Politische Bildung in der Primarstufe - Eine internationale Perspektive
Von StudienVerlag
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Über dieses E-Book
Die Politische Bildung in der Primarstufe fristet in Österreich ein Schattendasein. Die Annahme, dass sich Kinder im Primarstufenalter in einem politikfernen oder sogar –freien Raum bewegen, ist schlichtweg falsch. Politische Selbstkonzepte zu erfahren und umzusetzen gilt als Unterstützung für eine spätere politische Mündigkeit. Politische Themen begegnen Schüler/innen in allen Lebensbereichen, politische Phänomene werden wahrgenommen - sie sind auf keine Altersstufe festzulegen.
Bereits so früh wie möglich sollte politische Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit altersadäquat mithilfe von kompetenzorientiertem Unterricht in Politischer Bildung gefördert werden. Ein Ziel von "Politischer Bildung" in der Primarstufe kann die Entwicklung von neuen Konzepten und Begriffen sein. Sich selbst als handelnden Teil der Gesellschaft wahrzunehmen, kann die Grundlage für spätere aktive politische Partizipation schaffen.
Die Autor/innen dieses politikdidaktisch geprägten Bandes beschäftigen sich theoretisch mit dem Ist-Zustand von "Politischer Bildung" im Unterricht der Primarstufe. Dessen Grundlagen geben praktische Hinweise, legen aber auch Defizite und Hindernisse in der Umsetzung von "Politischer Bildung" in verschiedenen europäischen Perspektiven dar und ermöglichen somit einen internationalen Vergleich.
Aus dem Inhalt:
Vorwort
Dagmar Richter
Politische Bildung von Anfang an kompetenzorientiert
Philipp Mittnik
Politische und gesellschaftliche (Basis)Vorstellungen von Wiener VolksschülerInnen. Ergebnisse einer empirischen Studie
Christoph Kühberger
Politische Bildung in der Primarstufe - Voraussetzungen, Grundlagen, Zukunft - Eine österreichische Perspektive
Béatrice Ziegler
Politische Bildung in der Primarschule - zum Stand der Entwicklungen in der Schweiz im 21. Jahrhundert
Thomas Hellmuth
Ein Versuch, den "Elfenbeinturm" zu verlassen
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Buchvorschau
Politische Bildung in der Primarstufe - Eine internationale Perspektive - StudienVerlag
Impressum
© 2016 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
E-Mail: order@studienverlag.at
Internet: www.studienverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7065-5838-9
Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder
Satz: Studienverlag/Gerd Blumenstein Da-TeX, Leipzig
Umschlag: Studienverlag/Vanessa Sonnewend
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Impressum
Titel
Vorwort
Politische Bildung von Anfang an kompetenzorientiert
Dagmar Richter
1. Warum sollte Politische Bildung schon in der Grundschule stattfinden?
2. Wie sollte Politische Bildung in der Grundschule stattfinden?
3. Welche Inhalte sind für politische Bildung relevant?
4. Zu den Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der politischen Bildung
5. Zusammenfassung
Literatur
Politische und gesellschaftliche (Basis)Vorstellungen von Wiener VolksschülerInnen. Ergebnisse einer empirischen Studie
Philipp Mittnik
Abstract
Einleitung
Auswertung der Ergebnisse
Durchführung der Studie
Ausblick
Literatur
Internet-Ressourcen
Politische Bildung in der Primarstufe – Voraussetzungen, Grundlagen, Zukunft – Eine österreichische Perspektive
Christoph Kühberger
Voraussetzungen der Politischen Bildung in der Primarstufe
Politische Bildung in der Volksschule?
Normative Zugänge über den Lehrplan der österreichischen Volksschule
Welche Zukunft könnte Politische Bildung in der Primarstufe nehmen?
Ein Exkurs als Ausblick: Veränderungen im Curriculum für das Primarstufenlehramt an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig
Literatur
Politische Bildung in der Primarschule – zum Stand der Entwicklungen in der Schweiz im 21. Jahrhundert
Béatrice Ziegler
Politische Bildung in den sprachregionalen Lehrplänen für die schweizerische Primarschule
Education à la citoyenneté im Plan d’études romand (PER)
Politische Bildung in der Primarschulstufe im Lehrplan 21
Gründe für die bisherige Schwäche von Politischer Bildung in der Primarschule und für die zaghafte Integration in PER und LP21
Eine wissenschaftsbasierte Konzeption von Politischer Bildung in der Primarschule?
