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Fürst und Junker: Historischer Roman
Fürst und Junker: Historischer Roman
Fürst und Junker: Historischer Roman
eBook1.186 Seiten16 Stunden

Fürst und Junker: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Die Mark Brandenburg im 15. Jahrhundert: Kaiser Sigesmund I hat Burggraf Friedrich von Hohenzollern zum obersten Verweser der Marken bestellt, doch nicht alle Ritter wollen ihm den Huldigungseid leisten. Zwischen Friedrich und seinen Erzfeinden, den Brüdern Dietrich und Hans von Quitzow, kommt es zu einem erbitterten Kampf, der sein spannendes Ende in der Belagerung der Festung Friesack findet. In diesen Strudel der Ereignisse werden drei Freunde hineingezogen, die viele Abenteuer bestehen müssen, ehe einer von ihnen, der Kaufmannssohn Botho, seine große Liebe Luitgarde aus den Händen der Quitzows befreien kann.

Nur noch als E-Book erhältlich.
SpracheDeutsch
HerausgeberKarl-May-Verlag
Erscheinungsdatum22. Mai 2012
ISBN9783780216038
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    Buchvorschau

    Fürst und Junker - Friedrich Axmann

    Jahrhunderts.

    Band I

    Vorwort: An der Wiege des ‚Hakawati‘ – Friedrich Axmann und seine erstaunliche Symbiose mit Karl May

    Ist es denkbar, dass der fleißige und ungemein produktive Schriftsteller Karl May seine Romanhelden Winnetou, Old Shatterhand, Hadschi Halef Omar und wie sie alle heißen, niemals zu Papier gebracht hätte, wäre da nicht ein ihn unbewusst inspirierender Vorgänger gewesen?

    Wer das umfangreiche Werk des fantasievollen Sachsen kennt, kann sich das eigentlich kaum vorstellen. Und doch scheint diese Vermutung auf einer realen Grundlage zu beruhen. Stand also an der Wiege des ‚Hakawati‘ – wie sich May in Anlehnung an orientalische Märchenerzähler später gerne nannte – ein anderer Pate? Ein literarischer Ansporn?

    Der 33-jährige Karl May war am 2. Mai 1874, nach Verbüßung einer – angesichts seiner eher harmlosen Delikte unangemessen harten – vierjährigen Gefängnisstrafe, aus dem sächsischen Zuchthaus Waldheim entlassen worden und hatte im März des Folgejahres das verlockende Angebot des Dresdener Kolportageverlegers Heinrich Gotthold Münchmeyer gerne angenommen, bei ihm binnen 48 Stunden als Redakteur mit gesicherter Position und festem Gehalt einzutreten. Ganz selbstlos hatte der Verleger die Offerte allerdings nicht unterbreitet, war ihm doch kurz zuvor sein bisheriger Blattmacher Otto Freitag, ein Berliner Schriftsteller, nach einer verlagsinternen Auseinandersetzung unter Mitnahme sämtlicher Manuskripte davongelaufen. Münchmeyer, der die Wochenzeitschrift Beobachter an der Elbe herausgab, stand über Nacht gewissermaßen mit leeren Händen da. Da kam ihm der junge Ex-Sträfling, von dem er schon zuvor die eine oder andere literarische Arbeit – durchweg Kurzgeschichten und Gedichte – gelesen hatte, gerade recht, diese Lücke zu füllen.

    May war voller Schaffenskraft und wie jeder ‚neue Besen‘ begann auch er im Verlag fleißig zu kehren. So missfiel dem Jungredakteur beispielsweise jene Gazette, die Otto Freitag vordem betreut hatte. May lag deshalb seinem Verleger in den Ohren, den Beobachter kurzerhand einzustellen, dafür aber zwei neue, von ihm selbst konzipierte Wochenblätter herauszugeben.

    Münchmeyer willigte überraschend ein und May machte sich daran, den Start der beiden Zeitschriften unverzüglich in die Wege zu leiten. Auch die Titel hierfür hatte der tatendurstige Blattgründer bereits parat. Schacht und Hütte sollte nach den Intentionen Mays der Bildung und Belehrung von tausenden Berg-, Hütten- und Maschinenarbeitern dienlich sein; das Deutsche Familienblatt hingegen hatte er zur Unterhaltung „für alle Stände" vorgesehen.

    Selbstverständlich wollte sich der Neo-Journalist nicht damit begnügen, die ihm vorliegenden Texte bloß zu lektorieren und zu bearbeiten. Er sah sich ja selbst als Schriftsteller und in den beiden neuen Wochenblättern eine ideale Plattform, darin eigene Gedanken zu veröffentlichen.

    Da alles Neue aber zunächst bei potenziellen Käufern bekannt gemacht werden muss, war auch Karl May gezwungen, sich erst einmal als Akquisiteur zu betätigen:

    „In Beziehung auf ,Schacht und Hütte‘ bereiste ich Deutschland und Österreich, um die großen Firmen z. B. Hartmann, Krupp, Borsig usw. dafür zu interessieren, und da ein solches Blatt ein Bedürfnis war, so erzielte ich Erfolge, über die ich selbst erstaunte..."

    So lesen wir es in Mays Autobiografie Mein Leben und Streben.[1]

    Zurück in Dresden, erlebte der unternehmungsfreudige und hoffnungsvolle Literat eine herbe Überraschung.

    Pauline Münchmeyer, die Gattin des Kolportageverlegers, hatte sich Mays Entwürfe der Nullnummern von Schacht und Hütte angesehen und war dabei zu der (journalistisch durchaus verständlichen) Auffassung gelangt, dass die von dem jungen Redakteur vorgesehenen Beiträge auf den Titelseiten der ersten fünf Ausgaben – seine belehrenden Geographischen Predigten – zu unattraktiv wären, um genügend Leser zum Erwerb der neuen Zeitschrift zu animieren. Hingegen war ihr der ins Blatt ‚verbannte‘, in Fortsetzungen geplante Kriminalroman eines gewissen Friedrich Axmann sehr positiv aufgefallen. Er betitelte sich Geheime Gewalten. Pauline versprach sich davon einige Spannung und entsprechendes Interesse bei den Zeitungskäufern. Jedenfalls hielt sie diese Story für weitaus attraktiver als den von May ursprünglich vorgesehenen Einleitungsartikel. Kurzerhand verpflanzte sie deshalb seine Geographischen Predigten ins Blattinnere.

    Heinrich Münchmeyer versuchte zwar seinen enttäuschten und zu Recht verärgerten Redakteur zu trösten, indem er ihm freudestrahlend eröffnete, „den unendlich glücklichen Einfall" gehabt zu haben, nach Mays Abreise die von ihm zum Druck vorbereiteten ersten fünf Originalausgaben von Schacht und Hütte umzuändern und zu verbessern, was die Nachfrage ungemein gesteigert hätte. Tausende und Abertausende Exemplare seien inzwischen gedruckt worden, beeilte sich der Verleger zu versichern, um seiner Frau den Rücken zu stärken. Enthusiastisch fügte er hinzu, nunmehr „gar nicht genug liefern" zu können.

    May verurteilte die ohne seine Zustimmung erfolgte Einflussnahme auf seine Blattkonzeption. In der von ihm nie veröffentlichten Prozess-Schrift Ein Schundverlag beklagte er besonders den von der Verlegergattin vorgenommenen Austausch: „Auch meine ,Geographischen Predigten‘ taugten ihr nichts."[2]

    Kritisch beurteilte er zudem die Ignoranz vieler Blattkäufer: „Der Leser, besonders aber der Arbeiter, will Liebesgeschichten haben, wo sie sich entweder kriegen, oder wo sie sich erschießen. Darum hatte man während meiner Abwesenheit meine Nummern umgeändert oder vielmehr, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, gefälscht, und ohne mein Wissen einen Roman hereingenommen, der mit ,Geheime Gewalten‘ betitelt war... ,Schacht und Hütte‘ musste ganz selbstverständlich nun mit dem fatalen Schundroman weitergeliefert werden. Das raubte mir alle Freude an diesem Blatte..."[3]

    Mays Ärger dürfte nicht lange angedauert haben. Die Anzeigenkunden und Abonnenten von Schacht und Hütte jedenfalls scheinen zufrieden gewesen zu sein. So vermochte er schließlich mit einiger Genugtuung zu resümieren: „Der Erfolg war also trotz der Fälschung ein sehr zufriedenstellender..."[4]

    Geheime Gewalten war nicht das einzige Romanmanuskript, das Karl May redaktionell zu betreuen hatte. Auch die zweite von ihm konzipierte Wochenzeitschrift aus dem Hause Münchmeyer, das Deutsche Familienblatt, stellte von der ersten Nummer an eine schriftstellerische Arbeit von Friedrich Axmann – den Roman Fürst und Junker – auf die Titelseite. Hierbei handelte es sich um eine historische Erzählung aus der Geschichte Brandenburgs, die während des gesamten ersten Jahrgangs der Wochenzeitschrift in Fortsetzungen zum Abdruck gelangte.

    Wer aber war nun jener Friedrich Axmann, dessen erste spannende Erzählung in Schacht und Hütte durch den Redakteur May so abwertend als „fataler Schundroman" bezeichnet worden war?

    Bei der zweiten Erwähnung dieses Autors in der Prozess-Schrift Ein Schundverlag nannte May den Wiener Schriftsteller nicht ausdrücklich beim Namen. Er gab aber immerhin einige Hinweise, die gewisse Rückschlüsse auf die Identität des Betreffenden möglich scheinen lassen. So enthält Mein Leben und Streben folgende interessante Passage: „Wichtig ist, daß Münchmeyer eine ganz ausgesprochene geschäftliche Vorliebe grad für bestrafte Mitarbeiter hatte. Geht man die Schriftsteller und Schriftstellerinnen durch, die für ihn geschrieben haben, so bilden die Bestraften einen ganz bedeutenden Prozentsatz von ihnen. Das bemerkte ich schon bald, nachdem ich bei ihm eingetreten war... Gleich nach meiner Übernahme der Redaktion brachte er mir einen Wiener Postbeamten, der sich an der Kasse vergriffen hatte, als Mitarbeiter..."[5]

    Ob Karl May diese wenig schmeichelhafte Andeutung ironisch meinte? Bezog er sie auch auf sich selbst?

