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Geh immer weiter: Qual und Offenbarung am Jakobsweg
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Geh immer weiter: Qual und Offenbarung am Jakobsweg
eBook344 Seiten5 Stunden

Geh immer weiter: Qual und Offenbarung am Jakobsweg

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Über dieses E-Book

"Geh immer weiter" handelt von einem Mann der sich aufgemacht hat Gott näher zu kommen. Einem Suchenden.
Doch es ist kein leichter Weg den er zu gehen hat.
Er muss große Strapazen auf sich nehmen. Wochenlang. Im Innen und Außen mit sich kämpfen.
Und immer weitergehen. Er muss sterben um neu zu beginnen. Doch er erreicht sein Ziel. Wenn auch auf so ganz andere Weise als gedacht. Nach einer Zeit der Qual wird ihm Offenbarung zuteil. Er erlebt die Liebe Gottes auf sehr ungewöhnliche Weise. Was alles verändert. Doch das Ende des Weges ist erst der Anfang.
Dieser Suchende bin ich.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Apr. 2020
ISBN9783750230903
Geh immer weiter: Qual und Offenbarung am Jakobsweg

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    Buchvorschau

    Geh immer weiter - Michael Stubbings

    VORWORT

    Wenn einem die Gnade einer starken Gotteserfahrung geschenkt wird, dann ist es so, als würde man etwas Ähnliches wie die Jünger bei der Verklärung erleben:

    Einen Augenblick lang hat man einen Vorgeschmack auf das, was die Seligkeit des Paradieses sein wird. Normalerweise handelt es sich um kurze Erfahrungen, die Gott manchmal gewährt, vor allem im Hinblick auf harte Prüfungen." (Papst Benedikt XVI)

    Das Buch zu schreiben wurde zu meinem Auftrag.

    Dieser Weg hat mein Leben verändert. So tiefgreifend wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

    Erst in der Rückschau meines Caminos und innerhalb der Jahre nach Rückkehr bis zum heutigen Tage hat sich vieles gezeigt:

    Mir wurde bewusst, wie sehr ich die meiste Zeit am Jakobsweg im „Hier und Jetzt" in Achtsamkeit verbracht habe. Aufmerksam war. Wenig in der Vergangenheit oder Zukunft.

    Der Dalai Lama meint: „Die zwei einzigen Tage an denen im Jahr nichts zu tun ist, sind Gestern und Morgen."

    Die Einsichten und „Geschenke" die ich erhalten habe, haben die Strapazen 100-fach aufgewogen. Am Weg selber hatte ich allerdings Schwierigkeiten meine Veränderungen zu erkennen. Ich schätze, dass 80% davon erst nach dem Camino aufgetreten sind oder zumindest für mich spürbar wurden. So hat für mich erst vieles später Sinn gemacht, auch wenn ich vielleicht nie alles verstehen werde, was genau in mir und mit mir geschehen ist.

    Ich habe mich nach dem Weg mit 40 Jahren ganz bewusst Firmen lassen was ein tiefgehendes Erlebnis der besonderen Art für mich war. Klöster und Kirchen und deren kontemplative Atmosphäre haben es mir besonders angetan. Ich habe in einer Pfarre in Niederösterreich, der ein wunderbarer Priester und Freund vorsteht, eine geistliche Heimat gefunden.

    Krankheit wurde mir am Camino abgenommen und ich bin einfacher geworden. Meine Eltern behaupten gar ich würde anders sprechen.

    Nebst dem Verkauf meines halben Haushaltes und meiner ganzen Unterhaltungselektronik fahre ich nun nicht mehr Sport,- sondern Kleinwagen und bin aus einem teuren Einfamilienhaus mit Garten am Bisamberg ausgezogen. Mein Weg führte mich in monatelange Klausur in ein Benediktinerstift und danach in Einsiedelei. Ich habe Exerzitien durchlebt und den theologischen Kurs abgeschlossen.

