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Schatten auf dem Regenbogen
Schatten auf dem Regenbogen
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eBook250 Seiten3 Stunden

Schatten auf dem Regenbogen

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Über dieses E-Book

Als sich Frank unerwartet das Leben nimmt, glaubt Kevin keine Minute an Selbstmord. Da für die Polizei die Sachlage jedoch eindeutig ist, nimmt Kevin die Lösung des Falles selbst in die Hand. Bei seiner Suche stößt er auf Franks Tagebuch. Alle Spuren führen ihn zu der Newcomerband Sunrisers, die bei einer Castingshow gewonnen hat. Kevin beschließt, sich die Band auf einem Sommerfest genauer anzusehen und erhält dort ein überraschendes Angebot vom Leadsänger der Band.
SpracheDeutsch
HerausgeberHomo Littera
Erscheinungsdatum15. Juli 2015
ISBN9783902885685
Schatten auf dem Regenbogen

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    Buchvorschau

    Schatten auf dem Regenbogen - Stephan Klemann

    Regenbogen

    Kapitel 1

    Kevin verharrte für einen Sekundenbruchteil regungslos und fixierte sein Gegenüber. Atemlose Stille lag in der Luft. Kein Laut war zu hören. Er spürte lediglich den pochenden Schlag seines Herzens und die Schweißperlen, die ihm von der Stirn rannen. Er war sicher, dass sich mit der nächsten Aktion alles entscheiden würde.

    Obwohl er noch genügend Zeit hatte, den Titelkampf zu gewinnen, war er fest entschlossen, diese nicht vollständig in Anspruch zu nehmen. Er war seinem Kontrahenten ohnehin überlegen. Aber da die Vorkämpfe am Vortag und an diesem Vormittag bereits anstrengend gewesen waren, wollte er das Ende nicht länger als nötig hinauszögern.

    Es war nur ein kurzes Aufflackern in den Augen, verbunden mit einem fast unmerklichen Einsaugen frischer Atemluft, die seinen Gegner verrieten. Kevin fühlte mehr den Ansatz des kommenden Angriffs, als dass er ihn wirklich sah. Sein Gegenüber war viel zu ausgelaugt, und es fehlte ihm sichtbar an Kraft für weitere reaktionsschnelle Handlungen. Noch ehe dessen Fuß, mit dem er eine Angriffstechnik durchführen wollte, den Boden auch nur kniehoch verlassen hatte, reagierte Kevin. Er drehte sich blitzschnell um die eigene Achse, riss sein Bein hoch und ließ seinen Fuß mit einem gezielten, leichten Kontakt am Kopf seines Kontrahenten landen. Der Versuch seines Gegenübers, den Konter mit den Armen abzublocken, kam viel zu spät – und bot Gelegenheit für eine weitere Attacke.

    Ohne den Fuß wieder auf den Boden zu setzen, formte Kevin aus seiner ersten Aktion eine Sprungdrehung, diesmal in entgegengesetzter Richtung, und stieß mit seinem anderen Fuß in die deckungslose Magengegend seines Konkurrenten. Das brachte ihm weitere drei Punkte und vergrößerte seinen Vorsprung – was den Titelkampf in diesem Pokalturnier vorzeitig beendete.

    Der Betreuer des Gegenteams erkannte, dass sein Schützling keine Chance mehr hatte, den Rückstand aufzuholen. Dazu fehlten nicht nur die Zeit, sondern auch die kampfsportlichen Fähigkeiten. So signalisierte er den Kampfrichtern durch ein Handzeichen, den Kampf abzubrechen.

    Kevin glaubte, in den Augen seines Rivalen Erleichterung zu erkennen. Der Finalkampf des Sportturniers hatte nur ganze 95 Sekunden gedauert. Gut eineinhalb Minuten, in denen er mit seinem Gegner mehr gespielt als gekämpft hatte. Auch wenn dieser sich nicht schlecht geschlagen hatte, so hatte er gegen ihn nicht wirklich eine Chance gehabt. Er war schließlich seiner Favoritenrolle gerecht geworden, und jetzt zufrieden und überglücklich.

    Während die Zuschauer in der Halle ihn in einem nicht enden wollenden Beifallssturm feierten, ging Kevin zum Verlierer des Kampfes, um sich zu verabschieden.

    „Tut mir leid! Du warst gut." Er lächelte freundschaftlich und reichte ihm die Hand.

    „Ist schon okay! Du warst besser. Das muss ich neidvoll zugeben. Herzlichen Glückwunsch! Ich hoffe im nächsten Jahr auf eine Revanche."

