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Karl May im Kreuzfeuer
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eBook184 Seiten2 Stunden

Karl May im Kreuzfeuer

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Über dieses E-Book

Anti-Karl-May-Diskussionen überfallen den Menschen periodisch wie die Grippe. Obwohl der »herrliche sächsische Lügenbold« (Hermann Kant) schon vor über 100 Jahren in die »ewigen Jagdgründe« einging, bringt er nach wie vor Gemüter zum Kochen und Tastaturen zum Glühen. Im Sommer 2022 ging der Streit um den Schöpfer von Winnetou und Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef in eine neue Runde. Auslöser war die Verlagsrücknahme von Begleitpublikationen zum Kinderfilm »Der junge Häuptling Winnetou«. Auch wenn der Film bis auf den Titel mit Karl May so viel zu tun hat wie eine Mozartkugel mit »Don Giovanni«, brauchte es nur wenige Mausclicks, bis auch der Autor ins Kreuzfeuer geriet. Über Nacht schossen Karl-May-Spezialisten wie Pilze aus dem Boden. Sie fanden Überraschendes heraus: Rassist, gar Antisemit, ja sogar Inspirator und Ideenlieferant der SS, von Hitler und Himmler, sei der 1912 Verstorbene gewesen.
Karl-May-Biograf Thomas Kramer, der seit Jahrzehnten zu May forscht und arbeitet, ist diesen Vorwürfen sachlich und unaufgeregt, dafür mit viel Humor nachgegangen. Sein Urteil fällt eindeutig aus.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Juni 2023
ISBN9783374074242
Karl May im Kreuzfeuer
Autor

Thomas Kramer

Thomas Kramer, Dr. phil., Jahrgang 1959, habilitierte sich nach Studium und Promotion in Leipzig 2001 an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach Neue Deutsche Literatur. Heute lebt und arbeitet er als Ausstellungskurator und Autor in Berlin, wo er als Literaturwissenschaftler an der Humboldt-Universität lehrt. In den vergangenen Jahrzehnten legte er u. a. zahlreiche Publikationen zu Leben, Werk und Wirkung Karl Mays, zu internationalen Unterhaltungsmedien, populären Medien der DDR und zur Historie wie zu Geschichtsbildern des Nahen Ostens vor.

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    Buchvorschau

    Karl May im Kreuzfeuer - Thomas Kramer

    Antisemit! Antisemit?

    War er, oder war er nicht? Die Frage, ob Karl May Antisemit war, beschäftigt seit Langem Freunde, Bewunderer und – neuerdings natürlich wieder – seine Kritiker und Feinde. Und da ist noch die Sache mit dem „Führer. Angeblich war Karl May doch der Lieblingsautor Adolf Hitlers. Das genügt noch Jahrzehnte nach dessen allzu später Höllenfahrt als Autoritätsbeweis. Hat er doch bei uns und anderswo längst wieder eine zunehmende Anhängerschaft. Und als Totschlagargument ist er allemal von Nutzen. Doch was kann ein Künstler oder Autor für seine Bewunderer? John Lennon wurde von einem seiner größten Fans auf offener Straße erschossen – sollte man „Give Peace a Chance oder „Imagine nicht besser auf den Index setzen, da die Titel augenscheinlich unterschwellig Mörderinstinkte wecken? Und was wird aus „Rheingold und „Parsifal? Woody Allen meinte einmal: „Immer, wenn ich Wagner höre, habe ich das Bedürfnis, in Polen einzumarschieren. Da liegt der Fall einfacher: Spätestens mit der Lektüre von „Das Judentum in der Musik des Komponisten mit Welterlösungswahn muss auch dem größten Bayreuth-Aficionado klar werden, warum gerade Mays sächsischer Landsmann zum Lieblingskomponisten Hitlers avancierte. Ähnlich liegt der Fall bei drei anderen Zeitgenossen des laut DDR-Autor Hermann Kant „herrlichen sächsischen Lügenbolds: Karl Marx, Friedrich Engels und Sir John Retcliffe. Im Unterschied zu May entwarfen alle drei bis heute nachwirkende Weltverschwörungstheorien mit Völkermordpotential. Doch davon später.

