Dem Wort das Wort.: Auferstehung des Wortes, 300 Anagramme aus einem Vers von Heinrich Böll und andere anagrammatische Wortmetamorphosen
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Über dieses E-Book
Anagramme sind Worte oder Texte, die exakt buchstabengleich sind.
Bekannt sind der häufig spielerische Gebrauch, gelegentlich sogar die künstlerische Auseinandersetzung wie bei Unica Zürn, wenn auch mit überwiegend dunkelsinnigen, kafkaesken Wort-Satz-Konstruktionen.
Was aber passiert eigentlich, wenn man gezielt auf die Suche nach sinnvollen Leselösungen geht? Spricht Sprache? Eine spannende Frage?
Die Antwort ist noch viel spannender, als es sich auch nur ansatzweise erahnen lässt.
Nach der maximal möglichen Zertrümmerung des originalen Sprachleibes ergeben sich anagrammatisch völlig unerwartet neue, lebendige und sinnstabile Satzgestalten. Dem Wort-Mord folgt die Schrift-Auferstehung mit einer innewohnenden Vitalität und Kommunikationskraft, die in Erstaunen versetzen; eine unglaublich inspirierte wie inspirierende Wortmusik und Wortdynamik von mitreißender und wahrhaft belebend bunter Leuchtkraft.
Diese sprachwandlerische Expedition konfrontiert mit einem provokativen Sinnbegriff, der tatsächlich aus gewohnten Denkmustern und Gefühlswelten herausruft.
Ergänzt wird dieses Buch durch die interaktive Fortsetzung im Internet auf anagramme-mit-sinn.de .
Ähnlich wie Dem Wort das Wort.
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Buchvorschau
Dem Wort das Wort. - Christopher D. Schnorr
Kurzes Vorwort zum Anagramm
oder
Betriebsanleitung, vor dem Lesen zu beherzigen
Zum rein technischen Vorgang der Anagraphie die Regeln im Telegrammstil
1. Ein schriftlicher Gedanke oder Satz, ein Name oder nur ein Wort wird in seine Grundbausteine, die Buchstaben, zerlegt.
2. Diese Buchstaben dienen als Arbeitsgrundlage für die Suche nach neuen Worten.
3. Für einen neuen Gedanken und den daraus entstehenden Satz müssen zum Abschluss exakt alle Buchstaben verwendet sein, keiner mehr und keiner weniger.
4. Umlaute werden nach allgemeiner Übereinkunft durch Vokal und ein E, ß durch Doppel-S wiedergegeben.
„Mini-Beispiele" fürs Anagramm
ENDE – EDEN
REBE – ERBE
GEIST – SIEGT
FEHLER – HELFER
IN LIEBE – EIN LEIB
MEINE MUSE – EINE SUMME
BROT UND WEIN – EIN BUNDWORT
JERUSALEM – LA JE MEURE (Dort sterbe ich);
ANAGRAMMA – ARMA MAGNA (große Waffe)
Sonderformen sind der Schüttelreim, der Austausch von Einzelbuchstaben zweier Wörter oder Silben: Mein Kuss – kein Muss,
und das Palindrom, ein vorwärts wie rückwärts lesbares Wort:
Nebel-Leben; Lese-Esel; Abba; stets; nun
Die eigene anagrammatische Sucherfahrung vermittelt am ehesten einen Eindruck von der Komplexität des Vorgangs und davon, dass das Finden von Anagrammen kein triviales Spiel sein muss. Schnell begegnet man schon bei noch überschaubarer Buchstabenanzahl einer Respekt einflößenden sprachlichen Herausforderung.
Der praktische Test in Eigenanwendung bietet sich beispielsweise mit Hilfe von Scrabble-Steinen an.
Für die Freunde des PC-gestützten Lebens wird auf der Homepage www.anagramme-mit-sinn.de die Möglichkeit eines online nutzbaren Programmes eingerichtet, um eigene Anagramme zu suchen oder die hier vorgestellten zu überprüfen. Es können auf diesem Wege im Sinne eines interaktiven und dynamischen Buchwerkes auch alternative Anagramme aus den hier vorgestellten Quelltexten, Kommentare und Ergänzungen veröffentlicht werden, eigene wie Ihre.
Anagramme - warum, wie, wozu?
