Baron von Dassel ermittelt — Unrühmlicher Tod eines Gardisten: Kriminalerzählung nach Ludwig Aloys Pfister
Von D. C. Mandel
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Rezensionen für Baron von Dassel ermittelt — Unrühmlicher Tod eines Gardisten
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Buchvorschau
Baron von Dassel ermittelt — Unrühmlicher Tod eines Gardisten - D. C. Mandel
I
In der neunten Stunde des Heiligen Abends 1810, eines für die Winterzeit viel zu warmen Montags, wird der Stadtgerichtsdirektor Baron von Dassel, der sich wegen der Berichte zum Jahresabschluss noch immer in seinem Bureau verschanzt hat, unsanft aus seiner amtssprachlichen Meditation gerissen. Einer seiner eifrigen Untergebenen, der Polizeiwachtmeister Rübsam, drängt darauf, zum Rapport vorgelassen zu werden, indem er mehrmals penetrant gegen die Tür klopft, obwohl er von drinnen lange keine Antwort erhält.
»Nun kommen Sie endlich rein!«, ruft von Dassel dann doch irgendwann mürrisch, weil er weiß, dass Rübsam keine Ruhe geben wird.
Während sich die Tür widerwillig quietschend öffnet, rollen die Weihnachtslieder, die vom Markt heraufklingen, lauter ins Zimmer und verebben wieder, als Rübsam die Tür so vorsichtig, als dürfe er seinem Vorgesetzten kein natürliches Geräusch zumuten, hinter sich in den Rahmen drückt. Der Polizeiwachtmeister tritt näher und schlägt die Hacken zusammen. Sein Tschako mit Federbusch und großherzoglichem Wappen, einem Greif als Schildhalter, sitzt ihm schief auf dem Schädel. Er wirkt ein wenig derangiert.
»Worum geht’s?«, fragt von Dassel unerwartet leutselig, ohne aufzublicken. »Aber rasch! Meine unvergleichliche Frau Gemahlin wartet mit dem Karpfen.«
Natürlich nicht wirklich seine Gemahlin, das wäre noch schöner, sondern die Minna. Davon abgesehen, meint er es ernst. Er hat den Auftrag pünktlichst daheim zu erscheinen, braucht aber eine Weile bis hinaus auf sein Gut vor der Stadt. Der Zeitplan erklärt sich dadurch, dass er gemeinsam mit seiner besseren Hälfte für den Abend aufs Schloss eingeladen ist, zu irgendeinem romantischen Kerzenspektakel. Das stellt er sich gruselig vor in dieser pittoresken Ruine hoch über der Stadt. Angeblich wollen die französischen Besatzer von den wohlhabenden und einflussreichen Einheimischen Geld sammeln. Es genügt ihnen wohl nicht, das schöne Schloss zerstört zu haben, jetzt schicken sie auch noch jemanden, der es wieder aufbaut. Merkwürdiges Volk. Allerdings hat er bis hierher auch aus einem anderen Grund gezögert, seine zeitweilige Heimkehr unnötig zu beschleunigen. In den Zimmern, die seine werte Gemahlin hat einrichten lassen, erwarten ihn Landschaftstapeten der Firma Zuber & Cie aus dem französischen Rixheim mit erfundenen Motiven aus den Schweizer Alpen, aufreizend blauen Bergen und Hirten in bunten Trachten, die hinter den gemalten Säulen antikisierender Tempel als fingierte Fernblicke zu erspähen sind und ihm regelmäßig Sodbrennen verursachen. Wie angenehm lebt es sich dagegen in seinem spartanisch eingerichteten Bureau, das einzig dem Zweck des Studierens und Amtierens gewidmet ist und mit wenigen schlichten Möbeln aus Kirschbaum auskommt, unter denen sich sein geliebter Schreibtisch und ein mannshoher Wandspiegel mit verziertem Rahmen besonders hervortun.
Als diese drei Gedankenstränge miteinander kollidieren, zurrt der Baron den wollenen Schal, den er seit zwei Wochen auch im Amt nicht abzulegen pflegt, obwohl ihn eine Hitzewelle nach der anderen überschwemmt, fester um den Hals. Das ganze Jahr über ist es ungewöhnlich heiß gewesen und auch jetzt noch gibt das Wetter keine Ruhe. So hat sich von Dassel im Zuge ständiger Fehleinschätzungen der meteorologischen Lage im Wechselspiel mit der jahreszeitüblichen Kleidung und gelegentlichen Außenterminen rettungslos erkältet. Wenn es denn doch einmal, als erbarme sich der liebe Gott, patschnasse Flocken schneit, was selten genug der Fall ist, wird unter den Füßen der Städter gleich alles zu Matsch. Dieses graue, glitschige Leben unter der Wärmedecke macht die Menschen verrückt, die Verbrecher ebenso wie ihre Jäger. Von Dassel sehnt sich nach einem kalten Wind, der ihm mit seiner Eisesklinge klärend über die Stirn rasiert.
