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Dysphagietherapie: Ein interdisziplinäres Fallbuch
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eBook535 Seiten4 Stunden

Dysphagietherapie: Ein interdisziplinäres Fallbuch

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Über dieses E-Book

In diesem Fallbuch werden die Grundlagen der Therapie oropharyngealer und ösophagealer Dysphagien aus interdisziplinärer Sicht dargestellt. Die behandelten Störungsbilder und Grunderkrankungen, wie Schlaganfall, extrapyramidal-motorische und neuromuskuläre Erkrankungen, Kopf-Hals-Tumoren, COPD, Achalasie oder stiller Reflux, bilden dabei das weite Spektrum der klinischen Dysphagiologie ab. Berücksichtigt werden zudem verschiedene Altersklassen (Pädiatrie und Geriatrie) sowie klinische Besonderheiten und Techniken, z.B. Trachealkanülenmanagement oder pharyngeale Elektrostimulation (PES). Insgesamt 90 Abbildungen sowie Videomaterial, welches z.B. die Darstellung therapeutischer Techniken in der FEES beinhaltet, veranschaulichen dabei das konkrete Vorgehen. Aufgrund der einzigartigen Kombination von Theorie und Praxis eignet sich dieses Buch besonders für klinisch tätige Ärzte und Therapeuten, aber auch für Studierende der Medizin, Sprachtherapie und Gesundheitswissenschaften.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. März 2024
ISBN9783170417786
Dysphagietherapie: Ein interdisziplinäres Fallbuch

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    Buchvorschau

    Dysphagietherapie - Jochen Keller

    Übersicht der Videos

    Zusatzmaterial

    Die elektronischen Zusatzmaterialien finden Sie unter dem Link in Kap. Zusatzmaterial zum Download.

    Einleitung

    Jochen Keller und Herbert F. Durwen

    Dysphagien können alle Etagen der Schluckpassage vom Mundraum bis in den Magen betreffen und sich somit auch auf alle Phasen des Schluckaktes auswirken. Aufgrund ihrer vielfältigen Ätiologie sind sie durch unterschiedliche Symptome sowie ein meist komplexes Erscheinungsbild gekennzeichnet. Für eine adäquate und erfolgreiche Behandlung ist, neben einer akkuraten und differenzierten Diagnostik, in vielen Fällen ein interdisziplinär ausgerichteter Zugang notwendig.

    Je nach Grunderkrankung und Symptomatik kann es sich dabei einerseits um eine isolierte Maßnahme wie der Dillation einer ösophagealen Bolusbarriere¹ (z. B. einem hypertonen Ösophagussphinkter oder einem ösophagealen Web) handeln, andererseits ist aber auch eine Kombination aus verschiedenen myofunktionellen Übungen mit adaptiven Maßnahmen bzw. kompensatorischen Schlucktechniken, wie z. B. bei der schlaganfallbedingten Dysphagie, von Bedeutung.

    Die Unterscheidung zwischen oropharyngealen und ösophagealen Dysphagien ist nicht nur Ausruck eines in der Regel multiprofessionellen Behandlungsspektrums, sondern auch im Hinblick auf das diagnostische Vorgehen sinnvoll. Dabei kommen, je nach Ätiologie und Symptomatik, übend-therapeutische bzw. neuromodulierende, kompensatorisch-adaptive, diätische, chirurgische oder pharmakotherapeutische Methoden zum Einsatz ( Abb. 1). Für alle Interventionsformen gilt jedoch, dass die fachliche Beratung und Begleitung der Patienten sowie deren Angehörigen und Pflegenden einen unverzichtbaren Bestandteil der Behandlung darstellt und dabei stets auch psychosoziale bzw. ethische Aspekte von Dysphagien mit einbezogen werden sollten.

    Da neurogene Erkrankungen die häufigste Ursache von Dysphagien darstellen, wird dieses Thema hier auch in einem entsprechend größeren Rahmen behandelt. Während sich Dysphagien in der Akutphase eines Schlaganfalls aufgrund der Neuroplastizität – häufig auch therapeutisch unbeeinflusst – vollständig zurückbilden, kann die Schluckstörung bei einigen Patienten insbesondere mit chronischen und progredienten neurologischen Erkrankungen auch über einen langen Zeitraum bestehen bleiben und so als konstante Beeinträchtigung die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig einschränken.