Die vordergründige Antwort ist leicht: Neugier, Sprachspielspaß und Überraschung sind zugleich Motivation und Ergebnis der Beschäftigung mit der Anagraphie. Der spielerische Reiz dieser besonderen Begegnung mit der Schriftsprache ist seit Jahrhunderten bekannt. Bereits im 3. Jh. vor Christus soll Lykophron von Chalkis das Anagramm erfunden haben.¹ Auch die Frage, ob tieferer Sinn zu entdecken wäre, veranlasste Menschen zur Beschäftigung mit der Anagraphie. Das bekannteste Beispiel ist Ferdinand de Saussure mit seinen Anagrammstudien.² Künstlerisch hat Unica Zürn als erste und prominenteste Vertreterin intensiv die Untiefen von Anagrammtexten ausgelotet und den Leser in Gedichtform durch ihre Welt der Begegnung mit der Schrift im Letternwechsel geführt.
Diese Anreize, Spiel und Sinnsuche, vor allem aber ein ungeahnt dynamisch hervortretendes Eigenleben der Sprache sind Anlass für dieses Buch. Die hier vorgestellte Herangehensweise an das Phänomen der Anagraphie vermeidet dabei einen im Allgemeinen meist unverbindlichen Umgang, der sich eher an Belustigung oder am Effekt orientiert. Es wurden bewusst sinnvolle Ursprungssätze und -gedanken ausgewählt und sinnvolle anagrammatische Ergebnisse erwartet. Und damit werden alle weiteren Antworten auf das Fragentrio zum Warum, Wie und Wozu der Beschäftigung mit der Anagraphie schwerer aber auch sehr viel interessanter und spannender, da Sinn sich nun einmal nicht beliebig finden lässt.
Warum?
Das Vorbild gibt ausgerechnet ein Satz, der bei einem Verhör dokumentiert wurde. Es irritiert vielleicht, dass gerade der wenig bedachte Satz eines Machtmenschen die Grundlage für ein außergewöhnliches Anagramm liefert und hier Anlass für die weitere anagrammatische Suche wird. Pontius Pilatus, der römische Statthalter von Judäa, stellt in Jerusalem Jesus Christus diese wohl bekannteste Frage aus einer Verhörszene, die so in der Vulgata, der lateinischen Bibel, überliefert ist:
„QUID EST VERITAS".
Übersetzt bedeuten diese Worte: Was ist Wahrheit (Joh. 18,38)? Vermutlich schwang darin auch des Pilatus Spott mit.
Ohne dass der Entdecker noch namentlich bekannt wäre, weiß man durch kirchliche Quellen schon lange um die in den lateinischen Buchstaben verborgene und überraschende anagrammatische Antwort, die still die Spitze des Spottes umdreht:
EST VIR QUI ADEST. Zu Deutsch: Es ist der Mann, der zugegen ist.
Nach biblischem Zeugnis und christlicher Überzeugung entspricht dies, in den Buchstaben versteckt, der Wahrheit; es bleibt aber eine lautlose, verborgene Erwiderung, denn ohne wirklich eine Reaktion Jesu abzuwarten beendet Pilatus sein Verhör mit dieser Frage und wendet sich wieder der versammelten Menschenmenge zu, die dann erfolgreich die Kreuzigung fordern wird.
Sollte dieser verborgene Inhalt nur ein bemerkenswertes Einzelereignis sein, das zwar aufgrund des inneren Sinnzusammenhanges aufhorchen lässt, sonst aber eben als ein singuläres Ausnahmeergebnis ohne Konsequenz bleibt?
Schließlich gibt es weit mehr als 5 Milliarden beliebige Kombinationenmöglichkeiten, diese lateinischen Buchstaben anders zu ordnen.³ Und hier steht nur eine Möglichkeit da.
Was also passiert, wenn man diese einmalige Beobachtung zur Vorlage für eine methodische Untersuchung nimmt. Lässt sich Ähnliches wiederholen, ist hier eine Regelhaftigkeit erkennbar? Kann das ein lohnendes Projekt werden oder führt das nur zu immenser sinnarmer Zeitverschwendung? Bei dieser riesig großen Anzahl möglicher Buchstaben- und Wortkombinationen, die bereits in einem so kurzen Satz stecken, scheint einerseits alles möglich, realistisch betrachtet sind aber andererseits zu 99,999999% eigentlich nur Chaos oder unsinniger Quatsch zu erwarten.⁴ Im Entschluss, sich dieser Aufgabe zu stellen, lauert also die nächste und schwerwiegende, zugleich spannende Frage, ob beziehungsweise wie sich die wenigen sinnreichen Lösungen finden lassen? Der Computer kann sehr wohl hilfreich sein, aber Sinn zu erkennen ist er nicht in der Lage, und von allein entwickelt er nicht einen einzigen Satz, geschweige denn einen Gedichtvers.
Wie?
