Dreimal täglich streicheln: Depression? Burn-out? Bluthochdruck?
Von Imre Kusztrich
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Buchvorschau
Dreimal täglich streicheln - Imre Kusztrich
Depression? Burn-out?
Bluthochdruck?
Dreimal täglich streicheln
Von Imre Kusztrich
Impressum
IGK-Verlag, 7100 Neusiedl/Österreich
Depression, Burn-out, Bluthochdruck?
Dreimal täglich streicheln
Oktober 2011
Copyright: © 2011 Imre Kusztrich
Fotos: Michael Pettigrew-fotolia.com, Eric Isselée-fotolia.com, Engel-fotolia.com
Inhalt
EINFÜHRUNG
VORWORT
Teil 1: DIE QUELLE
Geburt der Tierliebe
Spürnase für Futter und Freundlichkeit
Vermenschlichung, ja – aber auch Verhundlichung?
Tier und Mensch: Ein Herz und eine Seele
Der erste Oma-Effekt
Mehr als nur ein Familienmitglied
Lehrmeister Wolf
Schlüsselfähigkeit Intuition
Die Wahrheit über Domestizierung
Überleben im Rudel des Menschen
Der ideale Hund passt zur Postleitzahl
Höhle, Hütte, Herz
Samtpfoten und Argusaugen
Teil 2: DIE HEILKRAFT
Tier-Effekt senkt Todes-Risiko
Die unbekannte Nebenwirkung
Jingles - der Hund, dem die Welt unendlich viel verdankt
Teil 3: DREIMAL TÄGLICH STREICHELN
Berühren statt schlucken
Die Ehe – ein ermutigender Tierversuch
Grauer Wolf, graue Haare
Gefördert, gefordert, miterzogen, mitgeheilt
Eine uralte Weisheit, die geweckt werden muss
Gesund und froh mit Hund & Co.
Welches Tier? Wann? Für wen? Warum?
Wann ist ein Kind reif genug für ein Tier?
Zu welchem Tier passen Sie?
Kann der Arzt Ihnen ein Tier empfehlen?
Herzenswahl Hund
Die Ehrentafel der Tierliebe
EINFÜHRUNG
Eine Braunbärin, ihr Wärter und
unsere Liebe zum Tier
Es war an einem heißen Septembertag des Jahres 1992, als dann auch das letzte Lebewesen im Zoo der umlagerten Stadt Sarajewo starb. Eine Braunbärin.
Alle anderen Tiere verendeten schon lange vor ihr. Für deren Betreuer war die Arbeit im Zoo zu gefährlich geworden. Von einer Villa auf dem Hügel oberhalb nahmen Scharfschützen sie unter Feuer. Es war jedem klar, dass es für ihre Schützlinge im Zoo keine Hoffnung gab. Nachdem ein Tierwärter erschossen und einige andere verwundet worden waren, blieben die übrigen zu Hause. Vorher öffneten sie die Türen der Gehege und schenkten den Tieren eine fragwürdige Freiheit. Für die meisten bedeutete auch das den sicheren Tod. Die Bärin war selbst dafür schon zu schwach.
In dieser Situation ereignete sich Tag für Tag etwas ziemlich Sinnloses: Trotz der Gefahren kämpfte sich ihr Wärter zum Tiergarten durch. Unter Lebensgefahr brachte er ihr vielleicht einen Apfel oder ein Stück Brot. Daheim ließ er eine Familie zurück, die selbst nichts zu essen hatte. Möglicherweise musste er sich dafür noch Vorwürfe anhören.
Was veranlasste diesen Menschen zu dem Wahnsinn, ein sterbendes Tier noch einmal zu streicheln? In der Hölle von Sarajewo handelte er gegen seine Überlebenschance, weil eine innere Stimme es ihm diktierte. Er erfüllte einen Vertrag, der in der Geburtsstunde der Menschheit geschlossen wurde.
