Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

4 gegen den Klan: Twenties-Saga 1921
4 gegen den Klan: Twenties-Saga 1921
4 gegen den Klan: Twenties-Saga 1921
eBook470 Seiten5 Stunden

4 gegen den Klan: Twenties-Saga 1921

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

New York 1921: Keiner der vier Menschen, die sich zufällig begegnen, ahnt, mit wem sie es aufnehmen müssen. Doch ehe sie sich versehen, sind ihre Schicksale nicht nur in Leidenschaft, sondern auf Leben und Tod miteinander verbunden.

Harold Jordan, ein Journalist, überlebte die Schrecken des I. Weltkrieges, kehrte nach Manhattan zurück und stand vor dem Nichts, weil seine junge Ehefrau Esther bestialisch ermordet wurde, während er im deutschen Kugelhagel lag. Von Schmerz und Kriegstrauma gebrochen, zieht er als Nomade durch die Bars von Manhattan, ständig im Rausch auf der Flucht vor dem Elend seiner Existenz.

Jordan wird von Garçonne aufgelesen, der Chefin einer Girl-Gang, die sich im harten Gangstermilieu als Alkoholschmugglerin in der Zeit der Prohibition behauptet. Sie entdeckt den entscheidenden Hinweis auf die Mörder von Harolds Frau.

Der Veteran erwacht daraufhin aus seiner Lethargie, jedoch einzig mit dem Vorsatz, Rache zu üben. Schnell wird klar, dass er sich mit keinem gewöhnlichen Gangster anlegt, sondern mit den Schergen des Ku Klux Klan. Als sich das Schicksal von Harold, Garçonne, der reizenden Broadwaytänzerin Cynthia und der sphinxhaften Malerin Tajana verknüpft, geht es längst nicht mehr um Rache, sondern um ihr Überleben und den Kampf gegen den Klan, dem sie bei der Invasion New Yorks in die Quere kommen.

Der Roman erzählt aus vier verschiedenen Blickwinkeln, ebenso charismatisch wie charakteristisch, eine spannende Geschichte von Rache, Freundschaft, Liebe und Hass, die z.B. bei den Themen Rassismus und organisiertem Verbrechen noch heute so aktuell ist wie damals, als diese blutigen Kapitel der amerikanischen Geschichte geschrieben wurden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Dez. 2015
ISBN9783734500855
4 gegen den Klan: Twenties-Saga 1921

Ähnlich wie 4 gegen den Klan

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für 4 gegen den Klan

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    4 gegen den Klan - Sidney Rose

    Copright-Hinweise

    Cover und Kapitelüberschriften unter Verwendung einer Lizenz von shutterstock.com; Covergestaltung, Grafiken, Montagen von Sidney Rose.

    Cover:

    Häuser: Library of Congress, Reproduction Number: LC-DIG-det-4a22977,»No known restrictions on publication.«

    Klansmen: Library of Congress, Reproduction Number: LC-DIG-npcc-30454, » No known restrictions on publication. «

    Schrift Vorderseite, Buchrücken: Copasetic NF Regular by Nick Curtis, 1001Fonts Free For Commercial Use,

    Schrift Rückseite: Speedball No 2 NF Regular by Nick Curtis, 1001Fonts Free For Commercial Use,

    Personen: bearbeitet unter Verwendung einer Lizenz von shutterstock.com : Stokkete / shutterstock.com Bildnr. 246824338, Olena Zaskochenko / shutterstock.com Bildnr. 132911828, magicinfoto / shutterstock.com Bildnr. 34763107, Olena Zaskochenko / shutterstock.com Bildnr. 133934231 (von oben nach unten)

    Kapitel-Illustrationen:

    Schrift: Speedball No 3 NF Regular by Nick Curtis, 1001Fonts Free For Commercial Use,

    Alle Textrahmen: james weston / Shutterstock.com Bildnr.

    210942574

    Unterer Abschluss je: tanais / Shutterstock.com Bildnr.

    171994862

    Illustration Harold Jordan: Stokkete / Shutterstock.com Bildnr.

    246824338

    Illustration Garçonne: Olena Zaskochenko / Shutterstock.com

    Bildnr.131648132

    Illustration Cynthia: Olena Zaskochenko / Shutterstock.com

    Bildnr.133934222

    Illustration Tajana: magicinfoto / Shutterstock.com

    Bildnr.34763107

    Danksagung

    Kein Sinnesorgan ist trügerischer als das Auge des Autors, das auf die eigenen Texte gerichtet ist. Deshalb gilt drei fleißigen Korrekturleserinnen großer Dank:

    Bri, Elisa und Marlies kämpften sich tapfer durch den Text und wurden nicht müde, Fehler und Unlogisches aufzuspüren. Beim Umfang dieses Buches eine enorme Leistung!

