche Standpauke gefallen lassen.

    Für die Hilfsarbeiten hatte unsere Firma Ägypter, Bengalen oder Chinesen angemietet. Die kamen mit der Hitze besser zurecht als die deutschen Monteure, trugen lange Arbeitskleidung und darüber oft noch eine Weste oder eine zusätzliche Jacke.

    Um den Flüssigkeitshaushalt stabil zu halten, trank ich an einem Arbeitstag bis zu acht Liter Wasser, Saft oder Cola. Doch je mehr man trank, umso größer wurde der Durst. Eine Alternative war der gekühlte Tee, der nicht so süß war, wie die von den Arabern überaus beliebte Cola.

    Mittags wurde unsere Baustelle mit warmem Essen versorgt, welches etwa vierzig Kilometer von der Baustelle entfernt im Zentrallager gekocht und in Thermokübeln auf die Baustelle geliefert wurde.

    Mein erstes Essen auf der Baustelle „Muthana" waren weiße Bohnen mit Samunen, kleine, aus Weißbrotteig gebackene Brote, die wie deutsche Brötchen schmeckten. Kartoffeln waren zu dieser Jahreszeit ein Engpass und wenn es mal welche gab, dann waren sie sehr teuer. Da wir für das Essen pro Tag nur dreihundert Fils bezahlten, war es für den Koch gar nicht so einfach, kostendeckend und für alle zufriedenstellend zu kochen.

    Das Rindfleisch war ebenfalls sehr teuer und kostete pro Kilogramm auf dem Basar drei Dinare und achthundert Fils, also mehr als ein Drittel des monatlichen Beitrages eines Kollegen. Es war deshalb nötig, dass die Monteure aus Deutschland Fleisch mitbrachten, um die Küche zu unterstützen. Und so gab es eine betriebliche Anweisung, dass erstens die Teilnahme am Mittagessen Pflicht war und zweitens jeder Kollege drei Kilogramm Fleisch mitzubringen hatte.

    Obwohl ich bei der Hitze nicht den größten Hunger verspürte, war es doch gut, ein warmes Essen zu bekommen, da man abends oft keine Lust hatte, sich selbst etwas zu kochen, und außerdem war das Mittagessen ein täglicher Meilenstein. Man wusste, wenn das Essen auf die Baustelle kam, erwartete uns eine Stunde Pause und bis zum Feierabend war es dann nicht mehr sehr lang.

    Das Essen lieferte ein Kollege, ein Oberlausitzer, der mir vom ersten Augenblick an sympathisch war. Er war stets gut gelaunt und machte täglich seine Späßchen.

    Dass er Klaus hieß, erfuhr ich erst sehr viel später, denn jeder Kollege sprach ihn nur mit seinem Spitznamen „Finger" an.

    Das kam daher, dass der Mann zwei Lieblingsaussprüche hatte.

    Der Erste war: „Nu zieh’ock amol ään Finger".

    Das war lupenreiner Oberlausitzer Dialekt und bedeutete „Beeile dich mal, oder er sagte: „Dir fehlt wohl an Finger, was bedeuten sollte „Du spinnst wohl".

    Der Finger war ein prima Typ, freundlich und bei allen beliebt. Seine Haare waren immer zerzaust, als könnte kein Kamm sie bewältigen, und er hatte einen Schnauzbart, der ihm an den Mundwinkeln weit herunter hing und an einen verschmitzten Bauern aus der ungarischen Puszta erinnerte.

    Wenn das Essen einmal nicht so toll war und die Kollegen maulten, dann hatte er stets ein paar lustige Sprüche zur Hand, mit denen er die erhitzten Gemüter besänftigte. Sein Vorrat an Witzen schien unerschöpflich zu sein und sein Erscheinen auf der Baustelle löste bei den Kollegen stets gute Laune aus. Klaus gehörte zu den Glücklichen, die im Zentrallager wohnten und einen besonderen Status genossen.