    Friedrich Axmann jedenfalls arbeitete zunächst von Juli 1869 bis September 1870 als wohlbestallter Beamter im Commerciellen Bureau der K. K. privaten Südbahn-Gesellschaft in Wien. Das wird uns auf Seite 55 des Personal-Schematismus der Oesterreichisch-Ungarischen Eisenbahn-Unternehmungen, der 1870 von der Bibliothek des Wiener Eisenbahnministeriums über die Ueberreutersche Verlagshandlung (M. Salzer) herausgegeben wurde, zweifelsfrei bestätigt. Auf Seite 97 des von Adolph Lehmann verlegten Allgemeinen Wohnungs-Anzeigers hingegen, dem offiziellen Adressbuch der Stadt Wien aus dem Jahre 1876, wird Axmann zwar unter der Anschrift „X. Beamten-Haus der Süd-Bahn angeführt, berufsmäßig jedoch bereits als „Schriftsteller bezeichnet. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die betreffende Ausgabe des Wiener Adressbuches laut Impressum bereits im Jahr zuvor, 1875, gedruckt worden war.

    Inzwischen ist es geglückt, den bislang im Dunkeln liegenden Lebenslauf des Schriftstellers Friedrich Axmann ziemlich aufzuhellen. Das verdanken wir in besonderer Weise dem im Österreichischen Patentamt in Wien tätigen Karl-May-Forscher Dr. Robert Ciza. Ihm blieb es vorbehalten, sehr viele biografische Unklarheiten im Leben dieses Mannes zu beseitigen.

    Bereits vor einigen Jahren war ich bei eigenen Nachforschungen im Wiener Stadt- und Landesarchiv auf das Totenbeschauprotokoll von 1875 gestoßen. In der darin veröffentlichten Auflistung der Todesfälle vom Sonntag, 15. August, entdeckte ich den Namen Friedrich Axmann. Als Todesursache des damals im Wiener Allgemeinen Krankenhaus Verschiedenen war „Lungen-Tuberkulose genannt worden. Das religiöse Bekenntnis auf dem Totenschein lautete „römisch-katholisch, „Wien wurde als Geburtsort genannt. Das schien Axmanns österreichische Nationalität zu bestätigen. In dem Dokument wurde der Verstorbene als „Witwer geführt, sein Sterbealter mit 35 Jahren angegeben. Womit angenommen werden durfte, dass dieser Mann an einem Tag im August 1840 das Licht der Welt erblickt hatte.

    Zwar schien die von mir eingesehene Sterbeurkunde jenes Friedrich Axmann über einige wichtige Lebensumstände des Schriftstellers Auskunft zu geben. Inzwischen haben sich jedoch alle diese Annahmen als falsch erwiesen. Denn wie von Dr. Ciza im Wiener Stadt- und Landesarchiv entdeckte Unterlagen beweisen, handelte es sich bei diesem Mann um einen zufällig namensgleichen ‚Doppelgänger‘, der mit dem Verfasser von Fürst und Junker nicht identisch war.

    Schon seinerzeit hatte der 1990 verstorbene Karl-May-Verleger Roland Schmid herausgefunden, dass Friedrich Axmann deutscher Staatsbürger gewesen war und seine Wiege im westpreussischen Thorn (dem heutigen Torun, seit 1920 in Polen) gestanden hatte. Von Dr. Ciza konnten die Angaben Schmids jetzt bestätigt werden. Mehr noch: Auch die Vita des im Allgemeinen Krankenhaus in Wien dahingegangenen Friedrich Axmann, der an Lungen-Tuberkulose verstarb, ist geklärt. Aus den vorliegenden Dokumenten geht eindeutig hervor, dass der 1840 Geborene (und 1875 Verstorbene) österreichischer Staatsbürger war, dessen Wiener Anschrift „Schottenfeld 72" lautete. Er verehelichte sich vermutlich 1869, musste aber im Jahr danach das Ableben seiner noch nicht fünf Monate alten Tochter und 1873 auch den Tod seiner Gattin beklagen. Berufsmäßig wird der Betreffende in den verschiedenen von Dr. Ciza eingesehenen Unterlagen als Kellerbursche, Hausdiener und Handlungsdiener geführt. Da jener ‚falsche‘ Axmann bei der Volkszählung 1869 zum letzten Mal erfasst und bei einer späteren des Jahres 1880 nicht mehr erwähnt wurde, spricht vieles dafür, dass es sich dabei um den am 15. August 1875 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus verstorbenen Mann handelte.

    Zwar hatte mich beim Studium der Personalien auf dem Totenschein des ‚falschen‘ Axmann dessen berufliche Bezeichnung als „Diener irritiert, doch hatte ich dies damals mit der vielleicht berufsbedingten Degradierung des vormaligen Bahnbeamten in Zusammenhang gebracht. In jenem Dokument aber, das Dr. Ciza im Archiv der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) unter der Nummer 4957 ausfindig machen konnte, liest man es anders. Demnach trat der ‚richtige‘ Axmann am 1. Juli 1869 in die „gesellschaftlichen Dienste bei der k. k. privaten Südbahn-Gesellschaft. Doch schon nach etwas mehr als einem Jahr, am 20. September 1870, wurde der Beamte „wegen Kränklichkeit vom Dienst gekündigt" und Ende Dezember – nachdem er finanziell abgefertigt worden war – seiner Stellung enthoben.

    War jene „Krankheit" von seinem Dienstgeber bloß vorgeschützt worden? Oder gab es einen ganz anderen Grund für Axmanns Kündigung als Bahnbeamter? Was den angeblichen (von Karl May in seinen Lebenserinnerungen erwähnten) Gelddiebstahl des so genannten Postbeamten betrifft, gibt es auf dieses kriminelle Delikt laut Dr. Ciza jedenfalls keine authentischen Hinweise.

    Hier nun der vorläufig feststehende Lebenslauf des Schriftstellers Friedrich Axmann in geraffter Form:

    Der Deutsche wurde am 14. Januar 1843 in Thorn (Westpreußen) geboren und protestantisch getauft. Nach der Volksschule besuchte er in seiner Geburtsstadt von 1853 bis 1861 das Gymnasium und schloss dort mit dem Abitur ab. Danach absolvierte Axmann eine erfolgreiche Ausbildung in allen kaufmännischen Wissensbereichen und perfektionierte sich auch auf den Gebieten der französischen und englischen Korrespondenz. Erste Berufserfahrungen sammelte der junge Mann als Buchhalter und Korrespondent in verschiedenen bedeutenden kaufmännischen Stellungen in seiner preußischen Heimat sowie in Österreich. Er blieb bis zu seinem Tod ledig.

    Über Axmanns „körperliche Beschaffenheit finden wir im ÖBB-Archiv unter der Aktennummer 4957 (Dekretnummer 146/1) den Vermerk „völlig gesund/gute Konstitution. Dieser Hinweis erscheint mir auf Grund der späteren konträren Beurteilung seines gesundheitlichen Zustandes durch seinen nachmaligen Arbeitgeber, der k. k. privaten Südbahn-Gesellschaft, doch recht bemerkenswert.

    Im Übrigen betrug Axmanns Monatsgehalt ab dem Tag seiner Einstellung, dem 1. Juli 1869, bis zu seiner Kündigung am 20. September 1870 – er war damals 27 Jahre alt – 480 Gulden.

    Wenn auch der aus Thorn nach Wien übersiedelte Kaufmann später den Dienst als Bahnbeamter quittieren musste, so scheint sein damaliger Arbeitgeber eine soziale Ader gehabt zu haben: Wie sonst wohl sollte es zu erklären sein, dass Axmann vier Jahre nach seiner Kündigung gleichwohl ein Domizil im offiziellen Beamten-Haus der Süd-Bahn im 10. Wiener Gemeindebezirk zuerkannt wurde? Dieses Privileg durften im Allgemeinen nur Angestellte der k. k. privaten Südbahn-Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen.

    Dr. Robert Ciza, der akribisch Lehmann’s Allgemeinen Wohnungs-Anzeiger (welcher auch das Handels- und Gewerbe-Adressbuch für die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Umgebung enthielt) nach Wohnadressen Axmanns in Wien durchforstete, wurde in jeder Hinsicht fündig. So stellte sich heraus, dass der junge Mann laut Lehmann, 8. Jahrgang, 1870, unter der regulären Berufsbezeichnung „Beamter der Süd-Bahn" zunächst im 4. Bezirk, Starhemberggasse 4, gelebt hatte.

    Lange scheint es ihm aber dort nicht gefallen zu haben, denn schon im Jahr darauf (Lehmann, 9. Jahrgang, 1871) lautete seine Anschrift: 4. Bezirk, Rainergasse 7. Nach wie vor – obwohl zu diesem Zeitpunkt aus seiner Dienststelle längst ausgeschieden – wurde er im Lehmann als „Süd-Bahn-Beamter" geführt. Das mag aber vielleicht auch daran gelegen haben, dass das offizielle Wiener Wohnadressen-Verzeichnis schon 1870 (als Axmann noch im Angestellten-Verhältnis bei der Süd-Bahn stand), gedruckt worden war.

    Anders jedoch verhält es sich 1872. Wieder wechselte Friedrich Axmann sein Domizil. Im Lehmann (10. Jahrgang, 1872) finden wir seine neue Anschrift unter: „Axmann Friedrich, Südbahn-Beamter, 2. Bezirk, Pillersdorfgasse 4." Die Berufsangabe lässt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr rechtfertigen. Vielleicht war es bloß persönliche Eitelkeit, die Axmann veranlasste, eine ihm damals nicht mehr zustehende Beamtenfunktion vorzutäuschen.

    Bereits die folgende Adressenangabe des Wahlwieners lässt tiefer blicken. Im Zuge seiner Nachforschungen stieß Dr. Ciza auf die belletristisch-lyrische Zeitschrift Dorfschwalben (Wien. 1. Jg., Nr. 2), an deren Redaktion sich Friedrich Axmann gewandt hatte, um ihr einige seiner Beiträge anzubieten. Seine Erzählungen wurden jedoch, wie Dr. Ciza herausfand, nicht veröffentlicht. Die Redaktion beschied Axmann am 15.12.1872 lapidar: „Friedr. A., Wieden Weyringergasse, wir bedauern, vorläufig ihre Einsendungen nicht honorieren zu können."

