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Tübinger Totentanz: Ein Baden-Württemberg-Krimi
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Tübinger Totentanz: Ein Baden-Württemberg-Krimi
eBook232 Seiten2 Stunden

Tübinger Totentanz: Ein Baden-Württemberg-Krimi

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Über dieses E-Book

Beim internationalen orientalischen Tanzfest in Tübingen mit Livemusik und glitzernden Kleidern stört nur ein kleiner Farbklecks: das rote Blut des Trommlers Amir, der erschlagen in seiner Garderobe liegt. Gut, er hat kurz vor seinem Tod absichtlich den Starauftritt seiner Ehefrau Tahani vermasselt. Aber reicht das für einen Mord? Und ist Amirs ägyptischer Landsmann Farouk wirklich so cool, wie er tut? Immerhin geht er seit einiger Zeit regelmäßig mit Tahani ins Bett. Oder hat Amirs Geliebte Maike etwas mit dem Mord zu tun? Aber welches Motiv sollte sie haben?
Nur gut, dass Birgit Wahl, eine der beiden ermittelnden Kommissarinnen, selbst orientalischen Tanz als Hobby betreibt. Zusammen mit ihrer Kollegin Carolynn Baumann durchforstet sie das Dickicht von Künstlereitelkeiten, orientalischem Macho- Gehabe und Beziehungsstreitigkeiten, um dem Mörder auf die Spur zu kommen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Apr. 2016
ISBN9783842517202
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    Buchvorschau

    Tübinger Totentanz - Ulrike Mundorff

    Ulrike Mundorff

    Tübinger Totentanz

    Ulrike Mundorff

    Tübinger

    Totentanz

    Ein Baden-Württemberg-Krimi

    Ulrike Mundorff, geboren in Göppingen, verbrachte Studien- und Forschungsaufenthalte an Neckar, Euphrat und Themse. Am Bodensee sattelte sie auf Computersprachen um und zog mit ihrem Mann Michael Wanner an den Neckar.

    Tagsüber hilft sie verzweifelten Usern als Administratorin und ist Expertin für Warenwirtschaft und Psychologie. Aus ihrem Hang zur Keilschrift, der Vorliebe für Gärten und Orientalischen Tanz sprießen Ideen für ihre Krimis, Kurzkrimis, Drehbücher und Theaterstücke.

    www.storystore.de

    1. Auflage 2016

    © 2016 by Silberburg-Verlag GmbH,

    Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung: Christoph Wöhler, Tübingen.

    Coverfoto: © Carlush – Fotolia.com.

    E-Book im EPUB-Format: eISBN 978-3-8425-1720-2

    E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1721-9

    Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1460-7

    Besuchen Sie uns im Internet

    und entdecken Sie die Vielfalt unseres Verlagsprogramms:

    www.silberburg.de

    Inhalt

    Über die Autorin

    Samstag

    Sonntag

    Montag

    Dienstag

    Mittwoch

    Donnerstag

    Sonntag

    Nachwort und Dank

    Personenliste

    Weitere Bücher und E-Books aus dem Silberburg-Verlag

    Samstag

    Vor der Tübinger Hermann-Hepper-Halle wehten Fahnen mit dem Aufdruck »Happy Hips – Orientalische Tanzgala« träge in der Nachtluft. Blütendüfte mischten sich mit Zigarettenrauch, zogen ins Foyer, wo dichtes Gedränge herrschte. Der erste Teil der Aufführung war ein Rausch aus Farben und Musik gewesen. Nun kommentierte das vorwiegend weibliche Publikum aller Altersstufen ausgiebig Tänze und Kostüme und tauschte den neuesten Klatsch der Bauchtanzszene aus. Die Frauen stellten sich gegenseitig ihre Männer vor und beachteten sie nach kurzem Smalltalk nicht weiter. Bald trödelten die Vernachlässigten mit einem Getränk an der Bar herum und hofften auf den erlösenden Gong zum zweiten Teil der Gala. Derweil summten die Frauen um die Stände des Basars. Die einen begutachteten Hüfttücher und Schleier. Andere suchten nach Dekoartikeln, Musik-CDs oder Schmuck. Und alle spähten aus dem Augenwinkel nach dem preisgekrönten Regisseur und Drehbuchautor Tobias Schell, der eine Hauptdarstellerin und eventuell weitere Mitwirkende für sein Tanzfilmprojekt suchte. Wie man munkelte, sollte der Streifen in den Kinos laufen und mindestens eine Wirkung wie Carlos Sauras »Carmen« hervorrufen. Schells Drehbuch handelte von einer talentierten Bauchtänzerin, die sich gegen alle Widerstände ihre Karriere erkämpfte. Und wie man weiter hörte, sollte die Favoritin dafür Tahani sein, eine bildhübsche Frau und Meisterin ihres Fachs, die ihn beim Schreiben beraten hatte.

