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Hitlers Überflieger
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eBook280 Seiten3 Stunden

Hitlers Überflieger

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Über dieses E-Book

Was, wenn im Dritten Reich die Kreativität der arbeitenden Bevölkerung mit modernen Managementmethoden geweckt worden wäre? Hätte der Krieg früher begonnen oder hätten freier denkende Menschen das Regime gestürzt?

Berlin, 1934: Der junge Unternehmensberater Frank Foremann kehrt aus den USA nach Nazi-Deutschland zurück, um in seiner Heimat Karriere zu machen. Er gründet ein Consulting-Unternehmen und will in die Zirkel der Macht aufsteigen. Sein Förderer im Reichswirtschaftsministerium entwickelt sich zu seinem Gegenspieler. Erst als Foremanns engster Freund in die Fänge der Gestapo gerät, beginnt er sich zu wehren und den Widerstand zu befeuern. Kann er die Dynamik, die er in der Wirtschaft entfacht hat, aufhalten?

Ruben Gantis hat mit "Hitlers Überflieger" einen alternativen Geschichtsroman über Leidenschaft, Männerfeinde und die Macht einer Unternehmensberatung geschrieben.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Feb. 2021
ISBN9783347239777
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    Buchvorschau

    Hitlers Überflieger - Ruben Gantis

    Kapitel 1 – Tempelhof - Juli 1934

    Frank Foremann streckte seinen Oberkörper und fuhr mit der rechten Hand seinen Seitenscheitel nach. Dann faltete er die Hände und ließ die Finger knacksen. Für einen Augenblick dachte er an seinen Abschied aus Bosten, wo er die letzten sieben Jahre gelebt hatte. Zunächst in Harvard studiert und dann bei den Gavry‘s gearbeitet, wie seine früheren Kollegen ihre verschworene Gemeinschaft liebevoll nannten. Aber er war nie Teil davon geworden. Er war immer nur der blonde Deutsche gewesen. Und dabei hatte er alles getan, um dazuzugehören. Nach der langen Schiffsreise nach London war der kurze Flug nach Berlin ein Kinderspiel. Er schaute aus dem Fenster der Junkers und sah die Umrisse der Hauptstadt des Reiches. Bedächtig faltete er das Blatt zusammen und steckte es in die rechte Innentasche seines Sakkos. Dieses Ritual hatte er von seinem Vater übernommen. Geldbörse in die linke Innentasche, wichtige Schriftstücke rechts. Vater würde seinen Plan ablehnen, so wie er die Nazis ablehnte.

    Seine Maschine setzte mit einem heftigen Ruckeln in Tempelhof auf und bremste ab. Foremann wurde in seinen Sitz gepresst. Die Maschine rollte aus. Während das Flugzeug seine Landeposition fand, spähte Foremann aus dem Fenster. Die bereits fertig gestellten Bauten des neuen Flughafens imponierten ihm. Hatte ihm seine Schwester nicht geschrieben, dass jetzt überall in Berlin so eindrucksvoll gebaut würde? Dieses neue Deutschland war wie für ihn geschaffen, hier würde seine Karriere Fahrt aufnehmen. Hier würde er aufsteigen, als Deutscher akzeptiert werden und es zu Ruhm bringen. Er lächelte. Wenige Sitzreihen vor ihm öffnete die Stewardess die Tür. Er sah sie beeindruckt an. Nur vier Jahre war es her, als in den USA die erste Frau zur Flugbegleiterin zugelassen wurde. Eine Krankenschwester. Weil sie beruhigend auf Passagiere mit Flugangst wirken sollte. Seine Mitreisenden formierten sich zu einer Schlange. Foremann blieb noch sitzen. Er wollte diesen neuen Abschnitt seines Lebens nicht mit eingezogenem Kopf zwischen Wartenden zubringen. Noch einmal holte er das Blatt aus dem Sakko. Sein Plan klang simpel: Consulting-Unternehmen aufbauen – Produktionsprozesse der Kunden optimieren - Größen der deutschen Wirtschaft und Politik beraten.

    Sein Vater hatte ihn gewarnt. Überall gäbe es jetzt Uniformierte von der SA, die harmlose Bürger drangsalierten. Wo auch immer sie das tun mochten, auf dem Flugfeld konnte Foremann nur weite, sorgsam gepflegte Rasenflächen entdecken und dazwischen teergedeckte Rollbahnen. Die Stewardess stand plötzlich neben ihm. Er zuckte zusammen, als sie sich zu ihm herunterbeugte.