Wenn wir sagen: Das ist Tierliebe, dann stimmt das nicht ganz. Diesen Menschen, der sich bis zu ihrem letzten Herzschlag für die Bärin verantwortlich fühlte, hat viel, viel mehr angetrieben. Was genau - damit befassen wir uns viel zu selten. Wie dieses Mysterium in unser Leben kam, welchen Weg es nahm und welche Bedeutung es heute für uns hat, davon handelt dieses Buch.
Haben Tiere eine Seele? Ein Bewusstsein? Eine Intelligenz? Bis vor etwa fünfzig Jahren war es verpönt, wissenschaftlich zu fragen, was ein Tier denkt oder fühlt. Das Meinungsklima in der Wissenschaft bewirkte eine Art Gehirnwäsche. Jedoch haben Fragen nach dem tierlichen Bewusstsein die Menschen immer schon gefesselt. Sie verlockten Forscher dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und sich vorzustellen, wie ihr Leben sein mag. „Wie fühlt man sich als Fledermaus?" betitelte 1974 der Philosoph Thomas Nagel einen Artikel über die damals mutige These, dass Tiere offensichtlich ebenso wie wir mit Gedanken und Vernunft ausgestattet sind. Manche stoßen zum Beispiel einen Alarmruf aus, während keinerlei Gefahr droht, um andere Tiere von einem Futterbrocken zu verschrecken.
Aus dem Leben der Tiere um uns herum sind viele Situationen eines wahrscheinlichen Denkens verschwunden. Wetterschutz, Futter und Wasser stellen keine Herausforderungen mehr dar. Wir können an ihnen nicht studieren, wie sie besorgen, was sie brauchen, und meiden, was sie in Gefahr bringt oder tötet.
Viele glauben heute noch, die Suche nach bewusstem Verhalten bei Tieren sei wertlos. Sie wird immer noch wie ein Spaziergang auf einem intellektuellen Drahtseil empfunden. Da liefern uns Erkenntnisse aus den DNA-Analysen von Erbgutmolekülen Hinweise, die uns beschämen könnten…
Während sie auf uns einwirken, prägt der amerikanische Begriff für das Zwitschern und Piepsen von Vögeln, Twitter, eines der erfolgreichsten sozialen Netzwerke („chirps of birds, wie der Gründer im März 2006 bekannte). Noch ist es nicht zu spät, sich die Ansicht des britischen Biologen S. S. Kety zu eigen zu machen: „Die Natur ist eine schwer zu erjagende Beute, und es ist höchst unklug, sich mit einem geschlossenen Auge und einem gefesselten Fuß an die Verfolgung zu machen.
Das könnte uns daran erinnern, dass ein Teil unserer Seele unaktiviert bleibt, solange es Tierliebe in unserem Leben nicht gibt.
VORWORT
Zum Glück kann der Hund diese Fragen nicht lesen: Weshalb hat es so lange gedauert? Wie konnte das größte Geschenk des uns liebsten Tieres bis heute verborgen bleiben? Noch schmerzlicher: Warum versagte unsere Intuition? Wieso bedurfte es der Werkzeuge modernster Wissenschaft? Die Antworten könnten uns Schmerzen bereiten. Wenigstens sind wir in bester Gesellschaft: Auch der Nobelpreisträger Konrad Lorenz hat geirrt.
Der große Tier-Versteher glaubte: Wir, die Krone der Schöpfung, haben uns dieses Tier ausgeguckt und in ihm unseren vierbeinigen Liebling Nummer eins gesehen. Aber das ist falsch. In Wahrheit sind nicht wir die Schöpfer dieser Freundschaft. Wir wären dazu damals, in der Geburtsstunde der Tierliebe, auch nicht im Stande dazu gewesen. Was wir allerdings für uns reklamieren dürfen, ist: Der Mensch hat dem Hund im Laufe der Evolution so viele gute Eigenschaften angezüchtet, dass am Ende ein besseres Wesen als er selbst herauskam.
