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ASA - DIE GEBURT EINER NEUEN GENERATION: SciFi-Thriller
ASA - DIE GEBURT EINER NEUEN GENERATION: SciFi-Thriller
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eBook813 Seiten11 Stunden

ASA - DIE GEBURT EINER NEUEN GENERATION: SciFi-Thriller

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Über dieses E-Book

Die Welt der Zukunft hat sich gewandelt. Das Medikament STIKOLIN lässt Menschen schneller erwachsen werden. Die Pubertät setzt früher ein. Zehnjährige sind bereits erwachsene Menschen und geistig und sportlich viel leistungsfähiger als normale Jugendliche. Die Ungleichheit zwischen Konsumenten und Nichtkonsumenten führt schließlich zu gesetzlichen Regelungen und der Einführung separater Hochschulen, um soziale Unruhen zu vermeiden.
Philip ist Teil dieser neuen Generation und zieht 2080 im sogenannten Alphaquartier der Stadt Weinsiedeln ein. Hier befindet sich die NGU, die NEW GENERATION UNIVERSITY. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten verliebt er sich in die Studentin Elena, die jedoch kurz darauf schwer verunglückt und ins Wachkoma fällt. Die Spannungen und das Misstrauen zwischen den verschiedenen Generationen sind allgegenwärtig, auch aufgrund der künstlichen Intelligenz ASA, welche als Gehirn der Universität immer mehr an Macht und Einfluss gewinnt.
Als diese Spannungen schließlich zu eskalieren drohen, scheint es für Philip und seine große Liebe nur einen Ausweg zu geben …
 
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum8. Sept. 2023
ISBN9783958358102
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    Buchvorschau

    ASA - DIE GEBURT EINER NEUEN GENERATION - John Mwaore

    Rapid 22 (Radio)

    (Moderator)

    «Stikolin als das Wundermittel schlechthin wird seit zwanzig Jahren in ganz Oropa zur mentalen Leistungssteigerung verwendet. Untersuchungen zur Folge ist das Medikament unbedenklich und selbst für gesunde Menschen empfehlenswert. Laut Gesetz kann das Produkt in allen Apotheken rezeptfrei erworben werden. Kritiker mahnen jedoch vor übermäßigem Konsum, einige raten sogar ganz davon ab. Wir haben zu diesem Thema Frau Miriam Stäheli, Co-Präsidentin der Stiftung Kinder- und Jugendschutz, eingeladen.»

    (Frau Miriam Stäheli)

    «Das ist eine absolute Bagatellisierung der Tatsachen. Es ist nicht zu verantworten, was den Kindern heutzutage angetan wird. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder in einen unerbittlichen Leistungswettkampf treiben, bis sie dem Erfolgsdruck nicht mehr gewachsen sind und es ohne Medikamente nicht mehr geht. Unsere Stiftung wird alles Mögliche unternehmen, um diese Entwicklung zu stoppen. Genau wie Alkohol und Zigaretten, hat auch Stikolin nichts in der Entwicklung eines Kindes zu suchen.»

    Die neue Generation

    Stikolin wurde weltweit konsumiert. Die gelblichen, ovalen Tabletten schützten und stärkten das Immunsystem gegen nahezu alle Krankheiten. Es war im metaphorischen Sinne ein intelligentes Medikament und hatte außerordentliche Eigenschaften. Erkrankte jemand an Grippe, konnte er mit Stikolin behandelt werden. Konsumierte jemand bereits seit längerem Stikolin, wurde er nur selten krank. Periodische Erkältungen oder Kopfschmerzen gehörten der Vergangenheit an. Stikolin passte sich den körpereigenen Abwehrkräften an und stärkte diese ungemein. Nach einer simplen oralen Einnahme hafteten die Substanzen an den Knochen des Konsumenten. Das Medikament ließ Schmerzen im Alltag verschwinden und reduzierte den Arztbesuch, statistisch gesehen, um weit mehr als die Hälfte. Stikolin war das Synonym für Gesundheit und selbst gesunden Patienten wurde die Einnahme von Ärzten empfohlen. Das Produkt war kostengünstig und darüber hinaus wirkte sich die Einnahme positiv auf die Konzentrationsfähigkeit aus. Der Alltag war von Stress und Hektik geprägt, Stikolin wirkte dem deutlich entgegen. Wer Stikolin konsumierte, förderte seine Lebensqualität in allen Bereichen.

    Die ersten Medikamente dieser Sorte wurden überwiegend von Reichen und Prominenten, die das Bedürfnis hatten, perfekt auszusehen und sich stets in körperlicher und geistiger Bestform zu befinden, erworben. Dafür waren sie bereit, viel Geld auszugeben. Doch die Nebenwirkungen ließen nicht lange auf sich warten. Quazin, ein Vorläufer von Stikolin, verursachte unter anderem starke Kopfschmerzen und Übelkeit. Es gab Todesfälle, verursacht von Händlern, die mit gefälschter Ware den Onlinehandel überschwemmten. Quazin löste heftige Debatten aus. Nichtsdestotrotz konsumierte man weiter.

    Erst durch die erneute Überprüfung der Zulassung seitens der Untersuchungsbehörden wurde Quazin für den Handel als verboten erklärt und vom Markt genommen. Das Problem verlegte sich dann in den Drogenhandel, beziehungsweise in den Schwarzmarkt, wo man Unsummen von Geld damit machte. Die Beliebtheit von Quazin machte die Einschränkung der Verfügbarkeit dieser Droge schwierig. Scheinbar hatte das weltweite Verbot den Konsum von Quazin erst populär gemacht. Es wurden verschiedene Versionen hergestellt und verkauft. Illegale Produktionen fanden in einfachsten Haushalten statt. Die Lage verschlimmerte sich. Wurde eine Produktionsstätte aufgedeckt, entstanden zwei neue. Viel Geld war im Spiel. Illegale Produzenten nahmen in einigen Ländern dafür selbst die Todesstrafe in Kauf und bezahlten nicht selten mit ihrem Leben. Im Drogengeschäft schlief die Konkurrenz nicht. Paradoxerweise stieß man durch dubiose Experimentierverfahren mit Quazin irgendwann zufällig auf einen Hauptwirkstoff, der weitgehend harmlos war und überraschende Eigenschaften aufwies. Der neue Wirkstoff stärkte das Immunsystem und zeigte beim Konsum keine Nebenwirkungen. Was damals keiner ahnte, war der Umstand, dass daraus bald ein legales Medikament werden sollte.

    Obschon die Kritik an Stikolin später nie abriss, war der Konsum ungebremst. Im ersten Jahr, in dem Stikolin legal zum Verkauf angeboten wurde, stritten sich die Konsumenten in den Apotheken um die letzte Schachtel im Regal. Die Produktionsfirma schaffte es aber bald, der Nachfrage gerecht zu werden. Vor allem jene Konsumenten, die von Quazin abhängig waren, konnten nun auf ein gesundheitsförderndes Arzneimittel zurückgreifen. Dass dieses rezeptfreie Medikament auch an Kinder verkauft wurde, löste in Schwiz eine Welle der Empörung aus. Es wurde heftig darüber debattiert, wie ein Beispiel aus einer national bekannten Diskussionssendung, die im Livestreaming-Dienst von Rapid 22 übertragen wurde, zeigte.

    Donnerstag, 17.10.2058

    «Die einen sagen, es sei unzumutbar», sprach der Moderator der Diskussionsrunde, «die anderen reden von einer Notwendigkeit. Eine deutlich gespaltene Haltung macht sich breit. Was sagen Sie dazu, Herr Niggli?»

    Der Pharmazeut machte sich nicht die Mühe, sogleich auf die Frage zu antworten. Gelangweilt, aber doch verblüfft über die Naivität, die hinter dieser Erklärungsaufforderung steckte, horchte er auf.

    «Ich sage, testen Sie das Produkt, bevor Sie sich eine Meinung bilden. Es gibt viele Wege, sich über etwas zu erkundigen, von dem man keine Ahnung hat. Es gibt Bücher, die sich damit befassen, oder Sie fragen Ihren Apotheker. Meine persönliche Meinung ist, man sollte sich informieren, bevor man kritisiert.»

    «War es von Anfang an das Ziel, Medikamente für Kinder herzustellen?»

    «Wie man heute weiß», erklärte Dr. Niggli weiter, «wurde Stikolin aus reinem Zufall entdeckt, und das ist nicht das einzige Beispiel in der Geschichte von Zufällen. Ein damals noch unbekanntes Getränk sollte einst eine Medizin werden, entwickelte sich aber zu einem markenstarken Erfrischungsgetränk. Mit Stikolin hingegen wurde eine andere Marktlücke gefüllt. Leute wie etwa Ärzte, Prominente oder Leistungssportler stehen täglich unter großer Alltagsbelastung. Was viele vergessen haben, ist, dass es bei Kindern nicht anders ist. Kinder haben das Bedürfnis, in ihrer Schule mitzuhalten. Sie stehen ebenso unter Leistungsdruck. Unser Ziel war es von Anfang an, Kindern mit Leistungsschwächen zu helfen.»

    Gleich beim Satzende sprang der Moderator zur nächsten Frage auf seiner Moderationskarte. «Quazin war ja ein Vorläufer von Stikolin und wie sich später herausstellte, eine überaus gefährliche Droge. Könnte der gleiche Fehler nicht bei Stikolin passiert sein, dass man dieses Medikament zu harmlos eingeschätzt hat?» Er wartete die Reaktion des Pharmazeuten ab.