    Im Jahr 1919 erschien unter dem damit zu meinem Leidwesen bereits vergebenen Titel „Eine Lanze für Karl May eine Streitschrift des Verlegers Euchar A. Schmid. Darin verteidigt der Herausgeber von „Karl Mays gesammelten Werken den 1912 verstorbenen Autor gegen einen diskreditierenden Nachruf. Einleitend bemerkt Schmid: „Durch die Presse gingen während des letzten Halbjahrs zahlreiche mehr oder weniger ausführliche Mitteilungen über eine neue Hetze gegen Karl May, und zwar wurden darin die Angreifer fast einstimmig verurteilt, obwohl der Öffentlichkeit bisher noch nicht das gesamte Material zugänglich war."

    103 Jahre später, 2022, ging wieder einmal vieles für und noch mehr wider Karl May und seine Romane durch die Presse. Zum Geleit der zweiten Auflage bemerkte Schmid Ende 1925: „Vieles hat sich seither geändert. Die Zeit, in der Karl Mays Name schutzlos jeder Verunglimpfung ausgesetzt war, ist vorüber. Da hatte er sich aber gründlich geirrt. Der 1951 Verstorbene kannte die sozialen Medien noch nicht. Nun überfallen Anti-Karl-May-Diskussionen den deutschen Menschen jeglicher politischer Couleur periodisch wie die Grippe. Die erste Welle überrollte den bis dahin erfolgsverwöhnten Autor bereits zu Lebzeiten und gefror zu einem eisigen Sargnagel. Damals ging es vor allem um seine angeblich moralisch fragwürdigen Kolportageromane und die „Old Shatterhand-Legende, also die Behauptung des Autors, er wäre mit seinen Superhelden identisch. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus verlagerte sich die Kritik in die politische Sphäre. Rechte kritisieren seine Texte als christlich-humanitätsduselnd, bigott, pazifistisch, kosmopolitisch und rassenverbrüdernd. Linke wiederum halten ihm die Vermittlung von kolonialistischem, nationalistischem, imperialistischem, rassistischem und – eher neuerdings – explizit antisemitischem Gedankengut vor. Thomas Manns Sohn Klaus prägte den gängigen Slogan vom „Cowboy-Mentor of the Führer. Spätestens seit dem Skandal um die Hitler-Tagebücher des STERN – inzwischen schon wieder selbst zweimal erfolgreich verfilmt – ist offensichtlich, wie öffentlichkeitswirksam alles ist, was in Zusammenhang mit dem bekanntesten Sohn Braunaus in Verbindung gebracht wird. FÜHRER SELLS! Stets brodelt dieser Aspekt auch in der Auseinandersetzung mit Karl Mays Werk braunsoßig mit. Selbst ansonsten Literaturbegeisterte, die eigentlich postmoderne Vexierspiele mögen, zeigen sich Karl May gegenüber häufig irritierend spießig: „Der war doch gar nicht selbst in Amerika (was noch nicht mal stimmt), „der hat Identitäten frei erfunden (na und?), „alles nur geklaut und abgeschrieben (er war ja auch Erzähler und kein Wissenschaftler).

    Auslöser der gesamten Debatte von 2022 war nicht einmal ein Werk des Autors. Der Verlag RAVENSBURGER hatte aufgrund von Protesten einer Reihe von Indigenen drei Begleitpublikationen zu dem Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou zurückgezogen. Aber es bedurfte nur weniger Klicks, um bei Karl May, mit dem der Film lediglich die Namen des Titelhelden und einiger Protagonisten gemein hat, zu landen. Unter der Flagge der Karl-May-Befürworter sammelten sich schnell falsche Freunde. Karl May konnte sich ja nicht mehr wehren, hätte sich aber bestimmt nicht gerne von ihnen vereinnahmen lassen. Populisten riefen wieder einmal den Untergang des Abendlandes aus, verursacht von einer Bande woker „grünrotversiffter Chaoten, die sich anschickten, urdeutsches Kulturgut auf dem Altar der „political correctness zu opfern. Durch die sozialen Netzwerke ging das Geraune von einem bevorstehenden „Winnetou-Verbot. Dass es dafür keinerlei Anhaltspunkte gab, spielte keine Rolle. Wahrscheinlich hatte sogar Bill Gates seine Hand im Spiel, der dem deutschen Menschen unter dem Vorwand der COVID-Impfung das Karl-May-Gen entfernt, um es durch von der CIA (und/oder Mossad) in unterirdischen Wall-Street-Laboren gezüchtete amerikanische Verblödungsviren zu ersetzen. Wie bei ähnlichen Vorgängerdebatten bis in die Weimarer Republik ging es natürlich nur vordergründig um den kulturellen Gegenstand; man prügelte den Sack und meinte den Esel. Rechtsaußen nutzte die Debatte für einen Rundumschlag auf das verhasste politische System. An einer sachlichen, gar kritischen, Auseinandersetzung mit Karl Mays Texten ist man in diesem Spektrum nicht interessiert. Doch auch jenseits dieser Klientel kochte man durchsichtige politische Süppchen. Unvergesslich bleibt in diesem Zusammenhang der Auftritt Hubert Aiwangers, zum Zeitpunkt der Diskussion immerhin stellvertretender Ministerpräsident von Bayern. Bei einem Volksfest posierte er im Bierzelt neben dem kostümierten Winnetou-Darsteller der Westernstadt Pullmann City. Der Freie Wähler-Chef schloss seine Philippika mit dem Ruf „Es lebe Bayern, Deutschland, Winnetou und die Meinungsfreiheit". Nun machte ich mir tatsächlich Sorgen um die Zukunft des Abenlandes …

