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Mit harten Bandagen
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eBook596 Seiten7 Stunden

Mit harten Bandagen

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Über dieses E-Book

Auf der Rennbahn im Krefelder Stadtwald kommt es zu einem Zwischenfall: Der Reiter Luca Batic stürzt vom Pferd und muss schwer verletzt in die Klinik gebracht werden. Patrick Rosen, ein am Rennen beteiligter Jockey, glaubt nicht an einen Unfall, zudem Luca ihn zuvor noch um ein ausführliches Gespräch gebeten hat. Die Polizei zögert zunächst mit den Ermittlungen, doch mehr und mehr Unsicherheit steigt in Patrick und einigen anderen Jockeys auf. Die Kollegen ermitteln auf eigene Faust und geraten dabei ins Netz der organisierten Kriminalität.
SpracheDeutsch
Herausgebernovum pro Verlag
Erscheinungsdatum10. März 2010
ISBN9783990036488
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    Buchvorschau

    Mit harten Bandagen - Margarita Friedrichs

    Verlag

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

    Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    © 2010 novum publishing gmbh

    ISBN Printausgabe: 978-3-99003-130-8

    ISBN e-book: 978-3-99003-376-0

    Lektorat: Sigrid Jost-Topitsch

    Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.

    www.novumpro.com

    AUSTRIA · GERMANY · HUNGARY · SPAIN · SWITZERLAND

    Für all jene Männer und Frauen, die als Amateure und als Berufsrennreiter/innen immer wieder auf den großen und auch kleinen Galopprennbahnen in Deutschland und weltweit in den Sattel steigen und zusammen mit ihren Partnern, den Pferden, ihr Können unter Beweis stellen. Ihnen allen gilt meine große Wertschätzung. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin Hals und Bein.

    Danksagung

    Wen die Faszination Galopprennsport einmal gepackt hat, den lässt sie nie wieder los. So erging es auch mir. Aus dieser Faszination heraus haben einige unserer Topjockeys mich zu dieser Geschichte inspiriert.

    Die nötigen Informationen, die ich über meine Fantasie hinaus brauchte –, Interviews mit den Jockeys oder auch Berichte über die Rennen –, habe ich mir aus dem Archiv und aus der aktuellen Berichterstattung bei GaloppOnline.de geholt.

    Dafür geht mein Dank an die Herren, Michael Hähn, -Peter Scheid, Kurt Bayer und Guido Göbel.

    Weiter habe ich mir Literatur über Galopprennpferde besorgt. Hier muss ich mich ganz herzlich beim Team von -Godolphin Books für die kompetente und auch sehr freundliche Unterstützung bedanken.

    Ein weiterer Dank geht an meine Bekannte Erna Swo-boda. Sie war es, die mich mit zur Rennbahn im Krefelder Stadtwald genommen hat, wo die Geschichte ja auch ihren Anfang nimmt. Sie war es, die mich immer wieder angetrieben hat, wenn ich mit meiner Geschichte nicht weitergekommen bin. Ohne ihre Energie und Hartnäckigkeit hätte ich diese Geschichte wohl nie zu Ende geschrieben.

    Zuletzt muss ich mich noch beim Verlagsteam bedanken.

    Ich habe die Geschichte nur geschrieben, doch das fertige Produkt, so wie Sie, lieber Leser, es jetzt in Händen halten, ist im Verlag entstanden.

    Und da geht mein besonderer Dank an Frau Nicole Bader. Sie begleitet mein Manuskript von der ersten Sekunde bis zum fertigen Buch. Ein weiterer Dank geht an Frau Marianne Blazovich, sie sorgt im Vertrieb dafür, dass Sie, liebe Leser, das Buch schnellstmöglich in Händen halten können.

    Sie sehen also, ein Buch schreibt niemals einer alleine. Und ich hoffe, keine der zahlreichen helfenden Hände vergessen zu haben.

    In diesem Sinne wünsche ich Ihnen spannende Unterhaltung bei der Lektüre und verbleibe herzlichst,

    Margarita Friedrichs

    Im Januar 2010

    1

    Für Topjockey Patrick Rosen hatte der Tag schon schlecht begonnen, und irgendwie ahnte er auch, dass wohl noch so einiges auf ihn zukommen würde. So ziemlich als Letzter traf er dann auch im Stall in Weidenpesch ein, was ihm diesmal allerdings sogleich einen Rüffel vom Trainer einbrachte.

    „Tut mir leid, wird nicht wieder vorkommen", entschuldigte Patrick sich sofort. Irgendwie schien auch der Trainer heute Morgen mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden zu sein. Dabei waren die letzten beiden Renntage für den Stall sehr erfolgreich verlaufen. Gleich viermal hatte Patrick in Compiègne auf dem Siegertreppchen gestanden.

    Und dann ging es heute doch auch nur nach Krefeld, sozusagen auf die Nachbarbahn, sodass sie noch alle Zeit der Welt hatten; außerdem waren auch die Pferde noch nicht alle im Transporter, Orchidee und Butterfly standen noch im Hof und verfolgten neugierig das geschäftige Treiben um sie herum.

    „Patrick, du bist für die Jungs hier ein Vorbild!", fuhr der Trainer jedoch unbeirrt in seinem Tadel fort.

    „Auch ein Vorbild erwischt mal einen schlechten Tag", erwiderte Patrick müde. Er war, genau wie sein Trainer Joachim Winter, am Vortag erst sehr spät mit dem Pferdetransporter aus Frankreich zurückgekommen und hatte auch nicht sonderlich gut geschlafen. Das machte sich jetzt bemerkbar und war für einen erfolgreichen Renntag alles andere als eine gute Voraussetzung. Doch was sollte er machen? Es gab eben gute und weniger gute Tage. Er würde es ruhig angehen lassen und versuchen, das Beste daraus zu machen.

    „Natürlich! Solange dieser schlechte Tag kein Renntag ist, sei er dir herzlich gegönnt."

    „Du scheinst heute aber auch nicht unbedingt deinen besten Tag zu haben", parierte Patrick die letzte Äußerung von Jo.

    „Die Jungs wollen halt alle so werden wie du", erwiderte Jo leicht nervös, Patricks letzte Bemerkung geflissentlich ignorierend.

    „Na, dann sollten sie lieber damit anfangen, hart an sich zu arbeiten, schlug Patrick vor. „Wenn man nur auf andere schielt, wird das nämlich nix mit dem eigenen Erfolg. Das müsstest du doch eigentlich am besten wissen, Jo.