Nicht wir haben unseren treuesten Gefährten entdeckt und durch kluge Dressur in unser Herzstück verwandelt. Er wollte es so! Der Hund war es, der den Menschen zum Freund wählte. Er verzichtete darauf, diesen seltsamen Zweibeiner zu fürchten und zu jagen. Er war es, der die Lücke erkannte, die es in unserer Welt vor rund 6.500 Generationen für ihn gab. Er war es, der sich mit großartigen Fähigkeiten einbrachte. Er war es, der unbedingt akzeptiert werden wollte. Und er war es, der in der Nähe zu den Menschen das viel bessere Schicksal witterte als seine Artgenossen, die weiter wie Wölfe in Rudeln lebten.
Für dieses Ziel überwand der vierbeinige Begleiter die künstlichen Grenzen des Menschen zur übrigen Schöpfung. Dazu bedurfte es eines schier unerschöpflichen Reservoirs an Instinkt oder Weitsicht. Die Menschen der Urzeit betrachteten wohl die Tiere, selbst wenn sie ihnen nachstellten, als gleichwertige Wesen. Sie hatten keine Macht über sie. Gnädig gestimmte Gottheiten entschieden über Erfolg. Sie jagten einander – aber auch miteinander. Mal begnügte sich der eine, mal der andere mit Resten der Beute. Es war der Hund, der die Unterwerfung wählte. Ob seine eigene oder gar unsere, darüber diskutieren Wissenschaftler noch ...
Alles begann weit, weit vor der Blüte des menschlichen Geistes.
Es ist die Gen-Wissenschaft, die uns jetzt an den wahren Beginn dieses Mythos führt. An den Übergang vom wilden zum zahm gewordenen Tier. Bereits vor 100.000 und mehr Jahren, vielleicht gar vor 135.000 oder 140.000 Jahren, hat der erste Wolf das Rudel verlassen und die Nähe von Menschen gewählt.
Vielleicht waren Jagdabfälle nur der Anlass. In Wahrheit ging es um sehr viel mehr. Das Tier begriff. Es hatte reges Interesse an der anderen Lebensform und strebte danach, sich einzubringen. Möglicherweise empfing es mit seinen Antennen bereits Hinweise auf die Zärtlichkeit, zu der wir Menschen fähig sein können.
Hundeartige der Urzeit erkannten das Potenzial.
Sie begriffen ohne Worte.
Sie unternahmen den ersten Schritt.
Sie wählten die Leitfigur.
Sie akzeptierten Nähe.
Sie verwandelten sich selbst in
ideale Gefährten des Menschen.
Sie ersehnten Streicheln und Tätscheln.
Sie suchten Liebe.
Sie gaben Liebe.
Ja, Liebe ist nicht zu hoch gegriffen. Lorenz sprach es aus: „Der Hund liebt". Instinktive Freundschaft war ihm zu wenig.
Für diese Liebe trennte sich der Hund vom Verlauf seines Schicksals. Er verließ die streng geordnete Welt des Rudels. Die Zuneigung des Menschen wurde zu seinem höchsten Gut. Ihr ordnete er alles, fast alles unter. Was immer er beitragen konnte, um sie zu erringen – er tat es. Dieses Ziel ist geblieben. Es befähigt ihn heute zu Leistungen, die auch in der Tierwelt ohne Beispiel sind. Einzig der Hund ist im Stande, einen Fingerzeig des Menschen zu verstehen oder gar einen einzelnen Blick. Manchesmal genügt sogar ein Gedanke ...
Der Hund war der erste in einer langen Reihe. Katze, Rind, Pferd, Kaninchen, Hamster – sie alle erlebten es erst sehr viel später.
Bücher über diese unvergleichliche Freundschaft füllen bereits Bibliotheken. Doch erst jetzt ermessen wir den Anteil, den der erste Vierbeiner selbst in Wahrheit daran hat. Möglicherweise hat der Urmensch es ihm nicht leicht gemacht. Hat nicht den Nutzen und schon gar nicht die Gefühle erkannt, hat ihn verjagt, getötet wegen Eigenschaften, die ihm nicht gefielen. Der Hund ließ nicht locker, blieb, passte sich an, so intelligent, dass er sogar einen Nobelpreisträger täuschte. Heute wissen wir es besser. Es gebührt, danke zu sagen.
