Küssen will ich, ich will küssen: Gedichte für Frauen
Von marixverlag
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Über dieses E-Book
Mit Gedichten von INGEBORG BACHMANN, ROBERT GERNHARDT, CLAIRE GOLL, ULLA HAHN, KERSTIN HENSEL, MASCHA KALÉKO, SARAH KIRSCH, FRIEDERIKE MAYRÖCKER, CHRISTIAN MORGENSTERN, HELGA M. NOVAK, RAINER MARIA RILKE, KURT TUCHOLSKY, PAUL VERLAINE u. v. m.
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Buchvorschau
Küssen will ich, ich will küssen - marixverlag
I. DIE BEIDEN
AFANASIJ FET
Auf der Schaukel
Wieder stehen im zitternden Mond
Wir zusammen auf schwankendem Brette;
Wieder halten wir fest uns am Strick
Und schleudern uns auf um die Wette.
Wie du stolz bist, wenn hoch über mich
Du dich aufschwingst zu drohender Höhe!
Wie ich stolz bin, wenn tief unter mir
Ich an sicherer Erde dich sehe!
Zwar ein Spiel ist es nur, doch es kann
Sich hierbei auch was Ernstes begeben …
Ach, mit dir, o Geliebte, vereint
Spiel ich freudig sogar mit dem Leben!
ANNA MARIA LENNGREN
Tagebuch
Sonntag – mein Verlieben sah,
Montag – gab ich Luft dem Schmerze,
Dienstag – rührte Lisens Herze,
Mittwoch – war dem Jawort nah’.
Donnerstag – wählt’ sie ’nen Andern,
Freitag – meiner Rache Drohn!
Samstag – sah zum Krug mich wandern,
Sonntag – war geheilt ich schon.
HUGO VON HOFMANNSTHAL
Die Beiden
Sie trug den Becher in der Hand
– Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand –,
so leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.
JOACHIM RINGELNATZ
Was willst du von mir?
Möchtest du meine Frau werden,
Da meine Haare schon grau werden,
Schon größtenteils sind?
Möchtest du über mich lachen?
Soll ich dir Freude machen?
Oder ein Kind?
Willst du die Peitsche spüren?
Soll ich dich ausführen?
Brauchst du Geld oder einen Rat?
Willst du nur mit mir spielen?
Oder gefielen oder mißfielen
Dir Taten, die ich tat?
Warum bist du so still?
Soll ich dich beklagen?
Sag doch einmal: »Ich will … …«
Oder sonst ein deutliches Wort. –
Soll ich dich verjagen?
Ja. Geh zu!
Nein! – Du!
Bitte, bitte, geh nicht fort!
WISŁAWA SZYMBORSKA
Liebe auf den ersten Blick
Beide sind überzeugt,
sie habe ein plötzliches Gefühl vereint.
Diese Gewißheit ist schön,
doch die Ungewißheit ist schöner.
Sie meinten, weil sie sich früher nicht kannten,
sei zwischen ihnen nie etwas geschehn.
Was sagen die Straßen dazu, die Treppen, Korridore,
wo sie aneinander seit langem hätten
vorbeigehen können?
Ich wollte sie fragen,
ob sie sich erinnern –
irgendwann in der Drehtür vielleicht
Aug’ in Aug’?
Ein »Pardon« im Gedränge?
Die Stimme im Hörer »falsch verbunden«?
– Ich kenne die Antwort.
Nein, sie erinnern sich nicht.
Es würde sie wundern zu hören,
der Zufall habe seit langem
mit ihnen gespielt.