    Abb 1:    Interdisziplinäre Methoden der Dysphagietherapie

    Dass jedoch eine nahezu vollständige Regeneration der Schluckfähigkeit auch nach einer längeren Zeit der oralen Nahrungskarenz durchaus noch möglich sein kann, wird von Jochen Keller und Herbert F. Durwen, den Herausgebern dieses Buches, demonstriert. Sie stellen die Behandlung und den Verlauf einer schweren neurogenen Dysphagie nach Resektion eines Vestibularisschwannoms mit extrameatalen Anteilen dar und verdeutlichen die Vorzüge einer Kombination aus akkurater Erst- und Verlaufsdiagnostik mit einer sich an die verschiedenen Ergebnisse fortwährend anpassenden und individualisierten therapeutischen Herangehensweise. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist hierbei ein möglichst frühzeitiges Miteinbeziehen von oralen Bolusgaben in die Therapie und damit ein Vermeiden der »Non-use-Problematik«. Dies erfordert von der Diagnostik nicht nur ein Beschreiben von auffälligen Symptomen, wie Aspiration oder pharyngealen Residuen, sondern vielmehr auch eine Evaluation einer »kleinstmöglichen Abschluckfähigkeit« und verbleibender »Schluckkompetenzressourcen«. Dies hat nicht nur einen überaus positiven Einfluss auf die Lebensqualität, sondern fördert auch die Motivation der Patienten.

    Vestibularisschwannom

    Vermeiden der »Non-use- Problematik«

    Kleinstmögliche Abschluckfähigkeit

    Schluckkompetenzressourcen

    Die Rehabilitation oropharyngealer Dysphagien beinhaltet verschiedene Behandlungsebenen, die nur dann wirksam sind, wenn sie auf die individuelle Symptomatik des Patienten abgestimmt und an den Verlauf der Erkrankung fortwährend angepasst werden.

    (J. Keller & H. F. Durwen)

    Hirntumore können das neuronale Schlucknetzwerk auf verschiedenen Ebenen beeinträchtigen und je nach Lokalisation zu schweren Dysphagien führen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass, ähnlich wie nach einer therapeutischen Radiatio von Kopf-Hals-Tumoren, auch eine Bestrahlung des Gehirns iatrogene Schluckstörungen zur Folge haben kann. Diesbezüglich stellt Sriramya Lapa fest, dass noch kaum etwas zu dieser Pathoentität bekannt ist und stellt einen ebenfalls sehr positiven Verlauf der Behandlung eines Patienten mit einer schweren Dysphagie nach Bestrahlung dar.

    Iatrogene Schluckstörungen

    Neben der Tumorresektion ist die Strahlentherapie eine weitere wichtige Säule der Tumortherapie. Während Dysphagien in Folge einer Radiotherapie bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich ein häufiges und bekanntes Symptom darstellen, ist kaum etwas über die Folgen einer gezielten Strahlentherapie des Gehirns auf die Schluckfunktion bekannt.

    (R. Lapa)

    Selbst bei schweren Dysphagien kann demnach noch eine relevante Verbesserung der Schluckfähigkeit erreicht werden, wenn die therapeutischen Maßnahmen auf die spezifische Störungsart abgestimmt sind. So hält Andrea Hofmayer eine genaue Unterscheidung zwischen einer gestörten Biomechanik des Schluckens und der verursachenden Pathophysiologie für unabdingbar. Sie plädiert für eine möglichst genaue Differenzierung zwischen einem koordinationsorientierten Üben bzw. aufgabenspezifischem Geschicklichkeitstraining (engl. »Skill Training«), in dem die kontrollierte Kraftdosierung bei zentraler bzw. kortikaler Schädigung im Vordergrund steht und einem Krafttraining, welches eher bei peripherer Schädigung sinnvoll ist. Diese zunächst recht theoretische Unterscheidung demonstriert sie dabei sehr praxisnah anhand eines Fallbeispiels aus der neurologischen Rehabilitation.

