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Endstation Silberhochzeit: Altes-Land-Krimi
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Endstation Silberhochzeit: Altes-Land-Krimi
eBook374 Seiten5 Stunden

Endstation Silberhochzeit: Altes-Land-Krimi

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Über dieses E-Book

Was als fröhliches Fest ihres Chefs gedacht war, endet für die Oberstufenleiterin der Gesamtschule Buxtehude tödlich. Der vierte Fall im Alten Land, am Deich, vor den Toren Hamburgs, entwickelt sich für Thorsten Brandt jedoch nicht nur wegen der ungewöhnlichen Todesursache zu einem Albtraum an Ermittlungsarbeit. Konnte er sich bislang in allen vorherigen Fällen auf seine erfahrene Vorgesetzte Celia Dörfer verlassen, muss er diesmal alleine auf sich gestellt ermitteln, während sie den größten persönlichen Kampf ihres Lebens kämpft. Menschliche Abgründe, Schicksale und Intrigen bringen beide Kripobeamte an ihre Grenzen. Und am Ende wird nichts mehr sein, wie es vorher war. „Endstation Silberhochzeit“ ist der vierte Krimi der in Hamburg lebenden Autorin Cäcilia Balandat.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Dez. 2013
ISBN9783898767101
Endstation Silberhochzeit: Altes-Land-Krimi

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    Buchvorschau

    Endstation Silberhochzeit - Cäcilia Balandat

    1. Kapitel

    Der Deich an der Elbe zeigte sich in einem kräftigen Grün. Die Sonnenstrahlen glänzten auf den Tautropfen, die sich in der Nacht an den Grashalmen gebildet hatten. Noch waren die Strahlen nicht stark genug, um die Halme zu trocknen. Deutliches Zeichen des herannahenden Herbstes. Der Parkplatz des Lüheanlegers im Alten Land, vor den Toren Hamburgs, lag noch ruhig und einsam. Es war noch früh. Aber die Touristen und auch die Einheimischen würden bald kommen. Die letzten schönen Tage vor dem langen, meist trüben Herbst und Winter lockten viele an diesen Platz.

    Die Geschäftemacher hatten dies schon vor Jahren erkannt und seitdem tummelten sich etliche Fritten- und Fischwagen, Eis- und Kuchenverkäufer, um an den Touristen zu verdienen. Doch noch waren die Verkaufswagen geschlossen.

    Bis ungefähr 9 Uhr hatte Schäfer Hubert den Platz für sich. Der schmächtige, bärtige Mann genoss den Blick auf die Elbe ebenso wie die Ruhe. Er war ein Eigenbrötler. Immer schon. Wenn er die Wahl hatte, verbrachte er die Zeit lieber mit seinen Tieren als mit den Menschen. Sie verfügten vielleicht nicht über die Intelligenz der Menschen, dafür aber waren sie ehrlich. Unverfälscht.

    Zufrieden beobachtete der Schäfer den Schiffsverkehr, der ebenfalls, so schien es, noch vor sich hindöste. Lediglich eine kleine Schute zeigte sich in der Ferne. Aber keines der großen Containerschiffe, die Tag für Tag Hamburgs Hafen anliefen oder ihn verließen, war in Sicht.

    Hubert griff nach den leichten, mobilen Weidezäunen auf der Ladefläche seines Jeeps. Die Weidefläche für seine Schafe musste abgezäunt werden. Sie sollten in den nächsten Wochen diesen Abschnitt des Deiches entlang der Elbe abgrasen.

    Die Touristen reagierten darauf durchaus unterschiedlich. Manche mokierten sich über die Belästigung durch den Gestank und die Beeinträchtigung durch die Zäune.

    Es hatte Jahre gegeben, in denen Touristen die Zäune einfach niedergetrampelt hatten, die Schafe davongelaufen waren. Dabei war den Besuchern des Alten Landes nicht bewusst, dass die Schafe einen wichtigen Beitrag zur Deichsicherheit leisteten. Sie hielten nicht nur das Gras kurz, sodass ein Befahren mit elektrischen Geräten überflüssig war, sie traten auch den Boden fest, verdichteten den Untergrund und verhinderten so ein schnelles Durchweichen bei Hochwasser.

