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Kursverlust: Szenen einer Krise
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eBook252 Seiten3 Stunden

Kursverlust: Szenen einer Krise

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Über dieses E-Book

Georg von Lakin – Romanfigur und Hauptdarsteller dieser szenisch aufbereiteten Persiflage – lässt nichts anbrennen. Inmitten der wohl größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg kämpft er mit allen Mitteln und unlauteren Praktiken um den ersten Platz auf der Karriereleiter. Halsbrecherische Finanztransaktionen begleiten seinen Weg in ein politisch herausragendes Amt ebenso wie Betrügereien, Veruntreuungen, undurchsichtige Beziehungsgeflechte und illegale Machenschaften. Lakin setzt aufs Ganze und verliert doch alles: Macht, Ansehen, Geld und Ruhm. Der steinige Weg zurück in ein Leben, das ein wenig Anerkennung, Ansehen und Status zurückbringen soll, gestaltet sich abenteuerlich und äußerst schwierig. Kann ihm der Kraftakt gelingen?

Marlen Albertini kratzt mit ihrem neuen Roman an den gesellschaftlichen Fassaden und bietet vor dem Hintergrund der weltweiten Wirtschaftskrise
seit 2008 szenische Einblick in die Welt der Zocker, Blender, Verlierer und Gescheiterten ...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum7. Nov. 2018
ISBN9783746777689
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    Buchvorschau

    Kursverlust - Marlen Albertini

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    Der Blick fällt auf seine Schuhspitzen, die wie immer frisch poliert glänzen und mit dem scheinbar neu verlegten Linoleumbelag der riesigen Wartehalle um die Wette spiegeln. Ein seltsamer Geruch von Bohnerwachs, Schweiß und Misserfolg schwebt über den Wartenden, die wie angewurzelt auf den an der Wand befestigten Klappstühlen verharren. Eine überwältigende Stimmung der Resignation schnürt ihm fast die Kehle zu, als sein Blick die LED-Anzeige der Nummernanlage streift.

    »763 bitte in Raum 16!«, fordert eine blechern klingende Stimme eindringlich und bestimmend auf ...

    Das Buch

    Georg von Lakin – Romanfigur und Hauptdarsteller dieser szenisch aufbereiteten Persiflage – lässt nichts anbrennen. Inmitten der wohl größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg kämpft er mit allen Mitteln und unlauteren Praktiken um den ersten Platz auf der Karriereleiter. Halsbrecherische Finanztransaktionen begleiten seinen Weg in ein politisch herausragendes Amt ebenso wie Betrügereien, Veruntreuungen, undurchsichtige Beziehungsgeflechte und illegale Machenschaften. Lakin setzt aufs Ganze und verliert doch alles: Macht, Ansehen, Geld und Ruhm. Der steinige Weg zurück in ein Leben, das ein wenig Anerkennung, Ansehen und Status zurückbringen soll, gestaltet sich abenteuerlich und äußerst schwierig. Kann ihm der Kraftakt gelingen?

    Marlen Albertini kratzt mit ihrem neuen Roman an den gesellschaftlichen Fassaden und bietet vor dem Hintergrund der weltweiten Wirtschaftskrise seit 2008 szenische Einblick in die Welt der Zocker, Blender, Verlierer und Gescheiterten ...

    Die Autorin

    Marlen Albertini ist gelernte Journalistin und Publizistin und befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Politik, Wirtschaft und Soziales sowie Bürger- und Menschenrechte. Seit 1994 arbeitet sie als freie Journalistin und Redakteurin für verschiedene Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

    Marlen Albertini

    KURSVERLUST

     Szenen einer Krise

    SPREEZEITUNG Berlin

    Herausgeber: SPREEZEITUNG, Berlin

    www.spreezeitung.de

    Dezember 2018

    © Marlen Albertini - https://kursverlust.de

    Druck: epubli || neopubli GmbH, Berlin

    Lüneburger Lektorat || Klaus Schröder

    Cover-Gestaltung: Steffen Pidun

    Printed in Germany

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über: http://dnb.de/DE abrufbar.

