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Davyan (Band 1): Der Aschenprinz
Davyan (Band 1): Der Aschenprinz
Davyan (Band 1): Der Aschenprinz
eBook488 Seiten

Davyan (Band 1): Der Aschenprinz

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Über dieses E-Book

Davyan ist ein Nichts. Ein Niemand. Das hat er in den dreißig Jahren verinnerlicht, die er als Knecht auf dem Weingut seiner Stiefmutter Libella arbeitet. Missgeburt wird er genannt, da sein Äußeres viel langsamer altert als bei anderen Menschen. Libella und ihre beiden Söhne behandeln ihn wie Dreck, Prügel sind an der Tagesordnung. Und doch schafft er es nicht, ihnen den Rücken zu kehren. Denn sein Ziehvater ist seit Jahren bettlägerig und ohne Davyans seltsam magische Kräfte, von denen niemand wissen darf, wäre er längst nicht mehr am Leben.
Als der junge Mann eines Tages in die Hauptstadt Fayl geschickt wird, um einen Heiler zu holen, eröffnet sich ihm allerdings eine Welt, wie er sie nie geglaubt hat, kennenzulernen. Nicht nur, dass ein mächtiger Magier ihm das Leben rettet – er trifft auch auf einen Menschen, der seinem Schicksal eine Wendung geben könnte, wie es nur in einem Märchen der Fall ist. Aber Märchen … sind nicht für Aschenprinzen bestimmt, oder?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Juni 2023
ISBN9783038962809
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    Buchvorschau

    Davyan (Band 1) - C. M. Spoerri

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Landkarte Region Fayl

    Landkarte Altra

    Vorwort

    Prolog

    Kapitel 1 - Klang der Stille

    Kapitel 2 - Das Geheimnis einer Mondnacht

    Kapitel 3 - Das Eier-Thema

    Kapitel 4 - Trink, Brüderlein

    Kapitel 5 - Seltsame Begegnungen

    Kapitel 6 - Lass mich dein Held sein, Kleiner

    Kapitel 7 - Küsst mich

    Kapitel 8 - Ein Meister seines Fachs

    Kapitel 9 - Kleider machen Leute

    Kapitel 10 - Entschuldigung fürs Bedanken

    Kapitel 11 - Hoher Besuch

    Kapitel 12 - So viele falsche Fragen …

    Kapitel 13 - Ich lass dich nicht im Stich!

    Kapitel 14 - Letzte Worte

    Kapitel 15 - Besser ein ›Ups‹ als ein ›Was wäre gewesen wenn‹

    Kapitel 16 - (Un)erwarteter Besuch

    Kapitel 17 - Dunkelheit voller Fragezeichen

    Kapitel 18 - Abschiede sind beschissen

    Kapitel 19 - Spurensuche

    Kapitel 20 - Jagende Bestien

    Kapitel 21 - Weinverkostung und Einladungen

    Kapitel 22 - Hübscher Feigling

    Kapitel 23 - Wirklich nur ein Traum?

    Kapitel 24 - Der schlimmste Tag

    Kapitel 25 - Eselwitze

    Kapitel 26 - Vom Schicksal bestimmt

    Kapitel 27 - Ein riskanter Plan

    Kapitel 28 - Ballvorbereitungen

    Kapitel 29 - Die beste Tarnung für ein Fest

    Kapitel 30 - Piraten, Schwäne und Märchenprinzen

    Kapitel 31 - Das Versteck der Leseratten

    Kapitel 32 - Wie ein Orkan

    Kapitel 33 - Zu ernsthafte Gespräche zu früh am Morgen

    Kapitel 34 - Zurück im Alltag

    Kapitel 35 - Zwei Schweinchen im Verhör

    Kapitel 36 - Götter, das war knapp!

    Kapitel 37 - Zwei Strohhalme

    Kapitel 38 - Eine Lüge mit Folgen?

    Kapitel 39 - Dubiose Beobachtung

    Kapitel 40 - Der zweite Ball

    Kapitel 41 - Verhängnisvoller Streit und zu viele Prinzessinnen

    Kapitel 42 - Wenn alles irgendwie schiefläuft …

    Kapitel 43 - Die schlimmste Strafe

    Kapitel 44 - Stunde der Bestie

    Kapitel 45 - Willkommen zurück

    Kapitel 46 - Der wahren Liebe Kuss

    Kapitel 47 - Eine ziemlich lange Nacht

    Kapitel 48 - Start in ein neues Leben

    Epilog

    Nachwort der Autorin

    Glossar

    C. M. SPOERRI

    Davyan

    Band 1: Der Aschenprinz

    Fantasy

    Davyan (Band 1): Der Aschenprinz

    Davyan ist ein Nichts. Ein Niemand. Das hat er in den dreißig Jahren verinnerlicht, die er als Knecht auf dem Weingut seiner Stiefmutter Libella arbeitet. Missgeburt wird er genannt, da sein Äußeres viel langsamer altert als bei anderen Menschen. Libella und ihre beiden Söhne behandeln ihn wie Dreck, Prügel sind an der Tagesordnung. Und doch schafft er es nicht, ihnen den Rücken zu kehren. Denn sein Ziehvater ist seit Jahren bettlägerig und ohne Davyans seltsam magische Kräfte, von denen niemand wissen darf, wäre er längst nicht mehr am Leben.