    Harold Jordan: Prolog zwischen Blut und Broadway

    Eine widerspenstige, blonde Haarlocke fällt Esther in die Stirn und kitzelt meine Nase, während sie mir mit einem Kuss ihrer süßen Lippen beinahe die Luft raubt.

    »Hal, ich werde warten! Pass auf dich auf, ich liebe dich!«

    Ihre blauen Augen schimmern verdächtig, aber sie ist ein tapferes Mädchen. Wir haben beide schon viel durchgemacht, da werden wir auch den Krieg überstehen.

    »Mein Darling, ich verspreche: Ich kehre zurück!«

    Ich ziehe Esther fester in meinen Arm, atme ihren betörenden Veilchenduft und spüre den ungestümen Rhythmus ihres Herzschlages.

    »Frisch verliebt, was?«, scherzt einer der anderen Soldaten der New Yorker Liberty-Division.

    »Nein«, entgegnet Esther, »verheiratet, seit über einem Jahr!«

    Ich muss lächeln, denn wir lieben uns wie am ersten Tag.

    ~

    »Granate, Captain!«

    Ich werfe mich nieder. Nasser Boden prasselt herab. Ich habe jedes Mal Angst davor, verschüttet zu werden und dadurch ein qualvolles Ende zu finden. Die deutschen Geschütze feuern aus allen Rohren. Der Soldat neben mir hat es nicht geschafft. Ich greife nach ihm und wühle in heißer Erde. Ein kleiner Fetzen eines Fotos schwebt herab: Er zeigt das lächelnde Antlitz einer hübschen Frau, die noch nicht weiß, dass sie ihren Soldaten nie mehr wiedersehen wird.

    Schwarzes Dickicht der Argonnen, rot durchtränkt von den dampfenden Gedärmen unserer zerfetzten Jungs – den doughboys – wie man uns amerikanische Infanteriesoldaten nennt. Spätsommer 1918, Frankreich, unser Vormarsch gegen die schwerste Verteidigungslinie der Hunnen. Wobei das die harmlosere Bezeichnung für die deutschen Soldaten ist. Beim Anblick der Überreste der New Yorker, mit denen wir vor Monaten die lange Überfahrt von Camp Upton in dieses Land unternahmen, nennen wir sie Boche – Scheißdeutsche.

    Viele von uns werden niemals nach New York zurückkehren. Die große Winterparade am Geburtstag von George Washington stellte für die Gefallenen nun ein Lebewohl dar. Der Schnee, der damals auf unseren stolz glühenden Gesichtern dahinschmolz, ist für diese Soldaten zu Abschiedstränen geworden. Ich bin ihr Captain und konnte meine Jungs trotzdem nicht vor ihrem grausamen Tod bewahren.

    Die Luft scheint noch immer vom deutschen Geschützfeuer und der Explosion von Granaten zu vibrieren. Nach ihrem jüngsten Angriff gelang es uns, das letzte feindliche MG-Nest auszulöschen. Wir waten knöcheltief im hunnischen Blut, das sich in den Gräben sammelt.

    Die harten Kerle aus der Lower East Side sind gemeinsam mit den Bubis aus Upper Manhattan gegen das mörderische Feuer angestürmt: rennend, schießend, sich in den Schlamm werfend, sterbend. Wer nicht in Stücke gerissen wurde, stürzte sich in die Verschanzung und feuerte so lange, bis von den deutschen Schützen nur noch ein zuckender Haufen blutender Leiber übrig blieb. Kein Boche, der nicht mindestens fünfzig amerikanische oder französische Kugeln im Körper hat.

    Niemand von uns spricht ein Wort. Wir stechen die Bajonette in Herzen, Köpfe und Hälse der umherliegenden Hunnen und ich führe die kleine Einheit des 306. Infanteriebataillons über den Berg, der nach vielen Jahren deutscher Besetzung in unsere Hände gefallen ist. Die anderen dieser Brigade operieren an derselben Linie und hatten offensichtlich ebenfalls Erfolg, denn auch von dort ist kein feindliches Feuer mehr zu hören.

    Wir rutschen den Hang hinunter, halten uns schussbereit und decken unseren Abstieg, denn keiner weiß, ob irgendwo noch mehr Truppen lauern. Doch niemand greift an. Hier unten ist es beinahe windstill, einzelne Vögel lassen ihr Lied erklingen.

    Staunend stehen wir vor den deutschen Verschanzungen, die wohl über zwanzig Fuß tief in den Hang getrieben und an drei Seiten mit Baumstämmen verbaut sind. Die Vorderseiten ähneln gewöhnlichen, schmucken Holzhäusern mit Säulen und Geländern. Auf großen, geschnitzten Tafeln lesen wir die Namen ›Siegfrieds Ruh‹, ›Kriemhilds Heim‹, ›Waldhaus Martha‹.