    »Vor dem Boom und nach dem Krach

    herrscht große Stille.

    Was sich dazwischen abspielt,

    ist nur hysterischer Lärm ohne viel Verstand.«

    (André Kostolany)

    NUMMER 811, BITTE IN RAUM 21!

    Der Blick fällt auf seine Schuhspitzen, die wie immer frisch poliert glänzen und mit dem scheinbar neu verlegten Linoleumbelag der riesigen Wartehalle um die Wette spiegeln. Ein seltsamer Geruch von Bohnerwachs, Schweiß und Misserfolg schwebt über den Wartenden, die wie angewurzelt auf den an der Wand befestigten Klappstühlen verharren. Eine überwältigende Stimmung der Resignation schnürt ihm fast die Kehle zu, als sein Blick die LED-Anzeige der Nummernanlage streift.

    »763 bitte in Raum 16!«, fordert eine blechern klingende Stimme eindringlich und bestimmend auf. Sein Blick taxiert das Stückchen verstärktes Papier in seinen Händen. Es trägt die Nummer 811 und sieht aus wie eine billige Kinokarte. Langsam lockert er seinen steifen Krawattenknoten und hebt vorsichtig den Kopf, um sich ein genaueres Bild von seinem Umfeld zu verschaffen. Gegenüber redet sich gerade eine ungepflegt wirkende Blondine in Rage, während ihr Sitznachbar zur Linken wohl eingeschlafen ist. Ein Mann weiter rechts nestelt an einem Stapel Unterlagen herum, den er umklammert, als wäre er sein ganzer Besitz.

    »Auch arbeitslos?«, raunzt es plötzlich neben ihm. Georg von Lakin dreht sich zur Seite und sieht in lauernde, leicht blutunterlaufene Augen. Klingt das etwa nach Schadenfreude? Grimmig und beinahe etwas zu hektisch wehrt er den aus seiner Sicht allzu neugierigen Angriff auf seine Person mit einem schroffen »NEIN!« ab und wendet sich wieder der schrillen Blondine zu. Mit ihrer viel zu großen Klappe scheint sie der puren Angst vor der Zukunft davonlaufen zu wollen, während sich alle anderen Gespräche in einem unverständlichen Gemurmel verlieren.

    »811 bitte in Raum 21!« scheppert es nun energisch aus dem Lautsprecher über der LED-Anzeige. Als könne es der ungeduldig wartende Sachbearbeiter gar nicht abwarten, den nächsten Fall unter seine Fittiche zu bekommen, scheppert es gleich noch einmal: »811 bitte umgehend in Raum 21!« Hastig richtet Lakin seinen gelösten Krawattenknoten zurecht und klemmt den mitgebrachten Aktenordner unter den Arm. »Ferdinand Trompt, Fallmanager« steht in sauberen Lettern auf dem Schild an der Tür. Es hört sich irgendwie unausweichlich an.

    »Herr Lakin?« Der abschätzende und unpersönliche Blick des Sachbearbeiters berührt ihn flüchtig, aber unangenehm. Eine kurze Geste weist ihm den Platz hinter dem aufgeräumten und blitzsauberen Schreibtisch.

    »Von ...«, haucht der Angesprochene korrigierend, »von Lakin,« und nimmt den ihm zugewiesenen Platz ein. Unsicher wie ein Schuljunge und voller Unruhe reibt er seine Handflächen auf dem Stoff seiner Hose hin und her, als gäbe es Bedrohliches zu verhindern ...

    AUFSTIEG MIT ALLEN MITTELN

    »Beeil dich«, zischt Lydia von Lakin ihrem Mann zu. Planmäßig findet die Veranstaltung mit anschließender Podiumsdiskussion in einer guten Viertelstunde statt. Noch immer steht Georg vor dem mannshohen Spiegel im Flur der großen Villa. Schnell übt er noch große Gestik und äußert dazu eine Passage aus jener Rede, die später ganze Menschenmengen begeistern soll.