    Als der junge Mann eines Tages in die Hauptstadt Fayl geschickt wird, um einen Heiler zu holen, eröffnet sich ihm allerdings eine Welt, wie er sie nie geglaubt hat, kennenzulernen. Nicht nur, dass ein mächtiger Magier ihm das Leben rettet – er trifft auch auf einen Menschen, der seinem Schicksal eine Wendung geben könnte, wie es nur in einem Märchen der Fall ist. Aber Märchen … sind nicht für Aschenprinzen bestimmt, oder?

    Die Autorin

    C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, August 2023

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2023

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Wolma Krefting

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

    Sensitivity Reading: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-30-2

    ISBN (epub): 978-3-03896-279-3

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Etwas Besseres als den Tod findest du überall.

    - Gebrüder Grimm -

    Altra

    Vorwort

    Liebe LeserInnen,

    es ist so weit: Ihr könnt ein weiteres Mal nach Venera reisen. Dieses Mal in eine Aschenputtel-Märchenadaption der etwas anderen Art. Ich erzähle euch hiermit die Geschichte von Davyan, einem jungen Knecht, der mit seiner selbstlosen, liebevollen Art mein Herz im Sturm erobert hat. Ich hoffe fest, dass es euch genauso gehen wird.

    Wir schreiben das Jahr 11 150 der ersten Epoche, der große Umbruch und damit Machtwechsel in Altra steht den Bewohnern noch bevor. Noch sind es die Zirkelleiter, die mit strenger Hand die Regionen Altras regieren – mit ihrem tyrannischen Herrscher Lesath an der Spitze. Diese Reihe spielt knapp hundert Jahre vor ›Alia‹ und ist komplett unabhängig lesbar von allen anderen Geschichten in Venera. Ihr werdet neue Charaktere kennenlernen, neue Orte erkunden – euch neuen Abenteuern und Gefahren gegenübersehen.

    Doch erst richten wir den Fokus auf ein kleines Weingut in der Nähe der Hauptstadt Fayl. Ein Weingut, in dem Davyans Geschichte beginnt – und diese … ist zunächst alles andere als märchenhaft.

    Ich wünsche euch viel Vergnügen und eine gute Reise!

    Herzlich,

    Eure Corinne

    Prolog

    Tag 21, Monat 9, 1 EP 11 122

    28 Jahre zuvor

    »Hör zu, Davyan.« Die Frau strich dem kleinen Jungen über die wunderschönen schwarzen Locken, die er von ihr geerbt hatte. »Du wirst jetzt mit diesem freundlichen Mann mitgehen, ja? Keine Sorge, er wird sich liebevoll um dich kümmern und dir der Vater sein, den du niemals hattest.«

    »Nein«, murmelte der Kleine schniefend. Er hatte sich auf die Bettkante gesetzt, sah seine Mutter mit Tränen in den Augen an.

    Diese Augen … wie sehr sie sie liebte. Links gefärbt wie Gold, rechts wie Kohle.

    Sie kämpfte gegen ihre eigenen Tränen an und schluckte die Trauer über die bevorstehende Trennung hinunter. »Du musst jetzt stark sein«, flüsterte sie.

    »Warum?« Davyan blickte sie flehentlich an.

    »Weil ich nicht länger für dich sorgen kann.« Das war die einfachste Antwort, die ihr auf seine Frage einfiel.

    Es hätte noch viele weitere Antworten gegeben. Grausamere.

    Aber wie erklärte man einem kleinen Kind, dass seine Mutter bald sterben würde?

    »Komm, mein Junge«, erklang die tiefe Stimme des dunkelhaarigen Mannes, der bisher still in der Ecke des Schlafzimmers gestanden hatte. »Es wird Zeit, dass wir aufbrechen.«

    »Nein!«, rief der Kleine und klammerte sich mit einem Mal so fest an seine Mutter, dass diese leise aufkeuchte.

    »Davyan.« Der Mann trat näher an das Bett. Seine dunklen Augen spiegelten die Trauer des Kindes, das seine Mutter nicht verlassen wollte.

    Sie nickte dem Mann stumm zu und er atmete leise durch.

    Sanft legte er eine Hand an die Schulter des Jungen, zog ihn behutsam von seiner Mutter weg. Der Kleine schrie, strampelte wie wild, als er hochgehoben wurde. Er ließ seine winzigen Fäuste auf die Brust des Mannes hinunterprasseln, doch all seine Gegenwehr verhinderte nicht, dass dieser ihn fest auf den Armen hielt.

    »Ich danke dir, Elzgar«, flüsterte die Frau, während ihr nun selbst Tränen über die Wangen rannen.