    Das Waldhaus war ein Biergarten. Halbgefüllte Gläser und nicht geleerte Teller stehen auf den Tischen. Die Notwendigkeit zur Flucht hatte die Hunnen wie ein Blitzschlag ereilt. Jahrelang haben sie hier gehaust und ihre Kampflinie ausgebaut.

    Ich entdecke sogar eine Bibliothek. Diese künstliche Idylle, erschaffen aus dem Wunsch, auch im Krieg ein weitgehend ›normales‹ Leben führen zu können, wirkt gespenstisch. Die Sonnenstrahlen tasten sich bis weit in den Berg hinein und die kunstvollen Buchrücken schimmern mit goldenen Lettern. Hier gibt es nicht nur deutsche Klassiker, sondern darüber hinaus Bücher von englischen Autoren.

    Eine zusammengesunkene Gestalt an einem der Tische wird von Fliegen umschwirrt. Der zerlöcherte Kopf liegt mit der Stirn auf ein Buch geneigt.

    »Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate! – Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!«, steht am oberen Ende der aufgeschlagenen Seite.

    Das getrocknete Blut verdeckt die folgenden Verse. Der rechte Arm mit der Waffe in der Hand ruht auf dem Tisch. Dieser Offizier konnte nicht damit weiterleben, dass seine Zeit vorbei war – und richtete sich offensichtlich selbst.

    Ja, wir treffen uns alle vor dem Höllentor wieder, ob Boche oder doughboy. Denn was wir getan haben, verwehrt uns den Eintritt in den Himmel. Ich las einmal irgendwo, dass am jüngsten Tag nur die Taten zählen werden, und die unterscheiden uns nicht von denen unserer Feinde.

    ~

    »Captain Harold Jordan, bevor Sie die 153. Infanteriebrigade im Rahmen der Ausmusterung der 77. Division verlassen, müssen wir Ihnen eine furchtbare Nachricht überbringen. Ihre Ehefrau fiel gestern Nacht einem Gewaltverbrechen zum Opfer.«

    Ein Rauschen überflutet meine Sinne wie eine riesige Ozeanwoge. Ich taumle gegen die Wand des Stabsoffice. Da habe ich die Hölle der Westfront überlebt, weil ich nur an mein Versprechen dachte, dass ich zu meiner geliebten Esther zurückkehren würde, und nun soll sie tot sein? Ermordet, mitten im Frieden?

    Die Worte über Ehre und Heldenmut ziehen bedeutungslos an mir vorbei. Schweigend nehme ich ein paar Orden in Empfang, finde kaum Kraft, die mir entgegengestreckte Hand zu drücken.

    ~

    Ich laufe wie hypnotisiert zu unserem Appartement in der 34sten Straße. Ein Stück Treppengeländer ist herausgebrochen, die Tür eingetreten. Auf dem Boden liegt einer der langen, etwa armdicken Pfosten, der anscheinend von aufgesogenem Blut dunkel gefärbt ist.

    Die gesamte Wohnung wurde verwüstet, unsere Sachen liegen zertrampelt und zerschlagen überall verstreut. Ich will mich nach einem Foto bücken, auf dem ein schönes, glückliches Hochzeitspaar zu sehen ist, aber ich kann die unsichtbare Wand vor dieser vergangenen, verlorenen Welt nicht durchbrechen.

    Mitten auf dem Teppich im Schlafzimmer ist alles voller angetrocknetem Blut. Hier muss es passiert sein. Die kleinen Kristalle ihrer zerrissenen Halskette funkeln wie verlorene Sterne aus dem widerlichen Dunkel der verkrusteten Flecken. Ich nehme nichts aus der Wohnung mit. Jeder Gegenstand, der ihr gehörte oder dem glücklichen Paar, das hier vor dem Krieg gelebt hat, würde mich nur aufs Neue in ein bodenloses Loch stürzen. Ich schleppe mich aus der Wohnung, sinke auf die Stufen und erstarre in Verzweiflung.

    ~

    Wie viele Jahre sind vergangen?

    Ich weiß es nicht.

    Woher kenne ich dieses verrückte Mädchen, das sich mit ihrem bleichgepuderten Gesicht, den schwarzen Augen und dem tiefroten Mund in meine wenigen klaren Momente drängt?

    Ich habe es vergessen.