    Johannes Winter gehörte der erfolgreichste Rennstall in Deutschland. Da er sich bereits als Jockey einen Namen gemacht hatte, waren die Anforderungen, die jetzt an ihn als Trainer gestellt wurden, natürlich umso höher. Ein Umstand, dem gerecht zu werden, immer schwieriger wurde. Die Konkurrenz schlief nicht und so schnell man steil nach oben kommen konnte, so schnell konnte es auch wieder steil bergab -gehen. Um es nicht so weit kommen zu lassen, gab er alles, und das verlangte er auch von seinen Leuten, angefangen beim kleinen Stallhelfer bis hinauf zu seinem Topjockey.

    „Da hast du natürlich recht. Ich wollte dich ja auch nicht kritisieren, doch von dem Renntag heute hängt sehr viel ab", entschuldigte Jo sich gleich. Seit Jahren hatte ihn niemand mehr Johannes genannt, außer seiner Frau Mia, wenn sie aus irgendeinem Grund sauer auf ihren Mann war. Das allerdings kam in letzter Zeit öfter vor, und das machte sich auch in seiner Laune bemerkbar.

    „Hängt nicht von jedem Renntag sehr viel ab?", konterte Patrick gleich.

    „Da gehen heute einige Pferde an den Start, die recht vielversprechend sind", meinte Jo.

    „Ja, aber die absoluten Cracks bleiben heute im Stall, erwiderte Patrick gelassen. „Und Julia macht immer wieder den gleichen Fehler, wenn sie mit mir an den Start geht. Anstatt sich auf ihr Pferd zu konzentrieren, konzentriert sie sich lieber darauf, was ich mache, und so wird sie mich nie besiegen.

    „Vielleicht solltest du ihr das mal sagen", schlug Jo mit einem Schmunzeln vor. So langsam fing seine Laune an sich zu bessern.

    „Ich denke gar nicht daran, lachte Patrick, „erst mal mache ich es mir damit nur schwerer und dann soll sie bitteschön von selber darauf kommen.

    „Wenn du deine Order für das jeweilige Rennen erfolgreich umsetzt, soll es mir recht sein."

    „Wenn meine Partner mich weiterhin bei der Umsetzung tatkräftig unterstützen, sehe ich da ehrlich gesagt kein Problem. Und dafür zu sorgen ist deine Aufgabe."

    „Du bleibst wirklich keine Antwort schuldig", musste Jo jetzt lachen.

    „Und du solltest nicht immer alles so pessimistisch sehen", schlug Patrick ihm jetzt vor.

    „Wie soll ich es dann sehen?", erkundigte Jo sich gleich. Er konnte nicht mehr sagen, wann und wo er seinen Optimismus verloren hatte, er wusste nur, dass er ihn, angesichts der angespannten Situation im Land, verloren hatte. Vielleicht hatte es aber auch mit seinen Alter zu tun.

    Jo stand kurz vor dem Fünfzigsten und in dem Alter änderte sich für manche Menschen die Sichtweise auf viele Dinge.

    „Du solltest dich einfach nicht unterkriegen lassen."

    „Und du bist ein unverbesserlicher Optimist."

    „Ich habe ein paar sehr harte Jahre hinter mir, und ich habe daraus viel gelernt."

    „Und unser Stall hat nach dem Verletzungspech von einigen unserer besten Pferde ebenfalls eine sehr harte Zeit hinter sich, und jetzt müssen wir sehen, dass wir den Anschluss nicht verpassen."

    „Und da hilft es sicher nicht weiter, wenn wir jetzt den Kopf in den Sand stecken. Also, Augen zu und durch", sagte Patrick.

    „Na also, mir persönlich wäre es schon lieb, wenn du wenigstens bei den Rennen mit meinen Pferden die Augen weit offen halten würdest, konterte Jo. „Und was die Bahn heute angeht, die ist für unsere jungen unerfahrenen Pferde eine gute Chance, Erfahrungen zu sammeln und vielleicht auch angenehm aufzufallen.

    „Oder zum Beispiel für rekonvaleszente Pferde", meinte Patrick mit einem verschmitzten Grinsen und schaute sich um. Orchidee wurde gerade in den Transporter geführt.

    „Die nach ihrer Krankheit durchaus wieder Beachtung verdienen", ging Jo gleich auf diese Bemerkung ein.

    „Du weißt, ich gebe bei jedem Ritt alles!", sagte Patrick.

    „Aber diesmal hast du einen Fehler gemacht", fuhr Jo fort.

    „Ach, und wie sieht mein Fehler aus?" Patrick stand bereits an der Fahrertür des Transporters, drehte sich jetzt aber noch einmal zu Jo um.

    „Du hättest bei Sunshine ablehnen müssen. Es wäre besser gewesen, für alle wäre es besser gewesen."

    „Es interessiert dich doch sonst kaum, an wen ich meinen zweiten Ruf vergebe", warf Patrick ein. Eine Klausel im Vertrag, auf die er bestanden hatte. Es gab nichts, was Patrick mehr hasste als eine Reihe von Nichtstartern. Wobei er nicht jeden Ritt, den er angeboten bekam, auch gleich annahm. Vorher sah er sich die Pferde genau an und rechnete für sich aus, welche Chancen das Pferd in dem für es vorgesehenen Rennen haben könnte. Die jeweiligen Besitzer mussten also auch schon mal ein Nein hinnehmen.

    „Aber diesmal war es ein Fehler", beharrte Jo auf seinem Standpunkt.

    „Dann hätte ich also einen weiteren Nichtstart hinnehmen sollen", erwiderte Patrick jetzt gereizt.

    „Ich bleibe dabei: Es war ein Fehler."

    „Vorige Woche hast du noch anders gesprochen, da hast du mich noch dazu ermutigt, den Ritt anzunehmen."

    „Sunshine hat durchaus noch Potenzial, es muss nur geweckt werden. Aber ich habe nicht gesagt, dass du es übernehmen sollst."

    „Gesagt hast du es nicht. Aber du rechnest dir aus, dass, wenn ich heute mit Sunshine gewinne, die Stute dann vielleicht in unseren Stall wechseln könnte."

    „Genau das werde ich zu verhindern wissen."

    Patrick zog seine Augenbrauen hoch. „Habe ich hier irgendetwas nicht mitbekommen?"

    Für einen Moment zögerte Jo mit einer Antwort. Sollte er Patrick reinen Wein einschenken, ihm über sein Gespräch mit Max, dem Trainer von Sunshine, berichten? Oder sollte er es einfach laufen lassen? Ändern konnte er jetzt sowieso nichts mehr, dazu war es eindeutig zu spät.

