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Und wenn die Welt voll Teufel wär ...: Christen in der Auseinandersetzung mit dunklen Mächten
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Und wenn die Welt voll Teufel wär ...: Christen in der Auseinandersetzung mit dunklen Mächten
eBook437 Seiten4 Stunden

Und wenn die Welt voll Teufel wär ...: Christen in der Auseinandersetzung mit dunklen Mächten

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Über dieses E-Book

In den letzten Jahren erwachte ein neues Bewusstsein für die Existenz des Bösen. In diesem Buch zeichnet Heinrich Christian Rust ein Bild dieses realen Kampfes zwischen Gut und Böse. Indem er die Aussagen der Bibel zur unsichtbaren Wirklichkeit wahr- und ernst nimmt, gelingt ihm eine nüchterne Bestandsaufnahme. Zwischen fundamentalistischer Schwarz-Weiß-Malerei, rationalistischer Leugnung und charismatischer Erfahrungs-Theologie findet Rust zu einer biblisch begründeten Position. Dabei bleibt das Buch nicht theoretisch: Am Ende gibt der Autor auch handfeste Ratschläge für den Umgang mit dämonischen Belastungen in der Praxis.
SpracheDeutsch
HerausgeberNeufeld Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2015
ISBN9783862567638
Und wenn die Welt voll Teufel wär ...: Christen in der Auseinandersetzung mit dunklen Mächten
Autor

Heinrich Christian Rust

Heinrich Christian Rust, Jg..1953, Dr.theol., war Pastor und in vielfältiger übergemeindlicher Leitungsverantwortung. Heute ist er Dozent für Spiritualität und Leiterschaft an theologischen Ausbildungseinrichtungen und Autor zahlreicher theologischer Veröffentlichungen.

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    Buchvorschau

    Und wenn die Welt voll Teufel wär ... - Heinrich Christian Rust

    Seelsorgepraxis.

    1

    Eine Welt – oder viele Welten?

    In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden.

    Johannes 16,33

    »Wo soll das bloß noch alles enden?« Seufzend legte mein Großvater die Tageszeitung aus der Hand. Die Meldung von der Landung auf dem Mond hatte ihn erschüttert. In seiner Weltanschauung waren Mondlandungen nicht vorgesehen. Diese neuen technischen Errungenschaften machten ihm zudem Angst.

    Heute sind es andere Meldungen, die uns die Wahrheit der jesuanischen Aussage von der »Bedrängnis in der Welt« vor Augen führen: Das explosionsartige Wachstum der Weltbevölkerung und die damit verbundenen Herausforderungen; die drastische Zunahme an Gewaltkonflikten im In- und Ausland; die unkalkulierbare Entwicklung der Informationstechnik und nicht zuletzt die stark umstrittenen Fortschritte in der Genforschung. Wo soll das bloß enden? Gibt es überhaupt ein Ende? Verbergen sich hinter den Meldungen aus dieser Welt noch andere Welten?

    Spätestens dann, wenn wir die erschütternden Auswirkungen der beiden Weltkriege sehen, wenn wir im menschlichen Leben die Bosheit einer Bestie zu erkennen glauben, stellt sich die Frage nach dem Weltverständnis. Dazu kommen die unzähligen Entdeckungen und Offenbarungen, die wir mit einer von der Aufklärung geprägten Weltsicht nicht deuten können. Hilflosigkeit macht sich breit und endet häufig in einer Sprachlosigkeit oder auch in einer vom Intellekt abgehobenen Religiosität. Da, wo die unsichtbare Welt nicht zur realen Welt zählt, lauert die Gefahr des modernen Aberglaubens. Zudem bekommt sie etwas Exotisches; das Fremde interessiert und lockt die suchenden Geister an. Fallen wir nun zurück in ein Weltverständnis des Mittelalters? Welche Weltsicht vermittelt uns die Bibel?