    Dr. Niggli nahm sich Zeit, als ob er die Frage gar nicht verstanden hätte. «Stikolin ist ein völlig anderes Produkt als Quazin. Es ist ein tausendfach getestetes Medikament, hergestellt gemäß internationalen Standards, und keine Droge. Ihre Frage ist frivol, denn die Pharmazie hat sich beträchtlich weiterentwickelt. Jeder Konsument kann sich im Beipacktext über Wirkung und Nebenwirkungen informieren und wird feststellen, dass Stikolin die eigene Gesundheit begünstigt.»

    «Stikolin gehört heute zur größten Pharmaunternehmung weltweit und Sie gehören seit Jahren zu den führenden Fachkräften dieser Firma. Was sagen Sie zu den gestrigen Medienberichten, in denen bekanntgegeben wurde, dass sich die Firma Stikolin vor einigen Jahren an illegalen Produktionen von Quazin beteiligt habe? Kürzlich wurden zwei Laboranten verhaftet. Sie sagten aus, im Auftrag der Firma Stikolin an illegalen Experimenten an Kindern beteiligt gewesen zu sein. Somit waren kriminelle Machenschaften im Gange, die eindeutig mit Stikolin in Verbindung stehen.»

    Dr. Niggli lächelte missbilligend. «Was es mit den zwei Laboranten auf sich hat, ist Gegenstand der Untersuchung. Dazu kann ich im Augenblick nichts sagen, doch was mir speziell auffällt, sind die sich dauernd wiederholenden Vorwürfe gegen Stikolin. Das Verlangen nach einem Ersatz war groß, als damals der Verkauf von Quazin verboten wurde. Unter den Pharmaunternehmen herrschte schon immer ein Wettstreit und jeder Hersteller wollte sein eigenes Produkt auf dem Weltmarkt verkaufen. Als wir Stikolin zum ersten Mal auf den Markt brachten und damit bekanntlich Erfolg hatten, behaupteten viele unserer Konkurrenten, das Rezept lange vor uns entdeckt zu haben. Beweisen konnte uns das bis heute keiner. Also ließ man Gerüchte kursieren, um unserer Firma zu schaden. Die Kritik an Stikolin kann meines Erachtens nur mit Neid erklärt werden.»

    «Was genau löst dieses Medikament aus, was macht Stikolin derart erfolgreich?»

    «Es bewirkt in erster Linie eine Immunisierung, die auf die Schnelle nicht zu erklären ist. Es stärkt das Abwehrsystem im Körper des Konsumenten und schützt ihn gegen sämtliche Infektionskrankheiten. Zudem steigert es die Konzentration und hilft somit, die Alltagshektik zu bewältigen. Nebenwirkungen sind nahezu ausgeschlossen. Es ist ein völlig harmloses Medikament. Es wurde, wie gesagt, tausendfach getestet, sowohl bei schwangeren Frauen als auch bei älteren Menschen. Weitere Untersuchungen durch unabhängige Beauftragte belegen, dass jeder, der regelmäßig Stikolin konsumiert, viel gesünder lebt. Die meisten Krankenkassen fördern und fordern den Konsum aus ökonomischen Gründen. Wer auf Stikolin verzichtet, bezahlt automatisch höhere Prämien.»

    Der Moderator richtete die nächste Frage an einen weiteren Gast, einen ebenfalls älteren Herrn, der als Wirtschaftsprofessor einer staatlichen Universität in Zirch arbeitete und die Konsumentwicklung von Stikolin seit der Vermarktung bei seinen Studenten beobachtete. Dr. Ernst saß in der Gesprächsrunde direkt neben dem Pharmazeuten und hatte die Diskussion aufmerksam mitverfolgt.

    «Was sagen Sie dazu, Herr Ernst, wie schätzen Sie den explosionsartigen Erfolg von Stikolin ein: eine Gefahr oder eine Chance?»

    «Na ja, es ist nicht zu übersehen, welchen Stellenwert Stikolin in unserer Gesellschaft eingenommen hat. Die Vorteile liegen auf der Hand. Ein Student, der Stikolin konsumiert, ist im Durchschnitt geistig und körperlich leistungsfähiger als alle anderen, die es nicht tun. Es macht einen enormen Unterschied, wie wir an den Abschlussarbeiten feststellen können. Lernschwache Studenten wurden nach der Einnahme von Stikolin gleichsam vom Eifer gepackt und Prüfungsängste wurden überwunden. Herkömmliche Medikamente, deren Namen ich jetzt nicht erwähne, haben den Nachteil, dass sie mit der Zeit an Wirkung verlieren. Die Studenten müssen deren Dosis stetig erhöhen, um die gewünschte Wirkung zu halten. Stikolin ist hier nahezu ein uneinholbarer Marathonläufer. Die Konzentration verbessert sich.»

    «Sportliche und geistige Leistungssteigerung, das haben wir bereits gehört.»

    «Zusätzliche Effekte kommen hinzu. Nebst Geist und Körper, die sich stärken, verbessert Stikolin die Sehfähigkeit. Viele Studenten konnten die Stärke ihrer Linsen und Brillen herabsetzen oder ganz auf eine Sehhilfe verzichten. Als Überraschung sind jene Studenten zu sehen, die mit dem Rauchen aufgehört haben. Daher wundert mich der Erfolg von Stikolin nicht, eher hätte mich das Gegenteil erstaunt. An unserer Uni führen wir Aufklärungskampagnen durch, die informieren sollen – Dr. Niggli hat es vorhin angesprochen –, was Stikolin ist und was es bewirkt. Ob sich jemand dafür oder dagegen entscheidet, soll er selbst bestimmen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es in vielen Fällen helfen kann. Als Professor sehe ich die Leistungsunterschiede.»

    «Würden Sie also bestätigen, Herr Ernst, dass Studenten, die Stikolin konsumieren, besser sind als diejenigen, die es nicht tun?»

    «So kann man es nicht verallgemeinern», sagte der Professor. «Ich bemerke einfach eine höhere Konzentration und Lernmotivation bei denen, die es tun. Das muss aber nicht zwangsläufig zu einem besseren Abschluss führen. Stikolin könnte man als klassisches Hirndoping bezeichnen, wie es an vielen Hochschulen angewendet wird, erhöht aber nicht einfach die Intelligenz. Gelernt werden muss trotzdem, nur wird das Lernen durch die Einnahme erleichtert.»

    Der Moderator richtete sein Wort an die jüngere Dame, die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen einsetzte. «Nun würde ich gerne Ihre Meinung hören, Frau Stäheli. Was halten Sie von Medikamenten dieser Art an Schulen?»

    «Es ist eine Enttäuschung!», sagte sie, und man merkte ihr den Missmut an. «Es ist eine fürchterliche Enttäuschung, dass der Verbraucherschutz es verpasst hat, dem Einhalt zu gebieten, denn es geht hier um nichts anderes als die Zukunft unserer Kinder. Heute wird fast jedem Kind ein solches Hilfsmittelchen verabreicht, was in meinen Augen äußerst erschreckend ist. Es gibt dahingehend bis heute keine aufschlussreiche Forschung. Ich selbst bin froh, Kinder zu haben, die wie Kinder aussehen und nicht im Alter von acht Jahren bereits den Körper einer erwachsenen Person haben. Stikolin beinhaltet gefährliche Wachstumshormone. Es beschleunigt die körperliche Entwicklung von Kindern auf eine fatale Art und setzt dabei keine Grenzen. Der Grundwirkstoff ist mittlerweile in jedem zweiten Kaugummi vorzufinden und mit dieser Verkaufsmethode werden Kinder auf perfide Weise zum Konsum verlockt. Wir leben in einer Welt, in der Kinder Tag für Tag Arzneimittel in Form von Süßigkeiten verzehren, und das mit einem blinden Vertrauen in die Pharmaindustrie, die sie mit falschen Versprechungen wie eine bessere Gesundheit, überragende Leistungen und höhere Intelligenz in die Irre führt.»

    «Auf den Verpackungen von Süßigkeiten wird auf Stikolin-Wirkstoffe hingewiesen», sagte der Moderator und hob bedacht den Finger. «Das ist bei koffeinhaltigen Getränken nicht anders.»

    «Ja, natürlich», sagte Frau Stäheli und holte nochmals aus. «Es ist dennoch eine gefährliche Entwicklung, die bedauerlicherweise von vielen Eltern unterstützt wird. Die neue Generation wird die Folgen von Stikolin erst dann zu spüren bekommen, wenn es längst zu spät ist. Ich spreche von Nebenwirkungen, von denen die Firma Stikolin angeblich nichts weiß, genau wie beim Vorgänger dieses Medikaments. Über die Spätfolgen von Quazin wusste das damalige Unternehmen bereits vor der Vermarktung Bescheid, aber das Geld war wichtiger, als den Konsumenten die Wahrheit zu sagen.»

    Dr. Niggli schüttelte den Kopf. «Mit der Vermarktung von Quazin hatte die Firma Stikolin nie etwas zu tun.»

    «Das behaupten Sie», erwiderte Frau Stäheli.

    «Wollen Sie damit sagen», so der Moderator, «dass die Firma Stikolin über gewisse Risiken ihrer Produkte schweigt?»

    «Ich sehe eindeutige Parallelen zur Unternehmensgeschichte von Quazin», fuhr Frau Stäheli fort und lehnte sich weiter nach vorne. «Damals vermarktete man Quazin ebenfalls als Wundermittel des Jahrhunderts, bis der Skandal seinen Anfang nahm und sich das vermeintliche Arzneimittel als eine heimtückische Droge entpuppte. Die Firma Yutamol, welche Quazin damals vermarktete, ging Gott sei Dank bankrott. Sie wurde allerdings aufgekauft und nun nennt sich das Unternehmen Stikolin. Ja, ich sehe Parallelen. Ich glaube kein Wort, wenn Herr Niggli behauptet, Stikolin sei harmlos und unbedenklich. Stikolin wurde kaum länger als vier Jahre getestet. In dieser kurzen Zeitspanne ist es unmöglich, die daraus resultierenden Auswirkungen in zehn oder zwanzig Jahren zu postulieren.»