    »Nicht dafür«, antwortete er. »Was soll ich ihm sagen, wenn er irgendwann nach seiner leiblichen Mutter fragt?«

    »Sag ihm, dass sie ihn mehr geliebt hat als ihr Leben.«

    Kapitel 1 - Klang der Stille

    Tag 4, Monat 6, 1 EP 11 150

    Gegenwart

    Der vierte Fußtritt schmerzt weniger. Auch weil ich heimlich das Hämmern, das durch meinen Rücken schießt, mit Magie dämme. Doch die Seele vermögen meine Kräfte nicht zu heilen … die vielen eiternden Wunden, die darin klaffen, während ich vorgebe, nicht zu spüren, wie weh sie mir tun. Äußerlich und innerlich.

    Ich bin anders. Das war ich immer schon und ich käme im Grunde damit zurecht. Meine Umwelt allerdings weniger.

    »Winsle um Gnade, Schweinejunge! Du dreckiger Bastard!«, bellt mich einer der Knechte an, die mich eingekreist haben. Seine Stimme trieft vor Hohn und Abscheu gleichermaßen.

    So viel Hass … habe ich ihn verdient? Ich wüsste nicht, womit.

    Ich liege im schmutzigen Stroh des Schweinestalls und habe mich zu einem Päckchen zusammengerollt, die Arme schützend um den Kopf geschlungen. Wenn sie mich dort treffen und ich ohnmächtig werde, werden die Qualen so lange dauern, bis ich vor Schmerzen wieder aufwache, das ist mir klar.

    Die Knechte des Weingutes wollen ihren Spaß mit mir, mich betteln und winseln hören. Falls ich ihnen das nicht biete, werden sie zu härteren Mitteln greifen, bis ihre sadistische Lust gestillt ist.

    »Bitte … hört auf«, nuschle ich trotzdem gegen den Ellenbogen und hasse mich dafür, dass meine Stimme zittert.

    Am liebsten würde ich die Peiniger meine Magie spüren lassen, aber die Fußtritte wären nichts gegen die Folgen, die das nach sich ziehen würde.

    Keiner weiß, dass ich diese Kräfte in mir trage, seit ich zehn Jahre alt wurde. In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich gelernt, meine Fähigkeiten vor anderen zu verbergen, sie nur heimlich einzusetzen und zu üben.

    »Oh nein, du eklige Missgeburt, wir fangen gerade erst an!«, höhnt einer der Peiniger und ein weiterer Tritt gegen meinen Rücken lässt mich laut aufkeuchen, was die vier Kerle zum Lachen bringt.

    Missgeburt … so nennen sie mich, weil ich trotz meiner dreißig Jahre aussehe wie sechzehn. Ich altere rein äußerlich so viel langsamer als normale Menschen. Keine Ahnung, warum das so ist. In die Schule bin ich aufgrund meiner Andersartigkeit nie gegangen, habe Schreiben und Lesen nur von meinem Vater gelernt – ehe er bettlägerig wurde. Da war ich gerade mal acht Jahre alt.

    Er hat von einem Tag auf den anderen einfach aufgehört zu sprechen. Zu essen. Zu … leben. Keiner weiß, warum das geschah, kein Heiler konnte ihm helfen. Seither liegt er im Bett, und wenn ich mich nicht um ihn kümmern und ihm täglich Suppe einflößen würde, wäre er wohl längst tot.

    Danach wurde mir keinerlei Ausbildung mehr zuteil, da meine Stiefmutter sich weigerte, einen Lehrer für mich zu bezahlen oder mir gar selbst zu helfen. Alles, was ich nach Vaters Erkrankung lernte, habe ich aus Büchern aufgeschnappt, die ich unbemerkt in der Bibliothek unseres Gutshauses lese. Wenn alle schlafen und ich für ein paar Stunden in die Magie der Geschichten entfliehen kann.

    Bücher sind meine Erlösung. Sie helfen mir, weit weg zu reisen. Weg von meinem furchtbaren Alltag. Weg von Momenten wie eben diesen, wenn die anderen Knechte mich drangsalieren.

    Ein nächster Tritt gegen mein Steißbein treibt mir die Tränen in die Augen und ich unterdrücke mit Müh und Not ein erstes Wimmern. Heule ich zu schnell, wird alles nur schlimmer, da sie dadurch noch mehr angestachelt werden. Der Zeitpunkt meines Zusammenbruchs muss gut mit ihrem Blutdurst abgestimmt sein.

    Es ist ein brutaler Tanz, den ich seit meiner Kindheit trainiere. Eine Überlebenstaktik, zu der ich mindestens ein Mal in der Woche greifen muss, denn niemand kommt mir zu Hilfe. Weder meine Stiefmutter noch ihre zwei Söhne, obwohl sie genau wissen, was im Schweinestall des Gutshofes gerade vor sich geht. Die Knechte machen keinen Hehl daraus, wie sehr sie mich verachten und dass es ihnen Spaß bereitet, mich zu verspotten und zu quälen.

    Erneut schicke ich Magie in die Stellen meines Körpers, die mich vor Schmerz fast in den Wahnsinn treiben. Ich mindere hingegen nur das Leid, stille nicht die Blutungen und entferne keine Blutergüsse. Dazu habe ich später noch Zeit. Es gilt, ihnen ein Schauspiel zu liefern, damit sie möglichst schnell wieder von mir ablassen. Und das tun sie meistens, wenn ich so richtig schön aus allen erdenklichen Wunden blute.