    1. Von antiken Weltanschauungen zum rationalistischmaterialistischen Weltbild

    Wer heute noch von Himmel und Hölle, von Engeln und Dämonen und von der unsichtbaren Welt spricht, als sei sie selbstverständlich und begreifbar, der handelt sich schnell den Vorwurf ein, man wolle zurückfallen in den Aberglauben des Mittelalters. Wir wissen von den schrecklichen Folgen einer geradezu naiven Vorstellung von der unsichtbaren Welt. Zwischen 1450 und 1700 wurden allein über 100 000 Menschen als angebliche Hexen und Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das so genannte »finstere Mittelalter« wurde deshalb so dunkel, weil immer mehr Menschen die Macht des Bösen überbetonten und schließlich hinter jedem Kritiker und hinter jeder übersinnlichen Macht den Bösen vermuteten.¹ Die kirchliche Inquisition sah hinter all dem das kosmische Komplott Satans gegen die christliche Kirche und damit gegen die christliche Gesellschaft.

    Grundlegend für diese Ansicht war das sogenannte »biblische Weltbild« (Empyreum) der frühen und mittelalterlichen Christenheit, das sich die Wirklichkeit mit Himmel, Erde und Hölle wie in drei Stockwerken gegliedert dachte. Da gibt es ein »oben« und ein »unten«; da bekommt das Unsichtbare Namen und Gestalt. Mittelalterliche Darstellungen vom Teufel und von Dämonen müssen geradezu als naiv betrachtet werden. Attribute wie Hörner, Pferdefuß und Schwanz sind Produkte menschlicher Phantasien, die mit der Wirklichkeit satanischer Existenz nichts zu tun haben. Diese Vorstellungen von einer jenseitigen räumlichen Welt des Bösen hielten sich bis in die Tage der Aufklärung erstaunlich hartnäckig. Man stellte sich vor, dass über bzw. unter unserer Welt das Jenseits lag, ein Raum, der naiv räumlich gedacht wurde und an dem sich Gottes Engelheere bzw. die dämonischen Heere des Teufels aufhielten.

    Obwohl Nikolaus Kopernikus (1473–1543) durch seine Entdeckung, dass die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt unseres Planetensystems darstellt, bereits eine grundlegende Änderung in der Weltsicht einläutete, stellte erst der italienische Philosoph Giordano Bruno (1548–1600) die Existenz eines Jenseits als Ort der unsichtbaren Welt völlig infrage. Die Vorstellung einer jenseitigen Welt mit Engeln, Dämonen und unsichtbaren Mächten wich einer Sicht, in der alles innerweltlich verstanden werden musste. Obwohl man Giordano Bruno nach siebenjähriger, schmählicher Haft schließlich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte, konnte die Kirche nicht mehr einfach in den traditionellen Denkschemata bleiben.² Dennoch hielt sie an der Grundüberzeugung fest, dass es eine unsichtbare Welt gebe, wenngleich ihr Ort nicht mehr eindeutig auszumachen sei.

    Die Reformatoren sprechen mit einer großen Selbstverständlichkeit von Engeln und Dämonen. Besonders Martin Luther ging in seiner Frömmigkeit und Theologie von der Existenz Satans aus. »Nullus diabolus, nullus redemptor« (Wo kein Teufel ist, braucht es auch keinen Erlöser!) – diese Einsicht prägte auch die Theologie der Reformatoren. Luther lehnte die »neuen Astrologen« ab, sah jedoch auch die Auffassung vom Empyreum kritisch, in der Christus als im Himmel thronend gedacht wurde. Von besonderer Aktualität dürfte ein Predigtausspruch von 1520 sein: »Wenn sie mit dem Kopf durch den Himmel bohren und sehen sich in dem Himmel um, da finden sie niemand; denn Christus liegt in der Krippe und in des Weibes Schoß.«³ So konnte sich die klassische Auffassung von einem dreistufigen Weltbild zwar nicht mehr richtig halten, doch auch das neu entstehende Weltverständnis der aufkeimenden Aufklärung hieß die Kirche zunächst nicht willkommen.

