Chronische Schmerzen: Selbsthilfe und Therapiebegleitung, Orientierung für Angehörige und konkrete Tipps und Fallbeispiele
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Über dieses E-Book
Selbsthilfe für Menschen mit chronischen Schmerzen – und deren Angehörige:
- 8 Millionen Menschen in Deutschland sind von chronischen Schmerzen betroffen. Schmerzkranke haben oft eine lange Vorgeschichte mit den verschiedensten medizinischen und chirurgischen Maßnahmen sowie erfolglosen Therapieversuchen.
- Betroffene erleben sich ihren Schmerzen hilflos ausgeliefert. Und Partner, Familie, Freunde leiden mit.
Neue medizinische Erkenntnisse: Darstellung der unterschiedlichen Schmerzerkrankungen und deren Behandlung: Dieses Therapiebuch begleitet Sie bei der Behandlung Ihrer Schmerzerkrankung. Mit dieser Hilfe werden Sie zum Experten Ihrer eigenen Krankheit. Sie erfahren alles Wissenswerte über die verschiedenen Erkrankungsbilder, Symptome, ihre Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. Sie finden Unterstützung, dass die Symptome nicht eingebildet sind oder auf persönlicher Schwäche beruhen.
Praxisorientiert: durch zahlreiche Hinweise, Übungen und Arbeitsblätter:- Teil I: Die komplexen Zusammenhänge zwischen seelischen, körperlichen und sozialen Faktoren bei der chronischen Schmerzkrankheit
- Teil II: Die einzelnen Schmerzerkrankungen und ihre unterschiedliche Behandlung
- Teil III: Einzelne Therapiemodule, konkrete Behandlungsmöglichkeiten und Strategien, wie Sie mit den Schmerzen besser umgehen können – mit Fallbeispielen, Kontaktadressen und konkreten Tipps
- Online-Material: Kostenloser Download von Arbeitsblättern und Audio-Übungen im Web.
Auch als Vorbereitung oder Begleitbuch für eine Psychotherapie sehr gut geeignet.
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Buchvorschau
Chronische Schmerzen - Martin von Wachter
Martin von WachterChronische Schmerzen2., vollst. überarb. Aufl. 2014Selbsthilfe und Therapiebegleitung, Orientierung für Angehörige und konkrete Tipps und Fallbeispiele10.1007/978-3-642-39326-6_1
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1. Einleitung
Martin von Wachter¹
(1)
Klinik für Psychosomatik, Ostalb-Klinikum Aalen, Aalen, Deutschland
Martin von Wachter
Email: info@schmerzen-bewaeltigen.de
Zusammenfassung
Mehr als 8 Millionen Menschen sind in Deutschland von chronischen Schmerzen betroffen. Schmerzkranke haben fast immer eine lange Vorgeschichte – mit verschiedensten medizinischen und chirurgischen Maßnahmen sowie oft erfolglosen Therapieversuchen. Neben dem persönlichen Leid des Betroffenen ist nicht selten auch das persönliche Umfeld, insbesondere die Partnerschaft und Familie, in Mitleidenschaft gezogen.
Mehr als 8 Millionen Menschen sind in Deutschland von chronischen Schmerzen betroffen. Schmerzkranke haben fast immer eine lange Vorgeschichte mit den verschiedensten medizinischen und chirurgischen Maßnahmen sowie oft erfolglosen Therapieversuchen. Dies ist vor allem der Fall, wenn das multifaktorielle Ursachenspektrum der chronischen Schmerzkrankheit nicht berücksichtigt wird und eine entsprechende interdisziplinäre Behandlung ausbleibt.
Im Gegensatz zum akuten Schmerz sind beim chronischen Schmerz nicht nur der Körper, sondern auch die Psyche und das soziale Umfeld betroffen. Oft ist das Selbstwertgefühl der Betroffenen beeinträchtigt, und sie sind durch den erfolglosen Krankheits- und Behandlungsverlauf sowie die erlebte Zurückweisung im Gesundheitssystem depressiv und misstrauisch geworden. Sie erleben sich ihren Schmerzen hilflos ausgeliefert (Abb. 1.1). Neben dem persönlichen Leid der Kranken ist meistens auch das persönliche Umfeld, insbesondere die Partnerschaft und die Familie, in Mitleidenschaft gezogen (von Wachter 2003).
A217401_2_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
Der Schmerz bestimmt das Leben
Auch wenn Schmerzen der somatoformen und funktionellen Schmerzstörungen durch psychische Faktoren mitverursacht und oft ohne auffällige Befunde (Labor, CT, MRT, Röntgen) sind, gibt es keinen Zweifel daran, dass die Schmerzen echt sind und nicht eingebildet. Schmerz ist das, was der Betroffene empfindet und wahrnimmt, und nicht das, was im Röntgenbild oder Labor zu sehen ist.