    Irgendwann werden meine Pausen zwischen Alkohol- und Kokainrausch länger. Ich erinnere mich jetzt, dass mich das Mädchen im Swift feet aufgelesen hatte, dem Lokal, wo ich immer noch abhänge. Ich war damals mitten im Gastraum zusammengebrochen. Sie warf mich nicht hinaus in den Schnee, sondern gewährte mir Asyl. Garçonne ist ein Gangster-Girl, Boss einer Mädchen-Gang, die geschmuggelten Alkohol – den bootleg liquor – liefert.

    Sie lässt mich im kleinen Hinterzimmer des Lokals schlafen. Ich kann dem Wirt bei seiner Arbeit nicht helfen. Zum Ausschenken fehlt mir das Talent. Stattdessen sitze ich auf der Seite, die bedient wird. Ich gab Garçonne meine letzten Ersparnisse. Das wird reichen oder auch nicht.

    Ich schlage den Kragen hoch und laufe draußen herum, zwischen Menschen, die ich nicht verstehe und die mir fern sind. Nach dem Krieg ist mir alles fremd geworden. Meine Kameraden sind entweder tot oder siechen in Sanatorien dahin. Einige leben in Dreckslöchern irgendwo im Bauche von New York – des Molochs Gotham. Wenige sind zu ihren Familien zurückgekehrt und die versuchen, alles möglichst schnell zu vergessen. Da will ich ihnen ganz gewiss nicht unter die Augen kommen, um alte Erinnerungen heraufzubeschwören.

    So, wie die Sache aussieht, bleibe ich besser allein. Als ich die Tür zum Swift feet aufstoße, um meinen widerlich-nüchternen Zustand zu beenden, pralle ich mit ›Teddy Forth‹ zusammen. Er ist ein alter Freund aus meinem vorherigen Leben, als ich noch glücklich verheiratet war und als Rechtsberater und Spezialjournalist beim New York Herald gearbeitet hatte.

    Der Junge hat es geschafft, den Krieg zu überstehen, ohne nur einen einzigen Schuss abgegeben zu haben. Als seine Einheit vom Einschiffungshafen in Brooklyn – dem NYPOE – abgehen sollte, wurde das Kriegsende verkündet. Teddys Timing war schon immer perfekt.

    Ich weiß nicht warum, aber er will mich nicht aufgeben. Jede Woche bringt er mir etwas Material, zu dem ich recherchieren und dann einen kleinen Artikel schreiben soll. Oft bin ich nach einer Woche längst nicht fertig.

    Ich versacke im Brandy, im Koks oder in beidem, liege berauscht im miefigen Dunkel des Hinterzimmers. Meine eigenen Versuche, die genauen Umstände des Mordes an meiner Frau in Erfahrung zu bringen, waren vollständig fehlgeschlagen. Alle offiziellen Anzeichen deuten auf einen Raubmord hin. In unserem Appartement gab es jedoch nichts zu holen. Vermutlich wurde deshalb aus Wut alles verwüstet, Esther vergewaltigt und getötet.

    Der Täter stand fest: Der aus der Wohnung flüchtende Schwarze, der trotz Aufforderung nicht stehen geblieben und erschossen worden war, hatte das Blut meiner Frau an Kleidung und Händen. Es konnte nicht festgestellt werden, wer die Polizei verständigte. Je öfter ich über dieses Unglück nachdenke, desto mehr festigt sich mein Gefühl, dass hier eine riesige Schweinerei vertuscht werden soll. Der Schwarze war nämlich nicht irgendein bekannter Ganove, sondern der unbescholtene Sohn eines Chef-Aktivisten, der sich für die Rechte der Farbigen einsetzt – Clarence Ross!

    Nachdem die offiziellen Ermittlungen eingestellt worden waren, suchte ich auf eigene Faust nach Spuren, hörte mich um. Aber nichts – gar nichts! Ab diesem Zeitpunkt gab es keinen Grund mehr für mich, meinen freien Fall länger hinauszuzögern.

    Dieses Mal ist der Kokainrausch schmerzhaft. Ich habe Visionen vom Krieg, wie die Granaten neben mir einschlagen und diese verdammten Splitter ins Bein brennen. Was soll das? Ich will von Esther träumen, entfliehen in eine glückliche, verlorene Zeit!

    Meine Finger tasten am Hosenbein entlang und fassen in etwas Warmes, Dickflüssiges. Dieser Traum gefällt mir nicht, er ist zu real. Ich stöhne und verliere das Bewusstsein.

    »Doktor, seine Wunden sind aufgebrochen! Machen Sie doch was!«

    Ich höre Garçonnes Stimme merkwürdig hohl und wie aus weiter Ferne. Ich werde auf eine Trage gehoben.

    »Hey, Writer, mach bloß nicht schlapp! Du kommst jetzt in ein Hospital! Ich bin da, wenn du wach wirst!«

    Ich spüre ihre Hand auf meiner heißen Wange, dann falle ich erneut in ein tiefes, schwarzes Loch.