    Kevin nickte zustimmend, verabschiedete sich und ging zurück zu seinem Team.

    „Hey, du warst großartig! Ich bin stolz auf dich!" Der Trainer strahlte vor Begeisterung und klopfte ihm auf die Schulter. Auch die Kollegen drängten sich um ihn, damit sie den neuen Pokalsieger zu seinem errungenen Erfolg beglückwünschen konnten.

    Kevin wischte sich die Schweißtropfen mit einem Handtuch aus dem Gesicht. Freudig nahm er die Glückwünsche entgegen. Dennoch war er froh, als der Andrang nachließ und er endlich die Chance hatte, ein bestimmtes Augenpaar in der Menge zu suchen. Sein Blick wanderte zielstrebig in eine gewisse Richtung – genau an die Stelle, an der er über die Entfernung hinweg die Anerkennung entdecken wollte, nach der es ihm im Augenblick am meisten dürstete. Aber er suchte auch die Nähe zu dem Menschen, der ihm in den letzten Monaten das Wichtigste in seinem Leben geworden war.

    Und er fand ihn.

    Sein Freund lächelte bewundernd, was mehr war als eine bloße Honorierung seiner Leistungen im gewonnenen Titelkampf. Franks leuchtende Augen übermittelten die zustimmende Antwort auf seine ungestellte Frage – und die übertrug Gefühle. Von einem Herzen zum anderen. Tiefe Emotionen, die nur eine einzige gemeinsame Wurzel hatten.

    Der über die Distanz hergestellte Augenkontakt war Ausdruck ihrer tiefen Liebe, die sie füreinander empfanden – der Wunsch, einander ständig nahe zu sein.

    Kevin vergaß in diesen Sekundenbruchteilen die Anstrengungen des Turniers. Auch die Klagen seines Körpers über die ertragenen Strapazen der einzelnen Kämpfe waren wie weggeschwemmt.

    Ja, Frank war noch an seinem Platz und dessen ganze Aufmerksamkeit galt nur ihm.

    Kevin sah Franks Freude über den errungenen Sieg, die ihm eine Welle angenehmer, wohltuender Zufriedenheit übermittelte – wie heißes Wasser einer Dusche auf der Haut nach körperlicher Anstrengung.

    Dieses Band war stark wie eine Kette, die sie, ihre Liebe und damit auch ihr Glück, aneinanderfesselte.

    Kevin lächelte. Er war so glücklich mit Frank. Am liebsten wäre er zu ihm gerannt und hätte ihn in seine Arme genommen. Doch noch war nicht der Zeitpunkt, um mit ihm zu feiern. Zunächst stand die offizielle Siegerehrung an. Kevin wusste nicht, ob er dem Stolz über die Ehrung Beachtung schenken sollte. Aber als er von der Turnierleitung die Gratulationen und den Pokal entgegennahm und die Zuschauer in der Halle mit einem erneuten Beifallssturm aufbrausten, ließ er dem Glücksgefühl in seinem Inneren freien Lauf. Er gab sich völlig der Zufriedenheit hin.

    Das kühle Metall des Pokals in seinen Händen fühlte sich unbeschreiblich an. Die ganze Aufmerksamkeit der anwesenden Menschen galt in diesem Moment nur ihm.

    Nein, es war kein überheblicher Stolz, er bildete sich nichts auf das Ergebnis der letzten beiden Tage ein, aber er wusste, dass er es verdiente. Er trainierte seit Jahren seinen Körper hart und brachte ihn immer wieder an die scheinbare Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Oft überschritt er diese, forderte von sich selbst Höchstleistungen und war dennoch nie zufrieden mit dem, was er erreichte. Er wollte mehr, sich weiter verbessern und immer nur sein Bestes geben. Der heutige Erfolg gründete sich ausschließlich auf das Ergebnis jahrelanger, harter Arbeit. Jahre, in denen er auf vieles verzichtet hatte, um die Kunst des Kampfsports bis hin zur Perfektion zu erlernen.

    Kevin hatte sich vor acht Jahren entschlossen, sein Selbstbewusstsein und seinen Körper durch das Training asiatischer Kampfkünste zu stärken. Auch heute noch, drei Tage vor seinem 21. Geburtstag, betrieb er diesen Sport nicht, um in der nächsten Schlägerei als Sieger hervorzugehen. Es war ihm immer um die philosophischen Aspekte gegangen.