    Skill Training

    Unsere Möglichkeiten der Diagnostik sind weiterhin zum Großteil noch sehr unspezifisch und die Forschung liefert stetig neue Erkenntnisse. Insbesondere in der Versorgung von Patienten mit chronischen Dysphagien muss den Behandlern diese Tatsache bewusst sein. Als Therapeuten müssen wir verstehen, dass alles, was hilft, auch das Potential hat zu schaden, wenn es »falsch« eingesetzt wird.

    (A. Hofmayer)

    Die gezielte elektrische Stimulierung eines Muskels oder Hautareals ist inzwischen zu einem etablierten therapeutischen Prinzip geworden. Genannt seien hier z. B. die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), oder die funktionelle Elektrostimulation (FES), die die gezielte Auslösung einer Muskelkontraktion zum Ziel haben. In Bezug auf die Schluckrehabilitation stellen in diesem Zusammenhang Alexandra Stienen, Hannah Lück und Johanna De Broux die »pharyngeale Elektrostimulation (PES)« anhand eines Patienten mit rechtshemisphärischer Stammganglienblutung vor. Basierend auf dem Prinzip der Neuroplastizität wird hier durch eine Stimulierung der pharyngealen Rezeptoren eine Reorganisation geschädigter neuronaler Schluckprozessierungen angestrebt. Wie die Autorinnen in ihrem Fallbeispiel eindrücklich demonstrieren, kann die PES bei dysphagischen und tracheotomierten Patienten die Schluckfunktion derart (re-)aktivieren, dass in Verbindung mit einer logopädisch vermittelten Übungstherapie, die Entwöhnung vom Tracheostoma beschleunigt und die Patienten im günstigsten Falle sogar zu einer vollständigen oralen Ernährung zurückfinden können.

    Pharyngeale Elektrostimulation (PES)

    Prinzip der Neuroplastizität

    Die auf dem Behandlungsprinzip der Neuroplastizität basierende pharyngeale Elektrostimulation erweitert das therapeutische Spektrum neurogener Dysphagien um eine im Alltag praktikable sowie für Patienten wenig belastende Methode, welche die komplexe Therapie von Schluckstörungen sinnvoll ergänzt und das Risiko weiterer Komplikationen reduziert.

    (A. Stienen, H. Lück und J. de Broux)

    Auch in dem Fallbeispiel eines Patienten mit Hirnstamminfarkt und schwerer neurogener Dysphagie stellt die PES einen wichtigen Baustein der Behandlung dar. Unabhängig von dem tatsächlichen Anteil der PES an dem überaus positiven Rehabilitationsverlauf mit initialer oraler Nahrungskarenz bis zum Erreichen einer vollständigen oralen Ernährung bei Entlassung, betont Thorsten Lammers vor allem die Bedeutung einer möglichst frühzeitigen, mehrdimensionalen Behandlung und definiert die Ziele der Schluckrehabilitation wie folgt:

    Mehrdimensionale Behandlung

    Ziele sind dabei, in der Initialphase frühe Komplikationen zu vermeiden (Kompensation durch Schluckmanöver, Adaptation durch antisalivatorische Medikation und ggfs. Sondenernährung) und darüber hinaus die möglichst frühzeitige Förderung neuroplastischer Mechanismen (mit dem Ziel der Restitution).

    (Th. Lammers)

    Zu den eher seltenen, jedoch auch häufig mit schweren Dysphagien einhergehenden neurogenen Erkrankungen gehören die Muskeldystrophien. Die sehr heterogenen Formen haben gemeinsam, dass sie zu fortschreitenden Lähmungen der Skelettmuskulatur führen und aufgrund ihrer genetischen Pathogenese bereits schon im frühen Kindesalter auftreten. Sie können sich ganz erheblich auf mehrere Funktionsebenen gleichzeitig auswirken und somit auch Atmung, Sprechen und Schlucken massiv beeinträchtigen. Dass eine Behandlung vor diesem Hintergrund immer einen interdisziplinären Zugang erfordert, der frühzeitig einsetzt und häufig auch ein akkurates Trachealkanülenmanagement einschließt, wird von Martin Gross und Janina Runkel dargelegt.