    Was manchen Menschen, speziell denen die mich vorher kannten, schwierig begreiflich zu machen ist, dass das Loslassen der obengenannten Dinge für mich keinen Verzicht, sondern eine Erleichterung darstellt. Ich möchte gar nicht mehr zurück in mein altes Sein. Dinge tragen zu müssen, die ich gar nicht brauche. Besitz bindet. Ich brauche niemanden mehr mit Materiellem zu beeindrucken.

    Dies zu verstehen bedarf einer weitreichenden Auseinandersetzung mit sich selbst wie sie auf dem Jakobsweg möglich ist. In einer Pilgerschaft wird man besonders intensiv mit sich konfrontiert. Wenn man es zulässt. Was zählt wirklich in meinem Leben? Warum lebe ich oder besser gesagt wofür oder für wen?

    Was aber ist zum Wichtigsten geworden?

    Ich habe zu Gott gefunden. Eine Sehnsucht und ein Gefühl der Liebe hat er in mir geweckt, die so stark ist wie kein Gefühl, welches ich in meinem bisherigen Leben kennengelernt habe. Immer wieder spüre ich diese Freude, diesen inneren Frieden. Diese Gnade genau zu beschreiben ist mir nicht möglich.

    Allen, die ernsthaft auf der Suche nach Gott sind, wird er entgegengehen. Daran glaube ich.

    Für mich ist es ein Akt der Gnade, daß ich den Weg nach Santiago de Compostela vollenden durfte.

    Ich bin sicher, dass ich den Weg ohne ihn nicht geschafft hätte. In allen Prüfungen und Verzweiflungen die ich zu bewältigen hatte, hat er mich gestützt, mir den Rucksack an so mancher Stelle leicht gemacht und mich immer weitergehen lassen. Er hat mich durchgerüttelt um aus mir einen reiferen Menschen zu machen. Einen Menschen, der nun noch mehr für andere zur Stütze werden kann. Dies versuche ich in Vorträgen und Coachings spürbar werden zu lassen.

    Ich bin zutiefst mit Dankbarkeit erfüllt und sehne mich zurück. An den Ort wo ich frei war.

    Mit Gott.

    Nehmen Sie sich Zeit für den Weg der für Sie spürbar wird. Für Gedanken, die in Ihnen auftauchen und wahrgenommen werden wollen.

    Der Weg des Lesens wird in Ihnen möglicherweise auch Widerstände auslösen. Doch würden Sie den Jakobsweg vorzeitig abbrechen wollen?

    Gehen Sie immer weiter

    Michael Stubbings

    VORBEREITUNGEN

    -Wenn Du etwas nicht aus eigener Kraft schaffst, fängst Du an zu glauben-

    Obwohl ich weiß was ich durchgemacht habe würde ich noch einmal losgehen…

    Die Kompassnadel meines Lebens war nicht mehr genordet und die Segel meines Schiffes schienen schwach in einer lauen Brise zu flattern. Ich habe in meinem Leben bereits vieles erleben dürfen, habe Ausbildungen gemacht und mich immer wieder bewusst selber verändert. Die berufliche Grundausrichtung „Sozialfeld" habe ich schon vor langer Zeit eingeschlagen. Dennoch trieb ich kurz vor meinem 40. Geburtstag recht unzufrieden dahin. Etwas fehlte. Unklarheit in Beruflichem und Privatem war in mir. Als Midlife Crisis hätte ich es nicht bezeichnet, da ich vor dem anstehenden runden Geburtstag keine Angst verspürte und es mir nicht wirklich schlecht ging. Und doch war da diese Unzufriedenheit in der statistischen Lebensmitte, ein Symptom für den Wunsch nach Etwas. Einer Neuausrichtung. Vielleicht einem Neuanfang?