    Ich halte die Luft an und warte die weiteren Schläge ab, zähle gedanklich mit, wie oft ihre Füße meinen Leib treffen.

    Bei einem Dutzend bricht etwas in mir und ich lasse den Tränen freien Lauf, was meine Peiniger mit boshaften Jubelschreien kommentieren. Die Folge sind sechs zusätzliche Tritte, die allerdings weniger stark ausfallen als die ersten.

    Der Zeitpunkt war richtig gewählt …

    Ich presse die Augen zusammen und versinke in mir selbst, rufe Bilder in meinen Geist, die mir helfen, die Erniedrigung und Misshandlung zu ertragen.

    Bilder von den ausladenden Weinbergen, die es hier in Fayl gibt. Von den fruchtbaren Hügeln, den Mohn- und Lavendelfeldern, durch die ich stundenlang gehen könnte – dürfte ich das Weingut denn überhaupt verlassen.

    Wie oft ich mir vorgestellt hatte, einfach abzuhauen und mein elendes Leben hinter mir zu lassen. Trotzdem habe ich in all den Jahren noch keinen einzigen Fluchtversuch unternommen.

    Aus … Angst davor, erwischt zu werden.

    Aus … Überforderung, wohin ich sollte.

    Aus … Hoffnungslosigkeit, wozu ich überhaupt tauge, wenn nicht als Knecht im eigenen Haus.

    Aus … Zweifel, dass es irgendeinen Ort gibt, an dem es mir besser gehen könnte.

    Zudem … wenn ich nicht mehr da bin, wer würde sich um Vater kümmern? Meine Stiefmutter ganz sicher nicht. In den ersten Jahren hat sie ihn noch ab und an am Krankenbett besucht, aber irgendwann einfach ihr Leben weitergelebt. Ohne ihn. Als wäre er längst tot.

    »Lassen wir noch etwas fürs nächste Mal übrig, der hat vorerst genug«, ertönen die erlösenden Worte eines der Männer und nach zwei weiteren Tritten gegen meine Oberschenkel lassen sie endlich von mir ab.

    »Du gildenlose Ratte!« Ich spüre, wie sie mich bespucken, dann, dass etwas Warmes über meine Unterarme läuft, und ich rieche den Gestank nach Urin, der mich würgen lässt.

    Hustend drehe ich den Kopf weg und blende das boshafte Lachen der Kerle aus, warte, bis sie das Finalisieren ihrer Tortur abgeschlossen haben.

    Als sie endlich den Schweinestall verlassen und ihre Stimmen leiser werden, hieve ich mich auf den Rücken und bleibe regungslos liegen, versuche, meinen Atem zu beruhigen.

    Derweil meine Magie durch den drangsalierten Körper gleitet und mit der Heilung beginnt, wird mein Herzschlag langsamer. Ich nehme die Umgebung nach und nach wieder stärker wahr, höre das leise Schnauben und Grunzen der Schweine, deren Geruch mir in die Nase dringt.

    Diese Kombination ist jedes Mal besänftigend. Obgleich viele Menschen den Schweinegeruch hassen oder eklig finden – für mich bedeutet er Frieden. Denn ich rieche ihn nur, wenn ich so daliege wie jetzt. Nicht, während ich gepeinigt werde.

    Und das leise Grunzen, das mich umgibt …

    Stille.

    So klingt für mich die Stille.

    Nein, es existiert kein Platz für mich in dieser Welt. Nirgendwo würde es mir besser gehen … überall gäbe es Kerle wie diese, die mich aufgrund meiner Gildenlosigkeit verachten und verurteilen.

    Dabei liegt es nicht daran, dass ich keiner der vier Elementgilden beitreten wollte, wie jeder hier in Altra es mit dem Erwachsenwerden zu tun pflegt, sondern, dass ich es nicht durfte.

    Meine Stiefmutter verbot es mir, als ich dreizehn Jahre alt wurde und wie alle anderen in meinem Alter zur Gilden-Aufnahmezeremonie in der Hauptstadt hätte gehen sollen. Denn spätestens dann zeigt sich in jedem Menschen eines der vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde oder Luft. Viele zeigen bereits im Kindesalter erste Anzeichen, die sich in der Jugend noch stärker manifestieren.

    Mit dem Element, das die Götter einem schenken, geht eine Begabung einher, die den Platz in der Gesellschaft weist. So sind Erdbegabte zum Beispiel gute Bauern und Heiler, Luftbegabte widmen sich vor allem der Jagd, sind aber auch hervorragende Händler, Wasserbegabte sind beispielsweise der Fischerei zugetan und Feuerbegabte dem Kampf und dem Schmieden von Waffen. In den vier Elementgilden lernen alle normalen Menschen ab dreizehn Jahren ihre Berufe. Wenn man zusätzlich noch Magie in sich trägt, wird man in die fünfte Gilde, die der Magier, geschickt, die ihren Sitz im Magierzirkel hat. Dieser ist wiederum in vier Zirkel unterteilt: Feuerzirkel, Wasserzirkel, Erdzirkel und Luftzirkel.