    An einem der Stände flüsterte eine Frau mit Strasscollier einer anderen zu: »Der dahinten muss es sein. Der an der Bar mit der Baseballkappe. Er wird mit Tahani zufrieden sein. Die Rolle ist ihr ja wie auf den Leib geschneidert.«

    »Würde mich nicht wundern, wenn sie die selbst geschrieben hätte«, ätzte ihre Gesprächspartnerin und hielt der Verkäuferin Geldscheine für ein Bündel aus Schleiern und Röcken hin. »Gut, sie tanzt ganz hübsch. Solange sie im Lorettoviertel bleibt, ist es okay.«

    »Sie tanzt eben wie im letzten Jahrhundert üblich.«

    »Na, na. Wie im letzten Jahrtausend.«

    Lachend hakten sie sich unter und verschwanden in Richtung der Bar.

    Birgit Wahl sah den beiden konsterniert nach. Seit gut einem Jahr besuchte sie den Anfängerinnenkurs im Tanzstudio »Salaam« und kannte die Collier-Trägerin flüchtig von einem Workshop, den eine externe Dozentin dort gegeben hatte. Die anderen Schülerinnen behaupteten, dass die Lästernde Tahani hinsichtlich des Ehrgeizes nicht nachstand, aber sehr wohl hinsichtlich des Könnens. Birgit zupfte an ihrer ärmellosen Bluse, damit sie nicht mehr am Leib klebte. Wohlweislich hatte sie diese zu einer bequemen Leinenhose gewählt, trotzdem schwitzte sie in der Menschenmenge. Sie kramte in ihrer Handtasche vergeblich nach einem Fächer. Lag es an den Wechseljahren oder am Sommer, fragte sie sich. Wahrscheinlich an beidem, dachte sie und wandte sich wieder den Auslagen zu. Sie breitete ein leuchtend orangefarbenes Hüfttuch mit langen Fransen vor sich aus.

    Ihre Kollegin und Freundin Carolynn Baumann schien den Wortwechsel nicht gehört zu haben. Konzentriert prüfte sie die Anrufliste des Bereitschaftshandys und vergewisserte sich, dass sie keine Nachricht verpasst hatte. In letzter Minute hatten sie und Birgit den Dienst übernehmen müssen, da ihren Kollegen, Kriminalhauptkommissar Friedrich Holzwarth, die Sommergrippe erwischt hatte. »Alles okay. Der Abend gehört uns.« Sie verstaute das Telefon in ihrer mit Perlen bestickten Handtasche. Dabei verrutschte die hauchdünne Stola, die sie im Stil einer Inderin über die Schultern drapiert hatte.

    Caro sticht Giselle Bündchen locker aus, dachte Birgit. Ob in diesem Trägerkleid oder einem Sack.

    »Zufrieden mit deinem Geschenk?«, fragte Caro.

    »Und wie!« Birgit strahlte. Die Eintrittskarte zur Gala hatte sie von ihrer Tochter Wally und Carolynn zum Geburtstag bekommen. Sie begeisterte sich von Woche zu Woche mehr für den urweiblichen Tanz und hatte unbedingt sehen wollen, wie Profis ihn auf die Bühne brachten. »Und wie findest du die Vorstellung?«

    »Beeindruckend.«

    »Schau mal!« Wally drängelte sich neben ihre Mutter und streckte ihr ein Paar in Silber gefasste Ohrringe mit kobaltblauen Swarovski-Steinen hin. »Sind die nicht toll?« Das letzte Wort der Siebzehnjährigen ging fast in Husten unter.

    »Wow! Sie passen auch prima zu deinen Augen.«

    Wally klemmte das Kochbuch über orientalische Vorspeisen fester unter den Arm. Als angehende Hauswirtschafterin kochte sie leidenschaftlich gerne und probierte ständig neue Rezepte aus. »Sie sind bloß ziemlich teuer.« Ihr Blick schwankte zwischen Hoffnung und Enttäuschung.