    Dieses aufklärerische Weltbild wurde entscheidend von den Philosophen René Descartes (1596–1650) und Baruch Spinoza (1632–1677) definiert. Auch die Naturwissenschaftler Galileo Galilei (1564–1642), Robert Boyle (1626–1691) und Isaac Newton (1643–1727) trugen dazu bei, dass ein neues Weltverständnis Ausbreitung fand. Dieses neue Weltbild ließ die verschiedenartigsten weltanschaulichen bzw. religiösen Deutungen zu. Der Geltungs- und Wahrheitsprimat der biblischen Offenbarung wurde jedoch mehr und mehr eingeschränkt. So rückte, allgemein gesprochen, auf vielen Forschungsgebieten die Offenbarung immer mehr an die zweite Stelle hinter die Vernunft.

    Ausgenommen von dieser Tendenz war die Theologie, besonders in Deutschland. Aber schon bald erschütterte der aufkeimende Deismus auch die Theologie. Der Deismus geht davon aus, dass der Mensch alles, was er zur rechten Erkenntnis Gottes und seines Willens benötigt, in seiner eigenen vernünftigen Natur finden könne; die biblische Offenbarung kann deshalb nichts anderes aussagen als das, was man ohnehin mit der Vernunft erkennen könne. Die deistische Denkweise wurde angeführt von Herbert von Cherbury (1583–1648), John Toland (1671–1722), Thomas Morgan (1680–1743) oder auch Matthew Tindal (1656–1733). Erst durch Gottfried W. Baron von Leibnitz (1646–1716) findet das »neue Denken« stärkeren Einfluss in der Theologie. Leibnitz verstand sich nicht ausschließlich als Theologe; er gab den theologischen Aussagen in seinen Werken jedoch ihre klare Platzanweisung. Auch Gott ist in seinen Offenbarungen in gewissen Grenzen zu sehen. Diese Grenzen werden von der Natur gesetzt. Alle Offenbarung ist demnach der Vernunft des Menschen zuzuordnen. Mit diesem Ansatz versucht Leibnitz letztlich, die biblische Offenbarung »verständlich« zu machen. In seiner Schule steht Christian Wolff (1679–1754), der, bahnbrechend für die rationalistische Wissenschaft, Methoden der Erkenntnis festschreibt. Immer noch ging es darum, nachzuweisen, dass die biblische Offenbarung letztlich mit der rationalen Erkenntnis der Wissenschaft in Übereinstimmung stehe.

    Viel kirchenfeindlicher und radikaler waren die Ansätze der französischen Aufklärer Voltaire (1694–1778) oder auch Julien Offray de Lamettrie (1709–1751). In Deutschland setzte sich zunächst eine gemäßigte theologische Position durch, die versuchte, das Gegeneinander von Vernunft und Offenbarung durch eine wie auch immer geartete Zuordnung zu lösen. Die älteren Vertreter dieser als Neologie verstandenen theologischen Schule waren die Berliner Theologen Johannes Joachim Spalding (1714–1804) und August F. W. Sack (1703–1786). Es ließ sich jedoch nicht vermeiden: Christliche Theologie verstand sich immer mehr im Sinne des Rationalismus; das Christentum wurde zunehmend als eine Vernunftreligion definiert, in der das Übersinnliche, das nicht durch die Vernunft Erfassbare, verschwand. Diese Vernunftreligion war jedoch nicht ohne Werte. Der Schriftsteller und Philosoph und als »Liebhaber der Theologie« bekannte Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und schließlich auch Immanuel Kant (1724–1804) ordneten der christlichen Vernunftreligion die »christliche« Moral zu. Im Mittelpunkt des Interesses stand der Mensch in seiner Entscheidung für gutes oder schlechtes Handeln, nicht aber die Auseinandersetzung mit einem biblischen Weltverständnis.