    Bei der Aufnahmezeremonie, die zur Sommersonnenwende mit großem Tamtam auf den riesigen Gildenplätzen aller Hauptstädte Altras abgehalten wird, erhält jeder Gildenanwärter einen Ring. Dieser verbindet sich mit dem Träger und man kann ihn danach nie wieder ablegen. Was wohl auch an der Rune liegt, die mit ihrer braunen, grünen, blauen oder roten Farbe das jeweilige Element darstellt und in das Metall eingraviert wird. Bei Magiern ist der Ring schwarz, bei nicht-magiebegabten Menschen hingegen golden. So erkennt man auf Anhieb, wer welche Rolle in der Gesellschaft einnimmt.

    Wüssten meine Stiefmutter oder ihre beiden Söhne von meinen magischen Fähigkeiten, hätten sie mich allerdings tausendmal eher den Schweinen zum Fraß vorgeworfen als mich in den Zirkel geschickt, damit ich meine Kräfte beherrschen lernen kann.

    Zwar ist es in Altra Pflicht, dass man mit dreizehn Jahren einer der vier Elementgilden oder gar dem Magierzirkel beitritt, aber meine Stiefmutter behauptete einfach, es hätte sich kein Element in mir gezeigt. Zudem kam es ihr gelegen, dass ich mit dreizehn Jahren nicht älter als sieben oder acht wirkte und niemand nachhakte, weshalb ich nicht schon in einer Gilde sei.

    Sie merkte nämlich, dass ich eine nützliche und vor allem kostenlose Arbeitskraft darstellte, solange ich ihr allein diente, und begann mir immer schwerere Aufgaben zuzuteilen.

    Mein Körper hält erstaunlich viel aus. Obgleich ich stets schlank war, besaß ich schon als kleiner Junge gestählte Muskeln und eine Kraft, die andere in meinem Alter niemals gehabt hätten. Nur brachte es mir nichts, denn verprügelt wurde ich trotzdem.

    Anfangs wehrte ich mich noch gegen die Attacken, was allerdings bloß dazu führte, dass die Gruppen, die mich misshandelten, größer und die Qualen entsprechend länger und brutaler wurden. Daher gab ich jegliche Gegenwehr auf, und seither verprügeln mich nur noch eine Handvoll Knechte, was besser auszuhalten ist.

    Im Grunde hätte ich spätestens mit sechzehn Jahren in den Magierzirkel als Diener gemusst. Doch auch da hatte meine Stiefmutter ihre Finger im Spiel, indem sie mich schlicht und ergreifend auf unserem Hof gefangen hielt und mich vor allen Menschen, die unser Gut besuchten, als ›gildenlos‹ betitelte.

    Irgendwann hatte jeder das Gefühl, dass ich einfach in keiner Gilde aufgenommen worden war. Keiner scherte sich um mich, niemand wollte wissen, wer ich bin oder was ich kann. Und meine Stiefmutter kümmert es einen Dreck, ob und welche Begabung ich überhaupt habe.

    Ich bin schon mein ganzes Leben lang unsichtbar. Oder eben der Bastard und die Missgeburt, die den anderen Knechten in den Abendstunden als nette Abwechslung nach einem harten Arbeitstag willkommen ist.

    Aber selbst wenn ich einer Elementgilde hätte beitreten dürfen … ich hätte keine Ahnung, welcher. Normalerweise trägt jeder Mensch nur ein einziges Element in sich. Ich scheine jedoch mehr als eine Begabung in mir zu vereinen. Nicht nur, dass ich magische Kräfte besitze, ich vermag mich und andere auch zu heilen und kann Flammen in meiner Hand entstehen lassen.

    Bin ich ein Mischling? Gibt es so was überhaupt? Kann es sein, dass ich mehr als ein Element besitze? Und obendrein Magie? Davon habe ich noch nie gehört und ich habe mich bisher niemandem anvertraut. Wem auch? Alle, die mich kennen, verachten mich … dafür hat meine Stiefmutter gesorgt.

    Wer mein leiblicher Vater ist, weiß ich nicht, und Mutter starb, als ich zwei Jahre alt war. Kurz vor ihrem Tod vertraute sie mich Elzgar an, der mich zu sich nach Hause auf sein Weingut nahm. Ihn nannte ich Vater – so lange, bis er sich in seine Welt aus Stummheit und Schlaf zurückzog und mich mit einer der hässlichsten Frauen Fayls allein ließ. Hässlich nicht äußerlich, das bestimmt nicht. Sie ist eine der gepflegtesten Damen, die ich kenne, und ihre Schönheit wird weitum gepriesen. Aber ihre Seele ist dafür schwarz wie die Nacht.

    Waren mein Ziehvater und ich in den ersten Jahren noch allein auf dem Gutshof, so änderte sich alles, als er Libella eines Tages mit nach Hause brachte und kurze Zeit später heiratete. Sie war es, die meinem Vater einredete, dass ich nichts wert sei, ihre beiden Söhne, die sie kurz darauf zeugten, jedoch schon. Immer wieder wies sie auf meine Andersartigkeit hin, da ich so langsam alterte.

