Silvaplana Blue: Wir Kinder des Grauens
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Über dieses E-Book
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Dann kam der Aufruhr der acht-und-sechziger Generation. Alle rebellierten und nur die wenigsten wussten warum. Ich studierte in Berlin. Das waren die verrückten sechziger Jahre an der Freien Universität in Berlin. Zu Berlin gehört auch die Geschichte meiner Familie. Meine Mutter war nach dem Krieg von allen Erinnyen und von allen Teufeln ihrer Seele verfolgt. Ihren traumatischen Verfolgungswahn hat sie auf mich übertragen und ausgeprügelt. Meine Kinder sollten diesen Ballast von mir, von meinen Eltern und von meiner Vergangenheit nicht als Erbe mitbekommen.
Ist das möglich? Wie weit können wir uns von uns selber befreien? Nur damit, dass wir uns hundertprozentig erkennen, anerkennen und akzeptieren. Keiner läuft vor sich selbst davon. Dieser Weg in die Vergangenheit und in meine schlimmsten Traumata ist das Thema des zweiten Teiles von "Silvaplana Blue".
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Buchvorschau
Silvaplana Blue - Keine Mitwirkenden Keine Mitwirkenden
Kapitel 1
Silvaplana Blue
Erstes Buch
Auch ich war einst in Arkadien
Heide Fritsche
Silvaplana Blue
Heide Fritsche
Copyright: © 2014 Heide Marie Herstad
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-0905-3
Inhaltsverzeichnis
Gian
Silvaplana
Lehr- und Wanderjahre
Schweizer Nationalfeiertag
Liebesreigen
Frauen im Krieg
Die Dämonen meiner Kindheit
Fallhöhe
August Schellhase
Der Abschied
"Ah certi piccoli fiumi di bassa pianura
Che arrivano dritti nel mare
E chissà se si accorgon di niente
O si lasciano semplicemente arrivare
Assomigliano a certe tristezze
Che senza preavviso
Allagano i laghi del cuore
E alla solita acqua ci mischiano un’acqua
Che arriva da non si sa dove
E ti ho incontrata una sera sperduta
Che non c’era più niente da dire
Neanche l’ombra di un mezzo saluto
In quegli occhi che pure
Mi aveva guardato guardare
Non importa quanto tempo è passato
Ce ne siamo lasciate noi due
Di trace sul cuore
Che nessuna tristezza dovrebbe da sola
Dovrebbe poter cancellare
E son ritornato qui
In verità,
Per contradirti
E non mi allontanerà questo silenzio
E la distanza de una giacca abbandonato
Sono tornato qui
Perché si fa di rincontrarsi
E non mi scoraggerà
Nemmeno il vuoto
Che ci piglia e che non ci fa più meraviglia
Sono tornato qui perché …"
(Gianmaria Testa: Piccoli fiumi)
Gian
I.
Hallo Gian, wie geht es Dir? Schon seit Tagen und Wochen träume ich von Dir, jede Nacht. Bilder und Gestalten tauchen auf, umgaukeln mich, verschwinden, schweben dahin und dorthin, sind hier und doch nicht da.
Auch heute Nacht warst Du wieder bei mir. Ich sah Dich nicht, aber ich fühlte Dich: „Ich kann nicht mit Dir kommen", sagte ich. Du legtest Deine Hände auf meinen Rücken, ganz leicht, ganz sanft, ganz warm. Ich schmolz unter Deinen Händen. „Gian, noch nicht …" Du warst weg. Du warst wieder da. Du hattest Deine Hände auf meinen Rücken, intensiv. Deine Hände waren überall. Ich sah Dich nicht, ich sah kein Gesicht, Du hattest kein Gesicht, aber Du warst da, warm, lebendig und von einer unendlichen Zärtlichkeit. „Ich kann nicht mit dir zusammen sein". Du warst wieder weg, Du warst wieder da, Deine Hände waren wieder da.
Ich wachte auf. Ich wollte nicht aufwachen. Mein Körper zitterte unter Deinen Händen: „Gian, nicht jetzt, ich komme bald zu Dir, aber nicht jetzt." Ich schlief wieder ein, ich wachte wieder auf. Aber die Bilder verfolgten mich, Bilder von Dir, Bilder von Silvaplana. Sie halten mich feste. Ich lasse mich treiben in meinen Erinnerungen, ich verschwinde im Silvaplana Blue.