    Der Pharmazeut lächelte amüsiert. «Erstens: Was Sie sagen, stimmt überhaupt nicht.» Er zählte mit den Fingern mit. «Zweitens: Sie scheinen überhaupt keine Ahnung von Pharmaunternehmungen zu haben. Das, was Sie da von sich geben, klingt so, als hätte die Firma Stikolin ihre Medikamente ohne fundierte Tests und Untersuchungen auf dem Markt verkauft. Das ist Schwachsinn!»

    Frau Stäheli schüttelte den Kopf. «Das habe ich auch nicht gesagt. Sie scheinen, nicht zugehört zu haben.»

    «Ich habe zugehört, und es stimmt nicht, was Sie sagen. Ich arbeite seit Jahren als Manager in der Qualitätssicherung bei Stikolin. Wenn Sie sich tatsächlich informiert hätten, wüssten Sie, wie seriös wir arbeiten. Sie wüssten, wie viel Geld wir jährlich für die Gesundheit und nicht gegen die Gesundheit unserer Kunden investieren. Wenn Sie sich informiert hätten, bevor Sie einfach kritisieren, dann wüssten Sie von der empirischen Wissenschaft, die dahintersteckt. Als Experte kann ich Ihnen beweisen, dass eine einfache Tomate schädlichere Stoffe enthält, beispielsweise Glycoalkaloide. Wir haben Stikolin über zehn Jahre hindurch getestet, was die Kommission nicht einmal gefordert hatte, und trotzdem wollten wir auf Nummer sicher gehen. Die Menschen, die unser Produkt kaufen, sind mehr als zufrieden. Wäre es anders, hätten wir damit keinen Erfolg.»

    Das sah Frau Stäheli ganz anders. «Ich sage Ihnen, was ich aus verlässlichen Quellen weiß. Stikolin ist ein Medikament, das im Anfangsstadium jedes Konsumenten die Leistungsfähigkeiten erhöht, in diesem Falle die geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Der Konsument bemerkt auf Anhieb eine Leistungsverbesserung, bekommt den körperlichen Antrieb zu spüren, denkt und handelt schneller als gewohnt und wird nebenbei durch starke Abwehrkräfte geschützt. Jetzt kommt die Kehrseite der Medaille: Sollte der Konsument dieses Präparat nach einer längeren Zeit absetzen, stirbt er jämmerlich an Infektionen. Das ist das, was die Firma Stikolin schamlos ausnutzt, nämlich die Kurzsichtigkeit von jungen Konsumenten. Man hebt die guten Eigenschaften des Medikaments hervor und verkürzt kritische Informationen im Kleingedruckten. Was Ihre Firma in der Gier nach Geld und noch mehr Profit längst vergessen hat, ist, dass es hierbei um Kinder geht. Sie werden es kaum glauben, die neue Generation weiß nicht mehr, wie das Leben ohne Stikolin ist. Sie kann sich den Alltag ohne dieses Medikament nicht mehr vorstellen, obwohl die meisten eigentlich gesund wären.»

    «Gerade, weil sie nicht auf Stikolin verzichten, sind die meisten Konsumenten gesund», erwiderte Dr. Niggli. «Und was das andere betrifft: Sie trinken auch Ihren Kaffee. Mal schauen, wie Sie den Alltag ohne diesen meistern würden.»

    «Kaffee ist kein Medikament», entgegnete Frau Stäheli und regte sich über die lächerliche Vergleichsargumentation auf. «Sie wollen offenbar nicht verstehen, worum es hier wirklich geht. Ich ziehe Kinder groß. Wenn Sie Kinder hätten, Herr Niggli, würden Sie sich mehr Gedanken dazu machen und ein derart gefährliches Medikament nicht mit Tomaten und Koffein vergleichen. Hier geht es um die Zukunft von Kindern der neuen Generation, die das Medikament mittlerweile schon im Mutterleib verabreicht bekommen.»

    «Sehen Sie es mal so», sagte Herr Ernst und versuchte, die hitzige Debatte zu beruhigen. «Es obliegt den Eltern, wie sie sich dieser Frage annehmen. Schließlich trägt man als Mutter oder Vater Verantwortung für das eigene Kind. Interessant ist aber, dass viele Eltern ihren Kindern Stikolin aufgrund der Impfeigenschaften geben, und nicht der leistungssteigernden Wirkung wegen. Stikolin kann als Vakzin eingesetzt werden. Die eben genannten Wirkungseigenschaften lassen sich auch problemlos trennen. Es gibt verschiedene Sorten. Wie gesagt, kann ein Kind damit geimpft werden, oder man greift auf eine andere Sorte zurück, die sich ausschließlich auf die Konzentration oder nur auf die Sportleistung auswirkt. Es gibt Möglichkeiten, die einzelnen Wirkstoffe mit Beratung von Fachärzten zu kombinieren.» Der Professor richtete seine Worte nun direkt an Frau Stäheli. «Ich habe auch ein Kind. Mein Sohn ist zwölf Jahre alt und litt bis vor kurzem stark unter ADHS. Gemeinsam mit meiner Frau entschied ich mich für eine Variante von Stikolin, mit der sich das Aufmerksamkeitsdefizit und die Hyperaktivität erfolgreich behandeln lassen. Sie sehen also, es muss nicht immer gleich die Aufputschvariante sein. Was ich aber nicht richtig finde, und da gebe ich Ihnen recht, Frau Stäheli, sollte ich Sie richtig verstanden haben, ist, Kinder quasi damit vollzupumpen. In der Tat gibt es viele Eltern, welche die Wirkung von Stikolin überbewerten und dadurch ihren Nachwuchs mit zu hohen Erwartungen an ihre Bildungsentwicklung erziehen. Das Kind sollte dieses und jenes können, und zwar innerhalb einer kompromisslosen Frist. Stikolin ist kein Garant für eine erfolgreiche Laufbahn von Kindern.»

    «Und doch steigt der Anteil an Konsumenten weltweit», sagte der Moderator und stellte dem Professor gleich die nächste Frage. «Können Sie mir ungefähr sagen, wie hoch an Ihrer Uni der Anteil an Studenten ist, der Stikolin konsumiert?»

    Dr. Ernst überlegte kurz. «Die genauen Zahlen kenne ich nicht, wobei ich hinzufügen muss, dass wir bei uns bislang keine ärztliche Bescheinigung fordern, wie das beispielsweise in Volksschulen der Fall ist, in denen Schülerinnen und Schüler deswegen in unterschiedlichen Klassen unterrichtet werden.»

    «Macht die Separierung in Ihren Augen einen Sinn?», fragte der Moderator weiter.

    «Wie gesagt, bei uns wird das nicht durchgeführt», betonte Dr. Ernst. «Berücksichtigt man andererseits die Erfahrungen, die wir mit Konsumenten und Nichtkonsumenten an unserer Uni gemacht haben, könnte eine solche Separierung sinnvoll sein.»

    «Wieso das?», fragte Frau Stäheli und war ganz und gar nicht der Meinung des Professors.

    Dr. Ernst hob den Zeigefinger. «Wegen der Leistungsunterschiede. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns dieses Konzept, das in allen Nachbarländern von Schwiz längst angewandt wird, etabliert wird. Bereits heute gibt es Universitäten, in denen ausschließlich Studenten aus der neuen Generation aufgenommen werden. Junge Männer und Frauen, denen spätestens seit ihrer Geburt Stikolin verabreicht wurde.»

    «Das habe ich gemeint», sagte Frau Stäheli und fühlte sich in ihrer Befürchtung bestätigt. «Wie sollte man darunter soziale Gerechtigkeit verstehen, wenn Schüler oder Studenten nicht einmal im selben Raum unterrichtet werden, nur weil manche das Medikament konsumieren und andere nicht? Dieses System ist reine Schikane und wird Nichtkonsumenten früher oder später in dilemmatische Situationen zwingen.»

    Herr Niggli lächelte wieder. «Ich glaube, Sie haben ihn nicht richtig verstanden, Frau Stäheli. Die Separierung ist eine Konsequenz der Leistungsdifferenzen, ähnlich wie im Sport. Die Geschlechtertrennung gehört bei vielen Sportarten zur Norm, weil die physiologischen Unterschiede von Männern und Frauen wissenschaftlich nachgewiesen sind. Das heutige Bildungssystem basiert auf Erfahrungen und zielt sicher nicht auf Schikanen ab. Das Medikament scheint offensichtlich nicht in Ihr Weltbild zu passen. Nichtsdestotrotz wurde weltweit ein vernünftiger Weg gefunden, Stikolin mit dem Bildungssystem zu vereinbaren.»

    «Das Bildungssystem ist auch nicht das Problem. Ich kämpfe gegen den Verkauf von Stikolin an Kinder. Hier liegt der Hund begraben. Würde man das Medikament verbieten, müsste man auch nichts am Bildungssystem ändern und könnte Steuergelder für Sinnvolleres als das Schrauben am Bildungssystem verwenden.»

    «An diesem Punkt will ich das Gespräch beenden», sagte der Moderator. «Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Besuch und danke den Zuschauern und Zuhörern. Das war eine spannende Debatte heute Abend. Bis nächste Woche, auf Wiedersehen!»

