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Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid
Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid
Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid
eBook1.809 Seiten14 Stunden

Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid

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Über dieses E-Book

Bei der Digitalisierung des Energiesektors von Praxiserfahrungen anderer Experten profitieren! Dieser bewährten Devise folgend zeigen Autoren aus Versorgungs- und IT-Unternehmen, Beratungen und Start-ups ausgewählte Lösungen für eine erfolgreiche digitale Transformation der Energiebranche. Durch die Lektüre der ersten zweibändigen Fachpublikation zur Digitalisierung der Energiewirtschaft im deutschsprachigen Raum kann der Leser von Expertenwissen profitieren und seinen Nutzen aus realen Anwendungsfällen sowie der Beschreibung umgesetzter Geschäftsmodelle der digitalen Energiewelt ziehen.In Band 1 werden die wesentlichen Grundlagen des digitalen Business in der Energiewirtschaft präsentiert. Dem Einführungsteil folgen vier Abschnitte zu unterschiedlichen Facetten der Digitalisierung entlang der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung von der Erzeugung bis zur Verteilung im Smart Grid.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum4. Okt. 2019
ISBN9783658253325
Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid

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    Buchvorschau

    Realisierung Utility 4.0 Band 1 - Oliver D. Doleski

    Teil IAus Versorgern werden Utilities 4.0

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    O. D. Doleski (Hrsg.)Realisierung Utility 4.0 Band 1https://doi.org/10.1007/978-3-658-25332-5_1

    1. Energieversorgungsunternehmen neu denken: Utility 4.0

    Oliver D. Doleski¹ 

    (1)

    Fiduiter Consulting, Ottobrunn, Deutschland

    Digitalisieren Sie. Es gibt keine bessere Alternative

    Zusammenfassung

    Der Geist der Digitalisierung ist auch in der Energiewelt längst aus der Flasche. Wir befinden uns nicht erst am Beginn der viel beschworenen Digitalisierung der Energiewende, wir sind bereits mittendrin. Deutliches Indiz dafür ist die zunehmende Durchdringung der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung mit digitalen Technologien. Oliver D. Doleski beschreibt die unmittelbaren Konsequenzen dieser fortschreitenden Digitalisierung und die daraus resultierenden Chancen für Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke. Er spannt dabei den Bogen von der Identifizierung relevanter Handlungsfelder über die Ableitung eines zukunftsorientierten Zielbilds im Kontext moderner Digitalisierungsinitiativen und die anschließende Identifikation konkreter Handlungsbedarfe bis hin zur systematischen Ableitung praktischer Empfehlungen für moderne Energieunternehmen, den Utility 4.0. Der Text beschränkt sich jedoch nicht auf die Beschreibung energiewirtschaftlicher Digitalisierungsvorhaben an sich. Dem Leser wird überdies und weiterführend eine anwendungsorientierte Roadmap zur digitalen Transformation des Versorgungsgeschäfts an die Hand gegeben. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick, wie sich Utility-4.0-Organisationen perspektivisch über die Integration datentechnologischer Analyseverfahren und algorithmenbasierter Innovationen zu fortschrittlichen Advanced Operations des Energiesektors weiterentwickeln können.

    Oliver D. Doleski

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    ist branchenübergreifend agierender Unternehmensberater in den Bereichen Unternehmensführung und Prozessmanagement. Darüber hinaus ist er als Interim Manager tätig. Nach verschiedenen leitenden Funktionen im öffentlichen Dienst sowie beim deutschen Weltmarktführer der Halbleiterindustrie widmet er sich heute in der Energiewirtschaft intensiv den Themen Smart Market und digitale Transformation der Energiewirtschaft. In diesem Zusammenhang liegt sein Forschungsschwerpunkt auf Lösungen im Kontext der Geschäftsmodellentwicklung.

    Mit der Wortschöpfung Utility 4.0 etablierte Oliver D. Doleski bereits 2016 einen prägnanten Begriff für den Übergang von der analogen zur digitalen Energiewirtschaft. Er gestaltet als Mitglied energiewirtschaftlicher Initiativen den Wandel der Energiewirtschaft aktiv mit. Seine in der Unternehmenspraxis und Forschung gewonnene Expertise lässt er als Herausgeber und Autor in zahlreiche Publikationen und Fachbücher einfließen.

    Die digitale Transformation des Energiesektors hat längst begonnen. Der Geist der Digitalisierung ist aus der Flasche. Mit der fortschreitenden Wandlung von der analogen zur digitalen Energiewirtschaft ist die viel beschworene Digitalisierung der Energiewende bereits in vollem Gange. Einige Jahre nach der Zäsur durch die Energiewende des Jahres 2011 befindet sich die deutsche Energiebranche heute keineswegs mehr am Beginn dieses epochalen Veränderungsprozesses, sie ist bereits mittendrin. Indiz dafür ist die zunehmende Durchdringung der gesamten energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette mit digitalen Technologien: Elektrizität fließt dank fortschrittlicher Steuerungssysteme öfter als noch vor wenigen Jahren bidirektional; algorithmenbasierte Energiemanagementsysteme flankieren die rapide Zunahme der dezentralen Stromversorgung; moderne Messeinrichtungen lösen sukzessive ihre analogen Pendants in den Kellern unserer Häuser ab und intelligente Messsysteme (iMSys) stehen in den Startlöchern.

    Wenn demnach die Digitalisierung der Energiewirtschaft inzwischen Fakt ist, dann steht die Frage nach den mittel- bis langfristigen Konsequenzen und den daraus resultierenden Handlungsoptionen für Stadtwerke und Co. im Raum. Welchen Herausforderungen müssen sich Energieversorgungsunternehmen (EVU) in einer von zunehmender Dezentralisierung der Energieversorgung und dem gesellschaftlich gewollten Vorrang erneuerbarer Energien geprägten Versorgungswelt stellen? Wie können etablierte Akteure der Energiewirtschaft auf ursprünglich aus energiefernen Branchen in den Versorgungsmarkt drängende Wettbewerber reagieren? Welche Antworten können heutige Energieversorgungsunternehmen auf den mit der Nutzung digitaler Technologien und echtzeitfähigen Betriebsabläufen einhergehenden Komplexitätsanstieg geben? Und nicht zuletzt, wie stellt sich die Branche auf zunehmend selbstbewusster agierende Kunden ein, die ihre Elektrizitätsversorgung in die eigenen Hände nehmen und deren Loyalität zu „ihrem Versorger" sichtlich schwindet? Diese und weitere Fragestellungen der digitalen Energiewelt werden in diesem Einführungskapitel beleuchtet.

    Digitalisierungsinitiativen gehen in der Energiebranche deutlich über rein technische Fragestellungen hinaus. Dabei beginnt die Digitalisierung energiewirtschaftlicher Artefakte mit der Identifizierung relevanter Handlungsfelder für Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke. Resultat dieser initialen Analyse von Ansatzpunkten für Digitalisierungsvorhaben ist ein handlungsorientiertes Zielbild, gefolgt von der anschließenden Identifikation konkreter Handlungsbedarfe aufseiten der Energieversorgungsunternehmen. Damit jedoch Versorgungsunternehmen situativ angemessen und zukunftsgerichtet agieren können, müssen geeignete Handlungsempfehlungen systematisch abgeleitet und darauf basierend die Unternehmensstrukturen so angepasst werden, dass eine marktkonforme Realisierung identifizierter Handlungsoptionen stattfinden kann. Neben diesen vorgenannten Aspekten energiewirtschaftlicher Digitalisierungsvorhaben ist des Weiteren die Vorstellung einer anwendungsorientierten Roadmap zur digitalen Transformation des Versorgungsgeschäfts Gegenstand dieses ersten Kapitels. Ferner wird ein Ausblick, wie sich Energieversorgungsunternehmen perspektivisch zu fortschrittlichen Advanced Operations des Energiesektors transformieren können, gegeben. Zur Orientierung veranschaulicht Abb. 1.1 den inhaltlichen Aufbau der folgenden sechs Abschnitte schematisch.

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    Abb. 1.1

    Aufbau des Einführungskapitels (schematisch)

    1.1 Aufbruch nach Digitalien – Status quo eines Energiesystems im Umbruch

    Die digitale Transformation von Energieversorgungsunternehmen gleicht bisweilen einer aufregenden Reise in ein unbekanntes, fernes Land. Viele Akteure der Versorgungswirtschaft empfinden diese Reise in das imaginäre Land Digitalien auch Jahre nach den ersten großen Umwälzungen in der Energiebranche immer noch als herausfordernden Aufbruch ins Ungewisse. Andere Versorger befahren als innovative Vorreiter mit großem Enthusiasmus bereits die Autobahnen Digitaliens.

    Im Folgenden werden einleitend die konzeptionellen Grundlagen für das gesamte Kapitel bereitgestellt. Um im Bilde zu bleiben, wir packen zunächst einmal die Koffer für unsere Reise nach Digitalien . Dies geschieht, indem zunächst ein gemeinsames Grundverständnis der drei konstitutiven Leitbegriffe Digitalisierung, digitale Transformation und Disruption in Abschn. 1.1.1 geschaffen wird. Diesem Definitionsteil folgend werden in Abschn. 1.1.2 die wesentlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung des Energiesektors präsentiert. Schließlich endet mit Abschn. 1.1.3 dieser einleitende erste Teil mit der Vorstellung von zehn prominenten Thesen zur Digitalisierung der Energiewirtschaft.

    1.1.1 Wohin aufbrechen? – Fernes unbekanntes Land Digitalien

    Ein Blick über den Tellerrand belegt, dass Digitalisierung kein Hype, sondern reale Herausforderung für Unternehmen nahezu aller Branchen ist. Zahlreiche prominente Beispiele außerhalb der Energiewirtschaft können herangezogen werden, bei denen ehemalige Branchengrößen beinahe über Nacht Opfer zaghafter oder gänzlich ausbleibender Digitalisierungsanstrengungen geworden sind. Man denke in diesem Kontext nur an Nokia , Quelle , Agfa oder Kodak , die von Unternehmen mit digitaler DNA wie Apple , Google , Amazon , CEWE ¹ und Instagram inzwischen weitgehend substituiert wurden. Insofern haben sich bereits zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien auf ihrem langen Weg nach Digitalien verirrt und sind dort am Ende nur über Umwege oder mitunter niemals angekommen.

    1.1.1.1 Terra incognita Digitalien – Konturen eines Leitbilds entstehen

    Für Teile der Energiebranche ist Digitalisierung bisweilen immer noch das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. Unsicherheit beherrscht nicht selten die Szenerie. Digitalien erscheint bei näherem Hinsehen für viele Akteure wie ein unbekanntes Land – Terra incognita.

    Tatsächlich hat die Digitalisierung den Energiesektor nicht nur längst erreicht, sondern avanciert mehr und mehr zum eigentlichen Zentrum der modernen Energiewelt. Jedes Versorgungsunternehmen reist heute nach Digitalien und manche wähnen sich sogar bereits am Ziel, so scheint es zumindest. Aber was bedeutet Digitalisierung konkret? Wo liegt Digitalien für die Energiebranche genau? Wie sieht es an diesem imaginären Ort aus? Und wie gestaltet sich die Reise für Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke am zweckmäßigsten?

    Einige dieser Fragen werden erst im weiteren Verlauf dieses Einführungskapitels eingehend beantwortet. An dieser Stelle möchte sich der Autor zunächst damit begnügen, den Schleier des Unbekannten, der über Digitalien mitunter ruht, ein wenig zu lüften. Anders ausgedrückt sollen hier zunächst erste Konturen eines Leitbilds für die Digitalisierung der Energiewirtschaft skizziert werden.