    Und schon war auch – in Anlehnung an den Titel eines Bestsellers – ER „wieder da. O-Ton aus einem Interview: „Es ist kein Zufall, dass Adolf Hitler und SS-Chef Himmler große Karl-May-Fans waren. Teile ihrer Ostbesatzungspolitik, die Vorstellung wie dort deutsche Kolonialist*innen angesiedelt werden, orientiert sich an Vorstellungen von der ‚Eroberung des Wilden Westens‘, wie sie sie aus den Büchern Karl Mays entnommen haben. Das ist eingeschrieben in das Werk von Karl May. Das ändert nichts an seiner Person. Das meint der Hamburger Historiker, Professor für die Geschichte Afrikas, Jürgen Zimmerer. Nachdem er einst jugendlicher Karl-May-Begeisterung frönte, schaute er nun kürzlich wieder in diese Objekte adoleszenter Lektüre: „Es war eine deutliche Enttäuschung, nach dem Motto, wie konnte ich in meiner Jugend begeistert sein und das nicht merken, den Antisemitismus, den Rassismus in den Werken."

    Jürgen Zimmerer stieg am 23. August 2022 via Twitter in die Debatte um Karl May ein: „Da #Winnetou und #KarlMay trendet. Hier ein kurzer Thread, warum ich diese Romane für zutiefst kolonial halte, vom enthaltenen #Rassismus und #Antisemitismus ganz zu schweigen. Das Setting ist die genozidale Eroberung der nordamerikanischen Frontier."

    Am 12. September 2022 legte er in einem Interview mit der Zeitung NEUES DEUTSCHLAND nach: „Dabei ist Karl May nicht nur voller rassistischer Beschreibungen, sondern auch mit antisemitischen Klischees durchsetzt."

    Jürgen Zimmerer, Jahrgang 1965, hat Karl May also Mitte der Siebzigerjahre gelesen. Es handelte sich dabei zweifellos um die allerdings stark bearbeiteten „grünen Bände des Karl May-Verlages. Karl Mays Originaltexte, auf die ich mich beziehe, werden seit 1987 in Gestalt einer historisch-kritischen Ausgabe als Grundlage jeder ernsthaften wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk editiert. In erwähntem Interview mit dem NEUEN DEUTSCHLAND behauptet er beispielsweise: „In ‚Winnetou III‘ wird er [Winnetou] erschossen. Er schützt seinen Blutsbruder und in seinen letzten Worten konvertiert er zum Christentum. Allerdings: Nur im Film „Winnetou III" von 1965, der mit der literarischen Vorlage kaum noch etwas gemein hat, rettet der Häuptling seinen Blutsbruder, indem er sich in die Schussbahn der für Old Shatterhand bestimmten Kugel wirft. Im Buch registriert der lediglich entsetzt Winnetous tödliche Verwundung.

    Auf Jürgen Zimmerers überraschende Erkenntnis, dass die bei May geschilderte Besiedlung des amerikanischen Westens die Nazis bei ihrer Besatzungspolitik inspiriert habe, werde ich später eingehen.