Forschung zu Politischer Bildung von Kindern des Vorschul- und Primarschulalters
Ansätze für die Politische Bildung im Unterricht
Konkretisierung der politischen Kompetenzen in einem Kompetenzraster
Politische Bildung im fächerübergreifenden Unterricht
Politische Bildung als partizipative Praxis
Fazit
Literatur
Ein Versuch, den „Elfenbeinturm" zu verlassen
Thomas Hellmuth
Überlegungen zu einer Methodik der Politischen Bildung in der Primarstufe
Grundlegende Überlegungen zu einer Methodik der politischen Bildung
Subjekt- und Objektebene
Didaktische Prinzipien
Lernverfahren
Ein Praxisbeispiel
Literatur
Teaching Citizenship in English Primary Schools: a case of mistaken identity?
Alasdair Richardson
Teaching about Citizenship in schools – the English context
Defining ‚Britishness‘
What’s in a flag?
Helping children understand their sense of ‚place‘
A new politics – teaching British Values in schools
Political engagement in schools
The case for teaching a ‚new patriotism‘ in Primary schools
Conclusions
References
Exkurs aus dem Bereich der Grundschuldidaktik: Zeiterfahrung und historisch-politisches Lernen in der Grundschule
Sabine Hofmann-Reiter
Kognitive Entwicklung und kindliches Zeitkonzept
Psychologische Grundlagen des Zeitkonzepts bis 1970
Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie zum Zeitkonzept im aktuellen Diskurs
Der Status quo im Anfänger/innenunterricht
Der Sachunterricht in österreichischen Volksschulen
Der Lehrplan der österreichischen Volksschule für den Sachunterricht auf der 1.–4. Schulstufe/ Fassung vom 9.12.2010
Unterrichtsinhalte zum Erfahrungs-und Lernbereich Zeit in Sachunterrichtsreihen der Volksschule
Meine bunte Welt
Tipi
Vergleich und Zusammenfassung
Literatur
Autor/innen
Fußnoten
Politische Bildung in der Primarstufe – Eine internationale Perspektive
Vorwort
Die Politische Bildung in der Primarstufe spielt eine sehr untergeordnete Rolle in Österreich. Im Unterschied zu Deutschland, wo Professuren und Lehrstühle im Bereich der Grundschuldidaktik an einigen Universitäten vorhanden sind, fehlen diese in Österreich völlig. An den Pädagogischen Hochschulen in Österreich sind derzeit auch erst wenige strukturelle Maßnahmen gesetzt worden. Die internationale Tagung „Politische Bildung in der Primarstufe", die am 25.9.2014 an der Pädagogischen Hochschule Wien stattgefunden hat, sollte einen Re-Launch für verstärkte Bemühungen im akademischen Diskurs auslösen. Vortragende aus vier Nationen, Österreich, Deutschland, Schweiz und Großbritannien, präsentierten dazu Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Politischen Bildung in der Primarstufe.
Politische Bildung wird als „Allheilmittel" gegen gesellschaftliche Trends gesehen, die als unerwünscht gelten. In vielen Bereichen beginnt der Einsatz der Politischen Bildung mit der Sekundarstufe. Dieser Zugang scheint vielen Didaktiker/innen als deutlich zu spät, weil auch jüngere Kinder bereits über politische Vorstellungen verfügen und die politische Sozialisation in diesem Alter schon eingesetzt hat.
Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang der Arbeiterkammer Wien, die durch die finanzielle Förderung des Zentrums für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien diese Tagung und den darauf folgenden Sammelband überhaupt erst ermöglichte. Weiter gilt es Frau Sandra Bergmann-Kramer zu danken, die das Lektorat für die vorliegende Publikation professionell übernommen hat. Nicht zuletzt sei den Wissenschaftler/innen der Tagung gedankt, die dazu beitragen, diese wichtige Thematik wieder stärker in den wissenschaftlichen Fokus zu rücken.
Das Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien wird auch in Zukunft internationale Tagungen veranstalten, um die Vernetzung in diesem Bereich noch stärker zu forcieren. Im Bereich der Primarstufe wird in Zukunft, unter anderem, professionelle Grundlagenforschung von hoher Bedeutung sein.