    „Für Orchidee ist es der erste Start in dieser Saison und nach der langen Verletzungspause braucht sie jetzt einen erfahrenen Partner", erwiderte Jo, vermied es aber, Patrick dabei anzusehen.

    „Sie hat sich in der Morgenarbeit in den letzten Wochen aber gut entwickelt."

    „Was bei Orchidee nicht unbedingt was heißen will, du weißt, wie sie manchmal vor den Rennen drauf ist."

    „Und darum muss ich jetzt auch mit ihr an den Start!"

    „Weil du nun mal der Beste bist. Du bist sogar noch besser, als ich es je war."

    Patrick horchte auf. Er kam gut mit Jo zurecht, so war es nicht. Doch er hatte schon einen gewissen Neid bemerkt. Was natürlich vollkommener Blödsinn war. Von einem Sieg profitierten immer beide, Trainer und Jockey. Und Jo war nun mal eindeutig der bessere Trainer.

    Mittlerweile hatte auch Butterfly ihren Platz im Transporter eingenommen, und Daniel Bauer, angehender Pferdewirt mit Schwerpunkt Berufsrennreiter, hatte bereits wie selbstverständlich auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Auch für ihn war Patrick ein Vorbild. Daniel hatte es sich in den Kopf gesetzt, Jockey zu werden und nach Möglichkeit die gleiche Karriere zu machen wie Patrick, nämlich bis hinauf an die Weltspitze.

    „Ich fahre im Transporter mit, dann kann ich mich vor Ort gleich um die Pferde kümmern", wandte Patrick sich jetzt wieder an Jo.

    Der schüttelte leicht den Kopf. Gut, Pferde gehörten auch zu seinem Leben, darum war er ja auch zuerst Jockey und später dann Trainer geworden. Doch im Gegensatz zu Patrick hatte er noch ein Privatleben und in dem kamen keine Pferde vor. „Du hast doch schon eine Beziehung zu unseren Pferden."

    „Ja, aber Orchidee braucht etwas mehr als die anderen Pferde, sie ist halt einen Touch sensibler. Ganz besonders jetzt nach der doch sehr langen Verletzungspause."

    „Sag mal, wieso bist du eigentlich noch solo?"

    „Weil man Pferde nun mal nicht mit nach Hause in eine einfache Mietwohnung nehmen kann und weil man sie nicht heiraten kann."

    „Und weil Frauen nun mal anders ticken als Pferde."

    „Das kommt noch dazu, lachte Patrick. „Was wir hier machen, ist eben kein einfacher Job, und das können die wenigsten nachvollziehen.

    „Nein, es ist mehr, sehr viel mehr."

    „Es ist eine Lebenseinstellung", sagte Patrick und stieg ein. Immer hatte er etwas mit Pferden machen wollen, etwas anderes war für ihn nie in Betracht gekommen. Schon früh hatte er die Schule verlassen und eine Lehre als Pferdewirt begonnen. Während der Ausbildung hatte er die Möglichkeit bekommen zu reiten, zuerst als Arbeitsjockey und dann sehr früh auch schon als Amateur im Rennen. Gleich nach Beendigung seiner Ausbildung hatte er seine Lizenz als Berufsrennreiter in der Tasche gehabt, womit der Grundstein für seine weitere Karriere bereits gelegt war. Eine Karriere, die ihn in fast zwanzig Jahren an die Weltspitze gebracht hatte. Ein Umstand, der ihm allerdings nicht nur Freunde bescherte, sondern auch eine Reihe von Neidern. Patrick arbeitete wie gesagt als erster Stalljockey für den größten und erfolgreichsten Rennstall in Deutschland, bestritt Rennen auf den ganz großen Bahnen weltweit. Und Patrick konnte sich die Pferde aussuchen, mit denen er an den Start gehen wollte. Natürlich musste er in erster Linie für seinen Stall zur Verfügung stehen. Doch es blieben auch genügend Rennen, in denen er seinen zweiten Ruf an einen kleineren Stall vergab. Nach Patricks Meinung verdienten auch kleine Ställe eine realistische Chance, und Besitzer und Trainer wussten, wenn Patrick einen Ritt annahm, dann gab er alles. Was für einen großen Stall der Sieg in einem Gruppenrennen war, konnte für einen kleinen Stall schon ein Sieg in einem Ausgleich-rennen sein.

    Die Rennbahn im Krefelder Stadtwald war gut besucht, denn an diesem Sonntag standen neun Rennen auf dem Programm. An die siebentausend Besucher hatten den Weg dorthin gefunden und konnten sicher sein, einen spannenden Nachmittag zu erleben. Die Sonne sorgte bei den Menschen für gute Laune und die Pferde schienen frisch und voll Tatendrang, was sie schon im Aufsattelring kundtaten und was gleich zu fundierten Diskussionen unter den Turffans führte. Alles lief bestens. Für das Hauptrennen am späten Nachmittag waren zwölf Pferde genannt, und so wie es aussah, würden sie auch alle an den Start gehen. Überhaupt gab es bisher unter den Pferden keine Nichtstarter und auch bei den Jockeys schien es auf den ersten Blick keine Veränderung zu geben.

    Die Favoritin für das erste Rennen stand, mit achtundzwanzig für zehn, ebenfalls bereits fest, es war Orchidee, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Es war heute nur ein kleines Feld von zehn Pferden, das pünktlich um vierzehn Uhr an den Start gehen würde. Allerdings wurden alle Pferde von Topjockeys geritten, was die Spannung noch erhöhte. Die Elite hatte sich in Krefeld eingefunden, denn die Männer und Frauen sahen diesen Renntag als letzte Chance, ihr Können unter Beweis zu stellen, bevor es am nächsten Wochenende nach Hamburg-Horn zur Rennwoche und natürlich zum großen Derby gehen würde.

    Im lockeren Aufgalopp ging es zur Startmaschine, wo die Pferde problemlos ihre Plätze einnahmen, und damit war das erste Rennen für diesen Tag zum Start freigegeben.