    „Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug mit uns, Herr Foremann. Aber jetzt müssen Sie aussteigen, sonst warten ihre Liebsten vergeblich."

    Er senkte die Augenlider und nickte freundlich. Sein Vater würde sicher nicht auf ihn warten. Er hatte Foremanns Sympathien für die Nazis nie gutgeheißen. Er müsse sich nicht mit dem Teufel einlassen, nur weil er nicht in der elterlichen Firma arbeiten wollte, beklagte er sich regelmäßig. Das fahle Gesicht seines Vaters war ihm lebendig vor Augen.

    Dieses braune Pack würde Deutschland wieder in einen Krieg führen, hatte er früher gezürnt und dabei auf den Eichentisch im Esszimmer geschlagen, so dass der Tischschmuck vibrierte.

    Auch die Beschwichtigungen der Mutter, dass Hitler doch Autobahnen bauen und Arbeitsplätze schaffen wollte, hatten nichts geholfen. Er hasste die Nationalsozialisten.

    Mühelos öffnete Foremann das schwere Schloss des Gurtes und streckte die Arme nach oben, als ob er die Gedanken an die Eltern verrücken wollte wie schwere Möbel. Er drückte seine langen Beine durch, erhob seinen trainierten Körper und langte zur Gepäckablage über ihm. Er nahm seine schwarze Aktentasche und seinen Hut und trat als Letzter auf die Flugtreppe. Er stieg die Stufen hinunter und ließ die Augen von rechts nach links wandern, als ob er nach einem Empfangskommando Ausschau hielte. Foremann musste leise über sich selbst lachen. Wer sollte schon wissen, dass er gerade jetzt deutschen Boden betrat?

    Das Dach, ein mächtiges Stahlmonster, überragte das Flugzeug fast vollständig. So gewaltig hatte er sich den Flughafen nicht vorgestellt. Nach wenigen Schritten trat er durch eine massive Stahltür in die Gepäckstation. Erdrückender Granit, wohin er auch schaute. Er drehte sich um die eigene Achse, ohne den Blick vom Mauerwerk zu nehmen, das ihn umgab. Winzig kam er sich vor, eingeschüchtert von der Imposanz, die von diesem Saal ausging.

    „Brauchen Sie einen Gepäckträger?", wurde er von einem Mann mit Schiebermütze und abgetragener Uniform aus seinen Gedanken gerissen.

    „Nein danke, antwortete Foremann verdattert, „ich habe nur einen Koffer.

    Er erntete ein unbeteiligtes Nicken. Pomadig schleppte sich der Träger weg und lehnte sich an einen der Granitpfeiler. Foremann schaute ihm nach und ließ den Blick an dem Pfeiler nach oben gleiten. So hoch wie acht bis zehn Mann, schätzte er. Kräftige Arbeiter hoben die Koffer vom Rollwagen. Seiner war mit einem braunen Gürtel umschnürt. Einer der Männer stellte ihn auf den Boden. Wie benommen von seinen Eindrücken lief er hinüber und griff nach seinem Gepäck, das eher wie eine große Reisetasche wirkte als ein Überseekoffer. Sein Leben verstaut in einem einzigen Gepäckstück. Einige wenige Fotos von den Feiern in der Firma. Keine Liebesbriefe, keine sentimentalen Erinnerungsstücke, keine liebevollen Mitbringsel aus Amerika. Nur seine maßgeschneiderten blauen und grauen Zweireiher und die bequemen Blue-Jeans mit Hosenträgern – der letzte Schrei in den Staaten. Dazu seine Wäsche und seine nagelneuen Sportschuhe. Mehr hatte er nicht mit zurückgenommen.

    Müde vom Flug trug er seinen Koffer durch eine schwere Tür zum Zoll in der Empfangshalle. Eine Schweißwolke lag in der Luft. Er reihte sich in die Schlange ein. Noch wenige Meter und er war wieder im Deutschen Reich. Er hatte sich seit Monaten danach gesehnt. Was seine Schwester Frieda in ihrem letzten Brief nur meinte, als sie schrieb, es wäre der richtige Zeitpunkt, ins „neue Deutschland" zurück zu kommen? Sie war eine eingefleischte Anhängerin der Nationalsozialisten und als Mutter und Apothekerin das Paradebeispiel einer deutschen Frau. In feiner Schrift hatte sie auf ihrem beigen Briefpapier von der NS-Revolution geschrieben, die die Ewiggestrigen weggefegt und mutigen jungen Anführern den Weg bereitet hatte. Friedas Worte hatten ihn begeistert. Nur langsam bewegte sich die Schlange auf das Zollhäuschen zu, das zwischen den in die Wände geschlagenen Skulpturen winzig wirkte. Jemand hinter ihm tippte ihn an.