    Seit die Gemeinde Jork dazu übergegangen war, Infotafeln aufzustellen, die die Touristen über Sinn und Zweck informierten, blieb es in der Regel bei mürrischen Kommentaren. Allerdings gab es auch Besucher, die den Anblick der Schafe als Ausdruck der Romantik empfanden.

    Ein Blick auf die Uhr zeigte Schäfer Hubert, dass es Zeit wurde. Bis die Zäune errichtet waren und die Schafe von ihrem jetzigen Weideplatz hierher getrieben sein würden, dauerte es. Und er wollte mit beidem fertig sein, bevor die Touristen den Platz stürmten. Entschlossen machte er sich an die Arbeit. Er ließ sich auch von dem Paar nicht stören, das kurz darauf an ihm vorbei Richtung Partyzelt ging, das in einiger Entfernung aufgebaut stand.

    Es war Hubert ohnedies ein Dorn im Auge, dass die Leute meinten, sie müssten immer mehr Natur für sich in Anspruch nehmen. Nicht um sie zu genießen, sondern um sie zu zerstören. In der einen oder anderen Form. Es wollte sich ihm nicht erschließen, warum man eine Party auf einer Wiese feierte, des Nachts, wenn niemand etwas von der Natur hatte. Warum feierte man Feste in Zelten, in die die Kälte eindrang, die dann mit Heizstrahlern vertrieben werden musste, statt gleich, wie man das früher tat, einen Raum in einer Gaststätte anzumieten, wenn man zu Hause nicht über die entsprechenden Möglichkeiten verfügte.

    Er gab ein unwilliges Grunzen von sich. Was wusste er schon? Er feierte selten. Gezwungenermaßen, wenn sein Bruder zu Familienfesten einlud.

    Bis vor ein paar Jahren konnte Hubert ihnen sogar noch etwas abgewinnen. Die Nichten und Neffen, Kinder seines Bruders, waren in einem Alter, in dem sie noch niedlich waren und an allem interessiert. Sie liebten die Geschichten des verschrobenen Onkels über die Schafe. Aber nach und nach waren die Kinder größer geworden. Inzwischen interessierten sie sich nur noch für Playstation, Handy und Co. Die Natur hatte in ihrem Leben keinen Platz mehr.

    Grübelnd setzte der Bärtige seine Arbeit fort. Bis die Schreie an sein Ohr drangen. Sie kamen von der Frau, die eben in Richtung des Zeltes an ihm vorbeigegangen war. Hilfe suchend kam sie auf ihn zugelaufen. Verstehen konnte er die Worte nicht. Um zu wissen, dass etwas passiert war, brauchte er das auch nicht. Der Ausdruck auf dem Gesicht der Frau war beredt genug. Ihr Begleiter war nicht zu sehen. Also nahm er an, ihm wäre etwas zugestoßen.

    „Jaron, bitte wach auf!" Celia Dörfer rüttelte an der Schulter ihres Lebensgefährten. Ihre Stimme klang aufgeregt und verängstigt zugleich. Es passte nicht zu ihrer sonstigen Art.

    Als Hauptkommissarin der Kripo des Landkreises Stade war sie eher mutig und unerschrocken. Jaron Karloff, Lebensgefährte und als Staatsanwalt Vorgesetzter der Beamtin in einer Person, fuhr mit einem Ruck aus dem Tiefschlaf.

    „Celia?" Zu mehr kam er nicht.

    „Ich spür Julien nicht mehr!" Celias Stimme war nur ein ängstliches Flüstern. Es flößte Jaron mehr Angst ein, als ein lauter Ausruf es getan hätte. Ihm wurde kalt. Celia neigte nicht zu übertriebenen Panikattacken. Während der bisherigen Schwangerschaft war er es eher, der alle mit seiner Fürsorge und Ängstlichkeit genervt hatte.

    „Seit wann? Was ist denn passiert?", versuchte er äußerlich ruhiger zu scheinen, als er sich in Wirklichkeit fühlte. Gleichzeitig war er mit den Beinen schon aus dem Bett und auf dem Weg zu seiner Hose.

    Celia brach in Tränen aus.

    „Ich weiß es nicht. Ich bin vor einer halben Stunde wach geworden, weil ich das Gefühl hatte, es stimmt was nicht. Normalerweise tritt und boxt der Kleine mich die ganze Nacht. Aber ich fühle nichts mehr. Gar nichts mehr!"