    Außer unsere Baustelle versorgte er mit seinem kleinen Lkw Toyota „Dyna" noch zwei weitere Baustellen und so war er immer in Eile.

    Nach der Mittagspause ging es dann wieder auf das Dach und man war froh, wenn man es ab und zu verlassen konnte, um etwas zu trinken oder um Material zu holen und sich dabei ein wenig zu akklimatisieren.

    So ein Arbeitstag war hart und man sehnte nach acht Stunden den Feierabend herbei.

    Zu Hause angekommen, erfrischten wir uns unter einer Gartendusche. Unser zweites Haus, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand, besaß sogar einen Swimmingpool, der allerdings immer überfüllt war und mich deshalb nicht sehr reizte.

    Gegen Abend gingen mein Zimmerkollege Richard und ich oft zur Bushaltestelle, in unmittelbarer Nähe unserer Siedlung, und fuhren mit dem Bus nach Bagdad City.

    Die Busse gefielen mir auf Anhieb. Es waren rote Doppelstockbusse vom Typ „Vanhool", wie man sie ähnlich auch durch Londons Straßen fahren sieht. Die Eingangs- und Ausgangstüren fehlten allerdings.

    Über eine Wendeltreppe gelangte man auf das Oberdeck, von dem aus man natürlich den besten Überblick hatte und ein wenig Fahrtwind abbekam, und ich genoss jede Fahrt.

    Kurz vor dem Ortsausgang von Abu Ghraib bogen wir nach rechts ab und fuhren an einer hunderte Meter langen, braunen, etwa sechs Meter hohen Mauer entlang und obwohl ich bei der ersten Fahrt noch nicht wusste, was sich hinter dieser Mauer verbarg, hatte ich ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl.

    Von Richard erfuhr ich dann, dass sich hinter dieser Mauer die größte Strafanstalt des Landes befand, das Kasr Al Nihaya Gefängnis. Dieses Gefängnis spielte in der Geschichte des Landes eine überaus unrühmliche Rolle. Das galt für die Vergangenheit, änderte sich in der Gegenwart nicht und sollte Jahre nach meinem Aufenthalt im Irak den schmählichen Höhepunkt erfahren.

    Von meinem ersten irakischen Geld kaufte ich mir in Bagdad am nächsten Stand natürlich erst einmal eine Sonnenbrille. Anschließend gingen wir auf dem Rashid entlang, der geschichtsträchtigsten Straße von Bagdad und der zugleich ältesten Handelsstraße der Welt, und ich spürte sehr stark das orientalische Flair, das mich an jeder Stelle umgab.

    Der Rashid ist über drei Kilometer lang und entlang dieser Straße spendeten Säulengänge Schatten und etwas Kühle. Die entstand, indem die Gehwege von den Händlern immer wieder mit Wasser benetzt wurden. Durch den anschließenden Verdunstungsvorgang wurde eine angenehme Temperatur erzeugt.

    Ein Geschäft reihte sich an das andere und auf dem Rashid war der Orient noch so, wie man ihn sich aus Reiseberichten und Büchern vorstellte – farbig, laut, nach tausend Gerüchen duftend und voller Autos und Menschen, die sich durch dieses Chaos drängelten.

    Bei meinem ersten Besuch, als alles noch neu für mich war, nahm ich alle Eindrücke mit Verwunderung und Erstaunen wahr.

    Nachdem ich diesen Ort öfter besucht hatte, ließ ich mich einfach von dem Geschehen treiben, tauchte in das bunte Gedränge der vielen Menschen ein und genoss das unbeschreibliche Gefühl, auf historischem Boden zu schlendern, die verschiedenen Schaufenster zu bestaunen oder einfach nur planlos umher zu bummeln und bei einem der zahlreichen Limonadenhändler eine gekühlte Limonade oder einen eiskalten Fruchtsaft zu trinken. An jenem Tag hatten wir mit Richard jedoch ein bestimmtes Ziel.

