Todesjagd auf Highway 10
Von W. K. Giesa
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Todesjagd auf Highway 10 - W. K. Giesa
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Todesjagd auf Highway 10
W.K.Giesa
Ein Ruck ging durch den langschnauzigen Kenworth-Truck. Jim Sherman wurde gegen die Silzlehne geworfen. Er schrie. Daß seine Kniescheibe hinüber sein mußte, war ihm klar, seil er die Kupplung blitzschnell loslassen mußte und mit dem hochgezogenen Knie unter die Armaturenverkleidung schlug.
Die Nadel des Drehzahlmessers schlug im roten Bereich an die Endmarkierung. Jim war vom siebten in den vierten Gang gegangen, und sein rechter Fuß stemmte sich gegen das große Gaspedal. Mit geradezu ungeheuerlichen Werten beschleunigte die bullige lugmaschine, und trotzdem schien es nicht mehr zu reichen.
Der andere Truck schoß mit einem wahnwitzigen Tempo heran!
Jims Fäuste umklammerten den Lenkradkranz, schienen ihn zerbrechen zu wollen. Er zog den schweren Truck nach links hinüber, ignorierte das wilde Hupkonzert hinter ihm und die Vollbremsungen anderer Fahrer. Von rechts schoß der froschgrüne Volvo-White in die Fahrbahn, im spitzen Winkel frontal auf den Bison zu.
»Der Motor explodiert!« schrie T.O. Washburn, der kreidebleich auf dem Shotgun-Sitz hockte. Aber Jim ließ nicht nach. Sie mußten es schaffen, vor dem anderen Truck weg zu kommen! Ansonsten gab es eine Katastrophe…
In Gedanken sah Jim schon alles in einer gigantischen Explosion auseinanderfliegen. Seinen Auflieger, den anderen Truck, die in das Inferno hineinrasenden anderen Fahrzeuge.
Nein, dachte er. Nein! Um Himmels willen!
Und sie waren so nah vor dem Zuhause… nur drei, vier Meilen…
Es krachte!
Es hatte nicht mehr ganz gereicht, obgleich Jim das Allerletzte an Leistung aus dem riesigen Dieselmotor herausgeprügelt hatte. Der grüne Volvo-White rauschte in den Auflieger des Kenworth, riß ihn herum, schob ihn auf die Gegenfahrbahn.
Jim wechselte von Gas auf Bremse. Das verstärkte das Schleudermanöver nur noch mehr. Von einem Moment zum anderen stand das gesamte Gespann quer auf dem Highway, und der Kenworth wollte rechts die Böschung hinab! Die riesigen Räder blockierten, zogen schwarze Striche über die Piste. Der Bug des Kenworth senkte sich ab.
Und dann stand der Truck, und Jim Sherman begriff nicht, warum sie überhaupt noch lebten…
***
Der Motor stand. Abgewürgt. Jim hatte es nicht mehr geschafft, auszukuppeln. Sein linkes Knie fühlte sich an, als wühle jemand mit einer spitzen Nadel darin herum. Mühsam preßte er die Zähne aufeinander und unterdrückte ein schmerzerfülltes Stöhnen. Er war ja selbst dran schuld. Warum mußte er auch Kenworth fahren, den ›Cadillac‹ der US-Trucker, in dessen Fußraum es fürchterlich eng zuging? Im ›Rolls-Royce‹, dem Mercedes mit Großraumkabine, hätte es ihm nicht passieren können. Aber der war erstens zu teuer, und zweitens machte der Kenworth vom Aussehen her viel mehr her. Da nahm man kleine Unbequemlichkeiten in Kauf, wie die straffe Kupplung und den geringen Platz fürs linke Bein. Und nun hatte er die Quittung.
Aber er konnte sich jetzt kaum darum kümmern. Es gab Wichtigeres. Was war mit dem anderen Truck? Was war mit dem eigenen Auflieger?
Der Rest der Verkehrsteilnehmer schien rechtzeitig gebremst zu haben. Ansonsten hätte es schon einige Male gründlich gescheppert.
Langsam lehnte Jim sich zurück, das Gesicht immer noch verzerrt. Er versuchte sich zu entspannen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Vielleicht lag es daran, daß er nur zu gut wußte, wie haarscharf sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren.
Was das für eine explosive Suppe im Tankauflieger war, wußte er nicht. In den Frachtpapieren stand ein meterlanges unaussprechliches Wort, das er demzufolge ignoriert hatte. Nicht ignoriert hatte er die Warnungen. Gefahrenguttransport! Äußerste Sorgfalt!
Er war gefahren wie ein junger Gott.
Und trotzdem hatte es nicht gereicht, weil der froschgrüne Volvo-White als Geisterfahrer auf der falschen Highway-Zufahrt mit einem Affentempo herangeflogen war.