    Dr. Ciza gelang es auch, ein Originalschreiben Friedrich Axmanns ausfindig zu machen, das der Schriftsteller am 29. September 1873 an die Redaktion der Unterhaltungsgazette Wiener Punsch gerichtet hatte. Darin offerierte er der Redaktion zwei kleinere Erzählungen – Im roten Turm und Enfant perdu –, die nach seinen eigenen Angaben ursprünglich für die Zeitschrift Das Freie Blatt als Fortsetzung seines dort sechs Monate lang erschienenen Novellen-Zyklus Dunkle Mächte vorgesehen gewesen waren. „Verschiedene Differenzen, schrieb Axmann weiter, hätten ihn aber veranlasst, beide Manuskripte zurückzuziehen. Weiter lesen wir in dem Bittbrief: „Sollten die Erzählungen nicht so glücklich sein, Ihren Beifall zu gewinnen, dann haben Sie wohl die Gewogenheit, mich in der ,Correspondenz‘ des ,Punsch‘ davon zu verständigen, damit ich die Manuscripte abholen lassen kann. Auf demselben Wege bitte ich Sie, mich benachrichtigen zu wollen, ob Sie vielleicht geneigt sein würden, einen historischen Sensations-Roman zu acquiriren?

    Dabei dürfte es sich um Axmanns Fürst und Junker oder um sein Testament des großen Kurfürsten gehandelt haben. Der Autor hatte also eine dieser beiden umfangreichen Erzählungen bereits zwei Jahre vor ihrer Veröffentlichung bei Münchmeyer dieser Wiener Zeitschrift, wenn auch anscheinend vergeblich, angeboten. Dem Bittsteller wurde jedenfalls am 3. Oktober 1873 schriftlich beschieden, sich mit dem Hauptmitarbeiter der Redaktion in Verbindung zu setzen. Unter Nennung von dessen Privatanschrift erfuhr Axmann: „Sie treffen ihn täglich bis 3 Uhr Nachmittag zu Hause und er wird Ihnen im Betreff Ihrer literarischen Arbeiten nothwendige Andeutungen geben."

    Eine Überprüfung der nahezu vollständig erhaltenen Jahrgänge 1873 bis 1876 des Punsch durch Dr. Ciza hat inzwischen ergeben, dass keine der von Axmann vorgeschlagenen Erzählungen und auch kein anderer Text des Autors in dieser Wochenzeitschrift zur Veröffentlichung gelangten.

    Immerhin konnte der Wiener May-Forscher nun eine weitere Axmann-Erzählung nachweisen. Sie hieß zunächst Ein Abenteuer in Ungarn und wurde Ende August 1872 in Das Buch für Alle unter dem rechtmäßigen Namen des Autors veröffentlicht. Mit dem leicht abgeänderten Titel Ein Abenteuer aus Ungarn erschien dieselbe Geschichte dann 1876 in den Stuttgarter Parallelausgaben Illustrirtes Unterhaltungs-Blatt und Jedermann. Als Autor wurde ein gewisser Fr. Weyring genannt; offenbar ein Pseudonym Axmanns, so man die weiter oben genannte Adresse in der Zeitschrift Dorfschwalben als Vergleich heranzieht.

    Lange scheint Axmann in der Weyringergasse nicht zu Hause gewesen zu sein. Schon 1874 wird er im Lehmann (12. Jg.) unter dem Beruf „Schriftsteller mit der Anschrift „Vor der Favoritenlinie, Beamtenhaus der Süd-Bahn geführt. Da aber dieser offizielle Wiener Wohnungsanzeiger aus redaktionellen Gründen bereits ein Jahr früher gedruckt werden musste, sieht es so aus, als hätte Axmanns vormaliger Arbeitgeber – ungeachtet der 1870 erfolgten Kündigung – dem Ex-Angestellten ab 1873 großzügig gestattet, in der firmeneigenen Unterkunft zu wohnen.

    Friedrich Axmann behielt die nunmehrige Anschrift anscheinend bis zum Jahre 1875 bei. Sie ist unter der regulären Berufsbezeichnung „Schriftsteller" im Lehmann der Jahrgänge 1874, ’75 und auch ’76 nachzulesen. Hingegen fehlt im Adressenverzeichnis des Jahres 1877 jeder weitere Hinweis auf die Person des Adressaten. Dr. Ciza vermutet, dass Friedrich Axmann im Verlauf des Jahres 1876 seine Wiener Wohnadresse aufgab und wieder nach Deutschland zurückkehrte. Wo und in welcher Stadt er sich dann in den letzten Monaten seines Lebens aufgehalten hat, ist derzeit Gegenstand seiner weiteren Recherchen. Ciza hält es jedenfalls nicht für ausgeschlossen, dass sich der Schriftsteller wieder in seiner westpreussischen Geburtsstadt Thorn (oder in einer anderen heimatlichen Wohngegend) angesiedelt haben könnte, wo er – nach vorsichtiger Einschätzung des Forschers – im November 1876 aus bislang unbekannter Ursache verstarb.

    *

    Ein Mann, der sich schon frühzeitig mit Friedrich Axmann intensiv beschäftigt und mit den Widersprüchen rund um seine Person leidenschaftlich auseinander gesetzt hatte, war der in Ubstadt-Weiher bei Bruchsal lebende und inzwischen leider verstorbene Karl-May-Forscher Karl Serden. Sein Engagement übertrug sich auch auf mich. Ich hatte das Glück, Serden bei mehreren Kongressen der Karl-May-Gesellschaft persönlich kennen und schätzen zu lernen. Bald fanden wir heraus, dass ihn wie auch mich Geschick und Laufbahn von Friedrich Axmann in besonderem Maße beschäftigten. Serden hatte zudem im Lauf der Zeit verschiedene literarische Veröffentlichungen des Autors gesammelt und sich eine recht eigenwillige Meinung über dessen schriftstellerische Identität und die dadurch entstandenen möglichen Zusammenhänge zur Person Karl Mays gebildet.

    Schon 1986 wies Karl Serden erstmals auf eine Verbindung Axmann-May hin und stellte auf Grund des gesammelten Materials die etwas gewagt klingende Überlegung an, bei dem Namen Axmann vielleicht auf ein vordem unbekanntes Pseudonym von Karl (Friedrich) May gestoßen zu sein. Wörtlich spekulierte er deshalb im Vorwort des von ihm 1990 herausgegebenen Reprint des Axmann-Romans Fürst und Junker über May: „Hatte er selbst kein attraktives Manuskript anzubieten, keine dick gefüllte Mappe mit eigenen handgeschriebenen Werken? Doch halt, die vermeintliche ,Konkurrenz‘ gab es womöglich nur auf dem Papier. May stand mit sich selbst im Wettbewerb, er war ja möglicherweise selbst jener Autor, ,Friedrich Axmann‘ nur sein Pseudonym. So zeichnete er seine Beiträge teils mit dem richtigen, teils mit dem erfundenen Namen. Trotz der Tarnung behielt er im Fall ,Axmann‘ seinen zweiten Vornamen ,Friedrich‘ bei. Ist dies mehr als ein bloßes Gedankenspiel?"

    Serdens gewagte Hypothese blieb in literarischen Fachkreisen nicht unbeachtet. Es kam, nicht zuletzt unter den Mitgliedern der Karl-May-Gesellschaft, zu divergierenden Auffassungen über die Stichhaltigkeit einer solchen Vermutung. Serden beharrte keineswegs nur auf dieser Annahme, sondern zog auch die Möglichkeit in Betracht, May könnte bei den im Verlag Münchmeyer veröffentlichten vier Zeitungsromanen des Friedrich Axmann als Redakteur, Bearbeiter oder ‚Mitschreiber‘ in Erscheinung getreten sein. Da jedoch wenig Beweiskräftiges zu derartigen Thesen vorgelegt werden konnte, blieben die Ansichten unter den May-Verfechtern weiterhin kontrovers und ohne Ergebnis. Ein gemeinsamer Nenner ließ sich nicht finden.

    Ob hingegen Karl May jenen Mann, der ihn aus Österreich so raumfüllend mit Romanmanuskripten für sämtliche Wochenblätter des Münchmeyer-Verlages beliefert hat, kannte und ihm wenigstens einmal persönlich begegnete, bleibt vorläufig offen. Jedenfalls hat er Axmann weder in seinen Memoiren noch in der Streitschrift Ein Schundverlag jemals namentlich erwähnt. Der Grund hierfür mag in Mays verstärkter Abneigung gelegen haben, sich im Herbst seines Lebens gedanklich noch einmal in die Niederungen der Kolportage – in sein persönliches Ardistan – begeben zu müssen.

    Vorläufig fehlt noch jeder definitive Beweis, ob Karl May in seiner Funktion als Redakteur der Münchmeyer-Wochenblätter direkten Einfluss auf die Manuskripte des Friedrich Axmann nahm. Wer aber den damals bereits im Aufblühen begriffenen, wenn auch noch ungebändigten Fantasiereichtum des sächsischen ‚Hakawati‘ nicht völlig außer Acht lässt, muss diese Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen. Ob der Autor von Fürst und Junker dagegen Einspruch erhob, ist nicht bekannt. Etwaige Verlagskorrespondenzen des Hauses Münchmeyer blieben der Nachwelt leider nicht erhalten.

    Dennoch lässt sich vermuten, dass Karl May sowohl in Fürst und Junker als auch bei Axmanns anderen Zeitungsromanen für Münchmeyer (Das Testament des großen Kurfürsten, Geheime Gewalten sowie Ein moderner Abenteurer) seine Hände im Spiel hatte. Dr. Ciza meint jedenfalls in den dort zum Abdruck gelangten Erzählungen in Wortwahl, Satzstellung und bestimmten Formulierungen typische Merkmale von Mays Stil und somit Hinweise auf eine teilweise ‚Mittäterschaft‘ Mays gefunden zu haben.

    Es stellt somit gewiss keine Verfälschung oder gar Abwertung der umfangreichen Arbeiten Axmanns dar, auch Karl May einen gewissen Anteil an den vier Zeitungsromanen des jungen Schriftstellers zuzubilligen.

    Zwar hat sich Karl Serden damals geirrt, als er hinter dem Namen Axmann ein Pseudonym Karl Mays vermutete, andererseits lag er aber nicht völlig daneben, in den Werken des nach Wien abgewanderten Westpreußen zumindest teilweise die Handschrift Mays wieder zu erkennen. Ihm war jedenfalls jede neue Axmann-Edition willkommen, um in der Sache selbst zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Dabei beanspruchte der historische Axmann-Roman Fürst und Junker Serdens besonderes Augenmerk, hatte doch May gerade zu dieser Veröffentlichung eine von seinem Verleger gewünschte Fortsetzung – Der beiden Quitzows letzte Fahrten – zu Papier gebracht, wenngleich infolge seines späteren Ausscheidens aus dem Verlag nicht mehr beendet.

