Als sie den Raum betraten …: Gedankenimpulse für Lernsituationen zum Themenfeld Räume und Orte. Ein (kunst)pädagogisches Lesebuch. Band 1
Von Manfred Blohm
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Über dieses E-Book
Der 1. Band gliedert sich in die Kapitel
KAPITEL 1
… vielfältige künstlerisch-ästhetische Felderkundungen…
Künstlerische Strategien der Raum- und Ortserfahrung
KAPITEL 2
… Perspektivwechsel in Schulgebäuden und Lernräumen …
Räume und Orte in der Institution Schule
Der 2. Band umfasst die Kapitel
KAPITEL 3
…steigen die Kinder aus und wir queren das offene Gelände und nähern uns…
Andere Räume, andere Orte - Erfahrungsbewegungen, die die Gebäude der Institutionen verlassen
KAPITEL 4
… umdeuten, umschreiben, Perspektiven entwickeln…
Raumchoreografien im Alltag, den Medien und in der Kunst
Durch die Gedanken der Autor_innen aus den Bereichen der Kunstpädagogik, der Kunstvermittlung, der Medienpädagogik, der Architektur, der Kunst und der Kunstgeschichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz können vielfältige Spuren von Denkweisen und Erfahrungswegen zum Thema Raum und Ort aufgenommen werden.
Ich stelle mir Leserinnen und Leser vor, die Lust bekommen anhand der Texte Anregungen für ihre eigene Arbeit aufzunehmen und sie nach ihren Bedürfnissen und Rahmenbedingungen hin auszulegen und Neues zu erproben. Die (kunst)pädagogische Kompetenz, die mir wichtig ist, ist eine, die das Bekannte, Vertraute und Gesetzte überschreitet und die eigenen Wahrnehmungsgrenzen lustvoll erweitert.
Die mediale Form der Textsammlung im eBook-Format als ein Lesebuch finde ich insofern interessant, als sie Möglichkeiten eröffnet und nahelegt, an verschiedenen Stellen einzusteigen und nicht dem Zwang unterworfenen zu sein, einem bestimmten Argumentations- und Denkstrang zu folgen.
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Buchvorschau
Als sie den Raum betraten … - Manfred Blohm
KAPITEL 1
…vielfältige künstlerisch-ästhetische Felderkundungen…
Künstlerische Strategien der Raum- und Ortserfahrung
Das 1. Kapitel versammelt Texte, die sich schwerpunktmäßig auf künstlerische Strategien der Aneignung und Auseinandersetzung mit Raum und Ort beziehen. Mal sind Kunstwerke dabei ein Ausgangspunkt oder Arbeitsweisen von Künstler_innen, mal sind es Erfahrungs- und Aneignungsweisen, die in der Kunst der Gegenwart bedeutsam sind, ohne dass die Texte auf bestimmte Kunstwerke oder Künstler_innen direkt Bezug nehmen. Die räumlichen und örtlichen Bedingungen und das ästhetische Handeln in den jeweiligen Räumen bilden dabei die Grundlagen der in den Texten entfalteten Überlegungen.
Vom Grenzraum zum Leerraum.
Räumlich gewordene Grenzen als heterotope Anordnungen
Silke Ballath
Aus dem Workshop Behauste Körper und Fiktive Räume
. Mit freundlicher Genehmigung Stefan Endewardt
Von Trennlinien im Raum
Welche Perspektive werfe ich auf einen Raum? Aus welchem Blickwinkel nehme ich einen Raum wahr? Und welche Grenzen tun sich in einem Raum auf, wenn dieser aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, und dieser Blickwinkel nicht verlassen wird. Mich interessieren Räume und ihre Anordnung zwischen Mensch und Objekt. Mein Fokus liegt dabei auf dem Begriff der Grenze.
