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Aufstummen: Roman
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eBook98 Seiten1 Stunde

Aufstummen: Roman

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Über dieses E-Book

"Beider Blicke rasselten übern Esstisch, an der Tischkante das Messer, kreuzten auf dessen Klinge sich." Zwei der Hauptfiguren des Romans scheint nur mehr die Flucht in Traumwelten zu verbinden, Sprachlosigkeit stellt sich ein, und dennoch: Keiner kann ohne den Anderen in diesen Szenen einer Ehe, über der latent das Damoklesschwert schwebt. Mit filmischen Kunstgriffen macht der Ich-Erzähler den Leser zum Kinobesucher - und nähert sich immer mehr seiner eigenen Geschichte. So entsteht, einem Mosaik gleich, ein Familienroman, der über Tirol hinaus nach Island und Paris, nach Mexiko und Australien führt und seinen Bogen von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis heute spannt.
Dieses Aufstummen - Teile daraus wurden 2002 mit dem Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ausgezeichnet - wird durch den Rhythmus einer Sprache getragen, die vom ersten Satz an zu fließen beginnt, und, verzahnt wie ein Uhrwerk, bis zum Schluss nicht mehr zum Stillstand kommt. Auf Dantes "Göttliche Komödie" wird man da stoßen, aber nicht, um im Paradies anzukommen, sondern um vor einer überraschenden Wendung zu stehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum12. Nov. 2012
ISBN9783709974513
Aufstummen: Roman

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    Buchvorschau

    Aufstummen - Christoph W. Bauer

    Sá-Carneiro

    Ich geh dann, stummt sie, Rascheln schlägt ihr entgegen, der FC hat verloren, das weiss er doch längst, hat er doch beim Frühstück schon gelesen und ihr, ein Spiel bleibt uns ja noch, anstatt guten Morgen ins Ohr kredenzt, wem uns, wollte sie fragen, las aber in seinen Blicken, dass der Zeitpunkt absolut ungünstig war, jetzt, nach gestriger Schlappe, Gemeinsamkeiten zu diskutieren, oder was davon geblieben war nach beinahe zwanzigjähriger Ehe, sieht ihn über eine Zeitung gebeugt, seine Hände, seinen Rücken, Körperteile eines Mannes, den sie irgendwann zu lieben geglaubt, den sie, dreh dich um, stummt sie, sag was, keine Antwort, nichts. Stemmt ihr ganzes Gewicht in die Schritte und Arme hüftwärts und rein ins Wohnzimmer, will Luft sich verschaffen, Zornsätze ausschnauben, da dreht er sich um, ganz Erstaunen, nimmt ihr den Sturm aus den Augen, ihren Bewegungsfluss bricht er, und aus den Hüften knicken die Arme, schlenkern übers Becken, nur noch schlaff. Wo Sturm war, nun Schwärze, sie droht vornüber zu kippen, doch unaufhörlich diese Fragen, schnappen sie und ihr die Stimme aus dem Mund, wie soll denn das weitergehen, stummt sie, schaut ihn an –

    Wohin willst du denn noch, dass es so weit kommen hat müssen, eine Halbzeit im Himmel und dann dieser Absturz, hab dich etwas gefragt. Jetzt geht es um alles, sieht, wie sie sich abdreht, sieht es so von der Seite, ein Schatten, der ihre, zwei, drei Schritte zur Tür hin, schwerfällige Beine, die haben doch hoch dotierte Verträge, müssen laufen, kämpfen, schwitzen, sag, wohin willst du denn noch, für irgendwelche Experimente bleibt keine Zeit.

    Am Tatort, Freunde, Bekannte, der Sommer hoch im Anschlag, ein Gartenfest. Musik schwappte übers ausgeklappte Mobiliar, überschwemmte Gläser und Teller, kroch Oberarme hinauf bis in Achselhöhlen und umwogte Schultergelenke, zerteilt an den Gliedmassen in Mäander, die kleine Duft- und Schweisswölkchen vor sich her schoben, wieder ineinander strömten und in sanften Wellen über Nachbargärten in die Nacht hinaus glitten. Satzknospen trieben aus in alle Richtungen, reiften zu Ästen, umrankten Sekunden, Minuten, hielten sie zusammen, bis der Abend einer von Stimmen durchwucherten Baumkrone glich, aus der einzelne Worte tippelnd in die Dunkelheit abblätterten.

    Unter der Krone den Stamm hinab und noch tiefer, das hiess zurück in den Tag, in ein Geflecht aus hektischen Handbewegungen, verwurzelt schon im ersten Morgenlicht, das schütter durchs Buschwerk des Gartens brach, Sommer feilbot. Und eh er und sie sich versahen, lagerten bereits fette Lichtbalken über den Rabatten, kullerten ihre Blicke schon aus Gastgeberaugen, der Morgen unterspülte ihren Schritt, verflacht zur Tartanbahn, zum Fliessband die Stunden: Einkaufen, Bierholen, Kartoffelschälen, Zwiebelschneiden, Rasenmähen, Terrassekehren, Girlandenaufhängen, Grillaufstellen, nein, ich kann keine finden, ja, ich hab schon im Keller, fünf vor zwölf und keine Grillkohlen im Haus. Ihre Ungeduld wuchs und hinab in den Magen, seine entlud sich in Flüchen, an alles muss man selbst und ist doch wahr, den Wagen noch mal aus der Garage, soll ich mitfahren, fragte sie, hörte im selben Moment den Motor aufheulen, nahms gleichmütig zur Kenntnis. Tischerücken später, vier an der Zahl, sie wollte sie so, er stellte sie anders, nach mehreren Versuchen dann aber doch wieder so, wie sie es ursprünglich vorgeschlagen hatte, was inzwischen selbstredend immer schon seine Idee gewesen war, dass die Tische ein L in den Rasen schrieben, einen Haken, an dem Gemütlichkeit sich aufhängen liess. Der Nachmittag war Salatanrichten, Dip-