    Die nachweislich Karl May zuzuschreibenden Textteile wurden später – ohne das Ende der Erzählung, das von dem Dresdener Autor Dr. Heinrich Goldmann (1841-1877) im Auftrag des Verlegers H. G. Münchmeyer in aller Eile hinzugefügt worden war – in die Gesammelten Werke des Schriftstellers aufgenommen: als Band 69 unter dem Titel Ritter und Rebellen.

    Doch selbst dabei war es von Seiten des Karl-May-Verlages notwendig geworden, bei der in ihrer Urfassung unvollendet gebliebenen Haupterzählung gewisse Textumstellungen vorzunehmen. Der hierfür prädestinierte Kurat Franz Kandolf (Autor der nicht von May verfassten Reiseerzählung In Mekka, Band 50 GW) übernahm es, den Schlussabschnitt von Ritter und Rebellen, und zwar die Schilderung vom Tod des Dietrich von Quitzow – die May wegen seines abrupten Abgangs bei Münchmeyer nicht mehr vollendete – im Sinne des sächsischen Autors hinzuzufügen.

    Ich war von Anfang an gegenteiliger Auffassung als Karl Serden, der sich auf eine Autorschaft (oder zumindest Mitautorschaft) Mays bei den Axmann-Romanen festgelegt hatte. Meine eigenen in Wien durchgeführten Recherchen hatten mich zu einem anderen Ergebnis kommen lassen. Auch die im Umfeld der May-Forschung verschiedentlich ventilierte Auffassung, Karl May habe Axmann, der ja erst bei Münchmeyer mit umfangreicheren Arbeiten in Erscheinung getreten war, womöglich das Handlungsgerüst sowie handelnde Personen vorgegeben (also gewissermaßen ein Roman-Exposé erstellt), vermag mich nicht zu überzeugen. Ich halte Friedrich Axmann für einen absolut eigenständigen Autor. Das kann insofern bewiesen werden, als dessen erste Veröffentlichungen bei deutschen Verlagen bereits zwischen 1870 und 1874 belegt sind. Karl May war zu diesem Zeitpunkt Häftling in Waldheim bzw. hatte eben erst seine vierjährige Freiheitsstrafe abgesessen.

    Aus dem 2. Jahrgang von Schönleins Stuttgarter Allgemeiner Familien-Zeitung des Jahres 1870 lassen sich insgesamt fünf Beiträge des eifrigen Schreibers aus Wien herausfinden: Im Kroatendörfel. Skizze aus dem Wiener Volksleben; Wien im Freien. Skizzen, Teil I: Eine Sommerfrische – Teil II: Eine Völkerwanderung; Wiener Gauner. Skizze und schließlich Dunkle Existenzen. Scenen aus dem Wiener Leben.

    Von 1871 bis 1875 schrieb Axmann zusätzlich für die Stuttgarter Schönlein-Gazetten Blätter für den häuslichen Herd, Das Buch für Alle und Illustrirte Chronik der Zeit.

    Erst ab dem Jahr 1874 – und noch bevor Karl May als junger Redakteur in Dresden in Erscheinung treten konnte – arbeitete Friedrich Axmann auch für den Kolportage-Verlag Münchmeyer. Dokumentiert sind fünf Reportagen bzw. Erzählungen, die allesamt ausgerechnet in jenem Blatt veröffentlicht wurden, das May von Anfang an nicht mochte und das deshalb (mit dem Einverständnis des Verlegers) schon bald nach seinem Dienstantritt eingestellt wurde: Der Beobachter an der Elbe.

    Folgende Arbeiten Axmanns können in bibliophilen Ausgaben des 2. Jahrgangs der Zeitschrift nachgelesen werden: Eine Nacht in der Brigittenau. Skizzen aus dem Nachtleben Wiens; Aus Leichtsinn. Nachtstück aus der Wiener Gaunerwelt; Von Verbrechen zu Verbrechen. Ein Wiener Nachtbild; Verderblicher Wahn. Kriminalgeschichte sowie Die Zigeunerbraut. Nachtbild aus dem Pusstenleben.

    Damit dürfte bewiesen sein, dass sich der Wahlwiener Friedrich Axmann nach seiner Kündigung als Bahnbeamter nur noch als Schriftsteller betätigte. Andererseits lässt sich aber auch nicht bestreiten, wie sehr sich sein Autorenschicksal mit jenem von May in bestimmender Weise verknüpfte. Schon deshalb scheint es keineswegs unwahrscheinlich, dass den emsigen Jungredakteur Karl May die Versuchung überkam, die ihm zur Bearbeitung vorliegenden Romanstoffe Axmanns nach eigener Vorstellung zu beeinflussen. Für May waren es zudem erste schriftstellerische Versuche, sich an umfangreichere Manuskripte heranzuwagen.

    Ähnlich agierte Karl May vier Jahre später, als ihm angeboten wurde, den berühmten Wildwest-Roman Der Waldläufer des Franzosen Gabriel Ferry für die Jugend zu bearbeiten. Er besorgte dies mit gründlichem Eifer. May verfremdete das Original in der Folge so sehr, dass aus der von ihm aufbereiteten Buchausgabe ein typisches Produkt seiner fantasievollen Schaffenskraft wurde. Es hatte mit dem ursprünglichen Werk Ferrys nur noch wenig gemeinsam. Namen, Handlungsabläufe, ja selbst bestimmte Waffenarten waren von May abgeändert und der eigenen Eingebung angepasst worden. So lassen sich in dieser Waldläufer-Bearbeitung mühelos bestimmte Anklänge an Mays spätere Winnetou-Romane erkennen.

    Dass May sich schließlich als Romanschriftsteller zu profilieren vermochte, hatte ebenfalls unmittelbar mit Friedrich Axmann zu tun. Dessen im Deutschen Familienblatt erschienene Hohenzollern-Erzählung Fürst und Junker, die sich auf historisch verbürgte Unterlagen stützte, hatte bei den Lesern der Dresdener Wochenzeitschrift dermaßen großen Anklang gefunden, dass sich der Kolportageverleger Münchmeyer veranlasst sah, seinen erfolgreichen Schreiber um eine Fortsetzung der Romanserie zu ersuchen. Sie sollte aber – wohl um des erhofften Absatzes wegen – in einer anderen Publikation des Dresdener Verlages erscheinen. In der betreffenden Wochenzeitschrift las man daraufhin folgende Ankündigung: „Denjenigen Lesern des ,deutschen Familienblattes‘, welche sich mit den späteren Lebensschicksalen Dietrichs von Quitzow bis zu seinem Tode bekannt zu machen wünschen, dürfte die Nachricht nicht unwillkommen sein, daß der Autor dieses Thema zum Gegenstande eines ebenso fesselnden, wie ergreifenden Romans: ,Dietrichs von Quitzow letzte Fahrten‘ gewählt hat, welcher in Nummer 20 der diesjährigen ,Feierstunden am häuslichen Heerde‘, einer im Münchmeyerschen Verlage erscheinenden belletristischen Zeitschrift, beginnen wird."

    Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Friedrich Axmanns Tod im Jahre 1876 nahm dem Autor die Feder aus der Hand. Im Herbst 1876, als das Deutsche Familienblatt bereits den vierten Roman Axmanns, Das Testament des großen Kurfürsten, veröffentlichte (in Schacht und Hütte war ab der Ausgabe Nr. 42/1876 die dritte umfangreichere Arbeit des Wahlwieners, Ein moderner Abenteurer, in elf Fortsetzungen angelaufen), erschien in derselben Zeitschrift, Nummer 52/1876, die traurige Nachricht:

    „Während der Bearbeitung des Romanes ,Das Testament des großen Kurfürsten‘ ereilte den ersten Verfasser desselben, Herrn Friedrich Axmann, mitten im Schaffen und im ersten Mannesalter, bei Fortsetzung des Romanes in Nr. 16 dieses Blattes, der unerbittliche Tod. – Herr Dr. Heinrich Goldmann übernahm mit Nr. 17 die Weiterbearbeitung, aber auch auf diese Kraft in der rüstigsten Arbeit und im jüngsten Mannesalter die kalte Hand des Todes plötzlich eisern sich niederlegte und ihn nach dort, wo nur ein geistiges Leben waltet, rief. – Beiden Verstorbenen widmet die Redaction ein ehrendes Andenken..."

    Die Bearbeitung der Axmann-Erzählung bis zur Nummer 16 des Familienblattes hatte wohl noch Karl May selbst als Redakteur vorgenommen, dann war er, nach Differenzen mit dem Verleger, aus der Redaktion ausgeschieden.

    Seine Nachfolge trat der Dresdener Schriftsteller Dr. Goldmann an. Doch dessen redaktionelle Tätigkeit, die die lektoratsmäßige Betreuung der Roman-Veröffentlichung von Friedrich Axmann mit einschloss, endete ebenfalls unvorhergesehen mit der Nummer 43 des Familienblattes. Denn auch dieser Bearbeiter war plötzlich verstorben. Im entsprechenden Text einer eilig geschalteten Anzeige ist zu lesen:

    „...Durch diese Todesfälle ereignete es sich, dass das Erscheinen der Schlussfortsetzungen des erwähnten Romanes in einigen der letzteren Nummern dieses Blattes unterbrochen werden musste, bis der neue Verfasser die Weiterbearbeitung, und zwar in Nr. 49 entsprechend wieder begonnen und ausgeführt. Es macht sich nun nöthig, vom ,Familienblatt‘ nebst Nr. 52 noch eine Nr. 53 und 54 auszugeben, um den Roman in genügender Vollendung erscheinen zu lassen und die geehrten Abonnenten in jeder Beziehung zufrieden zu stellen..."

    Aber bereits vor diesen Kalamitäten hatte Münchmeyer in seiner Planung umdisponieren müssen. Der Tod Axmanns hatte es erforderlich gemacht, einen anderen Autor für die Fortsetzung der erfolgreichen Fürst und Junker-Erzählung zu engagieren. Deshalb wandte sich der Verleger an Karl May, der zu diesem Zeitpunkt noch bei ihm tätig war, und bat ihn, einzuspringen und eine Fortsetzung von Axmanns historischem Hohenzollern-Roman zu verfassen. May willigte ein und machte sich ans Werk. Schon zehn Ausgaben vor jenem Termin, an dem der Startschuss für den ursprünglich von Axmann zu schreibenden Roman erfolgen sollte, veröffentlichte der Redakteur sein Manuskript. Es erschien in der neuen Münchmeyer-Gazette Feierstunden am häuslichen Heerde.