    Stärkung des Geistes durch Stärkung des Körpers!

    Kevin hatte das Glück gehabt, einen Trainer zu finden, dem nicht allein an der Vermittlung kämpferischer Fähigkeiten gelegen war, sondern der seine Schüler durch die Philosophie der Kampfkünste auf den Weg hin zu einem gefestigten Charakter bringen und sie bis zu diesem weit entfernten Ziel begleiten wollte.

    Der größte Sieg kommt aus einem Kampf, den man vermeiden kann, war sein Leitmotiv geworden.

    Kevin war, rückwirkend betrachtet, fest davon überzeugt, dass es der richtige Weg für ihn gewesen war. Mehr als einmal hatte er im Laufe der Jahre am Leben, an dieser Philosophie, ja, auch an sich selbst, gezweifelt. Aber heute wusste er, dieser Weg allein hatte ihm die Kraft gegeben, die Probleme der vergangenen Jahre zu überstehen.

    Sein Trainer hatte ihm noch vor Kurzem gesagt, er habe das Ziel erreicht. Mehr könne er nicht mehr für ihn tun. Doch Kevin war sich nicht sicher. Kam die Kraft seiner charakterlichen Stärke wirklich nur aus ihm selbst? Oder war nicht auch sein Meister eine notwendige und hilfreiche Quelle, die ihn speiste?

    Es hatte sich im Laufe der Zeit mehr als ein Verhältnis zwischen Meister und Schüler aufgebaut. Er hatte ihm viel mehr gegeben als reine Trainingsanweisungen und philosophische Grundregeln. In Phasen der Depression machte er ihm Mut, spornte ihn an oder zeigte ihm erforderliche Grenzen auf. Der Trainer war zu einem engen Freund geworden. Zu einem Vertrauten, dem Kevin absolute Offenheit entgegenbrachte, und der ihm auch bei der Lösung eines Problems geholfen hatte. Ja, ihre Beziehung zueinander war eigentlich mehr als ein freundschaftliches Verhältnis. Sie war in manchen Momenten wie die Verbindung zwischen Vater und Sohn.

    Der Beifall in der Halle ebbte allmählich ab. Kevin schüttelte zahlreiche – er wusste nicht wie viele – Hände und eilte danach zu seinen Sachen, um zusammenzupacken. Bevor er mit den anderen die Halle verließ, um endlich die ersehnte Dusche aufzusuchen, fand er erneut den Blickkontakt zu Frank. Wieder hingen ihre Augen für Sekunden regungslos aneinander und stellten eine Verbindung her.

    Sie lächelten.

    Dann riss Kevin sich los und verließ die Halle.

    ***

    Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Das heiße Wasser der Dusche rann an seinem Körper hinunter und nahm den Schweiß und die Anstrengung der letzten Stunden mit sich. Während sein Pulsschlag, der vor Freude und Aufregung immer noch schneller als normal ging, sich langsam senkte, sogen seine Muskeln und Sehnen die Wärme des Wassers begierig auf. Erneut schweiften seine Gedanken zu Frank.

    Sein Herz erwärmte sich.

    All die Geräusche innerhalb der Umkleidekabine nahm er nur noch verschwommen wahr, er gab sich ganz dem Gefühl der Sehnsucht hin. Es verlangte ihn regelrecht, endlich wieder den geliebten Freund in die Arme zu nehmen, ihm durchs Haar zu streichen und ihn zu küssen. Er wünschte sich nichts anderes, als Franks warme Haut an der seinen zu spüren und den sanften Druck seiner streichelnden Hände zu genießen.

    Kevin fiel ein, wie alles mit ihnen angefangen, wie sie sich kennengelernt hatten, und wie schnell aus anfänglichem Interesse und der gegenseitigen körperlichen Gier wahre Liebe geworden war. Er musste immer noch lächeln, wenn er an die Umstände ihres Zusammentreffens dachte.

    Es war alles so überraschend, unerwartet und so wenig vorhersehbar gewesen.

    Er ging an diesem Abend – Kevin erinnerte sich genau an das Datum, der 27. März, ein besonders warmer Frühlingstag – das erste Mal in diese Kneipe. Das lange und ernste Gespräch mit seinem Trainer Tage zuvor brachte ihm nicht nur die Erkenntnis, dass er es tun sollte, sondern auch, dass es ein sinnvoller Weg war, um der Lösung seines Problems – wie er es nannte – näher zu kommen. Es war ein Gespräch zwischen Freunden gewesen, nicht das zwischen Schüler und Meister, und es hatte ihm den Mut gegeben, endlich eine solche Kneipe aufzusuchen.