    Der im 18. und 19. Jahrhundert aufkeimende Liberalismus und Rationalismus führte schließlich zur Verbannung alles Überirdischen aus dem Weltverständnis unzähliger Denker, Philosophen und auch Theologen. Wenn man sich tatsächlich auf eine Welt festlegt, die durch Raum, Zeit und Bewusstsein begrenzt ist, dann ist es völlig unsinnig, über geistige Einwirkungen von jenseits dieser Grenzen zu sprechen. Die Aufklärung räumte denn auch kräftig auf und verwies alle neutestamentlichen Berichte über die Wirksamkeit geistiger Wesen, Engel oder Dämonen in den Bereich des Unbedeutenden. Genauso wird der Glaube an Träume, Visionen, Geistheilungen und ähnliche Erfahrungen wie die Existenz handelnder und wirksamer Wesensmächte als absurd betrachtet. Da, wo man die moralstiftende Religion als außermenschliche Macht erlebte und deutete, gab es zaghafte Ansätze zu einer neuen Weltbilddebatte (Johann Gottfried Herder, Johann Georg Hamann). Gegen die so genannte liberale Theologie setzten sich jedoch weder diese Ansätze noch der aufkeimende Pietismus oder die Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts durch. Die bekannten Erweckungsprediger (z. B. Charles Finney) sprachen zwar offen von Teufel und Hölle, hatten aber auf Kirche und besonders Theologie nur geringen Einfluss. Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts betrachtete alle biblischen Berichte über diese Dinge als nicht akzeptabel. Rudolf Bultmann (1884–1976) und seine Schüler nahmen eine systematische »Entmythologisierung« der Bibel vor. Das wurde zum Brennpunkt einer teilweise hoch erregten Diskussion, in welcher die zentralen Themen des christlichen Glaubens zur Verhandlung kamen. Die Bibel wurde immer dünner, je radikaler man sich einem rationalistischem Weltverständnis verpflichtet sah. Karl Barth setzte mit seiner dialektischen Theologie einen Kontrapunkt gegenüber den zunehmend liberalen Theologien. Seine Engellehre meidet jedoch jede metaphysische Sprache; die Welt der Dämonen scheint ihm völlig verschlossen zu sein. Er will auf diese Welt nur »einen kurzen, scharfen Blick« werfen, denn – so der berühmte Theologe: »Ich liebe die Engel, ich mag aber die Dämonen und die Dämonologie nicht!«⁵ Auch der reformierte Theologe Emil Brunner (1889–1966) ist in seiner Dogmatik zurückhaltend, wenngleich er einräumt, dass die rationalistische Weltsicht dem Zeugnis des Neuen Testamentes nicht gerecht wird:

    »Der Rationalismus ist zu allen Zeiten mit dem Teufel rasch fertig geworden – in der Theorie wenigstens! … Die Aufklärung hat den Teufel ganz einfach als nichtexistent erklärt und den Teufelsglauben als eine Ausgeburt mythenbildender Phantasie gedeutet. In das optimistische Weltbild der Aufklärung passt natürlich die Macht der Finsternis nicht hinein. Der Hinweis auf den Teufelsspuk und Hexenwahn früherer Zeiten und der nicht ganz unberechtigte Stolz darüber, dass diese betrüblichen Erscheinungen durch den Geist der Aufklärung überwunden seien, mochten dieser rein negativen Beurteilung zu einem gewissen Ansehen verhelfen. Aber diese rationalistische Einstellung wird weder dem biblischen Zeugnis, in dem die Macht der Finsternis den notwendigen dunklen Hintergrund der Erlösungsbotschaft bildet, noch der reiferen christlichen Erfahrung gerecht. Wir können dabei jedenfalls nicht stehen bleiben.«

    Trotz dieses Appells bleibt die Beschäftigung mit dem Unsichtbaren suspekt. Es fehlen Sprache und Denkkategorien, um dem wissenschaftlichen Anspruch des Theologietreibens gerecht zu werden. Die Ablösung von einem antiken Weltverständnis war gründlich; die Auseinandersetzung mit der erfahrenen Wirklichkeit des Unsichtbaren blieb jedoch weitestgehend unbefriedigend.