    Ich wollte mir eine schöne Armbanduhr kaufen, hatte allerdings noch keine rechte Vorstellung, wie sie aussehen sollte. Schließlich blieben wir an einem Uhrengeschäft stehen und bewunderten die übergroße Auswahl.

    Ich hatte bis zu jenem Zeitpunkt noch nie ein Uhrengeschäft mit einem so überwältigenden Angebot an Armbanduhren gesehen. Der Händler saß in seinem Geschäft hinter der Ladentheke, bei weit geöffneter Ladentür.

    Richard und ich standen davor und unterhielten uns über die verschiedenen Uhrenmodelle. Währenddessen war uns nicht aufgefallen, dass uns der Händler die ganze Zeit beobachtet und uns offenbar bei unserem Gespräch zugehört hatte, obwohl es in deutscher Sprache geführt wurde.

    Mir gefiel eine Uhr mit Countdownfunktion und ich beschloss, sie zu kaufen, wenn ich mich mit dem Händler über den Preis einigen könnte.

    Als wir schließlich das Geschäft betraten, stand der Händler auf und empfing uns mit dem Gruß, welcher zu einer Zeit gehörte, in der Deutschland ganz Europa in das größte Unglück der Weltgeschichte gestürzt hatte. Er stand mit ausgestrecktem rechten Arm, entbot uns in deutscher Sprache diesen Gruß, hielt erstaunlicherweise in der linken Hand die Uhr, über die wir uns vor dem Geschäft unterhalten hatten und bot sie mir lächelnd an.

    Ich vermutete, dass der Mann sich der Bedeutung dieses Grußes nicht bewusst war und übersah dessen Geste ein wenig peinlich berührt, denn ich hatte von meinen Kollegen bereits erfahren, dass diese Begrüßung kein Einzelfall bleiben würde, außerdem ging es mir ja in erster Linie ohnehin nur um die Armbanduhr.

    In der Auslage kostete sie fünfundzwanzig Dinare und obwohl ich gar nicht feilschte, bot sie mir der Mann für einundzwanzig Dinare an.

    Der Händler bemerkte meine Verwunderung und sagte lächelnd auf Englisch, dass er sehr große Sympathien für Deutschland und seine Menschen empfinde, aber es gab noch einen zweiten Grund, der ihn großzügig stimmte. Wir erfuhren, dass der Bruder des Händlers in Deutschland lebt, er selbst auch ein wenig Deutsch sprach und uns zum Beweis gleich einige Bundesligafußballspieler aufzählte. Er bot uns ein Gläschen Tee an, der es in sich hatte, und im Gegenzug gab ich eine Runde Zigaretten aus. Der Tee war außergewöhnlich und ich ahnte zu jenem Zeitpunkt nicht, dass gerade dieser Tee in den kommenden Monaten für mich zu einem Suchtmittel werden sollte. Ein Teelöffel arabischer Schwarztee, ein Teelöffel Zucker und ein kleiner Schluck Wasser in kleinen Teegläsern serviert, ließen dieses Gebräu gallebitter, aber zugleich auch zuckersüß schmecken. Er war eine der vielen Wonnen Arabiens, die ich kennenlernen durfte.

    Auf dem Weg zurück sahen wir einen Iraker am Fahrbahnrand hocken. Er war mit einer Dschellaba bekleidet. Vor sich hatte er ein Hühnchen sitzen, mit dem er spielte. Ich blieb mit Richard abseits stehen und beobachtete belustigt diese Szene. Ich fragte Richard: „Was treibt der denn da, ist der nicht ganz richtig im Kopf?"

    „Warte mal ab, grinste mein Kollege, „gleich wirst du sehen, was das für einen Sinn hat, das Hühnchen ist nämlich nur Tarnung.

    Kurz darauf verstand ich den Grund des Spieles, denn als der Mann aufstand und sein Hühnchen auf den Arm nahm, lag im Rinnstein ein Haufen und der war definitiv nicht vom Hühnchen.