    Der Trainer hatte wohl gespürt, dass ihn etwas bedrückte. Er kannte ihn viel zu gut, und nachdem er als sein erfolgreichster Schüler mehrere Tage weit hinter seiner üblichen Leistung zurückgeblieben war, hatte er sich Sorgen um ihn gemacht und gefragt, ob etwas nicht stimme.

    Ob etwas nicht gestimmt hatte?

    Hm, eigentlich stimmte alles! Er war mit seinen Leistungen im Kampfsport zufrieden, hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern und war bei seinen Freunden allseits beliebt. Sozusagen war alles in Ordnung. Wenn, ja, wenn da nicht eine Sache wäre, die ihn schon seit langer Zeit bedrückte, die ihn belastete, und die ihm Seelenkummer bereitete.

    Doch der Trainer hakte so lange nach, bis Kevin nachgab und ihm seine Homosexualität gestand. Es fiel ihm nicht leicht, davon zu erzählen. Bisher hatte er mit keinem darüber gesprochen, aber es war an der Zeit, das Geheimnis mit jemandem zu teilen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass sein Trainer es ohnehin längst wusste – und er es auch verstand.

    Im Laufe des Gesprächs bestätigte sich das.

    Sein Trainer schlug ihm vor, Gleichgesinnte kennenzulernen. Sich selbst zu verleugnen und sich zu verstecken, sei keine Lösung. Deshalb solle er in eine Kneipe mit schwulem Publikum gehen.

    Anfangs hatte Kevin Bedenken. Er wusste nicht viel von solchen Bars, und das Wenige, das er sich in seiner Fantasie ausmalte, fand er nicht gerade überzeugend. Seine Vorstellung von schwulen Kneipen bestand aus Bildern von Männern in Frauenkleidern, aufgedonnert, tuntig und provokant. Oder aber bestenfalls noch aus Typen in Lederklamotten, die sich zur Schau stellten, sich aber bewusst männlich zeigen wollten. Beides entsprach ganz und gar nicht seiner Vorstellung homosexuellen Lebens.

    Trotzdem nahm er allen Mut zusammen und folgte dem Vorschlag.

    Kevin war überrascht, wie falsch seine Erwartung gewesen war. Er fand die Atmosphäre und die Stimmung in der Bar toll. Das Publikum entsprach nicht im Entferntesten den Bildern seiner Fantasie. Die anwesenden Jungen und Männer waren wie er ganz normal gekleidet und stellten ihre Homosexualität keinesfalls in der von ihm befürchteten Art zur Schau. Schon nach kurzer Zeit fand er eine nette Unterhaltung mit einer Gruppe.

    Die folgenden Abende verbrachte er deshalb in derselben Bar. Erst nach einer Weile wollte er eine andere Kneipe aufsuchen, die ihm von einem neuen Bekannten empfohlen worden war. Mit klopfendem Herzen – genau wie am Abend in der ersten Schwulenbar – betrat er das Lokal und bestellte sich an der Theke eine Cola. Neugierig besah er sich die anwesenden Jugendlichen und Männer. Schon nach kurzer Zeit fühlte er sich auch hier sehr wohl. Neidvoll sah er, wie einzelne Paare sich in den Arm nahmen und sich küssten. Auch hier hielten sich Schwule auf, die wie er waren: normal gekleidet, ohne besonderes Outfit. Nicht das Schwulsein stand im Vordergrund, sondern das Gefühl, in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter zu sein. Seine Vorstellung von schwulen Männern war nur ein dummes Klischee gewesen.

    Und dann sah er ihn.

    Ihre Blicke kreuzten sich rein zufällig, und für einen Moment – für einen viel zu kurzen Augenblick – sahen sie sich tief in die Augen.

    Kevins Herz schlug deutlich höher. Alles um ihn herum verschwand wie in einem Nebel. Nur dieser Junge blieb klar erkennbar. Nicht nur, dass er gut aussah und eine begehrenswerte Figur hatte, nein, insbesondere seine strahlend blauen Augen hatten es ihm angetan. Als der über die Entfernung hinweg auch noch ein bezauberndes Lächeln in seine Richtung sandte, war Kevin restlos begeistert.

    Der Junge stand etwas weiter abseits an der Theke in einer kleinen Gruppe. Kevin beobachtete ihn, und es schien ihm, als träfen sich ihre Augen immer häufiger.