    »Wie teuer?«

    »Zwanzig.« Sie nieste.

    Birgit steckte ihr einen Geldschein zu.

    »Danke!«

    »Gefällt dir die Show?«

    »Die Frauen sind so schön, mit ihren Figuren könnten sie alle bei Germany’s next Topmodel mitmachen.« Wally seufzte und stopfte ihr Taschentuch in die hautenge Jeans.

    »So wie du«, konterte Caro.

    Diese verdammten Modelsendungen, dachte Birgit. Verbreiten ein Schönheitsideal, das sich an Röntgenbildern orientiert. Wally wurde immer dünner, aber wehe, sie würde was sagen. Besorgt musterte sie das Gesicht ihrer Tochter. »Du glühst richtig. Soll ich dich nicht lieber heimfahren?«

    »Geht schon.« Wally verschwand im Trubel.

    Am Stand tauchte eine junge Frau auf. »Haben Sie auch Hüfttücher für Kinder?«, fragte sie die Verkäuferin.

    Birgit bemerkte, wie ein Schatten über Caros Gesicht huschte. Die deutete auf das Fransentuch vor Birgit. »Nimmst du das?«

    »Die Farbe ist klasse – aber bei meinem Hüftumfang.«

    Caro verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder die Brauereigaul-Nummer.«

    Birgit kaufte das Tuch.

    ***

    Das Licht im Saal verlosch, Raunen und Rascheln verstummte. Die Ansagerin, eine stattliche Dame im perlenbestickten Abendkleid, trat ins Scheinwerferlicht. »Sehr verehrtes Publikum, als Auftakt für die zweite Hälfte unserer Gala präsentieren wir Ihnen einen besonderen Leckerbissen: Einen Baladi. Dargeboten wie in einem Kairoer Kaffeehaus. Live.« Sie hob die Stimme etwas. »Heute am Akkordeon und der Duff-Trommel ein echter Könner! Allen im In- und Ausland bestens bekannt: Farouk al-Gharieb.«

    Applaus brandete auf.

    »Der Tablaspieler feierte dieses Jahr einen Triumph beim bedeutendsten Festival Ägyptens, dem Ahlan wa Sahlan in Kairo. Und heute ist er bei uns: Amir al-Banna.«

    Das Publikum klatschte begeistert.

    »Die Tänzerin ist nicht nur die Lokalmatadorin, sondern auch die amtierende Deutsche Meisterin im Solo klassisch: Tahani. Dass sie auch Baladi beherrscht, beweist sie uns jetzt. Seien Sie gespannt, staunen Sie und lassen Sie sich verzaubern! Applaus!«

    Der Saal tobte, erwartungsvolle Blicke flogen hin und her. Birgit beugte sich mit glänzenden Augen zu Wally. »Sie ist einfach super. Ich möchte einmal im Leben so tanzen können wie sie.«

    Carolynn lächelte amüsiert vor sich hin. Seit Tagen redete Birgit kaum von etwas anderem als von ihrer verehrten Lehrerin.

    Der Vorhang ging auf. Birgit reckte sich, erkannte im Halbdunkel die Männer in dunkelblauen Hemden und Anzugshosen. Farouk al-Gharieb griff in die Tasten seines Akkordeons, Amir al-Banna trommelte auf der taillierten Tabla, die er sich auf den Schenkel gelegt hatte. Die Musiker legten mit einer schwungvollen Einleitung los, lachten und feuerten das Publikum mit Blicken und Rufen an. Es ließ sich sofort anstecken und klatschte den Rhythmus mit. Aiwah- und Jallah-Rufe schallten durch die Halle, einige Frauen trillerten den schrillen Zagareth.