    Der beiden Quitzows letzte Fahrten betitelte May seine erste umfangreichere Romanvorlage in leichter Abänderung des ursprünglich projektierten Axmann-Titels Dietrichs von Quitzows letzte Fahrten.

    Den ersten Anstoß, eine etwas längere Erzählung niederzuschreiben, hatte Karl May schon früher unternommen. Vom Oktober bis Dezember 1875 veröffentlichte er im Deutschen Familienblatt die Indianerstory Old Firehand. Sie umfasste elf Fortsetzungen. Zuvor war in der September-Ausgabe dieser Zeitschrift (Nr. 1/1875) eine Kurzgeschichte desselben Autors erschienen, in der bereits ein etwas grobschlächtiger Prototyp seiner Idealfigur Winnetou mitwirkte. May betitelte die Erzählung: Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling.

    Auch wenn diese Frage heute selbstverständlich nur noch theoretisch gestellt werden kann, wäre es doch – und das nicht nur für Karl-May-Fans – interessant, zu erfahren, wie wohl die schriftstellerische Laufbahn des westpreussischen Wahlwieners Friedrich Axmann verlaufen wäre, hätte ihn nicht der Tod in jungen Jahren dahingerafft. Vielleicht wäre es ihm dann sogar gelungen, auf Grund seiner unzweifelhaften schriftstellerischen Begabung einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie Karl May zu erreichen.

    In jedem Fall widerfährt jetzt Friedrich Axmann im Karl-May-Verlag eine verdiente Ehrung: 125 Jahre nach seinem Ableben erscheint dort einer seiner umfangreichen Romane erstmals als Neusatz.

    Dass es dazu überhaupt kommen konnte, dafür haben wir nicht zuletzt drei Karl-May-Experten zu danken, die sich dieses – auf dem Buchmarkt zu keiner Zeit präsent gewesenen – Autors erinnerten und ihn, jeder für sich allein, im Verlauf vieler Jahre zum eigenen literarischen Forschungsprogramm erhoben. Zwei von ihnen weilen leider nicht mehr unter den Lebenden: der rührige Karl-May-Verleger Roland Schmid sowie der in der Karl-May-Gesellschaft engagiert tätig gewesene Herausgeber zweier Axmann-Reprints, Karl Serden, zu dessen Freunden ich mich zählen durfte. Der dritte ‚Spurensucher‘, Dr. Robert Ciza, ist glücklicherweise noch unter uns, lebt in Wien und hat einen besonders maßgeblichen Anteil daran, dass sich das Dunkel um die Biografie Axmanns in den vergangenen Monaten stark aufgehellt hat.

    Noch manche Lebensumstände dieses bereits mit 33 Jahren verstorbenen Schriftstellers sind ungeklärt, etwa die Ursache seines frühen Todes und auch, wo er letztlich verstarb. Auch haben wir keinerlei Hinweise auf sein Aussehen – Friedrich Axmann ist also in vielerlei Hinsicht nach wie vor ein großer Unbekannter.

    Als Verfasser dieses Vorworts war ich bemüht, durch eigene bescheidene Erkenntnisse über den Lebensweg des talentierten Schriftstellers das Interesse der Leserschaft für Friedrich Axmanns Werk neu zu wecken.

    Peter Krassa, Wien im Februar 2001

    1. In der Räuberhöhle

    Es war im April des Jahres 1411.

    Wild peitschte eisiges Schlackenwetter die aufgeregten Wasserflächen der Spree. Heulend sauste der raue Frühlingssturm in den noch spärlich belaubten Bäumen des unermesslichen Urwaldes und beugte die Wipfel der jungen Erlen weit über den Fluss hin. Tiefe Dunkelheit herrschte rings umher. – Kein anderer Laut tönte durch die Öde der Sturmnacht als das heisere Gekrächz eines Uhus, der mit dem daunenweichen Samtgefieder seiner mächtigen Schwingen geräuschlos durch die bewegte Luft zog und nach Beute schrie.

    Mitten durch den unwegsamen Forst schritten drei Männer dahin, deren jeder ein Ross am Zügel führte. Sie kamen nur langsam vorwärts. Dichtes Gestrüpp, das allerorten üppig wucherte, musste nicht selten mit äußerster Kraftanwendung durchbrochen werden, und an zahlreichen Stellen streckten sich grün schillernde Moraste hin, die den Unglücklichen, welcher in sie hineingeriet, tückisch in die schaurige Tiefe hinabzogen.

    Menschen und Tiere waren augenscheinlich übermüdet, und die Ersteren befanden sich in höchst unwirscher Stimmung, was nicht wenige kernige Flüche bewiesen. Einer von ihnen, ein Graukopf, zeigte sich insbesondere ganz unglücklich.

    „Dass mir auch der Gottseibeiuns den misslichen Gedanken eingeben musste, Euch, mein geliebter junger Herr, auf einem Nebenwege nach Berlin geleiten zu wollen. Meine Absicht war freilich eine gute, denn der Pfad hätte uns volle sechs Stunden früher heimgebracht als die Heerstraße, und Eure guten Eltern würden sich königlich gefreut haben, wenn Ihr schon heute Abend, statt, wie sie voraussetzen, erst morgen um die Mittagszeit in Berlin eingetroffen wäret. Nun fragt es sich, ob wir im Laufe des morgigen Tages aus dieser schaurigen Wildnis hinausfinden werden. Wenn das nicht geschieht und wir nicht wenigstens am Abend heimkommen, dann wird Eure arme Mutter vor Angst möglicherweise krank, da sich ihr die Besorgnis aufdrängen muss, dass wir dem ‚schwarzen Dietrich‘, diesem Scheusal in Menschengestalt, der seit einigen Jahren in den Marken sein Unwesen treibt, in die Hände gefallen, von ihm ausgeplündert und vielleicht ermordet seien. Mir tut das Herz weh, wenn ich an den Jammer denke, den ich einfältiger Tropf durch meine Unvorsichtigkeit der alten Frau bereiten werde."

    Er seufzte tief auf und wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß vom Gesicht, der ihm trotz der kühlen Witterung aus allen Poren drang.

    „Quäle dich doch nicht unaufhörlich mit diesen Selbstvorwürfen, wackerer Klaus, tröstete der Vornehmste unter den dreien, ein junger, hoch gewachsener Mann. „Deine Absicht war eine gute und niemand kann es dir verargen, dass du den Weg verfehltest, da du länger als zwanzig Jahre ihn nicht betreten hast. Übrigens ist unser Missgeschick noch ganz erträglich. Wir müssen eine Nacht im Wald zubringen, denn wir sind alle so müde, dass wir kaum noch weiter können. Auch wäre es zwecklos, wollten wir unsere Wanderung fortsetzen. Die Dunkelheit nimmt schnell zu und wir laufen Gefahr, in einen Sumpf hineinzugeraten. Am besten ist es, wir strecken uns hier nieder, nehmen einige Bissen Brot, das wir glücklicherweise ja bei uns haben, zum Abendimbiss, hüllen uns dann in die Mäntel und stärken uns durch einen gesunden Schlaf zur Weiterreise. – Was hast du, Giambattista?

    Diese Frage, in italienischer Sprache gestellt, galt dem Dritten des kleinen Trupps, einem Jüngling von kaum zwanzig Jahren, dessen dunkle Hautfarbe seine südliche Abstammung verriet.

    „Dort schimmert Feuer durch die Bäume", rief der Angeredete lebhaft und deutete nach einer Richtung, aus welcher man in der Tat ein mattes Licht herüberblinken sah.

    Die Verirrten beschlossen nach kurzer Beratung, dem Schein zuzuwandern, nur der alte Klaus erhob mancherlei Einwände gegen diesen Vorsatz. Er meinte nämlich, dass es in der jetzigen Zeit, wo das Land von Räubern wimmelte und namentlich die Spießgesellen des ‚schwarzen Dietrich‘ allerorten hausten, nicht geraten wäre, sich in eine Wohnstätte, welche mitten im dicksten Wald gelegen sei, zu wagen. Man solle wenigstens den Tag abwarten, ehe man sie aufsuche.

    Die beiden jungen Männer teilten jedoch seine Anschauungen nicht und ihrem Willen musste Klaus sich schließlich fügen. Sie schritten nun dem Lichtschimmer zu, hatten aber mannigfache Hemmnisse zu beseitigen, ehe sie demselben näher kamen.

    Endlich wurde das Dickicht lichter und mit nicht geringer Freude nahmen die Verirrten wahr, dass sie sich wenige hundert Schritt von der Spree entfernt befanden und dass ein schmaler Pfad längs derselben sich hinzog. Er führte in schnurgerader Richtung auf einen umfangreichen Sumpf zu, aus dessen Mitte sich ein ziemlich hoher Hügel erhob. Diesen bedeckten die Überbleibsel einer Wendenburg, die einstmals gar stattlich gewesen sein musste, was die gewaltigen Mauern und die zyklopischen, halb verfallenen Türme dartaten.

    Zu dieser Ruine führte in Schlangenwindungen durch Binsengestrüpp und Weidengebüsch ein schmaler Pfad, den ein Fremdling nur unter Leitung eines Führers zu überschreiten wagen durfte, denn jeder Fehltritt brachte hier sicheren Untergang.

    Der alte Klaus und Giambattista waren mit den Pferden im Dickicht zurückgeblieben, während der junge Berliner Bürger auf den Pfad hinausgetreten war, um sich zu orientieren. Doch kam er nicht weit, denn aus nicht allzu großer Entfernung schallte lautes Geräusch herüber – ein Trupp Berittener nahte sich zweifellos dem verfallenen Nest.

    Der junge Mann, der nun, wo er die Gewissheit hatte, dass er, dem Lauf der Spree folgend, Berlin erreichen müsste, in seinem Entschluss, Nachtlager in der Ruine zu suchen, wieder wankend geworden war, trat eilig in das Gebüsch zurück. Die Dunkelheit war inzwischen so dicht geworden, dass er sowie seine Gefährten den auf dem Weg Befindlichen unsichtbar blieben, während sie den Trupp ziemlich deutlich mustern konnten.