    Während sich die Energiewende – bekanntlich seit 2011 einer der bestimmenden Faktoren energiewirtschaftlicher Veränderungsprozesse – in den Anfangsjahren noch überwiegend im Rahmen der bestehenden Branchenlogik mit inkrementellen Veränderungen in der Erzeugung , im Vertrieb und im Netz abspielte, besitzt die Digitalisierung das Potenzial, die Branche in ihren Grundfesten zu erschüttern. Denn so, wie beispielsweise Google und Amazon die Medienbranche und den Einzelhandel vor Jahren bereits radikal veränderten, so wird die Digitalisierung auch für die Energiewirtschaft eine fundamentale Transformation zur Folge haben.² Alles in allem ein epochaler Umbruchprozess, der jedoch keineswegs auf rein technische Fragestellungen reduziert werden darf. Eine von Technik dominierte Branche wie die Energiewirtschaft „[…] muss sich von der Vorstellung verabschieden, Digitalisierung sei gleichzusetzen mit Technisierung. Der Begriff ‚Digitalisierung‘ beschreibt nicht länger einen technischen Prozess, sondern eine ökonomische, gesellschaftliche und individuelle Änderung der Wahrnehmung und Gestaltung der Welt."³ Das heißt, dass Energieunternehmen die Digitalisierung deutlich breiter denken müssen. Eine Fokussierung auf Aspekte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) würde eindeutig zu kurz greifen.

    Leitbild der Digitalisierung

    Aus diesen Gedanken lassen sich nunmehr die Konturen des gesuchten Leitbilds wie folgt synthetisieren: Digitalisierung hat stets umfassend zu erfolgen und geht inhaltlich weit über rein technische Fragestellungen hinaus. Transformationsvorhaben können sowohl inkrementelle (geringfügige) als auch radikale (fundamentale) Veränderungen beinhalten. Alle Unternehmensbereiche, Netzwerke und die Kundenschnittstellen sind gleichermaßen vom digitalen Wandel betroffen.

    Mit dem Leitbild entsteht – den Gedanken eines unbekannten Landes eine Weile fortführend – noch keine optisch hochauflösende Satellitenaufnahme von Digitalien, sondern bestenfalls eine erste Orientierung. Ergänzend bedarf es im Folgeschritt zunächst eines gemeinsamen Verständnisses der wesentlichen Leitbegriffe, um so die Grundlagen des später vorzustellenden methodischen Vorgehens bei Digitalisierungsinitiativen zu legen.

    1.1.1.2 Gut zu wissen – ausgewählte Orte Digitaliens

    In Digitalien existieren wie in jedem anderen Land in gewisser Weise auch Orte und Straßen. Während die Orte die konzeptionellen Grundlagen repräsentieren, handelt es sich bei den Straßen um ein Set systematischer Vorgehensweisen und Prozesse. Einem Kompass gleich hilft ein einheitliches Verständnis der drei Leitbegriffe Digitalisierung, digitale Transformation und Disruption bei der weiteren Orientierung. Um im Bilde zu bleiben, bestücken wir also zunächst die Koffer mit den konzeptionellen Grundlagen als Rüstzeug für eine erfolgreiche Reise nach und innerhalb von Digitalien.

    Digitalisierung

    Bei kritischer Betrachtung der einschlägigen Fachliteratur kann bis dato kein einheitliches Verständnis des Digitalisierungsbegriffs konstatiert werden. Sowohl in Fachdiskussionen als auch im Schrifttum herrschen bislang uneinheitliche Auffassungen in Bezug auf den Begriffsinhalt vor. Auch Befragungen Betroffener geben zumeist ein undifferenziertes Meinungsbild wieder. Die Antworten reichen von umfassender Anwendung moderner IT-Systeme, fortschrittlicher Nutzung von Massendaten , einer radikalen Änderung von Geschäftsprozessen bis zum völligen Aufbrechen linearer Wertschöpfungsketten. Vor diesem Hintergrund und in Ermangelung einer allgemeingültigen Definition, wird nachstehend eine ganzheitlich orientierte Begriffsbestimmung des Terminus Digitalisierung vorgeschlagen:

    Definition 1: Digitalisierung

    Digitalisierung beschreibt den Prozess der Durchdringung und Vernetzung des täglichen Lebens mit digitalen Technologien . Herausragende Merkmale der Digitalisierung sind neben der Automatisierung von Geschäftsprozessen , dem Aufbrechen linearer Wertschöpfungsketten und der Etablierung komplexer Kooperationsnetzwerke auch die strukturelle Befähigung zu verstärkter Diversifikation sowie fortschreitender Individualisierung . Grundsätzlich ist Digitalisierung nicht auf technische Aspekte beschränkt, sondern wirkt sich auf alle gesellschaftlichen und sozioökonomischen Bereiche gleichermaßen aus.

    Der Festlegung des Bedeutungsinhalts fällt insofern eine hohe Relevanz zu, da ohne einheitliches Verständnis, was Digitalisierung genau bedeutet, Unternehmen de facto digital nicht führbar sind.⁴ Aufbauend auf den vorstehenden Ausführungen zum Begriff Digitalisierung wird nachfolgend der Begriff der digitalen Transformation erläutert.

    Digitale Transformation

    Wollen Energieversorgungsunternehmen in Digitalien überleben, so müssen sie sich den in der digitalen Energiewelt geltenden Rahmenbedingungen anpassen. Dazu ist eine umfassende Veränderung oder, mit anderen Worten, eine Transformation aller Betriebsprozesse, Strukturen und Systeme zwingend. Abgeleitet vom lateinischen „transformare" (umformen) bezeichnet der Transformationsbegriff im Allgemeinen die Überführung eines gegebenen in einen anderen, neuen Zustand. Auf den energiewirtschaftlichen Kontext übertragen können alle Initiativen unter diesem Terminus subsumiert werden, bei denen sich die Grundlagen der Energieproduktion prinzipiell ändern (Systemtransformation) , sich ursprünglich monopolistische Energieunternehmen zu kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen um die Versorgung der Gesellschaft mit Strom, Gas und Wärme wandeln (Branchentransformation) oder sich Betriebsprozesse und Angebote von Versorgungsunternehmen im Gleichklang mit der Innovationsdynamik der grundlegenden Technologien ändern (Unternehmenstransformation) .

    Ähnlich wie im Fall des Digitalisierungsbegriffs ist der für dieses Buch konstitutive Begriff der digitalen Transformation in der einschlägigen Literatur bislang noch nicht allgemeingültig definiert. Grund genug, dem Leser nachfolgende Begriffsbestimmung anzubieten:

    Definition 2: Digitale Transformation

    Allgemein bezeichnet Transformation die Überführung eines gegebenen in einen anderen, neuen Zustand. Unter digitaler Transformation werden demzufolge Phänomene subsumiert, bei denen Prozesse, Strukturen, Systeme und nicht zuletzt Geschäftsmodelle durch den systematischen Einsatz digitaler Technologien und Fähigkeiten verändert werden. Herausragende Merkmale einer gelungenen digitalen Transformation sind die funktionierende Vernetzung relevanter Akteure und Systeme untereinander, darauf aufbauend eine hochgradig effiziente Datenverarbeitung und die Bereitstellung eines datenbasierten, marktkonformen Leistungsangebots.

    Mit der digitalen Transformation ändert sich beinahe beiläufig ein Paradigma, das seit dem Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnologie in Unternehmen vor Jahrzehnten gültig war. Fiel bislang der Technologie in Unternehmen vorrangig die Rolle eines dienenden Befähigers (Enabler) operativer Geschäftsprozesse zu, so werden im Rahmen der fortschreitenden digitalen Transformation zukünftig innovative Geschäftsmodelle um neue Technologien herum entstehen. Die Technologie emanzipiert sich zunehmend und gibt damit gleichzeitig mehr und mehr den Innovationstakt im Business Development vor. Sollten diese Veränderungen jedoch extrem ausgeprägt sein, weil sie beispielsweise auf revolutionären Neuerungen aufsetzen, so kann digitale Transformation auch eine schöpferische Zerstörung bestehender Geschäftsmodelle etc. zur Folge haben. Wir befinden uns dann in einem anderen Ort Digitaliens namens Disruption.

    Disruption

    Digitale Technologien , Innovationen und Fertigkeiten können in einem Maße revolutionär ausfallen, dass sie etablierten Geschäftsmodellen die ökonomische Existenzgrundlage vollständig entziehen. Solche radikalen Veränderungen werden als Disruption bezeichnet. Gemeinhin stehen hinter diesen Veränderungsprozessen zerstörerisch wirkende Technologien, die bestehende Lösungen mit großer Wucht und hoher Geschwindigkeit verdrängen. Prominente Beispiele sind der von der Digitalkamera verdrängte Kleinbildfilm von Kodak , der Bedeutungsverlust der SMS dank Diensten wie WhatsApp und die weitgehende Verdrängung der CD durch das Musik-Streaming .

    Definition 3: Disruption

    Unter Disruption werden gemeinhin Veränderungsprozesse verstanden, bei denen durch den Einsatz neuer Technologien (disruptive Technologien) oder Innovationen (disruptive Innovationen) etablierte Prozesse, Technologien, Geschäftsmodelle oder Produkte zumeist in kurzer Zeit vom Markt verdrängt werden.

    Nochmals das Bild von Digitalien bemühend, haben wir mit den vorgenannten Definitionen das grundlegende Rüstzeug für eine erfolgreiche Reise nach Digitalien beisammen. Nachfolgend werden diese konzeptionellen Grundlagen um die Erörterung der wesentlichen Treiber oder Rahmenbedingungen einer digitalen Energiewirtschaft ergänzt.

    1.1.2 Treiber der Digitalisierung im Energiesektor

    Wirtschaftliches Handeln von Unternehmen geschieht stets vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Rahmenbedingungen. Diese beinahe trivial anmutende Feststellung eines allgemeingültigen Grundprinzips gilt besonders ausgeprägt auch für die Akteure des von einer Vielzahl regulatorischer, ökonomischer, gesellschaftlicher, technologischer und ökologischer Einflussfaktoren bestimmten Energiesektors. Immerhin eine Industrie, die sich bis heute im Einzelfall noch nicht vom digitalen Veränderungsschock durch die unaufhaltsam raumgreifende Digitalisierung erholt hat. Folgerichtig ist gerade für Energieunternehmen die sichere Kenntnis dieser Rahmenbedingungen von fundamentaler Bedeutung für die eigene Zukunft. „Sie stecken den rechtlich-regulatorischen Rahmen des wirtschaftlichen Handelns innerhalb der Energiebranche ab, legen die prinzipiellen Handlungsoptionen und Freiheitsgrade aller Akteure des Energiesektors fest und determinieren in erheblichem Maße die praktische Ausgestaltung der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung."⁶ Ergo darf das verantwortungsbewusste Management eines Energieversorgungsunternehmens die Augen nicht vor den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschließen, will es die unternehmerische Zukunft der eigenen Organisation nicht gefährden. Die Relevanz dieser grundsätzlichen Feststellung wird vor dem Hintergrund der Energiewende im Jahr 2011 offenkundig. Seit jenen Tagen „befindet sich die traditionelle Energieversorgung in einer Zäsur. Angestammte Geschäftsmodelle der Energiewirtschaft sind in ihrer Existenz bedroht. […] Margendruck, Dezentralisierung und digitale Transformation dominieren mehr und mehr den Energiesektor."⁷

    Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen fungieren als Reservoir für die Treiber oder Katalysatoren der Digitalisierung des Energiesektors. Diese aus den geltenden Umfeldparametern destillierten Treiber wirken ihrerseits als Auslöser von Digitalisierungsvorhaben auf der Unternehmensebene. Ein Zusammenhang, der die hohe praktische Bedeutung der Treiber bei der digitalen Transformation erklärt. Denn immerhin üben die Treiber mittelbar Einfluss darauf aus, wie Energieunternehmen in den Folgejahren sinnvoll unternehmerisch agieren können.