Zu bremsen, mit der schwappenden Suppe des nur dreiviertelvollen Tanks im Nacken, war unmöglich gewesen. Dann hätte der andere Truck die Zugmaschine erwischt, und sie wären jetzt tot. »Wenn die Bremse nicht mehr hilft, drückst du aufs Gaspedal - raus aus der Gefahr«, hatte Jims Fahrlehrer ihm seinerzeit eingebleut, und dementsprechend hatte er gehandelt und war froh gewesen, nicht weniger als 450 PS unter der langen Haube zu haben.
Und trotzdem hatte es nicht mehr ganz gereicht.
Der Volvo-White hatte den Auflieger noch erwischt. Aber er schien ihn nur noch am Heck gepackt zu haben.
»Partner…«
Er preßte es nur leise hervor.
T.O., der Neger, den er noch nie so wachsbleich gesehen hatte wie heute, merkte auf und erwachte aus seiner Schreckensstarre. »Jim, bist du verletzt?«
»Weiß nicht. Steig aus, Mann, schau nach, was passiert ist! Ich kann’s nicht… oh, verdammt noch mal…«
Er tastete nach seinem Knie.
T.O. schwankte sekundenlang zwischen dem dringenden Wunsch, seinem Partner zu helfen, und der Sicherheitsfrage. Dann sah er, daß Jim keine Notbehandlung brauchte, und öffnete die Tür des Trucks. Er sprang nach draußen.
Das erste, was er sah, waren Autos.
Jede Menge Four-Wheeler, die kreuz und quer auf dem Loop standen, gerade so, wie sie nach ihren Vollbremsungen zum Stehen gekommen wai;en. Wütende Fahrer schimpften auf die unverantwortlich rasenden Trucker oder aufeinander ein, andere verhielten sich außerordentlich still.
Der ›Bison‹ hing mit der langen Schnauze auf der abwärts führenden Böschung. Aber es sah so aus, als würde er aus eigener Kraft wieder freikommen können. Die Bremsen hatten noch rechtzeitig gepackt. Aber durch die Radblockierung waren ein paar Kilo Gummi auf der Piste geblieben; die Reifen waren stellenweise abgeplattet und das Profil auf Null geschliffen.
Highway 410. Der ,Loop‘, der Umgehungsring um San Antonio, Texas. Ausgerechnet ein paar Meilen vor der Haustür hatte es noch passieren müssen!
T.O. sah sich weiter um.
Der grüne Volvo-White war auf den beiden Fahrbahnen der Gegenrichtung zum Stehen gekommen. Eine Reklametafel, ausnahmsweise recht massiv verankert, hatte ihn schließlich gestoppt, nachdem die Kollision mit dem Tankauflieger des ›Bison‹ ihm einen Teil seiner Geschwindigkeit bereits genommen hatte. Auch in der Gegenrichtung war der Verkehr zum Erliegen gekommen.
Über ihnen knatterte ein Hubschrauber. ›Bear in the Air‹, ein Helikopter der Highway-Police. In der Nähe von Großstädten wie San Antonio, Austin oder Dallas setzten die Smokeys nicht mehr auf Streifenwagen, die im dichten Verkehrsgewühl ohnehin kaum noch durchkamen, sondern überwachten das Verkehrsgeschehen von der Luft aus, um überall schnell genug zur Stelle zu sein. Der Kopter, eine kleinere Beil-Maschine, senkte sich allmählich herab.
T.O. lief zu dem Volvo-White hinüber. Jetzt sah er, worauf er vorher nicht hatte achten können: Gelb-orange-rote Streifen zogen sich vom Kühlergrill nach hinten, einem dreifachen ›L‹ nicht unähnlich. Die Beschriftung brauchte T.O. gar nicht mehr zu lesen; Er wußte auch so, daß es sich um ein Fahrzeug der ›Alamo Trucking‹ handelte.
Das Gespann war kaum beschädigt. Nur vorn rechts, wo es das Heck des Tankaufliegers erwischt hatte, war der Stoßfänger beschädigt und die Scheinwerfer zertrümmert; der Kotflügel war halb losgerissen. Aber fahrbereit war der Volvo-White nach wie vor.
Der Fahrer nicht.
T.O. sah es, als er die Tür aufriß und sich hochzog. Der Fahrer hing vornüber auf dem Lenkrad. Der Shotgunsitz war leer; offenbar fuhr der Mann allein. T.O. tastete nach seiner Halsschlagader und erschrak.
Der Fahrer des Alamo-Trucks war tot.
Er mußte schon vor dem Unfall tot gewesen sein. Denn er war nicht von dem letzten Aufprall gegen die Frontscheibe und Über das Lenkrad geworfen worden. T.O. wußte, wie das ausgesehen hätte.
Er nahm seine Flüche zurück, die er dem Fahrer in Gedanken an den Kopf geworfen hatte. Als Toter