Eine Grenze ist ein Trennwert, eine Trennlinie oder Trennfläche. Dabei können Grenzen Schärfen und Unschärfen aufzeigen, wie z.B. in der Landschaft oder in nicht-geometrischen Räumen in Form von Verhaltensweisen. Die Grenze zwischen zwei Dingen definiert sie als zwei voneinander getrennte Dinge, wobei die Trennlinie nicht unbedingt sichtbar sein muss. Die Grenze ist der Ort der Passage, der Ort des Dazwischens, der Wandlung und der Transformation. Sie kann Bekanntes und Unbekanntes zugleich sein, ist das Andere und das Eigene, ohne das Andere besonders hervorzuheben. In dem Moment, wo der Fokus auf dem Eigenen liegt, wird durch die Grenze als dazwischen liegendes, das Andere, sichtbar. Sie ist Sicherheit und Wagnis. Bekanntes und Fremdes. Die Grenze definiert einen Raum, sie ist ein wichtiger Parameter, der einem Ort seine Eigenheit und Spezifik gibt.
In der Kunst, sowie in vielen gesellschaftlichen, politischen u. a. Kontexten sind Grenzen in Form von Abgrenzungen, Eingrenzungen oder Ausgrenzungen präsent: sie können z. B. als architektonische Eingriffe, u. a. geografische und territorialen Kennzeichnungen, sinnliche Markierungen oder Bewegungen, Raumverteilung und -aneignung dargestellt sein.
Das Erforschen der Aneignungsmechanismen von Raum, sowie gleichzeitig die Frage nach dem Erleben von räumlichen Rahmenbedingungen interessieren mich entlang dem Begriff der Grenze.
Wie entsteht ein Raum? Warum sagt mir mein Körper instinktiv, ob ich einen Raum betreten kann, aufgrund der positiven oder negativen Atmosphäre? Wie entsteht demnach Bedeutung in einem Raum? Woher kommt sie und welche Funktion hat sie für mich oder andere? In kunstvermittelnden Projekten begleiten Fragen wie diese den künstlerischen Prozess und sind orientierungsweisend für mich.
Zwei Beispiele aus der Kunstvermittlungspraxis: Behauste Körper und Fiktive Räume
und Gemeinschaft in Bewegung
Zwei Projekte aus den Jahren 2010 und 2011 sind plastische Beispiele dafür, in welcher Form mich der Begriff der Grenze beschäftigt: ein Workshop zum Begriff Gemeinschaft mit jugendlichen Mädchen, den ich gemeinsam mit einer Tänzerin entwickelt habe, sowie ein Workshop mit straffällig gewordenen jungen Männern zum Thema realer und fiktiver Raum, den ich gemeinsam mit einem Architekten und Bildhauer erarbeitet habe.
In beiden Projekten stand der Begriff der Grenze nicht explizit im Vordergrund der praktischen Beschäftigung, in beiden war sie aber theoretischer Ausgangspunkt und Forschungsgegenstand.
Behauste Körper und fiktive Räume
Der Workshop „Behauste Körper und fiktive Räume, der im Kunstverein Wolfsburg im September 2011 stattfand, beschäftigte sich mit Grenzerfahrungen im Raum. Architektur, Skulptur/Installation und Stadtmapping waren Felder, in denen der Workshop agierte. An Orten und Plätzen in Wolfsburg und ausgehend von der Einzelausstellung „Archaische Futurismen
von Franzsika C. Metzger im Kunstverein Wolfsburg nahmen vier Jugendliche von „Streetlife e. V." Verortungen in Form ephemerer Markierungen und temporärer Skulpturen vor. Der Künstler und Architekt Stefan Endewardt und die Kulturanthropologin und Filmemacherin Katharina Koch leiteten das Projekt in konzeptioneller Zusammenarbeit mit Silke Ballath an.
Die Arbeiten Metzgers sind Rauminstallationen, die eine neue und eigene Verortung im Raum vornehmen, Grenzen zwischen gebauter Umgebung und inszeniertem Bildraum schaffen. Ihre Arbeiten waren Ausgangspunkt für die Ortsaneigungen, das „Mapping" von Wolfsburg.