    Garçonne: Ein heldenhaftes Häufchen Elend

    Ein Mann lag vor mir auf dem Holzboden der Kneipe. Ich war im Stress, hatte selbst den Schmuggel-Alkohol geliefert und wollte nur mit dem Wirt den hooch so schnell wie möglich vom Truck laden.

    Deshalb stieß ich dem Knaben derb meine Stiefelspitze in die Rippen.

    »Der wollte gehen, kippte dann einfach um. Ich hab ihn erstmal liegen gelassen«, brummte der Wirt.

    Als sich der Typ nicht regte, packten wir an und zogen ihn aus dem Weg an die Wand. Es klimperte und ein Haufen glänzendes Blech fiel aus seiner Manteltasche.

    Der Wirt besah sich das Zeug und nickte anerkennend.

    »Da haben wir ja einen richtigen Helden vor uns!«

    Ein Held? Ja, genauso hab ich mir einen Helden auch immer vorgestellt: total zugedröhnt und stinkend, als hätte er meinen gesamten Brandybestand ausgesoffen. Was ist das für ein Kerl? Ich brachte es aus irgendeinem Grunde nicht über mein dunkles Herz, unseren ›Helden‹ draußen im Schnee abzuladen. Stattdessen schleppten wir ihn ins Hinterzimmer und schmissen ihn auf die Pritsche.

    »Lass ihn liegen und sich auspennen! Wenn er wach wird, gib mir Bescheid!«

    Der Wirt nickte und reichte mir schäbiges Gepäck.

    »Das muss von unserem Helden sein, stand noch unter dem Tisch, an dem er die ganze Nacht verbracht hat!«

    Ich ließ mich neben dem Typen auf die Bettkante fallen und öffnete die große Tasche. Verdammt, es sah so aus, als ob der Krieger hier kein Dach über dem Kopf gehabt hätte und mit seinem erbärmlichen Haufen Zeug durch die Kneipen zog.

    Im kleineren der beiden Koffer verbarg sich – eine schmucke Schreibmaschine: Remington Typewriter. Das passte gar nicht ins Bild. Ein Veteran, der völlig fertig war und seine Annalen schrieb? Ich zog ihm seinen Mantel aus und entdeckte darin ein Pappkärtchen mit seinem Bild.

    ›Harold Jordan – New York Herald‹ stand dort aufgedruckt. Ich erkannte ihn kaum wieder. Der Kerl sah tatsächlich einmal aus wie ein normaler Mensch. Ein Journalist? Ich habe eine Schwäche für alle, denen das Schicksal so richtig in den Arsch gefickt hat. Das liegt vielleicht daran, dass es mich nicht besser erwischt hatte. Auch meine Girls in der Gang könnten solche Geschichten erzählen, denn wir alle sind irgendwann mit der Wurzel ausgerissen und auf den Müll geworfen worden.

    In der Innentasche steckte ein abgegriffenes Foto. Auf dem Stempelabdruck der Rückseite erkannte ich die Jahreszahl 1917. Ich blickte in das lächelnde Frauengesicht auf dem Bild. Sie sah verdammt hübsch aus – und glücklich. Aber ich fühlte es, dass dieses Glück erloschen war. Es ging nicht einfach aus wie eine runterbrennende Kerze, sondern wurde brutal erstickt. Ein Schauer durchfuhr mich.

    Mein Instinkt hatte mich nicht getäuscht. Ich fand einen kleinen, zerknitterten Zeitungsartikel. Nur ein paar Zeilen war sie wert: »Brutaler Raubmord in der 34sten Straße … Eine junge Frau wurde wegen ein paar Dollars und etwas Schmuck von einem Schwarzen vergewaltigt und starb noch in der Wohnung an ihren schweren Verletzungen. Der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei erschossen, als er vom Tatort flüchten wollte.«

    Ich schluckte einen bitteren Kloß herunter und wusste jetzt, was hier passiert war. Obwohl ich Kerle nicht ausstehen kann, habe ich bei diesem Mister Jordan eine Ausnahme gemacht.

    Harold Jordan: Eine Kindheit im Süden

    Die weit aufgerissenen Augen in Jims schwarzem Gesicht musterten mich mit schreckhaft aufblendendem Weiß, während hellrotes, dünnflüssiges Blut von der Klinge seiner Machete auf den spiegelnden Parkettboden tropfte.

    Ich hatte meine kleine Schwester Emmy greinen hören und mich eilig zum Altan begeben. Als ich dort anlangte, war das feine Stimmchen verstummt. Aus dem Korbgeflecht ihrer kleinen Wiege fielen rote Tropfen herab. Die Sterne und Streifen der Confederate flag, mit der sie unsere Eltern als stolze Südstaatler zuzudecken pflegten, waren bis über das Kopfende gezogen.