    Die Diskussion der gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen nimmt in der energiewirtschaftlichen Literatur bereits einen breiten Raum ein. Exemplarisch wird für einen detaillierten Überblick hier auf die Vorstellung der wichtigsten Rahmenbedingungen in Anlehnung an die PESTLE-Dimensionen nach Worthington und Britton verwiesen.⁸ Angesichts umfangreicher Untersuchungen im Schrifttum wird an dieser Stelle von einer ausführlichen Explikation relevanter Rahmenbedingungen abgesehen. Dementsprechend erfolgt die Betrachtung energiewirtschaftlicher Umfeldfaktoren im Folgenden verkürzt anhand der vier Themencluster Gesellschaft, Energiewende im weiteren Sinne, Technologie und Unternehmen:

    Gesellschaftliche Treiber

    Zu den dominierenden gesellschaftlichen Treibern der Energiewirtschaft zählen v. a. ausgeprägtes Umweltbewusstsein, wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit, steigende Transparenzerwartungen der Stakeholder , zunehmende Komfortorientierung sowie ein insgesamt geändertes Kundenverhalten . Energieunternehmen müssen nicht zuletzt auch mithilfe der Digitalisierung geeignete Antworten auf diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geben. In diesem Kontext können beispielsweise komplexe, datenbasierte Energieservices adäquate Lösungen für Kundengruppen mit zunehmender Komfortorientierung darstellen. „So fordern Kunden heute statt einzelner, isolierter Produkte gewissermaßen ‚Rundum-sorglos-Pakete‘ mit passenden Serviceleistungen von ihren Lieferanten und Dienstleistern gleichermaßen."⁹ Neben dem Wunsch nach besserem Komfort und Lösungen aus einer Hand hat das insgesamt geänderte Verhalten heutiger Kunden ebenfalls großen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg energiewirtschaftlicher Geschäftsmodelle. Der digitale Kunde sucht sich heute online über Vergleichsportale das günstigste Angebot vom besten Anbieter bei gleichzeitig abnehmender Loyalität zu seinem ursprünglichen Versorger. Hierauf müssen Energieversorgungsunternehmen flexibel mit vorzugsweise innovativen, datenbasierten Angeboten reagieren.

    Energiewende als Katalysator

    Das energiewirtschaftliche Geschehen wird von jeher ausschlaggebend von politischen und gesellschaftlichen Einflüssen bestimmt. Der ausgeprägte politische Wille zur umfassenden Umgestaltung der Energiewirtschaft fußt auf dem gesamtgesellschaftlichen Konsens, die Energieversorgung möglichst nachhaltig gestalten zu wollen. Unter dem Eindruck des Nuklearunfalls im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im Frühjahr 2011 wurde von der Bundesregierung noch im gleichen Jahr beschlossen, die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland bis Ende 2022 vollständig zu beenden und gleichzeitig die Versorgung Deutschlands mit Elektrizität schrittweise auf regenerative Energieträger umzustellen. Dieses Ziel kann angesichts signifikant zunehmender Dezentralisierung , Volatilität und Komplexität der Energieerzeugung nur durch den breiten, flankierenden Einsatz datentechnologischer Innovationen erreicht werden. Entsprechend ist dieses unter dem Begriff Energiewende bekannte Phänomen ein bedeutender Katalysator für die Digitalisierung des Energiesektors in Deutschland.

    Technologische Treiber

    Der technische Fortschritt und in dessen Fahrwasser der branchenübergreifend dominierende Digitalisierungstrend machen auch vor der Energiewirtschaft nicht halt. Die Digitalisierung der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung schreitet unaufhaltsam voran. „Da kommt nicht erst etwas auf uns zu – es ist schon längst da."¹⁰

    Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien unterliegen einer enormen Veränderungsdynamik . Technologische Neuerungen gelangen immer schneller zur Marktreife; die Rechenleistung folgt seit Jahren einem exponentiellen Wachstumspfad; die Speicherdichte nimmt bei gleichzeitig sinkendem Preis pro Megabyte kontinuierlich zu; das Aufkommen algorithmenbasierter Data-Science-Instrumente entzieht unstrukturierten Daten ihren Schrecken; das absolute Datenaufkommen explodiert nicht zuletzt aufgrund der hohen Durchdringung wesentlicher Bereiche des täglichen Lebens mit mobilen Endgeräten und des mittlerweile niederschwelligen Zugangs zu Social Media sowie weiteren Plattformen . Diese Aufzählung maßgeblicher Technologien, aus denen bezogen auf die Energiebranche der größte Änderungsdruck in Richtung einer zunehmend digitalen Energiewelt resultiert, ließe sich beliebig fortsetzen.

    Unternehmensbezogene Treiber

    Die Energiewirtschaft ist bei näherem Hinsehen vielerorts immer noch von der Logik des eingespielten Commodity-Vertriebs geprägt. Ein Umstand, der sich zum Hemmschuh für Prosperität oder, schlimmer noch, zum Einstieg in die Bedeutungslosigkeit ausweiten kann, wenn diese Prägung den Anspruch von Energieunternehmen, innovativ zu sein, durch eine gewisse Phlegmatisierung der internen Organisation untergräbt. Angesichts eines beträchtlich verstärkten Margendrucks, des mit dem Eintritt neuer Akteure in den Energiesektor verbundenen Verdrängungswettbewerbs und insgesamt sinkender Abnahmemengen müssen heutige Energieversorgungsunternehmen zu neuen Ufern aufbrechen. Auch hier kann der überlegte Einsatz digitaler Technologien dazu beitragen, zukunftsweisende Neuprodukte und smarte Services zu etablieren. So können mit geeigneten Digitalisierungsinitiativen innovative Versorgungsunternehmen ihr angestammtes Geschäft absichern und sogar neue Marktanteile gewinnen.

    Am Rande sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass diese Aufzählung unternehmensbezogener Treiber für die Digitalisierung der Energiewirtschaft keineswegs erschöpfend ist.

    1.1.3 Digital schlägt analog – Thesen zur digitalen Transformation

    Es wäre eine irrige Annahme, dass die Nutzung von Datenverarbeitungstechnologien in der Energiewirtschaft erst in den letzten – sagen wir – zehn Jahren begann. Zahlreiche Leser dieses Beitrags mögen noch aus eigener Erfahrung nur zu gut wissen, dass dem mitnichten so war. Vielmehr wurde schon im 20. Jahrhundert die Steuerung von Energieerzeugungsanlagen , Netzen und Betriebsprozessen von unterschiedlichen IT-Systemen flankiert. Folgerichtig drängt sich die Frage auf, ob die Digitalisierung wirklich eine fundamentale Neuerung in der Energiewirtschaft darstellt oder ob es sich hierbei lediglich um den sprichwörtlichen alten Wein in neuen Schläuchen handelt?

    Mit der Aufzählung der Digitalisierungstreiber im vorigen Abschnitt wurde bereits offenkundig, dass sich Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke heutzutage einem Konvolut höchst unterschiedlicher und mitunter divergenter Herausforderungen stellen müssen. Eine Situation, die mit analogen Prozessen und isolierten Inselanwendungen entlang der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung kaum noch beherrschbar ist. Als Reaktion auf die zunehmend schwierigeren Rahmenbedingungen steht die Branche damit heute inmitten eines weitreichenden Veränderungsprozesses mit erheblich gestiegener Bedeutung digitaler Technologien für eine progressive Energieversorgung. Angesichts einer anwachsenden Bedeutung technischer Entwicklungen, wie beispielsweise Big Data , Smart Data , Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), Konnektivität und Cloud Computing , geht das aktuelle Digitalisierungsphänomen deutlich über den Einsatz von Datenverarbeitungstechnologien früherer Jahrzehnte hinaus. Insofern handelt es sich bei der heutigen Digitalisierung der Energiewirtschaft keinesfalls um alte Ideen in neuer Verpackung, sondern gewissermaßen um neuen Wein in ebenso neuen Schläuchen.

    Vollständig digital statt analog beschreibt verkürzt, jedoch nicht weniger treffend, das neue Paradigma dieser sich an der Schwelle zur digitalen Energiewirtschaft befindlichen Industrie. Resultierend aus den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den daraus abgeleiteten Herausforderungen für Stadtwerke und Co. bereitet dieser fundamentale Paradigmenwechsel den Boden für die digitale Energiewelt von morgen. Weitergedacht können damit unmittelbar zehn grundsätzliche Thesen zur digitalen Transformation der Energiewirtschaft wie folgt formuliert werden:

    Thesen zur digitalen Transformation

    1.

    Digitalisierung ist der zentrale Innovationstreiber unserer Zeit. Die digitale Transformation lässt im Energiesystem von morgen keinen Stein auf dem anderen.

    2.

    Perspektivisch wird in der Energiewirtschaft digitalisiert, was sich sinnvoll digitalisieren lässt.

    3.

    Früher oder später wird auch im Energiesystem vernetzt, was sich technisch vernetzen lässt.

    4.

    Alle energiewirtschaftlichen Abläufe, die sich automatisieren lassen, werden über kurz oder lang auch automatisiert.

    5.

    Der Zugang zum Letztverbraucher und besonders zu dessen Daten entscheidet über den Erfolg eines Geschäftsmodells . Schließlich gelten Daten als Treibstoff der Digitalisierung schlechthin.

    6.

    The winner takes it all: Anbieter, die am schnellsten die meisten Nutzer von ihrer Plattform überzeugen, gewinnen häufig den Markt.

    7.

    Stand out from the crowd: Versorgungsunternehmen überleben in der digitalen Welt, wenn sie sich von der Masse durch exzellenten Service etc. abheben.

    8.

    Versorgungsunternehmen ohne klare Digitalisierungsstrategie droht mittelfristig der Verlust ihrer „Spielberechtigung" im Energiesektor.

    9.

    In der smarten Energiewelt sind Datenschutz und Cyber Security von vitaler Bedeutung.

    10.

    Digitalisierung bedeutet nicht allein die Einführung neuer Technologien , sondern vor allem auch die Schaffung einer digitalisierungsfreundlichen Unternehmenskultur . Entscheidend sind die unternehmensweite Bereitschaft und der prinzipielle Wille zur Veränderung!¹¹

    Diese zehn Thesen fungieren wie Leitplanken, innerhalb derer sich das Gesicht des Energiesektors gegenwärtig bereits zu verändern beginnt. Erinnern wir uns an dieser Stelle abermals an das Eingangsbild des fernen Digitalien . Die Koffer für die Reise sind mit den konzeptionellen Grundlagen aus Abschn. 1.1.1 präpariert. Jetzt geben die Thesen zur digitalen Transformation der Energiewirtschaft dem Digitalienreisenden einen überaus pragmatischen, leicht verständlichen Orientierungsrahmen an die Hand. So helfen sie bei der Identifikation relevanter Handlungsfelder oder Ansatzpunkte von Digitalinitiativen, wie sie in Abschn. 1.2.2 dieses Einführungskapitels vorgestellt werden. Schließlich helfen die Thesen bei der später in Abschn. 1.4.1 thematisierten Feststellung des konkreten Handlungsbedarfs innovativer Akteure der Energiewirtschaft.

    1.2 Was soll sein? – Es lohnt, am Zielbild zu arbeiten

    Auch in Digitalien gilt, dass wer kein Ziel hat, überall hinkommt – nur nicht unbedingt dorthin, wohin er ursprünglich eigentlich wollte. Dementsprechend kommt der profunden Kenntnis aller mit Digitalisierungsinitiativen verfolgten Ziele eine herausragende Bedeutung zu. „Die Formulierung von Zielen schafft Orientierung. Unter einem Ziel wird allgemein ein in der Zukunft liegender Zustand verstanden, der erstrebenswert und prinzipiell erreichbar ist."¹²

    Ein attraktives Zielbild schafft Orientierung und stellt damit bereits einen Wert an sich dar. Denn nur wenn Unternehmen eine genaue Vorstellung – ein Bild – von ihrer Zukunft zu formulieren imstande sind, können sie auch nutzbringende Impulse nach innen und außen gleichermaßen geben.

    Definition 4: Zielbild

    Unter einem Zielbild wird ein Set zukunftsgerichteter Festlegungen verstanden, die bis zu einem definierten Zeitpunkt in der Zukunft erreicht werden sollen. Zu jedem Zielbild gehören zwingend mess- und nachprüfbare Kenngrößen, die eine transparente Kontrolle der Zielerreichung ermöglichen. Ein Zielbild ist im Gegensatz zum normativ wirkenden Leitbild prozess- und maßnahmenorientiert mit temporärer Ausrichtung. Damit ist die Gültigkeit von Zielbildern von vornherein zeitlich befristet. Zielbilder werden in regelmäßigen Abständen oder im Falle wesentlicher Veränderungen systematisch hinterfragt.