    Die Firma Stikolin hatte ihren Hauptsitz im kleinen Staat Schwiz und verkaufte ihre Produkte seit 2051 weltweit mit Erfolg. Das Hauptargument, das häufig für eine Separierung in Schulen genutzt wurde, war der Umstand, dass Nichtkonsumenten selten mit dem Unterrichtstempo der Konsumenten mithalten konnten. Oft konsumierte auch der Lehrer oder die Lehrerin Stikolin. Infolge des Konsums war die neue Generation in Bereichen wie Sport, Konzentration, Motivation und Ausdauer stark im Vorteil und hatte bessere Voraussetzungen für das spätere Berufsleben. Allein deshalb entschieden sich viele Eltern, ihren Nachwuchs möglichst früh Stikolin zu verabreichen. Durch den Konsum setzte die Pubertät bei Kindern sehr viel früher ein. Mit sechs Jahren waren sie körperlich im gleichen Stadium wie sonst normale dreizehnjährige Teenager. Durch das schnelle Wachstum und die körperliche Entwicklung hob sich die neue Generation gegenüber normalen Menschen deutlich hervor. Diese Kinder waren, biologisch gesehen, sehr bald keine Kinder mehr. Infolge dieser Akzeleration konnten sie unmöglich Schulklassen mit Gleichaltrigen besuchen. Allein die körperlichen Unterschiede bildeten einen starken Kontrast. In den meisten Fällen wurden schulische Beschleunigungsmaßnahmen unternommen. Dies bedeutete, dass unter gewissen Voraussetzungen Schulklassen übersprungen werden durften.

    Die neue Generation lernte das Laufen im Alter von fünf Monaten. Mit einem Jahr konnte sie sprechen, ein Jahr danach folgte der Kindergarten und kurz danach die Primarschule. Mit diesem Tempo ging es weiter. Mit acht Jahren besuchte sie bereits eine Hochschule. Der Entwicklungsablauf war doppelt so schnell wie bei normalen Kindern, zumindest bei denjenigen, denen von Geburt an regelmäßig eine spezielle Sorte des Medikaments, das eben auch das Wachstum beeinflusste, verabreicht wurde. Die Kinder der neuen Generation reiften schneller. Mit zehn Jahren sah ein Mädchen wie eine erwachsene Frau aus. Diverse Eigenschaften wie Leistungsphysiologie, Allgemeinwissen und Sozialkompetenz konnten unmissverständlich einer erwachsenen Frau zugeordnet werden. Bei den zehnjährigen Jungs war das nicht anders. In diesem Alter waren sie erwachsene Männer in voller Geschlechtsreife.

    In den Hochschulen, in denen sonst junge Erwachsene unterrichtet wurden, befanden sich nun auch Kinder der neuen Generation. Der Unterschied bestand darin, dass nicht konsumierende Studenten doppelt so alt waren wie ihre Kollegen. Beide Gruppen begegneten sich auf Augenhöhe, was die körperliche und geistige Entwicklung anbelangte. So gesehen, waren sie nicht voneinander zu unterscheiden. Diese Art der Konstellation, für die es noch keine gesetzliche Grundlage gab, war jedoch für Leute aus der «alten Schule» äußerst gewöhnungsbedürftig und führte bald zu Generationskonflikten. Spätestens an diesem Punkt wurde die Kritik an Stikolin laut. Sieben Jahre nach dem Verkaufsstart von Stikolin sorgten die ersten vermeintlichen Teenager in der Öffentlichkeit für großen Wirbel. Das Medikament wurde landesweit zum Hauptthema der medialen Nachrichten, und das nicht nur in Schwiz, sondern in ganz Oropa und dem Rest der Welt.

    Wie eine Schülerin oder ein Schüler die schulische Entwicklung meisterte, hing von der Erziehung, dem Umfeld und dem Bildungssystem eines Staates ab. Das Medikament Stikolin griff allerdings in den Entwicklungsprozess eines Kindes ein und löste damit eine zuvor nie dagewesene Veränderung aus. Damit waren nicht alle einverstanden. Die neuen Kinder waren eine Tatsache. Sie waren da und es musste für sie eine Lösung gefunden werden. Die Kinder der neuen Generation waren Resultate stolzer Eltern, die ihren Nachwuchs mit allen Mitteln förderten.

    Ein gewöhnlicher Student, der nie Stikolin konsumiert hatte, sah nicht ein, weshalb sein Kommilitone aus der neuen Generation, der gemäß seinem Alter eigentlich ein Kind war, das Recht hatte, denselben Hochschulabschluss zu machen wie er. Für ihn ging es nicht mit rechten Dingen zu, wenn man bereits mit zehn Jahren zu einem Hochschulabschluss fähig war. Normalen, von Stikolin unbeeinflussten Menschen gegenüber war das schlichtweg unfair. Der einzelne Student fühlte sich betrogen und verlangte bei seinen jüngeren Kollegen eine Art Markierung, einen Stempel oder einen Code im Studentenausweis, um sie von anderen unterscheiden zu können. Die Forderungen der Nichtkonsumenten wurden lauter, und das nicht unbegründet. Auf der anderen Seite vertraten die Konsumenten ihre eigene Meinung. Sie verlangten mehr Akzeptanz und Gleichberechtigung. Allein durch das Wort Stiks, mit dem die neue Generation meistens bezeichnet wurde, fühlten sie sich diskriminiert und verletzt. Eine frühzeitige und geregelte Separierung in Schulen und Hochschulen sah man bald als eine unabdingbare Voraussetzung, um gesellschaftliche Verwirrung zu vermeiden.

    Im Jahr 2061 wurde die Separierung gesetzlich verankert und deren Einhaltung aufs Gründlichste kontrolliert. Der Konsum von Stikolin konnte anhand der Blutwerte nachgewiesen werden. Alle schulpflichtigen Kinder mussten sich daher einer Kontrolle durch einen staatlich anerkannten Arzt unterziehen. Somit konnten sowohl Konsumenten als auch Nichtkonsumenten systematisch einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden.

    Mit dem starken Anstieg der Konsumenten in Schwiz gehörten die sogenannten Stiks in Hochschulen und Universitäten bald nicht mehr einer kleinen Minderheit an. Es war absehbar, dass mit diesem gesellschaftlichen Wandel bald auch eine politische Kehrtwendung erfolgen würde. Zeitgemäße Gesetzesanpassungen wurden in der Folge nicht nur in Schwiz, sondern auf der ganzen Welt erlassen. Die Kinder der neuen Generation erlangten ihre Mündigkeit im Alter von zehn Jahren. Sie hatten die gleichen Rechte und Pflichten wie Nichtkonsumenten im Erwachsenenalter.

    1. Kapitel – Phillip Silvestre (Teil 1)

    Freitag, 22.03.2080

    Nachdem sie lange im Schatten des Waldes unterwegs gewesen waren, fuhren sie nun einem weitläufigen Areal mit mehreren Gebäuden entgegen. Der Gebäudekomplex vor ihnen, aus dessen Mitte die oberen Stockwerke eines Wolkenkratzers herausragten, war in der Tat ziemlich groß. Bei der Einfahrt mussten Phillip und seine Mutter durch eine Zufahrtskontrolle mit Wachkabine, automatischen Barrieren, elektromechanischem Poller und einem vierköpfigen Sicherheitsdienst. Es hatte sich bereits ein kleiner Stau gebildet. Jedes einzelne Fahrzeug wurde mittels Bodensensoren abgewogen, während es Schienenkameras von oben und der Seite flankierten und dabei scannten. Es waren Sicherheitsmaßnahmen, die sonst nur bei Grenzkontrollen durchgeführt wurden. Lediglich die Art der Uniform, die vom Sicherheitspersonal getragen wurde, machte den Unterschied erkenntlich. Es handelte sich um Angestellte eines staatlich bewilligten Sicherheitsunternehmens.

    Philips Mutter übergab der Sicherheitsfachfrau die Identitätskarten. Ein kurzer Blick reichte. Beide Karten wurden akzeptiert und seiner Mutter durch das Seitenfenster zurückgegeben. Danach wurden sie im barschen Ton aufgefordert, weiterzufahren.

    Philips Mutter gab Gas. «Ja, ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag, Frau Security.» Sie fuhr eilig zum Quartier. «Ein Lächeln hätte auch nicht geschadet», sagte sie gereizt.

    Sie hielt an einer markierten Parkstelle an und schaltete den Motor aus. Beide stiegen aus dem Elektroauto, das daraufhin vollautomatisch in das unterirdische Parkhaus, das von der Oberfläche aus nicht zu sehen war, gesenkt wurde. Es folgte ein digitales Parkticket, welches ihr auf das Mobilgerät übertragen wurde. Mit diesem konnte sie ihr Fahrzeug jederzeit kostenfrei zurückbeordern.

    Phillip und seine Mutter sputeten sich aufgrund des einsetzenden leichten Regens, eilten die Treppe hoch zur Arkade des Gebäudes und gelangten durch eine der vier Vordereingänge in die pompöse Empfangshalle des Südflügels. Hier sollten sie sich anmelden. Die kreisrunden Empfangstheken in der Halle wirkten wie leuchtende Inseln. Eine davon steuerten sie an.

    «Guten Tag, wie kann ich Ihnen behilflich sein?», fragte die Dame hinter der weißen Theke mit einem höflichen Lächeln.

    «Mein Name ist Véronique Silvestre», sagte Phillips Mutter und streckte ihr die Identitätskarte entgegen. «Wir sind mit Frau Scholes verabredet.»

    Die Empfangsdame schob ihr einen quadratischen Fingerscanner entgegen. «Bitte pressen Sie Zeige- und Mittelfinger auf die Fläche.»

    Véronique steckte die Karte etwas verdutzt zurück in das Portemonnaie ihrer Handtasche und presste die geforderten Finger auf die schwarze Glasplatte.

    Die Empfangsdame prüfte die Angaben am Bildschirm und ergänzte etwas über die Tastatur. «Einen kleinen Moment bitte.» Sie wies mit der Hand auf den Wartebereich. «Bitte nehmen Sie doch Platz, Frau Silvestre. Frau Scholes wird jeden Moment kommen.»

