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Häppchen für Herz und Hirn: Gedanken zu den Wochensprüchen des Kirchenjahres
Häppchen für Herz und Hirn: Gedanken zu den Wochensprüchen des Kirchenjahres
Häppchen für Herz und Hirn: Gedanken zu den Wochensprüchen des Kirchenjahres
eBook507 Seiten4 Stunden

Häppchen für Herz und Hirn: Gedanken zu den Wochensprüchen des Kirchenjahres

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Über dieses E-Book

Das christliche Menschenbild ist ein sehr liebevolles. Und das christliche Weltverständnis ist ein sehr positives. Beides ist etwas ganz Besonderes und Wertvolles angesichts der Schattenseiten des Menschen und unseres ganzen Daseins. Wenn wir trotz der vielen kleinen und großen Probleme ein Leben in Freude, Zufriedenheit und Dankbarkeit und mit unbeirrbarem Engagement für eine bessere Welt führen wollen, dann können biblische Worte dafür eine Anregung und Unterstützung sein.
Die alljährlich wiederkehrenden Wochensprüche des Kirchenjahres sind in diesem Buch der Ausgangspunkt für Gedanken über unser Leben, über unser Menschsein, über unsere Sorgen und Hoffnungen und die Werte eines menschenwürdigen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft und weltweit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum27. Nov. 2015
ISBN9783739263885
Häppchen für Herz und Hirn: Gedanken zu den Wochensprüchen des Kirchenjahres
Autor

Wolfgang Nein

Der Autor war in den siebziger Jahren Pastor in Cuxhaven. Von 1980 bis 2010 war er an der Markuskirche in Hamburg-Hoheluft tätig. Eines seiner Lebensthemen ist die Förderung interkultureller Begegnungen. In den siebziger Jahren sorgte er für die Beschulung von Gastarbeiterkindern in Cuxhaven. Dreißig Jahre lang leitete er ein von ihm gegründetes deutsch-argentinisches Jugendaustauschprogramm. Der Autor lebt als Ruheständler in Hamburg.

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    Buchvorschau

    Häppchen für Herz und Hirn - Wolfgang Nein

    2015

    1. Advent

    Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.

    Sacharja 9,9

    02.12.1980

    Advent bedeutet für uns „warten", warten wie auf einen Besuch. Wir bereiten uns vor, und wir warten. Warten auf wen? Wen hätten wir gern einmal bei uns?

    Sacharja kündigt uns einen Besuch an: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer." Wie können wir uns diesen Besuch vorstellen?

    König - damit ist von Christus her verstanden wohl nicht jemand gemeint, der wegen seines Titels Autorität besitzt, sondern der diesen Titel hat, weil er eine Autorität ist von seiner ganzen Art her: ein Mensch, der treu ist, unerschütterlich in seiner Treue wie ein Fels, der zum Wesentlichen vordringt, der uns die Tiefe unseres Lebens erfahren lässt, der uns erleben lässt, wie großartig unser Leben doch ist.

    Ein Mensch, der die Verstrickungen löst, in denen wir gefangen sind, der uns befreit, so dass wir uns ganz neu bewegen können, der die Verklemmungen in unserer Brust auflöst, so dass Lebensgeister in uns erwachen, die bisher nur geschlummert haben.

    Ein Mensch, der Kraft ausstrahlt, nicht so, dass wir im Kontrast zu ihm nun besser wüssten als vorher, wie schwach wir sind, sondern so, dass die in uns verborgenen Kräfte geweckt werden und wir spüren, wie stark wir selbst doch sein können.

    Ein Mensch, der uns und alles in hellem Licht erstrahlen lässt, nicht weil er selbst so grell leuchtete, sondern weil er wie eine zentrale Quelle der Kraft die unzähligen Lichter in uns, in unserem Leben, im ganzen Dasein zum Leuchten bringt.

    Ein Mensch also, ein großartiger, der seine Größe nicht darin hat, dass er uns spüren lässt, wie klein wir sind, sondern darin, dass wir an ihm wachsen können. Ein Mensch, demgegenüber wir uns nicht eingestehen müssen, wie wenig wir sind, wie wenig wir können, wie wenig wir haben. Ein Mensch, der uns aufbaut, der uns erhebt, der uns und unserem Leben und unserem ganzen Dasein eine unendlich große Würde gibt. Ein wahrhaft göttlicher Mensch.