Silvaplana war mein Arkadien. Ich hatte es verdrängt. Ich hatte es seit langem vergessen. „Silvaplana war auch nur ein Traum", sage ich mir. Das war ein Traum, der an einer unbewältigten Wirklichkeit zerbrach. Dieser Traum konnte nie Wirklichkeit werden, aber der Schmerz blieb. Plötzlich wird der Traum einer verlorenen Liebe in meinen Träumen lebendig.
Silvaplana war die Liebe zu Dir. Das war die Liebe eines Sommers, eine Liebe, die ich nicht realisieren konnte. Ich lief vor Dir weg. Ich schrieb Dir nicht, aber ich konnte Dich nicht vergessen.
Ich lief weg, weil ich Angst hatte, Angst vor den unbekannten Gefühlen in mir, Angst vor dem Chaos in mir, Angst vor Dir, Angst vor mir selber. Die Angst bohrte in mir, aber ich wusste nicht, was mich verstörte.
Ich agierte febril und merkte es nicht. Es vibrierte in mir und ich fühlte es nicht. In meinen Gedanken und Gefühlen war Chaos und ich wusste nicht warum. Ich stand unter Hochspannung. Diese Spannung war die Anziehung zwischen uns. Das war ein Magnetismus, der mich elektrisierte. Wir saßen immer in nächster Nähe zueinander. Wo wir gingen und standen berührten wir einander. Das war so selbstverständlich, als gehörten wir zueinander. Das war so selbstverständlich, als wären wir seit Ewigkeiten zusammen. Das war so selbstverständlich, dass ich mir dessen nicht bewusst war.
Dann kam der Abschied von Silvaplana. Das war der Abschied von Dir. Das war der Schock, dem ich nicht gewachsen war. Du gehörtest zu mir wie die Luft zum Leben. Als Silvaplana hinter mir verschwand, bekam ich keine Luft mehr. Ich war leer und ausgebrannt. Ich versank in der dunklen Wolke einer Depression, ich verschwand in Passivität. Ich ahnte, was Du mir bedeutest hattest, ich wusste, was Du mir bedeutet hast, aber ich konnte nicht handeln.
Der „Coup de foudre beim Abschied, das Erkennen wurde für mich zum „Coup de grâce
, zum Todesstoß, zum Erkennen der Unmöglichkeit, diese Liebe zu verwirklichen. Diese Unmöglichkeit lag primär und vor allem in meiner Seele. Ich wagte nicht, Dich zu gewinnen, weil ich Dich nicht verlieren wollte. Damit habe ich mich selber verloren.
Ich ließ Silvaplana hinter mir. Ich würde es nie wieder sehen. Ich verschwand aus Deinem Leben. Ich würde Dich nie wieder sehen. Das wusste ich nicht. Ich war fest bestimmt, zurück zu kommen, und doch bohrte der Schmerz in mir. Etwas tat mir weh, irrational. Ich konnte meine Unruhe nicht fassen, begreifen und benennen.
Ich versuchte, logisch zu denken. Ich räsonierte. Ich stürzte mich niemals ins Ungewisse. Silvaplana war für mich das Ungewisse. Ich musste vernünftig sein. Ich durfte mich auf keinen Unsinn einlassen. Prinzipiell ging ich jedem Risiko aus dem Weg. Das Risiko warst Du. Du warst viel zu jung, um Dich binden zu können.
Ich lief bei jeder Gefahr weg. Du warst eine Gefahr. Darum lief ich vor Dir weg. Doch der Abschied von Dir tat weh. Dieser Schmerz durfte nicht wahr sein. Meine Angst durfte nicht wahr sein. Ich konnte mir keine Angst erlauben. Ich verdrängte. Ich rationalisierte. Ich wurde zum Spielball meiner Rationalisierung. Ich wurde zum Spielball meiner Verdrängung.
Ich räsonierte aus meiner traumatisierten Seele: Ich hatte den Augenblick verpasst, glaubte ich, ich hatte meine Chance verspielt. Meine Abreise erfolgte unter einer falschen Prämisse. Ich hätte mit offenen Karten spielen sollen. Das habe ich nicht getan. Das war ein Fehltritt. Danach beherrschte ich die Situation nicht mehr, danach gab es kein Zurück für mich. Ich kroch nicht zurück, niemals, nicht als Verlierer.