    «Ich danke Ihnen.»

    Die beiden setzten sich auf das wellenförmige Wartesofa, das sich gegenüber der Empfangstheke befand. Die modern eingerichtete Halle war groß. Hunderte von Menschen aus verschiedensten Nationen waren mit Rollkoffern, Aktenkoffern oder Kinderwagen unterwegs. Die Empfangsmitarbeitenden, von denen jeweils sechs an einer dieser inselartigen Empfangstheken arbeiteten, hatten alle Hände voll zu tun. Was Phillip in diesem Moment ins Auge stach, war allerdings die Decke. Zur Beleuchtung der Halle dienten keine gewöhnlichen Deckenlichter, sondern ein künstlich erzeugter Himmel. Die ganze Decke der Halle war virtuell, ein gewaltiger Bildschirm, der einen blauen Himmel, fühlbare Sonnenstrahlen, vorbeiziehende Wolken und Vögel zeigte. Phillip war erstaunt. Seine Sinne gaben ihm das Gefühl, sich im Freien zu befinden und nicht in einem Gebäudeflügel.

    «Und», fragte seine Mutter, «wie ist dein erster Eindruck?»

    Véronique trug an diesem Tag einen grauen Mantel in Kastenform mit Hornknöpfen. Der grüne Strickschal aus Schurwolle berührte fast ihre Lippen.

    «Es ist größer, als ich dachte», antwortete Phillip und wurde nachdenklich.

    Seine Mutter nahm sich eine Broschüre aus einem nahegelegenen Prospektständer und begann, darin zu blättern. «Als ich zum ersten Mal den Namen Alphaquartier hörte, ahnte ich schon, dass es sich um etwas größeres handeln würde. An einem Ort wie diesem scheint es alles zu geben, was du brauchst: kulturelle Angebote, Sport- und Freizeitmöglichkeiten, möblierte Appartements mit viel Komfort. Was will man mehr?»

    Phillip schaute sie schweigsam an und nickte zustimmend.

    Wenige Minuten später kam eine junge Frau in blauem Blazer herangelaufen. Sie trug eine graue Aktentasche. Sie hatte sich zuvor mit der Frau am Empfang abgesprochen und widmete sich nun den beiden Besuchern. «Guten Tag, Frau Silvestre, herzlich willkommen.»

    Phillips Mutter stand auf. «Guten Tag, Frau Scholes.»

    «Mein Name ist Petrakis», korrigierte sie und grüßte dann Véronique und Phillip mit einem kräftigen Händedruck. «Herzlich willkommen bei uns.»

    «Danke.»

    Frau Petrakis überlegte kurz. «Sie müssen Frau Scholes entschuldigen. Ich vertrete sie ausnahmsweise. Aufgrund eines dringenden Sitzungstermins musste sie ihren Zeitplan kurzfristig ändern.»

    «Das macht nichts», antwortete Véronique. Sie musste sich beim Sprechen ein wenig von ihrem Schal im Gesicht befreien. «Wir sind ohnehin zu spät, viel zu spät, wenn man es genau nimmt, und dafür entschuldigen wir uns.»

    «Nichts für ungut, der Verkehr draußen macht allen zu schaffen», meinte Frau Petrakis und fügte ein kurzes Lächeln hinzu. «Wie gesagt, ich bin die Vertretung. Wenn Sie Fragen haben, können Sie diese einfach an mich richten. Da die Einführung eigentlich heute Morgen stattgefunden hätte, müssen wir mit Phillip einiges aufholen. Es steht ihm ein volles Programm bevor. Daher werde ich ihn mitnehmen. Sie werden sich jetzt von ihm verabschieden müssen.»

    «Was, jetzt gleich?», fragte seine Mutter etwas verblüfft.

    Frau Petrakis tippte auf ihre Armbanduhr. «Wir sind in Eile, Frau Silvestre.»

    Die Sorgenfalten auf Véroniques Stirn ließen sie in diesem Augenblick älter aussehen, als sie war. «Natürlich, das kann ich verstehen.»

    «Die Verspätung hat den Zeitplan durcheinandergebracht.»

    «Wann kann ich ihn das nächste Mal besuchen?»

    «Besuchszeiten für Eltern, Verwandte und Bekannte sind frühestens sechs Monate nach dem Eintritt möglich, sofern ein Gesuch von Ihnen oder Ihrem Sohn gestellt und dieses von Frau Scholes genehmigt wurde.»

    Sie wandte sich an Phillip. «Wie klingt das für dich?»

    «Ich wusste es, Mama, von Anfang an.»

    Ihre Stimme wurde leiser und klang unsicher. «Du willst es wirklich durchziehen? Wir können wieder nach Hause, wenn du willst. Ich mach dir keinen Vorwurf.»

    «Ich bleibe hier», sagte Phillip.

    «Also gut», antworte seine Mutter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. «Ich hoffe, du bist dir sicher.»

    Phillip antwortete nicht, schaute ihr in die Augen und hielt lange Augenkontakt. Was gesagt werden musste, hatte er ihr bereits auf der langen Autofahrt mitgeteilt. Der Abschied in der Empfangshalle bildete im Grunde nur noch den Abschluss ganz am Ende einer sehr langen Kette von Entscheidungen.

    «Auf Wiedersehen, Mama.»

    Véroniques Augen wurden feucht und sie begann, zu zittern. Ihr wurde klar, was dieser Moment bedeutete. Es gab kein Zurück. «Auf Wiedersehen, wir sehen uns in einigen Monaten.»

    Sie verabschiedete sich, entschuldigte sich bei Frau Petrakis nochmals für die Verspätung und verließ die Halle wehmütig in Richtung Ausgang. Bei ihr läuteten viele Alarmglocken, ohne einen einzigen Hinweis ihrer Bedeutung. Allein und sich ihrer eigenen Meinung nicht sicher, schaute sie mehrmals zurück. Phillip ging in Begleitung von Frau Petrakis in die entgegengesetzte Richtung vorbei an den runden Empfangstischen und schaute nicht zurück. Acht Stunden war er mit seiner Mutter gemeinsam im Auto unterwegs gewesen, nur um sich hier innerhalb weniger Minuten für eine lange Zeit von ihr zu verabschieden.

    Frau Petrakis legte an Tempo zu und nahm direkten Kurs zu den Aufzügen. Dort angekommen, drückte die junge Frau, die etwa im gleichen Alter wie Phillip war, mehrere Male ungeduldig auf den Liftknopf. Sie nahm ihr Mobilgerät aus der Tasche und beschäftigte sich damit. Offenkundig war ihr nicht nach einem Smalltalk zumute, während sie auf einen der vier Aufzüge warteten. Sekunden später betraten sie den geräumigen Aufzug mit großem Wandspiegel. Phillip nutzte die Gelegenheit, um einen kurzen Blick auf seine Kleidung zu werfen. Der grau-schwarz karierte Pullover unter seiner grauen Wolljacke passte optimal zu den beigefarbenen Chinos. Das sah gepflegt aus und reichte. Frau Petrakis drückte auf das zweiundzwanzigste Stockwerk. Dieses gehörte dem Universitätsspital an, wie auf dem Display des Aufzugs zu lesen war. Durch die Stille war während der Fahrt die Hintergrundmusik zu hören: Beethovens Klavierstück «Für Elise».

    Oben angekommen, betraten sie einen breiten und fensterlosen Korridor. Hier hätten LKWs aneinander vorbeifahren können, doch außer den beiden waren keine weiteren Personen anwesend. Unzählige weiße Türen reihten sich aneinander. Frau Petrakis legte wieder an Tempo zu. Offensichtlich waren sie sehr in Eile. Mit dem Mobilgerät in der rechten Hand, welches sie zur Orientierung zu nutzen schien, hielt sie irgendwann vor einer dieser weißen Türen inne.

    «Hier musst du rein», sagte sie schließlich und machte ihm den Weg frei.

    Phillip schaute sie lächelnd an. «Von wem werde ich erwartet?»

    «Das wirst du sehen. Am besten, du beeilst dich. Du bist zu spät.»

    Das klang nun sehr nach einem Vorwurf und Phillip wusste im ersten Moment gar nicht, wie er reagieren sollte. Jedenfalls war es eine seltsame Art, ihn willkommen zu heißen.

    Frau Petrakis steckte ihr Mobilgerät zurück in die Tasche und tippte auf die Armbanduhr. «Nun los bitte, wir haben nicht ewig Zeit.»

    Die Tür war nicht angeschrieben und ließ sich nicht öffnen, also klopfte Phillip daran. Längere Zeit tat sich nichts. Er klopfte wieder, diesmal kräftiger. Im selben Moment sprang die Tür einen Spaltbreit auf, mehr nicht. Phillip stieß sie mit der Hand auf und ging hinein.

    Alles war in Blau gehalten. Beim genaueren Hinsehen erkannte Phillip hellblaue Kacheln an den Wänden. Die kleinen quadratischen Platten zierten den ganzen Raum. Sie hatten alle denselben Farbton. Er schaute sich um. Der achteckige Raum war mittelgroß und gut überschaubar. Die Luft roch eigenartig nach Desinfektionsmittel. «Es muss sich um eine Gemeinschaftsdusche oder Ähnliches handeln», dachte er zunächst, wobei eindeutig Duschköpfe an den Wänden und Abflüsse im Boden fehlten. Egal, für welche Anwendungen der Raum auch diente, Phillip war hier eindeutig am falschen Ort, wie ihm schien. Es fehlte außerdem jede Spur einer weiteren Person, die hier angeblich auf ihn warten sollte. Da vielleicht später jemand auftauchen würde, wollte er abwarten und sich inzwischen mit der eigenartigen Metallplattform in der Mitte des Raumes beschäftigen. Das runde Ding mit dem Durchmesser von etwa einem Meter weckte sein Interesse. Er ging näher. Plötzlich knallte die Tür hinter ihm zu, als hätte sie Frau Petrakis von außen zugeschlagen. Etwas verwirrt über diesen Zwischenfall, lief Phillip zurück. Im Raum gab es keine Fenster und keine weitere Tür. Mit der rechten Hand versuchte er, die Tür wieder zu öffnen, doch der Türgriff rührte sich nicht. Er drückte kräftiger, setzte gar sein ganzes Körpergewicht ein, trotzdem bewegte sich der Griff keinen Millimeter. Die Tür schien, verriegelt zu sein.