    Die Zielbildentwicklung erfolgt in den meisten Fällen initial durch die Definition der Unternehmensziele durch das Topmanagement. Neben den eigentlichen Zielen werden zu diesem frühen Zeitpunkt die Kriterien zur Erfolgsmessung festgelegt. Damit verbunden wird seitens der Unternehmensführung ein klarer Auftrag an die Organisationsmitglieder formuliert, sich aktiv an der Zielerreichung zu beteiligen.¹³

    Beinhalten die zukunftsgerichteten Festlegungen neben allgemeinen Zielsetzungen zusätzlich Inhalte, deren Grundlage Daten, digitale Technologien und Schnittstellen sind, so handelt es sich um das erweiterte, digitale Zielbild einer Organisation. Dieser digitale Orientierungsrahmen hilft allen Beteiligten, den roten Faden bei der digitalen Transformation des gesamten Unternehmens einerseits oder der Entwicklung konkreter digitaler Geschäftsmodelle andererseits nicht zu verlieren.

    Auf den Folgeseiten wird dargelegt, wie ein digitales Zielbild für Energieunternehmen entsteht. Dazu wird einleitend in Abschn. 1.2.1 zunächst die grundlegende unternehmerische Motivation zur digitalen Veränderung thematisiert. Anschließend erfolgt mit der Beschreibung relevanter Handlungsfelder in Abschn. 1.2.2 die Untersuchung des aus Sicht von Branchenakteuren tatsächlich verfügbaren Wirkungsfelds. Darauf aufbauend werden in Abschn. 1.2.3 das generische und schließlich in Abschn. 1.2.4 das handlungsorientierte Zielbild konkretisiert.

    1.2.1 Digitalisierung ohne unternehmerische Motivation ist wie Segeln ohne Kompass

    Worin besteht die unternehmerische Motivation zur digitalen Veränderung? Mit dieser nur auf den ersten Blick banalen Fragestellung sollte die Entwicklung eines Zielbilds grundsätzlich starten. Immerhin fungiert der Motivationsaspekt ähnlich einem Kompass bei der späteren Formulierung des digitalen Zielbilds. Mit anderen Worten, eine gute Kenntnis der unternehmerischen Motivation verschafft wertvolle Orientierung bei der Zielfindung.

    Die Empfehlung liegt somit nahe, dass die Formulierung des digitalen Zielbilds möglichst in Kenntnis und Abhängigkeit von der unternehmerischen Motivation zur digitalen Veränderung erfolgen sollte. Idealerweise liegt im Falle der identifizierten Motivationslage nicht allein ein simpler Reflex auf einen wettbewerblichen Impuls vor, sondern vielmehr eine breite Bestandsaufnahme der Chancen und Risiken unter Berücksichtigung erfolgskritischer Faktoren wie z. B. Markt, Wettbewerb, Kundenstruktur und branchentypischer Technisierungsgrad.¹⁴

    Praxistipp

    Zur systematischen Identifikation der Motivation zur digitalen Veränderung seien moderierte Workshops empfohlen. Diese sollen die elementare Frage beantworten, warum das eigene Geschäft digitalisiert werden soll oder muss.

    Es existieren in der energiewirtschaftlichen Praxis gegenwärtig zahlreiche Gründe, warum das Management das eigene Geschäft umfassend digitalisieren sollte. Als Motivationsgründe wären u. a. die Beherrschung einer stetig wachsenden Datenflut, eine algorithmenbasierte Reduzierung von Spannungsänderungen im Netz , die Fähigkeit zur stabilen Steuerung einer großen Zahl dezentraler Erzeugungsanlagen samt Sicherstellung bidirektionaler Kommunikation sowie der Wille zu Kosteneinsparungen durch eine weitgehend digitalisierte Prozesslandschaft vorstellbar.

    1.2.2 Relevante Handlungsfelder beim Übergang von analog zu digital

    Aus der Kenntnis, worin die Motivation zur digitalen Veränderung besteht, kann allerdings allein noch kein valides Zielbild abgeleitet werden. Es bedarf ergänzend eines Zwischenschritts, nämlich der Bestimmung und Eingrenzung der für die intendierte Digitalisierungsinitiative jeweils relevanten Handlungsfelder. Damit wird die Frage nach dem Wo, also den situationsabhängig denkbaren Ansatzpunkten der Digitalisierung beantwortet. Bildlich gesprochen bedeutet dies, dass noch vor der Konkretisierung des Zielbilds zunächst dessen Spielwiese abgesteckt werden muss. Dank detaillierter Beschreibung aller für den Übergang von analog zu digital bedeutsamen Rahmenparametern wird gleichsam ein Gestaltungsraum aufgespannt, innerhalb dessen das gesuchte digitale Zielbild entstehen und wirken kann.

    Praxistipp

    Die Festlegung relevanter Handlungsfelder beginnt mit deren Identifizierung und Eingrenzung. Im anschließenden zweiten Schritt werden diese Anwendungsfelder kriteriengestützt bewertet und ihrer Relevanz entsprechend vorläufig priorisiert. Schließlich lassen sich auf Basis zuvor sondierter Handlungsfelder in einem dritten Schritt die genaueren Ausprägungen des Zielbilds ableiten.

    Abhängig vom situativen Kontext und den jeweils geltenden Rahmenbedingungen, unter denen Digitalisierungsinitiativen gestartet werden, ergeben sich zum Teil höchst unterschiedliche Ansatzpunkte für das Design eines tauglichen Zielbilds . Wenngleich das Leitthema Digitalisierung selbstredend einer technischen Domäne entspringt, wurde bereits bei der Formulierung der Konturen eines Leitbilds in Abschn. 1.1.1 auf die Feststellung Wert gelegt, dass es sich bei der Digitalisierung der Energiewirtschaft nicht um eine primär technische Angelegenheit handelt. „Digitalisierungsvorhaben gehen über den Einsatz von digitalen Technologien hinaus und sind das Resultat einer Analyse der Umwelt, der Identifikation von Handlungsmöglichkeiten und der davon abgeleiteten Auswirkungen auf die unterschiedlichen Bereiche eines Unternehmens."¹⁵ Infolgedessen sind sowohl technisch als auch betriebswirtschaftlich orientierte Handlungsfelder tangiert. Im Fokus energiewirtschaftlicher Digitalisierungsvorhaben stehen damit insgesamt zehn wettbewerbsrelevante Handlungsfelder unterschiedlicher Ausprägung, die abhängig von ihrer Ausgestaltung bei der digitalen Transformation über den unternehmerischen Erfolg entscheiden:

    Handlungsfeld Strategie ,

    Handlungsfeld Führung und Kultur ,

    Handlungsfeld Kundenorientierung ,

    Handlungsfeld digitale Geschäftsmodelle ,

    Handlungsfeld Prozessdigitalisierung,

    Handlungsfeld Aufbauorganisation und Infrastruktur ,

    Handlungsfeld digitale Basistechnologien ,

    Handlungsfeld Innovation ,

    Handlungsfeld digitale Kompetenz,

    Handlungsfeld Partner und Kooperationen .

    Nach der Identifikation der Motivationslage im Vorabschnitt und basierend auf der soeben erfolgten Eingrenzung der relevanten Handlungsfelder wird nachfolgend ein Zielbild der Digitalisierung in zwei Stufen konkretisiert.

    1.2.3 Agenda für die Digitalisierung – das neue Selbstverständnis als generisches Zielbild

    In diesem Beitrag erfolgt, wie zuvor angedeutet, die Bildung des digitalen Zielbilds in zwei aufeinander aufbauenden Stufen. Zunächst wird dem Leser in diesem Abschnitt die Idee eines prinzipiellen, allgemeingültigen Zielbilds für digitale Energieversorgungsunternehmen und deren Leistungen vorgestellt. Dieses generische Zielbild wird im unmittelbar anschließenden Abschn. 1.2.4 in einen handlungsorientierten Kontext eingebettet. Anders ausgedrückt wird aus dem generischen schließlich das situativ gültige Zielbild eines definierten Digitalisierungsvorhabens.

    Die Energiewirtschaft befindet sich längst auf dem Weg nach Digitalien . Der digitale Wandel der Branche ist zweifelsohne Fakt und lässt sich auch nicht mehr umkehren. Mit „vollständig digital statt analog" wurde in Abschn. 1.1.3 der fundamentale Paradigmenwechsel auf dem Weg zur digitalen Energiewirtschaft bereits thematisiert. Zu diesem Wandel bedarf es allerdings einer Agenda, sprich eines roten Fadens für die Digitalisierung. Dieser rote Faden verschafft den nach wie vor verunsicherten Akteuren der Energiebranche Orientierung auf dem Weg ihres Unternehmens in die digitale Energiewelt von morgen.

    Wenn Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke in der digitalen Energiewirtschaft nicht nur irgendwie überleben, sondern auch weiterhin prosperieren wollen, dann müssen sie zuallererst das eigene digitale Bewusstsein stärken und ihr gelebtes Selbstverständnis schonungslos auf den Prüfstand stellen. Dem Selbstverständnis fällt bei der Entwicklung des generischen Zielbilds übrigens die zentrale Rolle zu. Es gleicht einer Handlungsmaxime, die – konsequent umgesetzt – Energieunternehmen den Weg weist, wie sie aus Daten Werte schöpfen und darüber die eigene Position gegenüber ursprünglich branchenfremden Wettbewerbern sowie digitalen Newcomern verteidigen können.

    Das generische Zielbild ehemals klassischer Versorgungsunternehmen wird mehr und mehr durch ein an den geänderten Rahmenbedingungen des Energiesektors orientierten Selbstverständnisses ehemals klassischer Versorgungsunternehmen bestimmt. Die Ausführungen des Abschn. 1.4.3 vorbereitend, wird nun der für das weitere Einführungskapitel konstitutive Utility-Begriff bereits vorweggenommen.

    Utilities als digitale Technologieunternehmen: Digitale Technologien erfahren ähnlich der Situation in anderen Branchen auch im von jeher technikdominierten Energiesektor einen signifikanten Bedeutungszuwachs. Daten avancieren mehr und mehr zur Grundlage energiewirtschaftlicher Geschäftsmodelle und Betriebsprozesse , sodass sich klassische Energieversorger zu digitalen Technologieunternehmen entwickeln.

    Utilities als technologieaffine Innovatoren: In schwierigen, von Dynamik geprägten Marktumfeldern kommt dem Innovationsmanagement bei der Zukunftssicherung eine zentrale Bedeutung zu. Bezogen auf die Energiewirtschaft bedeutet dies, dass nur die Fähigkeit zur Prozess- und Technologieinnovation den Übergang von analog geprägter hin zur digitalen Wirtschaft sicherstellt. Daher müssen sich traditionelle Versorger perspektivisch zu technologieaffinen Innovatoren weiterentwickeln.

    Utilities als kundenorientierte Serviceanbieter: Infolge wachsender Verfügbarkeit leistungsfähiger Vergleichsportale , des vermehrten Auftretens datenbasierter Mehrwertlösungen und vielem mehr werden aus klassischen Letztverbrauchern früherer Tage umworbene Kunden von heute. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieses diametral geänderten Kundenverständnisses der herkömmliche Commodity-Vertrieb der erforderlichen Komfortorientierung vor dem Hintergrund insgesamt geänderten Kundenverhaltens nicht mehr gerecht wird. Wenn also Kundennähe und Serviceorientierung immer mehr zur Maxime des Energiesektors avancieren, dann müssen sich Versorger zu kundenorientierten Serviceanbietern transformieren.

