Rabenjagd (Band 1): Dunkles Flüstern
Von Jamie L. Farley
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Über dieses E-Book
Der achtzehnjährige Clay ist ein Außenseiter und bekommt das in der Schule täglich zu spüren. Halt findet er bei seinen beiden einzigen Freunden, die ihn jedoch nur begrenzt vor den Attacken seiner Mitschüler schützen können. Seine Faszination für Horrorfilme zieht ihn immer wieder zu den alten Ruinen im Wald. Als er und seine Clique dort auf eine ominöse Kiste in einem Kellergewölbe stoßen, kann Clay nicht anders, als sie zu öffnen – und bricht damit einen uralten Bann.
Zweihundert Jahre war der Vampir Krátos in einem Sarg gefangen. Traumatisiert und verzweifelt folgt er der bösen Stimme in seinem Kopf, die ihn antreibt, Rache zu nehmen an jenen, die ihn gequält haben. Die ihm alles nahmen, was er liebte. Und die er in den Jugendlichen wiederzuerkennen glaubt.
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Buchvorschau
Rabenjagd (Band 1) - Jamie L. Farley
Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Kapitel 1 – Stan
Kapitel 2 – Krátos
Kapitel 3 – Clay
Kapitel 4 – Krátos
Kapitel 5 – John
Kapitel 6 – Clay
Kapitel 7 – Stan
Kapitel 8 – Krátos
Kapitel 9 – Dawn
Kapitel 10 – John
Kapitel 11 – Krátos
Kapitel 12 – Leander
Kapitel 13 – Krátos
Kapitel 14 – Leander
Kapitel 15 – Danny
Kapitel 16 – Krátos
Kapitel 17 – Clay
Kapitel 18 – Krátos
Kapitel 19 – Dawn
Kapitel 20 – Krátos
Kapitel 21 – Clay
Kapitel 22 – John
Kapitel 23 – Dawn
Kapitel 24 – Krátos
Kapitel 25 – Krátos
Kapitel 26 – Yve
Kapitel 27 – Mendacis
Kapitel 28 – Krátos
Kapitel 29 – Clay
Kapitel 30 – Krátos
Kapitel 31 – John
Kapitel 32 – Krátos
Kapitel 33 – John
Nachwort
Jamie L. Farley
Rabenjagd
Band 1: Dunkles Flüstern
Fantasy
Rabenjagd (Band 1): Dunkles Flüstern
Ich bin die Dunkelheit. Ich bin alles, was du fürchtest, alles, was du hast, und alles, was dir geblieben ist.
Der achtzehnjährige Clay ist ein Außenseiter und bekommt das in der Schule täglich zu spüren. Halt findet er bei seinen beiden einzigen Freunden, die ihn jedoch nur begrenzt vor den Attacken seiner Mitschüler schützen können. Seine Faszination für Horrorfilme zieht ihn immer wieder zu den alten Ruinen im Wald. Als er und seine Clique dort auf eine ominöse Kiste in einem Kellergewölbe stoßen, kann Clay nicht anders, als sie zu öffnen – und bricht damit einen uralten Bann.
Zweihundert Jahre war der Vampir Krátos in einem Sarg gefangen. Traumatisiert und verzweifelt folgt er der bösen Stimme in seinem Kopf, die ihn antreibt, Rache zu nehmen an jenen, die ihn gequält haben. Die ihm alles nahmen, was er liebte. Und die er in den Jugendlichen wiederzuerkennen glaubt.
Der Autor
Jamie L. Farley wurde 1990 in Rostock geboren. 2010 zog er nach Leipzig und machte dort eine Ausbildung zum Ergotherapeuten. Schnell merkte er jedoch, dass das nicht der richtige Job für ihn ist, weshalb er sich entschlossen hat Pokémontrainer zu werden. Er ist in Leipzig geblieben und wohnt zusammen mit seiner besten Freundin Anika, einer Ente namens Dave und dem Haus-zombie Bradley in einer WG. Neben der Schreiberei gehören Videospiele zu seiner liebsten Freizeitbeschäftigung. Nach dem Veröffentlichen von zwei Kurzgeschichten, erschien sein Debüt ‚Adular (Band 1): Schutt und Asche‘ Anfang 2019 im Sternensand Verlag.
www.sternensand-verlag.ch
info@sternensand-verlag.ch
1. Auflage, September 2022
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig
Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-249-6
ISBN (epub): 978-3-03896-250-2
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Anika.