    Orchidee übernahm gleich die Führung, was allerdings so gar nicht im Sinne von Patrick war. Tausendsiebenhundert Meter war eine nette Strecke, vor allem für ein Pferd, das unfreiwillig etwas über ein Jahr hatte pausieren müssen. Doch was sollte er machen? Orchidee hatte ihren eigenen Kopf. Wenn er sie jetzt zurücknahm, konnte es durchaus sein, dass sie auf der Zielgeraden bockte und dann als Letzte einlief. Die Blöße wollte er sich dann auch nicht geben. Vorsichtig sah er über seine linke Schulter nach hinten. Zwischen ihm und dem nächsten Pferd lagen lediglich zwei Längen. Da konnte schon noch einiges auf ihn zukommen, zumal Julia die Reiterin war. Wenn er sie jetzt vorbeiließ …

    Und da kamen Julia und ihr Hengst Peppermoon auch schon an und versuchten an Orchidee vorbei das Feld zu übernehmen. Was sollte Patrick jetzt machen? Sie befanden sich im letzten Bogen vor der Zielgeraden. Sollte er es weiter laufen lassen oder sollte er Orchidee einen leichten Ansporn geben? Eine Steigerung war noch drin, doch sie durfte auch nicht zu früh kommen, immerhin waren einige ernst zu nehmende Konkurrenten noch hinter ihm, es war also nicht auszuschließen, dass einer von ihnen auf den letzten Metern ebenfalls noch zulegen würde. Und da kam auch schon die nächste Lady mit ihrem Hengst. Nein, das konnte Patrick jetzt wirklich nicht durchgehen lassen, das würde sein Ego nicht verkraften, gleich von zwei Frauen geschlagen zu werden. Der Rennkommentator verkündete auch schon lautstark den Sieg von Peppermoon und verbannte Orchidee auf den wahrscheinlich dritten Platz.

    Sie befanden sich jetzt ausgangs des Schlussbogens und somit noch fünfhundert Meter vom Zielpfosten entfernt. Also höchste Zeit für eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die Orchidee Patrick diesmal abnahm, sie wurde ganz von alleine schneller, womit er nicht gerechnet hatte. Er musste sich krampfhaft festhalten, um nicht aus dem Sattel zu fallen. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, legte er seinen Schwerpunkt über den von Orchidee, zog in Windeseile am zweiten Pferd vorbei und hielt sich jetzt mit Julia auf einer Linie. Noch zweihundert Meter. Jetzt bloß kein totes Rennen, versuchte Patrick sich anzuspornen, und setzte seine Hände voll ein, um Orchidee deutlich zu machen, sie dürfe jetzt nicht langsamer werden. Die schien ihn auch gleich verstanden zu haben und behielt das rasante Tempo bei. Doch Julia ließ sich nicht abschütteln, hartnäckig blieb sie dicht neben Patrick. Würde sie es heute schaffen? Oder lief es doch auf ein totes Rennen hinaus? Nein, den Ärger wollte Patrick sich lieber ersparen, er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Jo darauf reagieren würde. Von den Kollegen ganz zu schweigen. Nein, den Spaß würde er ihnen nicht gönnen. Auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, er wusste schon, dass die Kollegen hinter seinem Rücken Wetten abschlossen, wann Julia ihn endlich besiegen würde. Und auch heute -hatten sie geheimnisvoll herumgetuschelt. Wobei es sicher nicht nur um das Rennen gegangen war. Julia war eine Kollegin, mit der er auf dem Geläuf gerne einen harten Kampf austrug, doch mehr war nicht, jedenfalls nicht von seiner Seite.

    Das Publikum war in seiner Begeisterung kaum zu bremsen, es war ein Rennen nach dem Geschmack der Zuschauer, das einmal mehr zeigte, dass Galopprennen immer erst dann entschieden sind, wenn auch das letzte Pferd den Zielpfosten passiert hat.

    „Ja, wer hat jetzt gewonnen?, ließ sich da wieder die sympathische Stimme vom Rennkommentator vernehmen. „Also, ich kann es nicht sagen. Für mich sah es so aus, als wären Orchidee und Peppermoon gleichzeitig eingelaufen. Patrick hatte zwar seine Faust oben, was bei seinen Adleraugen auf einen sicheren Sieg schließen lässt, aber ich denke, die endgültige Entscheidung überlassen wir der Rennleitung.

    Die Pferde liefen noch hundert Meter weiter, bevor die Reiter sie in einen leichten Trab brachten. Patrick und Julia ritten zum Rand hinüber, hielten dort kurz an, schoben ihre Schutzbrillen hoch und sahen sich an. Diesmal lag etwas in Julias Blick, was Patrick stutzig machte. War da nicht so ein eigenartiger Glanz in ihren Augen? Wie sollte er darauf reagieren? Sollte er überhaupt reagieren, oder war es nicht besser, es einfach zu ignorieren? Patrick entschied sich für Letzteres. Doch Julia hatte sich etwas vorgenommen und sie würde ihr Ziel erreichen, und das in jeder Hinsicht.

    „Du musst deinen eigenen Stil finden, sagte Patrick dann doch und hielt ihr seine Hand hin. „Wenn du nur jemanden imitierst, kommst du nicht weit.

    „Keine Angst, ich bin dabei, lachte Julia und schlug ein. „Da wird wohl noch so einiges auf dich zukommen.

    „Dann ist eins also schon mal sicher, Hamburg wird nicht langweilig werden."

    „Das wird es ganz bestimmt nicht, aber erst mal müssen wir diesen Renntag ohne Blessuren überleben", erwiderte Julia verschmitzt. Sie wähnte sich einen Schritt näher am lange ersehnten Ziel.

    „Wie hast du das gerade gemeint?", erkundigte Patrick sich leicht irritiert.

    „Darüber kannst du bis Mittwochabend noch nachdenken. Wir wohnen in Hamburg im gleichen Hotel, unsere Zimmer liegen direkt nebeneinander", sagte Julia lächelnd und galoppierte davon.

    Patrick schluckte. Na, das konnte ja heiter weiter. Langsam trabte er mit Orchidee hinter ihr her zum Absattelring.

    Die Rennleitung untersuchte unterdessen immer noch, wer der Sieger des ersten Rennens war.

    „Sag mal, musstet ihr es so knapp machen?"

    „Daniel, sei du mal schön still, erwiderte Patrick, stieg ab und überreichte dem jungen Mann die Zügel. „Kümmere dich lieber um Orchidee und überlass uns die Rennen.

    „Und wie soll dann mal ein anständiger Jockey aus mir werden?", wollte Daniel wissen.

    „Wenn die Zeit reif dafür ist, dann wirst du es schaffen", versprach Patrick ihm. Er hatte jetzt weiß Gott andere Probleme, als sich um den Jockeynachwuchs zu kümmern.