    Der König, ein Gerechter. Gerecht - nicht, indem er uns an irgendwelchen abstrakten Normen misst. Gerecht, indem er uns gerecht wird, uns ganz persönlich. Das ist ganz subjektiv. Uns gerecht wird, indem er uns ganz individuell das zukommen lässt, was unserem Leben dient.

    Der König, ein Helfer. Einer, der uns voranbringt, der in uns und für uns Neues schafft. Der nicht zu uns kommt - und dann geht es uns noch schlechter als vorher. Sondern einer, der uns wohltut und uns Schönes erleben lässt.

    Einen solchen Besuch hätte ich gern, hätten wir wohl alle gern. Einen solchen Besuch haben wir vielleicht auch schon gehabt, haben wir vielleicht des öfteren und merken es gar nicht. Ein solcher Besucher kann äußerlich unscheinbar sein.

    Advent ist die Zeit des erwartungsvollen Wartens auf diesen besonderen Besucher, die Zeit des Hinhörens und Hinschauens, des Sich-selbst-öffnens, des Aufnehmens, des Sich-ergreifen-lassens. Hören wir hin, schauen wir hin, öffnen wir uns, nehmen wir auf, lassen wir uns ergreifen!

    01.12.1987

    Israel hat viele Könige gehabt, gute und schlechte, starke und schwache. Das Volk ist oft genug enttäuscht worden. Manchmal konnte es halbwegs zufrieden sein. In den beiden Königsbüchern im Alten Testament sind die Regenten Israels einer Bewertung unterzogen. Insgesamt sind Wünsche offen geblieben. Wie könnte es anders sein!

    Die Geschichte Israels war aufs Ganze gesehen ein Weg in den Abgrund. Die Israeliten verloren mehrfach ihre Heimat, ihre heiligen Stätten, ihr Allerheiligstes, die Herrschaft über sich selbst und streckenweise wohl auch das Selbstvertrauen. Sie sahen sich gestraft vom Schicksal, von ihrem Gott Jahwe, gestraft für eigenes Vergehen, eigene Schuld. Aber sie waren doch nie so sehr am Boden zerstört, dass ihnen nicht die Kraft zu neuer Hoffnung geblieben wäre.

    Eine Stimme der Hoffnung ist die des Sacharja: „Dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Der Prophet hat eine Vision: Er sieht einen König kommen, anders als alle bisherigen Könige. Bescheiden reitet er auf einem Esel. Er wird die Streitwagen vernichten und die Kriegsbögen. Es ist eine Vision. „Freue dich Zion, freue dich, Jerusalem!, ruft er seinen Landsleuten zu. Er mag Gelächter geerntet haben, Gelächter von denen, die die Kraft zur Hoffnung verloren hatten.

    Wer lange genug das Spiel der Herrschenden durchlitten hat, wer oft genug enttäuscht worden ist, der mag wohl zaghaft werden, hoffnungslos, glaubenslos. Aber das Blatt der Geschichte kann sich immer wieder wenden, auch zum Guten.

    Schon das Alte Testament ist durchdrungen von dem Glauben, dass sich in den Wirren der geschichtlichen Ereignisse trotz des düsteren Augenscheins letztlich ein geheimnisvoller Plan Gottes durchsetzen wird, der die ganze Menschheit ins Wohlergehen führt.

    Das Neue Testament schließlich beschreibt uns den Anbruch dieses Reiches Gottes in der Person Jesus Christus. Ein Stück Hoffnung hat sich mit dem Neuen Testament erfüllt. Der König, den Sacharja prophetisch angekündigt hat, ist in Jesus Christus gekommen. So sehen es die Autoren des Neuen Testaments. Die Erfüllung ist noch nicht vollkommen. So sind wir weiterhin zur Hoffnung berufen.