    «Frau Petrakis», rief er durch die Tür, «können Sie bitte die Tür entriegeln! Ich kann hier nicht raus.» Dann horchte er, aber es tat sich nichts. An der Tür gab es kein Schloss, die Verriegelung musste automatisch in Gang gesetzt worden sein. Auf der linken Seite war eine Sprechanlage. Sie war nicht zu sehen gewesen, als die Tür zuvor noch offen gestanden hatte, genauso wenig wie der zylinderförmige Mülleimer unweit der Tür.

    «Hallo?», sprach er in die Anlage hinein. «Ist hier jemand?»

    «Wie lautet Ihr Name?», kam es zurück.

    «Ich bin Phillip Silvestre. Ich sollte hier auf jemanden warten.» Lange kam keine Antwort. Unsicher, ob man ihn gehört hatte, hielt er seinen Mund näher an die Sprechanlage und versuchte, möglichst verständlich zu reden. «Mein Name ist Phillip Silvestre. Hören Sie mich?»

    Ein Schlitz öffnete sich gleich unterhalb der Sprechanlage.

    «Bitte stecken Sie beide Hände in den Schlitz!», ertönte die Stimme einer männlichen Person. Phillip erschrak und machte einen Schritt zurück. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», hörte Phillip nun. «Dies dient zur Identifizierung und als ergänzende Verknüpfung zu ihren bereits existierenden Personaldaten.»

    Phillip warf einen kurzen Blick nach hinten und zur Decke. Offenbar wurde er gesehen. Wie es möglich sein konnte, wusste er aber nicht. Der Raum hatte nichts außer Kacheln, den Mülleimer und das komische Ding in der Mitte. Wie ihm gesagt worden war, steckte er schließlich die Hände in den Schlitz. Für einen Bruchteil einer Sekunde leuchtete es aus der Lücke heraus. Was genau passierte, wusste Phillip nicht. Er spürte auch nichts.

    «Sie sind zu spät, Herr Silvestre!», sagte der Mann harsch. «Hören Sie mir genau zu und tun Sie, was ich Ihnen sage. Als Erstes ziehen Sie Ihre Kleidung aus, und zwar alles, was Sie an Ihrem Leib tragen. Das gilt auch für persönliche Gegenstände wie Schmuck, Mobiltelefon und Geldbeutel. Sie müssen sich beeilen. Das alles werfen Sie in den Mülleimer gleich neben Ihnen. Vergessen Sie nicht, diesen danach mit dem Deckel zu verschließen. Der Deckel hat einen Schraubverschluss.»

    Das grüne Licht an der Sprechanlage hörte auf, zu leuchten. Phillip begann, sich die Schuhe auszuziehen. Wie der unbekannte Mann gesagt hatte, warf er all seinen Besitz in den Eimer. Sehr viele Dinge gingen ihm dabei durch den Kopf. Es war besser, den Verlauf im Fluss zu halten, als jetzt bereits mit Fragen zu stören, dachte er sich. Das Ganze galt bestimmt als eine Voraussetzung. Höchstwahrscheinlich war es ein Test, ob er es mit dem Beitritt ernst meinte. Phillip wollte nicht negativ auffallen. Angesichts seiner Verspätung sah er sich gezwungen, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu zeigen.

    «Wenn Sie so weit sind», sprach die Stimme aus der Anlage, «können Sie sich auf die Plattform begeben. Halten Sie sich an die vorgegebenen Fußmarkierungen.»

    Nachdem sich Phillip nackt ausgezogen und den Deckel des Mülleimers mit seinen Kleidern darin zugeschraubt hatte, stellte er sich vorsichtig auf die schwarze Plattform, die sofort auf sein Gewicht reagierte und ihn hochhob. Von der Decke fuhren automatisch zwei an Drahtseilen befestigte Haltegriffe und ein von einem Roboterarm geführter Schlauch herab. Der Schlauchkopf wurde unmittelbar vor seinen Mund geführt und machte dort Halt.

    «Halten Sie sich an den zwei Haltegriffen fest, und zwar kräftig», sagte der Mann. «Damit stabilisieren Sie Ihren Körper. Der Schlauch vor Ihnen ist für die Sauerstoffzufuhr zuständig. Sobald Sie Ihren Mund öffnen, wird er eingeführt. Sie müssen sich daran festbeißen. Der Atmungsschlauch muss sitzen, er ist lebensnotwendig. Als Letztes, achten Sie bitte auf Ihre Augen. Für deren Schutz garantieren nur Sie selbst, indem Sie diese schließen. Eine Schutzbrille ist nicht vorgesehen. Es kommt demnach auf Sie an, wie fest Sie Ihre Augen verschließen. Eine Nasenklammer ist am Atmungsschlauch angebracht. Halten Sie sich an den Ablauf. Wenn Sie so weit sind, werde ich den Vorgang starten. Sie dürfen sich danach nicht mehr bewegen. Und später, nach der Prozedur, öffnen Sie Ihre Augen erst dann, wenn ich es Ihnen sage, vorher nicht.» Das grüne Licht an der Sprechanlage ging aus.

    Phillip wurde nervös, denn der eigenartige Schlauchkopf sah nicht nur skurril aus, er roch auch komisch, irgendwie faulig. Am vorderen Ende des langen Schlauchkopfes befand sich eine Art transparenter Zahnschutz, in den er allem Anschein nach hineinbeißen sollte. Der Zahnschutz war auf beiden Seiten des Schlauches angebracht, also für Ober- und Unterkiefer. Das sah unappetitlich aus und müffelte wie verdorbener Kartoffelsalat. Entgegen seiner Überzeugung und nur durch schwere Überwindung öffnete er seinen Mund und ließ sich den Schlauch vom Roboterarm einführen. Der Schlauchkopf drang tief ein, viel tiefer als bis zu der Stelle, an der er am Zahnschutz zubeißen musste. Ein ekliger Geschmack machte sich im Mund breit. Phillip spürte, wie sich der schleimige Schlauch schlangenartig über seine Zunge den Weg tiefer in seine Luftröhre bahnte. Fast musste er würgen. Schließlich setzte er die Nasenklammer auf, griff zu den Haltegriffen, kniff die Augen zu und wartete ab. Er hörte, dass offenbar noch etwas von der Decke heruntergefahren kam. Den Bewegungsgeräuschen entnahm er, wie mechanische Geräte unmittelbar neben seinem Körper arbeiteten. Man spritzte ihn mit kalten Duschstrahlen ab, einmal gründlich von oben nach unten, dann von unten nach oben. Die Strahlen fühlten sich abwechselnd anders an, mal stärker, mal schwächer, mal intensiv und dann wieder auflockernd. In der Konsistenz schienen sie aus unterschiedlichen Flüssigkeiten zu bestehen. Rein aus dem Empfinden heraus wusste Phillip nicht, womit er abgeduscht wurde. Es fühlte sich nicht wie normales Wasser an. In seinem Mund sammelte sich Flüssigkeit. Das Atmen fiel ihm schwer. Nach und nach lösten sich sämtliche Haare von seinem Körper, die ihm spürbar von der Haut glitten. Phillip konzentrierte sich auf das Zudrücken seiner Augen, die er nicht aufs Spiel setzen wollte. Der Strahlvorgang wiederholte sich zwei weitere Male. Er blieb regungslos stehen, bis es still wurde. Die Geräte wurden wieder nach oben gezogen. Bis auf das Abtropfen der Flüssigkeiten auf der Plattform war nichts mehr zu hören.

    «Halten Sie die Augen geschlossen», sprach die Stimme, die dieses Mal nicht aus der Sprechanlage kam. Es handelte sich um eine Person, die sich eindeutig im Raum befinden musste und sich näherte. «Bleiben Sie auf der Plattform stehen. Wenn Sie einen akuten Juckreiz verspüren, dann ist das ganz normal. Das soll so sein. Ich empfehle Ihnen, sich nicht zu kratzen, ansonsten nimmt das kein Ende. Unterlassen Sie das auf jeden Fall. Der eigentliche Reinigungsvorgang auf Ihrer Haut beginnt erst jetzt.»

    Phillip hörte Geräusche, als ob jemand einen Tisch decken würde. Seine Augen hielt er geschlossen.

    «Was Sie hinter sich gebracht haben», sprach der Mann weiter, «ist eine gründliche Desinfizierung Ihres Körpers. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, um Ihre Gesundheit auf den besten Stand zu bringen. Sie dürfen nun den Mund öffnen.»

    Der Roboterarm zog den Schlauch aus seinem Mund und verschwand ebenfalls nach oben. Nur die Haltegriffe blieben.

    «Sie können jetzt vorsichtig die Augen öffnen», sprach der Mann, während sich die Plattform, auf der sich Phillip befand, langsam zu Boden senkte.

    Möglichst vorsichtig versuchte Phillip, die Augenlider zu öffnen, doch sie waren wie zugeklebt. Es tat furchtbar weh, als er versuchte, sie mit den Fingern nach oben zu schieben. Er schrie kurz auf. Dann merkte er, dass er auch mit geöffneten Augen nichts sehen konnte. Eine fremde Hand führte ihn vorsichtig weg von der Plattform.