    Jaron ließ die Hose auf den Boden fallen, von dem er sie gerade aufgehoben hatte, und eilte auf die Bettseite zu seiner Freundin.

    „Pscht. Ganz ruhig. Das muss doch nichts heißen. Vielleicht hat sich der Kleine schon an deinen Rhythmus gewöhnt und schläft auch. Aber wir fahren einfach in die Klinik und lassen es überprüfen. Einverstanden?"

    Obwohl er nicht damit gerechnet hatte, schien der Versuch Celia zu beruhigen zu funktionieren. So froh er einerseits darüber war, zeigte es ihm gleichzeitig, wie schlimm es um Celia und ihre Nerven bestellt war. Sie ließ sich sonst nicht von ihm beruhigen. Häufig war es umgekehrt.

    Schniefend und die letzten Tränen hinunterschluckend befreite sie sich aus seiner Umarmung. Celia hatte es eilig. Nur kurze Zeit später saßen sie im Auto auf dem Weg nach Stade.

    Auch wenn Buxtehude, genau wie Stade, über eine Geburtsstation verfügte, war Stade in Jarons Augen die bessere Wahl. Die Klinik hatte eine Säuglingsstation. Unausgesprochen nahmen sie den etwas längeren Weg von Jork nach Stade in Kauf, waren sie sich einig, dass sie dort besser aufgehoben waren, falls mit dem Kind tatsächlich etwas nicht in Ordnung wäre.

    Während der Fahrt herrschte zwischen beiden, die sonst nie um ein Thema verlegen waren, angespanntes Schweigen. Jaron hätte gerne ein unverfängliches Thema angesprochen. Ein aktueller Fall Celias wäre hilfreich gewesen. Aber es gab keinen. Und alle anderen Themen erschienen ihm zu nahe an der Bedrohung, die im Raum stand. Also schwieg er. Hätte er geahnt, mit welchen Gedanken sich seine Lebensgefährtin quälte, hätte er vielleicht doch gesprochen. Aber er wusste es nicht. Und so blieb Celia alleine mit ihren Schuldgefühlen.

    Jaron hatte sie immer und immer wieder gebeten, geradezu bekniet, kürzerzutreten. Rücksicht auf die Schwangerschaft, auf ihr Kind zu nehmen. Obwohl sie wusste, warum er es tat, oder vielleicht gerade deshalb, ließ sie sich nicht darauf ein. Sie wollte nicht ausbaden, was ihre Vorgängerin in Jarons Leben verbockt hatte. Zwar beteiligte sie ihn an allen Untersuchungen und Entscheidungen, die das Kind, die Entbindung, die Namensgebung und Planung der Zeit nach der Entbindung betrafen. Aber über ihre Arbeit ließ sie nicht mit sich verhandeln. Sie arbeitete weiter wie bisher.

    Erst in der kommenden Woche, wenn der offizielle Mutterschutz begann, wollte sie zu Hause bleiben. Celia schossen erneut Tränen in die Augen bei dem Gedanken, es übertrieben zu haben. Sie fühlte sich schuldig, ohne zu wissen, ob mit dem Kind tatsächlich etwas nicht in Ordnung war.

    Erneut tastete sie über ihren Bauch. Die Hand unter der Jacke. Sie wollte es Jaron nicht sehen lassen. War da nicht doch eine leichte Bewegung? Sie ließ die Hand an der Stelle ruhen. Nur um erneut zu bemerken, dass sie sich getäuscht hatte.

    Der Weg zog sich endlos dahin, so schien es zumindest. Trotz der frühen Morgenstunde, ohne jeden Verkehr. Unisono erklang ein Aufseufzen aus den Kehlen der beiden Beamten, als sie endlich die Anhöhe zur Klinik in Stade erreichten. Alle Vorschriften ignorierend, fuhr Jaron den Wagen vor die breite gläserne Eingangstür der Klinik und stellte das Auto dort ab. In Windeseile war er um das Auto herumgelaufen und öffnete Celia die Tür.

    So lange es gedauert hatte, bis man ihr die Schwangerschaft überhaupt ein wenig ansehen konnte, in den letzten Wochen hatte sich das Bild dann doch gewandelt. Zwar war Celia der Umstand von hinten immer noch nicht anzusehen, von der Seite jedoch und von vorne war die Kugel deutlich gewachsen und erkennbar. Nicht verwunderlich. Schließlich waren es nur noch sieben Wochen bis zum errechneten Geburtstermin.