    Als der Soziologe Peter L. Berger 1969 sein Buch: »Auf den Spuren der Engel« veröffentlichte, da schüttelte die theologische Welt nur den Kopf. Theologen waren vielmehr damit beschäftigt, den »Tod Gottes« zu proklamieren und zum aktiven politischen Handeln aufzurufen. Die Zeit für eine neue Weltsicht war scheinbar nicht reif. Da unternahm jemand den Versuch, auf eine Wirklichkeit hinzuweisen, die unsere Alltagswelt transzendiert, d. h. überschreitet und von enormer Bedeutung für die Menschen ist. Berger forderte eine Wiederentdeckung der Transzendenz und eine »Offenheit der Wahrnehmung« gegenüber der Wirklichkeit.⁷ Die Herausforderung Bergers findet jedoch kaum Gehör. Der Theologe Ernst Benz beschreibt in seinem Standardwerk »Die Vision« die Situation treffend. Erfahrungen mit der Welt des Unsichtbaren, so Benz,

    »verführen den wissenschaftlichen Betrachter von heute meist zu einer rein psychopathologischen Deutung und – wenn möglich – Behandlung. Unsere heutige Zeit schützt sich so ängstlich gegen alle Erschütterungen vom Transzendenten her, dass sie die zeitgenössischen Träger einer visionären Begabung zunächst einmal in die Nervenklinik einliefert, mit dem redlichen Ziel, sie dort von ihren visionären Störungen zu befreien, und auch die früheren Träger derartig ›anormaler‹ seelischer Fähigkeiten zu Psychopathen erklärt.«

    Unbeachtet der philosophischen und theologischen Deutung blieb das Böse in der Welt, und es mehrte sich. Um es zu begreifen, braucht man neue Kategorien. Schließlich versteht man Teufel und Dämonen vielfach nur als Begriffe, als Personifikationen des Bösen im Menschen oder auch in der Welt. Damit ordnet man die Auseinandersetzung dem Bereich der Ethik und Moral zu. Das Böse hatte nun keine offizielle Definition mehr, »es ist im Prozess der Neuzeit ins Unbewusste, Subjektive und Private abgesunken. Der einzelne ist mit seinem Bösen allein.«

    2. Konfrontation mit der unsichtbaren Wirklichkeit

    Man sollte meinen, das »Böse« habe nun mithilfe der Aufklärung seine klare Platzanweisung erhalten, und nicht nur das »Böse«. Die Verneinung der Welt des Unsichtbaren führte ja unmittelbar zur Einsamkeit des Menschen mit seiner Diesseitigkeit. Alles musste nun irgendwie erklärbar werden.

    Es waren nicht erst die beiden großen Weltkriege mit ihren entsetzlichen Auswüchsen des Bösen, die massiv an diesem scheinbar intakten aufklärerischen Weltbild rüttelten. Die Konfrontation mit der unsichtbaren Wirklichkeit war durch alle Zeiten gegeben. 200 Jahre nach der Französischen Revolution, einem Höhepunkt der Aufklärung, haben heute Okkultismus und Religionen aller Art wieder Hochkonjunktur. Unsere Zeit ist nicht nur geprägt von einer nicht enden wollenden Technisierung und radikalen Gottlosigkeit, sondern auch von einer intensiven Suche nach dem verlorengegangenen Jenseits. Mit jedem Triumph der Vernunft ist zugleich auch eine Gegenbewegung geboren. Die Ahnung, dass es da noch mehr »zwischen Himmel und Erde« gebe, ist auch den Menschen unserer Zeit nicht abhanden gekommen. Die kirchliche Theologie schaut dieser neuen Religiosität etwas hilflos zu. Einerseits muss sie sich eingestehen, dass mit der Verbannung der Unsichtbarkeit aus der Theologie die Kirche ungeheuer arm geworden ist. Wenn nicht die christliche Kirche etwas sagen kann zu Engeln, zu Geistwesen; zu Dämonen und Teufel – wer denn sonst? Zum anderen scheuen sich die christlichen Theologen, in eine »unvernünftige« Theologie zurückzufallen; nach wie vor lässt man nur rational Einsichtiges und »Beweisbares« als Lehre gelten. Theologie soll eben auch Wissenschaft sein, und zwar eine Wissenschaft für einen aufgeklärten Denker unserer Zeit.