    Muskeldystrophien

    Atmung, Sprechen und Schlucken

    Die Dysphagie führt insbesondere im Zusammenspiel mit einer Husteninsuffizienz zu tracheobronchialen Sekretretentionen, die ein Risiko für akute Sekretverlegungen, Atelektasen und Pneumonien darstellen. Wichtig ist, alle genannten Problemfelder zu erfassen und adäquat zu therapieren.

    (J. Runkel und M. Gross)

    In Bezug auf neurodegenerative Erkrankungen gibt es wohl kaum ein anderes Syndrom, was im Hinblick auf die therapeutische Zielsetzung aber auch das Selbstverständnis des Behandlers schwierigere Fragen aufwirft als die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Wie kann eine Therapie für beide Seiten als erfolgreich und sinnvoll erlebt werden, wenn eine Heilung im Sinne einer völligen Symptomfreiheit oder zumindest eine deutliche Verbesserung der Schluckfähigkeit nicht das Ziel sein kann bzw. gar ein rasches Fortschreiten der Erkrankung einen baldigen Tod mit sich bringt? Dieser Frage und den möglichen therapeutischen Schritten und Konsequenzen, vor allem auch im Hinblick auf ein suffizientes Sekretmanagement, geht Ulrich Birkmann nach und sieht die fachlich fundierte Begleitung und Beratung von ALS-Patienten als evidente Elemente der Schlucktherapie an.

    Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

    Suffizientes Sekretmanagement

    Wer mit ALS-Erkrankten arbeitet, muss den Weg der »klassischen Therapie« verlassen, in der grundsätzlich die Verbesserung der Symptome im Vordergrund steht. Es ist die Aufgabe der Dysphagietherapie, die Betroffenen nicht nur im klassischen Sinne zu behandeln, sondern auch die Patienten und deren Angehörige zu beraten.

    (U. Birkmann)

    Auch die extrapyramidal-motorischen Erkrankungen, wie der Morbus Parkinson, sind hier besonders relevant, da aufgrund ihrer hohen Altersprävalenz auch zukünftig mit noch mehr Betroffenen in neurologischen und geriatrischen Abteilungen zu rechnen ist. Dabei können nicht nur Störungen des Schluckens, sondern auch Einschränkungen des Sprechens und der Stimme (sog. »Dysarthrophonien«) einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität haben und müssen entsprechend in der Behandlung berücksichtigt werden. Dass Dysphagien und Stimminsuffizienz den Betroffen nicht immer direkt bewusst sind, verzögert häufig den Beginn einer Behandlung. Mit dieser komplexen Problematik sehen sich Ärzte und Logopäden im ambulanten Bereich häufig konfrontiert. Dabei ist zu betonen, dass eine Therapie nicht immer alle Funktionsbereiche gleichermaßen verbessern kann und sich an die mitunter schnell verändernde Symptomatik anpassen muss. Dieses Spannungsfeld wird von Grit Mallien eindrücklich dargestellt, wobei sie ein möglichst frühzeitiges Abklären von Sprech- und Schluckstörungen bei Parkinsonpatienten fordert.

    Morbus Parkinson

    Dysphagien und Stimminsuffizienz

    Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass beim Vorliegen einer, wenngleich moderaten, Dysarthrie im Rahmen einer zunächst nicht näher beschriebenen Bewegungsstörung immer auch eine Anamneseerhebung einer möglichen Dysphagie erfolgen sollte.

    (G. Mallien)

    In diesem Zusammenhang sind vor allem auch seltenere Formen der Parkinson-Erkrankung bedeutsam, die sich nicht nur in Bezug auf die zu beobachtende dysphagische Symptomatik vom idiopathischen Morbus Parkinson teils recht deutlich unterscheiden. So beschreibt Stefanie Duchac die Behandlung der Dysphagie und Kommunikationsstörung eines Patienten mit Multisystematrophie (MSA-P), einer neurodegenerativen Bewegungsstörung, die den sog. »atypischen Parkinsonsyndromen« zugeordnet wird. Bezugnehmend auf die verschiedenen Evidenzebenen beschreibt sie dabei den Prozess der Entscheidungsfindung im interdisziplinären Team und erinnert dabei an die Forderung, bei jeglicher Entscheidung immer auch die Konsequenzen für den einzelnen Patienten sowie seine ganz individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Insbesondere bei Entscheidungen für oder gegen eine PEG-Anlage rücken somit immer auch ethische Fragestellungen in den Fokus.