Teil 1: DIE QUELLE
Geburt der Tierliebe
Stärker werden sich die Nebel der Urzeit nicht lichten. Wir sehen Landraubtiere. Hetzende Beutefänger. Wölfe. Mit dem Leittier sind sie zu fünft. Ihr Fell zeigt das Gelblichbraun des Ingwers und reflektiert Farbtöne der Landschaft. In lockerer Formation folgen sie den Spuren von Antilopen. Ein Spürwolf ist weit vorausgeeilt. Hoch am Himmel kreisen Raben über der Herde – eine kleine Hilfestellung, geeignet, das Überleben der Beutejäger und ihrer Abfallschmarotzer zu erleichtern. Die Wölfe haben bereits eine beträchtliche Strecke zurückgelegt. Die Witterung wird stärker und stärker. Sobald sie sich mit ihrem Späher vereinigen, beginnt der Kampf. Sie werden die Gruppe angreifen und in die Flucht jagen. Dabei werden sie erkennen, ob ein Tier schwächer ist als die anderen. Sie werden es abdrängen und attackieren. Das Wittern dieser Chance weist jedem Einzelnen von ihnen in jedem Augenblick eine besondere Aufgabe zu. Das bedingungslose Zusammenwirken ihrer Fähigkeiten vergrößert die Aussicht auf Erfolg.
Diesmal sind sie da draußen nicht allein. In weiter Ferne sehen sie Wesen halb gebückt, halb mit aufrechtem Gang. Sie weisen geringes Haarkleid auf. Es ist eine kleine Schar Zweibeiner, und sie verfolgt offensichtlich das gleiche Ziel. Die Wölfe begegnen diesen Konkurrenten mit Respekt. Diese Jäger beherrschen besondere Künste. Sie schleudern Steine. Sie schlagen mit Knüppeln. Sie stellen aus Knochen und Geweihen wirksame Waffen her. Sie legen tiefe Gräben an und verdecken sie mit Zweigen. Sie verständigen sich durch Zeichen, Schreie und Schnalzlaute. Doch weder sind sie schnell genug, noch verfügen sie offensichtlich über weit reichenden Spürsinn. Denn häufig verlieren sie die Fährte. Meistens stehen sie am Ende mit leeren Händen da.
In großem Abstand hetzen die Vierbeiner an ihnen vorbei. Vorne schließen sie zur Gruppe der Antilopen auf. Der Spähwolf hat bereits ein junges Tier ausgemacht. Sie kreisen die Herde ein und greifen an.
Bis die Zweibeiner die Stätte erreichen, ist die Jagd entschieden. Diesmal bleiben für sie wenigstens Abfälle übrig. Mit ihren geschickten Fingern und den winzigen Zähnen vermögen sie noch die winzigsten Fleischreste von den Knochen zu lösen.
Warum schlich der Hund näher, legte sich ans Feuer und blieb?
Sein Interesse an den Menschen – und nicht umgekehrt - war die größte Energie. Mit einem einzigen Tier, vermutlich, begann es: Diese Kreatur spürte den Funken. Wollte dieses Wesen nur von Fähigkeiten des Zweibeiners profitieren? Hungerte es vielleicht nach einem Gefährten? War es süchtig nach der Friedfertigkeit dieses Wesens? Ahnte es gar seinen eigenen Beitrag zum unvorstellbaren und beispiellosen Siegeslauf des Menschen voraus?
Unmöglich ist nichts.
Über die Begleitumstände dieser Annäherung haben Forscher lange gerätselt. Ihre Antworten basierten immer auf archäologischen Entdeckungen. Knochensplitter und Felszeichnungen. Fossile Hundeknochen wurden rund um den Erdball in unmittelbarer Nähe menschlicher Spuren gefunden. In Höhlen, in den Resten von Pfahlbauten, bei Kultstätten. Die ältesten Relikte waren beheimatet im heutigen Nahen Osten, in Europa und in Südostasien. Das Zeitfenster spannte sich über 10.000 bis 20.000 Jahre vor unserer Zeit und lag ein wenig vor den Anfängen des Ackerbaus. Das war erstaunlich. Diese Vorfahren hatten keine Herden, die zu bewachen waren, keinen Besitz, den es zu schützen lohnte, und sahen doch einen Nutzen von Tieren in ihre Nähe?