Schmerz ist das, was der Betroffene empfindet
Martin von WachterChronische Schmerzen2., vollst. überarb. Aufl. 2014Selbsthilfe und Therapiebegleitung, Orientierung für Angehörige und konkrete Tipps und Fallbeispiele10.1007/978-3-642-39326-6_2
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
2. Entstehung chronischer Schmerzen
Martin von Wachter¹
(1)
Klinik für Psychosomatik, Ostalb-Klinikum Aalen, Aalen, Deutschland
Martin von Wachter
Email: info@schmerzen-bewaeltigen.de
2.1 Was ist Schmerz eigentlich?
2.2 Schmerzkrankheit
2.3 Akuter Schmerz und chronischer Schmerz
2.4 Schmerzverarbeitung auf neuronaler Ebene
2.4.1 Der Weg vom Schmerzreiz zum Gehirn
2.4.2 Schmerzverarbeitung im Gehirn
2.5 Bahnung – Neuroplastizität
2.6 Bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis
2.7 Gefühle und chronischer Schmerz
2.8 Chronifizierung
2.9 Teufelskreise und Aufrechterhaltung der Schmerzen
2.10 Schlaf und Schmerz
2.11 Psychosoziale Folgen von chronischen Schmerzen
2.12 Schmerzkrankheit und Familie
2.12.1 Wissenswertes auf einen Blick
Zusammenfassung
Bei der Entwicklung chronischer Schmerzen spielen körperliche, psychische und soziale Faktoren eine Rolle. Im Verlauf können sich die Schmerznetzwerke im Gehirn verselbständigen. Chronische Schmerzen sind von vielfältigen emotionalen und/oder sozialen Belastungen begleitet, die auf das Schmerzerleben, die Schmerzverarbeitung und auf die Prognose Einfluss nehmen. Betroffene regieren mit sozialem Rückzug, Vereinsamung, Depressivität, Ängsten, Hilflosigkeit oder Aggressivität. Der Schmerz bestimmt oft das Familienleben, und es kommt zu Problemen am Arbeitsplatz. Anderseits können auch negative Gefühle, z. B. bei Ausgrenzung, als Schmerz empfunden werden.
Dieses Kapitel widmet sich der grundsätzlichen Definition und Einteilung von Schmerzen. Die Unterschiedsmerkmale zwischen akutem und chronischem Schmerz werden aufgezeigt. Außerdem wird dargestellt, wie die Schmerzverarbeitung im Rückenmark und Gehirn abläuft.
Die enge Beziehung zwischen Körperschmerz und Seelenschmerz bei einer chronischen Schmerzkrankheit kommt ebenso zur Sprache wie die damit verbundenen psychosozialen Wechselwirkungen für den Betroffenen, seine Familie und sein privates bzw. berufliches Umfeld. Die Risikofaktoren für eine Chronifizierung werden schließlich den schützenden Faktoren gegenübergestellt.
Sie finden die Gelegenheit, alle Faktoren und Einschränkungen, die aus Ihrer chronischen Erkrankung resultieren, zu reflektieren und sich entsprechende Notizen zu machen.
2.1 Was ist Schmerz eigentlich?
Jeder kennt Schmerzen, aber es ist schwer zu sagen, was Schmerzen eigentlich sind. Ist Schmerz eine Wahrnehmung wie z. B. Schmecken, Hören oder Riechen oder ein Gefühl wie z. B. Wut, Ärger oder Trauer? Eine moderne Definition sieht beide Aspekte vor.
Schmerz ist sowohl eine unangenehme Sinneswahrnehmung, die dem Körper zugeschrieben wird, als auch ein Gefühlserlebnis.
Schmerz ist sowohl unangenehme Sinneswahrnehmung als auch Gefühlserlebnis
Dies kann hervorgerufen werden durch:
eine reale körperliche Verletzung,
einen drohenden Schmerz, z. B. vor dem Zahnarztbesuch,
einen früheren Schmerz über das Schmerzgedächtnis,
eine psychische Verletzung,
die Beobachtung von Schmerzen bei einem anderen (z. B. wenn sich jemand den Finger in der Autotür einklemmt).
2.2 Schmerzkrankheit
Ob Schmerzen zu einer chronischen Erkrankung werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Im Verlauf der Chronifizierung von Schmerzen kann sich eine eigenständige Schmerzkrankheit entwickeln, die sich von ihrer Ursache abgekoppelt hat. Folgerichtig haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Ersatzkassen 1996 in einem Vertrag zur qualifizierten Schmerztherapie erstmals von einer Schmerzkrankheit gesprochen und diese wie folgt definiert.
Chronisch schmerzkrank sind Patienten, bei denen der Schmerz seine Leit- und Warnfunktion verloren und selbständigen Krankheitswert erlangt hat.
Im Folgenden werden neben organischen Ursachen auch funktionelle Teufelskreisläufe und psychosoziale Faktoren erläutert, die an der Entstehung chronischer Schmerzen mitwirken.
2.3 Akuter Schmerz und chronischer Schmerz
Akuter Schmerz
Akuter Schmerz wird durch äußere (z. B. Verletzung) oder innere Prozesse (z. B. Entzündung, Tumor, Verspannung) ausgelöst. Er ist zeitlich begrenzt, örtlich umschrieben und wird von einer Stressreaktion begleitet (Puls und Blutdruckanstieg, Schwitzen, Muskelanspannung). Der akute Schmerz hat eine Warnfunktion und ist biologisch sinnvoll. Er führt dazu, dass wir die Aufmerksamkeit auf eine Verletzung lenken und weitere schmerzauslösende Aktivitäten vermeiden (Abb. 2.1). Im Falle einer Verletzung ist es z. B. sinnvoll, sich zu schonen. Schmerz ist aber keine „Einbahnstraße", bei der lediglich Signale aus dem Körper an das Gehirn übermittelt werden. Ein solches einfaches Reiz-Reaktions-Konzept beschreibt allenfalls den akuten Schmerz.
A217401_2_De_2_Fig1_HTML.gifAbb. 2.1
Akuter Schmerz hat eine Warnfunktion (links); chronischer Schmerz kann zu „falschem Alarm" führen