    Wir sollen nicht untätig warten, dass der König, den Sacharja angekündigt hat und der in Christus erschienen ist, nun endlich sein Reich vollkommen gestalten möge in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zum Wohl aller Menschen. Wir sollen uns selbst auf den Weg machen und dem, was wir erhoffen, in unserem eigenen Tun Ausdruck verleihen.

    Der erwartete König ist zwar übermenschlicher Art, und wir dürfen von keinem menschlichen Herrscher und auch nicht von uns selbst das erwarten, was in ihn an Hoffnung und Erwartung hineingelegt ist. Aber wir sollen uns auf den Weg machen und wir sollen immer wieder wie Sacharja zur Hoffnung rufen und Zeichen setzen und dem König unserer Hoffnung den Weg bereiten.

    04.12.1990

    Diese alttestamentliche Weissagung ist nach neutestamentlichem Verständnis in Jesus Christus in Erfüllung gegangen. Versetzen wir uns einmal zurück in den Augenblick, in dem ein solcher Satz formuliert wird, in dem eine solche Aussage über die Zukunft gemacht wird. Es ist ein Wagnis, verbunden mit dem Risiko, sich bloßzustellen und sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben: Ein König wird kommen, der wird gerecht sein und ein Helfer. Er wird Frieden geben den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum anderen.

    Das wäre in etwa so, wie wenn jemand Mitte vergangenen Jahres vorhergesagt hätte: „Wir werden eine Regierung haben, die wird regieren vom Rhein bis an die Oder." Es gehört Mut dazu, die Erfüllung eines Traums als reale Möglichkeit zu proklamieren. Leicht fällt es uns, einen mangelhaften Zustand zu beklagen. Das haben wir ausgiebig getan: Wir haben die Teilung unseres Landes beklagt, den Ost-West-Konflikt, den Rüstungswettlauf. Einigermaßen leicht war es auch, die Veränderung dieser Zustände zu fordern. Aber an die reale Möglichkeit der Veränderung zu glauben, das war schon ein schwieriger Schritt, und sie gar vorherzusagen, das wäre wohl kaum jemandem in den Sinn gekommen.

    Wie wäre es, wenn heute jemand die Vorhersage wagte, in absehbarer Zukunft werde in den Ländern, die heute zur Dritten Welt zählen, die Wirtschaft blühen. Soziale Gerechtigkeit werde dort herrschen und die Länder des Südens und des Nordens werden partnerschaftlich zusammenarbeiten. Eine solche Vorhersage müsste einem aus heutiger Sicht irreal erscheinen, utopisch. Wir brauchen aber solche Utopien, nicht um ihre Verwirklichung notfalls gewaltsam herbeiführen zu wollen, sondern um unserem menschlichen Handeln das Ziel im Sinne eines göttlichen Auftrags zu geben und unserem Handeln eine Dynamik zu geben, auf dieses Ziel hinzuwirken.

    Manches schier Unglaubliche hat sich in der Geschichte verwirklicht. Unsere Gegenwart gibt ein Beispiel dafür. Das allerschönste und größte Beispiel finden wir in dem Menschen, der vor fast 2000 Jahren geboren wurde und den Beinamen Christus erhielt. Er verkörpert in seiner Person einen Menschheitstraum, eine Art, Mensch zu sein, wie sie dem göttlichen Urbild entspricht. Sacharja hatte die Vision vom Kommen eines solchen Menschen zu formulieren gewagt. Im rechten Augenblick haben einige auch gesehen und erkannt, dass die Vision in Erfüllung gegangen ist. Jesus Christus ist die Erfüllung einer Verheißung. Er verkörpert aber auch weiterhin eine Vision, etwas Utopisches, noch zu Suchendes und zu Verwirklichendes. Das macht die Adventszeit immer neu deutlich. Wir haben ihn, aber wir gehen auch auf ihn zu. Auf die Vollendung, die in ihm verkörpert ist, wartet noch die Welt in ihrer Gesamtheit.

    Ich wünsche uns visionäre Kraft, lebendige Hoffnung, die über das vor der Hand liegende Reale hinausblickt auf das uns heute noch unglaublich Erscheinende. In Christus ist es als real verheißen.