    »Wie sehe ich aus?«, fragt er etwas unwirsch und nun schon zum dritten Mal. Ohne auch nur andeutungsweise auf die Frage einzugehen, zieht Lydia ihren Mann in Richtung Haustür und weiter zur Garage. Natürlich sieht er gut aus, wie stets. Exzellent gekleidet zeigt er sich in einem dezenten, modischen und sündhaft teuren Anzug und wirkt unwiderstehlich. Die Haare perfekt gestylt und mit vielleicht einem Hauch zu viel glänzendem Gel taff zurückgekämmt, schreitet Lakin wie das wandelnde Erfolgsmodell des 21. Jahrhunderts daher. Schwungvoll öffnet er die Beifahrertür der blitzblanken eleganten Luxuslimousine und atmet tief durch. Die eben noch stark empfundene Anspannung fällt langsam von ihm ab, und er lehnt sich in den feinen Ledersitzen bequem zurück. Geschickt angelt er sich eine der Markenzigarillos aus seinem eleganten Etui, ohne die er niemals das Haus verlassen würde. Lydia, die ihren Mann wie immer zu wichtigen Veranstaltungen chauffiert, rümpft die Nase. Nicht in 20 Ehejahren konnte sie sich an den beißenden Geruch dieser Nobeltschipetten gewöhnen. Resigniert nimmt sie zur Kenntnis, wie der penetrante Geruch langsam aber dominant die Luft im Fond durchdringt und sogar die Sicht verschleiert.

    »Herr von Lakin, werden Sie noch heute mit Ihren Forderungen an die Öffentlichkeit gehen?«

    »Ab wann sollen denn die Gesetze in Kraft treten ...?«

    »Wie stellen Sie sich die Umsetzung dieser Politik vor?«

    Lakin, der soeben seinen Wagen verlässt, wird von einer Traube Menschen erwartet, die sich vor dem Klaubrühler Hof formiert hat und nun ungeduldig Einlass begehrt. Die heimische Presse und auch große Sender bedrängen ihn mit Fragen und strecken ihm respektlos Mikrofone unter die Nase. Andere bringen sich mit gezückten Schreibutensilien direkt vor seiner Nase in Position und lauern wie eine Horde kläffender Kampfhunde.

    »Wichtigtuerische Schreiberlinge ...«, denkt Lakin und schaut in ihre erwartungsvollen Gesichter, die lüstern auf Sensationsnachrichten lauern wie Drogenabhängige auf den ganz großen Kick.

    »Die Gesetze müssen nur noch den Rat passieren, dann können sie in Kraft treten«, ruft er der Meute entgegen und bahnt sich mühsam einen Weg in die große Vortragshalle. Links und rechts weichen Menschen zurück. Einige applaudieren und rufen laut seinen Namen. Andere halten Schilder hoch mit säuberlich geschriebenen Lettern:

    MIT LAKIN BEGINNT DIE ZUKUNFT!

    HOFFNUNGSTRÄGER LAKIN

    LAKIN FÜR DIE MITTE!

    LAKIN, DAS WIRTSCHAFTSWUNDER

    Letzteres erfüllt Lakin mit besonderem Stolz. Junge Leute schwingen dunkelblaue Fähnchen mit weißen Buchstaben. Sie tragen das Kürzel »WGP«. Es steht für »Wirtschafts- und Globalisierungspartei«. Die Newcomer-Partei – Lakin nennt sie stolz sein Baby – kostet ihn ein Vermögen. Doch mit sensationellen 16 Prozent hat sie gleich beim ersten Anlauf 146 von 622 Sitzen im Parlament erobert. Lakins Brust schwillt angesichts des vollen Saals deutlich erkennbar an. Alle sind gekommen: Parteifreunde, eine üppige Delegation maßgeblicher Stimmen aus Wirtschaft und Mittelstand, Parteispender, die politische Konkurrenz sowie alles von Rang und Namen aus der Abteilung Politische Berichterstattung. Sogar das dreiste und etwas pickelige Gesicht des Chefredakteurs vom Bad Schlirnauer Tageblatt, dem Boulevardblättchen Nr. 1, lugt zwischen den Menschenmassen hervor.