    Utilities als regionale Wertschöpfungspartner: Gemeinhin erfolgt die physische Versorgung mit Strom, Gas, Wärme und Wasser mithilfe ortsnaher Versorgungssysteme – ein simpler Zusammenhang, der in den vergangenen Jahrzehnten etablierten Versorgern einen sicheren Kundenzugang und infolgedessen einen natürlichen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Obgleich jüngst die Bedeutung der unidirektionalen Versorgung zugunsten der Bereitstellung neuer Energiedienstleistungen und des Betriebs komplexer Energiesysteme abzunehmen scheint, dürfte auch in Zukunft die räumliche Nähe zum Kunden als ein Wettbewerbsvorteil regionaler Anbieter erhalten bleiben. Dies umso mehr, als beispielsweise die seit der Energiewende ausgeprägte Tendenz zur Dezentralisierung der Energieversorgung diesem Vorteil zusätzliche Bedeutung verleiht. Energieunternehmen, die dem Idealbild regionaler Wertschöpfungspartner entsprechen, vereinen optimal regionale Stärke und Kundennähe mit digitaler Kompetenz.

    Utilities als virtuose Social-Media-Anwender: Im digitalen Zeitalter erwarten Kunden auch von Versorgungsunternehmen kurze Reaktionszeiten bei gleichzeitig umfassender Auskunftsfähigkeit und dies möglichst rund um die Uhr. Das Social-Media-Angebot muss den gewachsenen Kundenerwartungen genügen, sie im Idealfall sogar übertreffen. Für Stadtwerke und Co. bedeutet die Zielsetzung, virtuose Social-Media-Anwender sein zu wollen, dass sich alle Kommunikationsmedien wie Website , Portal , Foren, Instant Messaging bis hin zum Online-Shop durch leichte Navigation, intuitive Bedienung und mobile Nutzbarkeit auszeichnen müssen.

    Utilities als verantwortlich handelnde Teile der Gesellschaft: Vor dem Hintergrund eines hohen Maßes an Sensibilisierung weiter Teile der Bevölkerung für Umwelt- und Gesellschaftsfragen erwarten heutige Kunden von Energieversorgungsunternehmen vielerorts ein am Gemeinwohl und an übergeordneten Nachhaltigkeitserwägungen orientiertes ethisches Handeln. Gelebte Verantwortung für Gesellschaft, Umwelt und Zukunft ist dabei keinesfalls Selbstzweck. Vielmehr resultieren aus verantwortlichem Handeln neben guten Beziehungen zum Kunden die Vermeidung geschäftsschädigender Skandale und nicht zuletzt auch der verkaufsfördernde Anstieg der öffentlichen Reputation des betroffenen Versorgungsunternehmens.

    Aus der situativen Ausgestaltung vorgenannter sechs Sichten des Selbstverständnisses digitaler Energieversorgungsunternehmen und deren anschließender Kombination zu einem holistischen Gesamtbild entsteht schließlich das gesuchte generische Zielbild einer Digitalisierungsinitiative.

    1.2.4 Handlungsorientiertes Zielbild für Versorgungsunternehmen

    Nun gilt es, das gefundene generische Zielbild in einen entscheidungsfähigen und handlungsorientierten Kontext einzubetten. Damit wird die Frage beantwortet, wohin sich ein Energieversorgungsunternehmen oder eine digitale Initiative konkret entwickeln soll. Die praktische Ausdifferenzierung des handlungsorientierten Zielbilds erfolgt idealtypisch in drei Schritten, die nachfolgend vorgestellt werden.

    1.2.4.1 Schritt 1: Bewertung und Priorisierung identifizierter Handlungsfelder

    Die Synthese des handlungsorientierten Zielbilds beginnt mit der Bewertung und anschließenden Priorisierung der vorab identifizierten allgemeinen Handlungsfelder oder Ansatzpunkte der intendierten Digitalisierungsinitiative. Aufsetzend auf die in Abschn. 1.2.2 erfolgte Bestimmung und Eingrenzung relevanter Handlungsfelder ist der verfügbare Gestaltungsrahmen für das gesuchte Zielbild bereits vollumfänglich definiert.

    Was hat nun zu geschehen, um ein aussagefähiges Zielbild aus der Spielwiese mannigfaltiger Möglichkeiten ableiten zu können? Der Bewertungsprozess beginnt mit der Evaluation der identifizierten Ansatzpunkte für das jeweilige Digitalisierungsvorhaben gemessen anhand der Kategorie des individuellen Mehrwerts . Bei dieser Zuhilfenahme des Kriteriums Mehrwert steht die Frage im Zentrum, welchen positiven Beitrag oder messbaren Nutzen die gefundenen Ausprägungen der Handlungsfelder beim Übergang von analog zu digital leisten. Das Hauptkriterium des Mehrwerts für das Ziel der Digitalisierung kann optional um das Zweitkriterium der Verfügbarkeit erforderlicher Daten ergänzt werden. Bei dieser Bewertung auf Basis des Verfügbarkeitskriteriums ist besonders darauf zu achten, dass der Auditor zwischen momentaner und absehbarer Verfügbarkeit von Informationen realistisch und ohne Beschönigung unterscheidet. Ergebnis dieses ersten Schritts zur Ausdifferenzierung des handlungsorientierten Zielbilds ist demnach ein Set priorisierter Aspekte, die für Digitalisierungsvorhaben von Bedeutung sind.

    1.2.4.2 Schritt 2: Abgleich wertschöpfungsstufentypischer Referenzziele

    Im zweiten Schritt auf dem Weg zum konkreten Zielbild für Energieunternehmen werden zuerst die für jede energiewirtschaftliche Wertschöpfungsstufe typischen Ziele identifiziert. Anschließend erfolgt die Prüfung dieser Referenzziele auf Relevanz für und Übertragbarkeit auf den realen Anwendungsfall. Diese Prüfung geschieht, indem die Referenzziele anhand des individuellen Grads der Übereinstimmung mit dem in Abschn. 1.2.3 entwickelten generischen Zielbild bewertet werden. Dieser Abgleichprozess ähnelt in gewisser Weise den aus dem Personalwesen bekannten Cafeteria-Vergütungsmodellen, bei denen Mitarbeitern individuelle Wahlmöglichkeiten im Bereich der Kompensationsleistungen eingeräumt werden. Diesem Cafeteria-Ansatz entsprechend werden all diejenigen wertschöpfungsstufentypischen Referenzziele ausgewählt, die situationsbedingt sinnvoll erscheinen. Als Ergebnis erhält der Anwender schließlich ein Set relevanter Referenzziele, die Orientierung bei der späteren Formulierung des handlungsorientierten Zielbilds stiften.

    Nachfolgend wird eine konzentrierte Auswahl exemplarischer Referenzziele vorgestellt. Dabei erheben die nach energiewirtschaftlichen Wertschöpfungsstufen differenzierten Aufzählungen keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. Der interessierte Leser wird die nachstehend vorgeschlagenen Ziele leicht um weitere aus seinem eigenen Umfeld ergänzen können.

    Referenzziele Erzeugung und Speicher

    Mögliche Referenzziele im Bereich der Erzeugung und Speicherung von Energie sind:

    Sicherstellen eines stabilen Energieangebots durch datenbasierte Optimierung der Kraftwerksauslastung und ladezyklenoptimierte Energiespeicherung

    Bereitstellung verlässlicher Erzeugungsprognosen auf Basis von Wetterdaten und Sensorinformationen

    Einsatz von Algorithmen zur flexiblen Steuerung dezentraler Erzeugungsanlagen und virtueller Kraftwerksverbünde (virtuelle Kraftwerke ) in Echtzeit

    Automatisiertes Asset-Management und effiziente Zustandsüberwachung auf Basis digitaler Steuersignale

    Frühzeitige Fehlererkennung und vorausschauende Wartung („predictive maintenance" ) durch den Einsatz datenanalytischer Verfahren

    Senkung der Betriebskosten dank Prozessdigitalisierung und algorithmenbasiertem Risikomanagement

    Referenzziele Handel

    Denkbare Ziele im Kontext Energiehandel sind:

    Hohe Preistransparenz im Energiemarkt dank jederzeit verfügbarer Handelsdaten und valider Smart-Data-Analysen

    Verbesserte Entscheidungsbasis für Akteure des Smart Market durch präzise, datenbasierte Preisprognosen

    Fähigkeit zur ultraschnellen Reaktionsfähigkeit von Echtzeithandelssystemen

    Sicherstellung des voll automatisierten Hochfrequenzhandels (HFT) und datenbasierten Intraday-Handels (Trading)

    Bereitstellung hocheffizienter Handelsplattformen (lokal oder überregional) für geringe bis große Energiemengen auf Basis datenanalytischer Verfahren

    Senkung der Betriebskosten durch Reduzierung von Personalkosten dank weitgehend automatisiertem Computerhandel

    Referenzziele Transport und Verteilung

    Exemplarische Referenzziele im Bereich des Transports und der Verteilung von Energie sind:

    Sicherstellen von Netzstabilität trotz ausgeprägter Volatilität erneuerbarer Energien mithilfe algorithmenbasierter Netzsteuerung

    Verlässliche Integration von Prognose-, Zustands- und Störungsdaten zur Verbesserung von Netzanalyse und -management

    Automatisiertes Asset-Management und effiziente Zustandsüberwachung auf Basis digitaler Steuersignale

    Unterstützung der Netzplanung auf Basis von Auslastungsdaten der Netzbetriebsmittel mithilfe datenanalytischer Verfahren

    Frühzeitige Fehlererkennung und vorausschauende Wartung („predictive maintenance") der Netzinfrastruktur durch den Einsatz datenanalytischer Verfahren

    Senkung der Personalkosten durch datenbasierte Teilautomation der Netzsteuerung

    Referenzziele Lieferung und Vertrieb

    Die Referenzziele der Wertschöpfungsstufe Lieferung und Vertrieb sind:

    Innovative Omni-Channel-Kommunikation und individualisierte Kundenbetreuung unter Einsatz datentechnologischer Innovationen

    Verlässliche Präqualifizierung neuer Produkte und Leistungen durch vorgelagerte, digitale Eignungsprüfung

    Preissignale geben Energielieferanten digital an ihre Kunden weiter und ermöglichen damit algorithmenbasierte, dynamische Tarifmodelle

    Verkürzte „Time to Market" durch effiziente Innovationsprozesse und dem Einsatz digitaler Technologien zu Innovationszwecken

    Möglichkeit zum schnellen und flexiblen Wechsel des Energieversorgers dank automatisierter Betriebsprozesse

    Senkung der Betriebskosten im Kundenservice u. a. durch den Einsatz digitaler Instrumente wie beispielsweise Self-Service-Plattformen oder Chatbots

    Referenzziele Messen und Steuern

    Mögliche Ziele des Bereichs Messen und Steuern sind:

    Die Abrechnungserstellung erfolgt nahezu in Echtzeit und kann vom Kunden online eingesehen sowie nachverfolgt werden.

    Effizienzgewinn im Messwesen durch automatisierte Fernablesung, digitales Gateway-Management und leistungsfähige Backend-Systeme

    Nutzung der verfügbaren Messdaten als Basis für digitales Energiedatenmanagement und innovative Mehrwertdienste

    Automatisierung von Sicherheits- und Steuerungsabläufen (Digitale Leitstelle)

    Entlastung des Forderungsmanagements durch den Einsatz von Prepaid-Zählern

    Senkung der Ablesekosten durch den Einsatz von Smart Metering und Smart Submetering

    Referenzziele Energiedienstleistung und sonstige Geschäftsfelder

    Exemplarische Referenzziele im Kontext Energiedienstleistung (EDL) und sonstiger Geschäftsfelder sind:

    Fähigkeit zur Bereitstellung datenbasierter Energiedienstleistungen

    Angebot moderner algorithmenbasierter Plattformangebote für gewerbliche und private Kunden

    Aggregation und Optimierung von Erzeugungsportfolios verschiedener Marktakteure

    Vollautomatische Integration dezentraler Erzeugungs- und Speicherressourcen zur Steuerung lokaler Kundenanlagen

    Digitale Aufbereitung und Bereitstellung von Verbrauchswerten aus dem Kundenbereich für optimalen Energieberatungsservice

    Unterstützung innovativer Geschäftsmodelle im Kontext Smart City , Smart Home , E-Mobilität etc.