    01.12.2001

    Sacharja hat eine Vision - sie bezieht sich auf Jerusalem und auf den ganzen Globus, eine Vision des Friedens. Aktueller gehts nicht. Die Israeliten damals leiden an der Zerstörung Jerusalems, sie leiden an der Fremde des Exils in Babylon. Was ist ihnen an Hoffnung geblieben, dass sie in ihrer Heimat einmal wieder in Ruhe und Frieden würden leben können - und dass in der Welt um sie herum Frieden sein möchte, in der Welt um sie herum, die das Schicksal ihres kleinen Landes immer so sehr mitbestimmt hat?!

    Was ist an Hoffnung geblieben? Das ist ja auch unsere Frage - bezüglich des Friedens in Israel und bezüglich des Friedens auf unserem ganzen Erdball. Michael Wildt, der vorletzte Woche für ein paar Tage aus Jerusalem zurückgekommen war, sagte mir, die Stimmung in Israel sei depressiv. Er habe niemanden getroffen, der Hoffnung auf Besserung habe. Jedenfalls brächte niemand eventuelle hoffnungsvolle Gedanken zum Ausdruck. Und seit dem Wochenende, an dem er nach Jerusalem zurückgekehrt ist, ist ja genug Schlimmes dort geschehen, um die im Verborgenen vielleicht noch vorhandenen kleinen Reste von Hoffnung weiter zu dezimieren.

    Jerusalem - das Krisenzentrum Nr. 1. Solange dort kein Frieden herrscht, wird unser Erdball im Ganzen wohl weiter bedroht bleiben. Und wenn dort einmal Frieden einkehren sollte, dann wird dies für unseren ganzen Erdball gut sein.

    Kann von Jerusalem der Frieden für die Welt ausgehen? Jerusalem - zentrale Stätte der großen Buchreligionen Judentum, Christentum, Islam. Wo ist die geistige Kraft der Religionen, die der politischen Macht etwas entgegensetzen könnte? Wo ist das Friedenspotential der Kirchen und der Religionen in dieser heiligen Stadt? Ich habe Michael Wildt gefragt: „Gibt es denn in Jerusalem einen ‚Council of Religions‘ - ein gemeinsames Gremium der Religionen, das den Willen zum Frieden und die Hoffnung auf Frieden wieder stark machen könnte?" Ich habe ihn gefragt, ob es denn einzelne religiöse Persönlichkeiten gäbe, die den politischen Mandatsträgern mit geistiger und geistlicher Macht Paroli bieten könnten.

    Ihm fielen weder einzelne Persönlichkeiten noch irgend ein Gremium ein. Von wo aus kann Hoffnung neu wachsen?

    Sacharja hat eine Vision gehabt - im Angesicht einer Wirklichkeit, die zur Hoffnung keinen Anlass bot.

    Wir, auch wir brauchen eine Vision, eine Vision des Friedens. Wir knüpfen jetzt in der Adventszeit an eben diese Vision des Sacharja an. Denn den König, auf den er gehofft hat, den haben später viele in Jesus von Nazareth erkannt. Ein König freilich, der einen ganz anderen Weg zum Frieden aufgezeigt hat als den der Vergeltung, der Gewalt und Gegengewalt.

    Christus ist unsere Hoffnung.

    2. Advent

    Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

    Lukas 21,28

    09.12.1980

    In unserem Land genießen wir so viel Freiheit wie wohl kaum ein anderes Volk auf dieser Erde. Wir brauchen keinen Befreier mehr, wir sind frei! Im politischen Sinne möchte ich sagen: „Das stimmt."

    Im menschlichen Sinne können wir allerdings auch in einem freien Land gefangen sein: gefangen in uns selbst, gefangen in den Verhältnissen, in denen wir leben. Ob wir frei sind oder nicht, ist eine Frage danach, wie wir unser ganzes Dasein erleben.