    Aufrecht und dynamischen Schrittes betritt Lakin die Bühne und nimmt sogleich Rednerpult und Mikrofon in Beschlag.

    »Wir schaffen mit dieser Reform nicht nur den größten Niedriglohnsektor und damit ein hohes Maß an Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt. Wir schaffen damit auch eine neue Selbstverantwortung jedes einzelnen Bürgers, der damit allein seines Glückes Schmied ist«, schmettert Lakin in die Menschenmenge. »Wer es so nicht schafft, wer also da nicht mitkommt, der wird verpflichtet, jeden erdenklichen Job anzunehmen, sei er auch noch so unterqualifiziert. Damit geben wir erheblich bessere Anreize zu mehr Eigeninitiative, als es eine leistungsorientierte Sozialpolitik jemals tun könnte«, führt er forsch weiter aus. Die jubelnde Masse applaudiert angesichts der markigen Worte umso heftiger.

    »Wir erzielen damit Einsparungen im neunstelligen Bereich per anno und sind in der Lage, mit den freigewordenen Geldern eine wesentlich kompetentere und flexiblere Wirtschaftspolitik zu gestalten.« Verhohlen wischt sich Lakin einige Schweißperlen von der Stirn, bevor er zum Schlussakkord ansetzt. Die stickige Luft macht ihm zu schaffen, und die Anstrengung der Rede steht ihm ins Gesicht geschrieben.

    »Hinsichtlich der verschärften Politik im Niedriglohnbereich sind wir anderen Ländern um Lichtjahre voraus. Wer als Unternehmer in unser Land kommt, soll wissen, dass er hier ein lukratives, schier grenzenloses Angebot qualifizierter und dabei billigster Arbeitskräfte vorfindet. Wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa, aber auch weltweit weiter festigen. Exportweltmeister, das sind wir und zwar nur wir ...!«, beendet er seine Ausführungen.

    Minutenlanger, tosender Beifall, der in anhaltenden Jubel übergeht, suggeriert Lakin, dass er sich auf der richtigen Spur befindet. Er trifft eben den Nerv der Zeit und den Ton der Menschen. Diese sind es einfach leid, ihr sauer verdientes Geld in immer mehr Sozialausgaben fließen zu sehen. Mit seinen Parolen konnte er sogar die Konkurrenzparteien überzeugen, und sein Gesetzesentwurf unter dem Motto »Arbeit für alle und zu jedem Preis« nahm erst jüngst äußerst glatt und geschmeidig die  parlamentarischen Hürden. Ähnlich glatt wird in Kürze auch sein Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung und Stabilisierung der Finanzmärkte die parlamentarischen Hürden passieren. Da ist sich Lakin absolut sicher. Es wird erforderlich, weil die größte Finanzkrise in der Nachkriegsgeschichte ihre ansonsten so ruhige politische Bühne aufmischt. Seitdem laufen viele Politiker wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend, und Lakin erweist sich auch hier als Retter in der Not. Die meisten haben gar nicht verstanden, dass sie mit ihrer Zustimmung zum neuen Gesetz ein »Weiter so!« hinsichtlich katastrophaler Agitationen am Finanzmarkt heraufbeschwören. Sie sind einfach froh, sich handlungsfähig zu zeigen ...