    Wo aber sollen dann die Menschen mit ihrer Suche nach dem Jenseits hin, wenn die christliche Kirche sich geradezu verweigert? Es ist schon auffallend, wie selbst in evangelikalen und pietistischen Kreisen die ganze Welt des Unsichtbaren mehr oder weniger als unwichtig angesehen wird. Man glaubt sich mit dem Wort: Visionen, Engel, Dämonen oder selbst der Heilige Geist sind Dinge, die nicht so gut in dieses von der Aufklärung geprägte Denken passen, in der Hand auf sicherem Terrain! Aber immer wieder hat es auch Denker und Philosophen gegeben, die aus diesem angeblich modernen Denkraster ausscherten.

    Einer der ersten, der bei Anbruch der aufklärerischen Zeit von sich reden machte, war der schwedische Naturwissenschaftler Emanuel Swedenborg (1688–1772). Er wurde als Bischofssohn in Stockholm geboren. Als Naturwissenschaftler und Erfinder sowie als Politiker genoss er bereits in jungen Jahren hohes Ansehen. Mit 37 Jahren jedoch beendete er seine Tätigkeit als Wissenschaftler. Er begründete diesen sensationellen Schritt mit einer Christus-Vision, die ihm zuteil geworden sei. Durch weitere Offenbarungen erhielt er Einblick in die »Welt der Geister«. Damit machte er die Redeweise von der jenseitigen Geisterwelt auch in Wissenschaft, Philosophie und Theologie wieder zum Thema.¹⁰ Das Denken Swedenborgs übte in der Folgezeit enormen Einfluss aus. So sieht Immanuel Kant den Menschen als »Bürger zweier Welten«, wobei für ihn die wahre Welt die Geisterwelt ist. Zahlreiche Kant-Forscher haben darauf hingewiesen, dass die grundlegenden Themen des Philosophen sich an Swedenborgs Thesen entzündeten.¹¹ Auch Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) ließ sich durch Swedenborg inspirieren. Die Magie, der sich seine Figur Faust ergibt, ist eben der Verkehr mit der Geisterwelt, wie auch Swedenborg ihn pflegte. Für Goethe ist der schwedische Forscher zugleich ein »gewürdigter Seher unserer Zeiten«.¹² Ansätze für eine neue Orientierung gab es auch bei pietistischen Lehrern wie z. B. dem schwäbischen Prälaten Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782) u. a. Auf die Götterdämmerung zur Zeit der Aufklärung folgte zunehmend eine Dämmerung der Vernunft. Die Religion und damit auch die Hoffnung und Orientierung an einem unsichtbaren Jenseits wurde eben nicht durch eine von Vernunft geprägte Wissenschaft abgelöst; die Kirche erwies sich aufgrund ihrer wissenschaftlichen Verhaftung in der Theologie allerdings auch nicht als der geeignete Gesprächspartner für die neue Religiosität. So blieb der Mensch weitestgehend mit seinen religiösen Erfahrungen allein.

    Die hohe Zeit der Psychologie nahm ihren Lauf. Zugleich entwickelte sich eine Art Kult der Humanität, der die Verehrung des Menschen als dem höchsten Wesen verpflichtet war. Selbst das Denken des einstigen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow steht noch ganz in dieser Tradition. »Wir sehen den Sozialismus als die Gesellschaftsordnung eines echten realen Humanismus an, in welchem der Mensch tatsächlich als das ›Maß aller Dinge‹ auftritt« – so definierte er auf dem Parteitag der KPdSU laut »Prawda« vom 29. Juni 1988 das Ziel der »Perestroika«. Im selben Jahr erklärte seine Partei, dass der Mensch die Religion durch Erziehung überwinden könne und damit die »Hinwendung zum Übernatürlichen nicht vonnöten« sei.¹³

    Gerade der durch die Perestroika ausgelöste Zerfall der sowjetischen Ideologie führte neben der Götterdämmerung auch zu einer Dämmerung der Ideologien. Meiner Meinung nach führte dieser Zusammenbruch ideologischer Systeme zu einem Boom okkulter Religionen.

