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Inside Abacus und die verrückte Geschichte der Schweizer IT-Branche
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eBook201 Seiten2 Stunden

Inside Abacus und die verrückte Geschichte der Schweizer IT-Branche

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Über dieses E-Book

Die drei HSG-Absolventen Claudio Hintermann, Eliano Ramelli und Thomas Köberl hatten keinen Plan, als sie 1985 die Software-Firma Abacus gründeten – ausser, dass sie nicht angestellt sein wollten. Sie und der später dazugestossene Daniel Senn zuckten mit den Schultern, als man sie im New-Economy-Hype zu Millionären machen wollte und legten sich immer wieder mit Behörden oder grossen Konzernen an. Ihr Fokus lag auf den Mitarbeitenden und auf gutem Essen, gutem Wein, tollen Partys und Kultur. Und darauf, die beste Software zu programmieren.
In der zweiten Hälfte der 1980er- Jahre gab es in der Schweiz zahlreiche Firmen, die betriebswirtschaftliche Software entwickelten. Viele gingen unter. Auch multinationale Unternehmen wie Microsoft und SAP kündigten an, den Schweizer KMU-Markt zu erobern – und scheiterten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Okt. 2023
ISBN9783039196944
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    Buchvorschau

    Inside Abacus und die verrückte Geschichte der Schweizer IT-Branche - Christoph Hugenschmidt

    Gier und Grössenwahn

    Wie einige Personen in der Schweiz um die Jahrtausendwende mit Software sehr schnell sehr reich wurden und andere viel Geld verloren.

    Am 25. November 1999 wurden die Aktien der Langenthaler Software-Firma Miracle¹ zum ersten Mal am Börsenhandelsplatz SWX New Market gehandelt. Der Aktienkurs des kleinen Unternehmens entwickelte sich in den ersten zwei Tagen fulminant, alle wollten Miracle-Anteile kaufen: Der Preis des Wertpapiers stieg von 250 auf 429 Franken. Die Firma mit gerade einmal 180 Mitarbeitenden war Ende Woche 430 Millionen Franken wert – das war mehr als das Zehnfache des für 1999 geschätzten Umsatzes. Die Grossaktionäre waren auf einen Schlag reich geworden und sollten in den nächsten Monaten noch reicher werden. Fast die Hälfte der überhaupt handelbaren Miracle-Aktien wechselte in nur zwei Tagen den Besitzer. In der Wirtschaftszeitung Finanz und Wirtschaft (FuW) wurde nicht über Risiken oder die ziemlich fantastischen Umsatzprognosen der Firma geschrieben: Nein, das Blatt beklagte sich, dass Private bei der Zuteilung der neuen Aktien leer ausgegangen seien, da sich institutionelle Anleger (wie etwa Pensionskassen und Aktienfonds) den Löwenanteil gesichert hätten.

    Miracle-Geschäftsführer und -Grossaktionär Peter Schüpbach² legte im Kursfeuerwerk Pulver nach. Er sei erstaunt, über welches Fachwissen insbesondere Fondsverwalter in Frankfurt und London verfügten, sagte er der FuW. Übersetzt lautete die Botschaft: Beeilt euch beim Kauf unserer Aktien, sonst schnappen euch die kompetenten Investoren aus Frankfurt und London die besten Häppchen am Buffet der Börsenparty weg! Wer seinen Vermögensverwalter damals Miracle-Aktien ins Depot legen liess, erlebte eine wundersame Geldvermehrung.

    Nicht nur Miracle sorgte für ein Börsenwunder. Auch die Wertpapiere einer Firma namens Fantastic machten die Inhaber reich. Fantastic, 1996 in Zug gegründet, entwickelte Software für die Verbreitung von Medieninhalten über damals noch eher exotische Breitbandnetze. Im September 1999 wurde Fantastic von der US-Grossbank Goldman Sachs an den «Neuen Markt» in Frankfurt gebracht. Der Aktienkurs des kleinen, eigentlich verlustreichen Unternehmens ging durch die Decke. Schon im November 1999 hatte Fantastic einen theoretischen Wert von 2,6 Milliarden Franken, im Februar 2000 waren es bereits 6,3 Milliarden. Firmengründer Peter Ohnemus³ war über Nacht zum Milliardär geworden. Im März 2000 war Fantastic an der Börse mehr wert als die Swissair und die Ems-Chemie zusammen. Finn Canonica, damals Journalist bei der Tages-Anzeiger-Beilage Magazin, beschrieb in einer grossen Reportage die Fantastic-Leute als «zukünftige Digerati» und «Internetadlige», welche «die Terminologie beherrschten».