    Multisystematrophie

    Atypisches Parkinsonsyndrom

    Diese ethischen und rechtlichen Überlegungen sollten neben den fachlichen Aspekten zwingend in die akuten, aber auch langfristigen Entscheidungen einbezogen werden. Dies verdeutlicht auch noch einmal die Aufgabe der stationären, aber vor allem auch ambulanten Behandlungsteams, in einem stetigen Austausch mit dem Patienten und ggf. seinen Angehörigen zu bleiben.

    (S. Duchac)

    Auch die Myasthenia gravis gehört zu den eher seltenen neurologischen Erkrankungen und zeichnet sich durch eine belastungsabhängige muskuläre Schwäche aus, die sich in Bezug auf das Schlucken in zunehmenden pharyngealen Residuen äußert, jedoch auch mit schweren Aspirationen einhergehen kann. Für die zielgerichtete Behandlung, bei der pharmkotherapeutische Interventionenen die wichtigste Rolle spielen, ist eine frühe akkurate bildgebende Diagnostik zwingende Voraussetzung. Hierbei kann im Rahmen der FEES mit Hilfe des sogenannten Belastungstests (Fatigable Swallowing Test, FST) gezielt nach einer möglichen belastungsabhängigen pharyngealen Muskelschwäche gesucht werden. Diese diagnostischen Ebenen werden von Rainer Dziewas und Tobias Warnecke dargestellt und anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht. Dabei betonen die Autoren, dass diese Erkrankung vor allem auch bei differentialdiagnostischen Fragestellungen eine Rolle spielen sollte.

    Myasthenia gravis

    Belastungstest (Fatigable Swallowing Test, FST)

    Bei Patienten, die unter einer Dysphagie ungeklärter Ätiologie leiden, ist die Myasthenia gravis eine wichtige Differentialdiagnose, die im Rahmen des weiterführenden diagnostischen Prozedere frühzeitig bedacht werden sollte.

    (R. Dziewas und T. Warnecke)

    Mit zunehmendem Lebensalter der Betroffenen wird die Möglichkeit monokausaler ätiologischer Zuordnungen seltener und das Vorliegen gleich mehrerer mit Dysphagien assoziierter Erkrankungen wahrscheinlicher. Dies liegt vor allem an der Multimorbidität der Betroffenen sowie altersbedingten Veränderungen der Schluckpassage und ihrer Funktionen (Presbyphagie). Da darüber hinaus Leitlinien zur Diagnostik und Therapie verschiedenster Erkrankungen und Syndrome meist monoätiologisch ausgerichtet sind, wird auch die Ableitung handlungsleitender Empfehlungen im Sinne eines leitliniengerechten Vorgehens erschwert.

    Vor diesem Hintergrund sei hier vor allem auch die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), die als ätiologischer Faktor von Dysphagien zunehmend in den Fokus rückt, erwähnt. Insbesondere bei Vorliegen noch weiterer schwerer Erkrankungen, wie einer Sepsis mit Langzeitbeatmung, kann die Dysphagietherapie auch hier nur innerhalb einer interdisziplinären Versorgungsstruktur realisiert werden. Dieser komplexen Thematik nähert sich Maria-Dorothea Heidler mit der alltagsnahen Darstellung einer logopädischen Schlucktherapie im Rahmen der intensivmedizinischen Rehabilitation (IMR), die nicht nur die dysphagischen Symptome selbst, sondern auch eine Vielzahl von Komorbiditäten berücksichtigen muss.

    Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

    Intensivmedizinischen Rehabilitation (IMR)

    Die therapeutischen Herangehensweisen in der IMR unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation. Zu berücksichtigen sind jedoch die oft zahlreichen Komorbiditäten und medizinischen Komplikationen, z. B. Dialysepflichtigkeit, Herzerkrankungen oder psychisch-psychiatrische Auffälligkeiten wie Angst, Depression oder septische Enzephalopathie.

