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WANDERER UNTER DUNKLEN HIMMELN
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eBook284 Seiten3 Stunden

WANDERER UNTER DUNKLEN HIMMELN

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Über dieses E-Book

Wanderer unter dunklen Himmeln – erstmals im Jahre 1981 veröffentlicht – enthält die Novelle Tagila, die Miniatur Der Gott sowie die Erzählungen Aine und Wanderer unter dunklen Himmeln, Texte, die das Genre der literarischen Fantasy nicht nur gekonnt widerspiegeln, sondern auch (und vor allem) erweitern; der Nihilismus, der viel, viel später u.a. Game Of Thrones innewohnen sollte (und der auch zahlreiche Werke von beispielsweise Michael Moorcock prägt), ist tief verankert in diesem herausragenden Werk der deutschen Schriftstellerin und Übersetzerin Eva Bauche-Eppers: Es sind Geschichten von Außenseitern, von Verkannten und Gebrandmarkten, Metaphern des menschlichen Makels, Heldenmut und Tugendhaftigkeit findet sich bestenfalls in aus tiefstem Elend geborenen Regungen, und insbesondere an den dramatischen Zuspitzungen und tragischen Wendungen von Tagila und Aine hätte William Shakespeare seine rege Freude gehabt

Wanderer unter dunklen Himmeln – ein zu Unrecht lange Jahre vergessenes Meisterwerk deutschsprachiger Fantasy-Literatur, wiederentdeckt und neu veröffentlicht im Apex-Verlag.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Aug. 2017
ISBN9783743807778
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    Buchvorschau

    WANDERER UNTER DUNKLEN HIMMELN - Eva Bauche-Eppers

    Das Buch

    Wanderer unter dunklen Himmeln – erstmals im Jahre 1981 veröffentlicht – enthält die Novelle Tagila, die Miniatur Der Gott sowie die Erzählungen Aine und Wanderer unter dunklen Himmeln, Texte, die das Genre der literarischen Fantasy nicht nur gekonnt widerspiegeln, sondern auch (und vor allem) erweitern; der Nihilismus, der viel, viel später u.a. Game Of Thrones innewohnen sollte (und der auch zahlreiche Werke von beispielsweise Michael Moorcock prägt), ist tief verankert in diesem herausragenden Werk der deutschen Schriftstellerin und Übersetzerin Eva Bauche-Eppers: Es sind Geschichten von Außenseitern, von Verkannten und Gebrandmarkten, Metaphern des menschlichen Makels, Heldenmut und Tugendhaftigkeit findet sich bestenfalls in aus tiefstem Elend geborenen Regungen, und insbesondere an den dramatischen Zuspitzungen und tragischen Wendungen von Tagila und Aine hätte William Shakespeare seine rege Freude gehabt

    Wanderer unter dunklen Himmeln – ein zu Unrecht lange Jahre vergessenes Meisterwerk deutschsprachiger Fantasy-Literatur, wiederentdeckt und neu veröffentlicht im Apex-Verlag.

    Die Autorin

    Eva Bauche-Eppers, Jahrgang 1954.

    Eva Bauche-Eppers ist eine deutsche Übersetzerin Schriftstellerin.

    Ihr literarisches Debüt feierte Eva Bauche-Eppers (unter dem Pseudonym Eva Christoff)  im Jahr 1979 mit dem Roman Das Kaiser-Komplott, welcher als Band 3 der Science-Fiction-Serie Die Terranauten (Bastei-Verlag) erschien. Für dieselbe Serie verfasste sie 1980 fünf weitere Romane: Das PSI-Inferno (Band 6), Die Kinder Yggdrasils (Band 7), Invasion der toten Seelen (Band 29), Blick in die Vergangenheit (Band 30) und schließlich Der Einsame von Ultima Thule (Band 31). 1981 folgte mit Wanderer unter dunklen Himmeln (wiederum im Bastei-Verlag) eine Sammlung von vier Fantasy-Erzählungen.