    Vielleicht erleben wir zum Beispiel den Fortgang unseres Lebens als einen fortschreitenden Verlust an Freiheit. Am Anfang haben wir noch die große Auswahl: Wir können unseren Beruf wählen, unseren Ehepartner, den Ort, an dem wir wohnen wollen. Wenn wir dann 20 Jahre weiter sind und wir vielleicht das Gefühl haben, dass uns unsere damals gefällten Entscheidungen nicht befriedigen, dann merken wir schon, wie sehr sich unsere einstige Freiheit verringert hat. Wir können nicht einfach wieder von vorn anfangen. Wir kennen inzwischen unsere eigenen Grenzen, unsere Schwächen, unsere Schattenseiten. Und wir sind vielleicht durch viele Erfahrungen eingeschüchtert worden, haben nicht mehr den Mut, etwas Neues zu beginnen. So können wir den Fortgang unseres Lebens als einen zunehmenden Verlust an Freiheit, an Entscheidungsfreiheit erleben.

    Aber auch wenn wir uns einmal ganz unabhängig vom Alter betrachten, kann es sein, dass wir uns als Gefangene erleben. Wir entdecken zwanghafte Verhaltensweisen an anderen und an uns selbst und erleben, wie wir Dinge tun, die wir vielleicht gar nicht tun wollen. Ich meine das nicht in einem krankhaften Sinne, ich meine unser ganz normales Verhalten.

    Wir erleben an uns vielleicht zum Beispiel einen übermäßigen Perfektionismus: dass wir alles so überaus genau nehmen, dass für uns nichts gut genug gemacht ist, und dass wir mit unserem Drang nach Perfektion, wie wir sie verstehen, nicht nur andere stark belasten, sondern auch uns selbst das Leben gehörig erschweren. Wenn wir dann an unserer eigenen Art selbst genug leiden, sodass wir den innigsten Wunsch haben, uns zu verändern, spüren wir, wie schwer das ist, wie sehr wir gefangen sind in unserer Art.

    Solche zwanghaften, uns selbst und andere zermürbenden Verhaltensweisen entdecken wir zur Genüge an uns: den Drang, ständig Recht haben zu müssen zum Beispiel, oder sich dem anderen als überlegen erweisen zu müssen oder die Vorstellung, ständig anderen verpflichtet zu sein, nie nein sagen zu dürfen.

    Es ist sehr schwierig, aus der eigenen Haut zu schlüpfen. Wir sind mit ihr untrennbar verbunden.

    Nun wird uns hier ein Erlöser angekündigt. Ich habe da gleich an ein bestimmtes Märchenmotiv gedacht: Die Prinzessin kann aus ihrem Dauerschlaf nur erwachen, wenn sie von einem Prinzen wachgeküsst wird.

    Was ich sagen möchte, ist dies: Wir sind in uns selbst und in unseren Lebensumständen gefangen. Befreien können wir uns selbst so wenig wie jene Prinzessin, oder wie Münchhausen sich selbst am eigenen Schopf aus dem Wasser ziehen konnte. Wirklich befreit werden können wir nur von außen, durch einen anderen.

    Eine große Kraft, die etwas an uns und in uns ausrichten kann, ist die, dass uns jemand anspricht mit einem guten Wort, dass uns jemand ernst nimmt, uns anhört, Geduld mit uns hat, uns vergibt, uns ganz und gar wohlgesonnen ist. Wir spüren dann, dass die Gitterstäbe unseres Gefängnisses aus Eis sind. In der Wärme der herzlichen Zuneigung schmelzen sie und wir können aus uns heraustreten. Vieles, was uns vorher wichtig war, verliert an Bedeutung. Wir werden frei, aufeinander zuzugehen in einer neuen Art.

    Lassen Sie uns unseren oftmals von Resignation niedergeschlagenen Blick hoffnungsvoll nach vorne richten. Erheben wir unsere von den Lasten unseres Lebens niedergedrückten Häupter: Unser Erlöser kommt.

    07.12.1982

    Die Adventszeit ist eine Zeit der Erwartung, des hoffnungsvollen Wartens darauf, dass etwas an uns geschieht. Die Erfüllung der Erwartung wird ganz anschaulich dargestellt in den Geschenken, die wir uns zu Heiligabend bereiten. Mit Kindern erleben wir das vielleicht am eindrücklichsten: Sie hoffen mit gespannter Erwartung auf etwas, was sie nicht selbst herbeiführen können. Sie haben Wünsche, und nur andere können sie ihnen erfüllen.