Darum hast Du nichts von mir gehört, keinen Gruß, keine Postkarte, kein Dankeschön. Das war keine Gleichgültigkeit. Das war keine Frivolität. Ich verdrängte Dich, ich verdrängte Silvaplana und einen ganzen Sommer. Ich folgte der Logik meiner verkrüppelten Seele, dumm, naiv, blind, arrogant und zum Schluss resigniert. Ich resignierte in Trauer. Ich wollte Dich vergessen und konnte es nicht, die Erinnerung blieb, sie tat weh. Die Erinnerung schmerzt noch immer. Je tiefer ich darin grabe, desto tiefer geht mein Blue.
II.
Wir waren jeden Tag zusammen, in der Bar, in Silvaplana, in Museen und Ausstellungen in St. Moritz. Wir schlenderten herum, ziellos, zeitlos, weltvergessen. Wir atmeten im gleichen Rhythmus, wir gingen im gleichen Rhythmus, wir tanzten im gleichen Rhythmus, wir schwiegen im gleichen Rhythmus. Wir interessierten uns für die gleichen Dinge. Wir diskutierten und sprachen zusammen, stundenlang, tagelang, nächtelang, wochenlang, von der Schweiz, von den Rätoromanen, vom Engadin, vom Tourismus, von der Schweizer Geschichte und Politik, von Organisationen, Verfassungen, von Eurem Militärdienst und von den täglichen Problemen, die ihr bewältigen musstet.
Du erzähltest von Dir und von Deinem Leben. Aber wir sprachen nicht von mir und meinem Leben. Mein Leben existierte in Silvaplana nicht, meine Vergangenheit existierte nicht, nicht für mich, nicht für Euch, für niemanden.
Du warst jung. Du warst zurückhaltend. Du warst diskret. Du fragtest mich nicht. Niemand fragte mich.
Warum dann sprechen? Worüber? Mein Leben war kein Gesprächsthema, nicht für mich. Ich hatte kein Leben, über das es sich zu sprechen lohnte, glaubte ich.
Ich lebte, um zu überleben. Wie? Danach fragte keiner. Darum kümmerte sich keiner. Die Menschen wechselten, denen ich begegnete. Die Umstände wechselten, die ich bewältigen musste. Die Orte wechselten, wo ich überleben konnte. Ich war hier, ich war da, ich war nirgendwo. Eine Episode nach der anderen verschwand hinter mir. Was blieb, war Vergessen.
Schmerzen? Hunger? Einsamkeit? Tod? Das hat er nie gegeben. Ich drehte mich um und vergaß, einen Tag nach dem anderen, eine Episode nach der anderen, einen Menschen nach dem anderen. Die Menschen, die mich verließen und die ich verlassen musste, schob ich gleichgültig zur Seite, ich vergaß. Die Menschen, die mich schlugen, die mich hungern ließen und die mich ausnutzten, lies ich hinter mir liegen. Diese Menschen hatte es für mich niemals gegeben. Das Hinter-mir-Lassen, das Vergessen wurde zur Gewohnheit, es wurde Routine. Auch das Engadin habe ich hinter mir gelassen und vergessen, glaubte ich. Ich habe mich getäuscht, das Verdrängte kam wieder, in der Nacht als Traum, Vision und Phantasmagorie.
In Silvaplana hatte ich keine Zeit, in Nostalgien zu verweilen. Ich lebte im Hier und Heute, nicht im Gestern. Ich verspürte kein Verlangen, in Erinnerungen zu schwelgen. Erinnerungen schmerzten. Ich vergaß einen Tag nach dem anderen. Ich vergaß das Gestern, ich vergaß jedes Gestern, je schneller, umso besser. Ich schüttelte meine Vergangenheit von mir ab, ich schüttelte jede Vergangenheit von mir ab.
Ein Mensch nach dem anderen verschwand aus meinem Leben. Mit jedem Menschen verschwand ein Teil meines gelebten Lebens. Kein Mensch interessierte sich dafür. Darum interessierte es mich nicht. Keiner fragte mich danach. Warum dann sprechen? Mit wem? Über was?
Ich lebte von einem Tag zum anderen. Ich überlebte. Ich überlebte eine Kindheit, die keine war. Ich überlebte eine Jugend, die keine war. Ich lebte trotz alledem. Ich lebte im Trotz. Ich hatte nur meinen Trotz. Ich handelte im Trotz und aus dem Trotz heraus: Wenn mich alle Menschen wie einen Gegenstand behandelten, ausnutzten und wegschmissen, konnte auch ich alle Menschen wegschmeißen. Wenn mich alle Menschen verließen, konnte auch ich alle Menschen verlassen.