    „Wollen Sie nicht mal weiter gehen?"

    Foremann senkte den Kopf. Er hatte vor lauter Staunen nicht gemerkt, wie groß die Lücke zu seinem Vordermann geworden war, der schon vor dem Zöllner stand. Schließlich war er an der Reihe, nahm Haltung an und legte seinen Reisepass auf die kleine Theke. Der blasse Zöllner in seiner blauen Uniform schaute ihn mit Grimm im Blick an. Lautlos griff er nach Foremanns Pass.

    Lange nicht mehr hier gewesen, wie es scheint, junger Mann. Tja, die Zeiten haben sich geändert. Willkommen in Deutschland. Heil Hitler.

    Ungläubig schaute Foremann ihn an, unsicher, ob er den rechten Arm heben sollte. Er ließ es. Es würde komisch aussehen.

    „Heil Hitler, erwiderte er leise. Daran würde er sich erst noch gewöhnen müssen. Er trat rechts an dem Zollhäuschen vorbei und ging mit großen Schritten zum Ausgang der Empfangshalle. ‚Hier entsteht der größte Flughafen der Welt‘, las er. „Meine Güte, sagte er im Flüsterton, „die Nazis wollen hoch hinaus." Foremann malte sich aus, wie er bald vor den Bossen der deutschen Wirtschaft sprechen würde. Er spürte, am richtigen Ort zu sein, um seinen Plan umzusetzen und dazu beizutragen, Deutschland wieder stark zu machen.

    Kapitel 2 – Familie - Juli 1934

    Jakob Justens Augenlider fühlten sich an wie zwei Sargdeckel. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinem kantigen Schädel, als er die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte.

    „Jakob!", drang eine schrille Stimme durch seinen Geist. Er richtete seinen Kopf auf und die Sargdeckel öffneten sich einen Spalt weit. Sein dürrer Körper versagte ihm den Dienst. Annes Gesicht erschien aus dem Dunkel der Küche. Er versuchte, ihrem anklagenden Blick zu entgehen und sah den randvollen Aschenbecher und die umgefallenen Bierflaschen auf dem Tisch. Nur in Schemen erkannte er, wie Anne sich ein Tuch vor den Mund hielt. Er hörte sie würgen. Mit kurzen Zügen atmete er den ätzenden Geruch ein, der in der Luft lag und hörte seine Frau über den Gestank maulen, während sie die Vorhänge zur Seite zog und das Fenster öffnete. Mit weitem Mund sog sie die frische Luft ein, als ob sie ihre Lungen ausspülen wollte. Sie drehte sich wieder Justen zu und stampfte an ihm vorbei zur Spüle. Mit zwei Fingern hob sie die Hosen ihres Sohnes auf und drehte den Wasserhahn auf. Angewidert ließ sie sie in die Zinkschüssel fallen.

    „Jakob!", hörte er sie wieder lauter rufen. Er konnte seinen Kopf mit den eingefallenen Wangen und dem Spatenkinn nicht nach oben bewegen.

    „Hast du im Beisein der Buben getrunken oder konntest du sie noch ins Bett bringen, bevor du abgestürzt bist?", schnauzte sie ihn an. Justen hielt sich die Ohren zu. Er drehte sich weg, noch immer in seinem zu weiten dunklen Anzug vom vorigen Abend in dem alten Schaukelstuhl liegend.

    „Jakob, wach endlich auf, was ist denn los mit dir?", hörte er seine Frau rufen. Doch er drehte sich noch weiter zur Seite und atmete leise, als ob er so unsichtbar werden könnte. Sie trampelte durch die Wohnung und baute sich mit verschränkten Armen neben ihm auf. Dann schüttelte sie ihn kräftig. Erschrocken öffnet er die Augen.

    „Du könntest wenigstens ins Bett gehen und dort deinen Rausch ausschlafen!"

    Doch trotz seines Zustandes hörte er aus ihrer Stimme die ihm so vertraute Sanftheit. Sie hatte einfach Angst um ihn. Seit die Nationalsozialisten an der Macht waren, war das Leben mühsam geworden. Seit den Boykottaufrufen gegen Juden vom 1. April 1933, vor kaum mehr als eineinhalb Jahren, und der Verbannung von Journalisten und Beamten waren bereits über 20.000 Juden aus Deutschland geflohen. Er wusste, dass Anne über Auswanderung nachdachte, obwohl sie Deutsche war. Sie machte sich wegen ihm und der beiden Buben Sorgen. Sie weckte ihn sanft, während sie seinen Kopf in die Hände nahm und ihn auf die Stirn küsste.