Du bringst Ordnung in mein Chaos,
Sicherheit in unsteten Zeiten und
Licht in dunkle Tage. Ohne dich wäre ich
heute nicht da, wo ich bin.
Danke für alles.
Kapitel 1 – Stan
Stan trottete noch schlaftrunken die Treppen hinab ins Erdgeschoss. Er war gestern zu lange wach geblieben, und selbst zehn Uhr vormittags fühlte sich in diesem Moment zu früh an.
»Morgen«, sagte er gähnend, als er in die Küche kam.
Sein Freund Leander saß am Frühstückstisch und beschäftigte sich mit dem Smartphone. Den schulterlangen Teil seiner dunkelbraunen Haare trug er offen, er hing über die kurz rasierten Seiten des Schädels. Leander hatte kein T-Shirt an, was Stan einen willkommenen Blick auf seinen athletischen und gebräunten Oberkörper gab.
»Hey«, grüßte er. Ein warmes Funkeln trat in seine nussbraunen Augen. »Gut geschlafen?«
»Ja, aber zu kurz«, brummte Stan und setzte sich ihm gegenüber.
Leander gluckste leise und reichte ihm einen Kaffee. »Hier.« Er schaltete sein Smartphone aus und widmete sich wieder seinem Müsli. »Tu nicht so, als hätte ich dich morgens um sieben geweckt.«
Stan schmierte unmotiviert Butter auf eine Scheibe Brot. »Es ist Samstag, da kannst du mich ruhig bis mittags liegen lassen. Oder selbst mal ein bisschen länger mit mir im Bett bleiben.«
Er und Leander hatten sich noch die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, um das Referat über die Mendelschen Regeln abzuschließen. Wäre es nach ihm gegangen, hätten sie das Ganze schon am Nachmittag fertiggestellt und den Abend freigehabt. Doch Leander war versessen darauf, für jede seiner Arbeiten die Bestnote zu bekommen.
»Sind deine Eltern ausgeflogen?«, murmelte Stan, als er von seinem Brot abbiss.
»Schon längst«, erwiderte Leander und warf einen Blick auf die Wanduhr. »Papa ist um vier los zur Klinik. Der kommt auch vor heute Abend nicht wieder.«
Stan blinzelte. »Echt? Hab nicht gehört, dass er das Haus verlassen hat.«
»Wenn mein Vater will, kann er schleichen wie ein Assassine.« Leander brachte seine Schüssel zur Spülmaschine. »Beeil dich mit dem Frühstück! Ich muss gleich zum Englischkurs.«
»So ’n Stress am frühen Morgen.« Stan nahm ihn am Handgelenk und zog ihn mit einem Ruck zu sich. Leander verlor überrumpelt das Gleichgewicht und landete auf seinem Schoß. Grinsend legte Stan die Arme um ihn und drückte ihn an sich. »Kannst du deinen Kurs heute nicht schwänzen und wir gehen zurück ins Bett? Ich sag den anderen beiden, dass ich mich um ein, zwei Stunden verspäte, und wir machen uns noch einen bequemen Vormittag«, nuschelte er und küsste Leanders nackte Schulter. »Bitte, bitte.«
Der lachte, wohl wissend, dass Stan den Vorschlag nicht ernst meinte, und strich ihm durch die kurzen, blonden Locken. »Kannst du vergessen, Merlin.«
Stan hörte seinen Vornamen überhaupt nicht gerne. »Spießer.«
»Kann halt nicht jeder ein so fauler Penner sein wie du.« Leander gab ihm einen Kuss auf die Lippen. »Lässt du mich jetzt los? Würde mich gerne anziehen. Der Schnee draußen liegt mindestens knöchelhoch. Und so, wie ich die Verkehrsbetriebe in Thalbonn kenne, ist wieder keiner darauf vorbereitet.«
Thalbonn war eine mittelgroße Stadt in Norddeutschland. Regen kannte man hier, aber Schnee war eine Seltenheit.