    „Komm, ich helfe dir!", griff Jaron unterstützend unter ihren Arm und führte sie in die Klinik. Hilflos blickte er sich um. Aber es war noch früh. In der Klinik herrschte die berühmte Ruhe vor dem morgendlichen Sturm des Tagesgeschäfts.

    Die Rezeption war noch nicht besetzt. Jaron führte Celia geradewegs zu den Aufzügen. Nur kurz dachte er daran, in die Notaufnahme zu fahren, dann entschied er, gleich den Weg auf die Geburtsstation zu nehmen.

    „Kann ich Ihnen helfen?" Man sah der jungen Frau an, dass sie von der Nachtschicht übrig geblieben war. Sie hatte Ränder unter den Augen, die, ausgeschlafen, sicher einen faszinierenden Ausdruck hatten.

    Sie waren strahlend blau, wie Jaron überrascht feststellte, obwohl sie dunkles, fast schwarzes Haar hatte. Jetzt blickten sie müde, mit einem fast flehenden Ausdruck, so kurz vor Schichtende nicht noch mit einem Problem beschäftigt zu werden. Jaron ignorierte den Ausdruck.

    „Celia, meine Lebensgefährtin …, er stotterte, was ihm sonst selten passierte. Dabei bemerkte er, dass sich in ihm alles gegen den Ausdruck Lebensgefährtin sträubte. Er hätte ihn gerne durch die Formulierung „meine Frau ersetzt. Bisher war er immer der Meinung, er wäre Celia so nah, wie man einem Menschen nur sein konnte. Dafür benötigte er keinen Trauschein. Jetzt, in diesem Moment fühlte es sich so an, als reiche es nicht. Er riss sich zusammen.

    „Sie spürt das Kind nicht mehr!"

    Die Schwester zog kurz scharf die Luft ein. Dann wandte sie sich betont gelassen an Celia, ein beruhigendes Lächeln auf das müde Gesicht zaubernd. „Seit wann haben Sie Ihr Kind nicht gespürt?"

    Die Krankenpflegerin berührte leicht Celias Arm. Als wäre es enorm wichtig, prägte Celia sich deren Namen ein, der gut sichtbar auf ihrem Namensschild am Kittel zu lesen war. Pflegerin Lydia. Ohne Celias Antwort abzuwarten, führte die Pflegekraft Celia zu einem Stuhl neben dem Schwesternzimmer.

    „Setzen Sie sich einen kleinen Moment hin. Ich funke den Bereitschaftsarzt an. Er ist dann gleich hier und schaut nach dem Rechten."

    Celia sträubte sich gegen den Sitzplatz. Sie wollte nicht warten. Es sollte endlich was passieren.

    Jaron, der spürte, dass Celia gleich explodieren würde, nahm sie sanft zur Seite. „Komm, die Frau kümmert sich. Es kann jetzt nicht mehr lange dauern. Beruhig dich!"

    Celia entzog sich der Umarmung. Sie konnte die Enge, die sie verursachte, nicht ertragen. Sie konnte Jarons Trost nicht entgegennehmen. Er fühlte es. Die Kränkung, die ihre Reaktion in ihm hervorrief, schob er zur Seite.

    Schnell war Schwester Lydia wieder bei ihnen. „Der Gynäkologe ist auf dem Weg. Wir gehen schon mal in den Untersuchungsraum. Hier entlang!", übernahm sie die Führung.

    Sie erschien Jaron sehr unerfahren. Wahrscheinlich, so mutmaßte er, hatte sie noch nicht viele solcher Situationen zu meistern gehabt. Als dann der angekündigte Gynäkologe zu ihnen trat, noch bevor sie das Untersuchungszimmer erreichten, wirkte sie so erleichtert, wie Jaron es vorausgesehen hatte.

    „Gerber, Dr. Gerber!", stellte sich der Facharzt vor. Auch er wirkte ein wenig übernächtigt, jedoch souverän. Seine Hand hatte er zuerst Celia gereicht, dann Jaron. Celia reagierte lediglich mit einem Nicken. Jaron übernahm die Vorstellung.

    „Frau Dörfer, was ist passiert?" Während er versuchte, Celia Informationen zu entlocken, öffnete er die Tür zum Behandlungszimmer, schaltete das Licht ein und führte Celia zu einem Stuhl.