    Bei uns Erwachsenen ist das etwas anders. Wir erfüllen uns unsere Wünsche zum großen Teil selbst. In vielen Fällen wissen wir schon, was wir Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum finden. Die Erfüllung ist schon abgesprochen, von uns selbst in die Wege geleitet. Der eigentliche Charakter der Erwartung ist deshalb nicht mehr zu erkennen. Dieser besteht gerade darin, dass wir auf etwas hoffen, das wir uns nicht selbst geben können.

    Für unser Verhalten sind uns grundsätzlich zwei Möglichkeiten aufgegeben. Die eine ist das aktive Tun, die andere, dass wir etwas an uns geschehen lassen. Beide sollen in einem beständigen Wechselspiel da sein. Mal steht das eine, mal das andere schwerpunktmäßig im Vordergrund. Wir empfangen und geben, wir hören und reden, wir lassen uns lieben und wenden uns anderen in Liebe zu. So soll es sein. Wer immer nur nimmt, ohne zu geben, oder immer nur gibt ohne die Bereitschaft, selbst etwas anzunehmen, der beachtet nicht den Sinn des Wechselspiels dieser beiden Verhaltensweisen. Wer sich immer nur alles anhört, ohne selbst einmal Stellung zu nehmen, oder wer immer nur redet, ohne mal andere anzuhören, dem fehlt Wesentliches. Und wer es genießt, geliebt zu sein, ohne sich anderen liebevoll zuzuwenden, oder wer sich umgekehrt ganz in der Nächstenliebe ergeht, ohne selbst die Liebe anderer anzunehmen, der - sowohl der eine wie der andere - hätte besonderen Grund zur selbstkritischen Besinnung.

    Advent bedeutet, dass die eine Weise schwerpunktmäßig für eine gewisse Zeit im Vordergrund steht, die inaktivere Weise von beiden. Sie steht - theologisch gesprochen - unter dem Stichwort der Erlösung, der Rettung. Um es bildhaft zu sagen: Wir können uns nicht selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Da können wir nur hoffen, dass uns jemand anderes ergreift. So ist es - grob gesprochen - auch mit dem Morast unseres Lebens. Wenn wir im Schlamm zu versinken drohen, kann der Punkt kommen, wo unser eigenes Tun und Machen nichts mehr rettet. Dann kann uns nur ein anderer helfen. Auf diesen Tatbestand besinnen wir uns in der Adventszeit. Wir warten und hoffen auf Christus, der uns Lebenswichtiges zu sagen und zu geben hat. Er streckt uns die rettende Hand entgegen.

    06.12.1983

    Die Texte der Adventszeit stellen immer wieder einen Zusammenhang her zwischen der Geburt Jesu und seiner Wiederkehr am Ende der Zeiten. Unser Spruch stammt aus einem Textabschnitt, der von der endzeitlichen Wiederkehr des Christus handelt.

    Die Geburt Jesu und Christi Wiederkehr scheinen in ihrem Charakter weit auseinander zu liegen: Jesu Geburt ist ein Ereignis, das unser Herz anrührt. Es öffnet und erwärmt uns. Die Schilderung der endzeitlichen Wiederkehr mit all den schrecklichen Begleitumständen bringt unser Herz eher ins Stocken. Wir erschrecken. Wir sind geneigt, uns zu verschließen, in Deckung zu gehen. Demgegenüber wird uns aber gesagt: „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe."

    Wenn die beiden Ereignisse in ihrem Charakter und in ihrer Wirkung auf uns zunächst so verschieden erscheinen, so haben sie doch ein gemeinsames Anliegen: Sie wollen uns beide eine Hilfe sein angesichts der Bedrohungen und Schrecken unserer Welt. Die Geburt Jesu wird verglichen mit dem Anzünden einer Kerze in der Dunkelheit: Christus erhellt die Finsternis unserer Welt. Damit ist bildhaft zum Ausdruck gebracht: In unsere Welt voller Probleme, voller Not und Elend, voller Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit, voller Hass, voller Gewalt und Schuld tritt er ein als die fleischgewordene Barmherzigkeit, Gnade, Vergebung, Zuwendung, Liebe. Mit seinem Auftreten gibt er allen Kraft und Hoffnung, die in den unheilvollen Verstrickungen unserer Welt gefangen sind.