Mit einem wehmütigen Seufzen gab Stan der Bitte nach. Selbst wenn keiner von ihnen etwas vorgehabt hätte – sobald Leanders Mutter nach Hause kam, würde es keine Zweisamkeit mehr zwischen ihnen geben. Wenn sie das Haus verließen oder sich andere in ihrer Nähe befanden, waren sie kein Paar mehr. Dann würde es keine Zärtlichkeiten geben, keine Umarmungen, nicht einmal Händchenhalten gestattete Leander in der Öffentlichkeit.
Stan beendete das Frühstück und ging zu seinem Freund ins Badezimmer.
»Mit wem triffst du dich nachher eigentlich?«, fragte Leander, während er sich das Haar kämmte.
»Mit Dawn und Clay.«
Für den Bruchteil einer Sekunde verfinsterte sich Leanders Gesicht.
»Kann immer noch nicht verstehen, warum du mit denen abhängst. Dawn von mir aus. Aber Clemens?«
»Er bezahlt gut«, scherzte Stan.
Leander warf ihm über den Spiegel einen skeptischen Blick zu. Stan war sich über dessen Abneigung seinen Freunden gegenüber bewusst, doch das hielt ihn nicht davon ab, in seiner Gegenwart über die beiden zu sprechen.
»Wenn du meinst«, antwortete Leander knapp.
Stan würde nicht weiter darauf eingehen, er wollte einen Streit vermeiden. Sie hatten sich gestern schon genug deswegen gezankt. Clay hatte am späten Nachmittag eine neue Zeichnung hochgeladen, die Stan lobend kommentierte. Als Leander ihn gefragt hatte, was wichtiger sei als ihre Biologie-Hausaufgabe, hatte er ihm sein Smartphone gezeigt.
»Manchmal bin ich neidisch«, hatte er gesagt. »Clay hat echt Talent.«
Missbilligend hatte Leander die Zeichnung betrachtet. »Geht so.«
»Als ob du es besser könntest.«
»Das nicht«, hatte Leander gestanden. »Aber wenigstens lackier ich mir nicht die Nägel wie die letzte Gothic-Schwuchtel.«
Wie sehr Stan es hasste, wenn er dieses Wort benutzte. Ihr Gespräch war danach hitziger geworden. Irgendwann hatte Leander sich halbherzig entschuldigt und sie waren zum Referat zurückgekehrt.
Ich habe es ihm zigmal gesagt, dachte Stan frustriert. Warum kann er Clay nicht in Ruhe lassen? Jeder macht sein Ding und geht keinem dabei auf den Wecker. Das KANN nicht so schwer sein.
Er putzte sich die Zähne, zog sich um und verließ eine halbe Stunde später mit Leander das Haus. Gerne hätte er ihm einen Kuss gegeben, als sie sich an der Straßenbahnhaltestelle voneinander verabschiedeten. Doch mehr als ein kurzer, freundschaftlicher Handschlag war ihm nicht vergönnt.
Irgendwann, dachte er, als er in die Bahn stieg. Sobald er mit sich selbst im Reinen ist.
Leander wohnte im Stadtviertel Favern, von dort aus dauerte es eigentlich nur zwanzig Minuten, ehe man mit der Bahn das Zentrum erreichte. Wegen des Wetters benötigte Stan heute doppelt so lang. Schon aus der Ferne sah er Dawns roten Haarschopf, der in der weißen Schneelandschaft regelrecht zu leuchten schien. Neben ihr stand die hagere, schwarz gekleidete Gestalt Clays wie ein mit Kohle gezeichnetes Strichmännchen.