    (M. Heidler)

    Ein spezielles und immer noch mit viel Unsicherheiten verbundenes Themengebiet in der Behandlung von Schluckstörungen bildet auch das Trachealkanülenmanagement in der neurologischen Akut- und Frührehabilitation. Dabei handelt es sich oft um schwerst betroffene Patienten, die über einen längeren Zeitraum intensivmedizinisch versorgt werden müssen und zunächst häufig mit einer geblockten Kanüle versorgt sind. Regina Lindemann beschreibt das therapeutische Vorgehen und den Prozess der Dekanülierung, in dem ein frühes Enblocken und damit vor allem die Wiederherstellung des physiologischen Atemweges den Anfang bildet. Ihr »Non-Avoidance Konzept« (»TKM ProAkt – progressive Aktivierung«) macht deutlich, dass eine erfolgreiche Dysphagietherapie tracheotomierter Patienten mehrere Ebenen, wie Atmung, Clearing-Funktionen und Sensibilität, berücksichtigen muss. Dabei fordert sie ein standardisiertes Vorgehen, welches in Form eines Dekanülierungsalgorithmus die einzelnen Behandlungschritte strukturiert und damit die Sicherheit für die Patienten und den Behandler erhöht.

    Trachealkanülenmanagement

    TKM ProAkt – progressive Aktivierung

    Dekanülierungsalgorithmus

    Inhaltlich ist »TKM ProAkt« die Konfrontation mit der bestehenden Dysphagie und ihren Symptomen durch ausgewählte therapeutische Methoden sowie durch Aktivitäten mit Bezug zum Lebensalltag und den Wünschen und Zielen des Patienten.

    (R. Lindemann)

    Neben neurogenen Grunderkrankungen, können auch Kopf-Hals-Tumore zu Schluckstörungen führen, die nicht selten so schwer sind, dass sie eine Tracheotomie und PEG-Anlage erforderlich machen. Neben der Entfernung schluckrelevanter Strukturen, sind auch Folgen einer Chemotherapie und vor allem residuale Strahlenschäden nach therapeutischer Radiatio für die Beeinträchtigung des Schluckens verantwortlich.

    Kopf-Hals-Tumore

    Entfernung schluckrelevanter Strukturen

    Chemotherapie

    Radiatio

    Fabian Kraus zeigt hier beispielhaft Ziele, Hindernisse und Grenzen einer Schluckrehabilitation bei Kopf-Hals-Tumoren auf, die unterschiedliche Etagen und funktionell bedeutsame Strukturen der »oropharyngealen Schluckstraße« betreffen können. Er beschreibt dabei die überaus komplexe Vorgehensweise, die in unterschiedlicher Gewichtung und in Abhängigkeit vom Einzelfall aus chirurgischen, chemo- und radiotherapeutischen sowie logopädischen Interventionen besteht, wobei die zu erwartende posttherapeutische Lebensqualität in jede Therapieentscheidung miteinbezogen werden muss. So bewegt sich die Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren im Spannungsfeld von kurativer Tumortherapie und dem möglichst optimalen Erhalt der Organfunktion und damit auch der Schluckfähigkeit.

    Posttherapeutische Lebensqualität

    Kurative Tumortherapie

    Erhalt der Organfunktion

    Nur als Team aus Patient und Behandlern kann das bestmögliche Ergebnis erreicht werden. Hierzu gehört gelegentlich auch das Eingeständnis einer verlorenen Körperfunktion. Dies sollte aber nicht über den Therapieerfolg und die vielen anderen Bereiche, welche bei jedem Patienten erhalten bzw. rekonstruiert werden können, gestellt werden.

