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Bruderhitze
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eBook331 Seiten4 Stunden

Bruderhitze

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Über dieses E-Book

Eine hitzige Geschichte von Brüdern. Von echten und von Freunden, die sich wie Brüder lie-ben.

Sommer 2015. Berlin ächzt seit Wochen unter einer andauernden, noch nie da gewesenen Hitzewelle. In einem schwulen BDSM-Studio im Bezirk Schöneberg wird der verheiratete Bas-ketballtrainer Martin Kowalewski brutal ermordet. Am Tatort wird der blutverschmierte junge Escort Kevin von Hauptkommissar Roland Schmidt verhaftet. Der 21-Jährige beteuert seine Unschuld. Maxime, sein bester Freund, der sein Studio neben Kevin in der Szenekneipe ‚Mümmelmann‘ betreibt, unterstützt den Privatdetektiv Jan Schweitzer bei den Ermittlungen.

Schon bei der ersten Begegnung der zwei Escorts entstand ein tiefes Band der Freundschaft. Beide stehen aufopfernd füreinander ein, nichtsahnend, dass ihre Verbindung schon bald ei-ner Prüfung standhalten und sich beweisen muss. Schnell wird klar, dass der Fall weit kom-plexer ist, als es zu Beginn den Anschein machte. Nicht nur die Familie von Maxime ist direkt in den Fall verstrickt, etliche der Protagonisten hatten eine Rechnung mit dem ermordeten zweifachen Familienvater offen.

Maxime ermöglicht Privatdetektiv Schweitzer und seiner blutjungen Assistentin Lisa Einblicke in die schwule Szene, in unbekannte Fetische und Praktiken. Bei den Nachforschungen tref-fen die drei unter anderem auf einen kläffenden Puppy, einen bärigen Urberliner in einem un-gewöhnlichen Store, und eine Reise quer durch Berlin mit der U-Bahn zeigt bisher unbekannte Orte der deutschen Metropole.

Im Verlaufe der Geschichte wird dem jungen Escort der Spiegel vorgehalten und er reflektiert sein Leben. Das Schicksal der pakistanischen Familie Loharani lässt einen ebenso nicht un-berührt, genauso wie die dubiosen Machenschaften der skrupellosen Immobilienfamilie Löffler. Täuscht der tiefgrüne Rasen im Vorgarten und das perfekt gestylte Häuschen der jungen Familie Kowalewski? Alles nur Fassade, die Liebe bloß aufgesetzt und nicht echt, so wie die Plastikblumen auf dem Wohnzimmertisch?

Neben der Hitze in Berlin, entflammt auch eine neue Liebe im Basketballverein ‚Blue White Bears‘, bestehende Verbindungen gehen in die Brüche oder müssen sich neu bewähren. Dunkle Geheimnisse offenbaren sich und Ereignisse aus der Vergangenheit holen die Ge-genwart ein. Außergewöhnliche Ermittlungsmethoden und unerwartete Wendungen prägen die Auflösung des Verbrechens.
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum13. März 2023
ISBN9783987580529
Bruderhitze
Autor

Marc Wallo Schneider

Marc Wallo Schneider ist ein Pseudonym eines Schweizer Autors. Wallo, wie er seit der Kind-heit von vielen genannt wird, erblickte 1970 im beschaulichen Olten das Licht der Welt. Bereits in der Grundschule war es sein Wunsch, ein Buch zu schreiben. Erst nach einem halben Jahrhundert Lebenserfahrung war die Zeit gereift und der Wirt-schaftsinformatiker hatte genügend Mut gesammelt, um seinen sicheren Job zu quittieren und sich seinem Erstlingswerk BRUDERHITZE zu widmen. Mit seiner direkten, bildlichen, nicht zuletzt humorvoll pointierten Sprache gelingt es ihm span-nendes Kopfkino zu erzeugen, das den Leser fesselt und keine Ruhe bis zum überraschen-den Schluss lässt.

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    Buchvorschau

    Bruderhitze - Marc Wallo Schneider

    Unbekannt.jpeg

    Über den Autor:

    Marc Wallo Schneider ist ein Pseudonym eines Schweizer Autors. Wallo, wie er seit der Kindheit von vielen genannt wird, erblickte 1970 im beschaulichen Olten das Licht der Welt.