    Zunächst zurück zum Führer und seinem Paladin Himmler. Dass beide Karl-May-Leser waren, ist tatsächlich „kein Zufall. Schließlich war er der Lieblingsautor ihrer Generation. Die Geschichte mit den „großen Fans ist aufgrund von Hitlers Lektürepräferenz noch halbrichtig. Aber selbst wenn der Reichsführer SS Karl May zur Kenntnis genommen haben muss – ein Fan des Autors, geschweige denn ein „großer, wurde er dadurch nicht. In der breiten Literatur über Heinrich Himmler taucht der Radebeuler Fantast nur einmal namentlich in Bezug auf einen anderen Schriftsteller auf. Anders bei Himmlers Führer. Die literarische Passion für Winnetou & Co. teilte der übrigens mit dem von Freikorpskollegen 1919 ermordeten Karl Liebknecht oder dem von seinen Bestien 1934 gefolterten und erhängten Erich Mühsam. Im Holocaust-Memorial in Washington finden sich protokollierte Aussagen von Überlebenden der Shoa, die davon berichten, wie auch und gerade Karl-May-Lektüre ihre literarische Sozialisation prägte. Kinder jüdischer Familien nahmen den „Schatz im Silbersee als ihren wertvollsten Besitz mit in die amerikanische Emigration und wunderten sich nicht schlecht, dass ihre neuen Klassenkameraden in Brooklyn oder San Francisco nie etwas von Winnetou oder Shatterhand gehört hatten. Auf der anderen Seite stehen prominente Nazis wie Sachsens sadistischer Gauleiter Mutschmann oder der Reichsleiter des nationalsozialistischen Lehrerbundes Hans Schemm. Besuchte der eine mit „alten Kämpfern das Karl-May-Museum in Radebeul und die Karl-May-Spiele der Felsenbühne Rathen, so forderte der andere von der deutschen Jugend „Karl-May-Gesinnung. In einem Bildband zu den Karl-May-Spielen 1940 in Rathen heißt es im Vorwort im Sinne der beliebten Gleichsetzung von Germanen und Indianern bei nationalkonservativen Indianerbuch-Autoren wie alten und neuen Rechten: „Vielleicht liegt unsere Anteilnahme am tragischen Untergang der roten Rasse […] auch in der eigenen völkischen Notwendigkeit begründet, die uns Deutsche seit Jahrtausenden zwang, sich gegen das Eindringen einer artfremden Kultur zu wehren. In einem dem Text- und Fototeil vorangestellten Gedicht zu „Das Vermächtnis des alten Indianers im Stil Uhlands wird der Schatz im Silbersee in die Nähe des Nibelungenhortes gerückt: „Im Silbersee vergessen ruht ein verborgner Hort / Von Golde unermessen, ein Zauber bannt ihn dort / Geheimnisvolles Klingen raunt auf aus tiefem Schacht, Wer ihn ans Licht will bringen, den zieht’s in ew’ge Nacht. In diesen Dramatisierungen der NS-Zeit war Gelegenheit, Mays deutsche Helden blond und heroisch agieren zu lassen. Bei den Karl-May-Spielen in Werder a. d. Havel 1940 hatte Hans Adalbert von Schlettow, der – allerdings dunkelhaarige – Hagen der „Nibelungen-Filme Fritz Langs, den Part des Schurken Santer inne. Aus Karl May kann seit jeher jeder herauslesen, was ihm behagt – Romantik, exotische Schauplätze und Helden mit Vorbildwirkung faszinieren das jugendliche Lesepublikum stets. Entstammen die Helden dazu noch wie bei Karl May dem vertrauten eigenen deutschsprachigen Kulturkreis, ist man bereit, alles Irritierende auszublenden – von links wie rechts. Nicht zuletzt sichert gerade dieser Aspekt dem Werk des Sachsen seit über hundert Jahren seine systemübergreifende Beliebtheit. Ein Meister moderner Vermittlungsformen, schafft er es problemlos, solch unterschiedliche Charaktere wie Reichskanzler Adolf Hitler und Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki zu beschäftigen. Und dem nicht genug: Gezielt bedient Karl May gleichzeitig Lesebedürfnisse ganz spezifischer Zielgruppen. So schreibt er eine Reihe von Jugenderzählungen, in denen Heranwachsende eine wichtige Rolle spielen. Zurück zu den Lektürepräferenzen des noch immer so populären „Führers: Es existieren zahlreiche Aussagen Dritter zu dessen Karl May-Begeisterung; der Amerikaner Timothy W. Ryback hat sie in seiner Monographie „Hitlers Bücher. Seine Bibliothek. Sein Denken akribisch zusammengetragen. Eine populäre und für die negative Rezeption folgenreiche Aussage stammt von dem Journalisten Robert Achenbach, der 1933 Hitler für eine Art Homestory auf dem Obersalzberg besuchte: „Auf einem Bücherbord stehen politische und staatswissenschaftliche Werke, einige

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