Das „Mapping eines Ortes besteht aus dem Beobachten, Sammeln, Aufzeichnen und dem Verbinden dieser Prozesse aus der eigenen Position heraus sowie ihrer Dokumentation. „Mapping
bedeutet eine Kartographie eines Ortes herauszuarbeiten, seine spezifischen Eigenheiten an Hand einer Karte zu notieren um daraus eine Einheit unterschiedlicher topographischer Eigenschaften zu beschreiben: von verbalen Beschreibungen und schriftlichen Notizen, über Foto-Dokumentationen und skulpturale Eingriffe bis hin zu performativen Inszenierungsprozessen entwickelten wir künstlerische Strategien. Die Abbildungsprozesse markierten den Ort und reflektieren eine bestimmte Perspektive, eine Lebenswelt eines Jugendlichen. In der Auseinandersetzung mit Kunst setzt das „Mapping" einen Prozess in Bewegung, der eine Selbstreflektion nicht nur über Sprache herstellt, sondern die Bewegung und das Tun der eigenen und der anderen Position in den Prozess integriert. Die Möglichkeit Grenzen, Perspektivwechsel und Verantwortlichkeiten in anderer Weise zu betrachten und zu erfahren sowie darüber neue Zugänge zur eigenen Lebenswirklichkeit zu erhalten, konnten hierdurch auf neue Weise miteinander erprobt werden.
Gemeinschaft in Bewegung
Das Bewegungslabor „Gemeinschaft in Bewegung" fand über 2 Tage im Kunstverein Wolfsburg statt. Teilnehmerinnen waren Schülerinnen zwischen 13 und 16 Jahren.
Wann sind wir Teil einer Gemeinschaft und wann nicht? Worin unterscheiden sich Gemeinschaften und wie bilden sie sich? Gemeinschaft in Bewegung ging solchen und weiteren Fragen an Hand der Kunstwerke der Ausstellung „Gemeinschaft" im Kunstverein nach.
Die Tänzerin Johanna Chemnitz entwickelte am ersten Tag über zwei Stunden mit den Teilnehmerinnen verschiedene Bewegungsabläufe. Im Anschluss daran fand ein erster Austausch darüber statt wie Körper und Bewegungen in Verbindung mit dem Begriff Gemeinschaft gesehen werden. Davon ausgehend entstand eine Sammlung verschiedenster Eindrücke zum Begriff Gemeinschaft, die wir ordneten und zueinander ins Verhältnis setzten. Die Begriffssammlung bereitete uns auf den ersten Besuch in der Ausstellung vor.
Der zweite Tag begann damit ein bis zwei Favoritenkunstwerke zu beschreiben. Jede der Teilnehmerinnen beschrieb kurz warum das jeweilige Werk in Bezug auf den Begriff Gemeinschaft für sie von Interesse war. Gemeinsam wählten wir insgesamt drei Werke aus, die wir bei einem nächsten Besuch in der Ausstellung genauer betrachten wollten. Aus den Interessen und Beschreibungen über die Kunstwerke entstanden fünf Fragen:
1) Brauchen wir Rollenverteilungen in einer Gemeinschaft?
2) Wie kann eine Gemeinschaft Grundvertrauen schaffen?
3) Wie entsteht die Idee zwei Dinge zusammen zu bringen?
4) Wie kann man die Grenzen eines anderen erkennen?
5) Wie kann man eine Gemeinschaft aufrütteln/bewegen/irritieren?
Im Verlauf des Workshops wollten wir versuchen die Fragen über Bewegung und Betrachtung der Werke zu beantworten. An Hand weiterer Bewegungsübungen konnten die Teilnehmerinnen die schon gestellten Fragen erweitern, neue Fragen formulieren oder die gestellten beantworten. Im zweiten Teil des Tages wurden Bewegungen und Kunstwerke mit den Fragen ins Verhältnis zueinander gesetzt und im Ausstellungsraum erprobt: Raumverhältnisse, Bewegungen, Körperhaltungen, Mimik, Gestik und Sprache waren Elemente aus denen heraus wir unterschiedliche Darstellungen einer spezifischen Gemeinschaft entwickelten.