Die meisten Wissenschaftler vermuteten sehr lange, dass die ersten Hunde Abkömmlinge domestizierter Wölfe waren. Als ob das so einfach wäre. Wie zähmt man ein wildes Tier? Einige wenige glaubten hingegen, dass sie Kreuzungen mit dem Aas fressenden Schakal oder dem Präriewolf Kojote entstammten.
Heute wissen wir: Die Gene des Hundes erzählen eine völlig andere Geschichte als seine Knochen.
Besonders an der University of California in Los Angeles, UCLA, widmete sich ein Team von Molekularbiologen gewissenhaft der intensiveren Erforschung dieser ersten engen Tier-Mensch-Beziehung. Sie interessierten sich vor allem für genetische Informationen, die jedes Lebewesen in der Desoxyribonukleinsäure, englisch: desoxyribonucleic acid, abgekürzt DNA, speichert. Für ihre Analysen verwendeten sie Blutproben oder Tierhaare.
Die Experten untersuchten die Abstammungslinien von 162 lebenden Wölfen aus 27 Rudeln in Europa, Asien und Nordamerika. Gene können sich im Laufe der Zeit langsam und allmählich neuen Lebenserfordernissen anpassen, und aus den Abweichungen ziehen Wissenschaftler Rückschlüsse auf den Zeitraum, in dem sich Mutationen entwickelt haben. Das gilt für Tiere, Pflanzen und Menschen gleich. Je abweichender zwei Abfolgen sind, um so mehr Zeit stand den Molekülen zur Verfügung. Die jüngste, wissenschaftlich erforschte genetische Veränderung, beispielsweise, betrifft die Anpassung von Bewohnern der Tiefebene Chinas an die Lebensbedingung in der Hochebene von Tibet: Erst nach etwa 3.000 Jahren war ein Dasein in 4.000 Meter Höhe ohne die damit eigentlich verbundene Erkrankungen dauerhaft möglich.
Auf gleiche Weise wurden 67 Hunderassen in der Gestalt von 140 Tieren enträtselt – vom afrikanischen Basenji (dem Einzigen, der nicht bellt) bis zum irischen Wolfshund. Die DNS-Analyse ergab Unglaubliches. Es gibt vier, höchstens fünf große Hundefamilien. Ihre Größte und gleichzeitig Vielschichtigste verrät erstaunlicherweise eine sehr enge Verwandtschaft relativ moderner Züchtungen mit prähistorisch geprägten, alten Hunderassen, wie des Retrievers und des Collies zum Dingo und dem in Neu-Guinea angesiedelten Singenden Hund. Eine andere Hauptgruppe mit dem Elchhund und dem Schäferhund ähnelt stärker bestimmten Wolfsarten als anderen Hunderassen auf. Diese und weitere Resultate liefern keinesfalls Antworten auf alle Fragen. Aber zwei Erkenntnisse sind sicher. Die Erste: Der Hund besitzt keinen anderen Vorfahren als den Wolf. Alle Rassen, die wir heute sehen, stammen einzig von ihm, dem wildesten und scheuesten aus der großen Familie der Kaniden, ab. Kojote und Schakal standen niemals Pate bei dieser Entwicklung; nicht einmal bei jenen heute noch wild lebenden Vierbeinern, die äußerlich eine gewisse Familiennähe zu ihnen besitzen.