Stan winkte ihnen zu und sie liefen ihm gemächlich entgegen. Wie immer, wenn er von Leander kam und sie traf, musste er gegen sein schlechtes Gewissen kämpfen. Zu deutlich klangen ihm Leanders Worte für Clay in den Ohren. Zu genau wusste er, was die beiden voneinander hielten. Das war ein weiterer Grund, warum sie ihre Beziehung geheim hielten. Leander wollte nicht geoutet werden. Stan fürchtete, seine Freunde zu verlieren.
Ewig kann ich das nicht vor ihnen verstecken.
»Hey.« Dawn umarmte ihn mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. »Wie geht’s?«
Sie trug ihren hellen Trenchcoat und hatte ihr Haar mit einem blauen Bandana gebändigt. Die plüschigen Ohrschützer waren von der gleichen Farbe.
Stan zuckte mit den Schultern. »Passt schon. Sorry für die Verspätung, aber die Bahn ist mitten auf der Strecke stehen geblieben.«
»Will ich auch hoffen, dass dir das leidtut«, maulte Clay. »Es ist kalt, es ist nass und wir stehen hier seit … seit wann hier?«
»Etwa einer Viertelstunde«, antwortete Dawn mild.
»Seit einer viertel Ewigkeit«, verbesserte Clay. »Ich seh aus wie ein Schneemann.«
Stan grinste. »Dafür bist du nicht fett genug, Kumpel.«
»Und allgemein zu dunkel«, fügte Dawn hinzu. »Obwohl dein Teint dem Schnee Konkurrenz macht.«
Clay strich sich über die vor Kälte rosigen Wangen. »Das ist das Problem.« Er reckte hochnäsig das Kinn. »Ich kann es nicht ertragen, wenn irgendwas blasser ist als ich.«
Dawn pikste ihm mit dem Zeigefinger in die Seite. Er zuckte zusammen und erzeugte ein Geräusch wie ein Meerschweinchen, auf das jemand getreten war. »Stell dir vor, du findest irgendwann raus, wie viele Menschen schlauer sind als du«, neckte sie.
»Oder besser aussehen«, fügte Stan hinzu.
»Deine Welt würde zusammenbrechen«, schloss Dawn.
Clay musterte sie abwechselnd. »Habt ihr mich gerade dumm und hässlich genannt?«
»Würden wir nie«, antwortete Dawn mit einem betont unschuldigen Augenaufschlag.
Stan legte einen Arm um seine Schultern. »Sagen wir es so: Dein Aussehen ist eher unvorteilhaft und du hast … besondere Bedürfnisse.«
»Ihr könnt mich beide mal.«
Doch Clay lachte. Sie durften sich solche Scherze erlauben.
»Wie auch immer.« Stan ließ von ihm ab und setzte sich in Bewegung. »Ich würde gerne zur Ruine. Hab Pläne für meinen achtzehnten Geburtstag.«
»Und was ist mit deinem siebzehnten?«, wollte Dawn wissen. »Der ist schon nächste Woche, und bislang wissen wir nicht, wie und wo du feierst.«
Stan hatte das bislang von sich geschoben. Er würde sich entscheiden müssen, ob er seinen Geburtstag mit Leander verbrachte oder mit seinen Freunden. Und das wollte er nicht.
»Ach, das wird nix Großes«, wiegelte er ab. »Ich lad ein paar Leute zum Chillen ein, das war’s. Aber für meinen achtzehnten will ich was Spektakuläres.«
Das Trio schlenderte bequem durch die verschneiten Straßen ihrer Heimatstadt. Die Ruine, zu der sie wollten, befand sich inmitten des weitläufigen Talinnger Walds. Das Gebiet erstreckte sich vom Norden der Stadt bis weit in den Südosten. Vom Zentrum aus benötigte man etwa eine halbe Stunde zu Fuß, um zu ihrem Ziel zu gelangen.
Aufzeichnungen zufolge hatte hier früher ein gewaltiges Herrenhaus mit weitläufigen Ländereien gestanden, das jedoch bei einem Feuer bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. Anschließend war alles verwildert und Mitte der Fünfzigerjahre hatte die Stadt dann daran gearbeitet, den Wald zu erweitern.