Philipp Mittnik, Wien 2016
Politische Bildung von Anfang an kompetenzorientiert
Dagmar Richter
Politische Bildung in der Primarstufe hat in den letzte Jahren, zumindest in Forschung und Lehre, einen Aufschwung erfahren. Über die Praxis in Deutschland ist weniger bekannt. Wird dort Politische Bildung gefördert? Findet sie regelmäßig statt? Wie wird sie durchgeführt? Allerdings ist bekannt, dass politisches Lernen immer schon im Unterricht der Grundschule bzw. Volksschule stattgefunden hat, wenn auch „anders" als heute und nicht unter dieser Bezeichnung.
Im Sommer habe ich ein Schülerheft aus den 1970er Jahren gefunden, ein „Steiermark-Heft über die Steiermark und ihre Bezirke. Darin stand folgender Satz eines Viertklässlers: „Das Bundesland Steiermark wurde in Bezirke eingeteilt, damit es besser verwaltet werden kann
. Auch dies war Politische Bildung. Allerdings wurde vermutlich nicht über die Vor- und Nachteile der Verwaltung von föderalen oder zentralistischen Systemen diskutiert. Es fehlen im Heft die Akteure, die die Steiermark unterteilt haben, die sie verwalten usw. Der Satz steht in dem Heft als Merksatz.
Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum viel verändert, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Im Unterricht wird hinterfragt und diskutiert oder sich auch aktiv für bestimmte Anliegen eingesetzt. Und dennoch ist auch heute manchmal der Unterricht eingeschränkt. Oft wird nur der Klassenrat und die Wahl zum Klassensprecher thematisiert aus Sorge, dass der ansonsten „trockene" Stoff nur zum Einsatz von vielen Arbeitsblättern führt und dann für die Schüler/innen langweilig wird.
Dabei ist heutige politische Bildung in der Grundschule vielfältiger, umfassender und mittlerweile systematischer durch die Kompetenzorientierung, die Gegenstand dieses Beitrags sein soll.
1. Warum sollte Politische Bildung schon in der Grundschule stattfinden?
Noch immer gibt es Gegenstimmen, die junge Schüler/innen vor der Politik und ihren „Schattenseiten" bewahren wollen. Zudem müsse auch nicht alles, was in der Primarstufe möglich ist zu unterrichten, tatsächlich im Unterricht vorkommen. Und sicherlich ist es richtig, dass die Vermittlung von abstrakten Gegenständen bei älteren Schüler/innen einfacher wird, zumal wenn sie sinnentnehmend längere Texte lesen können. Doch es gibt viele – und m.E. bessere – Argumente, die für einen frühen Beginn der Politischen Bildung sprechen.
Kinder haben ein Recht auf die Beantwortung ihrer Fragen. Grundschüler/innen nehmen in ihrem Alltagsleben politische Phänomene wahr. Sie erinnern sich oftmals an Details aus der Tagespolitik oder haben Kenntnisse über Namen von politischen Parteien, Politikern usw. Sie haben Vorstellungen von Demokratie, Europa oder den Euro¹. Das Wissen der Kinder ist meist fragmentarisch, d.h. die Begriffe werden nicht richtig miteinander verknüpft und es ist mit falschen Vorstellungen (Fehlkonzepten) vermengt, oft fehlen Konzepte. Gerade daher stellen Kinder viele Fragen zu dem, was sie wahrnehmen. Diese Fragen sollten beantwortet werden.
Ohne politisches Wissen existieren diffuse Ängste vor Krieg, Umweltkatastrophen oder Arbeitslosigkeit der Eltern. Politische Ängste wie Kriegsangst sind bei fast allen Kindern vorhanden. Sie stehen oftmals stellvertretend für andere Ängste wie beispielsweise Verlustängste. Aber sie sind auf reale Ereignisse bezogen und variieren entsprechend mit dem politischen Geschehen. Für deutsche Erstklässler stellt eine Veröffentlichung von 2007 fest,² dass die Kinder vorrangig Angst vor der Arbeitslosigkeit der Eltern und vor Krieg haben. Aktuell, angesichts der Krisenherde in der Ukraine oder Terrororganisationen wie IS, werden Kriegsängste wieder eine größere Rolle spielen. Sachinformationen helfen Ängste abzubauen, wenn den Kindern deutlich wird, dass sie selbst nicht direkt vom Krieg betroffen sein werden und dass ihre Phantasien unbegründet sind. Andere Studien zeigen, dass Kinder nicht zwischen realen und fiktiven Gefahren trennen können.³ Im Unterricht sollten daher fiktive Gefahren als solche entlarvt werden, welche die Kinder insbesondere durch elektronische Spiele kennengelernt haben.