    Seither ist Eva Bauche-Eppers in erster Linie als Übersetzerin ins Deutsche  tätig. So übersetzte sie beispielsweise Werke von Tanith Lee (u.a. Red As Blood), Michael Moorcock (The Eternal Champion, The Phoenix in Obsidian und The Dragon In The Sword), Richard Kirk - aka Robert Holdstock und Angus Wells - (Raven-Zyklus) und Robert E. Howard (u.a. The Lost Race und Zukala's Hour). Herausragend sind ihre zahlreichen Übersetzungen der Werke von China Miéville: u.a. The Scar (2002), The Iron Council (2005), Perdido Street Station (2006), Un Lun Dun (2007), The City & The City (2009), Embassytown (2011), Railsea (2012). In den Jahren 2003 und 2016 wurde sie für Perdido Street Station und Railsea jeweils mit dem Kurd-Laßwitz-Preis als beste Übersetzerin ausgezeichnet.

    Eva Bauche-Eppers lebt und arbeitet in Bitburg.

    »The dreamers ride against the men of action,

    oh see the men of action falling back.«

    Leonard Cohen, The Traitor

      Tagila

    Die hundert Auserwählten warteten stumm vor den geschlossen Toren des Palastes. Bewegungslos standen sie dort, als hätte die Nacht sie mit einem schwarzen Panzer umgossen. Aber nicht nur die hundert Männer, auch die Stadt unter ihrem Schleier aus erdrückender Sumpfvegetation wartete lautlos und dunkel.

    Die Augen der Männer waren unbeirrt auf das Doppeltor des Palastes gerichtet. Der hauchfeine, gelbliche Elfenbein-Belag des Tores wirkte in der Dunkelhit wie ein  übergroßes Leichentuch.

    Der Lichtschein, der jetzt vor dieser Tür aufzuckte, wurde von dem Elfenbein gedämpft und floss matt über die ersten Stufen der Freitreppe. Schon nach wenigen Augenblicken aber schien die Tür in goldenen Flammen zu stehen, und die Schatten der beiden Sklaven, die herbeieilten, um sie zu öffnen, wirkten für die Außenstehenden wie die letzten Verteidiger der Nacht.

    Dann schwangen die Flügel auf, und das Licht des gewaltigen Kohlenbeckens in der Mitte des Thronsaals strömte unbarmherzig in die Dunkelheit.

    Die hundert Auserwählten verloren ihre Starre und hoben die toten Fackeln, die sie in beiden Händen hielten. Unter die Türöffnung trat Tagan'sol. Erster Feldherr des Fürstentums Tibar. Er trug in der Armbeuge ein Schwert.

    »Schmied!«, rief er.

    Aus dem Schatten eines Baumes neben der Treppe löste sich ein gewaltiger Mann, der mit bedächtigen Schritten die Stufen hinaufstieg und nach dem Schwert griff, das Tagan'sol ihm reichte.

    »Der Fürst von Tibar ist tot«, sagte der Feldherr. »Nimm seine Waffe, Schmied, und lege sie in das Feuer. Schaffe daraus eine neue Klinge für den jüngsten der drei neuen Fürsten von Tibar. Du kennst seine Hand und seinen Arm. Und hier, nimm dieses Juwel...« Er griff in sein Gewand und nahm einen riesigen Smaragd heraus, der wie ein funkelnder grüner Ball auf seiner Handfläche lag. »Dieser Smaragd soll der Knauf des Schwertes sein.«

    Mit einer scheuen Bewegung nahm der Schmied den Edelstein entgegen und trat an das Kohlenbecken.

    Tagan'sol breitete die Arme aus. »Nun hört alle, ihr Auserwählten!«, rief er. »Delman, Fürst von Tibar, ist tot. Zu Nachfolgern bestimmte er seine drei Söhne - T'bor, Tegan und Tagila. Tagila, dem Letztgeborenen, vermachte er sein Schwert. Damit verstieß er gegen die Sitte, nach der die Waffe eines toten Fürsten auf seinen ältesten Sohn übergeht, aber er war Herrscher, und sein letztes Wort ist Gesetz. Kommt jetzt, seht den tote Fürsten, schwört Treue unseren neuen Herren und eilt dann, die Trauer über den Tod und die Freude über den neuen Herrscher zu verbreiten.«  

    Die hundert Männer folgten ihm durch den Thronsaal, die stufenlose Spirale zu den Gemächern der fürstlichen Familie hinauf und traten hinter ihm in den Raum, in dem Delman, der Fürst, gestorben war.