Wolf und Hund verbindet eine unmittelbare Abstammungslinie ohne Zwischenschritt. Wie eine unendlich lange Perlenkette besteht sie aus einer ungeahnten Abfolge einzelner Mutationen des ursprünglichen Erbguts. Erst jetzt begreifen wir den Umfang dieser Evolution. Erst jetzt erkennen wir die enorme Zahl genetisch bedeutender Informationen. Jede Veränderung vollzog sich über viele, viele Tiergenerationen. Jede Einzelne konsumierte einen beträchtlichen Zeitvorrat. Ohne die Kenntnis der Gene war es nicht möglich, die Summe dieser Intervalle auch nur zu schätzen. Nun sehen wir: 15.000 oder 20.000 Jahre hätten unter keinen Umständen ausgereicht, um aus dem wilden, äußerst scheuen Wolf den handzahmen Hund werden zu lassen. Alles muss weit, weit früher begonnen haben.
Es gab vor unserem geliebten Vierbeiner eine ausgeprägte
Zwischenphase der Hundeartigen. Äußerlich waren sie noch Wölfe. Proto-Hunde, Basishunde oder Wolf-Hunde – wie auch immer
erfinderische Experten sie nennen mögen. Die frühesten Menschen-Hunde, die sich anatomisch von den wilden Verwandten unterschieden, stammen erst aus der Dämmerung von Kultivierung und Zähmung.
Es war am Ende der Eiszeit. Die neuen Umstände brachten den Menschen von einer Lebensform ab, in der er davor 99 Prozent seines Daseins existiert hatte. Er wurde sesshaft, legte Felder an und machte sich Tiere untertan. Von Felsmalereien oder Höhlenzeichnungen abgesehen, kennen wir keine Momentaufnahme aus dieser Zeit. Deshalb sind Grabstätten für die Forschung so interessant, weil sie der
Nachwelt überliefern, welche rituelle Beigaben aus Sicht der Hinterbliebenen für den Verstorbenen bedeutend waren. Vor allem vier Entdeckungen sind es, von denen die wissenschaftliche Meinung bestimmt wurde. In der Nähe des heutigen Rheinstädtchens Bonn wurde in jener Epoche ein junger Mann bestattet, dessen Arm auf der Schulter eines Hundes ruht. Ein ähnliches Arrangement zeichnete eine Totenkultstätte im Nahen Osten aus. Der dritte Beleg entstammt einer Ausgrabung nahe der Stadt Bohuslan (Schweden). Dort hat vor etwa 13 000 Jahren eine Familie gemeinsam mit ihrem Toten auch einen Hund bestattet. Ein Steinzeitgrab neben einer Höhle bei Oberkassel enthielt ein Stück Kieferknochen – es stammt aus dem Paläolithikum vor etwa 14.000 Jahren.
Doch nun öffnet die Wissenschaft einen Vorhang, der das Entstehen unserer Tierliebe bisher verhüllt hat. Die Forscher erkennen so viele Abweichungen, dass sie die frühesten Hundeartigen weit vor der Zeit der Neandertaler ansiedeln. Denn hintereinander hat sich eine aus der anderen entwickelt. Die Geburtsstunde des neugierigen Vierbeiners führt uns 100.000 bis 135.000 Jahre unserer Entwicklung zurück. Es gibt keinen Zweifel - als unsere Vorfahren aus den Wäldern traten, erregten sie bereits die Aufmerksamkeit einiger weniger besonders schlauer, wagemutiger, intuitiver Kaniden – nicht mehr ganz Wolf, noch lange nicht Hund. Hinter ihrer Abstammung verbirgt sich bereits ein spannendes Schicksal. Natürlich konnten die Zweibeiner jener Zeit nicht im Entferntesten ahnen, was wir heute wissen: Die Genspur unserer Hunde führt nach Asien. Dort, mit großer Wahrscheinlichkeit, hat sich diese intuitive erste Annäherung ereignet. Ein Wolf, entweder aus dem Rudel verbannt, wegen Verletzung oder Ungehorsam zum Beispiel. Oder erfüllt von der vagen Sehnsucht nach einem Dasein ohne die unerbittliche hierarchische Strenge seiner angestammten Gemeinschaft. Vielleicht aber auch wissender, ahnungsvoller als seine Genossen. Alle Wissenschaftler sind sich einig: Der schlaue Wolf wittert seine Chancen der Zusammenarbeit bei allen Lebewesen seines Umfelds - so wie der Polarfuchs heute noch den als Jäger erfolgreichen Eisbären sogar dringend benötigt, um mit seinen Beuteabfällen zu überleben. Solche Möglichkeiten eröffneten sich dem Wolf auch bei den Zweibeinern mit ihren geschickten Händen. Allerdings hielt eine immens ausgeprägte Scheu ihn weit von den menschlichen Jagdgenossen fern. Unbestritten ist: Die frühen Hominiden mit den seltsamen Waffen interessierten ihn viel stärker als jene, die viel, viel später Felder anlegten. Wer immer also den Anfang machte, hat nicht lange gezögert. ...