    Libella war die Erste, die mich als Missgeburt bezeichnete.

    Vater verteidigte mich zunächst, doch irgendwann wurde seine Gegenwehr schwächer. Und sobald er bettlägerig wurde, war mein Leben eine einzige Tortur. Meine Stiefmutter nahm mir alles, was ich besaß, verbannte mich aus dem Haus, und so schlafe ich seit über zwanzig Jahren nun abwechselnd im Schweine- oder Pferdestall unseres riesigen Gutshofes.

    Ich wechsle meinen Schlafplatz, um so gegen nächtliche Überfälle der anderen Knechte gewappnet zu sein. Manchmal sind sie nämlich zu faul oder zu betrunken, um nach mir zu suchen, und nehmen sich stattdessen eine der Mägde. Was genau sie mit ihnen machen, weiß ich nicht – ich höre dann bloß die Schreie und das Flehen der jungen Mädchen, die von den Knechten zwischen die Weinreben gezerrt werden. Aber ich kann es mir vorstellen. Und auch darüber verliert bei Tag niemand hier auf dem Hof ein Wort.

    Es ist einfach ekelerregend …

    Dennoch bin ich dankbar, wenn nicht ich das Opfer bin, sondern eine der Mägde. Ist das gemein? Womöglich.

    Etwas lernt man, wenn man wie ich jahrelang misshandelt wird: Man wird egoistisch. Man denkt nur noch ans eigene Überleben und legt sich Scheuklappen an, um möglichst wenig von der Umwelt wahrnehmen zu müssen.

    Ich muss leben. Das ist alles, was zählt.

    Warum mir das so wichtig ist, kann ich an den meisten Tagen selbst nicht begreifen. Aufgeben wäre definitiv die einfachere Option.

    Aber wer würde sich um meinen Vater kümmern?

    Nein. Ich muss am Leben bleiben. Nur schon für ihn.

    Ich spüre, wie meine Magie langsam Wirkung zeigt, die Pein geringer wird, ich wieder besser atmen kann.

    Wie oft ich mich schon heilen musste wie gerade jetzt, vermag ich gar nicht mehr zu sagen. Dabei ist stets darauf zu achten, dass ich noch ein paar gut sichtbare Blessuren übrig lasse, damit die Knechte mich am nächsten Tag mit ihren triumphierenden Blicken bedenken können.

    Daher stille ich meist nur die schlimmsten Blutungen und heile die Wunden, die ich mit Kleidung bedecken kann, nehme mir die Schmerzen, so gut es geht. Den Rest erledigt mein Körper dann von selbst.

    Endlich schaffe ich es, mich vom Boden zu erheben. Meine Kleidung ist zerrissen, aber das ist nichts Neues. Ich werde sie bis morgen flicken, sonst hagelt es weitere Prügel – von meiner Stiefmutter. Und die ist keinesfalls zimperlicher als die Knechte.

    Als Erstes gilt es nun, den Dreck von mir zu waschen.

    Obwohl der Mond inzwischen aufgegangen ist, fühlt sich die Nachtluft warm an, als ich aus dem Stall trete. Verstohlen sehe ich mich um, bereit, mich sofort wieder zurückzuziehen, sollten die vier Knechte noch in der Nähe sein.

    Mit Erleichterung stelle ich allerdings fest, dass sich keine Menschenseele auf dem Hof befindet und auch im Herrenhaus alle Lichter bereits gelöscht sind. Ich muss also nicht zum Brunnen inmitten des Innenhofes und riskieren, dass mich doch noch jemand sieht, sondern kann in Ruhe zum kleinen Teich in der Nähe des Gehöfts gehen und dort eine Runde schwimmen. Die schlimmen Bilder von eben beiseiteschieben.

    Das Schwimmen hat mir Vater beigebracht – es war eines der letzten Dinge, die er mich lehrte.

    So leise es geht, betrete ich das Gutshaus und hole Nadel und Faden aus einer der Kommoden, die im Eingangsbereich stehen. Wo sich die Nähutensilien befinden, weiß ich inzwischen blind und ich sehe im Dunkeln äußerst gut, daher mache ich kein Licht im Haus, um niemanden zu wecken. Danach verlasse ich schnellen Fußes das Weingut und begebe mich in Richtung Teich.

    Der Mond erhellt meinen Weg stark genug, sodass ich keine Fackel benötige. Ich könnte zwar mit Magie ein künstliches Licht erzeugen, aber darauf verzichte ich, wann immer es geht. Zu groß ist die Gefahr, dass meine Kräfte dadurch entdeckt werden.

    Der kleine See mit dem Namen Schwertlied-Teich liegt zwar nicht allzu weit von unserem Hof entfernt, ich suche ihn trotzdem nur auf, wenn ich sicher bin, dass niemand mich während der Zeit vermisst, die ich dorthin und zurück benötige. Ich kann es mir äußerst selten leisten, im Weiher zu baden, denn meine Familie überhäuft mich mit so vielen Aufgaben, dass ich manchmal nicht weiß, wie ich das alles schaffen soll.