    Am Kopfende stand Sitan, der Ratgeber Delmans, neben ihm T'bor und Tegan in weißer Trauerkleidung. Zu ihnen hatte sich Hyrtana gesellt, die Schwester des Königs von Kryollt und Gemahlin Tagilas, der abseits von seinen Brüdern an einem Fenster lehnte. Er war schwarz gekleidet wie immer, und die massige Flut seiner dunklen Haare verdeckte sein Gesicht.

    Die Auserwählten schritten an dem Leichnam vorbei  und erwiesen den fürstlichen Brüdern ihre Ehrerbietung.

    »Habt ihr gesehen und könnt ihr bezeugen, dass er in Wahrheit tot ist?«, fragte Sitan, als sie sich wieder bei der Tür versammelt hatten.

    »Wir haben es gesehen und können es bezeugen«, antworteten sie.

    »Dann geht.«

    Im Laufschritt eilten die hundert Männer den Gang hinab, entzündeten am Kohlenbecken ihre Fackeln und verschwanden in der Dunkelheit. Einige von ihnen mussten ihre Botschaft bis nach Gerith tragen, zu Hagan'thol, der als reichster Kaufherr die Geschicke des östlichen Nachbarn Tibars lenkte.

    Andere eilten nach Kryollt, wo Kraan als König herrschte, dessen Leibesumfang und Bequemlichkeit eigentlich das einzig Bemerkenswerte an ihm waren, aber er war der Lehnsherr der Edlen von Tibar, und deshalb waren sie ihm besonders verpflichtet.

    Der Weg einer dritten Gruppe führte nach Haldon, dem Land des Kons Kolpotan. Haldon war karg und gebirgig, Kolpotan ein neidischer und unberechenbarer Nachbar, doch war es bisher nicht zu offenen Streitigkeiten gekommen.

    Die vierte, größte Gruppe trug die Nachricht vom Tode Delmans und der Ernennung der neuen Fürsten durch die Städte und Dörfer Tibars, die versteckt und abgeschlossen in dem Sumpfgebiet der Danuva-Mündung lagen, des großen Flusses, der die wichtigste Verkehrsader zwischen Gerith, Kryollt und Tibar bildete und dessen Weitverzweigtes Delta eigentlich das ganze Land Tibar ausmachte.

    Es war unwirtliches Sumpfgebiet mit einem nur schmalen Streifen Nutzland. Kryoll I., vor dreihundert Jahren König von Kryollt, hatte diesen Teil seines Reiches den Nomaden zum Lehen gegeben, damit sie nicht länger seine Dörfer verwüsteten und seine Handelsboote überfielen. Er verlor nichts damit, denn die Kryollter wagten sich nicht in die Sümpf, weil nach ihren Sagen dort die Kurunut hauste, die seelenfressende Sumpfschlange. Die Nomaden aber kannten weder Gott noch Teufel, nahmen das Land in Besitz und aus ihnen. erwuchs das Volk der Tibarer.

    Sitan, Tagan'sol, die drei Fürsten und Hyrtana blieben allein im Sterbezimmer Delmans zurück. Sie hatten sich, von der Leiche abgewendet und blickten aus einem hohen Fenster über die Palastgärten auf die Stadt. In den Häusern waren. Lampen und Fackeln wieder entzündet worden, denn die ersten Boten hatten die Nachricht schon durch die Straßen getragen.

    »In zehn Tagen werden die Auserwählten bei Hagan'thol sein«, meinte Sitan leise, »in fünfzehn Tagen werden sie Kryollt erreichen und die dritte Gruppe wird elf Tage brauchen, bis sie die Burg Kolpotans erreicht hat. Wie werden unsere Nachbarn den Tod Delmans aufnehmen?«

    Tagan'sol lächelte spöttisch. Seine langen, allzu gepflegten Finger spielten mit der goldenen Stickerei an seinem Schulterüberwurf.