    Bevor sich Jim einen weiteren Schritt auf mich zu bewegte, lud ich die Winchester durch, so wie es mir mein Vater vor ein paar Monaten beigebracht hatte. Ich wusste nicht, was mich dazu veranlasste, die Waffe von der Wand genommen zu haben und damit beinahe lautlos die Treppe heraufzusteigen. Vielleicht lag es daran, dass Emmys Weinen so verängstigt, ja schrecklich geklungen hatte. Jim war schweißüberströmt und starrte mir in die Augen. Weder er noch ich glaubten daran, dass ich den Abzug betätigen würde.

    Bei der nächsten Vorwärtsbewegung seines Fußes drückte ich jedoch ab. Ich erschrak vor der Lautstärke des Knalls, der im Haus viel stärker war als bei den Schießübungen im Wald. Ich zuckte vom Rückstoß zusammen, von den heißen Blutspritzern, die mir auf die Wangen prasselten, und schloss die Augen vor dem Grauen, das ich angerichtet hatte.

    Aber die Angst, dass sich Jim noch immer mit der Machete auf mich stürzen könnte, war stärker als die Furcht vor dem Elend meiner Tat. Ich riss die Augen auf. Jim war bis zum Fenster zurückgeschleudert worden und hielt sich dort taumelnd auf den Beinen. Im Gesicht klaffte ein großes Loch. Krampfhaft umfasste seine herabhängende rechte Hand die Machete.

    Ich zitterte, meine Knie wurden weich und ich sank an die Wand gepresst herab. Endlich fiel die Klinge polternd auf das Parkett. Jims schwerer Körper schwankte stärker, er kippte nach vorn und schlug mit dem Kopf kurz vor mir auf den Boden. Entsetzt drängte ich mich zurück, bis mein Rücken schmerzte.

    Ich starrte auf Jim, der röchelnd im Sterben lag. Aus seinem Kopf strömte unglaublich viel Blut. Es kam rasch näher. Meine nackten Füße in den offenen Schuhen standen bald in einem See von Blut. Ich traute mich nicht, die Zehe oder gar die Beine zu bewegen. Die rote Lache erschien mir als etwas Lebendiges, das nur darauf wartete, mich in die Tiefe zu reißen.

    Verzweifelt blickte ich zum Fenster, wo kein Geräusch mehr aus der Wiege drang, keine Bewegung zu erkennen war, bis auf das lautlose Herabfallen der kleinen Blutstropfen, die sich durch die Strohrauten zwängten.

    Irgendwann kam mein Vater nach Hause. Er war oft unterwegs als ein Anführer der Red Shirts – der waffenstarrenden Ehemänner, Väter, Großväter und jungen Kerle – die kompromisslos die schwarze Mehrheit im Staate mit allen Mitteln bekämpfte.

    Er stapfte die Treppe herauf und fand mich. Ich musste stundenlang regungslos neben der Leiche auf dem Boden gesessen haben.

    Mein Vater tat etwas, woran ich nur noch verschwommene Erinnerungen aus Babytagen in mir trug: Er hob mich hoch auf seine Arme.

    »Du bist ein tapferer Junge! Hättest du den Nigger nicht erschossen, wäre jetzt nicht nur meine Tochter, sondern auch du tot. Ich habe mich jahrelang in dir getäuscht, mein Sohn. Das war ein Fehler.«

    Er war das erste Mal stolz auf mich und dieser Stolz gab ihm die Kraft, die Überreste meiner kleinen Schwester in die Confederate flag zu hüllen. Ich durfte Emmy nicht noch einmal sehen.

    ~

    »Mister Jordan, bleiben Sie unten!«

    Ich will meinen Oberkörper aufrichten, werde aber gewaltsam zurück auf das Laken gepresst.

    »Verdammt, Schwester, die Narkose war nicht stark genug!«

    Mein Bein tut höllisch weh und ich sehe, wie sich der Arzt mit seinem kleinen Messer in meinem Fleisch zu schaffen macht. In einer Metallschale ballt sich ein Haufen zerknüllter, blutdurchtränkter Tücher. Ich will etwas sagen, bekomme jedoch kein Wort heraus. Meine Kehle ist staubtrocken und brennt wie Feuer. Da spüre ich den Einstich der Injektion im Arm. Sofort werde ich von lähmender Schwere niedergedrückt und versinke erneut im Albtraum meiner Kindheit, North Carolina 1898 …

    ~

    Vater sagte, Emmy sei direkt zu den kleinen, lachenden Engeln in den Himmel gefahren, mit denen sie nun spielen könnte und von oben auf uns herabschauen würde.