    «Folgen Sie dem Licht», sagte die Männerstimme, die unmittelbar vor ihm zu hören war. «Bewahren Sie Ruhe.»

    Phillip nahm einen kleinen Lichtschein, der sich erhellte und sich hin- und herbewegte, wahr. Die Umgebung bekam nachhaltig eine feste Kontur. Langsam erkannte er einen dunkelhäutigen Mann um die fünfzig mit weißem Kittel und Gummihandschuhen. Er trug einen kurzgeschnittenen weißen Ziegenbart und einen dünnen schwarzen Schnurrbart. Mit prüfender Miene und sehr nahe an seinem Gesicht schaute er Phillip in die Augen. «Mein Name ist Dr. White. Ich bin Arzt. Können Sie mir sagen, wie Sie sich fühlen?»

    «Gut», antwortete Phillip, wobei sein Mund etwas eingeschlafen war und sich taub anfühlte.

    «Können Sie das genauer definieren? Meinen Sie, so gut, dass Sie in der Lage wären, einen Berg zu bezwingen, oder so gut, dass Sie mit jemandem eine Partie Schach spielen könnten?»

    «Ich könnte beides tun, wenn meine Haut nicht so jucken würde.»

    «Also gut. Dann setzen Sie sich bitte auf diesen Stuhl.»

    Wie sein Körper war auch der Boden bereits trocken. Phillip setzte sich auf einen mobilen Klappstuhl, der sich vor einem ebenfalls bereitgestellten mobilen Tisch, auf dem diverse, ihm unbekannte Werkzeuge aufbereitet waren, befand.

    «Versuchen Sie, sich zu entspannen», sagte Dr. White, während seine Glatze im Licht der grellen Deckenlichter zu glänzen begann. «Senken Sie den Kopf bitte nach vorne.»

    Dann nahm der Arzt das Injektionsgerät, das auf dem Tisch lag, und lud es mit einer eigenartigen Patrone auf. Er stellte sich hinter Phillip und setzte ihm das Gerät am Nacken auf. Es hörte sich wie ein Klickgeräusch an, gefolgt von einem Zischen. Was darauf folgte, waren nur noch Schmerzen. Wie ein Stromschlag traf es ihn durch den Halswirbel bis tief in das Gehirn. Schmerzhafter hätte es nicht sein können. Phillip zuckte zusammen und versuchte reflexartig, mit der rechten Hand das Injektionsgerät hinter seinem Nacken wegzuschlagen.

    «Keine Angst, es ist vorbei», beruhigte ihn der Arzt, hielt ihn fest und legte das Gerät mit der anderen Hand zurück auf den Tisch. «Bleiben Sie eine Weile sitzen, Herr Silvestre. Die Schmerzen sind von kurzer Dauer.»

    «Was war das?», fragte Phillip. Schwindel und Übelkeit überkamen ihn.

    Dr. White packte die Sachen auf dem Tisch wieder ein. «Ich habe Ihnen einen Mikrochip in den Nacken implantiert. Der Nackenchip enthält alle notwendigen Daten zu Ihrer Person.»

    Mit einem Handscanner fuhr Dr. White über den Nacken des jungen Mannes und kontrollierte die Funktion des Chips.

    «Einen Nackenchip?», fragte Phillip und glaubte, nicht richtig gehört zu haben.

    «So ist es, Herr Silvestre», antwortete Dr. White zufrieden. «Und der Chip funktioniert einwandfrei.»

    Phillip rieb sich den Nacken. «Warum tut das so weh?»

    «Sie können mir glauben, bei Ihnen ging es schneller als bei manch anderen. Nicht alle reagieren auf diese Behandlung so gut wie Sie. Es kam schon vor, dass ich den Chip wieder entfernen musste, um einen anderen einzupflanzen. Haben Sie noch Fragen, Herr Silvestre?»

    «Eigentlich schon, aber …» Phillip kämpfte gegen die Schmerzen im Nacken an. Sein Hals war wie steif gefroren.

    «Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.» Mit dem Ärztekoffer machte sich der Mann davon und ging durch die Tür, durch die Phillip gekommen war. Es war die einzige Tür.

    Phillip blieb auf dem Stuhl sitzen, bis die Schmerzen in seinen Wirbeln und der Juckreiz auf seiner Haut nachließen. Etwas wackelig auf den Beinen, stand er dann auf. Kurzzeitig wurde es ihm fast schwarz vor Augen. Das bereitgestellte Glas Wasser auf dem Tisch trank er in einem Zug leer. «Langsam, nur nicht umfallen», sagte er sich immer wieder vor.

    Im Raum wurde es kühler, sofern er seinem Temperaturgefühl trauen konnte. Mit behutsamen Schritten bewegte er sich zur Tür, wo er den zylinderförmigen Mülleimer, der aber nicht mehr da war, eigentlich erwartet hätte. Seine Sachen waren weg. Stattdessen fand er Kleidungsstücke, die in transparenten Plastiksäcken auf dem Boden bereitgelegt waren. Die Kleider waren nicht die, mit denen er gekommen war. Eines der Kleidungsstücke hielt er näher an sein Gesicht, drehte es mehrmals, riss das Plastik auf und schaute sich die Ware an. Jedes einzelne Kleidungsstück sortierte er sorgfältig auf dem Boden und bemerkte, dass nicht eines davon ihm gehörte. Grübelnd schaute er auf die Textilien hinab und fragte sich, wieso man ihm seine Sachen weggenommen und durch einen hellgrauen Anzug ersetzt hatte.

    Jedenfalls hatte er nicht vor, sich länger nackt der zunehmenden Kälte auszusetzen. Er zog die brandneue Kleidung an. Es war nichts anderes da. Die Unterwäsche, das Hemd, Hose, Gürtel, Krawatte, das Jackett und die Schuhe passten wie angegossen. Nicht einmal seine Mutter hätte die Kleidergröße derartig präzise erwischt. Das war nicht schlecht. Wieder angezogen, verließ er den Raum. Draußen im Korridor wurde er bereits von Frau Petrakis erwartet. Sie ging auf ihn zu und streckte Phillip die Hand entgegen.

    «Du kannst mich Ioanna nennen, Phillip.»

    Phillip gab ihr die Hand. «Hallo, Ioanna.»

    Sie trat näher an ihn heran und schaute ihn mit ihren stahlblauen Augen an, als ob sie etwas festzustellen versuchte.

    «Eines musst du wissen, Phillip. Der Eintritt von Neulingen läuft normalerweise nicht in dieser Reihenfolge ab. Mit deiner Verspätung hast du den Zeitplan durcheinandergebracht und nun muss alles schnell gehen. Verstehst du das?»

    «Es tut mir leid», antwortete Phillip. Die Art, von ihr angeschaut zu werden, war ihm unangenehm. Das unnötig lange Händeschütteln war ebenfalls befremdlich gewesen.

    Sie lief wieder los. Phillip gab sich Mühe, Schritt zu halten. Noch war er von der soeben durchgeführten Prozedur im blauen Raum etwas benommen. Nach einigen hundert Metern erreichten sie die Aufzüge im Westflügel des Alphaquartiers. Von dort aus ging es hinab zum dreizehnten Stockwerk. Unten angelangt, überquerten sie den breiten Korridor. Ioanna führte ihn ins Audimax 3 auf der anderen Seite. Sie befanden sich plötzlich in einem Auditorium Maximum, und was für einem. Die Zahl der Anwesenden war überwältigend. Die Sitzplätze ragten in einem gebogenen Winkel die Höhe hinauf. Die hintersten Plätze waren durch einen darüberliegenden Balkon überdacht und dieser wiederum durch einen weiteren Balkon weiter oben. Phillip schätzte die Menge auf mindestens fünftausend Menschen, ein außerordentliches Maß für ein Auditorium, das von der Raumgröße her gar eine Staatsoper übertraf. Was zu einem Opernsaal hingegen noch fehlte, waren monumentale Deckenmalereien und ein Kronleuchter in der Raummitte, ganz im Stil des Barocks. Es fehlte der Glanz, die festliche Gala, die es im Auditorium nicht gab und niemals geben würde. Hier wurde gelernt und gearbeitet. Statt Logen gab es Sitzplätze und zugunsten der effizienten Belichtung wurde auf modernes LED-Licht gesetzt, das den außergewöhnlich großen Hörsaal in einem nüchternen Olivgrau zeigte. Vorne auf der großen Bühne wurden Vorbereitungen getroffen. Was auf der Bühne geschah, wurde zusätzlich auf einer großen Videowand übertragen. Ioanna führte Phillip zu den vordersten Plätzen, die nummeriert waren und auf denen offensichtlich alle Neulinge platziert wurden. Die Studentinnen waren durch die komplette Enthaarung kaum von den Studenten zu unterscheiden. Alle hatten eine Glatze, saßen auf Stühlen, die knapp vor der Bühne eingereiht waren. Ebenfalls trugen alle den gleichen taillierten Anzug, wobei die eng geschnittene Version für Studentinnen ohne Krawatte getragen wurde. Phillip nahm seinen zugewiesenen Platz, der sich ungefähr in der Mitte der vordersten Reihe befand, ein. Die kleinen Holzstühle waren eine Zumutung. Sie hatten weder Armlehnen noch verfügten sie über eine Sitzpolsterung. Bei den hinteren Reihen war es ganz anders. Dort gab es sogar elektrische Sitz-Steh-Arbeitsplätze. Ioanna verabschiedete sich und gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass sie sich später wiedersehen würden. Dann machte sie sich davon.

    «Guten Tag, meine Damen und Herren», sprach einer der Männer auf der Bühne.