    Unwillkürlich hielt Birgit die Luft an, als Tahani plötzlich auf der Bühne erschien und im Scheinwerferlicht alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Die junge Frau zwinkerte Musikern und Publikum zu und trippelte kleine Kreise und Achten, dazu klapperten die goldfarbenen Münzen des Hüfttuchs im Rhythmus der Bewegungen. Tahani hielt mal den einen, mal den anderen Arm an den Kopf, als ob sie einen Krug stützte. Dabei rutschten die smaragdgrünen Ärmel zurück und gaben den Blick auf Armreifen frei. Der fließende Stoff ihres schmal geschnittenen Kleides schillerte in allen Farbnuancen, wenn er den Schwung sich schüttelnder Hüften aufnahm. Rhythmische und butterweiche Hüftbewegungen wechselten sich ab, gingen über in Drehungen. Dabei flogen die Enden des goldfarbenen Bandes hoch, das keck über mehrere Kopftücher geschlungen war. Tahani trat auf ein Steinchen. Sie zuckte kurz zusammen, wischte es mit der nackten Sohle schwungvoll von der Tanzfläche. Dann warf sie sich lässig einen Zipfel ihrer Kopftücher über die Schulter. Wellen stiegen vom Becken auf, flossen hoch zum Oberkörper. Eine Drehung, ein letzter Trommelschlag, Tahani blieb mit erhobenem Arm stehen. Beifall brandete auf. Sie freute sich sichtlich darüber. Farouk vertauschte sein Akkordeon mit der tief klingenden Duff-Trommel.

    Genau das ist es, dachte Birgit. Die Verbindung zwischen Powerfrau und Anmut. So muss das aussehen.

    »Jetzt kommt der Höhepunkt ihres Tanzes, das Trommelsolo!«, wisperte sie Caro und Wally zu.

    Vier helle Trommelschläge, zwei rasche Viervierteltakte und Birgit saß kerzengerade und sah gespannt nach vorn. Kein Mucks war im Publikum zu hören. Amir und Farouk trommelten wie wild. Tahani lächelte, schob ihre Kopftücher etwas aus dem Gesicht und wippte ein wenig mit den Hüften.

    Birgit glaubte, dass alle Zuschauer wie sie selbst Mund und Augen aufrissen, als Tahani loslegte. Man wusste nie, ob sie die Akzente betonte oder sie in eine fließende Bewegung umsetzte.

    Sie lässt sich von der Musik nicht hetzen, dachte Birgit. Tahani predigte immer und immer wieder, dass man das nicht durfte. Viele wurden hektisch und glaubten, sie müssten auf jeden einzelnen Trommelschlag etwas machen. Aber sie!

    Tahani tanzte eine Schrittkombination, betonte deren Ende mit Hüftakzenten, wiederholte alles spiegelverkehrt, kehrte zum ersten Muster zurück und setzte zur Wiederholung der zweiten Variante an. Doch nun passte ihr Tanz nicht mehr zum Rhythmus der Musik. Tahanis Augen flatterten kurz zu Amir. Er sah nur auf sein Instrument.

    Nanu, was war das, fragte sich Birgit.

    Mit koketten Blicken trippelte Tahani über die Bühne, streute Arabesken und Drehungen ein.

    Man muss die Musiker arbeiten lassen, erklärte Tahani immer. Tja, so ging’s: die Pose halten, dann sparsame Bewegungen wie unterkühlte Kommentare zur Musik abgeben.

    Tahani tanzte Akzente, die Amir nicht spielte.

    Ein Raunen ging durch den Zuschauerraum. Aha, dachte Birgit, ist sie doch nicht so cool, wie sie immer tut.

    Begleitet von genüsslichen Armbewegungen setzte die Tänzerin Amirs Trommelwirbel in zitternde Hüften oder in Kreise um, als ob sie Becken oder Brust durch Honig zöge. Immer öfter wechselte mittendrin die Musik, worauf Tahani die Bewegung blitzschnell abbrach und in eine andere überging. Vereinzelt hörte man unterdrücktes Gelächter. Birgit und Caro tauschten irritierte Blicke.

    Tahani sah über ihre Schulter zu Amir, hob und senkte betont eine Hüfte. Er ignorierte sie. In Farouks Miene spiegelte sich Verblüffung. Er spielte den Grundrhythmus deutlicher, damit sie sich nach ihm richten konnte. Immer mehr Zuschauer flüsterten oder kicherten. Plötzlich klatschte Tahani in die Hände, drehte sich im Sprung. Mit dem Rücken zum Publikum schüttelte sie ihre Hüften immer heftiger. Farouk steigerte gleichmäßig Tempo und Lautstärke. Tahani drehte sich um die eigene Achse, hob dabei langsam einen Arm, senkte ihn, riss ihn auf den letzten Trommelschlag hoch und blieb stehen. Dann verbeugte sie sich knapp vor dem allenfalls höflichen Beifall und rannte beinahe von der Bühne. Farouk und Amir verbeugten sich in aller Ruhe.