Kinder sind die schwächsten Glieder einer Gesellschaft. Kinder, die alleine überleben müssen, werden von allen ausgenutzt, sie werden von allen herumgeschubst und herumgestoßen.
Ich wurde herumgeschubst. Das akzeptierte ich nicht. Ich lernte, dagegen zu kämpfen. Ich wurde von allen verlassen. Das akzeptierte ich nicht. Ich ließ alle und alles hinter mir. Ich wurde geschlagen. Das akzeptierte ich nicht, ich wehrte mich. Meine Mutter schrie und wütete. Das akzeptierte ich nicht, ich drehte mich um, ließ sie schreien und ging weg. Sie versuchte zweimal, mich umzubringen. Das akzeptierte ich nicht, ich schob sie, ich schob die Ereignisse als Alpträume zur Seite. Ich vergaß und verdrängte. Ich kämpfte weiter, alleine, trotz alledem.
Ich verlor den Kontakt mit meiner Mutter. Ihren Mann akzeptierte ich nicht. Ich sprach nicht mit ihm. Ich gab ihm nicht die Hand. Ich grüßte ihn nicht. Ich setzte mich nicht an denselben Tisch mit ihm. Ich wollte lieber hungern. Meine Mutter schrie mich an. Meine Mutter tobte. Meine Mutter prügelte mich. Bei meiner Mutter durfte ich mich nicht mehr sehen lassen. Ich lebte trotz alledem.
Ich verlor den Kontakt mit meinem Vater. Mein Vater heiratete zum dritten Mal. Seine neue Frau wollte mich nicht in ihrem Haus sehen. Sie hatte genug Probleme mit sich selber. Dann eben nicht, ich hatte genug Probleme mit mir selber. Meine Eltern lebten ihr eigenes Leben. Ich lebte mein eigenes Leben.
Ich war alleine für mich verantwortlich. Das war mein Status quo als ich nach Silvaplana kam. Ich versorgte mich alleine. Ich war unabhängig. Ich brauchte bei niemanden zu betteln. Ich fühlte mich stark. Ich war niemals schwach, glaubte ich. Ich fühlte mich allmächtig. Ich wurde arrogant. Diese Arroganz war blind. Ein Blinder kann seine Zukunft nicht sehend projizieren. Daran bin ich zerbrochen.
Denn dieses Nicht-Akzeptieren meiner Verlassenheit, der Kampf gegen die Gleichgültigkeit der Menschen, gegen ihren Egoismus, ihre Unbeherrschtheit und Brutalität war Aufruhr gegen, ja! aber es war auch Flucht davor, es war auch Verdrängung. Diese Menschen waren nicht wahr, nicht für mich. Ihr Schreien und Toben waren nicht wahr, das konnte nicht wahr sein. Mein Hunger und meine Verlassenheit waren nicht wahr. Das hat es niemals gegeben. Sowas konnte es nicht geben. Mein ganzes gelebtes Leben hatte es niemals gegeben. Ich löschte jede Erinnerung in mir.
Im Vergessen verschwand meine Vergangenheit. Ohne Vergangenheit wusste ich nicht, woher ich kam. Darum wusste ich auch nicht, wohin ich ging. Meine Seele versandete in Orientierungslosigkeit.
Mein Trotz, mein Widerstand halfen mir zu überleben. Bei jeder Gefahr, die ich witterte, verschwand ich. Ich wehrte mich mit allen Tricks und allen Finten, skrupellos. Aber ich überlebte in der Verdrängung, ich überlebte in der Verblendung und Versteinerung meiner Seele.
Ich fühlte mich klug. Ich fühlte mich nüchtern denkend. Warum sollte ich in Erinnerungen verweilen, wenn jede Erinnerung schmerzte? Warum sollte ich über eine Vergangenheit sprechen, die ich hasste und die mich anwiderte? Ich wollte nicht im Dreck meiner Kindheit und Jugend hängen bleiben. Daran und dafür arbeitete ich jeden Tag bis zu achtzehn Stunden. Da blieb keine Zeit für ein überflüssiges Verweilen in den Schmerzen von Gestern. Ich hatte wichtigere Dinge zu tun. Ich musste leben, überleben und weiterkommen. Meine nüchtern kalkulierenden Überlegungen waren eine nüchtern kalkulierende Verdrängungen.
