Heillos: Ein Frauenarzt über das Paradox katholischer Krankenhäuser
Von Michael Halbfas
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Über dieses E-Book
In seiner persönlichen Geschichte spiegeln sich die Widersprüche und Psychopathologien von kirchlichen Trägern im Gesundheitswesen wider. Der Autor reflektiert diese und formuliert in der Folge Perspektiven und Anforderungen an die katholische Kirche.
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Buchvorschau
Heillos - Michael Halbfas
Über dieses Buch
Michael Halbfas, war über 20 Jahre an einem katholischen Krankenhaus als Gynäkologe tätig. Infolge der Kölner Auseinandersetzungen um die »Pille danach« gerät er in die Fallstricke der Sexualmoral und Heuchelei katholischer Krankenhausführung und scheidet aus der Klinik aus.
In seiner persönlichen Geschichte spiegeln sich die Widersprüche und Psychopathologien von kirchlichen Trägern im Gesundheitswesen wider. Der Autor reflektiert diese und formuliert in der Folge Perspektiven und Anforderungen an die katholische Kirche.
Michael Halbfas
Heillos
Ein Frauenarzt über das Paradox katholischer Krankenhäuser
Auch wenn das Kirchenrecht im Allgemeinen die Stellung der Laien nicht gerade stärkt, findet sich dennoch folgender Passus (CIC 212 § 3):
»Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie [das heißt die Gläubigen, M. H.] das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.«
Einleitung
Nur die wenigen, die sich trauen, im großen Stil zu scheitern, können auch im großen Stil Erfolg haben. (Robert F. Kennedy)
Dass die Leserin, der Leser1 diesen Text in Händen hält, verdankt sich der Tatsache, dass ich in einen Konflikt mit meinem Arbeitgeber und im Hintergrund mit der römisch-katholischen Kirche geriet, aus dem es für mich keinen tragbaren Ausgang mehr gab. Hinter mir liegen unzählige schlaflose Nächte und eine lange Zeit des Haderns mit den Geschehnissen und deren Folgen, über die ich im Folgenden kursorisch berichten möchte.
Im Ergebnis habe ich den Arbeitsplatz verloren, den ich trotz aller Anstrengung und allen damit verbundenen Belastungen liebte. Man könnte aus meiner Perspektive vielleicht besser formulieren: Ich wurde rausgeschmissen.
Einen tieferen Sinn konnte ich darin zunächst beim besten Willen nicht erkennen. Erst allmählich erschlossen sich mir auch die Möglichkeiten, die sich durch diese neue Situation für mich eröffneten. Schon immer war für mich die Auseinandersetzung mit der Stellung des Arztes in Kirche und Gesellschaft sowie besonders die Beziehung zwischen Patient und Arzt ein zentrales Anliegen. Fortbildungen für die niedergelassenen Kollegen widmete ich in erster Linie diesem Bereich, die wenigen von mir publizierten Texte erschienen in einer von Jesuiten herausgegebenen theologischen Zeitschrift jeweils zu medizinethischen Themen mit einem Schwerpunkt auf Fragen der Arzt-Patienten-Beziehung. Angesichts der erzwungenen Auszeit beschloss ich nunmehr, nicht unmittelbar eine neue Tätigkeit im medizinischen Umfeld aufzunehmen, sondern mir Muße zur Reflexion zu nehmen und das Erlebte vor dem Hintergrund der früher schon von mir angestellten Überlegungen zu reflektieren.
Die ganze bisherige Zeit meines Berufslebens war geprägt von einer permanenten Beanspruchung durch die Erfordernisse meiner Arbeit. Die vielen Nachtdienste und die auch ansonsten starke zeitliche Vereinnahmung einschließlich der Wochenenden führten letztendlich dazu, dass es von mir als Erfolg angesehen wurde, den Alltag einigermaßen unbeschadet zu bestehen. Zeit zum Luftholen gab es im Grunde nur in den Ferien. Dann aber war das Bedürfnis nach Erholung so vorherrschend, dass wenig Raum blieb, systematische Überlegungen über den Zustand des Systems, in dem ich gefangen war, anzustellen.