    »Du bist alt, Sitan«, sagte er. »Jedes deiner Worte beweist es. Unsere Nachbarn werden sehr viel früher Bescheid wissen, als du denkst. Erstens, weil ich am Stadtrand reitfertige Syllas für die Boten bereithalten lasse. Zweitens, weil sie alle ihre Spione in Tibar haben. Solltest du das tatsächlich nicht wissen?«

    Sitan verzog sein hageres Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse.

    »Die Tradition verlangt, dass die Todesboten laufen«, sagte er.

    »Traditionen!«, unterbrach ihn Tagan'sol. »Traditionen. sind nur so lange nützlich, als sie ein gläubiges Publikum haben, aber es wird wohl niemand den Männern nachrennen, um sich zu überzeugen, dass sie den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen.«

    »Ruhe!«, befahl T'bor, der älteste von Delmans Söhnen und gab seine lässige Haltung auf. »Unser Vater mag eure Streitereien amüsant gefunden haben, ich dagegen halte sie für lächerlich und überflüssig. Entscheidend ist: Wird Hagan'thol sich weiterhin damit abfinden, von unseren Häfen abhängig zu sein und unseren Seehandel über uns abzuwickeln? Teilt Kraan den Aberglauben seiner Vorfahren, was die Kurunut betrifft? Wird...«

    Tegan, sein jüngerer Bruder, braunhaarig und untersetzt wie er selbst, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nicht so eilig«, meinte er bedächtig. »Eins nach dem anderen. Keine dieser Fragen ist neu. Alle hat sich auch unser Vater immer wieder gestellt. Hagan'thol mach .t mir die wenigsten Sorgen. Er sammelt Geld, aber keine Soldaten. Vielleicht versucht er, unsere Hafen- und Lotsengebühren zu drücken, aber sonst wird er sich ruhig halten. Außerdem würde er keinen Gerither dazu verlocken können, einen Fuß in die Sümpfe zu setzen. In Gerith haben sich die Gerüchte über die Kurunut über drei Jahrhunderte hinweg gut gehalten.«

    Tagan'sol betrachtete die beiden jungen Fürsten schläfrig. Den Zorn über den Tadel T'bors ließ er sich durch nichts anmerken. Anders Sitan, der angelegentlich aus dem Fenster starrte und vorgab, taub zu Sein.

    »Mit Hagan'thol mögt Ihr Recht haben«, stimmte Tagan'sol den Worten Tegans zu. »Aber Kraan hat sich eine schlagkräftige Truppe aufgebaut, seit er König wurde. Und seine jungen Männer kümmern sich nicht um die Ängste ihrer Väter. Auch haben sie kaum genug Seele, um nur eine Kurunut satt zu machen - falls es diese Ungeheuer jemals gegeben hat.«

    »Aber er muss sich doch an die Verträge halten, die sein Vorfahr mit unseren Ahnen geschlossen hat?«, warf T'bor ein.

    Hyrtana, die sich bis jetzt still verhalten hatte, blickte plötzlich von der stillen Gestalt ihres Mannes zu seinen Brüdern und lachte scharf.

    »Was sind Verträge für meinen lieben Bruder!«, höhnte sie. »Wäre Kraan zu Zeiten Kryoll I. schon an der Macht gewesen, er hätte einen endgültigeren Weg gefunden, euch von seinen Besitztümern fernzuhalten. Statt euch aus Angst und Bequemlichkeit ein Gebiet zuzusprechen, dass euch außer dem Besitz der Häfen auch noch die Kontrolle über die Danuva-Schifffahrt nach Kryollt und Gerith eingebracht hätte, hätte er...«

    Sie verstummte, aber ihre Augen sprachen aus, was sie nicht sagen wollte.

    »Und du meinst, er könnte diesen Fehler seines Vorfahren nachträglich gutmachen wollen?«, fragte Tegan.