URSULA KRECHEL
Tuschzeichen
Als wir nach Bedeutungen zu suchen begannen
plötzlich im Sommer, als wir alles schon wußten
was wir nie wissen wollten im Winter
als wir noch auf den beiden Beinen lebten
als wir nach Bedeutungen zu suchen begannen
fielen uns die Bedeutungen in den Schoß
alles bedeutete plötzlich etwas, plötzlich fiel
die Teetasse aus meiner Hand, du stolpertest
über deine Füße, über die Furcht vor Hunden
Bekannte redeten in fremden Sprachen
ich fand dich, wo ich dich nicht suchte oder doch
alles bedeutete etwas, ergab aber keinen Sinn
kein Winken war ein Zeichen, wir erfanden
Tage ohne Bedeutung, die sich später erklärten
du kämpftest gegen deine Kurzsichtigkeit, ich las
Verlaines Saturnische Gedichte, Licht wies nach Norden
aber noch ganz ungewiß, zitterte, du wolltest
weggehen und bleiben zugleich, ich wollte rufen
du könntest dich zu Tode stürzen im Freiraum
ich wollte lernen und lehren zugleich, du lehrtest mich
chinesische Tuschzeichen für Gefühle, als ich nur
Leuchtbuchstaben begriff, da schifften wir uns ein
gepäcklos, geimpft gegen nichts, übten
ein abkömmliches Winken ohne Wimpernzucken
lernten, ferneren Bedeutungen begierdeloser zu trauen
suchten, ja nun gemeinsam, Spuren gemeinsamer Inseln.
FRANK WEDEKIND
Christine
Bessern soll ich mich? – O Himmel,
Wie werd’ ich wohl besser!
Eher reiten schwarze Schimmel
Weiße Menschenfresser,
Eh’ daß solch ein Kauz wie ich
In sich geht und bessert sich.
Nein, mein Fräulein, ich verzichte
Auf die Tugendpalme;
Schreibe meine Mordgedichte
Tief im Tabaksqualme,
Bis der Satan kommt und spricht:
Fort mit dir du Bösewicht!
Ja, der Teufel wird mich holen
Früher oder später,
Und ich Ärmster muß verkohlen
Unter Schmerzgezeter;
Haut und Haar und Fleisch und Bein,
Alles muß gebraten sein.
Sie indessen wandeln lieblich
In der Engel Scharen,
Blumen tragend, wie dort üblich,
In gelockten Haaren,
Und das ganze Angesicht
Angestrahlt vom Himmelslicht.
Sehn Sie nun, wie weit geschieden
Unsre beiden Pfade:
Ihnen eines Gartens Frieden,
Mir die Barrikade,
Wo man sich bei jedem Schritt
Auf die Hühneraugen tritt.
Ihnen freundliche Erbarmung,
Mir der Waffen Blinken
Und des wilden Bärs Umarmung,
Ihnen seine Schinken,
Mir des Feinds entmenschter Streit,
Ihnen seine Menschlichkeit!
HENRIETTE HARDENBERG
Liebe
Zwei gehen nackt durch einen Wald,
Sie schreiten hoch
Und lachen mit den Vogelschreien.
Der wunde rasende Klang würgt ihre Kehlen.
In ihren Häuten brennen sie eisig,
Atemstücke brechen aus verschütteten Massen.
Menschen reißen sich höher:
Ihr Kopf starrt vor,
Augen, die tief bluten,
Stürzen in Schädel zurück.
Arme und Beine sind Stricke,
Sie meistern krachende Leiber.
Zwei fühlen sich breit verschmelzen und berühren
sich nicht.
Sie schlingen sich um Bäume
Und brechen entzwei.
JOACHIM RINGELNATZ
Lampe und Spiegel
»Sie faule, verbummelte Schlampe,«
Sagte der Spiegel zur Lampe.
»Sie altes, schmieriges Scherbenstück,«
Gab die Lampe dem Spiegel zurück.
Der Spiegel in seiner Erbitterung
Bekam einen ganz gewaltigen Sprung.
Der zornigen Lampe verging die Puste.
Sie fauchte, rauchte, schwelte und rußte.
Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe
Und doch: Ihr schob man die Schuld in die Schuhe.
THEODOR FONTANE
Barbara Allen
Es war im Herbst, im bunten Herbst,
Wenn die rotgelben Blätter fallen,
Da wurde John Graham vor Liebe krank,
Vor Liebe zu Barbara Allen.
Seine Läufer liefen hinab in die Stadt
Und suchten, bis sie gefunden:
»Ach, unser Herr ist krank nach dir,
Komm, Lady, und mach’ ihn gesunden.«
Die Lady schritt zum Schloß hinan,
Schritt über die marmornen Stufen,
Sie trat ans Bett, sie sah ihn an:
»John