    Unwillig entzog Celia dem Arzt ihren Arm, schüttelte ihn ab.

    „Ich will mich nicht hinsetzen. Ich will, dass Sie einen Ultraschall von unserem Kind machen. Es bewegt sich nicht mehr. Es hat sich immer bewegt. Die ganze Nacht. Es hat mich nie schlafen lassen. Aber heute Nacht macht er gar nichts mehr."

    Gerber nickte und änderte die Richtung.

    „Kommen Sie! Er wies auf die Liege im Raum. Das Ultraschallgerät direkt daneben. „Wollen mal sehen. Wahrscheinlich ist gar nichts. Wann ist der errechnete Termin?

    Er drehte sich zu Jaron. Celia war jedoch schneller. „In sieben Wochen! Nur noch sieben Wochen. Jetzt kann dem Kleinen doch eigentlich gar nichts mehr passieren, oder? Ich meine …?"

    Sie brach ab. Die Tränen, die sie bisher zurückgehalten hatte, liefen ihr übers Gesicht. Unwillig wischte sie sie mit dem Handrücken weg.

    Gerber wechselte einen Blick mit Jaron, den dieser nicht deuten konnte. Normalerweise war er gut darin, Worte und Gesten von Menschen zu verstehen. Als Staatsanwalt ein unbestreitbarer Vorteil im Umgang mit Angeklagten bei Gericht. Aber Gerbers Blick hätte viel bedeuten können. Jarons Gefühl der Verunsicherung verstärkte sich.

    Celia, die inzwischen auf der Liege lag, zog ihr Hemd über den Bauch hoch. Auf das kalte Gel, das der Gynäkologe auf dem Bauch verteilte, reagierte sie nicht. Sie hatte den Blick starr auf den Monitor des Ultraschalls gerichtet. Als der Mediziner den Monitor wegdrehen wollte, fuhr sie ihn an.

    „Lassen Sie das. Ich will sehen, wie es Julien geht!"

    „Es wird ein Junge?", versuchte Gerber zu plaudern.

    „Es ist ein Junge. Er ist schon. Julien!"

    Neue Tränen traten ihr in die Augen. Diesmal wischte sie sie nicht weg. Sie ließ sie laufen.

    Gerber sagte nichts mehr, begann mit der Untersuchung. Behutsam fuhr er mit der Ultraschallsonde über Celias gewölbten Bauch. Zunächst mit schnellen Bewegungen, um das Gel zu verteilen. Dann setzte er es gezielt auf die Bauchdecke. Wie er erkannte auch Celia den Kopf des Kindes, Arme, Rücken und Po waren gut zu erkennen. Celia spürte Erleichterung, als hätte sie erwartet, das Kind hätte sich in Luft aufgelöst.

    Jaron dagegen hatte das Zögern des Arztes bemerkt. Jetzt, als er das Stethoskop, das bisher unbenutzt um seinen Hals gehangen hatte, griff, und es ebenfalls auf die Bauchdecke drückte, fühlte Celia Panik in sich hochsteigen. Das gleiche Gefühl konnte sie in Jarons Augen erkennen. Es gab ihr den Rest.

    Das gellende „Nein", das Celia ausstieß, würde Jaron nicht wieder vergessen können.

    2. Kapitel

    Widerwillig ließ der Schäfer den Weidezaun sinken. Kurz schoss es Leah Brake durch den Kopf, dass der Mann eher nach Bayern passen würde. Sein Äußeres hatte etwas von einem verschrobenen Almbauern. Schnell wurde der Gedanke von dem aktuellen Gedanken verdrängt. Atemlos rüttelte sie am Arm des Schäfers.

    „Nun kommen Sie, schnell. Wir brauchen Hilfe. Frau Welsch bekommt keine Luft mehr."

    Sie zerrte Hubert zum Partyzelt. Mit einem Blick erfasste er die Situation. Auch wenn er noch so weltfremd erschien, er war nicht begriffsstutzig. Not erkannte er.

    Auch der modernen Zivilisation hatte er sich nicht gänzlich verweigert. Er besaß ein Handy, das er nun aus der Hosentasche zog. Weder die Frau noch der mit Herzmassage beschäftigte Mann schienen bisher auf die Idee gekommen zu sein, einen Rettungsdienst zu informieren.