Frühes Lernen beinhaltet die Chance, Vorurteile zu verringern. Schon früh übernehmen Kinder diskriminierende Kategorisierungen und scheinbare Normalitäten, die Andere ausgrenzen, Dominanzen festigen und zu Vorläufern von Vorurteilen werden.⁴ Da die Vorurteile von Grundschüler/innen noch nicht in viele Vorstellungen eingebunden sind, können in dieser Altersstufe erfolgreich diskriminierende Vorurteile hinterfragt werden. Einschränkend ist zu erwähnen, dass der Einfluss des Elternhauses meist überwiegt und bei entsprechenden Problemlagen insofern auch in der Elternarbeit gefragt ist. Ein weiterer Aspekt ist das negative Image der Politik und der Politiker, das u.a. sogar in der Kinderliteratur vermittelt wird.⁵ Ob sich dies nachhaltig auf politische Einstellungen auswirkt, ist empirisch nicht geklärt. Jedoch spricht dieser Aspekt für einen frühen politischen Unterricht, der den festgestellten Einseitigkeiten bei den Darstellungen von Politik entgegenwirken und Zugänge zu Medien für Kinder mit angemessenen Darstellungen eröffnen kann.
Positive Wirkungen für das politische Selbstkonzept sind früh grundzulegen. Signifikant steigt das politische Interesse erst bei Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr an.⁶ Doch interessieren sich schon Grundschüler/innen für die Politik, die direkte Auswirkungen auf ihr Alltagsleben hat. Hierzu gehören z.B. Bebauungspläne in der Gemeinde oder eine Politik, die eine besondere mediale Aufmerksamkeit erfährt, sowie Themen, die die Nachhaltigkeit oder Krieg und Frieden betreffen. Dieses Interesse sollte in der Schule früh aufgegriffen und unterstützt werden. Das Lern- und Leistungsmotivsystem ist entscheidend für Erfolgs- und Misserfolgsattributionen und damit für das Selbstkonzept einer Person. Das Selbstkonzept wird bereits vor dem zwölften Lebensjahr grundlegend gebildet⁷ und ist daher in der Grundschulzeit zu fördern. Die Chancen hierfür stehen gut, denn in der Regel schätzen die Schulanfänger ihre eigenen Fähigkeiten „übermäßig optimistisch ein. Dieses Wunschdenken macht „mit etwa acht Jahren einer realistischeren Selbsteinschätzung Platz
, was sich „auch in einem Rückgang der allgemeinen Lernfreude bemerkbar"⁸ macht. Jetzt entwickeln sich bereichsspezifische Fähigkeits(selbst)konzepte aus den Erfahrungen mit eigenen Handlungsergebnissen.⁹ Werden in der Domäne Politik keine Erfahrungen gemacht, wird auch kein politisch-relevantes Selbstkonzept entwickelt. Es ist im Unterricht darauf zu achten, dass den Kindern eine Erfolgszuversicht vermittelt wird.
Zusammenfassend lässt sich dieser Abschnitt mit einem Plädoyer für Politische Bildung in der Grundschule, begründet mit dem Bildungsanspruch des Sachunterrichts¹⁰, beschreiben. Leitendes Ziel des Sachunterrichts ist es, „Kinder dabei zu unterstützen, sich ihre Umwelt zu erschließen".¹¹ Mit Umwelt sind umfassend die soziale Alltagswelt, die Natur, Technik oder auch Geschichte sowie die eigene Person gemeint. Das Erschließen soll die Kinder dabei unterstützen, sich verstehend und aktiv an den Ereignissen in ihrer Umwelt zu beteiligen. Gefördert werden sollen Wissenserwerb, Persönlichkeitsentwicklung und die Beziehungen der Kinder zu ihrer Umwelt. Dazu gehört auch, am gesellschaftlichen Leben aktiv teilnehmen zu können, also die demokratischen Beteiligungsrechte wahrnehmen zu können.