    Der Reitertrupp kam schnell herbei. An seiner Spitze ritten zwei Männer, von denen der eine wohl geeignet war, Furcht und Grauen zu erwecken. Sein sechs Fuß hoher, von herkulischer Kraft zeugender Körper war ganz in rabenschwarzes Büffelleder gekleidet. Die Beine waren bis hoch über die Knie hinauf mit Stiefeln aus ungegerbtem Leder, die überreich mit Tran eingeschmiert waren, bedeckt. Ein breiter Riemen hielt das Wams um den Leib fest und den Kopf bedeckte eine eiserne, mit Leder gefütterte Kappe. Auf der rechten Seite steckte in einer kleinen am Gurt herabhängenden Tasche ein langes Fleischermesser, dessen hölzerner Griff durch schönes Schnitzwerk verziert war, und an der linken Seite befand sich ein Schärfstahl, genau von der Art, wie ihn noch jetzt die Schlächtergesellen tragen. In der Hand schwang der Riese einen furchtbaren, an beiden Seiten mit Blei ausgegossenen Kampfstock, den er zuweilen blitzschnell zwischen den Fingern im Kreis herumlaufen ließ, als wenn er mit einer Weidengerte spielte. War die Figur, die Kleidung und Ausrüstung des Riesen schon geeignet, Schrecken einzuflößen, so wurde dieser Zweck dadurch wesentlich gefördert, dass sein Gesicht durch eine schwarze Samtmaske verhüllt war.

    Sein Begleiter war ein junger, in einen Radmantel gehüllter Mann, dessen sorgfältig gepflegter und gekräuselter Bart sowie die feine, mit Goldfäden durchzogene Halskrause einen Edelmann in ihm erkennen ließen. Unter dem geräumigen und faltenreichen Mantel trug er einen Panzer aus dem feinsten Stahl. Um die Hüften war dreifach eine Kette geschlungen, die das riesige Mailänder Schwert festhielt, und rückwärts hing an einem besonderen Ring dieser Kette der ‚Gnadegott‘, ein breiter, dreischneidiger Dolch, der ungefähr einen Fuß lang war und den Rittern jener Zeit dazu diente, dem niedergeworfenen Feind den Garaus zu machen, indem man ihn in eine Fuge der Rüstung bohrte oder durch das Visier des Helms in den Kopf stieß.

    Hinter diesen beiden Männern gingen einige kleine, schmutzige Gestalten, die durch ihre niedrigen Mützen aus Wolfsfell als Leibeigene gekennzeichnet waren. Sie trugen eine dicht verhängte Sänfte, wie sie zu jener Zeit die vornehmen Frauen benutzten. Ihnen folgten mehrere trefflich berittene und bewaffnete Knechte. Unfern der Stelle, an der die Verirrten sich aufhielten, brachte der schwarze Ritter sein Ross zum Stehen.

    „Gib das Signal, Lebrecht", gebot er dem Knappen neben ihm.

    Dieser holte unter dem Mantel ein Büffelhorn hervor, welches zierlich mit Silber ausgelegt war, und entlockte diesem schaurige Töne.

    Alsbald wurde es innerhalb der Burgruine lebendig.

    Stimmengewirr ließ sich hören, dann rasselte eine Zugbrücke nieder und in dem nun unverdeckten Tor wurden mehrere Männer, die hell lodernde Kienfackeln trugen, sichtbar.

    „Wer ist da?", schrie einer von ihnen herüber.

    „Ich bin’s, Pozdup, rief mit herrischem Ton der Riese. „Kommt schnell!

    Die wilden Gestalten mit den Fackeln setzten sich in Bewegung, noch hatten sie indes nicht den dritten Teil des gefährlichen Weges zurückgelegt, als sich unter den ihrer Harrenden eine eigentümliche, aufregende Szene abspielte.

    Die Leibeigenen hatten die Sänfte niedergelassen und einer von ihnen näherte sich mit scheuer Ängstlichkeit dem Riesen, riss in knechtischer Demut die Mütze tief herab und meldete:

    „Herr, die Frau erwacht."

    „Was, sie erwacht?, fuhr der Schwarze ihn zornig an. „Wie kann das möglich sein, wenn du meine Befehle genau befolgt hast? Hast du ihr nicht so viel von dem Schlaftrunk verabreicht, wie ich angeordnet habe?

    „Ja, Herr", antwortete bebend der Leibeigene.

    „Du lügst, donnerte der Riese. „Wenn das geschehen wäre, könnte sie noch nicht erwachen, vielmehr müsste sie bis zum nächsten Morgen schlafen. Gieljuschken, Gieljuschken, du nimmst dir in letzter Zeit viele Freiheiten heraus, aber baue nicht zu sehr auf meine Langmut. Wenn du dich noch einmal unterstehst, ungehorsam zu sein, dann lasse ich dich peitschen, dass dir das Fleisch in Stücken von den Knochen fällt.

    „Vielleicht hat Gieljuschken sich geirrt", beschwichtigte Lebrecht.

    „Lieb wäre es mir, murrte der Riese. „Wenn sie wirklich zum Bewusstsein kommt, dann wird sie ein klägliches Geschrei erheben, und derartiges Weibergewinsel ist mir in den Tod zuwider. – Horch, sie ist wirklich aufgewacht.

    Aus dem Innern der Sänfte drangen halb unterdrückte Schreckensrufe hervor, dann wurden die Hüllen gewaltsam fortgerissen und ein junges, noch nicht ganz den Mädchenjahren entwachsenes Weib stürzte heraus.

    Sie war in kostbare Stoffe gekleidet, wie nur die Frauen der vornehmsten Klassen sie zu tragen pflegten; ihr langes, goldenes Haar hing aufgelöst bis auf den Gürtel herab und eine Welt voll Jammer klang aus ihrer Stimme, als sie nun mit gellenden Tönen schrie:

    „Wo ist mein Kind – mein Knabe?"

    Niemand antwortete ihr. Die Leibeigenen wichen ehrfurchtsvoll zur Seite; des Knappen hatte sich ersichtliche Befangenheit bemächtigt, denn er wagte die Augen nicht aufzuheben, und nur der Maskierte schaute auf die Arme nieder. Zu ihm stürzte die Frau hin, warf sich auf die Knie, streckte die Arme flehend empor und rief in herzzerreißendem Ton:

    „Um der Barmherzigkeit Gottes willen sagt mir, was aus meinem Sohn geworden ist! Habt Erbarmen mit der Verzweiflung einer Mutter! Tut mit mir, was Ihr wollt; martert mich, tötet mich, aber tut meinem süßen Chlodwig kein Leid an. Oh, sprecht, wo ist er? Warum habt Ihr ihn von mir gerissen? Was wollt Ihr mit mir und meinem Kind beginnen?"

    Sie hielt erwartungsvoll inne – der Riese gab keinen Laut von sich. Die unglückliche Frau brach in erschütterndes Weinen aus, dann schluchzte sie:

    „Wer du auch seist, du Schrecklicher, der du die Gattin von dem Gatten, den Sohn von der Mutter gerissen hast, lass mich nicht dem Wahnsinn anheim fallen, indem du mir das Kind vorenthältst. Oh, gib es mir zurück und ich werde dich als meinen edelsten Wohltäter preisen mein Leben lang."

    In diesem Augenblick kamen die Knechte mit den Fackeln herbei, und nun konnten die Verborgenen sehen, dass das Antlitz der jungen Frau wunderlieblich und durch den rührenden Ausdruck der unsagbarsten Herzensangst, der sich auf ihm widerspiegelte, seltsam verklärt war.

    Der Riese wandte sich zu den Fackelträgern und rief barsch:

    „Nehmt sie mit euch!"

    Die Frau sprang empor, ihre Züge verzerrten sich, ihre Augen sprühten Blitze.

    „Du antwortest mir nicht?, schrie sie auf. „Hast du denn ein Herz von Stein, dass dich der Jammer einer Mutter, der man ihr Kind geraubt, nicht rührt? Oder wagst du nicht, mir zu antworten? Hast du meinem Söhnlein ein Leid zugefügt, es vielleicht gar – ermordet? So rede doch, auf der Stelle gib Auskunft.

    Hoch aufgerichtet stand sie da und der Ton ihrer Stimme klang gebieterisch wie der eines Menschen, der gewohnt ist, dass seinen Befehlen kein Widerspruch entgegengesetzt wird.

    Der Riese verharrte in finsterem Schweigen.

    Die unglückliche Mutter geriet in die furchtbarste Aufregung.

    „Chlodwig, mein süßer, herziger Chlodwig, jammerte sie, „man hat dich ermordet. Oh, ich kann nicht länger daran zweifeln; gar zu vielen ist daran gelegen, dass du nicht am Leben bleibst, und diesen Unhold hat man zu dem feigen Mord gedungen...

    „Nehmt sie fort" befahl der Riese zum zweiten Mal und aus seiner Stimme hallte dumpfer Groll.

    Die Leibeigenen umzingelten die Frau und wollten sie forttragen; aber mit einer Kraft, die man ihr nicht zugetraut haben würde, riss sie sich los und kreischte wild:

    „Lasst mich! – Wollt Ihr mich morden? – Was habe ich dir getan, dass du mir so schweres Herzeleid bereitest? – Fort von mir, elende Knechte! – Ich will noch nicht sterben..."

    Der Riese machte eine heftige Geste und die Leibeigenen ergriffen neuerdings die Unglückliche, welche sich mit der Kraft der Verzweiflung sträubte.

    „Fluch dir, herzloser Unmensch, schrie sie in höchster Erregung, „Fluch dir, schandbarer Mörder; sei verdammt in Zeit und Ewigkeit! – Zu Hilfe! – Ist denn niemand da, der mich rettet? – Allmächtiger Gott, so hilf du mir – lass mich nicht so elend umkommen...

    Ihre Stimme erstickte. Eine Ohnmacht raubte ihr das Bewusstsein.

    Einer von den Knechten, ein wilder, struppiger Gesell von herkulischem Körperbau, hob die leichte Last auf die Schulter.

    „Pozdup, rief der Riese ihm zu, „deiner und Gieljuschkens Obhut übergebe ich sie. Kein anderer außer euch darf sich ihr nähern. Wehe euch, wenn irgendjemand Kunde von ihrem Aufenthalt erhält oder wenn sie gar entwischen sollte – der Martertod wäre euch gewiss.