    Während Miracle wenigstens real existierenden Software-Code und eine lange Geschichte als Business-Software-Hersteller vorzuweisen hatte, war das Angebot von Fantastic dürftiger. «Es war ein aufgebohrtes FTP» schrieb mir ein ehemaliger Mitarbeiter im Frühling 2022 salopp. FTP (File Transfer Protocol) steht für ein in den 1980er-Jahren entwickeltes weitverbreitetes Protokoll für die Übertragung von Dateien via Internet.

    Noch weniger hatte ein Start-up namens Think Tools anzubieten. Die Zürcher Firma, hinter der der Münchner Philosoph Albrecht A. C. von Müller⁴ steckte, hatte nach eigenen Angaben «ein PC-basiertes Set von Methoden und Instrumenten entwickelt, welches politische, wirtschaftliche und andere Entscheidungsträger bei der Bewältigung von komplexen Fragestellungen unterstützen» sollte, schrieb die FuW blumig. Von Müller stellte sein «Problemanalyse- und Entscheidungshilfeprogramm» (Zitat aus dem Wirtschaftsmagazin Bilanz) 1997 am World Economic Forum (WEF) in Davos vor. Er gewann unter anderem WEF-Gründer Klaus Schwab als Investor und Kunden sowie Alt-Bundesrat Flavio Cotti als Verwaltungsrat. Think Tools wurde in der Wirtschaftspresse als Allheilmittel für Manager angepriesen. Von Müller empfange «Topshots» im schicken Antibes, schrieb die Bilanz am 1. September 1999. Und dann: «Vor solcher Kulisse führt er die übers Wochenende eingeflogenen Konzernvorstände in lockerer Workshop-Atmosphäre an die Lösung strategischer Knacknüsse heran. In der Regel genügen schon zwei, drei intensive Sitzungen, um selbst hochkomplexe Fragestellungen mit verschiedenen, voneinander abhängigen Einflussgrössen zur Entscheidungsreife zu bringen.» Kein Wunder, war der Börsengang ein Erfolg. Zum Handelsstart am 24. März 2000 stieg der Kurs der Think-Tools-Aktien vom Ausgabepreis von 270 Franken auf 1050 Franken. Die Firma war damit theoretisch 2,5 Milliarden Franken wert, und der Philosoph von Müller wurde innerhalb eines Tages zum Milliardär und Medienstar. Im Juni 2000 bejubelte die Presse den nächsten Promi-User der Kleinstfirma. Der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder habe die Software auf seinen Rechner geladen, meldete das Nachrichtenmagazin Spiegel.

    Ein Software-Winzling geht an die Börse

    Selbst ein kleiner Player wie die Stanser Firma Winpeak mit gerade mal dreissig Mitarbeitenden und einer einfachen betriebswirtschaftlichen PC-Lösung namens WinOffice konnte den grossen Fischzug wagen. WinOffice spielte im Schweizer Markt für Business-Software zu diesem Zeitpunkt keine grosse Rolle. So wurde WinOffice in einer Umfrage von Demoscope 1998 zum Einsatz von betriebswirtschaftlichen Lösungen nicht unter den Top 6 aufgeführt. Im April 1999 holte man mit Daniel J. Schwarzenbach⁵ einen redegewandten und sehr selbstbewussten Chef, baute mithilfe der Zürcher Kantonalbank eine Holding-Struktur auf, gab sich einen neuen, nach Internet und E-Commerce riechenden Namen (Complet-e) und gestaltete schöne PowerPoint-Präsentationen. Den Journalistinnen und Journalisten an der Pressekonferenz zum bevorstehenden Börsengang im folgenden Oktober übergab man im teuren Sportrucksack einen dicken Ordner voller eindrücklicher Grafiken. Schwarzenbach verkündete, Complet-e könne nach dem Börsengang in drei Jahren den Umsatz von 2,5 Millionen auf 80 Millionen Franken steigern und bis dahin auch Geld verdienen. In ganz Europa gebe es 2,5 Millionen Kundinnen und Kunden, und man wolle die Nummer drei im europäischen Markt werden. Solche Projektionen waren völlig unrealistisch, denn gerade betriebswirtschaftliche Software unterscheidet sich von Land zu Land massiv, und der Aufwand, sie zu lokalisieren, ist gigantisch. Doch das fiel der anwesenden Wirtschaftspresse nicht weiter auf. Auch ich, seit wenigen Monaten als einziger Angestellter mit dem hochtrabenden Titel «Chefredaktor» der Zeitschrift IT Reseller, getraute mich nicht zu rufen: «Aber der Kaiser hat ja keine Kleider an». Das wohlwollende Interesse der erfahrenen Journalisten der grossen Medien und der Wirtschaftspresse sowie die teuer verpackten Präsentationen schüchterten mich ein. Wenigstens betitelte ich meine Story nicht mit «Ein programmierter Börsenerfolg», wie die Wirtschaftszeitung Cash, sondern vorsichtig-skeptisch: «Daniel Schwarzenbachs hochfliegende Pläne».