    „Die Rennleitung hat die endgültige Entscheidung für das erste Rennen getroffen, meldete der Rennkommentator sich in diesem Moment wieder zu Wort. „Orchidee mit Patrick Rosen im Sattel hat das Rennen mit einer achtel Länge Abstand gewonnen. Peppermoon und Julia Bender haben sich den zweiten Platz gesichert und Platz drei geht an Blackboy mit Conny Murano.

    „Na, immerhin hast du mir noch eine knappe Nase gegönnt", wandte Patrick sich erleichtert an Julia, die mit ihrem Pferd in seiner unmittelbaren Nähe stand, nahm Decke und Sattel in Empfang und machte sich auf den Weg zur Waage. Es schien, als würde der Tag sich doch noch zum Guten wenden.

    Und die Geschichte mit Julia würde er auch noch in den Griff bekommen.

    „Wir treffen heute noch ein paar Mal aufeinander und die Nase ist nicht bei jedem Pferd gleich lang", rief Julia ihm gespielt kämpferisch hinterher.

    „Kann es sein, dass du in seine Fußstapfen treten willst?", hakte ihr Trainer gleich belustigt nach.

    „Also, was die Rennen angeht, denke ich mal, ist es durchaus zu schaffen", erwiderte Julia selbstbewusst und verschwand ebenfalls. Sie wollte nicht zu spät zum Wiegen kommen und einer weiteren Bemerkung ihres Trainers ausweichen.

    Topjockey Luca Batic erschien als Letzter an der Waage, so wie er auch als Letzter ins Ziel eingelaufen war. Seine Glückssträhne schien vorbei zu sein. Seit der Frühjahrsrennwoche in Baden-Baden verfolgte ihn das Pech. Ein Formtief hatte sein Trainer es genannt. Jeder steckte wohl mal in einem Formtief, doch bei Luca kam es zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Er wollte ganz nach oben, wollte der Beste werden. In diesem Jahr hatte er es zumindest hier in Deutschland mal wieder schaffen wollen, als Champion nach Hause zu fahren. Seine Mutter würde stolz auf ihn, ihren einzigen noch lebenden Sohn, sein. Doch im Moment sah es eher nicht nach einem Championat aus. Aber was hatte zu diesem Formtief geführt, was war nur der Auslöser dafür gewesen? Hatte es vielleicht mit dem Ärger zu tun, den Luca seit einiger Zeit am Hals hatte? Wenn ja, dann würde sein Formtief wohl noch eine Weile andauern. So leicht würde er aus der prekären Situation wohl nicht herauskommen. Im Moment sah es jedenfalls eher danach aus, als würde er noch tiefer in die Krise rutschen, und es gab nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Er musste es, jedenfalls für eine Weile, weiter laufen lassen.

    „Luca, du ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter", wandte Julia sich an ihn, was seine Laune gleich noch weiter in den Keller sinken ließ.

    „Ist halt nicht jeder Tag gleich", brummte er.

    „Nein, da hast du schon recht, mischte Patrick sich ein. „Doch denk dran, deine Laune überträgt sich auf die Pferde. Damit tust du dir und ihnen keinen Gefallen und der Ärger mit Trainer und Besitzer ist vorprogrammiert.

    „Danke, großer Meister, dein Rat war es, der mir heute noch gefehlt hat."

    „Entschuldige, ich habe es nur gut gemeint", zog Patrick sich gleich zurück. Luca war zu einer wandelnden -Zeitbombe geworden, die jeden Moment hochgehen konnte. Still bat Pat-rick, dass der Kelch an ihm vorübergehen und er nicht zum Auslöser dieser Explosion werden würde.

    „Klar, du meinst es immer nur gut. So schnappst du dir auch die besten Pferde", rief Luca ihm da auch schon hinterher.

    Jetzt war es also heraus. Patrick atmete tief durch und drehte sich langsam zu Luca um. „Ich habe mich nicht aufgedrängt, Sunshine zu reiten."

    „Nein, du hast es auf die charmante Tour gemacht."

    „Patrick, kommst du bitte zur Siegerehrung", wurde er da von Jo gerufen.

    Julia atmete erleichtert auf; das Letzte, was sie jetzt und hier gebrauchen konnten, war ein handfester Streit unter den Jockeys, so etwas würde sich auf die weiteren Rennen auswirken und wahrscheinlich dann auch zu Komplikationen führen. Warum mussten die Männer immer gleich so hitzig reagieren? Julia überlegte einen Moment. Sie hatte eine Reihe von Kolleginnen und alle gaben ihr Bestes, doch zu ernsthaften Streitigkeiten kam es unter den Frauen nie. Na ja, hinter vorgehaltener Hand hatte wohl schon so manche Kollegin über sie gelästert, denn auch Julia war auf dem besten Weg nach ganz oben. Sie sah nicht nur sehr gut aus, sondern hatte auch das nötige Charisma, und sie besaß eine gehörige Portion Pferdeverstand.

    Vielleicht waren die Kolleginnen auch neidisch, weil Julia so gut mit Patrick auskam. Anstatt kritisiert zu werden, hatte sie so manchen guten Tipp von ihm bekommen. Julia musste unwillkürlich lachen. Erst gab er ihr Tipps, und dann beschwerte er sich, wenn er nur schwer gegen sie gewinnen konnte.

    „Julia, wir müssen heute noch reden. Am besten nach den Rennen und vor allem alleine", meinte Patrick, als er von der Siegerehrung zurückkam.

    „Gratuliere, sagte Julia und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange. „Worüber müssen wir reden?

    „Später, ich muss mich für das nächste Rennen umziehen."

    „Pass auf, mit Luca musst du heute rechnen."

    „Er mit mir auch", erwiderte Patrick und verschwand im Jockeyraum.

    Das Hauptrennen, in dem zwölf Pferde an den Start gehen sollten, war für siebzehn Uhr angesagt, und die Spannung stieg. Favorisiert war Schneewittchen mit Julia im Sattel. Starlight mit Luca folgte auf Rang zwei. Der Hengst hatte in der laufenden Saison einige sehr gute Rennen geboten und sich in Baden-Baden gegen eine harte Konkurrenz durchgesetzt. Ja, und dann noch Sunshine. Obwohl die Stute sich in dieser Saison mit vier Siegen in vier Rennen ebenfalls bravourös eingeführt hatte, wurde sie heute am Wettschalter als absolute Außenseiterin geführt.