    Im Gegensatz zu anderen Weingütern betreiben wir auch noch eine Schweinezucht, was zusätzlichen Aufwand bedeutet. Ehe Libella auf den Plan trat, gab es bloß die Weinproduktion, doch die neue Gemahlin meines Vaters bestand darauf, einen Schweinestall zu bauen – und Vater gewährte ihr natürlich wie immer ihren Wunsch.

    Mit jedem Schritt, den ich vom Gutshaus weg mache, wird mein Herz leichter. Dennoch hallen die Verhöhnungen der anderen Knechte in meinem Kopf wider, aber sie werden zunehmend leiser, bis ich nur noch die Geräusche der Nacht vernehme.

    Kapitel 2 - Das Geheimnis einer Mondnacht

    Davyan

    Schon von Weitem erkenne ich den Schwertlied-Teich, dessen Oberfläche im Mondschein geheimnisvoll glitzert. Er liegt inmitten eines Tals und wird von einigen mannshohen Büschen umsäumt. Ein kleiner Wald befindet sich nicht weit entfernt, der größtenteils aus Birkenbäumen besteht.

    Ich trete ans Ufer des Gewässers, bei einer Stelle, wo kein Schilf wächst, und lasse meinen Blick über die Umgebung gleiten. Der Schrei eines Uhus erklingt aus der Nähe, ich lausche dem Quaken von Fröschen und dem Zirpen der Zikaden. Es ist eine ganz eigene Musik der Nacht, die in meinen Ohren klingt.

    Auch meine Sinne unterscheiden sich von denjenigen anderer Menschen, wie mir im Verlaufe der Jahre auffiel. Ich höre und rieche besser als sie, kann auch in größter Dunkelheit noch Dinge wahrnehmen, die ihren Augen verborgen bleiben.

    Ja, ich bin wirklich anders … aber habe ich deswegen diese Misshandlungen verdient?

    Tief atme ich die Luft ein, wittere den Geruch von Gras und Erde. Es ist Sommer und die Temperaturen tagsüber so hoch, dass sie auch jetzt noch nicht gänzlich zurückgegangen sind.

    Sorgsam entledige ich mich der zerrissenen und verschmutzten Kleidung und steige ins erfrischende Wasser des Teichs, wate so tief hinein, dass es mir bis zur Brust reicht. Einen Moment bleibe ich ganz still stehen und betrachte mein Spiegelbild auf der mondbeschienenen Oberfläche.

    Das leicht gelockte schwarze Haar hängt mir strähnig ins Gesicht, welches seit einigen Jahren endlich Bartwuchs bekommt. Den Bart schabe ich alle paar Tage mithilfe eines Messers ab, habe nur ein paar Stoppeln an Wangen und Kinn.

    Normalerweise nehme ich meine Locken zu einem Zopf zusammen, doch der hat sich während der Prügelattacke aus dem Band gelöst.

    Seit ich ein Kind war, habe ich mein Haar wachsen lassen, um damit meine Ohren zu verdecken, die ich einfach nur hässlich finde. Sie sind viel zu spitz und zu lang – und haben mir den Namen ›Hasenohr‹ eingebracht. Wie oft ich mir überlegt habe, sie einfach abzuschneiden … einmal habe ich sogar den Versuch gewagt, doch der Schmerz war zu heftig, als ich mir mit dem Messer ins Ohr ritzte. Die Wunde wurde dank meiner heilenden Magie zum Glück umgehend geschlossen, seither verstecke ich allerdings meine Ohren unter den Haaren.

    Es gibt genug Schräges an mir … unter anderem auch meine unterschiedlich farbigen Augen – das eine pechschwarz, das andere goldfarben.

    Ich hasse das so sehr …

    Mein Blick gleitet an meinem Körper herunter, der schlank und muskulös ist und von den täglichen Arbeiten zeugt, die ich erledigen muss.

    Mit einem leisen Seufzen hebe ich die Hände und wasche mich mit dem kühlen Wasser. Dabei spüre ich die vielen Schwielen, welche die harte Arbeit an den Innenflächen hinterlassen hat.

    Als der Dreck und das Blut weg sind, tauche ich unter, um den Schmutz auch aus meinem Haar zu bekommen. Danach steige ich aus dem Teich und habe endlich wieder das Gefühl, sauber zu sein.

    Sorgsam begutachte ich meine Kleidung und beginne, auch sie zu schrubben und auszuspülen. Sie wird mir später klamm am Körper kleben, sollte aber einigermaßen trocken sein, bis ich zurück im Weingut bin.

    Nachdem meine Sachen gereinigt sind, fädle ich im Licht des Mondes die Nadel ein und bin einmal mehr froh, so gute Augen zu besitzen, dass ich auch jetzt auf meine Magie verzichten kann.