    Wir gingen dann zum Al Tahir Square mit seinem großen Betonrelief, welches dem irakischen Volk vor der Revolution am vierzehnten Juli 1958 gewidmet war und eine beeindruckende Länge von zirka fünfzig Metern und eine Höhe von etwa acht Metern aufwies. Es zeigte den Ankömmlingen vom Saadun oder von der Jumhuriya Brigde schon von weitem den Busbahnhof an.

    Der befand sich nämlich unmittelbar vor diesem Monument in einem riesigen Kreisverkehr, so dass wir diesen Platz als Buskreisel bezeichneten. Der Kreisel war für alle Monteure ein leicht zu findender Treffpunkt. Unter dem Buskreisel reihte sich Geschäft an Geschäft und es war angenehm, dort einzukaufen, da es erfrischend kühl in den Katakomben war.

    In der unmittelbaren Nähe des Buskreisels befand sich ein großes Lokal in englischem Kolonialstil mit großen Säulen im Innenraum. Dieses Lokal gehörte vor vielen Jahren zu einer Karawanserei und war besonders am Donnerstagabend oder am Freitag, dem Sabbat, immer voll besetzt. Aber auch an jenem Tag, einem Mittwoch, gab es fast keinen freien Stuhl. Schließlich fanden wir dann aber doch noch zwei freie Plätze und ich stellte fest, dass Richard in diesem Lokal bereits gut bekannt war, die überschwängliche Begrüßung ließ darauf schließen. Wir bestellten zwei Flaschen Bier und bekamen jeder ein Schälchen Pistazien dazu gereicht. Ebenfalls zu unserem Bier wurde uns die typische arabische Musik serviert, mit der wir die ganze Zeit über beschallt wurden, doch gerade diese Musik machte das arabische Flair komplett und passte in diese Atmosphäre.

    Nach ein paar weiteren Besuchen in diesem Lokal wurde ich ebenso freundlich begrüßt wie Richard und ich war sicher der erste ausländische Gast, von dem eine komplette Kassettenseite der britischen Hardrockband „Black Sabbath" über die Lautsprecher der Gaststätte gespielt wurde, die ich kurz zuvor bei einem Musikhändler gekauft hatte.

    Erst als die erste Seite vollständig abgelaufen war wurde ich gefragt, ob es möglich wäre, auf Wunsch der anderen Gäste wieder arabische Musik zu spielen. Mir war das unerhört peinlich und ich nahm mir vor, dass mir so eine Entgleisung nicht noch einmal passieren sollte.

    Als ich wenig später ebenfalls zu den Stammgästen gehörte, die das Lokal etwa ein bis zweimal pro Woche besuchten, hatte man mir meinen kleinen Fehltritt längst verziehen. Platzprobleme kannte ich inzwischen ebenfalls nicht mehr.

    Einmal wurden sogar Gäste umplatziert, damit Richard und ich einen freien Tisch bekamen. Zwei Männer mussten sich dabei gar einen Stuhl teilen und taten das lächelnd. Auch das war mir peinlich, doch die beiden Männer gaben uns zu verstehen, dass sie uns ihre Plätze gern überlassen hatten.

    Eine Gastfreundschaft, die von uns Deutschen schwer zu verstehen war.

    Nach dem Restaurantbesuch waren es dann nur wenige Schritte bis zu unserer Bushaltestelle.

    Von dort überquerten wir den Tigris über die Jumhuriya Bridge und fuhren über die Yaffa Street, die 14. Juli Street und die Gailani Street zurück nach Abu Ghraib.

    Wir kamen an riesigen Saddam-Hussein-Monumenten und Wandgemälden vorüber, auf denen er, mit einer Dschellaba bekleidet, eine Maschinenpistole in der Hand hielt, als entschlossener Freiheitskämpfer mit erhobenem Karabiner dargestellt wurde, als Bauer hinter dem Pflug, oder in kurdischer Kleidung mit Säbel.