    Das Gesetz, das Lakin in mühsamer Vorarbeit zusammenzimmert, erlaubt es Banken, ihre wertlosen und toxischen Schrottpapiere künftig in sogenannte Bad Banks auszulagern. Solche »schlechten Banken« sind keine Kreditinstitute im herkömmlichen Sinne, wie das Wort suggerieren könnte, sondern Zweckgesellschaften. Sie dürfen mit wesentlich weniger Eigenkapital als reguläre Banken wirtschaften. Eine derartige Eigenkapitalunterdeckung hatte ursprünglich einmal die Krise mit ausgelöst. Praktisch bedeutet es, dass wertlose Fonds gegen staatlich garantierte eingetauscht werden können. Lakin kratzt sich am Kopf und freut sich noch immer und nicht ohne Häme, dass er das durchboxen konnte. Unter dem Deckmantel der hochtrabenden und bandwurmähnlichen Bezeichnung einer »Maßnahme zur kurzfristigen Bereinigung der Bilanzen von Finanzholding-Gesellschaften oder Kreditinstituten oder deren Tochtergesellschaften von strukturierten Wertpapieren bei gleichzeitiger Schaffung von Planungssicherheit hinsichtlich erforderlicher Abschreibungen« verbirgt sich nichts weiter als staatlich legitimierte Bilanzfälschung. Doch was sich kompliziert und wie ein Zungenbrecher liest, ist eigentlich ganz einfach: Die Finanzinstitute dürfen ihre wertlosen Papiere künftig mit einem Abschlag des Buchwertes an diese neu einzurichtenden Zweckgesellschaften auslagern und erhalten dafür aus einem eigens zur Verfügung gestellten staatlichen Rettungsfond garantierte Anleihen. Damit sind die »Miesen« erst einmal aus den Bilanzen ge-»trickst«. Die Rückabwicklung darf sich gesetzmäßig einen Zeitraum von sage und schreibe zwei Jahrzehnten hinziehen. Praktischerweise kann sich das Volk dann kaum noch erinnern, um was es damals ging. Kommt Zeit, kommt das Vergessen, und ganz unmerklich und fein in dieses Kuddelmuddel versteckt, haben einmal mehr die Steuerzahler sämtliche Verluste bezahlt. Besonders stolz ist Lakin auf eine Sonderklausel, die er geschickt und beinahe unbemerkt in das Gesetz eingewoben hat. Sie zählt ebenfalls zu einem seiner genialen Schachzüge und betrifft die jährlichen Zinszahlungen für die großzügigen Zuwendungen der Steuerzahler. Denn die müssen nur dann an den Staat entrichtet werden, wenn die Bilanz Gewinne ausweist. Bei vielen Banken ist das jedoch gar nicht der Fall.

    Glücklicherweise hat bisher niemand die bohrende Frage gestellt, zu welchem Preis die Schrottpapiere von den Bad Banks übernommen werden. Nur solche Zahlen könnten Aufschluss darüber geben, wie hoch die Bürgschaft für die Steuerzahler am Ende tatsächlich ausfällt. Eine seriöse Bewertung des Risikos für die Allgemeinheit ist unter solch defizitären Kriterien ausgeschlossen. Das wollte Lakin auch erreichen, um Unruhe im Volk zu vermeiden. Ist erst einmal eine gewisse Zeit vergangen, interessiert sich der Bürger längst nicht mehr für diese Angelegenheit. Das weiß er aus Erfahrung. Bis dahin ist allerdings äußerste Vorsicht geboten. Immerhin verschleiern Bad Banks wichtige Fakten, und die Bilanzierungstricks bewegen sich außerhalb aller ursprünglichen kaufmännischen Regeln, die einmal als eherne Gesetze Gültigkeit hatten und ein ordentliches Geschäftsgebaren begründeten.