    Kurz und knapp informierte er die Leitstelle über die wichtigsten Fakten. Während er das Handy in die Hosentasche zurückgleiten ließ, nahm er die Einzelheiten auf.

    Dabei stach ihm das leuchtend rote Haar der Frau im Gras besonders ins Auge. Es stand in einem überdeutlichen Kontrast zur bläulichen Färbung ihres Gesichts.

    Erst nach einigen Sekunden wurde ihm die Bedeutung der Gesichtsfarbe bewusst. Dann reagierte er. Er schubste den anderen Mann zur Seite und begann mit der Beatmung der Frau, die röchelte und offensichtlich nicht genug Luft in die Lungen zu bekommen schien. Doch es brachte ihr keine Erleichterung, ihr Zustand verschlechterte sich.

    Zunächst begann sie unter seinen Händen zu krampfen. Dann bog sich der Körper ins Hohlkreuz durch. Gegen sie ankämpfend versuchte Hubert abwechselnd das Herz zu massieren und sie dann erneut zu beatmen. Nur am Rand nahm er wahr, dass der Rettungswagen eintraf.

    Bevor die Rettungssanitäter bei ihnen waren, spürte er, wie die Frau unter seinen Händen entspannte. Die Krämpfe hörten auf. Im ersten Moment beschlich ihn die Hoffnung, es würde ihr besser gehen. Aber nur für einen kurzen Moment. Dann bemerkte er das Fehlen jeden Lebenszeichens. Ein Blick in die weit aufgerissenen, starren Augen bestätigte seine Befürchtungen. Als hätte er sich verbrannt, zog er ruckartig die Hände vom Brustkorb der schönen Frau.

    Er befand sich noch im Zustand des Halbschlafes, als er mit dem rechten Arm auf die andere Seite des Bettes griff. Ins Leere. Thorsten Brandt schreckte hoch. Er brauchte einige Sekunden, um sich zu erinnern, warum seine Freundin Seyda nicht neben ihm im Bett lag.

    Ihr Fehlen hatte ihm eine Mordsangst eingejagt und sein Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Dann erinnerte er sich.

    Allerdings gab es an der Erklärung genug Aspekte, um sein Unwohlsein erneut zu entfachen. Seyda war mit ihrer Freundin Büsra abgetaucht, wie er es für sich bezeichnete. Aus heiterem Himmel hatte Seyda für sich beschlossen, eine Auszeit zu brauchen.

    Ihre Beziehung hätte sich zu schnell entwickelt. Sie fühle sich überrollt und brauche ein wenig Distanz, um sich darüber klar zu werden, ob sie genau das wollte, was sie zurzeit mit ihm lebte. Thorsten war wie vor den Kopf gestoßen. Seyda war es gewesen, die die Beziehung vorangetrieben hatte. Anfänglich waren sie nur Nachbarn, dann hatten sie sich immer öfter getroffen, nicht nur auf dem Gang des Hausflurs. Seyda hatte ihm regelrecht den Kopf verdreht. Sie hatte nach und nach mehr und mehr Raum in seinem Leben eingenommen.

    Celia, seine Vorgesetzte und gute Freundin, hatte ihn ein ums andere Mal gewarnt, auch vor möglichen Problemen durch ihre unterschiedliche Herkunft.

    Aber Seyda ließ keine Zweifel aufkommen. Sie widersetzte sich allen Anfeindungen in ihrem türkischen Freundeskreis gegen ihre Liebesbeziehung zu einem Nichttürken. Sie bestand darauf, ihn ihren Eltern vorzustellen. Sie nahm teil an seinem beruflichen Leben, schreckte vor keiner Tatbeschreibung zurück. Die Landung nach dem Fall von Wolke Sieben auf der Erde schmerzte ihn umso mehr.

    „Ich will doch nur ein paar Tage Abstand!", hatte Seyda versucht, ihn zu beruhigen.

    „Ich laufe nicht weg. Und ich beende doch auch unsere Beziehung nicht. Vertrau mir doch einfach!"

    Genau das fiel ihm jedoch schwer. Seydas Vorgängerin hatte einiges daran gesetzt, genau dieses Gefühl in ihm zu zerstören. Gerade als er sich auf dem Weg zur Genesung wähnte, zog Seyda sich zurück. Dennoch hatte er nach außen den Lässigen gemimt.