    Die Kleinanzeigen der Tageszeitungen bringen es an den Tag: Esoterik, Wahrsagerei und jegliche Formen okkulter Praktiken sowie die offenkundige Einladung zu Zauberveranstaltungen, Hexenzusammenkünften oder Einführungskurse in meditative Praktiken sind an der Tagesordnung. Im Jahr 2000 bedienten allein 37 deutsche Zeitschriften mit Auflagenhöhen zwischen 10 000 und 60 000 Exemplaren diesen Markt. Laut einer Befragung des Dortmunder Forsa-Instituts glauben 63 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen in Deutschland an übersinnliche Kräfte und Erscheinungen, das sind 59 Prozent der Gesamtbevölkerung. Einem Bericht der Zeitung »Die Woche« zufolge gab es 2000 in Deutschland rund 6 000 Astrologen, 10 000 Geistheiler und 90 000 Wahrsager, wohingegen die Kirchen insgesamt nur rund 40 000 hauptamtliche Geistliche und Seelsorger beschäftigten.¹⁴

    Auf Esoterik-Messen suchen unzählige Menschen unserer Zeit den Rückzug in die Innerlichkeit, die mal mehr und mal weniger auch einen Ausflug ins Jenseits ansteuern. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, was sich dort in der Innerlichkeit auftut oder welche Art von Kraft mir im Jenseits begegnet. Allein die Tatsache, dass sich durch derartige Begegnungen irgendein Einfluss oder auch eine Verwandlung im Leben zeigt (Transformationen), allein dieses Faktum zählt. Es gehört zur neuen Religiosität, dass sie vagabundiert und sich auf dem Markt der Möglichkeiten umschaut. Die Wahrheitsfrage ist dabei nicht ausschlaggebend, allein das Erleben zählt. Mal ist die übersinnliche Kraft mehr in der Natur oder im Diesseits aufzuspüren, ein anderes Mal sind weite Wege des Zugangs zu gehen. Auch das Bewusstsein für eine differenzierte Wahrnehmung des Jenseits ist nicht sehr ausgeprägt. Das Böse als aktive Kraft wird in esoterischen Zirkeln eher skeptisch gesehen. Erleuchtung oder auch ein »höheres Bewusstsein« erlangt der Esoteriker durch Rituale und Techniken, die von »Meistern« vermittelt werden – denjenigen, die eine geistige Transformation vollzogen haben und ihr Leben im Einklang mit den kosmischen Kräften und Gesetzen meistern. Immer wieder geht es in der Esoterik um diese »göttliche Energie«, die geweckt werden soll.

    Grundlegend für diese Praktiken ist die Auffassung, dass es zwischen »Geist« und »Stoff« keine grundsätzliche Differenzierung gibt, sondern lediglich Abstufungen. Geist und Materie sind verschiedene Erscheinungsformen; die Wirklichkeit wird als einziges geistig-energetisches Kraftfeld verstanden, in dem »Entwicklung« möglich ist. Vor allem das Zauberwort »Energie«, die Vorstellung von einer den ganzen Kosmos durchdringenden »Lebensenergie« fasziniert viele Menschen.

    Eine derartige Vorstellung liegt auch dem Yoga zugrunde. Durch bestimmte unsichtbare »Energie-Zentren« (Chakren) kann der Mensch Lebenskraft aus dem Kosmos aufnehmen und auch einsetzen. Der Einfluss des Yoga auf nahezu alle esoterischen Zirkel der Gegenwart sowie auf die Mitte der 1960er Jahre entstandenen New-Age-Bewegung ist unübersehbar.