»Also, ich habe mir Folgendes gedacht«, begann Stan, als sie den Wald betraten. »Wir benutzen Lichterketten, die sich mit Solarenergie aufladen, und spannen sie über die Mauerreste, hängen Laternen in die Bäume. Wir machen ein Feuer, werfen einen Grill an und bringen sonst auch jede Menge Decken mit. Jeder steuert was zu essen und zu trinken bei, wir sorgen für Musik und … das war es im Grunde auch schon. Ich denke darüber nach, eine Themenparty zu schmeißen und meine Gäste zu zwingen, sich albern zu verkleiden.«
»Kriegen wir im Wald überhaupt genug Sonne zusammen für die Beleuchtung?«, wollte Clay wissen.
»Und das im Winter, wenn die meisten Tage grau und dunkel sind«, fügte Dawn hinzu.
Stan blinzelte. »Äh …« Daran hatte er nicht gedacht. »Dann … holen wir welche mit Batterien. Kein Problem.«
Clay zupfte an einem seiner Piercings. Er hatte zwei Ringe in der Unterlippe, sogenannte ›Snakebites‹. »Ich mag die Idee eigentlich. Aber mitten im Winter draußen feiern? Weiß nicht, ob mir das gefällt. Es wird arschkalt sein, irgendwann sind alle besoffen und am Ende fackeln wir noch den Wald ab.«
»Ist im Winter eher unwahrscheinlich«, warf Dawn ein. »Da ist die Gefahr größer, dass irgendjemand besoffen einschläft und elendig erfriert.«
»Ach, wir ziehen uns alle warm genug an unter den Kostümen und passen aufeinander auf«, beschwichtigte Stan. »Außerdem müssen wir nicht die ganze Nacht hier abhängen. Wenn doch einer friert, dann ziehen wir weiter.«
»Hast du auch mal an die Umweltverschmutzung gedacht? Wie viel Dreck so eine Party macht?«, fragte Dawn.
»Wir räumen natürlich hinterher auf«, unterbrach Stan sie eilig. »Am nächsten Tag, wenn wir ausgenüchtert sind.«
»Und dass wir uns mächtig Ärger einhandeln können, wenn wir hier ohne Erlaubnis feiern?«, fuhr Dawn ungehindert fort.
»Daaawn.« Stan zog ihren Namen jammernd in die Länge. »Sei keine Spaßbremse!«
»Ich hole dich auf den Boden der Tatsachen zurück.« Sie schüttelte den Kopf. »Ganz im Ernst: Das ist eine bescheuerte Idee. Wir denken uns was anderes aus. Von mir aus können wir die Party zu mir verlegen. Meine Eltern haben da sicher nichts gegen, wenn wir sie ein Jahr im Voraus warnen.«
»Und verkleiden können wir uns ja trotzdem«, fügte Clay schulterzuckend hinzu.
»Nimm deinen unerzogenen Köter gefälligst an die Leine!« Ein älterer Mann keifte erbost, zog damit Stans Aufmerksamkeit von ihrem Gespräch weg. »Und leg ihm einen Maulkorb an, ehe er jemanden beißt.«
»Meine Fresse, wer hat Ihnen denn ins Müsli geschissen?«, erwiderte ein Kerl. »Oder blöken Sie jeden an, der an Ihnen vorbeigeht? Mein Hund hat Sie nich mal mit’m Arsch angeguckt.«
Dawns Gesicht hellte sich auf. »Oh, Danny ist auf seiner täglichen Gassirunde.«
»Hä?«, gab Stan wenig geistreich von sich.
Dawn bedeutete ihnen mit kurzer Geste, weiter auf die Stimmen zuzugehen.
»Unverschämtheit«, echauffierte sich eine Frau. »Hier im Wald herrscht Leinenpflicht.«
»Gar nich wahr«, erwiderte der Kerl. »Hab’s nachgelesen. Und Farin beißt niemanden.«
Ein Hund bellte bestätigend.