    Das neue Gesetz macht aus der Forderung nach wahrheitsgemäßen Bilanzierungen nichts anderes als »Wünsch-dir-was-Regeln« für eine bestimmte Klientel. Es muss mit Bedacht taktiert werden, damit die Bevölkerung von den Zusammenhängen nicht zu viel mitbekommt. Lakin ist auch deshalb mit dem Ergebnis rundum zufrieden, weil seine brillanten rhetorischen Fähigkeiten die Parlamentarier am Ende dazu bringen werden, das seltsame Prozedere übereinstimmend als »alternativlos« zu bewerten. Etwas Besseres kann ihm nicht passieren. Nicht zuletzt seit Bekanntmachung seiner Ideen zu den Bad Banks geistern die Worte »alternativlos« und »systemrelevant« wie Modeworte durch die Republik. Jeder, der politisch etwas auf sich hält, trägt diese Formulierungen locker und stets abrufbereit auf der Zunge. Einer wie Lakin weiß natürlich, dass das völliger Nonsens ist. Die verallgemeinernden Aussagen, alle Banken seien »systemrelevant« und »alternativlos«, entspringen einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sie treffen schlichtweg nicht zu und werden lediglich bedient, um die zornige Volksseele zu beschwichtigen. Deren Unmut hat umso mehr zugenommen, weil versagende Banken nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen, sondern vielmehr üppig belohnt werden – obwohl sie nach einem teilweise kriminellen Anlage- und Beratungsgebaren gegenüber ihren Kunden auf einem seriösen Markt gar nichts mehr zu suchen haben.

    Solche Fakten gibt Lakin allenfalls sich selbst gegenüber zu. Denn er will Karriere machen. Da haben Skrupel keinen Platz, und so verschanzt er sich hinsichtlich der Bilanztricksereien im Namen des Parlaments auch hinter fadenscheinigen Aussagen. Eine davon lautet, es müsse schließlich Sorge dafür getragen werden, dass Unternehmen ausreichend kreditwürdig sind. Dumm nur, dass die Banken besonders dieser Kernaufgabe trotz milliardenschwerer Stützungen durch die Steuerzahler nach wie vor nicht angemessen nachkommen. Anfragen von Bürgern und Institutionen, was denn mit den zur Verfügung gestellten Geldern geschieht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wofür sie gedacht sind, beunruhigen Lakin schon ein wenig. Einige fragen, ob sich die Banken etwa mit Staatsmitteln auf Kosten einer Kreditklemme im Mittelstand sanieren. Andere wollen wissen, warum es für Finanzinstitute hinsichtlich des bereits zurückliegenden Konjunkturprogramms keine klaren Regeln zur Verwendung der Mittel gibt. Und auch die bohrende Nachfragen, warum Kanzleien, die ansonsten für die Banken tätig sind, an Gesetzen mitwirken, kommen bei Lakin und den anderen Politikern unangenehm an. Doch sie werden mit der stets gleichen stereotypen Antwort bedacht, es müsse in solch schweren Zeiten eben beherzt zugepackt werden. Das hinterlässt bei den Fragestellern zwar einen bitteren Nachgeschmack. Aber in der Krise hilft es den Verursachern, sich hinter mangelndem Fachwissen zu verstecken. Für krisengeschüttelte Privatanleger, die sich in der Vergangenheit eben genau von dieser nun privilegiert behandelten Kreditwirtschaft betrogen und über den Tisch gezogen sehen, muss dies alles wie eine schallende Ohrfeige wirken. Einen Profi wie Lakin interessiert Kritik allerdings wenig. Auch kümmern ihn die Probleme gebeutelter Privatinvestoren nicht. Ungeachtet all dieser Fakten zieht Lakin sein Ding pragmatisch durch. Er freut sich über die tiefgreifenden Folgen, die seine Maßnahmen nicht nur für die Kreditwirtschaft bereitstellen. Ein weiteres Highlight für das taumelnde System ist schon in Planung. Das jetzt beschlossene Bad-Bank-System soll großzügig ausgebaut werden. Es wird mittels »Konsolidierungsmodell« nicht allein für toxische Papiere bei dieser Form der Entsorgung bleiben. Auch Firmen- und Staatsanleihen, die nicht mehr handelbar sind, weil wertlos, sowie ganze Geschäftsfelder können künftig von diesem Prozedere profitieren.

    Lakin schreckt aus seinen Gedanken auf. Er genießt weiter den frenetischen Beifall, der nicht enden will. Die kolossale Anspannung löst sich langsam und fällt schließlich ganz von ihm ab. Seine Gesichtszüge glätten sich, und er lächelt in die Massen. Dann reicht er einzelnen Anhängern die Hände und bewegt sich langsam Richtung

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