    Das war allerdings umso verlogener, da Saddam Hussein Zeit seiner Regierung einen ständigen Kampf mit der kurdischen Bevölkerung ausgefochten hatte. Selbst in Bussen, Taxis, ja sogar in Privat-Pkws konnte man die Bildnisse von Saddam Hussein sehen. Sie waren ähnlich einem heiligen Schrein, bunt geschmückt.

    Der Saddam-Kult war übergroß und ich nahm zum Beginn meines Aufenthaltes im Irak an, dass dies große Achtung, Ehrfurcht und Liebe ausdrücken sollte. Später stellte ich fest, dass es oft nur dem Selbsterhaltungstrieb diente, um vor dem System nicht aufzufallen, abgesehen von einigen verblendeten Regimeanhängern, die dem Kult aus Überzeugung frönten.

    Mir selbst war dieser Mann zum Beginn meines Aufenthalts ebenfalls sehr sympathisch, allerdings war das eine rein visuelle Wahrnehmung, sein wahres Wesen eröffnete sich mir erst Monate später.

    Wenige Jahre vor meinem Einsatz erstarkte im Süden des Landes die Schiitenbewegung, eine fundamentale Glaubensrichtung, die Saddam Hussein bis auf den Tod hasste, denn er war Sunnid.

    Der bedeutendste Schiitenführer mit großem Einfluss war der damals in Nadjef lebende Ajatollah Khomeini. Dieser wurde 1964 vom Schah Reza Pahlevi aus dem Iran ausgewiesen und lebte seitdem in dieser Stadt, einer der heiligen Städte im Irak und scharte dort unzählige Anhänger um sich.

    Saddam Hussein hatte im Jahr 1978 mit dem Schah einen Vertrag über die Nutzung des Schatt Al Arab abgeschlossen und im Gegenzug unbequeme Gegner des iranischen Regimes im Irak aufgenommen. Als der Vertrag ratifiziert war, wies Saddam Hussein allerdings im gleichen Jahr alle Iraner aus dem Land aus, darunter auch den Ajatollah Khomeini.

    Khomeini ging in das Exil nach Paris und arbeitete dort am Sturz des Schahs.

    Inzwischen wütete der irakische Geheimdienst unter den Schiiten des Landes und nahm reihenweise Exekutionen vor.

    Über 20.000 Schiiten flohen daraufhin in den Iran und ließen ihre Häuser und ihr Hab und Gut zurück. 1979 kehrte auch der Ajatollah Khomeini in den Iran zurück und stürzte mit seinen Anhängern den Schah. Gleichzeitig versetzte er damit das Land hunderte Jahre zurück in eine islamische religiöse Diktatur. Heute würde man sagen, dass er ein Kalifat gegründet hatte. Saddam Hussein warnte daraufhin auf den arabischen Konferenzen die anderen arabischen Nationen vor dem Regime Khomeinis und hatte damit Erfolg. Er gewann zunehmend Einfluss bei den übrigen arabischen Staaten und erhielt von ihnen Unterstützung. Hussein machte den arabischen Staaten klar, dass nur ein Krieg das Regime Khomeinis im Iran zerstören konnte.

    Am zweiundzwanzigsten September 1980 fielen seine Armeen mit 100.000 Soldaten auf einer Breite von 600 Kilometern in den Iran ein, um die Erdölprovinz Chuzestan zu erobern und begannen damit einen beispiellosen Krieg, der alles bisher an Brutalität, Grauenhaftigkeit und Vorstellbarem übertraf und Unvorstellbares zu Tage treten ließ.

    Zwar wurde im Herbst 1980 nach blutigen Kämpfen die Stadt Choramschahr am Persischen Golf eingenommen, aber es wurden keine nennenswerten Geländegewinne erzielt. Von einem von Saddam Hussein geplanten Blitzkrieg konnte nun keine Rede mehr sein, die Kampfhandlungen entwickelten sich zu einem verbissenen Stellungs- und Grabenkrieg, bei dem auf beiden Seiten

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