    Carolynn fragte: »Was war das denn?«

    »Keine Ahnung. Im Unterricht hat sie nie Fehler gemacht.«

    »Das hättest du besser gekonnt«, meinte Wally und nieste.

    Die Ansagerin stellte die nächsten drei Darbietungen vor.

    Diese Tänze versöhnten das Publikum wieder. Als die Ansagerin Tahani mit einem klassischen Schleiertanz und zwei darauffolgende Programmpunkte mit anderen Künstlern ankündigte, wurde es totenstill.

    Zu verträumter Musik und in mystisches Licht getaucht, glitt sie mit raumgreifenden Schritten über die Bühne. Dabei schwebte die silbrige Seide wie ein Baldachin, senkte sich zur Schleppe, wirbelte in Wellenbewegungen wieder hoch, umflatterte die Tänzerin in einer Spirale, formte sich zu einem Halbmond, der zuerst ihre kreisenden Hüften, dann die Brust und den Kopf umrahmte. Wie von selbst drehte er sich wie ein Mühlrad. Plötzlich umhüllte er ihren Oberkörper, ließ den Kopf und das blutrote Kleid durchschimmern. Wellen und Achten stiegen von den Hüften auf, Lichtreflexe auf den silbrigen Perlen des Gürtels betonten jede Bewegung. Wie ein Mantel legte sich der Stoff über die hinsinkende Tänzerin, wogte hoch, als sie sich wieder aufrichtete, schlang sich um Hals und Schulter, entfaltete sich zu Flügeln einer Windmühle, wurde wieder zum Baldachin.

    Birgit verfolgte hypnotisiert wie das übrige Publikum die in sich versunkene Tänzerin und spendete am Ende frenetischen Applaus.

    Carolynn ließ sich in ihren Sitz zurückfallen. »Wow!«

    »Hab ich doch gesagt, dass sie spitze ist!«, meinte Birgit.

    Auch bei den nächsten Tänzen kochte der Saal, die Stimmung gipfelte beim Finale mit allen Künstlern in einem Feuerwerk aus glitzernden Kostümen und mitreißender Musik.

    Im Strom der Zuschauer verließen die Freundinnen beschwingt den Saal. Wally gähnte diskret.

    »Noch ein Gläschen Wein und dann nach Hause?«, fragte Caro.

    »Wenn ich meine Tochter so ansehe – nach Hause und dann ein Gläschen.« Birgit legte Wally die Hand auf die Stirn. »Hast du Fieber?«

    »Bin bloß müde.« Sie putzte sich die Nase und hustete.

    »Meine Güte«, sagte Caro, »was man mit den Hüften alles machen kann! Und der Typ, der vor den Stocktänzern aufgetreten ist … der hat einen Gang wie ein Panther. Hey, auf so eine Veranstaltung darfst du mich wieder mitnehmen.«

    Birgit lachte. »Und dich, Wally?«

    Ihre Tochter zuckte mit den Achseln. »Die Musik ist echt nicht mein Fall. Aber wenn du auftrittst, schaue ich zu.«

    »Oje! Bis ich mich so bewegen kann … wenn ich das überhaupt jemals schaffe.«

    »So wie der Typ nach dem Tablasolo. Der im Seemannskostüm.« Carolynns Augen leuchteten. »Der mit den Löffeln getanzt hat.«

    »Hisham. Du meinst Hisham. Na, wieder empfänglich fürs andere Geschlecht?« Grinsend erinnerte sie sich an die leichtfüßig gehüpften Schrittfolgen, die er mit Arbeitsbewegungen von Ruderern und keckem Gesichtsausdruck kombiniert hatte.

    Carolynn machte eine unbestimmte Handbewegung.

    »Mir hat er auch gefallen«, sagte Wally.

    »Bist du für den nicht zu jung?«, fragte Birgit.

    »Seid ihr für den nicht zu alt?«

    Alle brachen in Gelächter aus und verließen das Gebäude. Überrascht bemerkten sie Rettungs-, Notarzt- und mehrere Streifenwagen vor dem Künstlereingang. Das Bereitschaftshandy meldete sich.

    »Baumann.« Nach einem knappen Wortwechsel beendete Caro das Telefonat mit

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