    Meine Mutter schleppte sich weinend mit gekrümmtem Körper durch das Haus. Sie war nicht stolz auf mich, sondern kannte nur die Trauer um das Baby und den verlorenen Sohn, der zu einem Mörder geworden war.

    Die Beerdigung der kleinen Emmy wurde von den Red Shirts erbarmungslos für ihre Propaganda missbraucht. Zwischen zahllosen Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten trugen sie den kleinen Sarg, bedeckt von der Confederate flag, in einem Meer von roten Blumen.

    Niemand sprach von der grausamen Hetzjagd, mit der die Plantagenarbeiter monatelang in Todesangst versetzt worden waren. Beinahe jede Woche gab es ein blutiges Opfer unter ihnen. Als Jim die Ermordung seiner Frau angekündigt worden war, drehte er durch. Er nahm sich eine Machete, ging ins Farmhaus, und wollte uns alle töten, bevor wir seiner Familie etwas antun würden. Das grausame Schicksal wollte es so, dass er zuerst auf die hilflose Emmy traf. Seine verzweifelte Wut ließ ihn das Unentschuldbare tun, das über seiner Sippe das Todesurteil verhängte.

    Am Abend der Beerdigung richtete mein Vater auf seiner Farm ein gewaltiges Barbecue aus. Alle Red Shirts aus der Umgebung waren mit ihren Familien eingeladen. Sie sangen Lieder, spielten Mundharmonika und niemand hätte diese Männer für Schläger, Entführer und Killer gehalten.

    Das heiße Fett der Steaks tropfte in ein prasselndes Feuer. In den zischenden Flammen verbrannte die armselige Habe von Jims ermordeter Familie. Mein Vater, der von allen nur Big Red genannt wurde, und seine Kumpane waren mit Gewehren in die ehemaligen Sklavenhütten gegangen, in denen die Arbeiter auf der Baumwollplantage wohnten, und hatten die Rache vollstreckt.

    Ich lernte, diesen Begriff, der von den erwachsenen Männern hier täglich gebraucht wurde, mit schrecklichen Bildern zu füllen. Ich ahnte nicht, dass ich mein späteres Leben damit zerstören würde.

    Während das Barbecue die Formen eines Familienfestes annahm, überkam mich wiederholt Übelkeit. Ich konnte nichts essen. Die Hände zitterten und brannten. Mein Kopf wurde von Erinnerungen überschwemmt.

    Ich dachte daran, wie ich noch vor Kurzem meine kleine Schwester im Arm hielt, in die Wiege legte, mir Jim mit lachendem Gesicht fröhliche Lieder vorgesungen und auf seinen kleinen Trommeln, den Bongos, etwas vorgespielt hatte. Mein Vater verprügelte mich jedes Mal, wenn er mich mit Jim zusammen erwischte. Nun war mein heimlicher Freund aus dem Sklavenhaus durch meine Hand zu Tode gekommen und ich saß an einem Feuer, in dem die Bongos verbrannten.

    Es wurde keine Trauer um meine kleine Schwester geduldet, sondern nur das Feiern der schrecklichen Rache. Trauer bedeutete Schwäche und ein weißer, freier, protestantischer Amerikaner durfte niemals schwach sein. Meine Mutter war schon längst ins Haus gegangen. Ich hatte sie keine Träne mehr vergießen sehen.

    In den Flammen erkannte ich den kleinen, verkohlten Arm einer Puppe, der sich vor Hitze krümmte. Ich wendete mich ab, übergab mich und wurde unverzüglich von Big Red zum Feuer zurückgedreht.

    »Siehst du, mein Junge: Es ist genauso gekommen, wie ich es dir immer gesagt habe. Sie sind Raubtiere, die nur auf ihre Chance warten, uns zu zerreißen. Wer die Zügel schleifen lässt oder sogar Vertrauen zu ihnen hat, wird hinterrücks zerfleischt. Daran wird sich niemals etwas ändern, auch wenn die Neunmalklugen glauben, durch die Abschaffung der Sklaverei sei alles zum Besseren gewendet worden!«

    Seit diesem Tage war ich nicht mehr der ungeschickte, dumme Junge für ihn, sondern sein größter Held in diesem ganzen verfluchten North Carolina. Die zahlreichen Wunden auf Rücken und Gesäß, die er mir im Laufe der Jahre mit seinem Ledergürtel eingeprügelt hatte, begannen langsam zu verheilen. Mein Vater schleppte mich zu seinen Clantreffen. Dort klopften mir die schwerbewaffneten Männer mit den brutalen Gesichtern anerkennend auf die Schultern, weil ich einen ›Nigger plattgemacht‹ hatte.