    «The Internet changes everything»

    Der kollektive Wahn des beginnenden Jahrtausends, als selbst honorige Schweizer Pensionskassenverwalter in Firmen investierten, die Miracle, Fantastic, Think Tools und Complet-e hiessen, war durch eine eigentlich richtige Einschätzung ausgelöst worden: Das aufstrebende Internet würde die Art und Weise, wie wir kommunizieren, Freunde finden, Waren und Dienstleistungen ver- und einkaufen, kurz: die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, grundsätzlich verändern. So ist es auch gekommen – allerdings später und langsamer, als man im New-Economy-Hype fantasierte. Man glaubte damals, es gehe darum, möglichst schnell möglichst grosse Claims in goldreichen Gegenden respektive in Technologien, die mit dem Internet zu tun haben, abzustecken.⁶ Nur zu gern kaufte man Glücksrittern, Fantasten oder auch einfach Betrügern solche Claims respektive die Aktien von Firmen ab, die etwas mit dem Internet zu tun hatten. Die meisten sind unterdessen gescheitert, wenngleich einige hochprofitable Tech-Giganten wie Amazon, Google oder Tencent aus dieser Goldgräberzeit stammen.

    Wer immer im New-Economy-Boom mitmachen wollte, musste sein Produkt oder seine Dienstleistungen mit dem Internet in Verbindung bringen. Jede Pressekonferenz internationaler IT-Firmen, an die ich damals eingeflogen wurde, begann mit der inbrünstig hervorgebrachten Erkenntnis des oder der CEO: «The Internet changes everything». Der Server-Hersteller Sun Microsystems gab sich den heute etwas irre anmutenden Slogan «We are the dot in Dotcom». Entsprechend lautete die Standardfrage der Journalistinnen und Journalisten der Wirtschaftspresse an Pressekonferenzen von Schweizer Software-Herstellern: «Und wann geht Ihr an die Börse?»

    Banken, Berater und Beteiligungsfirmen gaben sich bis zum Platzen der New-Economy-Blase bei den Schweizer Software-Unternehmen buchstäblich die Klinke in die Hand. Schliesslich gab es bei Börsengängen und Firmenverkäufen viel zu verdienen, und wer als Bank von Internet-Fantasien profitieren wollte, konnte sich mit einem Börsengang am damals neu gegründeten und nur kurz existierenden SWX New Market profilieren.

    Ab in den Papierkorb

    Dass Abacus, schon damals mit Abstand die Nummer eins im Schweizer KMU-Software-Markt, noch heute existiert, hat viel damit zu tun, dass man sich in St. Gallen vom Internet-Hype nur wenig beeindrucken liess. «Claudio murmelte jeweils ‹schon wieder einer›, zeigte mir den Brief der Bank, des Beraters oder der Investment-Firma und schmiss ihn dann in den Papierkorb. Wir hätten Abacus jede Woche verkaufen können», sagte mir Daniel Senn, ehemaliger Entwicklungsleiter, heute Verwaltungsratspräsident und einer der vier Grossaktionäre von Abacus. Die vier Abacus-Besitzer, Claudio Hintermann, Daniel Senn, Eliano Ramelli und Thomas Köberl hielten nichts von einem Börsengang und hatten schon gar keine Lust, ihre Firma zu verkaufen.