Der Polizeiwachtmeister Rübsam mustert seinen in irgendwelche Eingebungen versunkenen Vorgesetzten misstrauisch und ringt nach Worten, um den Schaden für sich als den Überbringer der schlechten Nachricht in Grenzen zu halten. Schließlich kann er doch nicht an sich halten und plautzt heraus:
»Ihre Frau Gemahlin wird den Karpfen wohl alleine verspeisen müssen.«
»Warum sollte sie?«, fragt von Dassel verwundert.
»Weil wir eine Leiche haben«, sagt Rübsam. »Das heißt: nicht ›wir‹, sondern Sie, vielmehr auch nicht Sie, denn schließlich gehört sie Ihnen genauso wenig wie mir, aber sie ist nun mal leider da.«
»Zu Weihnachten?«, entfährt es von Dassel.
Sogleich grämt ihn die Blödigkeit seiner Bemerkung. Rübsam sieht über sie hinweg. Der Polizeiwachtmeister hat sich abgewöhnt zu glauben, seinen Vorgesetzten dürften keine Schwachheiten zugetraut werden.
»Leider«, sagt er. »Die Wache am Neuen Tor hat auf die Hauptwache Meldung machen lassen, dass der Gardist Georg Berger von dem Neuen Tor hereinwärts gegen die Stadt zu bei dem auf dem Fußpfad gegen den Fluss liegenden großen Stein totgeschlagen worden sei.«
Der Stadtgerichtsdirektor richtet sich widerwillig auf, stöhnt und fragt: »Was, bitte, heißt das auf Deutsch?«
»Man hat den Gardisten Georg Berger von den Leibgrenadieren gefunden«, entgegnet der Polizeiwachtmeister, wobei er sich strafft, um die Wörter nicht wieder ungeordnet in die Freiheit zu entlassen. »Am Fluss, wo der große Stein liegt. Er ist tot.«
»Der Stein?«
»Der Gardist, mit Verlaub. Wahrscheinlich erschlagen. Wobei nicht mit diesem Stein, denn das ist ein riesiger Abweisstein und viel zu groß.«
»Jetzt hab ich’s kapiert«, sagt der Stadtgerichtsdirektor erleichtert. »Ist den Wächtern vom Neuen Tor etwas aufgefallen?«
»Sie sagen, sie hätten in der Nacht zwar Lärm gehört, aber nicht geglaubt, dass es so arg ist und darum nicht eingegriffen. Aber dann habe ihnen der Soldat Rupert Clemens einen der Unruhestifter, einen gewissen Johann Antoni, übergeben mit den Worten: ›Der war’s, der hat zugeschlagen.‹«
Von Dassel lehnt sich befriedigt im Lehnstuhl zurück.
»Na also. Dann liegt der Fall doch klar.«
Womit er so viel wie »Was wollen Sie dann noch von mir?« sagen will. Aber Rübsam verdirbt ihm die gute Laune, indem er einwendet:
»Der Antoni bestreitet den Vorwurf unter Tränen.«
»Unter Tränen?«, fragt der Stadtgerichtsdirektor angewidert.
In einem beinahe entschuldigenden Tonfall erklärt der Polizeiwachtmeister: »Er gehört der Mannschaft des Invaliden-Regiments an.«
»Offensichtlich nicht ohne Grund«, bemerkt der Stadtgerichtsdirektor bissig.
»Er behauptet, Clemens, also der, der ihn gebracht hat, sei genauso dabei gewesen. Außerdem ein Soldat namens Gräfe«, sagt der Polizeiwachtmeister Rübsam und fügt nicht ohne Stolz hinzu: »Ich habe alle zwei festgesetzt. Der Antoni saß ja schon. Daraufhin schwärzte Gräfe noch den Fuhrmann Schürer, Matthias, und den Steinhauergesellen Kreuzer, Friedrich, an. Die hätten sich ebenfalls gekloppt.«
Der Stadtgerichtsdirektor seufzt vernehmlich. Natürlich. Warum sollte es ausgerechnet heute unkomplizierter einhergehen, als sonst.
»Folglich habe ich mir den Schürer gegriffen«, setzt der Polizeiwachtmeister seinen Bericht gestenreich fort, »und ebenfalls eingebuchtet. Und ihm bei dieser Gelegenheit einen Prügel abgenommen, der war drei Schuh lang.«
»Die Tatwaffe?«, erkundigt sich der Stadtgerichtsdirektor.
»Woher soll ich das wissen?«, sagt der Polizeiwachtmeister achselzuckend.
Wahrscheinlich hat er seine eher rhetorische Frage gar nicht so despektierlich gemeint, wie sie herauskam, aber der Stadtgerichtsdirektor hält sie pflichtgemäß für eine Insubordination und bedenkt seinen Untergebenen mit einer scharfen Zurechtweisung in Form eines strafenden Blickes.
»Der Prügel wird noch inspiziert, vom Herrn Stadtphysikus Carus«, räumt der Polizeiwachtmeister kleinlaut ein, nachdem er den Schreck überwunden hat.
»Was ist mit