    Es bleibt aber die Erfahrung, dass sich die Welt auch durch das Auftreten Jesu Christi im Großen und Ganzen nicht verändert hat. Die ersten Christen und schon viele Menschen vor ihnen hatten ein Gespür dafür, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte. Angesichts solcher schrecklichen Zukunftsvisionen von Kriegen und Verwüstungen, Naturkatastrophen und kosmischem Unheil wird den Verängstigten gesagt: „Es wird nicht nur Unheil auf euch zukommen; in allem Schrecklichen wird euch von neuem Christus begegnen. Wenn ihr also das Unheil auf euch zukommen seht, dann geht nicht schon vorher an eurer Angst zugrunde, sondern fasst euch in Zuversicht und Hoffnung und tut das, was ihr vor Christus meint vertreten zu können."

    Es hat in der Vergangenheit große geschichtliche Katastrophen gegeben, bei denen viele Menschen vielleicht schon gemeint haben, die Schrecken der Endzeit seien angebrochen. Die letzte große Katastrophe dieser Art in unseren Breiten war sicherlich die Zeit des Nationalsozialismus mit der Judenvernichtung und dem zweiten Weltkrieg.

    Sowohl bei der Geburt Jesu wie bei der Wiederkehr Christi geht es um die Hoffnung angesichts der vielen Hoffnungslosigkeiten unserer Welt. Statt dass wir den Kopf einziehen und verängstigt in Deckung gehen, sollen wir uns aufrichten und auf den blicken, der in seiner Person dem Leid und der Not und der Schuld das ganz Andere entgegengesetzt hat und entgegensetzen wird. Christus war und ist unsere Hoffnung. Er wird unserer Hoffnung bleiben.

    3. Advent

    Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.

    Jesaja 40,3.10

    16.12.1980

    Als ich während meines Studiums mit einem Freund in Hamburg eine Wohnung bezog, hatten wir die Idee, einmal die Woche eine Frau kommen zu lassen, die uns die Wohnung saubermachen sollte. Wir beide, damals noch Junggesellen, hielten das offenbar für nötig und sinnvoll.

    Wir fanden eine Frau. Als dann der Tag anstand, dass sie zum ersten Mal kommen sollte, sahen wir uns unsere Wohnung an und mussten zugeben: „So geht das nicht! Wenn die Frau hier hereinkommt, kriegt sie einen Herzinfarkt. In diesem Chaos wird sie gar nicht wissen, wo sie mit dem Reinemachen anfangen soll."

    Und so haben wir uns an die Arbeit gemacht, an die Vorarbeit, haben die gröbste Unordnung beseitigt, damit die Frau am nächsten Tag überhaupt eine Chance haben würde, etwas in unserer Wohnung auszurichten.

    Es ist sicherlich nicht angemessen, Jesus Christus mit einer Reinemachefrau zu vergleichen. Aber mir ist bei unserem heutigen Spruch diese Situation eingefallen. Jesus Christus ist uns ja auch gesandt, um in uns Ordnung zu schaffen, in uns aufzuräumen, uns zu reinigen, die Dinge unseres Lebens zurechtzurücken. Und wir sind nun aufgefordert, Vorarbeit zu leisten: „Bereitet dem Herrn den Weg!"

    Es heißt in der alttestamentlichen Stelle bildlich weiter: „Macht die Täler hoch, die Berge niedrig, was krumm ist, macht gerade!" Damit Jesus Christus überhaupt in uns einziehen kann, ist es nötig, dass wir ihm den Weg bahnen, dass wir den gröbsten Schutt beiseite räumen, damit die Tür überhaupt geöffnet werden und er bei uns eintreten kann.

    Diese Vorarbeit ist nunmehr auszulegen. „Was sollen wir tun? Eben diese Frage lässt der Evangelist Lukas die Menschen stellen, denen Johannes der Täufer unseren Spruch zuruft. „Bereitet den Weg des Herrn!, rief Johannes dem Volk zu. Und die Leute fragten: „Was sollen wir denn tun?" Johannes antwortete: „Wer zwei Hemden hat, der gebe eines

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