    »Es ist möglich. Aber nicht alleine. Dazu ist er zu feige. Wenn er Verbündete fände...«  

    Tagan'sol wollte etwas sagen, aber T'bor gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen und wandte sich an Tagila, der noch nicht einmal seine Haltung verändert hatte, seit Delman den letzten Atemzug tat.

    »Was meinst du, Bruder?«, fragte er. Auf das Wort Bruder legte er eine merkwürdige Betonung, die Verachtung und... ja, Furcht ausdrückte.

    Tagila hob ruckhaft den Kopf. Die schwere Haarflut, die das schmale Gesicht zu erdrücken schien, wogte träge über seine Schultern zurück.

    »Da sind Kolpotan, Hamman und Arrat«, sagte er leise und sehr weich.

    Die vier Männer und die Frau zuckten unwillkürlich zusammen, als sie sich so plötzlich und ungeschützt seinen Augen ausgesetzt fanden. Die Iris zwischen den überlangen schwarzen Wimpern war so groß, dass von dem Weiß kaum noch etwas zu sehen war. Für jeden, der ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, waren seine Augen zwei blauschwarze Schilde aus undurchdringlichem Stahl, erschreckend und abweisend.

    »Pah!« Sitan gab seine beleidigte Pose auf und drehte sich zu Tagila herum. »Kraan und Kolpotan. Kraan müßte verrückt sein, sich den Wolf ins Haus zu holen.«

    »Ich sprach nicht von Kraan und Kolpotan«, gab Tagila in dem gleichen sanften Tonfall zurück. »Ich sprach von Kolpotan und den Wandernden aus den Wüstengebieten. Kolpotan wird von Neid und Gier verzehrt, und auch die Wandernden lieben den Glanz der Juwelen.«

    Sitan machte ein vielsagendes Geräusch mit den Lippen, Tagan'sol verbarg ein Lächeln hinter der Hand, und Tegan und T'bor blickten verständnislos in das ausdruckslose Gesicht ihres Bruders. Hyrtana machte eine scheue Handbewegung wie um ihn am Arm zu berühren, aber er schritt bereits zur Tür. Bevor er den Raum verließ, warf er noch einen kurzen Blick zurück.

    »Warum nur«, sagte er leise, »fragt ihr mich immer, wenn ihr doch keine Antwort wollt?«

    Eine Erwiderung wartete er nicht ab. Seine Schritte verklangen auf dem Gang, eine Tür schloss sich kaum hörbar.  

    Hyrtana stand einen Augenblick unbeweglich, dann lief sie auf den Gang und blieb vor einer schwarzen Tür mit silberner Einlegearbeit stehen. Sie rüttelte an dem silbernen Schlangenkopf des Griffes, aber die Tür gab nicht nach. Sie war von innen verriegelt. Mit geballten Fäusten wartete sie, ein, zwei, drei Minuten, aber alles, was sie hörte, war der gedämpfte Klang einer Klthara.

    Die Lippen fest zusammengepresst folgte sie mit langsamen Schritten der Spirale weiter hinauf zu ihren eigenen Gemächern. Ihre langen Fingernägel hinterließen blutige Halbmonde in ihren Handflächen.

    Das felsige, karge Haldon grenzte an die schwellende Üppigkeit von Kryollt und Tibar. Am Fuß des Gebirgszugs lagen vereinzelte Dörfer, die sich in das wenige fruchtbare Land teilten. Weiter oben gab es einsame Höfe, die Viehzucht und ein wenig Ackerbau betrieben.

    Reich war Haldon nicht, aber an diesem Spätsommermorgen war es schön. In der klaren Luft schimmerten die weißen Gipfel in zartem Rosa, und die nackten Felswände zeigten ein metallisch schimmerndes Blau, aus dem die schattigen Schründe und Schluchten finster herüberdrohten.

    In gleicher Düsternis ragte der Raubhorst des Kons von Haldon empor. Diese Mauem, schroff und unersteigbar, verneinten die Sonne und den Morgen. Sie zogen den Schatten der Nacht vor, die einen verhüllenden Mantel über die Schandtaten Kolpotans deckte.