    Sein Schreibstil ist geprägt durch kurze und prägnante Sätze. Mit seiner direkten, bildlichen, nicht zuletzt humorvoll pointierten Sprache gelingt es ihm spannendes Kopfkino zu erzeugen, das den Leser fesselt und keine Ruhe bis zum überraschenden Schluss lässt.

    www.wallo.ch

    www.bruderhitze.ch

    Himmelstürmer Verlag,

    Ortstr.6, 31619 Binnen

    www.himmelstuermer.de

    E-Mail: info@himmelstuermer.de

    Originalausgabe, April 2023

    © Himmelstürmer Verlag

    Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

    Zuwiderhandeln wird strafrechtlich verfolgt

    Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

    Umschlagdesign: akira007 (fiverr.com)

    Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

    Covermotiv: shutterstock.com

    ISBN print              978-3-98758-051-2

    ISBN e-pub             978-3-98758-052-9

    ISBN pdf                 978-3-98758-053-6

    Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht beabsichtigt.

    Marc Wallo Schneider

    BRUDERHITZE

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    Für meine Eltern

     

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    Berlin, Sommer 2015. An einem heißen Freitagabend, um 17.00 Uhr.

    Die Tür zu seinem Studio stand halb offen, schales Licht drang durch den Spalt.

    „Maxime? Bist du es? Hast du etwas vergessen?", rief Kevin laut ins leere, triste Treppenhaus, indessen er die letzten Stufen in den ersten Stock hinaufstieg. Bei jedem Tritt knarrten die hölzernen Latten der steilen Treppe. Darüber spannte ein abgelaufener Teppich. Der rote Läufer war mittig des Aufgangs mit goldfarbenen Eisenstangen fixiert, typisch für einen Bau aus der Blütezeit des Art déco. An den vergilbten Wänden hingen einige schwarz-weiß Fotos damaliger Zeitgenossen. Das Gebäude wurde nach dem 2. Weltkrieg wieder originalgetreu aufgebaut und kam dem Bau vor den todbringenden Bomben nahe.

    „Maxime?"

    Niemand antwortete. Kevin stellte seine Einkaufstüten ab. Er war mit Madame Choco, seiner besten Freundin einkaufen gewesen. Er freute sich, dass er schnieke Klamotten und coole New Balance Sneaker für sich gefunden und Choco ein neues Bühnenoutfit ergattert hatten.

    Langsam drückte er die Tür zu dem kleinen Zimmer auf. Nach zwei Schritten blieb er stehen und erstarrte. Er trat in Blut. Überall Blut. Mitten im Raum hing Martin Kowalewski. Die Hände kopfüber mit Handschellen an einem Haken an der Decke fixiert. Er trug seinen Vereinsanzug der ‚Blue White Bears‘ und weiß-grüne Adidas Turnschuhe. Die Kleider zerrissen und blutverschmiert. Seine Kehle war durchschnitten. Sein ganzer Körper wies zahllose Verletzungen auf. Das Haupthaar war ihm eilig abrasiert worden. Nur wenige Haarbüschel blieben zwischen den großen kahlen Stellen zurück. Sein Kopf war über Augen und Mund fest mit grauem Klebeband umwickelt. Am Boden verliefen rotbräunliche Pfützen aus Exkrementen, Kotze und Urin. Verteilt im Raum fanden sich einige mit Kot und Blut verschmierte Sextoys. Erst jetzt bemerkte Kevin den beißenden Geruch von Pisse, Scheiße, Schweiß, verbranntem Fleisch und Erbrochenem. Hastig schritt er an dem Leichnam vorbei in die enge Toilette. Aufgeschreckt schwirrten einige Fliegen durch die Luft.

    Der Geruch der warmen Fäulnis würgte ihm die Kehle. Kevin musste kotzen. Der 21-jährige schwule Escort war ein abgebrühter und sadistischer Kerl. Seit drei Jahren betrieb er sein BDSM-Studio im Bezirk Schöneberg.

    Er hatte sich auf harten Männersex spezialisiert. Kein Küssen oder Kuscheln, nur die brutale Tour. Kevin war der Boss, er gab den Ton an. Nichts Außergewöhnliches, wenn einer seiner Kunden sich in den Fesseln windete, schrie und manchmal Blut floss. Martin Kowalewski war ein Stammkunde. Sie sahen sich regelmäßig alle paar Monate. Der junge Sexarbeiter ließ sich die Arbeit fürstlich bezahlen. Seine Klienten zahlten gerne und trugen die Narben wochenlang wie Trophäen am ganzen Körper.