    Gieljuschken legte die Hand auf das Herz, beugte sich bis zur Erde und beteuerte mit breitem Grinsen:

    „Ihr könnt Euch auf uns verlassen, Herr! Wir werden die Frau so hüten, dass man glauben soll, sie sei nicht mehr am Leben."

    Der Riese nickte befriedigt.

    „Und nun macht, dass ihr hinüber kommt, gebot er dann. „Ich werde so lange hier warten, bis ihr glücklich in der Burg angekommen seid.

    Pozdup, Gieljuschken und die Fackelträger entfernten sich, und allmählich erstarb der Schimmer der Fackeln, bis schließlich tiefschwarze Finsternis ringsumher herrschte.

    Nachdem die Leibeigenen die Ruine erreicht hatten und auch der spärlichste Schimmer der Fackeln erloschen war, wendete der Reitertrupp die Pferde und sprengte davon.

    Die unfreiwilligen Beobachter des erschütternden Auftritts verhielten sich noch eine ganze Weile schweigsam, so heftig hatte die Erregung auf sie eingewirkt. Als sie endlich zu sprechen wagten, geschah es nur in halblautem Ton.

    „Was hat dieser schreckliche Vorfall zu bedeuten?, fragte der junge Berliner. „Wer mögen die Frau und der entsetzliche verhüllte Unhold gewesen sein?

    „Alles lässt mich vermuten, dass der Bösewicht kein anderer als der ‚schwarze Dietrich‘ gewesen sein kann, versetzte bedächtig der alte Klaus. „So, wie der Riese ausschaute, wird das Äußere des Räuberhauptmanns geschildert, und namentlich soll auch dieser stets eine Larve vor dem Gesicht tragen.

    „Aus welchem Grund?"

    „Um nicht erkannt zu werden. Man vermutet nämlich, dass der ‚schwarze Dietrich‘ ein vornehmer Herr sei."

    „Nun, Räuber sind die vornehmen Herren in den Marken fast alle. Deshalb bräuchte dieser sich also nicht ängstlich zu verhüllen."

    „Ihr habt wohl Recht, Herr Botho, bestätigte der Alte. „Vielleicht hat dieser Elende eine besondere Veranlassung, unerkannt bleiben zu wollen. Möglich ist es, dass er sich seiner Untaten, die ihm den Ruf eines Scheusals in Menschengestalt eingebracht haben, schämt.

    „Den Ruf hat er wohl verdient. Nur ein ganz entmenschter Bösewicht war einer solchen Schandtat fähig, wie wir sie eben gesehen haben, rief Botho entrüstet. „Das traurige Los der unglücklichen Mutter schneidet mir in das Herz. Es ist unzweifelhaft eine hochedle, an alle Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnte Frau. Wie furchtbar wird sie unter der entmenschten Horde in jenem verfallenen Gemäuer, wo ihr auch nicht die mindeste Annehmlichkeit geboten werden kann, zu leiden haben! Und welche Qualen erst wird die Sorge um ihr Kind ihr bereiten. – Fürwahr, ich gäbe viel darum, wenn ich die Unglückliche befreien oder wenigstens ihren Namen erfahren könnte, um sie dann gemeinsam mit ihrem Gemahl zu retten.

    Er versank in dumpfes Sinnen, welches von den Gefährten nicht gestört wurde. Endlich war er zu einem festen Entschluss gekommen. Er wollte sich in die Räuberhöhle hineinwagen, sich für einen verirrten Wanderer ausgeben und um Unterkunft bitten. Vielleicht gelang es ihm während der Nacht, sich mit der Gefangenen in Verbindung zu setzen oder sonst wie nähere Auskunft über sie zu erhalten.

    Klaus sowohl wie Giambattista waren beide außer sich vor Entsetzen über dieses vermessene Unternehmen. Sie beschworen den Kühnen, von dem Wagstück abzustehen, doch Botho erwies sich unerschütterlich. So blieb denn den Warnern schließlich nichts anderes übrig, als sich seinem Willen zu fügen; doch taten sie das nur mit äußerstem Widerstreben, und Klaus insbesondere machte seinem gepressten Herzen durch klagende Ausrufe Luft.

    „Er ist der Alte geblieben, seufzte er, „ein Brause- und Feuerkopf, der alles durchsetzen will, was er sich einmal vorgenommen hat. Gott behüte ihn davor, dass er hier nicht geradezu in das Verderben rennt. Wenn er in dem Mordnest umgebracht würde und ich vor seine alte Mutter treten sollte, um ihr diese Trauerbotschaft zu verkünden, dann, glaube ich, streckte mich ein Herzschlag nieder.

    Botho hatte sich inzwischen einen Ranzen auf die Schultern gelegt, um sich das Aussehen eines Wanderers zu geben, sowie von einem Erlengebüsch einen tüchtigen Knüttel abgeschnitten; dann schritt er wohlgemut dem nahen Sumpf zu. An dessen Rand angelangt, erhob er ein lautes Geschrei, wodurch sehr bald einer von den unheimlichen Bewohnern der Ruine an die Pforte gelockt wurde.

    „Wer seid Ihr und was begehrt Ihr?", schrie er dem jungen Wagehals zu.

    „Ich habe mich in dieser Wildnis verirrt und bitte um ein Nachtlager und einen Führer, der mich auf den Weg nach Berlin geleitet."

    „Beides könnt Ihr haben, versicherte der Leibeigene, „geduldet Euch noch einige Zeit, dann werde ich Euch herüber holen.

    Er verschwand und es verging wohl eine Viertelstunde, ohne dass er wieder erschien. Wahrscheinlich beriet er sich mit seinen Genossen, ob er den Fremdling einlassen sollte; vielleicht auch beratschlagte die Sippe über böse Anschläge. Botho konnte doch nicht verhindern, dass ihn ein unheimliches Gefühl beschlich, als er daran dachte, dass er, einmal in jener Höhle eingeschlossen, rettungslos verloren war, sollte ihm die Bande nach dem Leben trachten. Selbst ein Fluchtversuch war unmöglich, weil er ja nicht den Steg durch den Morast finden konnte. Doch der kühne Jugendmut, die Neigung zu Abenteuern, die ihn schon in den Tagen der Kindheit zu tollen Streichen verführt hatten, und die Begierde, Auskunft über die unglückliche Gefangene zu erhalten, vielleicht gar mit derselben zusammenkommen zu können, halfen ihm die Bangigkeit bald zu überwinden, sodass er dem wilden Gesellen, der endlich kam, ihn zu holen, eine entschlossene Miene zeigen konnte.

    Ein rauchgeschwärztes, vor Schmutz starrendes Zimmer war es, in das der Führer ihn zuerst leitete. Dort saßen an einem plumpen Holztisch zehn bis zwölf Burschen, von denen einer Abscheu erregender und tückischer ausschaute als der andere, und zechten aus großen Holzkannen Gardelegener Bier, welches damals allgemein beliebt war.[6]

    Einer aus der Horde, ein vierschrötiger Mann, erhob sich, den Gast willkommen zu heißen. Botho erkannte ihn sofort – es war Pozdup, der wahrscheinlich als Kastellan in der Ruine fungierte.

    Pozdup prüfte den Fremdling genau, warf gierige Blicke auf den Ranzen und betrachtete mit sichtlichem Wohlgefallen die feine Kleidung. Dann bat er Botho, ihm in das Nebenzimmer zu folgen. Dort sah es ein wenig freundlicher aus, und auch für die Bequemlichkeit war besser gesorgt, indem statt der rohen Holzbänke ein hoch aufgeschüttetes Ruhelager von Stroh, über welches Bärenfälle gebreitet waren, sich vor einem kleinen Tisch befand.

    Botho warf den Ranzen auf den Boden und ließ sich auf dem Lager nieder, während Pozdup seiner Tochter Jadwiga zurief, dass sie für den Gast einen Abendimbiss zubereiten sollte. Dieser war bald zur Stelle, er bestand aus gerösteten Fischen und Roggenkuchen.

    Jadwiga war ein ganz hübsches Mädchen und sie hätte auf Botho einen guten Eindruck gemacht, wenn nicht die krankhafte Farbe ihres Gesichts und ihr seltsames Wesen ihn unangenehm berührt hätten. Sie betrachtete ihn mit so auffallender, scheuer Ängstlichkeit, dass sogar Pozdup, der eben eine riesige Kanne voll Bier hereinbrachte, darauf aufmerksam wurde. Rau fuhr er die Tochter an und hieß sie sich entfernen, während er mit möglichst freundlichen Worten den Gast einlud, es sich wohl sein zu lassen. Dann ging auch er hinaus und unmittelbar darauf verstummte das lebhafte Geschwätz im Nebenzimmer, um einem kaum hörbaren Geflüster Platz zu machen.

    Während sich Botho durch Speise und Trank erquickte, aufmerksam das Zimmer musterte und angestrengt lauschte, ob nicht irgendein Geräusch die Anwesenheit noch anderer Menschen als der wilden Horde verriet, spielte sich in der stark verfallenen Vorhalle, die zugleich als Küche diente, eine eigentümliche Szene ab.

    Pozdup hatte aus einem umfangreichen Fass eine grünliche Flüssigkeit, die, nach dem Duft zu schließen, Met sein musste, in eine kleine Kanne gezapft; dann nahm er aus einem riesigen Schrank ein kleines Blechgefäß, goss einige Tropfen von der darin enthaltenen Flüssigkeit in den Becher und wollte forteilen, als Jadwiga ihm den Weg vertrat.

    Die Mischung der Substanzen diente sicherlich keinem guten Zweck, denn das Mädchen hatte den Vorbereitungen, die ihr Vater traf, mit unverkennbarer Herzensangst zugeschaut. Sie rang hart mit einem Entschluss, und als der Alte sich entfernen wollte, raffte sie ihren ganzen Mut zusammen und hielt ihn zurück.

    Pozdup blickte sie erstaunt an.

    „Was willst du?", fragte er barsch.

    „Vater, flehte das Mädchen, „morde ihn nicht! Lass nur diesen am Leben! Tu es aus Liebe zu mir.

    „Was fällt dir ein?, widersprach Pozdup. „Solchen guten Fang sich entgehen zu lassen, wäre eine Torheit. Die Kleidung, die er trägt, ist allein einige Schock böhmischer Groschen wert und sein Ranzen wird gewiss wertvolle Sachen enthalten. Überdies ist es einer von den vermaledeiten Deutschen, die uns Wenden geknechtet haben und wie Hunde behandeln. Ich hasse dieses hochmütige Volk glühend, und könnte ich sie alle verderben, dann würde ich es mit Freuden tun. Warum also sollte ich diesen schonen?