    Da Patrick nicht viel Zeit gehabt hatte, sich mit der Stute anzufreunden – er hatte sie vor seinem Frankreichtrip lediglich kurz bei der Morgenarbeit beobachtet und später dann ein paar Minuten mit ihr in ihrer Box gesprochen, damit sie ihn wenigstens an der Stimme wiedererkennen würde –, würde er sein ganzes Können unter Beweis stellen müssen.

    „Tja, dann zeig mal, was du draufhast. Sunshine ist nicht einfach", stichelte Luca, als sie vom Wiegen kamen.

    „Was man von dir in letzter Zeit auch nicht gerade sagen kann", parierte Patrick locker.

    „Was willst du damit sagen?", erkundigte Luca sich argwöhnisch. Ahnte Patrick vielleicht, was mit ihm los war?

    „Dass ich mein Bestes geben werde wie bei jedem Ritt, doch ich werde nichts riskieren."

    „Ach, das meinst du, winkte Luca erleichtert ab. „Mit der Einstellung hast du dir schon so manchen Ärger eingehandelt.

    „Und dein Verhalten in letzter Zeit bringt dir so manchen Ärger ein."

    „Also, bis vor Kurzem warst du auch nicht ohne."

    „Darunter haben aber nie die Pferde gelitten."

    „Das tun sie bei mir auch nicht", erwiderte Luca.

    „Da bin ich mir im Moment nicht so sicher, sagte Patrick. „Hals und Bein.

    Luca schluckte. Was sollte er darauf erwidern? Seine schlechte Verfassung übertrug sich auf die Pferde und damit auf den Rennverlauf, zumindest an diesem Renntag. Also sah er nur schnell zu Patrick rüber und wünschte auch ihm Hals und Bein.

    „Max, hast du noch irgendwelche Anweisungen für mich?", wandte Patrick sich im Führring gleich an den Trainer von Sunshine.

    „An unserer Absprache hat sich nichts geändert und ansonsten triff deine Entscheidung aus der Situation heraus, meinte dieser schulterklopfend. „Du hast deine Sache bisher immer gut gemacht. Warum sollte es jetzt anders sein?

    „Ich versuche mein Bestes zu geben, aber ich riskiere nichts."

    „Was anderes haben wir von Ihnen auch nicht erwartet, mischte der Besitzer von Sunshine sich ein und hielt Patrick seine Hand hin. „Hals und Bein, Herr Rosen. Und natürlich auch für Sie, Herr Batic.

    Luca nickte nur stumm und sah Max an, woraufhin der seinen Jockey zur Seite nahm. „Mensch Luca, versuch doch wenigstens mich zu verstehen, ich hatte keine andere Wahl, schließlich hängt unser beider Existenz von dem Rennen ab."

    „Es tut weh, einfach nur weh", erwiderte Luca, riss sich aus der Umklammerung und ging zum Rand. Möglichst weit weg von Patrick. Vielleicht konnte er es ja doch schaffen, überlegte er für sich. Ja, er würde es versuchen, er würde versuchen, mit Starlight den Ersten zu machen. Für Sunshine würde auch ein zweiter Platz reichen. Mit einem Sieg wäre seine Pechsträhne vorbei, er würde wieder gute Ritte bekommen und gutes Geld verdienen können. Geld, das er dringend brauchte, um seine anderen Probleme zu lösen.

    Als Sunshine auf Patrick zukam, strich er ihr sanft über den Hals und flüsterte ihr leise ein paar Worte ins Ohr, was die Stute mit einem Kopfnicken quittierte. Dann stieg er in den Sattel.

    Doch diesmal lief es nicht so, wie Patrick es sich gewünscht hatte. Sunshine wollte partout nicht in die Startmaschine, erst beim dritten Anlauf gelang es. Und dann ging es auch gleich los. Patrick hatte diesmal einen denkbar ungünstigen Start. Gleich zu Beginn schon hing er im Mittelfeld fest, weit und breit keine Möglichkeit, unbeschadet auszubrechen. Er musste es laufen lassen und abwarten.

    Luca dagegen hatte gleich die Führung übernommen, und so wie es aussah, war keins der anderen Pferde in der Lage, sie ihm streitig zu machen. Na ja, vielleicht war es gut so, wie es lief, versuchte Patrick sich einzureden. Vielleicht hatte sein Trainer recht, und er hätte den Ritt nicht annehmen sollen, doch er hatte es getan, und jetzt musste er das Beste daraus machen.

    „Patrick, komm hau ab!", hörte er da eine dunkle Stimme neben sich. Sein Freund und Kollege Jens Keppler hielt sich dicht neben ihm und öffnete ihm eine Lücke. Sofort steuerte Patrick sein Pferd nach links und brach aus dem Mittelfeld aus. Ob es noch reichen würde?

    Mittlerweile hatten sie den Schlussbogen erreicht und Luca führte noch immer. Patrick war jetzt an fünfter -Stelle. Er konnte es noch schaffen. Mit der Peitsche deutete er der Stute kurz die Richtung an und die wechselte auch gleich nach links auf die Überholspur. Jetzt lagen nur noch drei Pferde vor ihnen. Luca musste die Führung an Julia ab-geben, ein Sieg war für ihn also kaum mehr möglich. Einen Moment überlegte Patrick, ob er Sunshine noch mal einen leichten Klaps geben sollte. Im schlimmsten Fall würde sie im Tempo abfallen und es würde vielleicht nicht mal für eine Platzierung reichen, doch das Risiko musste er eingehen. Sunshine war eindeutig die bessere Stute und Julia würde auf einen Sieg gegen ihn dann eben noch eine Weile warten müssen.

    Das Publikum war in seiner Begeisterung kaum zu bremsen und der Besitzer von Sunshine hatte Tränen in den Augen. Sofort als Patrick vom Pferd gesprungen war, fiel er ihm um den Hals. „Ich wusste es, wenn es einer schaffen kann, dann Sie, Herr Rosen. Das werde ich Ihnen nie vergessen."

    „Es war Glück, einfach nur Glück", versuchte Patrick bescheiden abzuwehren.

    „Nein, es war eindeutig Ihr Können, widersprach der Besitzer. „Aus so einer Situation heraus am Ende mit acht Längen Vorsprung zu siegen, das hat nichts mit Glück zu tun. Ich möchte, dass Sie Sunshine im Preis der Diana reiten.

    Patrick schluckte, denn damit hatte er nicht gerechnet. „Luca ist doch Ihr Jockey."

    „Aber Sie sind eindeutig der bessere Mann."

    „Luca ist sehr gut, er kann es ebenfalls schaffen. Schließlich hat er sich mit Starlight ebenfalls platziert."