    Ich begriff meist nicht, worüber sie redeten. Sie waren laut und tranken viel. Auch das Wort Rache wurde regelmäßig genannt. Aber jetzt sprachen die Männer von einem Mädchen: Rachel. Ich kannte sie. Rachel war fast zehn Jahre älter als ich, hatte zu Zöpfen geflochtenes, dickes schwarzes Haar und einen unübersehbaren Busen.

    Niemand durfte wissen, dass ich heimlich in sie verliebt war, so wie es ein Siebenjähriger nur sein konnte. Ich hütete mein Geheimnis, ging stolz mit der Winchester an ihr vorüber, wenn sie draußen vor dem Haus saß, um eine Geste von ihr zu erhaschen. Doch nun hatte sie einen Freund und beachtete mich nicht mehr.

    Ihr Freund war schwarz. Das schien ihre katholischen Eltern nicht zu stören. Dafür störte es die Red Shirts umso mehr. Sie wollten die selbsternannte Ordnung wiederherstellen.

    Ein paar Tage später trafen Rachels Freund und ich aufeinander. Er grüßte und schaute mich mit diesem überlegenen, mitleidigen Ausdruck an, mit dem Erwachsene so oft auf Kinder herabsehen. Ich blickte schweigend zu Boden und verspürte die sengende Hitze einer niederträchtigen Schadenfreude in mir aufsteigen, weil ich wusste, was ihn bald ereilen würde.

    Wenig später war er tot. So war es nicht geplant gewesen. Eigentlich wollten sie ihn lediglich demütigen, nackt ausziehen, mit Teer beschmieren und in Federn wälzen. Aber irgendjemand hatte ihn dann angezündet.

    Seine Schreie hallten lange durch die Nacht, als er sich wie eine menschliche Fackel unter entsetzlichen Schmerzen von Baum zu Baum warf. Rachels Eltern fanden ihn im Wald, doch es war längst zu spät.

    Ich spürte das Böse in mir wachsen, denn ich freute mich darüber, dass er fort war. Rachel schien gebrochen, vergoss nur noch Tränen und hatte keinen Blick, keine Geste für mich übrig. Sie tat mir leid und nachts betete ich heimlich für die Seele ihres getöteten Freundes und bat den lieben Gott um Vergebung für meine schändlichen Gedanken.

    Ich verbrachte jetzt viel Zeit zusammen mit meinem Vater. Er ließ mich auf Büchsen schießen, das Lasso werfen und schnelle Messerangriffe üben. Obwohl ich mit ihm nicht darüber reden konnte, was in meinem verwirrten Kopf vor sich ging, genoss ich es, erstmals seiner Aufmerksamkeit würdig geworden zu sein.

    Meine Mutter dagegen entfernte sich zusehends von mir. Sie sprach kein Wort und vermied es, meinem Vater und mir in die Augen zu sehen. Geräuschlos und bleich schlich sie durch die Zimmer wie ein Gespinst, das sich von Tag zu Tag mehr aufzulösen schien.

    Ihr Lächeln war bereits vor Jahren gestorben, denn ich vermochte mich nicht zu erinnern, sie jemals fröhlich oder gar glücklich gesehen zu haben. Nicht einmal mein dralles, plapperndes Geschwisterchen konnte ihr damals ein mütterliches Schmunzeln entlocken. Erst lange Zeit später erfuhr ich, dass die Kleine die schmerzvolle Frucht monatelanger, brutaler Vergewaltigungen durch meinen Vater war …

    ~

    »Ich habe auch dieses Mal nicht alle Splitter herausbekommen.«

    Der Doktor steht mit ernstem Gesichtsausdruck an meinem Krankenbett. Ich bin froh aufzuwachen und zunächst den erschreckend lebendigen Erinnerungen meiner Südstaaten-Kindheit entronnen zu sein, auch wenn die Wirklichkeit nicht unbedingt viel besser ist. Ich will etwas erwidern, aber meiner schmerzenden Kehle entfliehen lediglich ein paar armselige Krächzer.

    Die Schwester eilt herbei und stützt meinen Kopf. Vorsichtig flößt sie mir etwas Wasser ein.

    »Mister, Sie haben hohes Fieber. Wir müssen Sie hier behalten und versuchen alles, um Ihre Körpertemperatur zu senken!«

    Die junge Frau sieht mich besorgt an. Ihre Gesichtszüge verschwimmen und werden zu denen meiner Frau. Esther! Verlass mich nicht, nicht schon wieder! Nein, du darfst nicht tot sein, dazu haben wir uns viel zu sehr geliebt!

    Das Fieber zwingt mich, die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1