    Seine hohe Gestalt bückte sich unter der niedrigen Tür  hindurch, die von der Wachstube auf die Plattform seines höchsten Turmes führte. Der Soldat, der dort seine Runde ging, drehte sich erschrocken um und fiel auf ein Knie.

    »Ich bin wachsam, Herr«, sagte er heiser. »Wenn einer etwas anderes sagt, so lügt er.«

    Kolpotan erkannte die mühsam verborgene Angst in den Zügen des gepanzerten Mannes und nickte zufrieden.

    »Geh!«, befahl er. »Ich will alleine sein. Wenn ich dich brauche, werde ich rufen.«

    Der Soldat nickte erleichtert und verschwand in seiner winzigen Kammer.

    Kolpotan trat an die Zinnen und überblickte sein Land. Die Schönheit bemerkte er nicht. Er sah nur den kahlen Fels, auf dem keine reichen Ernten wuchsen, und die schäumenden Wasserfälle, auf denen keine Handelsboote fahren konnten.

    Seine bernsteinfarbenen Augen wandten sich nach Osten, wohin er schon unzählige Male geblickt hatte, von der gleichen unbefriedigten Gier erfüllt wie. seine Vorfahren. Warum war ausgerechnet seinem Geschlecht dieser erbärmliche Haufen Steine zugefallen, während andere, weniger würdige, in Pracht und ständig zunehmendem Reichtum lebten? Hagan'thol, Kraan - wer waren sie schon gegen ihn?

    »Die Wache am Nadelfelsen hat gemeldet, dass die Boten aus Tibar kommen«, sagte Kalan, der lautlos neben den Kon getreten war.

    Kolpotan nickte nur, sah ihn aber nicht an.

    »Dann ist Delman tot«, überlegte er. »Ich fühle, dass unsere Zeit kommt, Kalan. Seine Söhne sind jung, sie können beeinflusst werden. Wenn es uns gelingt, Tibar auf unsere Seite zu ziehen, können wir mit Hammans und Arrats Unterstützung Kryollt und Gerith einkreisen.«

    Kalan wiegte den Kopf. »Und wenn die vormaligen Wölfe sich inzwischen zu Haushunden gewandelt haben?«, gab er zu bedenken. »Die Tibarer sind seit dreihundert Jahren sesshaft und haben sich an ein Leben als Händler gewöhnt. Was die Wandernden aus Hamman und Arrat anbetrifft - sie sind nicht besonders vertrauenswürdig, das weißt du so gut wie ich. Wenn es hart auf hart geht, könnten sie leicht auf die Idee kommen, eine Kehrtwendung zu machen und mit Gerith und Kryollt gegen uns zu marschieren, falls man ihnen dort nur genug bezahlt.«

    Kolpotan schlug mit der ungeschützten Faust auf den rauen Fels der Brüstung. Aus der zerschrammten Haut tropfte etwas Blut.

    »Wenn und Aber, Zweifel und Erwägungen - Kalan, bist du mein Reiterführer oder meine Amme? Wir müssen es wagen! Alle meine Vorfahren haben gezögert, sich mit kindischen Überfällen begnügt - ich will nicht sein wie sie! Ich will alles

    »Oder nichts...« sagte Kalan.

    Kolpotan stierte seinen Reiterführer as blutunterlaufenen Augen an, aber Kalan war mit ihm zusammen aufgewachsen und an all Launen des Kons gewöhnt.  Außerdem war er ein Mann von außergewöhnlichem Mut, und auch der Gedanke, dass Kolpotan einmal ihre lebenslange Freundschaft vergessen und ihn zu einer Besichtigung seiner Folterkammern einladen konnte, hielt ihn nicht davon ab, zu sagen, was er dachte.

    »Du hast Recht wie immer«, sagte Kolpotan endlich nach einem tiefen Atemzug. »Ich weiß, dass du aus Sorge um mich zur Vorsicht mahnst, aber sieh ein, dass mein  Entschluss feststeht. Ich will mein Leben nicht als Strauchdieb beenden. Du und Hrenata - ihr werdet nach Tibar reisen. Sprecht mit dem neuen Fürsten, bestimmt wird es T'bor sein, der älteste von Delmans Söhnen. Und wenn er nicht vernünftig ist, tötet ihn! Ihn und seine Brüder. Ein führerloses Tibar wird, wenn schon nicht nützlich, doch wenigstens ungefährlich sein.«

    Kalan neigte den Kopf. Der Kon hatte entschieden.