    Jadwiga rang nach Atem.

    „Er ist ein gar so junges Blut, Vater..."

    „Und hat ein so hübsches Gesicht, dass die Dirne sich sofort in ihn verliebt", rief in diesem Augenblick höhnisch ein Mensch, der unbemerkt Zuhörer des Gesprächs gewesen war. Dieser Kerl trug eine wahrhaft abschreckende Hässlichkeit zur Schau. Nicht allein zeigte sein Gesicht alle Mängel und nicht einen einzigen Vorzug der slawischen Rasse, eine breite Nase, dicke, aufgeworfene Lippen, kleine, schiefgeschlitzte, schielende Augen und weit vorstehende Backenknochen, sondern auch einen Ausdruck geistiger Verkommenheit und sinnlicher Vertiertheit, der Abscheu erregen musste.

    „Die holde Jadwiga fleht um Mitleid mit dem schönen Deutschen, ha, ha, grinste er und lallte nur mühsam die Worte hervor, denn er war halb berauscht, „schau, schau, welches gütige Herz sie hat! Was ein hübsches Gesicht nicht bewirken kann! Wäre der Fremde nicht so schön, dann würde sie ihn ruhig hinschlachten lassen wie alle andern, und ich glaube, wenn ich, ihr Verlobter, an des Deutschen Stelle wäre, würde sie nicht so ängstlich um mein Leben bitten.

    „Gewiss nicht, beteuerte Jadwiga und warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Du bist ein so verruchter Bösewicht, Wratislaw, dass es gut wäre, wenn dich der Tod je früher, je lieber zu sich nähme. Für dich zu bitten, würde mir nicht einfallen, im Gegenteil, ich wäre froh, wenn dich jemand aus der Welt schaffte.

    Aus Wratislaws Augen schossen tückische Blitze auf die Kühne, dann knirschte er wutentbrannt:

    „Das sagst du mir, deinem Verlobten, Dirne? Warte, ich werde dir Achtung vor mir einprügeln, lass mich nur erst dein Mann sein."

    „Bildest du dir wirklich ein, dass du je mein Mann werden könntest?, rief Jadwiga aufflammend. „Ehe das geschähe, stieße ich dir lieber mit eigener Hand ein Messer in dein verruchtes Herz.

    Wratislaw fuhr wild auf und schien nicht übel Lust zu haben, das angekündigte Zuchtmittel schon jetzt zur Anwendung zu bringen, wenn nicht Pozdup ihn mit starkem Arm zurückgehalten hätte.

    „Mäßige dich, Wratislaw, mahnte er. „Wenn du dich so gewalttätig zeigst, kann die Dirne keine Zuneigung für dich empfinden.

    „Sie reizt mich ja unaufhörlich, grollte der Hässliche, „und sie weiß doch, dass ich heißes Blut habe.

    Beide traten in das Nebenzimmer. Jadwiga stand eine kurze Weile regungslos da. Sie hatte beide Hände auf das Herz gedrückt und atmete schwer. Dann richtete sie den Blick gen Himmel.

    „Allmächtiger Gott, flüsterte sie, „hilf mir, ihn zu retten. Noch nie in meinem Leben habe ich ein ähnliches Gefühl empfunden, wie bei dem Anblick dieses jungen Fremden. Wenn er vor meinen Augen umgebracht werden, wenn ich sein verzweiflungsvolles Hilfegeschrei hören sollte, ohne ihm Beistand leisten zu können, dann müsste ich vergehen vor Herzeleid.

    Sie blieb sinnend einige Sekunden stumm.

    „Er darf den Schlaftrunk nicht genießen, murmelte sie darauf vor sich hin, „weil dann seine Rettung unmöglich wäre. Aber wie soll ich ihn daran hindern? – Mein Gott, was überlege ich noch? Ystralowe wird ihn warnen. Zwar hasst auch er die Deutschen, aber er wird es um meinetwillen tun.

    Pozdup hatte sich, den Becher in der Hand, mit freundlichem Grinsen dem jungen Deutschen genähert.

    „Trinkt Herr, bat er, Botho den Krug reichend, „es ist ein Trank, der Euch wohl bekommen wird, alter feuriger Met, der dem erschlafften Körper neue Kraft und belebendes Feuer verleiht.

    Botho setzte den Becher an die Lippen, doch trank er nicht, starrer Schreck lähmte ihn. Genau seinem Sitz gegenüber tat sich geräuschlos die Wand auseinander und in der Öffnung erschien, in ein langes weißes Gewand gehüllt, ein Greis mit schneeweißem Haupt- und Barthaar, machte eine warnende Gebärde und verschwand wieder.

    Pozdup, dem der plötzliche starre Ausdruck in Bothos Gesicht auffiel, wandte sich schnell um, erblickte jedoch nichts, da die Wand sich bereits geschlossen hatte.

    Botho benutzte diesen Moment dazu, die Hälfte des Getränks unter den Tisch zu gießen, dann hob er den Becher schnell an den Mund und tat scheinbar mehrere tiefe Züge.

    Jadwiga, die gerade in diesem Augenblick in die Tür trat, war hoch beglückt, als sie Bothos Beginnen bemerkte, und auch Pozdup zeigte eine zufriedene Miene, als er, sich umwendend, sah, wie der Gast gierig trank.

    „Euer Met ist gut, lobte Botho, indem er den Becher auf den Tisch stellte, „doch nun bin ich vollständig gesättigt und sehne mich nach Ruhe. Lasst mir einen Raum anweisen, wo ich mich niederlegen kann.

    Jadwiga huschte fort.

    Pozdup ergriff einen hellodernden Kienspan, welcher bisher in einer Eisenklammer gesteckt hatte, und bat seinen Gast, ihm zu folgen.

    Durch lange, schuttbedeckte Gänge und über wacklige Treppen ging es dahin. – Der Weg schien endlos zu sein. Botho gelangte immer mehr zu der Einsicht, dass er doch zu viel gewagt hatte, indem er sich in dieses Raubnest begeben hatte. Er war den wilden Bewohnern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und dass ihm Gefahr drohte, glaubte er mit Gewissheit annehmen zu dürfen. Der rätselhafte Greis hatte ihm einen so besorgten Blick zugeworfen, dass er an der Nähe des Unheils nicht zweifeln konnte. Wenigstens, so nahm er sich vor, wollte er sein Leben teuer verkaufen.

    Plötzlich – geschah es absichtlich oder nicht? – verlosch der Span, sodass undurchdringliche Finsternis den Raum erfüllte.

    „Gebt mir die Hand, gebot Pozdup. „Wir sind gleich an Ort und Stelle.

    Eben waren sie im Begriff, eine Treppe zu erklimmen, als aus der Tiefe her, wahrscheinlich aus einem Verlies der Burg, schauerliches Kettengerassel herauftönte, und gleichzeitig heulte eine gräuliche Stimme in lang gezogenen Absätzen:

    „Fluch euch, ihr Mörder, Fluch!"

    Botho stockte für einen Moment das Blut. Sein Haar sträubte sich vor grausem Entsetzen und ein krampfhaftes Beben erschütterte seinen ganzen Körper.

    „Was hat das zu bedeuten?", fragte er mit zitternder Stimme seinen Führer.

    „Es ist ein Verrückter, der sich so rasend gebärdet, dass wir ihn in Ketten legen mussten", erwiderte Pozdup in schroffem Ton, aus dem man heraushörte, dass ihm dieser Zwischenfall höchst peinlich war und dass er keine Lust hatte, weitere Fragen zu beantworten.

    Botho ließ ihn denn auch unbehelligt; auch ohne dass es ihm jemand sagte, wusste er ja nun, dass dieses alte Gemäuer furchtbare Geheimnisse in seinem Innern barg.

    „Hier ist Euere Schlafstatt, sagte bald darauf Pozdup, indem er eine Tür aufstieß. „Ihr werdet Euch wohl ohne Licht behelfen können. Schlaft wohl! Morgen früh lasse ich Euch auf den Weg nach Berlin führen.

    Er ging fort.

    Botho lauschte, bis der Schall seiner schweren Tritte in der Ferne verhallte; dann untersuchte er das Zimmer, so weit die Dunkelheit das zuließ.

    Es war ein geräumiges Gemach mit einem hohen Spitzbogenfenster, dessen winzige, runde Scheiben in Blei eingefasst waren. Vor dem Fenster war ein starkes Eisengitter angebracht. An einer Wand befand sich das Lager, ein großer Haufen von Blättern, der mit Fellen bedeckt war. Als Botho die Tür untersuchte, wurde er freudig überrascht, denn an ihrer Innenseite befand sich ein Riegel. Sollte seine Besorgnis doch unbegründet sein? Durch Tür und Fenster konnte niemand eindringen und in den Wänden befand sich keine geheime Tür, wie er sich durch Pochen vergewisserte. Vielleicht waren die Bewohner der Ruine nicht so bösartig, wie seine erregte Fantasie ihm vorgespiegelt hatte und wie ihr wildes Aussehen vermuten ließ. Aber der mysteriöse Greis und das grausige Geheul?

    Nun erst, wo er Muße zu ruhigem Nachdenken gewonnen hatte, fiel ihm ein, dass er sich ja hauptsächlich zu dem Zweck in das Räubernest gewagt hatte, um nach der Gefangenen zu forschen. Doch musste er jetzt bekennen, dass sein Vorhaben unausführbar war. Nicht nur war es für ihn ganz unmöglich, sich in den vielfach verschlungenen Gängen zurechtzufinden, sondern er musste auch fürchten, sich durch ein Geräusch zu verraten. Er hatte schon mehrfach Gelegenheit gehabt, wahrzunehmen, dass dicke Mauern den Schall mit unglaublicher Stärke und Deutlichkeit weiterleiten. Er musste deshalb fürchten, durch irgendeinen Fehltritt, einen Stoß gegen die Wand die Sippe auf seine Spionage aufmerksam zu machen, und dann hatte er wohl das Schlimmste zu gewärtigen, da die Wächter der Ruine sicher nicht einen Spion mit heiler Haut hätten ziehen lassen.

    Von dieser Erkenntnis durchdrungen, beschloss Botho, während der Nacht untätig zu bleiben, dagegen am nächsten

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