    Von der vordersten Reihe aus konnte Phillip höchstens den Kopf des Sprechers sehen. Wie man es drehen wollte, war entweder die Bühne zu hoch oder der Stuhl zu nahe dran. Von der großen Videowand, die im hinteren Bereich der Bühne die gleiche Breite hatte wie die Bühne selbst, war von seinem Platz aus nur die obere Hälfte zu sehen.

    «Ich heiße Sie alle herzlich willkommen. Wie Sie sehen, sind neue Mitglieder beigetreten. In den nächsten Wochen werden Sie das öfter sehen. Für diejenigen, die bereits länger bei uns sind, ist das nichts Ungewohntes. Für die Neuen will ich mich kurz vorstellen. Ich bin der rechte Dozent. Das hat keine politische Bedeutung, sondern ist die Bezeichnung meiner Funktion», sprach der Mann im feinen Smoking. «Ich bin der Informant. Das ist meine Aufgabe. Auf Sie wird viel zukommen, aber bevor es so weit ist, brauchen Sie Informationen. Dafür bin ich zuständig. Die NGU sorgt nun für Sie, und ich spreche damit zu den neuen unter Ihnen. Ab diesem Zeitpunkt stehen Sie unter der Aufsicht der New Generation University, der NGU. Was Sie tragen, was Sie in Zukunft essen, das Bett, auf dem Sie schlafen werden, all das ist Ihnen von der NGU zugesichert. Hier drinnen befinden Sie sich in einem von acht Auditorien. Das Audimax drei bietet wie die anderen sieben Auditorien Platz für bis zu sechstausend Studentinnen und Studenten. Infolgedessen sind die Räume entsprechend groß. In jedem Audimax wird grundsätzlich dasselbe unterrichtet, allerdings nicht so, wie Sie vermuten. Doch mehr dazu später. Für jedes Audimax übernehmen drei Dozenten die Verantwortung: ein linker Dozent, ein rechter Dozent und der Führungsdozent. Wir sind Dozenten, die in einem dreimonatigen Rotationsprinzip den Arbeitsplatz wechseln. Normalerweise arbeiten wir auf der anderen Seite im Fakultätsgebäude. In den Auditorien ist der dreimonatliche Wechsel für Dozierende vorgeschrieben. Sie werden also im Verlauf Ihres Studiums viele neue Gesichter sehen. Nun gut, hier drin wird rund um die Uhr unterrichtet. Dementsprechend benötigen Sie eine Grundausrüstung.»

    Der rechte Dozent hielt eine Tasche in Richtung der mittleren Kamera im Hörsaal. Sie war auf der untersten Treppenstufe positioniert und folgte automatisch den Bewegungen des Redners. Es folgte ein Schnitt. Das Bild wechselte und eine andere Kamera zeigte die Tasche aus einer anderen Perspektive in Nahaufnahme.

    «Eine hundsgewöhnliche Aktentasche, wie Sie sie bestimmt oft gesehen haben. Das ist der Standard bei uns. Alle tragen diese Tasche bei sich. Sie gehört zur täglichen Montur. In dieser befinden sich ein Laptop mit Betriebsanleitung, ein Schreibblock, ein Headset, ein Gesundheitsarmband, ein Mobiltelefon, ein Kugelschreiber, eine Vierhundertfünfzig-Milliliter-Trinkflasche und das Namensschild.»

    Der Dozent präsentierte jeden Gegenstand einzeln und legte ihn dann zurück in die Aktentasche. Aus dem Innenfach zog er den Laptop, stellte ihn auf das Rednerpult und klappte ihn auf.

    «Nehmen Sie jetzt bitte Ihre Aktentasche zu sich. Wenn Sie dem richtigen Sitzplatz zugeteilt wurden, sollte Ihre persönliche Aktentasche vor Ihnen liegen. Sie brauchen nur aufzustehen und sie an sich zu nehmen. Danach öffnen Sie die Tasche und nehmen das Headset sowie den Laptop heraus. Das Headset befestigen Sie sich bitte jetzt gleich am Ohr. Der Knopf am Ende des dünnen Mikrofons muss richtig im Ohr sitzen, während das dünne Mikrofon auf den Mundwinkel zeigen sollte. Den Laptop legen Sie auf Ihren Schoß und klappen ihn auf.»

    Schätzungsweise zweihundert glatzköpfige Neulinge standen gleichzeitig auf, nahmen die Aktentaschen zu sich und setzten sich wieder. Phillip schnappte sich aus dem Inneren der grauen Aktentasche das Headset ohne Kopfbügel und befestigte es wie vorgegeben in seinem Ohr. Anschließend zog er den zehn Millimeter dicken und vierhundertfünfzig Gramm schweren Laptop heraus, legte die Tasche vor seine Füße auf den Boden zurück und setzte das Gerät auf seinem Schoß in Position. Die Diagonale des Rechners betrug fünfzehn Zoll, wog aber weniger als eine gefüllte Kaffeetasse. Phillip war sich allerdings nicht sicher, wo bei diesem in mattem Schwarz gehaltenen Gerät oben und unten war. Es war symmetrisch und es gab weder Beschriftungen noch Markierungen, die auf etwas hinwiesen. Aufgeklappt sah die Innenseite nicht anders aus als die Außenseite. Die glatte Oberfläche war überall gleich. Auch das Material fühlte sich überall gleich an.

    «Die Geräte sind fabrikneu, aufgeladen und sollten betriebsbereit sein. Bitte klappen Sie den Laptop auf. Bei diesem Modell spielt es übrigens keine Rolle, wie Sie das Gerät auf Ihrem Schoß aufsetzen. Wichtig ist nur, dass Sie die geöffnete Innenseite vor sich haben. Um das System zu starten, reicht es, Zeige- und Mittelfinger an einer beliebigen Stelle für drei Sekunden gepresst zu halten. Es gibt keine Knöpfe. In dieser Hinsicht können nur Sie mit dem Computer arbeiten. Das Gerät ist allein für Sie bestimmt, reagiert nur auf Ihr Daktylogramm, auf Ihren persönlichen Fingerabdruck. Kommen Sie niemals auf die Idee, jemanden anderen damit hantieren zu lassen. Ihr Laptop ist für Ihren alleinigen Nutzen gedacht, für niemanden anderen sonst. Wenn Sie so weit sind und das Gerät gestartet ist, meine Damen und Herren, sollten Sie in der Lage sein, mich durch das Headset zu hören und mein Gesicht auf Ihrem Bildschirm zu sehen. Was hier oben durch Kameras auf der Videowand gezeigt wird, sollte jetzt auf dem Bildschirm Ihres Laptops übertragen werden. Sie haben Bildschirm, Bildschirmtastatur und Touchpad, wie Sie es von gewöhnlichen Laptops gewohnt sind. Sie bestimmen, auf welcher Fläche Sie die Tastatur, den Bildschirm oder das Touchpad haben möchten, ganz nach eigenen Wünschen. Bei diesem Gerät gibt es kein Oben und Unten. Darum spielt es keine Rolle, wie Sie das Gerät von Beginn an aufsetzen. Es passt sich immer Ihren Standardeinstellungen an und wie Sie es gerade aufgesetzt haben. Aus dem Bildschirm kann die Tastatur werden oder umgekehrt - was auch immer Sie bevorzugen.»

    Phillip speicherte seine Standardeinstellungen ab. Dabei kamen ihm die Ellbogen seiner Sitznachbarn ständig in die Quere.

    «Jetzt brauchen Sie auch nicht mehr auf die Videowand zu starren. Es erleichtert Ihnen die Arbeit sehr. Sie können mich jetzt über Ihre Bildschirme sehen. Selbst die Kameraregie übernehmen ab sofort Sie. Von allen Seiten sind Kameras auf die Bühne gerichtet und verfolgen hier rund um die Uhr das Geschehen. Aus welcher Perspektive Sie mich sehen wollen, wie nahe Sie zoomen, ob Sie überhaupt Lust haben, mich zu sehen, entscheiden Sie selbst. Wir haben den Raumklang ausgeschaltet und Sie hören mich nur noch über das Headset, damit Studentinnen und Studenten, die schon länger bei uns sind, von meiner Einführungsrede nicht länger gestört werden. In allen Auditorien vermindern wir den Lärmpegel auf das Minimum. So arbeiten wir hier. Jeden Tag, an dem Sie hierherkommen, ist es Pflicht und zwingend, dass Sie eines nie vergessen: Ohne einen Computer können Sie nicht arbeiten. Ein Student, der seinen Laptop nicht in seiner Aktentasche mitführt, kann seinem Unterricht nicht folgen, weil ihm sein Werkzeug dazu fehlt. Defektes Material müssen Sie unverzüglich melden. Es wird repariert oder ersetzt. Das ist bei uns kein Problem. Was Ihnen gegeben wurde, gehört bis zum Ende Ihres Studiums Ihnen. Tragen Sie Sorge dafür. Die Aktentasche samt Inhalt gehört von jetzt an zu Ihrem Leben und ist ständiger Begleiter, solange Sie hier sind. Das Telefonieren mit Ihrem neuen Mobiltelefon ist kostenfrei. Sie brauchen lediglich Ihre alte Rufnummer auf das neue Gerät zu portieren, mehr nicht.»

    In den vordersten Reihen wurde geklatscht, gejubelt und gepfiffen. Die Sache betreffend Mobiltelefonie stieß auf große Begeisterung. Der rechte Dozent überließ seinem Kollegen, ebenfalls im Smoking, das Rednerpult. Er hatte klare Worte.

    «Ich will Ruhe im Saal! Wir sind hier nicht im Zirkus. Bitte mäßigen Sie den Pegel.»

    Sofort wurde es ruhig. Auf den Bildschirmen der Laptops war ein stattlicher, älterer Herr zu sehen. Er trug einen kurzen Schnauzbart und schlug einen ganz anderen Ton an.

    «Ich

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