    »Was soll mit den Boten geschehen?«, fragte er. »Einer deiner Foltersklaven hat ein neues Gerät fertiggestellt. Sollen wir heute Abend ein Fest geben...?«

    Kolpotan lächelte. »Aber nicht doch!«, antwortete er. »Vorläufig bemühen wir uns doch um ein gutes Verhältnis zu Tibar. Gebt ihnen das Beste vom Besten und lasst sie ziehen.«

    Gemeinsam gingen sie zur Wachstube zurück, doch vor der Tür blieb Kalan stehen. Kolpotan sah sich auffordernd nach ihm um.

    »Muss ich Hrenata wirklich mitnehmen?«, fragte Kalan.

    Kolpotan lachte belustigt. »Ich weiß, dass du dich mit deiner Tochter nicht verstehst«, sagte er. »Aber sie besteht darauf, mitzureisen, und du weißt ja, wie sie ist... Auch ist es ganz gut, wenn ihr von einer Frau begleitet werdet. Es unterstreicht die Friedfertigkeit meiner Absichten

    Kalan hob ergeben die Schultern und folgte Kolpotan die Wendeltreppe hinab.

    Hrenata trat aus der Tür des Zimmers, das man ihr im tibarischen Palast angewiesen hatte. Sie blickte sich vorsichtig um, und als sie über den Gang hastete, legte sie eine Hand über den Dolchgriff, um zu verhindern, dass er gegen ihr knielanges Kettenhemd klapperte.

    Kalan mit den restlichen sechs Mitgliedern der Gesandtschaft bewohnte drei ineinander übergehende Gemächer schräg gegenüber ihrem eigenen. Er öffnete sofort, nachdem sie sich durch Klopfzeichen zu erkennen gegeben hatte.

    »Es ist Zeit«, sagte sie, kaum dass sie sich durch den schmalen Türspalt gezwängt hatte.

    »Das weiß ich selbst«, antwortete Kalan schroff.. »Ich habe nur noch auf Euch gewartet, damit Ihr nicht behaupten könnt, ich würde über Euren Kopf hinweg handeln. Werdet Ihr hier warten?«

    Hrenata nickte nur. Sie war zu erregt, um sich auf ein Streitgespräch einzulassen. Nachdem die Männer gegangen waren, wanderte sie unruhig durch die Rätime1 blickte aus den Fenstern und lauschte an der Tür, aber alles blieb ruhig. T'bor, Tegan und ihre Ratgeber hatten sich von den begeisterten Berichten der Boten über die Gastfreundschaft des Kon und dem zurückhaltenden, beinahe demütigen Auftreten der Gesandtschaft so in Sicherheit wiegen lassen, dass sie im Palast so gut wie keine Wachen aufgestellt hatten.

    Hrenata trat von der Tür zurück und richtete sich stolz auf, als sie die leisen Schritte ihrer Leute hörte.

    »Ihr habt euch Zeit gelassen«, sagte sie spröde. »War es so schwierig, drei nichtsahnende schlafende Männer gefangen zu nehmen?«

    Kalan bedachte sie mit einem spöttischen Blick und wies die Krieger an, ihre Lasten vor den Füßen der Frau niederzulegen.

      »Es ist nicht die Zeit, darüber zu streiten, wer von uns der bessere Krieger ist«, antwortete er. »Unser Unternehmen ist unbemerkt geblieben. Ihr Hochmut und ihre Dummheit haben diese Fürsten eines stinkenden Sumpfes zu einer leichten Beute gemacht. Ich bin der Ansicht, wir sollten uns jetzt noch der Ratgeber und Heerführer bemächtigen. Was meint Ihr?«

     Hrenata beugte sich über die drei gefesselten

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