    Referenzziele Kunde und Prosumer

    Denkbare Zielsetzungen von Energieversorgungsunternehmen bezüglich Kunden oder Prosumer¹⁶ sind:

    Den Zugang zu den sich partiell selbstversorgenden Prosumern über Zusatzleistungen sichern

    Kunden und Prosumern Services anbieten, durch die sie bequem das eigene Verbrauchs- und Erzeugungsverhalten einsehen, analysieren und überwachen können

    Erweiterte Smart-Home-Services bereitstellen, die einen echten Mehrwert auf Kundenseite beinhalten und so die Kundenbindung signifikant erhöhen können

    Energiegenossenschaften digitale Leistungen und Services aus einer Hand anbieten

    Bereitstellung von Kunden-Self-Service-Portalen durch Verlagerung von Prozessaufwänden zum Kunden zur Senkung der Betriebskosten aufseiten des Versorgungsunternehmens

    1.2.4.3 Schritt 3: Ausdifferenzierung des generischen Zielbilds

    Im letzten dritten Schritt wird schließlich das tatsächliche oder besser gesagt handlungsorientierte Zielbild formuliert. Es resultiert aus einem einfachen Abgleich der für die jeweilige Digitalisierungsinitiative relevanten Referenzziele aus dem zweiten Schritt mit den im ersten Schritt zuvor identifizierten und priorisierten Handlungsfeldern. Anders ausgedrückt resultiert aus der Gegenüberstellung von situationsabhängig typischen Zielen und relevanten Handlungsfeldern das gesuchte handlungsorientierte Zielbild .

    Bei der Formulierung des handlungsorientierten Zielbilds können folgende Leitfragen hilfreich sein:

    Wie ist der verfügbare Gestaltungsrahmen für das Zielbild definiert?

    Welche Handlungsfelder sind in welcher Ausprägung für das Zielbild von Bedeutung?

    Welche der identifizierten Referenzziele sind für das Digitalisierungsvorhaben relevant?

    Welche dieser typischen Ziele sollen adaptiert auch im konkreten Fall umgesetzt werden?

    Sollen digitale Kompetenzen intern aufgebaut oder extern bezogen werden?

    Wird unsere Organisation in Zukunft weiterhin Kilowattstunden Elektrizität oder Kubikmeter Gas verkaufen?

    Nach dem erfolgreichen Durchlaufen vorgenannter drei Schritte ist das essenzielle Zielbild der jeweils betroffenen Digitalisierungsinitiative abschließend definiert.

    1.3 Kritische Erfolgsfaktoren einer digitalisierten Energiewelt

    Womit kann Erfolg in der digitalen Energiewelt erlangt werden? Diese zentrale Frage nach den wesentlichen Faktoren, die den Erfolg von Unternehmen im Allgemeinen und innovativen Digitalisierungsvorhaben im Speziellen maßgeblich beeinflussen, soll nun beantwortet werden. Es wird ein Bündel exemplarischer Aspekte vorgestellt, auf die es bei der Digitalisierung ankommt. Die Konzentration auf diejenigen Elemente, die als kritische Erfolgsfaktoren (KEF) besonders ausschlaggebend für den Erfolg von Digitalisierungsinitiativen sind, erhöht durch Vermeidung der Fehlallokation knapper Ressourcen die Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Handelns.

    In diesem Text wird zwischen branchenspezifischen einerseits und unternehmensspezifischen Erfolgsfaktoren andererseits unterschieden. Während die branchenspezifischen Faktoren allesamt externen Umfeldaspekten oder Branchentrends entspringen, repräsentieren die unternehmensspezifischen Erfolgsfaktoren organisationsinterne Aspekte. Die vorgeschlagene Systematik der kritischen Erfolgsfaktoren wird in Tab. 1.1 detailliert.

    Tab. 1.1

    Kritische Erfolgsfaktoren (KEF) der digitalen Energiewelt

    1.3.1 Branchenspezifische Erfolgsfaktoren der Digitalisierung

    Die branchenspezifischen Erfolgsfaktoren der Digitalisierung leiten sich von den Branchentrends Kundenorientierung, Dienstleistungsmentalität, Technologiefokus und Innovationsausrichtung ab.

    1.3.1.1 Kundenorientierung

    Kunden wollen keinen Strom, sie wollen „Dinge tun können". Obgleich dieses Postulat beinahe beliebig erscheint, birgt es doch eine gewisse Sprengkraft für die klassische Energiewirtschaft. Wenn heutige Kunden demzufolge kein echtes Interesse an einer Kilowattstunde Elektrizität oder einem Kubikmeter Gas aufbringen, dann droht die bis in die Gegenwart vielerorts immer noch dominante Form der unidirektionalen Versorgung mit Strom, Gas und Wärme perspektivisch in eine Sackgasse zu geraten. Denn Kunden, die sich nicht ernsthaft für die Energielieferung als solche interessieren, erwarten von ihrem Versorger innovative Lösungen rund um die zeitgemäße Energieversorgung sowie exzellenten Service. Damit wächst jedoch der Druck auf traditionelle Energieversorgungsunternehmen spürbar, das bestehende Geschäftsmodell zu überdenken und sich gleichzeitig der gewachsenen Erwartungshaltung ihrer Klientel durch praktizierte Kundenorientierung bestmöglich anzunehmen – ein Mechanismus, der zeigt, dass die klare Fokussierung auf den digitalen Kunden für Akteure der Energiewirtschaft inzwischen erfolgsrelevant ist.

    Kundenorientierung heißt, ein relevantes Kundenproblem zu lösen. Im Zeitalter der Digitalisierung müssen Energieversorgungsunternehmen ihren digitalen Kunden wirklich kennen, um dessen konkrete Probleme nachhaltig lösen oder ein nachfrageadäquates Leistungsangebot offerieren zu können. Wie Abb. 1.2 illustriert, treiben das Wesen , die Bedürfnisse und die Loyalitätsfaktoren digitaler Kunden in ihrer Gesamtheit die praktische Ausgestaltung der Kundenorientierung.

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    Abb. 1.2

    Bedürfnisse und Loyalitätsfaktoren treiben Kundenorientierung

    Wesen moderner Kunden

    Kunde ist nicht gleich Kunde. Dies gilt besonders für die Unterschiede zwischen Privat- und Geschäftskunden , deren Situation trotz einiger Ähnlichkeiten dennoch nicht deckungsgleich ist. Während sich Privatkunden insbesondere durch erhöhte Wechselbereitschaft, geändertes Sozialverhalten, allgemein gestiegene Erwartungen und wachsendes Selbstbewusstsein gegenüber ihrem Versorger auszeichnen, liegt der Schwerpunkt von Geschäftskunden auf Wesensmerkmalen wie Effizienzorientierung, Kosten- und Zeitsensibilität.

    Die Frage nach dem Wesen moderner Kunden in der Energiewirtschaft – egal ob Privat- oder Geschäftskunden – ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Gestaltung des Leistungsangebots von Versorgungsunternehmen. Immerhin determinieren die wesentlichen Charakterzüge moderner Kunden unmittelbar deren Bedürfnisse und damit schlussendlich deren konkrete Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen.

    Bedürfnisse digitaler Kunden

    Weil am Ende jeder Wertschöpfung stets B2C - oder B2B-Kunden stehen, muss auch das Leistungsangebot darauf ausgerichtet sein, deren Bedürfnisse optimal zu erfüllen.¹⁷ Heute weckt vornehmlich der dominante Trend der Digitalisierung über alle Kundengruppen hinweg neue Bedürfnisse. Frei nach dem Motto „der Appetit kommt beim Essen" werden durch digitale Entwicklungen geschürte Kundenbedürfnisse in dem Maße unternehmerische Entscheidungen beeinflussen, wie digitale Technologien mehr und mehr in das tägliche Leben der Menschen Einzug halten. Kunden, die praktisch erlebt haben, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, wollen in aller Regel mehr davon.

    Digitale Kunden suchen sich im Gegensatz zu früher heute online das beste Produkt zum günstigsten Preis. Sie sind de facto always-on, d. h. sie stehen mithilfe mobiler Endgeräte permanent mit dem Internet in Verbindung und teilen Grundüberzeugungen eines digitalen Lifestyles . Zu den wichtigsten Bedürfnissen dieses neuen Kundentypus zählen der Wunsch nach Komfort und einfache Bedienbarkeit, ein hohes Maß an Qualität und kurze Zugriffszeiten, Bereitstellung von Funktionalitäten in Echtzeit sowie die Gewährleistung von Datensicherheit und der Schutz der Privatsphäre.

    Loyalitätsfaktoren treiben Kundenorientierung

    Praktizierte Kundenorientierung bedeutet, dass die Befriedigung identifizierter Kundenbedürfnisse im Fokus steht. Ergänzend zur primären Bedürfnisbefriedigung existiert mit den Loyalitätsfaktoren jedoch noch eine weitere wichtige Einflussgröße unternehmerischer Entscheidungen in der Energiewelt. Es handelt sich dabei um Aspekte, die unmittelbar eine Bindung von Kunden an ein Unternehmen auslösen können. Die bekanntesten Loyalitätsfaktoren in der Energiebranche sind Preis und Abschlag, Informationsqualität, regionales Engagement, Produkte und Service.

    Es gilt, diese Kundenbindung auslösenden Aspekte seitens der Energieversorgungsunternehmen unbedingt zu beachten, da nur diese gemeinsam mit der Berücksichtigung der vorgenannten Kundenbedürfnisse echte Kundenbindung auf Dauer ermöglichen. Die erfolgskritische Gestaltung einer marktkonformen Customer Experience muss zwingend auf den Erkenntnissen der drei grundlegenden Parameter Wesen, Bedürfnisse und Loyalitätsfaktoren fußen. Der Autor dieses Beitrags ist davon überzeugt, dass ohne eindeutigen Kundenfokus dauerhafter Erfolg in der digitalen Energiewelt kaum vorstellbar ist.

    1.3.1.2 Dienstleistungsmentalität

    In der digitalen Energiewelt hängen authentische Kundenorientierung und ausgeprägte Dienstleistungsmentalität eng miteinander zusammen. Vor dem Hintergrund der von Versorgungsunternehmen verstärkt geforderten Kundenorientierung ist gelebte Dienstleistungsmentalität ein bedeutender Differenzierungs- und damit Erfolgsfaktor im zunehmend härteren Wettbewerb. Dabei wird unter Dienstleistungsmentalität eine Grundhaltung oder eben Mentalität verstanden, die vornehmlich durch ausgesprochene Kundenfreundlichkeit , kundenzentriertes Verhalten, Flexibilität und einen hohen Grad an Leistungsbereitschaft für den Kunden charakterisiert ist.

    Dienstleistungsmentalität rekurriert auf zahlreiche Kundenbedürfnisse . So befriedigt z. B. Service mit kurzen Reaktionszeiten das allgemeine Bedürfnis nach kurzen Zugriffszeiten auf Leistungen von Energieversorgungsunternehmen. „Kunden erwarten, bedingt durch die Erfahrungen aus anderen Branchen, sehr kurze Reaktionszeiten. Ein Großteil möchte sogar unter einer Stunde eine qualitative Antwort auf sein Anliegen erhalten."¹⁸ Auch die Sicherstellung von Rechenzentrumsbetrieb und Datenmanagement ausschließlich in Deutschland oder innerhalb von Europa ist eine Ausprägung gelebter Dienstleistungsmentalität, da sie dem erstarkenden Kundenbedürfnis nach Datensicherheit und individuellem Schutz der Privatsphäre entspricht. In diese Reihe ließen sich problemlos weitere Beispiele für praktizierte Dienstleistungsmentalität eingliedern.