    Kevin wuchs in behüteten Verhältnissen auf. Der Vater, ursprünglich aus den Vereinigten Staaten, hatte als Banker bei einem internationalen Geldinstitut gearbeitet. Die Mutter Teilzeit in einem Buchgeschäft. Kevin war groß gewachsen, von sportlich schlanker Statur. Die blonden Haare kurz geschnitten. Grüne, stechende Augen. Kantige Gesichtszüge und eine tiefe, sonore Stimme. Ein Autounfall ließ den damals 7-Jährigen zu einem Vollwaisen werden. Seine Eltern und seine kleine Schwester Nina konnten nur noch tot aus dem ausgebrannten Autowrack geborgen werden. Kevin wurde in ein Heim gebracht. Schon in der zweiten Nacht wurde er dort von älteren Heiminsassen missbraucht. Er hatte es über sich ergehen lassen. Später hatte er es seinen Peinigern gleichgetan und verging sich an den jungen, eingeschüchterten Neuankömmlingen. Mit erwachsenen Männern trieb er es mit 14 Jahren zum ersten Mal, wenige Monate darauf verkaufte er seinen Körper. Er hatte Gefallen daran gefunden. Nicht nur des Geldes wegen. Bald erfolgte der erste Kontakt mit der BDSM-Szene. Zuerst in der passiven Rolle als Sub, später immer häufiger als Aktiver. Im Part des Masters blühte er auf und lebte seine sadistische Ader aus. Auf Schule und Ausbildung hatte er keinen Bock mehr. Sein Vormund war überfordert. Immer öfters war er in den schwulen Clubs anzutreffen gewesen. Mit 17 hatte er wochentags die Gestelle beim Discounter aufgefüllt und die Wochenenden in den stadtbekannten Lokalen mit Freunden oder bei zahlenden Freiern verbracht. Kaum volljährig hatte er sein kleines BDSM-Studio im ersten Stock des ‚Mümmelmanns‘ eröffnet. Mitten im schwulen Kiez in Schöneberg. Die Kneipe wird in der Szene nur ‚Rammler‘ genannt.

    Kevin atmete schwer, rang nach Luft.

    „Scheiße, Scheiße, Scheiße! Was zum Teufel ist hier passiert?", sagte er laut zu sich. Nach unendlich langen fünf Minuten griff er zu seinem Mobiltelefon und wählte eine Nummer.

    „Maxime! Alles ist voll Blut. Kowalewski ist tot. Ermordet! Tot, verstehst du?", schrie Kevin ins Handy.

    „Scheiße! Du meinst Martin? Der Sportlehrer? Tot? Hast du es zu arg getrieben mit ihm?"

    „Ja, verdammt, der Martin! Ja, Trainer. Und nein, Fuck, Mann, er war schon da. Er hängt immer noch am Balken. Ich war mit Choco einkaufen. Was soll ich machen? Maxime! Scheiße, Mann!"

    Seine Stimme überschlug sich mehrfach und er lief wie ein Tiger im Käfig nervös hin und her.

    „Ruf die Bullen, Alter. Bleib cool. Du bist doch immer cool. Ich bin unterwegs."

    Maxime beeilte sich. Sofern es sein Job zuließ, trainierte er wie jeden Freitagnachmittag in einem Gym im Bezirk Pankow. Sein Gespräch hatte schon die Aufmerksamkeit und etliche argwöhnische Blicke der zahlreichen anderen Trainierenden auf sich gezogen. Er entschuldigte sich flüchtig mit einer Geste, packte seine Sachen und stürmte aus dem Trainingsraum. 50 Minuten später traf er beim ‚Rammler‘ ein. Einige Streifenwagen, ein Krankenwagen und zivile Einsatzfahrzeuge, erkenntlich am blauen Blinklicht auf dem Autodach, parkten vor der Kneipe. Etliche Schaulustige waren vor Ort und versuchten, einen Blick auf die Geschehnisse zu erlangen. Ebenso ein Reporter der ‚Berliner News‘.