Vor mehr als 30.000 Generationen – das Erwachsenwerden dauerte beim primitiven Zweibeiner zwölf Jahre, beim Homo sapiens bis zu siebzehn - könnten unsere Vorfahren bereits Wölfen begegnet sein. Das belegen einzelne Zähne und Knochenreste aus Regionen, in denen beide zur gleichen Zeit lebten. Eine Existenz von Jägern. Die einen hetzend, die anderen heranpirschend. Möglicherweise haben die mit Holzspießen, Steinen, aber auch mit loderndem Feuer und lautem Geschrei agierenden Zweibeiner den scheuen Wildtieren gelegentlich sogar erfolgreich ihre Beute abgerungen. Etwa 8.000 bis 6.500 Generationen vor unserer Epoche prägte die Evolution die ersten Hundeartigen. Sehr viel später - es ist erst 2.000 Generationen her - betrat der moderne Mensch die Lichtung. Aus den Formen, Zeichen und Farben seiner Felskunst kennen wir präzise seinen Dialog mit dem Wasser, der Sonne, dem Tier, dem Felsen. Wie niemand vor ihm war er interessiert, die Natur, ja, die gesamte Welt um ihn herum zu verstehen. Und es dauerte weitere tausend Generationen, bis erste Angehörige einen geliebten Hund an die Seite eines Verstorbenen betteten ...
Es war das Tier, das die Grenze zu uns überwand. Es hatte dafür auch zahllose Motive.
Damit kehren wir zurück in die mittlere bis jüngere Altsteinzeit.
Was war das damals für eine Welt?
Wildschwein, Höhlenbär, Auerochse, Höhlenlöwe und Rothirsch haben sich bereits vor langer Zeit über viele Regionen verbreitet. Wölfe jedoch sind die wahren Herrscher der Wälder und Wiesen. Sie leben in Verbänden zur gemeinsamen Jagd und Verteidigung. Erst das geniale Zusammenwirken ihrer großartiger Fähigkeiten unter strenger Hierarchie hat ihnen ihre überragende Stellung gesichert. Die einzelnen Tiere eines Rudels übernehmen mit Erreichen des Erwachsenenalters unterschiedliche Aufgaben. Diese Landraubtiere überleben in den unterschiedlichsten Prägungen. Unzählige Rudel existieren nebeneinander. Es gibt sie in Asien, in Europa, im heutigen Afrika.
Urmenschen sind erst vereinzelt anzutreffen. In unseren Regionen leben vielleicht einige tausend. Sie sind über große Gebiete verstreut und kämpfen um ihr Dasein an Hunderten, weit voneinander entfernten Schauplätzen. Sie schließen sich zu kleinen Gruppen zusammen, und ihre Gedanken konzentrieren sich auf die großen Herausforderungen: Sammeln, jagen, fortpflanzen. Sie bewegen sich innerhalb eines Areals im Ausmaß eines Tagesmarsches. Die Zweibeiner jener Zeit tragen einfache Fellkleidung, hausen im Freien, unter Dächern aus Baumrinde, in Höhlen oder Grotten und verfügen bereits über erste Spezialwaffen wie Faustkeile, Holzspieße und Wurfsteine. Sie stellen Tieren nach – oder vertreiben sie mit Steinen von ihrer Beute. Sie beherrschen das Feuer. Die übermächtigen Kräfte der Natur, der Zyklus von Geburt