    Als sie mit der Reisetasche durch die Tür verschwand, wäre er am liebsten in Tränen ausgebrochen. Er hätte sie gerne zurückgehalten. Sein nächster Impuls war, Celia anzurufen. Ihn schreckte jedoch die Vorstellung, er könne unterschwellig ein „Hab ich dir doch gesagt!" aus ihren Worten raushören. Er ließ es. Am Ende landete er dort, wo er auch nach dem Aus mit Eva gelandet war. Im Marktschreier, bei Mona auf dem Kneipensofa.

    Bis heute wusste keiner der drei Beamten, was die Düsseldorfer Kneipenwirtin in das kleine Nest Jork verschlagen hatte. All ihre Ermittlerfähigkeiten hatten nicht ausgereicht, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

    Jaron hatte einmal scherzhaft erwähnt, sie könnten den Polizeicomputer befragen. Ohne Worte war Jaron, Celia und Thorsten der Blick von Mona Warnung genug, ihre Vergangenheit ruhen zu lassen.

    „Es gibt keine Polizeiakte über mich. Das ist alles, was ich euch sage. Alles andere geht euch nichts an", hatte sie kurz und bündig hinzugefügt und jedem der Beamten ungefragt ein Glas Bier auf den Tresen geknallt. Sie hatten es nie wieder erwähnt.

    Mit dem typisch hohlen Gefühl von enttäuschter Liebe, ertränkt in zu viel Alkohol, zog Thorsten sich das Kopfkissen über den Kopf und wünschte, er könnte noch ein wenig weiterschlafen. Dabei wusste er nur zu gut, dass ihm genau das nicht vergönnt war.

    Alkohol, der bei vielen anderen zu einem beinahe komatösen Schlaf führte, brachte Thorsten regelmäßig viel zu kurze Nächte ein.

    Als sein Handy auf dem Nachttisch zu läuten begann, schoss er hoch. Dabei vergaß er seinen Bereitschaftsdienst. Zu sehr sehnte er einen Anruf von Seyda herbei.

    Ein Blick auf das Display seines Handys hätte ihn aufgeklärt. Aber er war zu schnell. Daher brauchte er einige Sekunden, um zu begreifen, dass er an einen Tatort gerufen wurde.

    „Ist Frau Dörfer schon informiert?", konnte er sich doch noch sammeln. Die Antwort ließ ihn seine eigenen Probleme vergessen.

    „Scheiße!" war alles, was ihm noch einfiel. Dann legte er auf. Während er mit der einen Hand das Handy am Ohr hielt, versuchte er, mit der freien Hand nach seiner Hose zu greifen und sie über die Beine zu ziehen. Kurz bevor er drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, setzte er sich aufs Bett zurück. Dann fluchte er erneut und schmiss das Handy neben sich auf die Bettdecke.

    Er hatte lediglich Jarons Mailbox erreicht. Ihm fehlten jedoch die Worte für die Situation. Also hinterließ er keine Nachricht.

    Schnell zog er den Rest der Kleidung über, auch im Badezimmer legte er den Schnellgang ein. Zurück im Schlafzimmer griff er nach dem eben weggeworfenen Handy und wählte. Wenn auch ohne Hoffnung auf ein anderes Ergebnis zunächst Jarons Nummer.

    Als er seine Befürchtungen bestätigt sah, wählte er die Richie Saalmanns. Der Mann von der Spurensicherung musste informiert werden. Ebenso wie Thomas Heuser von der Gerichtsmedizin.

    Beide waren von der Zentrale bereits auf den Weg geschickt worden. Beide erkundigten sich danach, ob Celia informiert war. Beiden verschlug es die Sprache, als Thorsten sie brüsk informierte, dass Celia im Krankenhaus sei, und dann auflegte.

    Er griff nach den Autoschlüsseln im Eingangsbereich seiner Wohnung, nur um dann innezuhalten und festzustellen, dass er von seinem Wohnzimmerfenster fast auf den Tatort blicken konnte. Er kehrte um und warf einen Blick hinaus. Tatsächlich konnte er gerade noch das Blaulicht des Rettungswagens über die Krone des Deichs herausragen sehen.

    „Ich wollte immer schon ganz in der Nähe meiner Arbeit wohnen!", murmelte er ironisch vor sich hin. Es folgte ein weiterer Fluch. Dann wandte er sich von der großen Panoramascheibe seines Wohnzimmers ab.