Stan, Clay und Dawn näherten sich den Streitenden. Vor einem älteren Ehepaar stand ein Jugendlicher, den Stan grob auf 1,90 Meter schätzte. Er hatte einen dunkelviolett gefärbten Iro, trug einen alten Parka, der mit unzähligen Nieten, Buttons und Aufnähern bestückt war, und eine rot karierte Hose. Um seinen Hals hingen große Kopfhörer. Neben seinen Stiefeln saß ein heller Golden Retriever und blickte abwartend zu ihm hoch.
»Schmarotzern wie dir ist es zu verdanken, dass die Gesellschaft den Bach runtergeht«, schimpfte der Alte weiter. »Mit dir könnten wir jedenfalls keinen Krieg gewinnen.«
»Konnten wir mit Ihnen doch auch nich, oder?«, konterte der Punk. Er drehte den Kopf, sein Blick fiel auf Dawn, und er grinste. »Wie auch immer, wir müssen weiter. Wünsche Ihnen noch ’n angenehmen Tag. Genießen Sie das schöne Wetter!«
»Das ist Danny«, sagte Dawn, während der Punk auf sie zugetrottet kam. »Mein neuer Kumpelfreund von der Musikschule.«
Stan erinnerte sich. »Stimmt, du hast ihn neulich erwähnt.«
Das Ehepaar lief entrüstet weiter und hielt sich nicht damit zurück, weiter über Danny zu zetern.
Dawn ging in die Hocke und empfing den Golden Retriever, der schwanzwedelnd auf sie zustürmte. Einen Moment lang fürchtete Stan, der Hund würde sie in seiner Freude umwerfen. Doch er bremste ab und schmiegte sich überraschend sanft an sie.
»Hallo, hallo, Farin«, flötete sie. »Na, geht’s dir gut?«
»Ihm immer.« Danny holte sein Smartphone hervor, und Stan nahm an, dass er seine Musik ausschaltete. »Solange er nich von irgendwelchen Leuten angekeift wird, weil er an ’ner Kastanie schnüffelt.«
Dawn kraulte den Hund unter dem Kinn, der das mit genüsslichem Brummen quittierte. »Die wissen einfach nicht, was für ein guter Junge Farin ist.«
»Richtig.« Danny wandte sich den anderen beiden zu. »Hi übrigens.«
Clay schüttelte die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. »Moin. Ich bin Clemens. Kannst mich aber gerne Clay nennen. Und das neben mir ist Merlin. Wenn du ihm eine besondere Freude machen willst, sagst du Merlin Marcus zu ihm.«
Stan rollte mit den Augen, lächelte dabei aber wohlwollend. »Hör nicht auf ihn. Der Junge ist zu oft auf den Kopf gefallen. Tu mir bitte den Gefallen und sag Stan zu mir, okay?«
Danny nickte. »Ich mag meinen Vornamen auch nicht sonderlich. Aber wie biste von Merlin Marcus auf Stan gekommen?«
»War seine Idee«, antwortete Stan und wies mit dem Daumen auf Clay. »Ist im Grunde eine Abkürzung meines Nachnamens Stanel. Findet meine Mum nicht witzig. Blöde englische Namen und so.«
Clay zuckte mit den Schultern. »Meiner Mutter gefällt mein Spitzname auch nicht. Papa hat damit angefangen und sie ist immer noch angepisst deswegen.«
Allzu sehr verübeln konnte Stan ihr das nicht, obwohl er zugeben musste, dass Clays Vater eine clevere Grauzone nutzte. Sein Freund hatte erzählt, dass ›Clay‹ der Wunschname seines Vaters gewesen war, gegen den seine Mutter sich jedoch erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte. Letztlich hatten sich seine Eltern auf Clemens geeinigt, und sein Vater hatte irgendwie doch bekommen, was er wollte.