    Während in vielen esoterischen Kreisen das Interesse näher am Zugang zu dieser Energie und an ihren Auswirkungen liegt, ist im Okkultismus ein größeres Interesse an der Quelle der Energie zu entdecken. Dennoch sind die Grenzen zwischen Esoterik und Okkultismus nur schwer zu ziehen. Hans-Jürgen Ruppert spricht von einem »esoterischen Okkultismus«:

    »Schon von der Wortbedeutung her ist ›Okkultismus‹ eng mit dem Begriff ›Esoterik‹ verwandt. Das griechische Wort esoteros (= ›innerlich‹, ›verborgen‹) entspricht dem lateinischen occultus. Dieser Begriff bezieht sich vor allem auf die Geheimhaltung des okkulten Wissens und auf dementsprechende Praktiken und Rituale, wie sie seit jeher in Geheimbünden gepflegt werden. In der Antike bezeichnete man als occulta die Geheimnisse, die in den Mysterien überliefert wurden.«¹⁵

    Die weltanschauliche Grundauffassung ist in der Esoterik und im Okkultismus gleich: Es geht um eine monistische Auffassung der Wirklichkeit; sichtbare und unsichtbare Welt korrespondieren miteinander. Die transzendente Wirklichkeit wird entweder als eine Art »kosmische Energie« verstanden oder sie wird wiederum unterteilt in anrufbare Mächte, die auch personhaft sein können. Das gesamte Spektrum ist geradezu unübersichtbar. Kurt Hutten, der frühere Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, unterschied vier Kategorien von Okkultismus, die er als »Okkultkonfessionen« bezeichnete:¹⁶ den Spiritismus, die Astrologie, die esoterisch-gnostischen Weltdeutungen (Theosophie, Anthroposophie, moderne Rosenkreuzer) und die Ufologie. Als fünfte Okkultbewegung sieht Hans-Jürgen Ruppert die seit den 1960er Jahren in den USA entstandenen New-Age-Bewegungen an. In all diesen Bewegungen geht es immer mehr oder weniger um die Frage, wie man an Wissen und Informationen oder auch Kraft, Energie und Macht aus der unsichtbaren Welt gelangt. Diese Wissens- und Kraftenergien können dann in unterschiedlicher Weise gesteuert oder auch eingesetzt werden.

    Der gegenwärtige Boom des Übersinnlichen ist schwer zu erfassen, da es so gut wie keine klaren Definitionen und Zuordnungen gibt. Geister, Mächte und Energien stehen nebeneinander; religiöse Sprache macht sich breit; Religionsstifter und »große Geister« stehen nebeneinander. Die spezifischen okkulten Praktiken, mit denen der Zugang zum Übersinnlichen geschafft werden soll, können vielfach noch klar definiert werden. Geradezu verbreitet sind die populären Formen wie Handlesen, Tisch- und Gläserrücken oder auch das Auspendeln von Botschaften. Immer beliebter werden auch die unterschiedlichen Formen des Spiritismus. Der Versuch, mit verstorbenen Menschen Kontakt aufzunehmen, um so »Botschaften« aus dem Jenseits zu erhalten, hat sich bis in hohe Bildungsschichten und Regierungskreise einiger westlicher Nationen verbreitet. Für einige ist der Einfluss gewisser Popgruppen, die mit ihrer Musik bewusst Satan verherrlichen wollen (z. B. Black Sabbath, Black Widow, Tyrannosaurus Rex oder andere Gruppen des Black Metal) nicht zu unterschätzen. Für immer mehr Menschen werden diese Praktiken zu einem Einstieg in das ganze Feld des Satanismus. Die Anhänger des Satanskultes heutiger Prägung mischen in ihren Riten religiöse Satanszeremonien mit sexuellen und okkulten Praktiken, die ausdrücklich im Namen Satans ausgeübt werden. Wieviele solcher organisierter Satanskulte es im deutschsprachigen Raum inzwischen gibt, ist nicht erfasst; die Zahl und Aktivität scheint jedoch zu steigen.

    Wenn schon die Beschreibung der ganzen Szene des Okkulten schwierig ist, so ist die Deutung der unterschiedlichsten Praktiken und Aktivitäten um so

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