    „Na ja, er hat es gerade so eben noch geschafft, meldete sich jetzt auch Max zu Wort. „Luca ist Fünfter geworden.

    Patrick erschrak. Er hatte sich zum Schluss so stark auf seinen Ritt konzentriert, dass er von dem, was um ihn herum geschehen war, nichts mehr mitbekommen hatte.

    „Julia ist wieder mal Zweite, und Jens hat den Dritten gemacht, nachdem er für dich die Lücke aufgemacht hatte."

    „Du hast es bemerkt?", erkundigte Patrick sich zaghaft.

    „Junge, ich bin nicht erst seit gestern Trainer, auch wenn ich nur einen kleinen Stall betreue. Und ich war selber mal Jockey. Jens hatte keine Chance auf den ersten Platz, eigentlich nicht mal auf den dritten."

    „Und wieso hat er ihn erreicht?"

    „Weil sein Hengst gleich hinter dir her ist, und weil Luca, aus welchen Gründen auch immer, abgefallen ist."

    „Ich war mir sicher, dass Luca den Dritten gemacht hat."

    „Er ist abgefallen, weil zuerst Julia ihn überholt hat und dann du mit Sunshine, mischte Jens sich jetzt ein. „Na ja, und mein Partner scheint sich in deine Sunshine verguckt zu haben, jedenfalls ist er gleich hinter euch beiden hergesaust und ich habe ihn einfach laufen lassen.

    „Ich hätte Luca eine bessere Platzierung gegönnt, und Ihnen natürlich auch", wandte Patrick sich an den Besitzer.

    „Mit dir muss man wirklich immer rechnen, kam Julia jetzt auf die kleine Gruppe zu. „Gratuliere zum Sieg. Der wievielte ist es heute schon? Aus ihrer Stimme war die Enttäuschung deutlich herauszuhören.

    „Der vierte Sieg plus zwei zweite Plätze und einen Nichtstarter, sagte Jens anerkennend. „Du machst es uns heute wirklich nicht leicht, also wenn das ein Vorgeschmack auf Hamburg sein soll, können wir uns ja schon mal warm anziehen.

    „Danke, sagte Patrick und reichte Jens die Hand. Der strich sich erst mal seine schweißnassen braunen Haare aus der Stirn und erwiderte dann ganz gelassen: „War mein Abschiedsgeschenk an dich. Das hier war nämlich mein letztes Rennen als Jockey.

    Alle erschraken. „Wie bitte?" Julia fand als Erste die Sprache wieder.

    „Ja, ihr habt mich schon richtig verstanden. Ich höre auf."

    „Vor dem Derby?"

    „Julia, wenn du danach gehst, dann gibt es immer ein Davor, erwiderte Jens. „Ich habe einfach keine Kraft mehr.

    „Dann kann ich mich also nicht mehr revanchieren." Diesmal lag die Enttäuschung ganz deutlich in Patricks Stimme. Diese Mitteilung kam für ihn völlig überraschend, jedenfalls hatte Jens bisher keine Andeutung dahin gehend gemacht. Dabei waren sie die Wintermonate über gemeinsam in Hongkong gewesen, hatten gemeinsam eine Wohnung genommen und waren beide sehr erfolgreich an den Start gegangen.

    „Du könntest ab dem nächsten Jahr deinen zweiten Ruf vielleicht an mich vergeben, schlug Jens ihm jetzt vor. „Und wenn du so weitermachst, Julia, dann könntest du bei mir erster Stalljockey werden. Natürlich nur, wenn du willst.

    „Auslandsritte inbegriffen." Patrick klopfte seiner Kollegin kameradschaftlich auf die Schulter.

    „Woher weißt du das?", fragte Jens neugierig.

    „Mir fällt auf Anhieb nur ein Trainer ein, der sich hier in Deutschland gerne zur Ruhe setzen würde und einen großen Stall betreut."

    „Wer sagt, dass ich einen großen Stall übernehme?", fragte Jens gespannt zurück.

    „Warum sonst solltest du zwei Jockeys brauchen?"

    „Es wäre nett, wenn ihr endlich zur Waage kommen würdet, ihr haltet hier nämlich den gesamten Betrieb auf, rief Max, der gerade angelaufen kam. „Und die Wetter werden auch langsam ungeduldig, sie möchten ihren großen Gewinn abholen.

    „Ist wirklich so viel herausgekommen?", fragte Julia gespannt.

    „Na ja, ein absoluter Außenseiter hat es auf den dritten Platz geschafft, erklärte Max ihr auf dem Weg zur Waage. „Da wird es sich für einige schon gelohnt haben.

    „Es gibt immer eine Chance, man muss nur an sich und an sein Pferd glauben", erwiderte Julia selbstbewusst.

    „In diesem Fall musste man einfach an die Liebe glauben", lachte Jens.

    „Wohl nicht nur in diesem Fall", mischte Jo sich jetzt ein und schaute zuerst Julia und dann Patrick an. Doch der nahm diesen Blick schon gar nicht mehr wahr. Bereits auf dem Weg zur Waage nahm Patrick sich vor, gleich nach der Siegerehrung mit Luca zu reden. Den Sieg konnte er nicht einfach so stehen lassen. Jo hatte recht gehabt mit seiner Äußerung, er hätte den Ritt nicht annehmen dürfen. Warum hatte er es eigentlich getan, fragte er sich. Weil er sonst einen weiteren Nichtstart gehabt hätte, weil der Trainer gleich zwei Pferde in ein Rennen schicken wollte und deshalb zwangsläufig einen zweiten Jockey gebraucht hatte.

    „Ich muss zuerst mit Luca reden", wandte Patrick sich nach der Siegerehrung an Jo.

    „Ich habe dich gewarnt", erwiderte der sogleich.

    „Du hast mir geraten den Ritt anzunehmen."

    „Nein, ich habe lediglich gesagt, es ist deine Entscheidung."

    „Ich hätte fragen sollen, warum ausgerechnet ich Sun-shine reiten sollte."

    „Weil der Besitzer es verlangt hat, er hätte dir jeden Preis gezahlt", sagte Jo.

    „Aber Sunshine ist eindeutig das bessere Pferd und Luca ist Stalljockey bei Max."

    „Du weißt, wie Besitzer sich manchmal aufführen, warf Jo ein. „Da musst du als Trainer halt auch mal eine Faust in der Tasche machen.

    „Ich weiß, trotzdem war es nicht fair."

    „Die Einsicht kommt ja wohl leider zu spät."

    „Besser spät als nie."