    Weiß der Geier woher die Fuzzis der Klatschpresse immer so schnell Wind von einem Verbrechen bekommen. Manchmal hat man das Gefühl, die werden wie die Maden von einem toten Stück Fleisch angelockt!, dachte sich Maxime. Ein rot-weißes Absperrband markierte die Grenze zwischen den Zivilisten und den Ordnungshütern. Das Band flatterte im lauen Wind hin und her und gab leise schnatternde Geräusche von sich.

    Maxime drängte sich vor. Er erblickte seinen Freund. Ihm waren die Arme mit Handschellen auf den Rücken gefesselt, eingekesselt von Polizisten. Seine teuren weiß-blauen NIKE Air Jordan, seine Kleider, Hände und Gesicht waren blutverschmiert. Aufgeregt wechselte er von einem Fuß auf den anderen und schaute sich hektisch um.

    „Maxime, Maxime!", schrie er laut. Nur mit Mühe konnten ihn zwei Polizisten daran hindern, sich loszureißen und zu seinem Freund zu rennen.

    Maxime pendelte sich wie ein Boxer im Ring unter der Absperrung durch. Wenige Sekunden später wurde der sportliche 25-Jährige von einer jungen Polizistin gestoppt.

    „Halt! Polizei! Wohin wollen Sie! Sie haben keinen Zutritt. Sind Sie blind, oder was?", herrschte ihn die blonde Gesetzeshüterin an.

    „Ich arbeite hier. Das ist mein Freund! Weshalb trägt er Handschellen?"

    Die in etwa gleichaltrige Polizistin ließ nicht locker und hielt ihn fest. Die beiden schnauzten sich an. Weitere uniformierte Beamte kamen der Kollegin zur Hilfe und umringten den jungen Mann.

    „Maxime! Maxime!"

    „Lassen Sie den Mann gehen!", sagte der einsatzleitende Hauptkommissar Roland Schmidt zu den Polizisten und wendete sich an Maxime.

    „Herr Körner, kommen Sie bitte! Ich habe Sie schon erwartet."

    ‚Herr Körner‘, so wurde er lange nicht mehr genannt. Einen Augenblick später standen sich Kevin und Maxime gegenüber. Sie nickten sich zu, schauten sich kurz tief in die Augen und tauschten ein Lächeln.

    Schon bei der ersten, zufälligen Begegnung vor drei Jahren waren sie sich auf Anhieb vertraut. Beste Kumpane, wie Brüder. Es verband sie eine Seelenverwandtschaft. Von Familie und Umfeld nicht verstanden. Früh selbstständig haben sie gelernt, sich durch das Leben zu kämpfen. Beide waren intelligent, groß gewachsen und schwul. Daneben übten sie denselben Beruf aus. Ihre Studios im ‚Rammler‘ Tür an Tür. Die zwei Freunde befriedigten die geheimen Wünsche ihrer großzügig zahlenden männlichen Klientel.

    „Weshalb haben Sie mich erwartet? Warum ist mein Freund festgenommen? Er ist unschuldig!"

    „Hauptkommissar Schmidt", stellte sich der Ermittler vor und ging leichthin über die Fragen von Maxime hinweg.

    „Sie sind der Sohn von Konrad Körner? Von der Kanzlei Körner & Körner? Ich kenne Ihren Vater."

    Maxime verzichtete auf unnötige Höflichkeitsfloskeln.

    „Ja, bin ich. Woher kennen Sie meinen Dad?", antwortete er, obwohl es ihn nicht interessierte.

    Er hatte so gut wie keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Sein Vater war Anwalt, entstammte aus einer Anwaltsfamilie und seine Mutter Diplompsychologin aus einer reichen Reederei Dynastie aus Hamburg. Die zwei hatten nicht viele Gemeinsamkeiten, trotz alledem schafften sie es, über fünfundzwanzig Jahre verheiratet zu bleiben und drei Kinder in die Welt zu setzen. Mit seiner älteren Schwester Johanna, kurz Hanna, pflegte Maxime ein enges Verhältnis. Sie erfuhr als Erste aus der Familie, dass er auf Männer stand und die beiden teilten viele ihrer Geheimnisse. Sein um zehn Jahre jüngerer Bruder Nelson-Benjamin, von allen nur Neb genannt, wandte sich schon früh von ihm ab. Neb sah in Maxime kein Vorbild, weil er nie für ihn da war, auch akzeptierte er sein Anderssein nicht.