    „Was ist denn passiert? Du trinkst doch sonst praktisch nichts. Jakob, was ist los?"

    Machst du mir bitte einen Kaffee, Anne. Ich habe zu viel geraucht, nicht zu viel getrunken.

    Mit seinen schlanken Klavierhänden rieb er sich die Augen. Dann massierte er seine Schläfen.

    Es gab wieder mächtig Ärger in der Firma gestern, in der Produktion. Wir kriegen den geforderten Ausstoß nicht hin. Menschenskinder, mir brummt der Schädel, jammerte er.

    „Geh ins Bad und mach dich frisch, du musst ins Büro. Du kannst mir mehr später mehr erzählen."

    Justen schob sich aus dem Schaukelstuhl nach oben und sah Anne an.

    „Ich liebe dich. Danke."

    Kapitel 3 – Adlon – Juli 1934

    Von vorne winkten ihm die Taxifahrer zu, als er rau neben sich hörte: Viel zu teuer, die U-Bahn ist preiswerter, da vorne ist der Eingang. Seine Schwester hatte ihm geschrieben, dass Berlin die einzige Stadt sei, in der die U-Bahn direkt zum Flughafen führe. Er folgte der Person mit der rauen Stimme, kramte einige Münzen, die er noch in Boston besorgt hatte, aus seiner Hosentasche und kaufte sich am Schalter ein Billet. Foremann stieg die steilen Stufen hinunter zur Nord-Süd-Bahn. Mit jedem Schritt kroch ihm mehr modriger Kellergeruch in die Nase. Stehende Luft und Kohle. Er rümpfte die Nase. Der Bahnsteig wurde durch zwei grelle Scheinwerfer erhellt, als sich der erste gelbe Wagen mit quietschenden Bremsen näherte. Mit lautem Zischen kam die Bahn zum Stehen. Durch die sich öffnenden Türen strömten Fahrgäste aus dem Zug. Foreman betrat den Wagon zusammen mit einer Reihe Geschäftsmännern, die uniform ihre Aktentaschen unter den Arm geklemmt hatten. Er suchte Halt an einer der Stangen, als sich die Türen mit einem lauten Knarzen schlossen und die Bahn anfuhr. Geschickt verlagerte er sein Gewicht, um nicht durch die Beschleunigung zu wanken. Sein Nebenmann trug einen großen Hut und stand aufrecht und gerade da, die Schultern nach hinten gedrückt. Sein Blick fiel auf zwei junge Frauen. Die große Blonde trug einen dunklen Hosenanzug und hatte ihr Haar hochgesteckt. Die andere fixierte ihn mit ihren hellblauen Augen. Sie nestelte an ihren Locken. Foremann wollte das Leben in Berlin genießen, nicht nur den beruflichen Erfolg. Aber das musste warten.

    Frieda hatte ihm das Adlon empfohlen, denn es sei ein grandioser Ort, um Kontakte zu knüpfen. Vom U-Bahnhof Französische Straße nahm er den direkten Weg über den Prachtboulevard Unter den Linden zum Adlon. Vom Boden der Allee hätte man Essen können, so sauber war der Bürgersteig. Und dann sah er sie. Sie waren noch ungefähr zweihundert Meter von ihm weg, aber das harte Klacken ihrer Stiefel konnte er bereits hören. Eine Gruppe von Braunhemden kam im Stechschritt auf ihn zu. Die Formation schwenkte rot-weiße Fahnen mit schwarzem Hakenkreuz. Einige Passanten applaudierten und feuerten die Gruppe an. Andere machten sich davon und verschwanden in den Cafés am Boulevard.

    „Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt."

    Die eisigen Augen, die an ihm vorbeizogen, machten ihm fast Angst. Foremann stand still da. Ein Jungspund riss sich plötzlich von seiner Mutter los und ging durch die Truppe auf die gegenüberliegende Straßenseite. Vor einem älteren, gebückten Mann blieb er stehen und schrie ihn an. Foremann konnte nicht hören, was er rief. Mühsam richtete sich der Alte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und applaudierte. Ein paar Minuten später war der Spuk vorbei. Foremann folgte mit gefrorenem Lächeln dem Trupp. Das hatte Vater mit seinen Andeutungen wohl gemeint.

    Langsam ging er weiter Richtung Adlon. Riesige Hakenkreuzfahnen hingen von der eleganten Fassade. Ehrfürchtig trat er unter den weißen Baldachin, der zum Eingang führte.