    1.3.1.3 Technologiefokus

    Diejenigen Akteure verfügen in der Digitalökonomie gemeinhin über den besten Kundenzugang , die auch die Daten besitzen. Daraus folgt, dass die ein effizientes Datenmanagement ermöglichende Informations- und Kommunikationstechnologie gemeinhin als das Fundament der Digitalisierung gelten kann. Sie ist ohne Zweifel integraler Bestandteil der digitalen Energiewirtschaft. Dementsprechend fällt der ausgeprägten Kenntnis und intelligenten Anwendung moderner Daten- und Kommunikationstechnologien eine herausragende Rolle beim Übergang von analog zu digital zu. Aufgrund dieser grundsätzlichen Bedeutung für den Erfolg von Digitalisierungsvorhaben werden diese technischen Instrumente und Fähigkeiten nachfolgend als Basistechnologien bezeichnet. Aus der überlegten Kombination dieser Technologien ergeben sich für die Energiebranche gänzlich neue Anwendungsfelder und zukunftsweisende Geschäftsmodelle. Zu den einflussreichsten Basistechnologien der digitalen Energiewirtschaft zählen:

    Big Data , Smart Data , Data Science , Advanced Analytics ;

    Cloud Computing ;

    Blockchain und Smart Contracts ;

    Connectivity und Kommunikationstechnik, Mobile Computing , RFID , NFC ;

    Internet der Dinge (IdD), im Englischen Internet of Things (IoT) ;

    vernetzte Sensoren und Aktoren (Sensorik );

    Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) ;

    Cyber Security und Digital Trust (Datensicherheit).

    Angesichts der gerade aus Sicht von Digital Immigrants ¹⁹ hinter diesen Basistechnologien verborgenen technisch-inhaltlichen Wucht sollte sich das Management eines Energieunternehmens stets vergegenwärtigen, dass diese Technologien einzig Mittel zum Zweck sind. Sie sind als kritische Erfolgsfaktoren Enabler und keineswegs Bedarfsträger der Digitalisierung. Richtschnur beim Einsatz dieser Technologien sollte daher nicht die Frage nach der technischen Machbarkeit oder gar die spielerische Freude am Einsatz von Innovationen, sondern allein die strikte Orientierung am Kundennutzen sein.

    1.3.1.4 Innovationsausrichtung

    Innovation steht für Neues und ist für gewöhnlich positiv konnotiert. Sie ist Garant für Fortschritt, erhöht die Prozesseffizienz, ermöglicht neue Geschäftsmodelle und vieles mehr. In einer Zeit, in der die zunehmende Digitalisierung sowohl Tempo als auch Dynamik technischer wie gesellschaftlicher Entwicklungen massiv erhöht, fällt u. a. dem Aspekt der Innovationsfähigkeit von Organisationen eine zentrale Rolle bei der unternehmerischen Zukunftssicherung zu.

    Wie in nahezu allen Branchen ist heutzutage auch in der Energiewirtschaft die essenzielle Fähigkeit zur Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen mehr und mehr davon abhängig, ob es Energiekonzernen, Regionalversorgern und Stadtwerken gelingt, digitale Technologien in der geeigneten Art und Weise zu Innovationszwecken zu nutzen. In diesem Kontext hilft eine kompromisslose Innovationsausrichtung der Unternehmen – einerseits beim effizienten Einsatz digitaler Methoden und Instrumente in fundamentalen Innovationsprozessen , andererseits auch bei der inkrementellen Entwicklung neuer oder der Verbesserung bestehender Produkte. Überdies erscheint es gerechtfertigt, die konsequente Innovationsausrichtung als den wohl besten Schutz gegen das in Abschn. 1.1.1 definierte Phänomen der Disruption zu begreifen. Dem Aufkommen disruptiver Technologien oder Innovationen können Energieunternehmen nur begegnen, indem sie diesen Bedrohungen des eigenen Geschäftsmodells idealerweise eigene – wenn möglich disruptive – Innovationen entgegensetzen.

    1.3.2 Unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren der Digitalisierung

    Zu den unternehmensspezifischen Erfolgsfaktoren der Digitalisierung zählen Mitarbeiter und Führung, Prozessexzellenz, Komplexitätsbewältigung, Ganzheitlichkeit und Geschäftsmodellevolution. Diese werden nachfolgend in konzentrierter Form beschrieben.

    1.3.2.1 Mitarbeiter, Führung und Digitalkultur

    Es erscheint naheliegend, dass sich das Management am Beginn von Digitalisierungsinitiativen häufig zunächst mit der Digitalstrategie, den informations- und systemtechnischen Anforderungen, den Geschäftsprozessen und nicht zuletzt dem geplanten digitalen Angebot befasst. Was bei der Initiierung von Digitalisierungsvorhaben jedoch häufig zu geringe Beachtung erfährt oder sogar gänzlich vergessen wird, ist nicht weniger entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung. Es handelt sich um die kritischen Erfolgsfaktoren Mitarbeiter, Führung und Digitalkultur .

    Digitalprojekte werden von Energieunternehmen häufig mit viel Enthusiasmus geplant und begonnen, um in der anschließenden Umsetzung doch zu scheitern. Was ist in einem solchen Fall geschehen? Die Antwort auf diese Frage ist häufig erschreckend ernüchternd. Die betrieblichen Strukturen und Prozesse, die Unternehmenskultur und das Digitalwissen von Führungskräften und Mitarbeitern gleichermaßen entsprechen nicht den Anforderungen der digitalen Welt! Hinzu kommen in den Köpfen der Mitarbeiter existierende Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust und die daraus resultierenden – kaum offen sichtbaren – Widerstände gegen das Digitalprojekt.

    Nur mithilfe des Aufbaus belastbaren Digitalwissens auf allen Ebenen und der Etablierung einer digitalisierungsfreundlichen, aufgeschlossenen Unternehmenskultur , die Veränderungen begrüßt und Innovation fördert, kann die digitale Transformation gelingen. Allerdings ist die hier postulierte kulturelle Öffnung jedes einzelnen Mitarbeiters nur dann realistisch zu erwarten, wenn das Management den Mitarbeitern die Angst vor digitalisierungsbedingtem Arbeitsplatzverlust glaubhaft nehmen kann.

    1.3.2.2 Prozessexzellenz

    Die Betriebsprozesse in der Energiewirtschaft unterlagen in den letzten Jahren erheblichen Veränderungen. Vielerorts blieb in der Prozesslandschaft sprichwörtlich kein Stein auf dem anderen. Wesentliche Treiber sind neben den gesetzgeberischen und regulatorischen Vorgaben v. a. der digitale Fortschritt und ein durch Wettbewerbs- und Margendruck ausgelöster Optimierungsbedarf auch auf der Prozessebene.

    Wesentlicher Erfolgsfaktor und Antwort auf zahlreiche Herausforderungen des Energiesektors ist das Streben nach Prozessexzellenz . Prozesse gelten regelmäßig dann als exzellent, wenn diesen die Fähigkeit innewohnt, die mitunter konkurrierenden Aspekte Effektivität, Effizienz, Flexibilität, Innovation und Sicherheit weitgehend auszubalancieren. Diesen, in ihrer Kombination fraglos höchst anspruchsvollen Anforderungen an Exzellenz kann die Prozesslandschaft eines Unternehmens nur mithilfe weitgehender Digitalisierung der End-to-End-Prozesse genügen. Die wichtigsten Facetten dieser Prozessdigitalisierung sind:

    Effiziente Geschäftsprozesse der digitalen Energiewelt

    Systemprozesse als Enabler digitalen Erfolgs

    Funktionsfähige Wertschöpfungsnetzwerke und Plattformen

    Wie Abb. 1.3 illustriert, wirkt sich die Prozessdigitalisierung in der digitalen Energiewelt auf die gesamte energiewirtschaftliche Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis schließlich zum Kunden aus. Das Streben nach Prozessexzellenz lässt sich folglich anhand dieser drei wesentlichen Facetten der Prozessdigitalisierung konkretisieren.

    ../images/472223_1_De_1_Chapter/472223_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Prozessexzellenz konkretisiert sich in den Facetten der Prozessdigitalisierung

    1.3.2.3 Komplexitätsbewältigung

    Veränderungen und ihre zunehmende Dynamik, deutlich souveräner agierende Kunden, exorbitant zunehmendes Datenvolumen und die Forderung nach Informationsverarbeitung in Echtzeit erhöhen die Komplexität in nahezu allen Bereichen der Energiewirtschaft beträchtlich. Verstärkt durch den auf Veränderungsprozesse grundsätzlich dynamisierend wirkenden Trend der Digitalisierung, avanciert Komplexität zu einem wichtigen Bestimmungsfaktor energiewirtschaftlichen Handelns.

    Den beschriebenen Komplexitätsanstieg organisatorisch zu verkraften, ist von elementarer Bedeutung für heutige Versorgungsunternehmen. Die Fähigkeit zur Komplexitätsbewältigung ist demzufolge ein kritischer Erfolgsfaktor für Akteure einer Branche im Umbruch.

    1.3.2.4 Ganzheitlichkeit

    Die in Abschn. 1.1.2 beschriebenen herausfordernden Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft verlangen nach Gestaltungsansätzen, die die Geschäftsaktivitäten von Energieunternehmen umfassend abbilden und dabei flexibel auf die Umwelt und deren Änderungen reagieren können. Dazu muss sich das unternehmerische Handeln an der übergeordneten Zielsetzung orientieren, dass alle relevanten Einzelaspekte der betrieblichen Leistungserstellung ausgewogen in eine Gesamtlösung integriert werden.²⁰ Anders ausgedrückt hilft die Idee der Ganzheitlichkeit und lückenlosen Berücksichtigung erfolgskritischer Facetten bei der Gestaltung eines marktkonformen Angebots energiewirtschaftlicher Produkte und Dienstleistungen.

    Der kritische Erfolgsfaktor Ganzheitlichkeit konkretisiert sich bei Digitalisierungsinitiativen in zwei bestimmenden Ausprägungen: einerseits als erweitertes, ganzheitliches Konzept zur Gestaltung des Leistungsportfolios in Form eines integrierten Geschäftsmodells für Digitalunternehmen und anderseits als Bestreben, selektive Digitalisierung – darunter wird die suboptimale Digitalisierung isolierter Einzelaspekte innerhalb einer Organisation verstanden – zu vermeiden.

    1.3.2.5 Geschäftsmodellevolution

    Ähnlich der Entwicklung anderer Branchen gehört auch im Energiesektor datenbasierten Geschäftsmodellen die Zukunft. In dem Maß, wie die Bedeutung der traditionellen Verteilung von Elektrizität, Gas und Wärme schwindet, beginnt die Relevanz innovativer Versorgungsprodukte samt Zusatznutzen anzusteigen. Augenscheinlich gewinnen inzwischen in der Energiewirtschaft datenbasierte Technologien wie beispielsweise Big Data und die auf diesen beruhenden innovativen Geschäftsmodelle Marktanteile hinzu. Resultate digitaler Geschäftsmodellevolutionen prägen somit in Zeiten der Digitalisierung mehr und mehr das energiewirtschaftliche Angebotsspektrum und avancieren damit zum bedeutsamen Erfolgsfaktor der digitalisierten Energiewirtschaft.

    Die systematische Evolution von Geschäftsmodellen, ergänzend zum klassischen Commodity-Vertrieb von Kilowattstunden Elektrizität oder Kubikmetern Gas, betrifft sowohl geringfügige als auch fundamentale Veränderungen eines Geschäftsmodells. Entsprechend können Energieversorgungsunternehmen im Rahmen von Digitalisierungsvorhaben sowohl handverlesene Einzelaspekte des Leistungsspektrums digitalisieren oder alternativ das übergreifende Geschäftsmodell des Unternehmens in seiner Gesamtheit digital transformieren.

    1.4 Dem drohenden Bedeutungsverlust entgehen – das Konzept Utility 4.0

    Branchenkenner werden in Kenntnis der momentan herrschenden energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Feststellung kaum widersprechen, dass sich langfristig nur diejenigen Akteure des Energiesektors im Markt behaupten können, denen der Übergang von der analog geprägten zur digitalen Energieversorgung gelingt.

    Wollen Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke prosperieren und so dem drohenden Schicksal eines Nischenanbieters im Commodity-Vertrieb entgehen, bedarf es einer weitreichenden Transformation der nach wie vor vielfach noch analog geprägten Energieversorgungsunternehmen in Richtung digitaler Energiedienstleistungsunternehmen.