    „Herr Körner. Sie wissen, was passiert ist, ja?", sagte der Kommissar, beantwortete seine Frage gleich selbst, ohne eine Pause einzulegen oder eine Reaktion abzuwarten.

    „Martin Kowalewski wurde ermordet. Sie kannten das Opfer? Und Sie kennen Kevin. Ist er Ihr Freund?"

    „Wir sind beste Freunde, ja! Aber kein Paar. Wir arbeiten beide hier im ‚Rammler‘. Was spielt das für eine Rolle?"

    „Sind Sie Stricher? Oder wie nennt sich das? Weiß eigentlich Konrad, wie Sie ihr Geld verdienen?"

    „Es nennt sich Escort. Und ja. Das ist ihm bekannt. Auch wenn wir uns nicht oft sehen. Ist Kevin festgenommen? Weshalb?"

    „Okay, Escort", wiederholte der Polizist ungläubig.

    „Was glauben Sie? In seinem Studio wurde einer seiner Kunden hingerichtet. Bestialisch niedergemetzelt. Er selbst ist voller Blut und macht widersprüchliche Aussagen."

    „Nein, nein, ich war es nicht!, unterbrach Kevin energisch das Gespräch. „Fragen Sie Choco, oben sind alle meine Tüten. Wir waren am Nachmittag in der City shoppen.

    „Vielleicht sollten Sie Ihren Vater kontaktieren, wandte sich Schmidt zu Maxime. „Kevin benötigt bald Unterstützung. Ich habe Konrad als einen fähigen und guten Anwalt in Erinnerung. Und einen solchen wird Kevin brauchen!

    Es wurden im Treppenhaus keine Einkaufstüten gefunden. Madame Choco reagierte nicht auf Anrufe und Textnachrichten. Die Dragqueen schien wie vom Erdboden verschluckt. Kevin wurde wegen dringenden Tatverdachts festgenommen. Polizisten führten den jungen Mann ab und drückten ihn ruppig in einen Streifenwagen. Während das Auto wegfuhr, drehte sich der Verhaftete um. Abermals tauschten die zwei Freunde Blicke aus. Diesmal war Angst in den Augen von Kevin zu erkennen.

    Ungläubig sah Maxime dem wegfahrenden Polizeiauto nach und fixierte einen imaginären Punkt am Ende der leeren Straße. Das kann nicht geschehen sein. Ein kräftiger Arm legte sich auf seine Schulter und holte den jungen Mann zurück in die Realität.

    „Hey Maxime. Alles klar bei dir?"

    „Harry! Weißt du etwas? Kevin ist unschuldig!"

    „Natürlich ist Kevin unschuldig!, versuchte Harry zu beschwichtigen. „Nein, ich weiß leider nichts. Habe nichts gesehen. Die Polizei hat mich schon befragt.

    Der vollbärtige, glatzköpfige 40-jährige Türsteher war von Kopf bis Fuß tätowiert. Selbst seine Hände, Hinterkopf und Gesicht waren mit überwiegend blauen oder schwarzen Zeichnungen und Symbolen übersäht. Der annähernd zwei Meter lange Schrank von einem Mann sorgte nachts für Ruhe und geordneten Einlass im ‚Mümmelmann‘. Tagsüber übernahm der Hüne die Rolle eines ‚Mädchens für Alles‘. Außenstehende erschraken oft über sein Äußeres. Das täuschte. Der ehemalige Amateurboxer war durch und durch eine liebe und treue Seele.

    Harry steckte Maxime einen kleinen Notizzettel zu. Der Escort ballte eine Faust um das Papier. Die riesigen Pranken des Türstehers umschlossen Maximes Hand fest. Ihre Blicke trafen sich. Der Hüne nickte kurz.

    „Rufe die Nummer auf dem Zettel an. Richte liebe Grüße von mir aus. Und sage, ich hätte noch was gut bei ihm."

    „W-w-was?", stotterte Maxime. Er verstand nichts. Es blieb keine Zeit zum Antworten. So schnell Harry aufgetaucht war, verschwand er wieder.

    Die Leiche von Kowalewski wurde von zwei Mitarbeitern eines Bestattungsinstituts in einem schwarzen Leichensack abtransportiert und in die Gerichtsmedizin überführt. Spezialisten der Spurensicherung untersuchten den Tatort. Schnell konnte ein blutverschmiertes Samurai Schwert zwischen Sextoys und Fetischkleidern sichergestellt werden. Scheinwerfer erleuchteten das Studio und gaben jedes Detail des abscheulichen Verbrechens preis. Dicke Gardinen verhinderten, dass kein Licht nach außen drang. Der Raum war es gewohnt, Geheimnisse für sich zu behalten.