Mein berufliches Selbstverständnis war das eines Arztes, der in seiner Arbeit aufging; über die Rahmenbedingungen dachte ich letztlich in erster Linie im privaten Rahmen nach. Nun aber bot sich mir erzwungenermaßen die Möglichkeit einer längeren Auszeit. Und es stellte sich die Frage, ob es nicht sinnvoll sein könnte, ein breiteres Publikum an meinen Überlegungen teilhaben zu lassen.
Der Einwand, der sich für mich sofort erhob, bestand darin, dass ich bezüglich der behandelten Themen in keiner Weise als Experte ausgewiesen bin. Weder bin ich ausgebildeter Theologe noch Betriebs- oder Volkswirtschaftler, weder Medizinethiker noch Soziologe. Aber es gilt der Satz, dass auch der Philosoph, wenn er seine Kammer, in der er denkt, verlässt und auf die Straße tritt, sich als ganz normaler Mensch zurechtfinden muss. Nach reiflicher Überlegung bin ich daher zu der Überzeugung gelangt, dass es seine eigene Berechtigung haben kann, sich aus der Warte eines unmittelbar Betroffenen zu äußern, und zwar zu all den oben genannten Gebieten. Gerade in der Tendenz zur immer weiter fortschreitenden Spezialisierung sehe ich ein Kennzeichen unserer Zeit, das in manchen Zusammenhängen dringend des Hinterfragens bedarf. Denn niemand kann auf mehr als einem kleinen Gebiet wirklich ein Experte sein, dennoch muss sich ein jeder im Alltag an den unterschiedlichsten Orten positionieren und Stellung beziehen. Dies geschieht zwangsläufig quasi intuitiv auf der Grundlage eines Wertesystems, welches man sich im Laufe seiner Biografie selbst geschaffen hat oder in das man in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt hineingewachsen ist. Angesichts dieser Situation halte ich es allerdings für legitim und – so hoffe ich – für die Leser interessant, über die Bedingungen der Arbeitswelt im medizinischen Bereich unter den Reflexionsmöglichkeiten, die sich für mich eröffnen, nachzudenken.
Nach diesen Überlegungen sollte deutlich geworden sein, dass es sich bei diesem Text (lediglich) um einen Essay, einen Versuch also handelt, der ohne jedweden wissenschaftlichen Anspruch daherkommt.
Einen besonders starken Impuls für diese Form der Beschäftigung mit dem Thema sehe ich darin, dass ich stets das Gespräch, den Austausch mit denen, die andere Positionen vertreten, gesucht habe. Im Rahmen der Kontroverse um die »Pille danach« wird aber deutlich, wie mir ein solcher Dialog verweigert wurde; vielmehr wurde diese Angelegenheit ausschließlich machtförmig »gelöst«. Dies aber ist ein nicht ohne Weiteres hinzunehmender Zustand, welcher nach einer auch für die Öffentlichkeit transparenten Darstellung drängt.
Wichtig dabei ist mir, dass es für mich nicht um ein »Nachtreten«, um Befriedigung von Rachegelüsten geht. Meine entscheidende Motivation ist die »Sache an sich«. Diese erscheint mir als zentral, da sie meiner Meinung nach exemplarischen Charakter besitzt. Sicher wäre es eine Möglichkeit gewesen, zur Zeit des medialen Aufstandes um die Kölner Fälle, in denen Frauen die »Pille danach« verweigert wurde, die Stimme zu erheben und die Vorgänge aus meiner Sicht zu kommentieren. Dies hätte aber unweigerlich als Vorlage zu einer weiteren Skandalisierung durch die Boulevardmedien geführt. Eine solche Entwicklung wurde und wird von mir aber nicht gewünscht; ich halte sie angesichts der Problematik für völlig unangemessen.
Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, die Geschehnisse der unmittelbar zurückliegenden Vergangenheit aus meiner subjektiven Sicht zu schildern. Daran anschließend werden die zwei Hauptkonfliktfelder einer allgemeineren Analyse unterzogen, die von den spezifischen Umständen absieht. Zunächst soll recht allgemein das Verhältnis der Kirche, und zwar in erster Linie der römisch-katholischen, zur Welt beleuchtet werden. Im Besonderen wird anschließend der medizinische Sektor und der Einfluss der Kirche auf diesen Bereich untersucht. Hierbei wird es zum einen um die Bedingungen gehen, unter denen Medizin in einer zunehmend ökonomisierten und reglementierten Umgebung betrieben werden kann, und zum anderen um den Machteinfluss von kirchlichen Trägern auf die Arbeitswelt im Gesundheitswesen. Als Fluchtpunkt dieser Analysen ergeben sich Perspektiven, die den Auftrag der Kirche – im Verhältnis zur Welt allgemein und zum Gesundheitswesen im Besonderen – in anderer Weise als bisher definieren. Es wird deutlich, dass die Zeit für eine wahrhafte Umkehr überfällig ist.
1 Im Folgenden sind immer beide Geschlechter angesprochen. Um der besseren Lesbarkeit willen möchte ich auf die Ausformulierung verzichten, obwohl mir der diskriminierende Gestus der ausschließlichen Verwendung der männlichen Form in der Alltagssprache sehr bewusst ist. Wenn im vorliegenden Buch von »Kirche« die Rede ist, so ist die römisch-katholische Kirche gemeint. Medizinische und andere Fachbegriffe werden im Glossar am Ende des Bandes erläutert.
Der Konflikt
Der Brief
Als Leitender Arzt einer gynäkologischen Abteilung gehört es zu meinen täglichen Aufgaben, Dokumentenmappen mit Operationsberichten, Befundmitteilungen, Entlassungsbriefen und vielem anderen zu sichten, zu unterschreiben oder abzuzeichnen. Anfang März 2012 findet sich darunter ein Brief der Diözesan-Arbeitsgemeinschaft (DiAG) der katholischen Krankenhäuser in der Erzdiözese Köln sowie des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln. Der Brief ist datiert auf den 13. Februar 2012 und richtet sich an die Geschäftsführung der angeschlossenen Krankenhäuser in der Erzdiözese. Auf welchem Weg er auf meinen Schreibtisch gekommen ist und warum erst jetzt, bleibt unklar.
Informiert wird über eine Frau, die sich als Patientin ausgegeben und als solche in mehreren Kölner Kliniken mit katholischer Trägerschaft versucht hatte, ein Rezept für die »Pille danach« zu erhalten. Dies war ihr nicht in den Krankenhäusern selbst, wohl aber in den angeschlossenen Notfallpraxen des Kassenärztlichen Vereinigung gelungen. Über diesen Umstand wurde der damalige Kölner Generalvikar Dr. Schwaderlapp von einer Person, die offensichtlich dem Internetforum kreuz.net verbunden war, im Sinne einer Beschwerde informiert. Das Schreiben vom 13. Februar 2013 teilt mit, dass der Generalvikar in seinem Antwortschreiben an den Beschwerdeführer unmissverständlich klargestellt habe, »dass bei Schwangerschaftsabbrüchen und damit verbundenen Tötungsdelikten die ›Null-Toleranzgrenze‹ gilt und auch mögliche wirtschaftliche Interessen der Krankenhäuser hinter der Glaubwürdigkeit und dem Selbstverständnis der Kirche zurückzustehen haben«. Gleichzeitig wird erwähnt, dass Dr. Schwaderlapp den verantwortlichen Umgang der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vier Krankenhäuser hervorgehoben habe. Aus dem Geschehen werden die folgenden Schlussfolgerungen gezogen:
»Nach Rücksprache mit den Mitgliedern des Vorstandes der DiAG-Krankenhäuser bitten wir die Geschäftsführungen der katholischen Krankenhäuser, sich dieses Themas anzunehmen und intensiv zu prüfen, ob alle notwendigen Vorkehrungen getroffen sind, dass z. B. die Ausstellung eines Rezeptes für die ›Pille danach‹ ausgeschlossen ist. […] Wir bitten Sie [d. h. die Geschäftsführer, M. H.], die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses – und hiervon sind