    abschmecken, war Auskundschaften und Wetterschauen die Bergküsten entlang, wo ab und an Wolkenschiffe strandeten, von gnädigen Winden erfasst, dann aber wieder hinaussegelten in fernere Himmel. Unterm Strich verkam der Tag zu nichts anderem als einem Wartezimmer, in dem die beiden sich mit flinken Händen die Zeit verkürzten, bis es zwischen Stuhl- und Tischbeinen endlich zu finstern anfing und der Abend auf Gästesohlen in den Garten schlich, in seinem Windschatten das Signal: Fassanstich.

    Nimm noch einen Schluck, er war zuständig für Geschmeidigkeit im Knie, betankte Gäste, sie fütterte die Band indes, Kassette rein, wieder raus, bis die richtige Mischung gefunden und Terzen und Quinten über Tischplatten hoppelten, vor allem aber Sexten, auf die kam es besonders an, die sorgten für Empfindelei, Lovestoryreminiszenzen. Prost Prost!, rief er und

    Schnitt –

    Wie sie ihn ansah: Das war der Gipfel!

    Er war Anfang 20, als er sie kennen lernte in jener Bar namens Tasmanian Sea, in die er jeden Abend nach Arbeitsende abtauchte, um wirklich im Feierabend zu verschwinden, denn der war das Wichtigste zu jener Zeit, da fing der Tag erst richtig an, und er mochte die Nacht nicht, hatte Angst vor ihr. Arbeitete damals die erste Saison in einem Sportartikelgeschäft, in dem er schon während der Schulzeit an Winterwochenenden, in den Weihnachts- und Semesterferien ausgeholfen hatte. Der Job war nicht gerade die Erfüllung, brachte aber gutes Geld, und er hatte ja da noch diesen anderen Traum, den zu verdrängen er allerdings oft drauf und dran war, wenn er mit seinem besten Freund das Tasmanian besuchte.

    Die Bar wurde von einem Steirer geführt, der via Tirol vom Sommer in den Winter aufgebrochen und irgendwann in dieser Jahreszeit hängen geblieben war. Sobald der Schnee schmolz, packte er seine Koffer und cruiste runter nach Down Under, aus seinem Mund klang das wie eine Beschwörungsformel, hows it gone guys bei seiner Rückkehr nicht minder. Doch diese Worte wurden zum Blasebalg für die ohnehin schon hitzigen Gespräche der beiden Freunde, feuerten sie an, und das konnte nicht schaden, denn abgebrannt waren sie selber genug, das Steirerenglisch aber entfachte Fantasien, züngelte ihre Finger entlang rund ums Bierglas an ihren Mund, und fand dort Nahrung in beider gemeinsamem Zauberwort: Abhauen! Stundenlang flanierten sie von der Theke aus über alle Strände dieser Welt, wollten hoch hinaus, undwie hoch war in den Metern der Berge ringsum messbar – das Tal, der Tellerrand, darüber hinweg mit den Augen, nur fort. Irgendwann, ganz bestimmt, darauf gaben sie sich – Doch während für den Freund dieses Irgendwann bald gekommen war, er sich ans Versprechen hielt und wirklich ging, ärgerte es den Daheimgebliebenen weit weniger, dass er nicht wusste, warum er blieb, sondern vor allem, dass nicht beides in einem möglich schien, bis –

    Sie war ihm sofort aufgefallen, so wie sie ihn ansah: Das war der – ! Es ging etwas von ihr aus, das er bis dahin noch nicht kannte – sie machte ihn nervös, reizte ihn mit Blicken, bis er sich vergass, aus der Rolle fiel, stieg. Und beim nächsten Treffen wieder und noch höher in der Gewissheit, dass ihn ihre Augen wieder auffingen, Freiklettern in den Tagen, und keine Nacht mehr dazwischen, und immer höher. Und über alle Berge mit ihr. Sie seilten sich ab.

    Eine Seilschaft die beiden, miteinander, füreinander, bis dass der, bis alle Stricke reissen, aber die rissen einfach nicht und fürs Sterben ists irgendwie immer zu früh. Und loslassen war nicht, ging schlichtweg nicht, festgefroren am Strick, hing sie in seinem Atem, baumelte hin und her, alles pendelt sich ein, und das war so ganz falsch nicht und galt obendrein für beide. Klotz in seinem Atem, sog er sie sich in die Lungen, konnte nicht anders, wollte es so, pumpte sich ihre Nähe in den Tagesab-, in den Blutkreislauf, bis in die Handflächen hinein, und angeeist waren die am Seil, an dem er hing, an ihr.

    Besser einer von vielen als einer zu viel.

    Aufgehen, einstehen, vergehen und bestehen, die Worte wechselten ganz ohne sein Zutun die Vorsilben, wenn sie ihm über die Lippen strichen, fügten sich seinen Stöhnlauten ein und punktierten sie,

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