Die Verdrängung löscht das Bewusstsein vom menschlichen Geworden-Sein. Das fand ich genial. Das empfand ich als wohltuend. Das Vergessen war für mich ein Narkotikum. Das war mein Fluchtweg. Das war meine Rettung, glaubte ich.
Es war genau das Gegenteil. Denn was es nicht gibt, kann nicht reflexiv erfasst, begriffen, verbalisiert, bearbeitet und verarbeitet werden.
Die Verdrängung hat keine Sprache. Das wusste ich nicht. Nicht einmal das Wissen um die Verdrängung war mir begrifflich zugänglich.
Doch mein gelebtes Leben lief als Grauen, Entsetzen, Alptraum und Angst hinter mir her. Diese Angst beherrschte mich und meine Entscheidungen. Ich wusste nicht, was in mir schmerzte. Mein Schmerz war mir reflexiv nicht zugänglich. Ich konnte weder mich noch meine Schmerzen reflexiv begreifen. Darum konnte ich meine Verlassenheit, meine Angst und Einsamkeit nicht objektivieren. Ohne Objektivierung dieser Angst und Verlassenheit wurde ich zum Opfer eben dieser Angst und Verlassenheit. Das war mein unbewältigtes Trauma.
Ich begriff meine Angst, Verlassenheit und Einsamkeit nicht, darum beherrschte ich mein Trauma nicht, darum beherrschte mein Trauma mich.
Das war eine Psychose. Meine Psychose diktierte meine Entscheidungen. Aus der Verdrängung meines Traumas folgten meine Fehlentscheidungen und Irrtümern. Wegen der Verdrängung dieses Traumas wurde ich das Opfer von Psychopathen.
Jetzt muss ich den Weg in den Schmerz zurückgehen. Ich muss wieder an den Ort meines Traumas ankommen, um von hier aus neu starten zu können.
Dieser Dialog mit Dir ist mein Weg zurück in die Zerstörung meines Lebens, es ist Trauerarbeit. Ich muss mir Rechenschaft über meine Irrtümer und Fehlentscheidungen ablegen. Ich muss meine Erniedrigung und mein Versagen als mein Leben anerkennen. Ich muss meine Fallhöhe ausloten. Dieser Dialog entsteht im Schmerz der menschlichen Hilflosigkeit, er entsteht im Schmerz des menschlichen Unvermögens und der Vergänglichkeit.
III.
Jetzt an Dich und für Dich zu schreiben, ist zu spät. Es ist schon seit Jahrzehnten zu spät, und doch habe ich das Gefühl, Du bist hier, Du hörst mich, Du verstehst mich.
Was bedeutete ich Dir? Ich fragte nicht. Du warst kein Sommerflirt, Du warst da, jeden Tag. Eure Anwesenheit war in der Bar so selbstverständlich, wie der Abend, der auf den Tag folgt. Wir waren in Ewigkeiten zusammen. Wir waren für Ewigkeiten zusammen. Es gab keinen Anfang und kein Ende. Ich begegnete Dir nicht, Du warst einfach da. Ich lernte Dich nicht kennen, Du warst immer da, Du würdest immer da sein. In meiner Wirklichkeitsauffassung war Silvaplana ein immerwährendes Heute.
Erst als Silvaplana hinter mir verschwand, kam das Erwachen, erst da räsonierte ich. Zurück in Deutschland musste ich eine andere Wirklichkeit bewältigen. Das wusste ich. Das verstand ich. Das hättest Du nicht verstehen können, glaubte ich.
Du warst so jung, zu jung. Du hattest Dein ganzes Leben vor Dir. Du hast morgen alles vergessen, sagte ich mir.
Du wolltest in Neuchâtel studieren, sagtest Du. Das war Deine Zukunft, das war Dein Leben. Das waren neue Gelegenheiten, neue Begegnungen und neue Chancen. Das waren neue Bekanntschaften mit anderen Mädchen und Frauen, jünger als ich. Ein ganzes Leben mit Freundschaften, Liebeleien und Liebschaften wartete auf Dich, glaubte ich.
Was wusste ich? Ich wusste gar nichts und doch wusste ich so viel, denn ich hatte die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt. Mir war in meiner Kindheit nur eine Lebensweisheit eingeprügelt worden: Verlass Dich auf niemanden und auf nichts, sonst bist Du verlassen!
Silvaplana? Der Klatsch im Dorf? Nicht mit mir! Du aber warst Silvaplana. Du wusstest es und Du wusstest es