2. Wie sollte Politische Bildung in der Grundschule stattfinden?
Wesentlich für alle Bildungsansätze in der Grundschule ist die Kindorientierung. Mit der heutigen Kompetenzorientierung werden die Lernvoraussetzungen der Kinder betont. Es sollen ihre Erfahrungen und Fähigkeiten mit den Anforderungen des fachlichen Lernens verknüpft werden. „Im didaktischen Auswahlprozess müssen sich diese beiden Blickrichtungen bzw. Zugänge zur Welt gegenseitig kontrollieren. Die Orientierung an den Erfahrungen der Kinder grenzt das Risiko ein, dass Fachorientierung im Unterricht zu erfahrungsleeren Begriffen und Merksätzen führt. Und der auf die Anforderungen von Fächern gerichtete Blick verringert das Risiko, dass sich der Unterricht auf die bloße Reproduktion des Alltagswissens der Kinder beschränkt, Verfälschungen akzeptiert oder die Anschlussfähigkeit an das weitere Lernen verliert".¹²
Zu den Lernvoraussetzungen gehören zum einen das Wissen, also die inhaltliche Dimension des Unterrichts, das vom Alltagswissen der Kinder ausgehen sollte. „Der spezifisch sachunterrichtliche Auftrag setzt ein, wenn die Verstehenskonzepte der Kinder nicht mit den Erklärungsansätzen der betreffenden Wissenschaft vereinbar oder nicht anschlussfähig sind".¹³ Zum anderen gehören hierzu ihre Denk-, Arbeits- und Handlungsfähigkeiten einschließlich des Kindeswillens, die zu berücksichtigen und zu stärken sind, so wie es beispielsweise die Kinderrechte vorsehen. Hiermit werden eher die prozedural zu denkenden Fähigkeiten betont.
Diese zwei Dimensionen werden im neu überarbeiteten „Perspektivrahmen Sachunterricht" der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU 2013) in Anlehnung an Anderson & Krathwohl (2001) und seiner Unterscheidung zwischen deklarativen und prozeduralen Wissensarten aufgegriffen und zu einem Kompetenzmodell entwickelt. Das Kompetenzmodell umfasst insgesamt fünf Perspektiven, d.h. fünf fachliche Bereiche: Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie und Technik. Neben den fachlichen Bereichen werden auch übergreifende, also perspektivenübergreifende Inhalte (z.B. Medien, Mobilität usw.) sowie perspektivenübergreifenden Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen (erkennen/ verstehen, eigenständig erarbeiten, evaluieren/ reflektieren, kommunizieren/ mit anderen zusammenarbeiten, umsetzen/ handeln) aufgegriffen, die in vielen Fachrichtungen relevant sind. Sie sind auch für Politische Bildung wichtig, werden im Folgenden aber nicht weiter dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der sozialwissenschaftlichen Perspektive dieses Kompetenzmodells.
Methodisches ist nicht Gegenstand von Kompetenzmodellen. Hier ist in der Grundschule vieles möglich – Planspiele, Recherchen, Plakate erstellen, Pro-Contra-Diskussionen. Die Unterrichtsmethoden sollten zu den zu fördernden Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen passen.
3. Welche Inhalte sind für politische Bildung relevant?
Zur Klärung der Frage, welche Inhalte über die Schuljahre hinweg zum Aufbau von politischem Wissen bei den Schüler/innen beitragen, wie also kumulativer Wissensaufbau stattfinden kann, ist ein Kompetenzmodell nötig. Die Auswahl des lernrelevanten Wissens ist dabei theoretisch zu begründen, möglichst empirisch zu validieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Hier hat die politikdidaktische Forschung noch einiges zu leisten. Aber ein theoretisch begründetes Modell liegt für die sozialwissenschaftliche Perspektive des Sachunterrichts vor. Andere Modelle sind denkbar, so dass dieses Modell natürlich nicht endgültig ist und das Folgende auch nur exemplarisch dafür verstanden werden kann, wie es zur Auswahl und Begründung von Kompetenzen kommt.
Zunächst ist die inhaltliche Dimension zu klären. Die sozialwissenschaftliche Perspektive im Perspektivrahmen Sachunterricht folgt, wie viele andere Kompetenzmodelle, der Theorie von Anderson und seiner Klärung des deklarativen Wissens. Das deklarative Wissen wird unterschieden in