Es wurden Bewegungsübungen vermittelt, die von der Wahrnehmung und Beobachtung des eigenen Körpers bis hin zu Improvisationsübungen in der Gruppe gingen. Ziel war es, gedankliche Auseinandersetzungen über die Kunstwerke und praktische Bewegungsübungen zusammenzuführen.
Vom Grenzraum zum Leerraum
Individuell einen Ort einzugrenzen, abzugrenzen und seine spezifischen Merkmale und Eigenschaften zu markieren (fotografisch, zeichnerisch, skulptural, bewegt, verbalisiert u. a.), um so an Hand einer künstlerischen Strategien Raum unterschiedlich erfahrbar zu gestalten, verändert und sensibilisiert die Wahrnehmung auf räumliche Anordnungen.
Räume bestimmen unser Verhalten, unsere Bewegungen, unser Tun: meines Erachtens nach muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie räumliche Anordnungen uns disziplinieren
, uns Vorgaben
machen, uns vordefinieren
, damit ein selbstbestimmtes Handeln entfaltet werden kann und Leerräume entstehen. Der Leerraum ist der Ort der Passage, ist die Grenze, ist das Dazwischen. Er ist die Foucaultische Heterotupie, der andere Ort
, an dem Kreativität entfaltet werden kann und räumliche Anordnungen neu gedacht werden können, weil er außerhalb der gesellschaftlich vordefinierten Räumlichkeiten
besteht. Aus diesem Grund spielt die Grenze als Prozess der Raumaneignung in meinen Augen für künstlerische Erfahrungen eine wesentliche Rolle.
Mögliche Erfahrungswege
Stichworte: Z. B. Raumerfahrungen machen, unterschiedliche Aneignungen von Raum, Raum als übertragbares System erleben, Grenzen positiv erfahren. Künstlerische Herangehensweisen stärken in verschiedenen Fachbereichen, Perspektivenwechsel erlebbar machen und dadurch Stärken fördern. Alter, je nach Thema und künstlerischem Zugang variabel. Es können alle Fächer beteiligt werden, je nach Schwerpunktsetzung.
Raum, Grenze, Grenzerfahrungen, Aus-/Eingrenzung, Leerraum=Heterotopie, Partizipation. Strukturen können über das Nachdenken von räumlichen Anordnungen miteinander verbunden und neu gedacht, aufgelöst und hinterfragt werden. Das Anregende dabei könnte sein, durch künstlerische Strategien fachübergreifende, interdisziplinäre Ansätze zu entwickeln, die Schulraum neu denken. Reizvoll ist, dass dadurch eine Vielzahl verschiedener Themen, künstlerischer Ansätze und Strategien u. a. miteinander in Austausch kommt. Raum ist ein Ausgangspunkt dafür, dass Kreativität sich entwickeln kann.
Material
1) http://lokaleliaison.wordpress.com/about/2011-2/behauste-korperund-fiktive-raume-ein-workshop-zu-architektur-skulptur-undstadtmapping/
2) http://www.kunstverein-wolfsburg.de/lokale_liaison/?info=projekte
Literatur
/Mörsch, Carmen; Forschungsteam documenta 12 Vermittlung: KUNSTVERMITTLUNG 2, Zürlich Berlin. 2009
/Foucault, Michel: Andere Räume, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig. 1990
/Brian O’Doherty: In der weißen Zelle. Inside the White Cube. (Hg.) Wolfgang Kemp. Merve Verlag. Berlin. 1996
Autorin
Ballath, Silke, Diplomkulturwissenschaftlerin und Médiatrice Culturelle des Arts, Kulturagentin für kreative Schulen in Berlin. Neben partizipatorischen
Vermittlungsprojekten in unterschiedlichen Institutionen beschäftigt sie sich auch wissenschaftlich mit der Vermittlung von Kunst und den Strukturen institutioneller und kultureller Praxis. Ausgehend von einem Thema, einer Ausstellung u. a. entwickelt sie gemeinsam mit den Akteur_innen Fragestellungen, die