    „Luca ist in der Umkleide."

    Jo konnte seine Erleichterung über diesen Sieg nur schwer vor Patrick verbergen. Es hatte keinen anderen Weg gegeben. Max hatte diesen Sieg gebraucht und auch Luca würde mit dem nötigen Abstand wohl einsehen, dass auch er von Patricks Sieg profitieren würde. Mit Luca im Sattel hätte Sun-shine heute nicht den Hauch einer Chance gehabt.

    Trotz offener Oberlichter herrschte eine stickige Luft in dem doch eher kleinen Raum. Dreizehn Männer mussten sich heute hier vor und nach den Rennen umziehen. Die verschwitzten und teils verdreckten Oberteile lagen in den offenen Schränken oder über die Bänke verteilt herum, und der Geruch der Pferde, der unweigerlich an den Kleidungsstücken haftete, sorgte für eine besondere Note. Die Geräusche der sich vor dem Gebäude unterhaltenden Besucher und natürlich auch die Gespräche der Jockeys über den Verlauf der bisher stattgefundenen Rennen trugen zu dieser besonderen Atmosphäre bei, die man wohl an kaum einem anderen Ort finden wird. Genau in diese Atmosphäre tauchte Patrick jetzt ein, diesmal allerdings, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

    „Na, da hast du es uns ja mal wieder so richtig gezeigt, fing Luca gleich lautstark an zu sticheln. „Wer war eigentlich alles an der Verschwörung beteiligt?

    Sofort verebbte die Unterhaltung unter den Jockeys, alle hatten sich Patrick und Luca zugewandt, um nur ja kein Wort zu verpassen.

    „Sag mal, spinnst du jetzt, welche Verschwörung?", verteidigte Patrick sich gleich, allerdings im Ton etwas leiser. Es tat ihm schon leid, dass er zu Luca gegangen war. Er hätte wissen müssen, dass dieser so reagieren würde. Vielleicht hätte er auch einfach nur eine günstigere Gelegenheit abwarten sollen. Doch auch diese Einsicht kam wohl zu spät.

    „Na, die Lücke eben. Das war doch mit Jens abgesprochen. Und dann Julia. Ihr beide steckt doch dauernd zusammen. Steht der Hochzeitstermin eigentlich schon fest?"

    „Welcher Hochzeitstermin? Julia und ich sind nicht zusammen und wir haben auch keine Verschwörung gegen dich angezettelt. Jens hat mir die Lücke aufgemacht, weil er selber keine Chance hatte. Abgesehen davon konnten wir nicht ahnen, dass ich so festhängen würde."

    „Was dir aber sicher nicht ungelegen kam", stichelte Luca weiter.

    „Die Startpositionen werden ausgelost."

    „Von denen rede ich doch gar nicht. Ich rede davon, dass du aus einer schier aussichtslosen Situation heraus auf den letzten Metern mal wieder ganz nach vorne geprescht bist. Ein Kunststück, das nur einer perfekt beherrscht, nämlich Patrick Rosen."

    „Du warst fast das ganze Rennen über vorne und hättest es locker schaffen können. Zumindest eine bessere Platzierung hättest du schaffen müssen."

    „Als der Trainer mir gesagt hat, du würdest Sunshine reiten, da wusste ich, dass ich keine Chance haben würde, dass ich nie wieder eine Chance haben würde."

    „Was willst du damit sagen?"

    „Dass ich die Pferde nehmen muss, die ich bekomme. Ich heiße nun mal nicht Patrick Rosen. Ich habe zwar ebenfalls braune Haare, doch mit rehbraunen Augen kann ich nicht dienen, auch fehlt meinen Augen der Glanz, den deine immer ausstrahlen. Von deinem Charme und deinem Charisma ganz zu schweigen. Du bekommst doch immer alles, was du willst."

    „Sag mal, was soll das? Du müsstest selber mal hören, was du hier für einen Blödsinn verzapfst!", rief Patrick. Das Gespräch lief in eine Richtung, mit der er nicht gerechnet hatte.

    „Die Wahrheit hört sich nun mal so an", erwiderte Luca mit fester Stimme.

    Patrick ließ sich neben Luca auf die Bank fallen. „Warum bist du nicht zu mir gekommen und hast mit mir geredet? Ich hätte ohne Weiteres auch Starlight geritten."

    „Ja, das kann man hinterher leicht sagen, wenn man gewonnen hat."

    „Wenn du irgendwelche Sorgen oder Probleme hast, dann rede verdammt noch mal mit uns."

    „Allerdings habe ich ein Problem, ein sehr großes sogar, und das heißt Patrick Rosen", sagte Luca, stand auf und verließ mit schnellen Schritten den Raum.

    „Was hat denn den für ein Floh gebissen?", erkundigte Jens sich sofort. Er war an der Tür noch mit seinem Kollegen zusammengestoßen.

    „Ich bin sein größtes Problem, sagte Patrick traurig. „Dabei ist genau wie bei dir auch meine Uhr bald abgelaufen. Luca ist doch um einiges jünger, der hat seine Karriere noch vor sich und er ist gut, er ist sogar sehr gut.

    „Luca kommt aus einer Familie, in der alle mit Pferden gearbeitet haben, es waren wohl auch ein oder zwei Jockeys darunter. Ich denke mal, er wird unter einem enormen Erfolgsdruck stehen, meldete Conny sich zu Wort. „Und dann will er wohl seine Mutter nicht enttäuschen, sie hat doch nur noch ihn.

    „Aber Erfolg kann man nicht erzwingen, warf Jens ein. „Das ist in unserem Fall knallharte Arbeit.

    „Und vor allem kommt der Erfolg nicht über Nacht", ergänzte Patrick.

    „Bei dir scheint es aber schon so gewesen zu sein, warf Conny ein. „Viele sind neidisch auf dich und deinen Erfolg. Sie zeigen es nur nicht.

    „Und vielleicht auch auf das Geld, das Patrick in all den Jahren verdient hat?, fragte Jens. „Darum geht es doch vielen nur noch: ums Geld.

    „Kann schon sein, gab Conny leise zu. „Obwohl bei mir auch die Pferde wichtig sind. Ich würde, genau wie Patrick, bei der geringsten Kleinigkeit jedes Pferd sofort anhalten.

    „Du kommst doch auch aus einer Jockeyfamilie", meinte Patrick.

    „Ja, und bei uns weiß man, dass man sich den Erfolg hart erarbeiten muss. Mein Vater würde mich niemals unter Druck setzen."

    „Was er ja auch nicht

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