    (F. Kraus)

    Auch hier ist die Beratung der Betroffenen und Angehörigen ein wichtiges Element der Therapie. Diese sollte so früh wie möglich beginnen, was auch bedeuten kann, dass bereits vor einer chirurgischen Resektion von Tumorgewebe und damit ggf. schluckrelevanter Strukturen oder auch einer postinterventionellen Radiatio und begleitenden Chemotherapie eine entsprechende Begleitung und Anleitung der Patienten ermöglicht wird. Beispielhaft wird dies am »Zürcher Prähabilitationskonzept« deutlich, was in Bezug auf Kopf-Hals-Tumore von Miriam van Beek und Jörg Edgar Bohlender, dargestellt wird. Auf der Grundlage des sog. »eat and exercise«-Prinzips werden dem Patienten und seinen Angehörigen dabei die Vorzüge einer Kombination aus oraler (Teil-)Ernährung und spezifischen Schluckübungen dargelegt. Die Autoren zeigen auf, dass mittels einer frühzeitigen Begleitung, Anleitung und Information im interdisziplinären Behandlungsteam eine Teiloralisierung sowie mitunter auch eine vollständige orale Ernährung für den Patienten zu erreichen sind.

    »Zürcher Prähabilitationskonzept«

    »eat and exercise«-Prinzip

    Eine vor Beginn der Radio(chemo)therapie eingeleitete Prähabilitation will den Gesundheitszustand und die dysphagiebezogene Lebensqualität des Patienten so verbessern, dass die Häufigkeit und Schwere aktueller und zukünftiger Beeinträchtigungen, die aufgrund der Therapie auftreten, verringert werden.

    (M. van Beek und J. E. Bohlender)

    Dysphagien sind jedoch nicht nur ein Problem des älteren oder hochbetagten Menschen. Auch Neugeborene, Kleinkinder und Jugendliche können von Schluckstörungen betroffen sein. Je nach Behinderungsgrad werden sie entweder im häuslichen Umfeld oder in hierfür spezialisierten Institutionen betreut. Chetana Aswathanarayana betont dabei in ihrem Beitrag, dass die Ausformung des physiologischen Schluckmusters in die Gesamtentwicklung des Kindes eingebunden ist und die Therapie gestörter Schluckfunktionen in der Pädiatrie daher mehrere Ebenen berücksichtigen muss. Eine ausschließlich auf den funktionellen Aspekt des kindlichen Schluckens ausgerichtete Behandlung greift daher zu kurz. Somit ist auch das Einbeziehen der Eltern für den Therapieerfolg von entscheidender Bedeutung.

    Gesamtentwicklung des Kindes

    Ziel eines Dysphagiemanagements ist eine lustvolle, sichere, ausreichende und selbstregulierte Oralität. Diese Zielsetzung zeigt bereits die Komplexität der Thematik auf. Die einzelnen Aspekte werden im Laufe eines kindlichen Entwicklungsprozesses erreicht und sind immer Teil der Gesamtentwicklung.

    (Ch. Aswathanarayana)

    Vor dem Hintergrund der klinischen Relevanz oropharyngealer Dysphagien und ihrer zunehmenden Bedeutung in der HNO-Heilkunde, Geriatrie und Neurologie, lag der klinische Fokus eine lange Zeit recht isoliert auf den Störungen des oropharyngealen Schluckaktes. Bedenkt man jedoch, dass neurologische Erkrankungen auch den ösophagealen Bolustransport betreffen können und die mit Schluckstörungen assoziierten gastrointestinalen Erkrankungen mitunter eine ebenso vielschichte Ätiologie und Symptomatik aufweisen, sind sie in Bezug auf das klinische Dysphagiemanagement nicht zu vernachlässigen. Hinzu kommt, dass sie sich durchaus auch in sog. »extraösophagealen Symptomen«, wie chronischem Husten, Heiserkeit, einem Globus pharyngis oder Thoraxschmerzen (dem sog. »Nicht kardialen Brustschmerz«) manifestieren können und somit immer auch in differenzialdiagnostische Erwägungen mit einbezogen werden sollten. Dies verlangt von den beteiligten Berufsgruppen ein profundes Wissen zu diagnostischen Verfahren und therapeutischen Optionen ösophagealer Dysphagien.