    Kapitel 1

    Langsam brach die Dämmerung ein und tauchte Berlin in ein sommerliches Abendrot. Es war nahezu windstill und die heiße, stickige Luft erschwerte selbst im Freien schnelle Bewegungen.

    Maxime setzte sich auf den Bordstein in einer ruhigen Seitenstraße. Er war erschöpft, schwitzte und wählte die Nummer auf dem Zettel.

    „Hallo? Jan Schweitzer, Privatdetektiv."

    „Maxime Körner hier. Hallo. Ich brauche Ihre Hilfe. Mein Freund Kevin. Er ist unschuldig!"

    „Habe davon gehört. Woher zum Teufel haben Sie meine Nummer?"

    „Von Harry. Er lässt Sie grüßen."

    Die beiden vereinbarten einen Treffpunkt.

    Um 20.30 Uhr klingelte Maxime bei dem Privatdetektiv. Seine Agentur befand sich keine zehn Minuten zu Fuß entfernt vom ‚Rammler‘. Unzählige Male war Maxime in der Vergangenheit an dem grauen, schmucklosen Gebäude vorbeigelaufen, ohne jemals die Detektei wahrzunehmen. Dem jungen Escort tropften dicke Schweißtropfen von der Stirn. Sein muskulöser Oberkörper zeichnete sich durch das nasse T-Shirt deutlich ab.

    Es war nichts Ungewöhnliches für den privaten Ermittler, dass ihn Hilfesuchende persönlich aufsuchten. Seine Arbeit warf obgleich den spärlichen Aufträgen genug ab, um eine Assistentin zu beschäftigen. Lisa Herzog arbeitete erst seit einer Woche bei dem 45-jährigen Detektiv. Von einem Tag auf den anderen kündigte seine langjährige rechte Hand Heidi Eckert und schmiss alles hin. Sie brannte mit ihrem jungen Lover nach Mallorca durch. Locker wäre der braun gebrannte Casanova als ihr Sohn durchgegangen. Die Frau erlebte nochmals einen zweiten Frühling. Geblendet von falscher Liebe, gespielter Zuneigung und verstärkt durch die ‚Midlife-Crisis‘ stolperte sie kopflos in ein unbekanntes Abenteuer. Lisa war indes keine zwanzig Jahre alt. Ihre Mutter hielt sich im Büro von Jan Schweitzer auf und wurde unverhofft Zeugin einer grotesken, filmreifen Szene. Laute Worte fielen, Türen wurden heftig zugeschlagen. Kurz darauf brauste Heidi im weißen Sportwagen ihres Lovers mitsamt vollgepacktem Koffer Richtung Flughafen Tegel davon. Der eigentliche Grund für ihren Besuch bei Jan Schweitzer wanderte in den Hintergrund. Schon seit Jahren vermutete sie, dass ihr Gatte sie mit einer wesentlich jüngeren Liebhaberin hinterging. Die Techtelmechtel von ihrem Noch-Ehemann wiesen unweigerlich Parallelitäten mit der Liaison zwischen Heidi und ihrem südländischen Don Juan auf. Zu einem Beschattungsauftrag für Jan Schweitzer kam es dem Nachmittag indes nicht. Instinktiv witterte die Mutter die Chance für ihre Tochter. Lisa hatte das Abitur hingeschmissen und lungerte seitdem nur zuhause herum. Nach einem ersten Treffen waren sich alle einig. Schweitzer war froh, so schnell eine Assistentin gefunden zu haben. Selbst wenn er nicht wusste, auf welches Abenteuer er sich mit der jungen, unerfahrenen Frau einließ. Es schien ihm naheliegender, sie anzustellen, als unzählige Bewerbungsmappen zu wälzen und langweilige Anstellungsgespräche zu führen. „Das passt schon", sagte er zu sich selbst.

    Schweitzer öffnete Maxime die Tür und bat ihn in sein Büro. Um diese Zeit war er allein. Lisa bescherte ihm derzeit mehr Arbeit, als sie dem Detektiv abnahm. Er bot Maxime etwas zu trinken an. Beide wählten bei dieser Hitze ein eiskaltes Bier. Sie prosteten sich zu.