Danny lachte wieder. »Ich hab das Gefühl, wir hätten in dem Bezug alle dieselben Eltern.«
»Ich bin da raus.« Dawn hob die Hände. Farin gab ihr ein High Five mit seiner Tatze. »Ich mag meinen Vornamen sehr, man kann ihn weder gut verniedlichen noch abkürzen. Und die Zeiten, in denen andere Kinder mich damit gehänselt haben, sind auch lang vorbei. Dafür muss ich überdurchschnittlich oft erklären, wie mein Nachname geschrieben wird. Dass ich tatsächlich McCarthy heiße und dass mein Dad Ire ist und so weiter und so fort.«
»So hat jeder seine eigenen Sorgen und Nöte.« Danny zwinkerte. »Also, was verschlägt euch her? Wollt ihr ein Stück mit mir Gassi gehen?«
Dawn richtete sich auf. »Können wir, oder?« Sie sah die anderen beiden an. »Oder du begleitest uns. Wir wollen zu den Ruinen.«
»Ruinen?«, fragte Danny.
»Kennst du die nicht?«, erwiderte Clay verwundert.
»Danny ist erst vor Kurzem für die Ausbildung hergezogen«, erklärte Dawn. Sie wies in die Richtung, in die sie gehen mussten. »Es gibt hier im Wald ein paar Gebäudeüberreste, die man großzügig ›Ruinen‹ nennt. Es sind im Grunde genommen nur übrig gebliebene Mauerstücke und zwei oder drei halbe Wände.«
»Eine davon hat sogar ein Fenster«, fügte Clay hinzu.
»Also nichts Besonderes«, fuhr Dawn fort. »Ist trotzdem ein beliebter Treffpunkt. In Stans Hirn hat sich die fixe Idee verhakt, seinen achtzehnten Geburtstag dort zu feiern. Im November.«
Danny kratzte sich an der kahl rasierten Seite seines Kopfes. »Eine Waldparty mitten im Winter? Cool. Können Farin und ich mitmachen?«
Stan lächelte. »Klar. Du bist der Erste, der die Idee gut findet.« Er drehte sich zu Dawn. »Ich mag den Typen.«
Kapitel 2 – Krátos
Zweihundert Jahre zuvor
Der barocke Ballsaal war bis in den hintersten Winkel gefüllt, begleitet von Musik, Gelächter und Gesprächen. Verschiedene Düfte schwängerten die Luft – von Speis und Trank, süßen Parfüms, Schweiß und dem Blut der Gäste. Neben Krátos und seiner Familie befanden sich einige andere Vampire unter ihnen. Keine bekannten Gesichter bisher, doch das war ihm ganz genehm. Auf Festen, die von ihresgleichen veranstaltet wurden, traf man fast immer dieselben Personen.
Krátos ließ den Blick schweifen, betrachtete die üppigen Verzierungen aus Gold und Marmor, die filigranen Stuckarbeiten an den Wänden. Über ihren Häuptern spannte sich ein gewaltiges Gemälde.
»Was sagst du dazu?« Die Stimme seines Ziehvaters erklang an seinem linken Ohr.
Arunas hatte, wie Krátos auch, den Kopf in den Nacken gelegt, um das Bild eingehend zu studieren. Sein braunes Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt. Krátos hingegen hatte sein schwarzes Haar wie üblich nicht gebändigt bekommen. Es sah immer zerzaust aus, ganz gleich, was er auch tat.
Sie beide trugen teure Anzüge – sein Ziehvater in Dunkelrot, er selbst bevorzugte seine Garderobe in Schwarz. Vier silberne Ringe glänzten an Arunas’ Fingern.
Krátos räusperte sich. »Nun, diese Malerei entfaltet ein äußerst komplexes Bildprogramm mit hierarchischen, narrativen und ikonografischen Strukturen.« Er sprach mit seiner besten Imitation eines blasierten Kunstkritikers. »Auf diese Weise tritt es in eine intensive Kommunikation mit dem Betrachter.«
Arunas gluckste, hielt sich merklich zurück, nicht laut aufzulachen. Er war ein Maler und Bildhauer, hatte Krátos vor etlichen Jahren das Kunsthandwerk beigebracht. Sie hatten sich derlei Ausführungen öfter anhören müssen, als sie zählen konnten. »Fürwahr, mein Herr, Sie sind ein Feingeist sondergleichen. Und nun noch einmal für das Proletariat?«
Krátos zuckte leicht mit den Schultern. »Es ist hübsch.«
»Ich wünschte, die Leute würden es immer so einfach halten, wenn es um Kunstwerke geht«, sagte Arunas.