    Extraösophageale Symptome

    Nicht kardialer Brustschmerz

    In diesem Zusammenhang widmen sich Julie Nienstedt und Anne Kalitzky dem laryngopharyngealen Reflux (LPR), welcher ursächlich für viele unspezifische Symptome sein kann und häufig unbemerkt auftritt. Auch als »stiller Reflux« bezeichnet, kann er im klinischen Alltag leicht übersehen werden. So haben die Betroffenen mitunter eine lange Leidensgeschichte hinter sich gebracht, bevor die richtige Diagnose gestellt wurde und eine entsprechend adäquate Behandlung erfolgen kann. Diese setzt jedoch, wie die Autorinnen betonen, eine differenzierte Diagnostik voraus, für die klinisch etablierte Goldstandards allerdings z. Zt. noch fehlen.

    Laryngopharyngealer Reflux (LPR)

    Stiller Reflux

    Aus diesem Grunde ist eine differenzierte Vorgehensweise notwendig, die auch eine objektive Messung des orpharyngealen Säure-Basen-Milieus beinhalten sollte. Nur auf diese Weise undin der Zusammenschau aller Befunde, kann eine Diagnose gestellt werden und die auf den jeweiligen Patienten abgestimmte, individuelle Therapie erfolgen.

    (J. Nienstedt, A Kalitzky)

    Auch die Achalasie, als primäre Motilitätsstörung des Ösophagus, die den Speisebolus im Rahmen einer Relaxationsstörung des unteren Ösophagussphinkters sowie der Beeinträchtigung der propulsiven ösophagealen Peristaltik nicht oder nur eingeschränkt in den Magen passieren lässt, erfordert ein differenziertes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen, was von Jochen Keller, Herbert F. Durwen und Viktor A. Krol dargestellt wird. Dabei wird deutlich, dass die Erkrankung zwar nicht heilbar im Sinne einer bleibenden Beschwerdefreiheit ist, die Symptomatik allerdings durch verschiedene Verfahren über einen längeren Zeitraum beherrscht werden kann. Die Wahl der jeweiligen Methode richtet sich dabei nach dem Typ der Achalasie, der individuellen Symptomatik, dem Alter des Patienten sowie möglichen Komorbiditäten.

    Relaxationsstörung des unteren Ösophagussphinkters

    Die Behandlung der Achalasie beinhaltet verschiedene therapeutische Methoden, die auf die individuellen Faktoren der Patienten abzustimmen sind. Auf ein Rezidiv der Symptomatik muss in einigen Fällen mit einer Wiederholung der Behandlung bzw. auch mit einem Wechsel der therapeutischen Methode reagiert werden.

    (J. Keller, H. F. Durwen, V. A. Krol)

    Die hier aufgeführte Zusammenschau der einzelnen Beiträge verdeutlicht nicht nur die Komplexität des Störungsbildes der Dysphagie, sondern betont vielmehr die Notwendigkeit eines interdisziplinären Vorgehens, in dem gleichermaßen medizinisch-therapeutische, wie auch psychosoziale Aspekte eine Rolle spielen.

    Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in der Regel die neutrale bzw. männliche Form verwendet. Diese gilt für alle Geschlechtsformen (weiblich, männlich und divers).

    1     Bolus = zu schluckender Nahrungsbrei.

    1       Die funktionelle Dysphagietherapie (FDT) am Beispiel eines Patienten mit schwerer neurogener Dysphagie

    Jochen Keller und Herbert F. Durwen

    1.1       Theoretischer Hintergrund

    Dysphagien können Folge zahlreicher neurogener und nicht neurogener Erkrankungen sein und bilden bei manchen sogar das Hauptsymptom. In Abhängigkeit von den einzelnen Grunderkrankungen können sie einerseits als passageres Phänomen nur kurzfristig präsent sein und dann vollständig remittieren, andererseits jedoch auch als chronische Beeinträchtigung lange fortbestehen oder in ihrer Symptomatik auch weiter fortschreiten und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken. Eine erfolgreiche Behandlung der meist komplexen Symptomatik setzt sowohl eine akkurate Diagnostik als auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedenster Fachdisziplinen voraus. Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Methoden, Strategien und Zielsetzungen in Abhängigkeit von Ätiologie, Stadium und Prognose der Erkrankung.

    Dysphagietherapie als prozesshaftes Geschehen

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