    „Kann ich dem Herrn mit dem Gepäck helfen?", sprach ihn der Wagenmeister an.

    Aber Foremann schüttelte mit einem kurzen Danke den Kopf. Wie von Zauberhand öffnete sich das hohe Eichentor und er betrat Berlins erste Adresse am Platz. Mannomann, dachte er, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und blieb stehen.

    „Tja, da staunst du, was?"

    Foremann senkte den Blick und schaute in ihm so vertraute Augen. Er stellte seinen Koffer ab und breitete die Arme aus.

    „Frieda, das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn hier?"

    „Ja was wohl? Ich bin das Begrüßungskomitee!"

    Sie drückte ihren Bruder mit einer langen Umarmung. Er schob sie von sich weg und schaute sie von oben bis unten an. Ihr kurzer, blonder Pagenschnitt betonte ihre Stupsnase, auf denen die braunen Augen zu sitzen schienen.

    „Ist das eine Fleischbeschauung?"

    „Nein, lass dich doch einfach nur ansehen, du Maultante."

    Er zog sie wieder an sich und drückte sie innig.

    „Es ist so schön, dass du wieder bei uns bist, Frank."

    Ihre Stimme überschlug sich. „Du musst mir alles erzählen, wie der Flug war, die Wochen seit unserem letzten Brief, einfach alles."

    Sie nahm seine Hand und zog ihn zu einem runden Tisch auf der linken Seite des Empfangssaals. Foremann konnte nur drei Bowler Melonen erkennen. Die Herren schienen in ein Gespräch vertieft.

    „Schau mal, wer noch da ist", piepste seine Schwester. Einer der Herren stand auf und drehte sich langsam zu ihm um. Dann streckte er ihm die Hand entgegen.

    „Sohn, es ist schön, dich wiederzusehen."

    „Vater, du hier?", stammelte Foremann.

    Kühl überspielte der die Situation. „Darf ich dir meine Geschäftspartner vorstellen, Graf Anton von Herbrich und Professor Franz Stulp. Sie nahmen Haltung an, hoben ihre Hüte und stellten sich als Geschäftsleiter und als Prokurist der AEG Aktiengesellschaft in Berlin vor. Der Graf begrüßte ihn freundlich und erklärte in zwei Sätzen die AEG. Die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft war eines der größten deutschen Unternehmen und ein sehr bedeutendes in Berlin. Es war maßgeblich an der weltweiten Elektrifizierung beteiligt und produzierte elektrische Produkte für Haushalte und Unternehmen. Ihre Produktpalette reichte von Haushaltsgeräten bis zu Lokomotiven.

    Hast du die SA marschieren gesehen, mein Sohn? Die tun so, als ob ihnen die ganze Stadt gehört. Wenn sie nicht marschieren, stehen die dumm rum und halten Wache.

    Was auch immer sie bewachen, AEG jedenfalls nicht, erwiderte der Professor.

    „Die üben schon für den Einmarsch beim Reichsparteitag im September in Nürnberg" warf von Herbrich ein. Foremann zog die Augenbrauen nach oben.

    „Junger Mann, das wird ein großer Tag für Deutschland, denn das Land wird sich angesichts des Parteitages in Nürnberg modern zeigen."

    „Tja, das kann Goebbels, eine große Show machen", kommentierte der alte Foremann.

    Hör auf Vater, nicht so laut. Wir haben alle was davon. Und du mit deinen Fräsmaschinen sowieso. Das Land blüht wie lange nicht mehr. Lass das ewige Lamentieren. Wir sind wieder wer. Wir können stolz sein, Deutsche zu sein, erwiderte Frieda dem Vater. Foremann musste unwillkürlich schmunzeln.

    Kapitel 4 – Reichswirtschaftsministerium – Juli 1934

    Doktor Meyer lehnte sich zurück und wippte in seinem breiten Lehnstuhl, den er als Schreibtischstuhl missbrauchte. Er schaute auf die aktuelle Statistik in der Ausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom Vortag: Industrieproduktion im ersten Halbjahr 1934. Was der deutschen Industrie half, war auch gut für das Land. Er wollte das Vaterland nach der Schmach von Versailles wieder stark sehen. Im Friedensvertrag von Versailles hatte man Deutschland gezwungen, anzuerkennen, der Urheber des Krieges und für alle Schäden und Verluste verantwortlich zu sein. Er wollte für sein Land kämpfen, nicht wie sein Vater, der sich wegduckte, wo immer er konnte. Apathisch

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