    Als er die Wohnung vor gut einem Jahr gekauft hatte, hatte dieser Blick aus dem Fenster einen entscheidenden Anteil an seinem Entschluss gehabt, sich in die Belastungen einer Eigentumswohnung zu stürzen. Er konnte von ihr aus über den Deich hinweg auf die Elbe blicken. Eine faszinierende Aussicht, wenn die hoch aufragenden Containerschiffe majestätisch vorbeischipperten.

    Oder die größer und größer werdenden Kreuzfahrtschiffe. Eins luxuriöser als das andere.

    Er besann sich auf die Realität. Er griff nach dem Wohnungsschlüssel, die Autoschlüssel ließ er liegen. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprintete er die drei Stockwerke hinunter. Die sonst recht belebte Straße am Deich entlang, nach Stade in die eine Richtung und Hamburg in die andere, lag ruhig da. Die frühe Stunde am Sonntag machte es möglich, sie zu überqueren, ohne die Ampel durch Knopfdruck in Betrieb zu nehmen.

    Fast zeitgleich mit ihm fuhr Richie auf den großen Parkplatz am Anleger.

    Bis vor wenigen Jahren fuhr von Lühe eine Schnellfähre nach Hamburg zu den Landungsbrücken. Der Betreiber hatte sich gutes Geld ausgerechnet, das ihm die Pendler einbringen sollten, die nach Hamburg zur Arbeit mussten. Sein Plan war nicht aufgegangen. Eine Weile fuhr die Schnellfähre dann noch in den Sommermonaten, um Touristen zum berühmten Fischmarkt in St. Pauli zu bringen.

    Aber auch damit ließ sich die Schnellfähre nicht finanzieren.

    Nun gab es in den Monaten von März bis Oktober, wenn die Touristen über das Alte Land einbrachen, an den Samstagen, Sonntagen und Feiertagen eine Fähre, die das Alte Land mit der Elbmetropole verband. Schnell fuhr sie jedoch nicht. Und der Parkplatz war nur selten, an sehr heißen Sommertagen, wirklich ausgelastet.

    Richie parkte seinen Wagen jedoch nicht auf dem großen, leeren Parkplatz. Er hielt kurz an, bedeutete Thorsten mit einer Geste einzusteigen und fuhr dann den schmalen Weg weiter. Die Richtung wies ihnen der Rettungswagen.

    Rechts von diesem parkte bereits das Auto des Gerichtsmediziners. Viel zeitlichen Vorsprung hatte er nicht. Er saß noch im Auto. Thorsten stieg aus und klopfte gegen die Seitenscheibe. Heuser winkte ab. Dabei bemerkte Thorsten das Handy in seiner anderen Hand am Ohr. Ohne auf den Mediziner zu warten, folgte er Richie Saalmann.

    „Hoffentlich hat sich nicht mal wieder ein Teenie bei einer Party zu Tode gesoffen", deutete Richie auf das große Partyzelt.

    „Ach du Scheiße. Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht." Thorsten schüttelte sich.

    Im vergangenen Winter, der sowohl ausgesprochen lang als auch extrem kalt gewesen war, waren gleich drei Jugendliche in der Kälte unter Alkoholeinfluss ums Leben gekommen.

    Unabhängig voneinander und doch in kurzen Abständen. Das hatte eine Weile hohe Wellen geschlagen. Aber wie so viele andere Themen auch, egal wie brisant sie waren, sie verloren an Reiz, wenn die Zeit verstrich.

    Jetzt, fast ein Dreivierteljahr später, sprach kaum noch jemand darüber. Dabei, das wussten die Männer von der Kripo nur zu gut, war die Gefahr keineswegs geringer geworden.

    Das unvernünftige Verhalten der Teenager hatte sich nicht geändert und die Eltern fühlten sich oft machtlos in dem Kampf gegen die unter den Kids so beliebten Komasaufereien.

    Ein Blick auf die Tote, nur wenige Sekunden später, zeigte ihnen, dass ihre Befürchtungen umsonst waren.

    Bei dem Opfer handelte sich eindeutig um eine erwachsene Frau. Und selbst wenn Alkohol im Spiel war, todesursächlich war er sicher nicht. Um das zu erkennen,

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