    Im Schneidersitz setze ich mich ans Ufer und schicke mich an, mein Gewand zu flicken. Die Handgriffe geschehen fast automatisch, da ich das schon so oft tun musste. Allzu lange darf ich mir allerdings nicht Zeit lassen, ich muss zurück zum Weingut, ehe jemandem meine Abwesenheit auffällt. Doch ich gehe davon aus, dass das in den nächsten zwei Stunden nicht der Fall sein wird.

    Ich bin so vertieft in die Arbeit, dass mich das Wiehern, das mit einem Mal nicht weit entfernt ertönt, heftig erschreckt. Normalerweise höre ich sofort, wenn sich mir jemand nähert, daher hebe ich nun alarmiert den Kopf und schaue mich um.

    Ist mir jemand gefolgt? Hat mich jemand entdeckt?

    Als hinter einem der Büsche, die das Ufer säumen, eine Gestalt hervortritt, bleibt mein Herz kurz stehen. Sie ist zum Glück weit genug weg, sodass sie mich noch nicht bemerkt haben kann.

    So leise es geht, ziehe ich mich hinter einen Busch zurück und streife mir Hose und Hemd über, die wieder einigermaßen heil sind.

    Danach betrachte ich die fremde Person, die in einen Kapuzenumhang gehüllt ist und nun zum Ufer schreitet. Ich kann von hier aus nicht sagen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt, da der Stoff die Figur vollkommen verbirgt.

    Atemlos beobachte ich, wie die Gestalt sich dem Wasser nähert, sich hinhockt und eine Hand hineingleiten lässt. Dabei rutscht ihre Kapuze etwas nach hinten und jetzt erhasche ich einen Blick auf das betörendste Gesicht, das ich jemals sah.

    Es ist definitiv eine junge Frau, die sich dort am Ufer gebückt hat und gedankenversunken mit den Fingern im Wasser spielt. Als sie ihren Umhang zurückschlägt, fällt eine Pracht aus rotem Haar über ihre Schultern, fast bis zur Hüfte.

    Bei den Göttern … was für eine Schönheit.

    Sie trägt ein helles Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reicht.

    Irgendetwas murmelt sie, aber ich kann trotz meines guten Gehörs nichts verstehen.

    Da mich die Neugierde gepackt hat, schleiche ich, so leise es geht, näher, verberge mich allerdings weiterhin hinter dem Gebüsch. Doch gerade als ich nur noch ein paar Schritt von ihr entfernt bin, trete ich unbedachterweise auf einen Ast, der so laut knackt, dass mir ein Keuchen entfährt.

    Natürlich hat die Fremde sowohl das Geräusch als auch mich gehört und wirbelt herum, starrt in meine Richtung. Es ist zu spät, mich zu verstecken, und da ich ihr keine Angst einjagen will, trete ich hinter dem Busch hervor und gebe mich zu erkennen.

    Sie stößt einen leisen Schrei aus, doch ich hebe die Hände behutsam in die Höhe zum Zeichen, dass ich keine Gefahr darstelle. Dabei entgeht mir nicht, dass ein magischer Schutzschild um ihren Körper aufflimmert.

    Eine Magierin also …

    »Ich tue Euch nichts, Herrin«, beteuere ich so besänftigend ich kann.

    »Wer seid Ihr?« Sie weicht etwas zurück. Ihre Stimme klingt melodisch, hell und ist mir auf Anhieb sympathisch. Aus der Nähe betrachtet wirkt ihre Haut so weiß wie Alabaster.

    »Ich … mein Name ist Davyan«, erkläre ich und deute eine Verbeugung an. »Es tut mir leid, ich wollte Euch nicht erschrecken.«

    »Seid Ihr es, der mir gefolgt ist?« Sie beäugt mich misstrauisch.

    Ich lege meine Stirn in Falten. »Gefolgt?«

    »Lügt nicht.« Zwischen ihren fein geschwungenen Brauen entsteht eine kleine Vertiefung. »Schickt mein Vater Euch? Sollt Ihr mich in den Zirkel eskortieren? Reicht es nicht, dass mein Bruder wie ein Kindermädchen auf mich aufpasst?«

    »Zirkel?« Da fällt mein Augenmerk auf ihre Hand, an deren Ringfinger ein schwarzer Magierring mit einer blauen Rune prangt.

    Die junge Frau ist also eine Wassermagierin und wird offenbar im Zirkel noch ausgebildet. Oder lebt zumindest dort.

    Im gleichen Moment hat sie meine Hand gemustert und ihr entfährt ein Keuchen. »Ihr seid gildenlos!«, ruft sie fast schon empört und ich vermeine, ihren magischen Schild stärker aufleuchten zu sehen.

    »Ich …«, beginne ich, werde allerdings von einer tiefen Männerstimme unterbrochen.

    »Wer ist das?«

    Verdattert wende ich den Kopf etwas nach rechts, wo aus dem Gebüsch nun ein junger Mann hervortritt. Er mag vielleicht Mitte zwanzig sein, hat dunkles Haar, das einen leichten Rotstich besitzt, wie ich dank des magischen Lichts erkenne, das er gebildet hat. Mittig trägt er es lang und zu einem Zopf zusammengenommen, an der rechten und linken Seite des Kopfes ist es hingegen kurz geschoren.

    Mit

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