»Aber wo bliebe denn der Spaß, wenn man nicht ein wenig schlau daherreden kann?«, entgegnete Krátos belustigt.
Eine Frau rief seinen Namen. Er blickte in die Richtung und sah seine Adoptivtochter Ophelia, die sie liebevoll Felia nannten, auf sich zukommen. Sie trug an diesem Abend ein blaugraues Kleid. Ihr hellblondes Haar hatte sie zu einer aufwendigen Frisur verflochten und hochgesteckt. Im Gegensatz dazu war ihre Schminke dezent, ließ ihre Wangen rosiger und die Lippen voller wirken.
»Lykaon wird gleich wieder spielen. Tanz mit mir«, bat sie und streckte die zierlichen Hände nach ihm aus.
Krátos drehte den Kopf in die Richtung der Musiker. Er sah seine Ziehmutter Helena, die neben ihrem Bruder stand und ihm seine Geige reichte. Beide hatten sich in helle Farben gekleidet, die einen ansehnlichen Kontrast zu den schwarzen Locken und ihrer bronzenen Haut bildete.
»Felia, du weißt, dass ich ein miserabler Tänzer bin«, hob er an.
»Hat mich das jemals gestört?«, gab sie zurück.
Ihre blaugrünen Augen funkelten vor Freude. Wie konnte er zu diesem Blick Nein sagen? Mit einem resignierten Seufzen ließ er sich auf die Tanzfläche ziehen.
Arunas schmunzelte amüsiert. »Viel Vergnügen. Ich werde meine liebe Gattin suchen und sie ebenfalls zum Tanz bitten.«
Er schob sich an den anderen Gästen vorbei und schlenderte gemächlich Helena entgegen, die ihn offenbar schon erwartete.
Krátos war absolut unmusikalisch. Er hatte weder ein Gefühl für Rhythmus noch konnte er Instrumenten ein paar halbwegs gerade Töne entlocken. Dennoch würde er Lykaons Spiel unter Tausenden erkennen.
Er ließ seine Adoptivtochter führen. Angestrengt starrte er auf seine Füße, hielt mühsam Schritt und tat sein Möglichstes, sie nicht zu treten.
»Nimm den Kopf hoch!« Felia kicherte. »Du wirst schon nicht stürzen.«
Sie zog ihn mit sich durch die Reihen der anderen Tänzer, ihr Rock wehte elegant um ihre Beine. Die Herzen aller Anwesenden schienen in diesem Moment im Gleichtakt zu schlagen, miteinander und mit der Musik. Er konnte hören, wie das Blut durch die Adern der Menschen um ihn herum rauschte, und es schien fast so, als würde es sich der Melodie im Raum unterordnen.
Krátos hob das Kinn. Ein strahlendes Lächeln erhellte Felias blasses Gesicht. Es war schön zu sehen, dass sie sich amüsierte. Nur selten kam sie so aus sich heraus wie heute.
»Muss ich dich daran erinnern, dass ich damals meinen eigenen Hochzeitstanz verstolpert habe?«, fragte Krátos trocken. »Beide, um genau zu sein. Und dass sowohl die erste als auch die zweite Ehe in Katastrophen endeten?«
Felia neigte skeptisch den Kopf. »Du meinst, weil du dich ein bisschen ungeschickt angestellt hast, waren deine Ehen von Anfang an zum Scheitern verurteilt?«
»Nun, es war auf jeden Fall ein schlechtes Omen.« Krátos merkte, dass er ihr auf den Fuß trat, und sah sie frustriert an. »Tut mir leid.«
Felia lächelte aufmunternd. »Irgendwann wirst