Vorab die kurze und nüchterne Antwort auf das Ob. Alle Folgeversuche, vergleichbar inhaltsintensive anagrammatische Texte in verschiedensten Ausgangssätzen oder gar –versen zu finden, stellten sich durchgängig als erfolgreich heraus. Auch ohne komplexe computergestützte Suchprogramme. Das freie Suchen und Finden von lesbaren Lösungen erfordert allerdings ein konzentriertes, inneres Horchen auf die Gedanken und die immer neue Prüfung, ob sich diese mit dem gegebenen Buchstabenbestand schreiben lassen, Wort für Wort, Sinn für Sinn, umbauend, neu hörend bis alle Lettern berücksichtigt sind. Dabei ist stets neu die Entscheidung zu treffen, welche Lesart eines Buchstabenhaufens eher sinnführend und welche irreführend sein könnte. Beispielsweise lässt sich EENRTT als „treten wie auch als „retten
aufnehmen, meist ist Letzteres „netter. ANRTU „raunt
„Unrat genauso wie „Natur
, EDIL lässt „Leid und „Lied
zu. Die Erfahrung zeigt, dass im Gesamtzusammenhang Versuche mit lebenspositiven Gedanken- und die daraus resultierenden Wortentscheidungen am ehesten auf den Weg zu Lösungen mit sinnstabiler Wortverknüpfung und letztendlich lesbarer Satzgestalt führen.
Meine anfänglich zweifelnde Unsicherheit und Spannung wich schnell einer wachsenden Faszination. Vergleichbar mag das vielleicht frühen Goldsuchern in Kalifornien ergangen sein, die bei ihren ersten Funden so gefühlt haben. Elektrisiert und zugleich fassungslos noch bei den ersten verbalen Sinn-Nuggets, weicht das Gefühl später einer erwartungsfrohen Zuversicht, nie aber einer routinierten Langeweile, wenn vor den eigenen Augen ein anagrammatisches Ergebnis wie Gold hervorblinkt zwischen all den denkbaren Sedimentmassen sinnloser oder zumindest sinnarmer Leselösungen. Mit Geduld und Hingabe wie ein Goldsucher muss man tatsächlich vorgehen. Hastig lässt sich kein Ergebnis herbeizwingen. Zu finden ist nur, was unsichtbar schon lange da war und ist. Eigenes Zutun kann weder an der Menge noch an der Qualität des gefundenen Wort-Schatzes etwas ändern. Ganz im Gegenteil, solche Versuche, sich den Erfolg zurechtbiegen zu wollen, behindern die Wahrnehmung. Beim Goldsucher verschleiert es den Blick für echte Nuggets. Beim Suchen der Anagramme trübt jeder Manipulationsversuch den wachen unvoreingenommenen Geist.
Hat sich aber erst unerschütterliche Gewissheit eingestellt, dass früher oder später immer neu wunderbare Aussagen aus dem Buchstabenfundus eines einzelnen Text zutage treten, gesellt sich beim eigentlich blinden Suchen und Finden ein fortgesetztes Staunen und Stutzen hinzu, bis eine ganze Sammlung von verwirrend klaren Wortfunden ans Licht gekommen ist. Nicht selten sitze ich in dem einen Augenblick noch in Bedeutungsfinsternis vor den letzten ungeordneten Buchstabenelementen, im nächsten Augenblick tritt unerwartet ein Gedanke wie ein Licht dazu, die Lettern können ihn wiedergeben und plötzlich wird eine sinntragende Gesamtlösung offenbar.
Die nächsten Schritte sind nicht minder herausfordernd und lohnend zugleich. Erst wollen die Worte eines gefundenen Anagramms zur sinnreichsten Komposition gebracht werden, danach folgt die assoziativ flüssigste Anordnung im möglichst fortlaufenden Text.
Wie bei einer Fahrt im Gebirge, wo hinter jedem Tal ein immer noch schöneres Tal sichtbar wird und sich mit jeder Serpentine neue atemberaubende Ausblicke auf ungeahnt schöne Einzelheiten der Landschaft in der Ebene auftun, so ergänzen sich die einzelnen Anagramme Aussage für Aussage zu einem wachsenden Gesamteindruck. Bruchstückhafte Erkenntnisse werden puzzleartig in immer größeren Zusammenhängen zu riesigen lebendigen Bildeindrücken geführt, die hinter einer Aussage plötzlich kulissenartig ungeahnte vielfache Dimensionen erkennbar werden lassen. Die scheinbare Übermacht sinnfreier oder sinnarmer Buchstabenkombinationen tritt zurück und bildet allenfalls noch den Kontrast, auf dem die verschwindend kleine Minderheit sinnklarer Lesungen nur umso erhellender