    Jedes Mal, wenn das Ziel seines Interesses zu ihm sah, schaute Kevin schnell woanders hin, um nach wenigen Sekunden wieder seine Blicke an ihn zu heften. Leider fand er nicht den Mut, auf ihn zuzugehen und ihn anzusprechen.

    Was hätte er auch sagen sollen?

    Hey, du gefällst mir! Oder: Haben wir uns nicht irgendwo schon mal gesehen? Nein, all das wäre blöd und albern gewesen. So verbrachte er den ganzen Abend damit, ihn schmachtend anzusehen und zu bewundern.

    Als um ein Uhr nachts die Kneipe schließen wollte, die Musik abgeschaltet wurde und eine kurze Ansage den Gästen die Gelegenheit zur Bestellung eines letzten Getränkes gab, trank Kevin aus und verließ enttäuscht und wütend auf sich selbst die Bar. Draußen auf der Straße sah er wieder diesen Jungen, der kurz vor ihm gegangen war. Abermals blickten sie sich tief in die Augen, und Kevin glaubte, erneut ein Lächeln auf dessen Lippen zu erkennen.

    Sein Herz schlug ihm fast bis zum Halse hinauf, und in seinem Magen spürte er ein angenehmes Kribbeln. Seine Knie zitterten vor Aufregung.

    Kevin fand noch immer nicht den Mut, ihn anzusprechen, stattdessen lächelte er fast unmerklich und machte sich langsam auf den Heimweg.

    Seine Gedanken kreisten trotzdem nur um ihn.

    Bevor er um die nächste Ecke bog, schaute er noch einmal zurück. Auch der Junge hatte sich nach ihm umgedreht. Diesmal lächelte er ihm ein drittes Mal freundlich zu.

    Kevin hielt die Luft an – und bog ab. Verärgert blieb er stehen und schloss die Augen. Warum war er so feige? Wieso konnte er nicht einfach zurückgehen und den netten Typen ansprechen? Irgendwas würde ihm schon einfallen. Der junge Mann schien doch auch alleine nach Hause zu gehen.

    Kevin setzte sich auf die kleine Mauer, die eine städtische Wiese vom Gehweg trennte, und sog die frische Nachtluft begierig in seine Lungen. Er hätte sich selbst ohrfeigen können.

    Mensch, wie feige er damals gewesen war! Heute sah er das ohne Ausreden ein, aber damals, ja, damals war er einfach noch zu schüchtern gewesen. Was sonst hätte der Grund für sein Zögern sein können?

    Kevin stellte die Dusche eine Spur wärmer und schweifte mit seinen Gedanken abermals in die Vergangenheit ab.

    Schritte näherten sich, doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Erst als sie deutlicher wurden und der Unbekannte um die Ecke bog, blickte Kevin auf – und da war er.

    Er!

    Wieder konnte Kevin sich nicht von ihm lösen, und auch der fremde Junge sah ihn unentwegt an. Als er langsam an ihm vorbeischritt, hatte er erneut dieses fantastische Lächeln im Gesicht. Kevin wollte schon zurücklächeln, aber da war der gut aussehende Kerl bereits an ihm vorübergegangen.

    Enttäuscht schaute Kevin ihm hinterher. Das wäre die Gelegenheit gewesen. Kein anderer Mensch war in ihrer Nähe. Er hätte einfach Hallo sagen können. Mehr wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen.

    Nun ja, es wäre nicht besonders einfallsreich, aber immerhin ein Anfang gewesen. Alles Weitere hätte sich bestimmt von alleine ergeben.

    Kevin wollte aufstehen und sich auf den Weg nach Hause machen, als der Junge den Kopf drehte und ihm wieder in die Augen blickte. Diesmal umspielte ein Grinsen seinen Mund.

    Kevin konnte nicht anders und erwiderte es.

    Der Fremde wurde langsamer und blieb stehen.

    Kevin hielt nervös die Luft an. Sollte sein Schwarm vielleicht kehrtmachen? Würde er erneut eine Chance erhalten? Wenn ja, musste er die Gelegenheit nutzen.

    Der Junge drehte sich tatsächlich um und schlenderte Schritt für Schritt zurück. Wieder trafen sich ihre Blicke und verharrten für Sekunden ineinander.

    „Hallo! Wie geht’s? Ich glaub, wir haben uns eben in der Kneipe gesehen", sprach er ihn unerwartet an.

    Kevin grinste innerlich. Auch kein besonders origineller Gesprächseinstieg, damit hätte

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