    „Ich heiße Jan. Alle nennen mich so, startete Schweitzer die Unterhaltung. „Der Mord im ‚Rammler‘ hat sich schnell herumgesprochen. Was macht dich so sicher, dass es nicht Kevin gewesen ist?

    „Ich weiß es einfach. Kevin ist kein Mörder. Er ist mein Freund. Außerdem war er mit Madame Choco einkaufen. Nur ist sie verschwunden."

    „Auch Freunde können Mörder sein."

    „Kevin nicht!"

    „Was wissen wir noch alles? Außer, dass Kevin kein Alibi hat solange diese Madame ...verschwunden ist. Äh, wie hieß die nochmals?"

    „Choco. Madame Choco. Sie ist eine Dragqueen. Die Beste, die ich kenne!"

    „Das bringt uns nicht weiter. Wir wissen nicht viel."

    Schweitzer atmete lang und tief aus. Er überlegte, schwieg und schaute direkt in die blauen Augen von Maxime.

    „Hast du Kohle?"

    „Nein. Mein Vater hat Geld. Er ist Anwalt. Körner & Körner. Und Harry meinte, dass wir das anders regeln könnten. Er hätte noch was gut bei dir!"

    Schweitzer nickte stumm und nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Er schwitze und der laut surrende Tischventilator kämpfte erfolglos gegen die stehende Hitze an. 21.00 Uhr und immer noch über 25 Grad.

    „Gut, ich übernehme deinen Fall. Alles, was du weißt, musst du mir sagen. Mich bei meinen Nachforschungen unterstützen."

    „Vielen Dank. Ja, klar Mann."

    Ein befreundeter Detektiv hatte Schweitzer einen Aushilfsjob angeboten. Der sportliche durchschnittlich gewachsene Mittvierziger war damals arbeitslos und froh um die Anstellung. Es gefiel ihm, die Leute zu beobachten und in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Sei es auf der Pferderennbahn, bei einem Boxkampf, bei einer Kunstausstellung oder bei einem Gala-Diner. Schweitzer fand sich schnell im neuen Plot zurecht. Diskret und geduldig beobachtete er seine Zielpersonen. Er liebte es, Detektiv zu sein.

    Schweitzer verfügte über eine Vielzahl von Kontakten in der Szene. Gleichwohl war er froh, dass ihm Maxime tiefere Einblicke in den schwulen Escort ermöglichte. Der Detektiv verschwieg, dass er zum ersten Mal in einem Mordfall recherchierte. Seine Fälle beschränkten sich bisher auf Observationen von eifersüchtigen Ehepartnern, Ermittlungen bei Raufereien und Nachforschungen bei kleineren nicht nennenswerten Delikten im Graubereich der Legalität.

    „Ich werde mich heute Abend umhören. Morgen schauen wir uns die Wohnung von Kevin an. Weißt du, wo er wohnt?"

    „Klar, Mann. Habe auch einen Schlüssel." Die beiden vereinbarten ein Treffen für Samstagmorgen um 09.00 Uhr.

    Als Maxime beim ‚Rammler‘ eintraf, war es still, nur die Spurensicherung beendete ihre Arbeit. Der Raum wurde verschlossen und die Tür mit einem Siegel gegen unerlaubtes Eindringen gesichert.