    Warum haben alle vier der Versuchung, schnell sehr reich zu werden, widerstanden? Oder die Lockrufe von Investoren ignoriert, die ihnen versprachen, mithilfe ihres Geldes international expandieren und andere Firmen aufkaufen zu können und so eine europäische Software-Grösse zu werden? Die vier Besitzer haben sich nicht nur gegen solche Angebote entschieden, sondern – wie sie und ihr ganzes Umfeld einhellig bestätigen – sich für solche Angebote nicht einmal interessiert. Die Briefe landeten im Papierkorb, Kontaktversuche wurden ignoriert.

    «Es gab viele Anfragen und Angebote. Aber wir haben nie auch nur darüber diskutiert. Denn wir wussten, dass wir nach einem Börsengang nicht mehr so arbeiten konnten, wie wir es wollten. Auch wenn wir die Firma verkauft hätten, hätten wir nicht mehr tun können, was wir wollten. Und hätten deshalb gehen müssen. Was hätten wir dann machen sollen?» erzählte Eliano Ramelli. Bei Abacus habe man die Produkte von Miracle sehr wohl gekannt. «Aber als die Miracle-Leute sagten, dass sie an die Börse gingen, verstanden wir es nicht», so der langjährige Abacus-Finanzchef. Als der Börsenkurs des kleineren Konkurrenten Ende November 1999 von 240 auf 430 Franken stieg, sei er erschrocken. Ihn habe gestört, dass die ersten, die einstiegen, wie bei einem Schneeballsystem, viel Geld verdienten, während die, die zuletzt kamen, ihr Geld verloren.

    Auch Abacus-CEO Claudio Hintermann ärgert sich noch heute über die Personen, die Miracle an die Börse brachten: «Alle wussten, dass es ein Bschiss ist. Auch die Banken, die Miracle an die Börse brachten, wussten es.» Und begründet gleich wie sein Jugendfreund Ramelli, warum er und seine Kollegen nie auch nur daran gedacht hatten, die Firma zu verkaufen. «Was hätten wir tun sollen, wenn wir Abacus verkauft hätten? Wir konnten ja nichts anderes.» Entscheidend aber war, dass es auch nach den ersten 15 Jahren noch Spass machte, als eigene Herren und Meister Abacus gedeihen zu sehen. Daniel Senn erzählt es so: «Wir waren wie eine Familie. Und diese wollten wir behalten. Natürlich brauchten wir alle Geld. Aber wir waren ja auch nicht arm. Ich hatte ein Haus, ein Auto und meine Familie. Ich konnte es mir leisten, mit der ganzen Familie drei Wochen durch die USA zu reisen. Eine Jacht auf dem Mittelmeer wollte keiner von uns.»

    Dennis Strassmann, Support Projektverwaltung, bei Abacus seit November 2022

    Weniger einfach machte es sich Thomas Köberl. Köberl gehört zu den drei ursprünglichen Gründern und war seit den ersten Tagen der Firma für das Marketing und damit für die Aussenwahrnehmung von Abacus verantwortlich. «Als Miracle die neue Software-Version mit Pauken und Trompeten und der Unterstützung von Uni-Professoren ankündigte, machte das einen gewaltigen Eindruck auf mich. Wir schauten schon ein bisschen neidisch nach Langenthal. Zumindest mich beeindruckte es. Miracle schaffte es ja bis in die TV-Nachrichten.»

    Völlig unbeeinflusst vom New-Economy-Hype blieben die Sankt Galler dann doch nicht. Im Februar 2000 kündigte Abacus an der ersten Pressekonferenz der Firma überhaupt eine eigene E-Commerce-Lösung an: AbaShop. AbaShop funktionierte nur in Zusammenhang mit der Auftragsbearbeitung und der Fakturierungslösung AbaWorX. Der Entschluss, Abacus-Software für die neue, verheissungsvolle Internet-Welt zu machen, war offensichtlich in grösster Eile gefasst worden. Nicolas Guillet, einer der Entwickler der ersten Stunde bei Abacus, erzählt: «Claudio berief in aller Eile eine Pressekonferenz ein, und wir hatten sechs Wochen Zeit, um an der Pressekonferenz etwas präsentieren zu können. Wir brauchten dann Jahre, um die Software aufzuräumen.»

    Miracles Absturz

    Allzu lange musste Köberl nicht nach Langenthal schauen. Schon im Dezember 1999 brachen die ersten Miracle-Kunden ihre

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