    In diesem grundlegenden Abschnitt des Einführungskapitels wird das Konzept Utility 4.0 – gleichzeitig das Leitmotiv des gesamten Buchs – eingeführt. Dies geschieht dergestalt, dass zunächst der Handlungsbedarf für die Akteure der Energiewirtschaft in Abschn. 1.4.1 knapp umrissen wird. Danach skizziert Abschn. 1.4.2 den erforderlichen Übergang klassischer Energieunternehmen der ersten zu digitalen Akteuren der vierten Evolutionsstufe, den Utilities 4.0. Im Anschluss wird der idealtypische Charakter dieses neuen Typus von Versorgungsunternehmen in Abschn. 1.4.3 beschrieben. Das Wesen dieser Unternehmen ist von grundsätzlicher Bedeutung für die in Abschn. 1.4.4 zusammengestellten Handlungsempfehlungen zur Gestaltung der digitalen Zukunft. Dieser vierte Abschnitt des Einführungskapitels endet mit der Identifikation exemplarischer Handlungsoptionen digitaler Energiedienstleister in Abschn. 1.4.5.

    1.4.1 Es herrscht Handlungsbedarf

    Aus der Gegenüberstellung der in Abschn. 1.1.2 identifizierten Treiber der digitalen Veränderung nebst den aus diesen Rahmenbedingungen hervorgegangenen Thesen zur Digitalisierung des Energiesektors, die bereits in Abschn. 1.1.3 vorgestellt wurden, mit den relevanten Digitalisierungszielen der Versorgungswirtschaft lässt sich der qualitative und quantitative Handlungsbedarf für die Akteure der Energiebranche unmittelbar ableiten. Resultat dieses Abgleichs relevanter Umfeldfaktoren mit dem jeweils gültigen Zielbild ist die Beantwortung der Frage, warum klassische Energieversorgungsunternehmen handeln müssen.²¹

    Auf dem Weg nach Digitalien wächst der auf Energieversorgungsunternehmen lastende Handlungsdruck seit Jahren signifikant. Immerhin geraten selbst eingefleischte Excel -Freunde und ausgewiesene Digitalisierungsmuffel in der digitalen Energiewelt aufgrund der ausufernden Datenmengen schnell an die Grenzen des Machbaren.

    Der eigentliche Handlungsbedarf resultiert aus den zahlreichen Herausforderungen für das klassische Energiesystem . Die Kernaussagen zu den im Energiesektor vorherrschenden Rahmenbedingungen nochmals ins Gedächtnis zurückrufend, vermittelt nachfolgende Aufzählung gewichtiger Herausforderungen einen guten Eindruck vom Änderungsdruck, der auf der gesamten Branche in der Gegenwart lastet:

    Der Übergang von der traditionellen Versorgungseinbahnstraße zwischen Kraftwerken und Verbrauchern hin zur bidirektionalen Energieversorgung erhöht die Anforderungen an die Kommunikationssysteme etc.

    Die steigende Einspeisung volatiler Energie stellt höhere Anforderungen an die Vermeidung unzulässiger Spannungsänderungen im Netz und bedingt steigende Anforderungen an die Bereitstellung von Regelleistungen .

    Die Belastung der Versorgungsnetze steigt durch eine zunehmende Anzahl dezentraler Erzeuger sowie virtueller Erzeugungsverbünde.

    Wachsende Datenmengen und neue Marktakteure fordern klassische Energieunternehmen heraus.

    Immer mehr Applikationen müssen gleichzeitig und in Echtzeit betreut und sicher beherrscht werden.

    Prozesse zur systematischen Sammlung, Auswertung und Darstellung digitaler Daten werden verstärkt zur Kostenfalle und damit zum kritischen Erfolgsfaktor für Versorgungsunternehmen.

    Anspruchsvolle Instrumente wie beispielsweise Advanced Analytics werden heute bereits in vielen Branchen eingesetzt; die Energiewirtschaft steht hier (noch) am Anfang der Entwicklung.

    Insgesamt steigt die Komplexität vielerorts beachtlich und damit das Risiko für Stadtwerke und Co.

    Vorstehende Aufzählung belegt, dass der Handlungsbedarf aufseiten der Akteure der Energiewirtschaft evident ist. Die Zeiten vorsichtiger Anpassungen des Bestehenden sind damit allem Anschein nach vorbei – sie greifen schlicht zu kurz.

    1.4.2 Aus klassischen Versorgern werden Utility 4.0

    Wie sich der Energiesektor in den nächsten Dekaden tatsächlich entwickeln wird, kann niemand mit Bestimmtheit vorhersagen. Nur so viel dürfte sicher sein: Er wird sich deutlich von der heutigen Situation unterscheiden. Während in der Vergangenheit klassische Versorger Strom, Gas und Wärme im Großen und Ganzen lediglich an die sog. Letztverbraucher verteilten, müssen die gleichen Unternehmen heutzutage verstärkt um Kunden mit deutlich gestiegenen Ansprüchen an Produkte und Service werben. Darüber hinaus sehen sich Energiekonzerne, Regionalversorger und Stadtwerke derzeit durch den zunehmenden Einfluss maßgeblicher Phänomene der digitalen Welt, wie Digitalisierung, Automatisierung , Virtualisierung und Vernetzung , herausgefordert. Man muss sicherlich kein Prophet sein, um zu dem Schluss zu gelangen, dass sich etablierte Energieversorgungsunternehmen auf absehbare Zeit weitreichend verändern müssen, wollen sie langfristig überleben oder im Idealfall sogar prosperieren.

    Transformation vom Versorgungswerk zum digitalen Energiedienstleister

    Der Energiesektor hat seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen drei Entwicklungsstufen durchlaufen und steht mittlerweile am Beginn seiner bislang letzten, vierten Phase. Anfangs transportierten konventionelle Energieverteilungsunternehmen , die Utilities 1.0 , Elektrizität via Kabel über weite Strecken zu deren Abnehmern. Mit der in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts beginnenden Liberalisierung und Deregulierung begann eine neue, zweite Epoche. Während sich im nunmehr etablierenden liberalisierten Markt die bisherigen Letztverbraucher ihren Versorger frei auswählen konnten und so von reinen Abnehmern mehr und mehr zu mündigen Kunden mutierten, erfolgte auf der Anbieterseite die ordnungspolitisch geforderte Trennung von Netzbewirtschaftung und Energievertrieb . An die Stelle der inzwischen nicht mehr zeitgemäßen Energieverteilungsunternehmen traten Energieversorgungsunternehmen (EVU) oder Utilities 2.0 . Um das Jahr 2011 beginnend zeichnete sich die Tendenz ab, dass diese EVU nicht mehr ausschließlich Energie verkaufen, sondern als Energiedienstleistungsunternehmen (EDU) oder Utilities 3.0 ihren Kunden umfassende Services und erweiterte Produkte anbieten. Inzwischen stehen diese Versorgungsunternehmen der dritten Evolutionsstufe am Beginn der digitalen Transformation, bei der Energiemarkt und Informationstechnologie zunehmend miteinander verschmelzen. Gegenwärtig entstehen vereinzelt erste digitale Energiedienstleistungsunternehmen (eEDU) oder Utilities 4.0 , deren Leistungsangebote vorzugsweise vernetzt, flexibel, digital und v. a. dienstleistungsorientiert sind.²² Diesen Transformationsprozess über vier Entwicklungsstufen vom monopolistischen Versorgungswerk zum digitalen Utility 4.0 illustriert Abb. 1.4 schematisch.

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    Abb. 1.4

    Vom Versorgungswerk zum digitalen Energiedienstleister

    Den kundenorientierten Energiedienstleistungsunternehmen der Evolutionsstufe Utility 4.0 gehört die Zukunft. Wie in Abschn. 1.4.1 bereits angedeutet, ist der mittlerweile auf klassischen Energieunternehmen lastende Änderungsdruck in Richtung Digitalisierung enorm. Digitale Technologien und weitere Merkmale der digitalen Welt fungieren im heutigen Energiesystem ähnlich wie Katalysatoren in der Chemie: Sie forcieren die Ablösung von etablierten Utility 2.0 und 3.0 durch digitale Energiedienstleistungsunternehmen. „Von dieser Transformation sind alle Bereiche eines Unternehmens gleichermaßen betroffen. Egal ob Organisation, Prozesse, Betriebsmittel, Informationen und Produktpalette; kein Aspekt unternehmerischen Handels bleibt von den direkten und indirekten Einflüssen einer nahezu omnipräsenten digitalen Welt unberührt."²³

    1.4.3 Die Leuchtdiode ist nicht Resultat der Weiterentwicklung der Kerze: das Wesen von Utility 4.0

    Beim Gros der Branchenkenner dürfte angesichts des energiewirtschaftlichen Status quo dahingehend Einigkeit bestehen, dass herkömmliche, analoge Versorgungsprodukte in den kommenden Jahren zunehmend durch digitale Lösungen ersetzt werden. Eine Entwicklung, die zugleich auch die Akteure der Energiewirtschaft in ihrem Kern grundlegend verändern wird. So wie die Leuchtdiode nicht Resultat der Weiterentwicklung der Kerze ist, werden sich sowohl die neuen digitalen Angebote der Energieversorgung als auch die Energieversorgungsunternehmen von morgen fundamental von ihren analogen Pendants der traditionellen Energiewelt unterscheiden.

    Wollen Stadtwerke und Co. in naher Zukunft nicht in der digitalen Bedeutungslosigkeit versinken, so müssen sie handeln. Sie müssen sich perspektivisch zu digitalen Utilities 4.0 transformieren. Aber was charakterisiert Versorgungsunternehmen der vierten Evolutionsstufe? Was ist das Wesen von Unternehmen des Entwicklungsstadiums Utility 4.0? – Zur Beantwortung dieser grundsätzlichen Fragestellungen bietet es sich an, zunächst einmal einen Schritt zurückzutreten und zu fragen, welche grundsätzlichen Ziele mit der digitalen Transformation in der Energiebranche verbunden sind. Sind diese generischen Zielsetzungen von Versorgungsunternehmen als Utility 4.0 einmal bekannt, so kann aus dieser Kenntnis heraus das Wesen digitaler Energiedienstleistungsunternehmen leicht abgeleitet werden.

    Das Wesen moderner Utility 4.0 folgt unmittelbar dem in Abschn. 1.2.3 vorgestellten neuen Selbstverständnis innovativer Akteure des Energiesektors. Als generisches Zielbild wirkt dieses Selbstverständnis gewissermaßen wie ein roter Faden bei der Festlegung und Fixierung wesentlicher Charaktermerkmale digitaler Energiedienstleistungsunternehmen.

    Utility 4.0 unterscheidet sich radikal von den analog orientierten Energieunternehmen der Vergangenheit. So handelt es sich bei diesem energiewirtschaftlichen Unternehmenstypus um bereits transformierte Energieversorgungsunternehmen. Das Phänomen der Digitalisierung ist das konstitutive Element, die Grundlage dieser Unternehmen schlechthin. Dementsprechend besetzt die Informations- und Kommunikationstechnologie die Rolle des zentralen Befähigers oder Enablers von Utility 4.0. Konsequent weitergedacht und etwas provokativ formuliert, entwickeln sich damit Versorger in der neuen Energiewelt zu IT-Unternehmen mit angeschlossenen Strom-, Gas- und Wärmeaktivitäten. Doch Vorsicht! Weil Digitalisierungsinitiativen weit über den Einsatz digitaler Technologien oder Prozessautomatisierung hinausgehen, sollte die vorausgehende Feststellung jedoch keineswegs in dem Schluss gipfeln, dass das Wesen von Utilities 4.0 primär technischer Natur sei.

    Charakteristisch für das neue Leistungsangebot von Utilities 4.0 ist, dass es in hohem Maß vernetzt, flexibel und digital angelegt ist. Im Zusammenhang mit der Zielsetzung eines flexiblen Leistungsangebots sei an dieser Stelle ergänzend erwähnt, dass dem bedeutenden

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