    Im Sommer herrschte an einem Freitagabend Hochbetrieb in der Straße. Die Partylustigen drängten sich vor den Clubs und Kneipen. Es wurde reichlich getrunken, gelacht und geredet. Das schreckliche Verbrechen an diesem Nachmittag in Sichtweite der ausgelassenen Meute entschwand in der Oberflächlichkeit des Vergessens. Die Leute wollten feiern, sich selbst zelebrieren und den Alltag für einige Stunden hinter sich lassen. Der ‚Rammler‘ blieb geschlossen. Seit vielen Jahren war Josef Joe Haas der Wirt des ‚Mümmelmanns‘. Der Name des Lokals war eine Anspielung auf den Nachnamen des Betreibers. Joe war ein klein gewachsener Kerl mit einem beachtlichen Bierbauch. Sein Kopfhaar war gelichtet und er trug eine John-Lennon-Brille. Zu Joe passte es. Er war ein liebenswürdiger, väterlicher Typ. Ursprünglich aus Linz. Sein österreichischer Akzent war nicht zu überhören. Seine Wiener Schnitzel und seine üppigen, kalorienreichen Nachspeisen legendär. Die Kneipe war nicht besonders groß, die gemütliche Gaststube bot knapp dreißig Personen Platz. Im Sommer drängte sich vor dem Lokal ein bunt gemischtes Sammelsurium der Berliner Schwulenszene. Neben Lederkerlen mit dicken Zigarren, Master mit ihren Slaves, Herrchen mit Puppies in farbigen Doggy-Masken, junge Sportler in Trainerhosen, Fußballtrikots, weißen Socken und Sneakern, Kerlen in Ganzgummianzügen saßen auch Männer in gewöhnlicher Alltagskleidung. Und wer weiß, was die Typen unter der Jeans, dem Hemd und dem edlen Flanell sonst noch trugen. Im Keller des Etablissements gab es einen Darkroom. Eine steile Treppe führte in die nur spärlich beleuchteten Räume. Männer nutzten die verwinkelten Katakomben um zu Cruisen. Es herrschte dicke, feuchte Luft und roch nach modrigen Wänden, Männerschweiß, Urin und Sperma. Wahrlich nicht der romantischste Ort der Welt, um eine schnelle Nummer zu schieben. Doch genau das suchte die Klientel der Cruiser in der Nacht. Und viele wurden fündig. Wie auch das Reinigungspersonal. Sie entsorgten jeden Morgen unzählige weggeworfene, klebrige Papiertaschentücher, benutzte Kondome und die eilig aufgerissenen Verpackungen der Gummis und dem Gleitgel.

    Im hinteren Teil der Kneipe hatte Joe sein kleines Büro. Ein enger Flur führte zwischen dem Gastraum, der Küche und des Büros zu den Toiletten und einem Hintereingang. Am Ende des Ganges führte die Treppe mit dem roten Teppich und goldfarbenen Teppichstangen in die erste Etage. Dort waren neben den beiden Studios von Kevin und Maxime ein schmuddeliger Nassraum und eine Besenkammer untergebracht. Die Stiege führte weiter hoch. Einen Stock über den Sexräumen hatte Harry, der Türsteher, seine Bleibe. In den zwei oberen Stockwerken hatte sich Joe seine Wohnung eingerichtet. Der Österreicher zeigte Geschmack. Neben Biedermeier Sesseln stellten sich Möbelklassiker der 50er bis 80er Jahre in Szene. An den Wänden hingen zahlreiche Bilder, Gemälde aus verschiedensten Epochen und einige mit opulenten Goldrahmen verzierte riesige Spiegel. Die hölzernen knarrenden Dielen waren mit persischen Teppichen mit bunten Mustern abgedeckt. Unzähliger Nippes verteilte sich dicht gedrängt auf den antiken Möbelstücken. Trotzdem wirkten die Zimmer wohnlich. Eine weitere steile Treppe führte zu einer lauschigen Dachterrasse, welche einen überwältigenden Blick über Schöneberg preisgab.

    Zu viert saßen sie in der Gaststube. Joe, Harry, Maxime und Ola. Alexandra Marciniak wurde von allen nur Ola genannt. Sie hatte mit Hanna dieselbe Klasse besucht und hatte sich als Jugendliche in den großgewachsenen Maxime verguckt. Er outete sich mit dreizehn Jahren bei Ola. Seither verband sie eine enge Freundschaft. Die zwei teilten sich alle Geheimnisse. Sprachen über Freunde und Freundinnen, das erste Mal, Liebeskummer und Dinge, welche man als Teenager niemandem sonst anvertrauen mochte. Zu dritt, zusammen mit Hanna zogen sie um die Häuser. Ola besuchte Maxime in Frankreich und hatte versucht, ihn mehrmals nach Deutschland zurückzuholen, erkannte jedoch nach dem zweiten oder dritten erfolglosen Versuch, dass er bei seiner Ersatzfamilie glücklich war.

    Statt ebenfalls Abitur zu machen, Jura zu studieren, Anwalt wie sein Vater und Onkel zu werden, zog es Maximilian in die Ferne. Er verbrachte zwei Jahre bei seiner Tante zwanzig Kilometer östlich von Paris auf einem Biobauernhof. In Silke, ihrem Partner Jean-Pierre und ihren Kindern Julie und Sébastien

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