    Für einen hochsensitiven Mann wie mich war der Jakobsweg eine besondere Herausforderung. Hochsensitiv zu sein bedeutet Licht und Schatten gleichzeitig. Man nimmt an, dass 10-20% der Bevölkerung in ihrer Persönlichkeit so ausgerichtet sind. Literatur ist erst wenige Jahrzehnte verfügbar weshalb das Phänomen noch nicht flächendeckend bekannt geworden ist. Einerseits haben alle HSP (High-sensitiv-person) eine feinere, ganzheitlichere Wahrnehmung über ihre Sinne und sind auch intuitiver und medialer ausgelegt. Sie sind sehr empathisch und fallen mit einer hohen kommunikativen und vermittelnden Kompetenz auf, da sie spüren was in ihrem Gegenüber „los ist". Es sind besonders viele hochsensitive Menschen in sozialen Berufen anzutreffen.

    Durch ihre Eigenart komplexer und tiefer zu reflektieren scheinen sie allerdings auch mehr Probleme bewältigen zu müssen. Mehr Rückzug und eine stressfreie Umgebung sind für HSP besonders wichtig, da sie durch ihre Reizoffenheit bei einem zu viel an Informationen sehr deutlich zur Erschöpfung neigen. Dies führt daraufhin im Außen zu einer vehementen Abgrenzung um sich zu schützen um wieder regenerieren zu können. Da sie Lärm-, Schmerz-, und Temperaturempfindlicher sind müssen sie sich eine für sie passende Lebensumgebung schaffen.

    Schmerzen und schlimme Situationen vergisst oder verdrängt der Mensch normalerweise. Wir wissen zwar, dass wir sie erlebt haben doch sie verhindern nicht, dass Frauen ein zweites Kind gebären oder wir uns noch einmal auf den Jakobsweg machen.

    „Den Jakobsweg gehen". Diesen Gedanken trage ich seit etwa 15 Jahren in mir. Zwar hab ich nie genau gewusst, was das eigentlich heißt, doch die Faszination war immer da.

    Mein spirituelles Interesse, aus dem möglicherweise die Idee entstammt den Jakobsweg zu gehen, wurde bereits Ende der 1990er Jahre durch ein Seminar bei einem Mann namens Art Reade geweckt. Er, verwurzelt in einer indianischen Familie, war derjenige der mir das erste Mal Gott oder „the Boss" wie er ihn nannte, näherbrachte.

    Aus meiner Kindheit kann ich mich was Kirche und Glauben angeht nur an die Erstkommunion erinnern. Mein Bruder und ich wurden, sagen wir, sehr freilassend im christlichen Glauben erzogen. Es war bei uns kein besonderes Thema. Ab und zu war ich in der Kirche, schämte mich aber beim Mitsingen. Beim Friedensgruß wildfremden Menschen die Hand zu schütteln war mir peinlich. Ich verspürte in der Kirche keine besondere Regung in mir. Das Thema Gott und Glauben war mehr oder weniger weit von mir weg, doch nie gänzlich uninteressant. Was meine Meinung über die Kirche anging, hatte ich dieselbe wie viele andere auch. Eine Mainstream Meinung. Gebildet aus Hören-sagen und Zeitungs- und Fernsehberichten. Besonders viel Gutes war wohl nicht dabei.

    Die Heavy-metal Musik die ich als Jugendlicher hörte und deren Texte und Bilder haben mich auch später, nach vielen Jahren nicht losgelassen. Obwohl die CD`s schon lange entsorgt waren, habe ich das Gespräch mit einem Priester gesucht um mich zu erkundigen ob die Beschäftigung mit dieser negativen Seite unbewusste Auswirkungen auf mich haben könnte. In dem Gespräch hat mich der Priester, mein heutiger geistlicher Begleiter und Firmpate, beruhigt. Er sagte, solange ich mich mit diesen Sachen nicht mehr beschäftige und mich auf die Seite des Lichtes stelle, sei alles gut. Das Licht vertreibt den Schatten. Es war eine Art Beichte für mich. Er gab mir den Segen und ich war froh dieses Kapitel abhaken zu können.

    Aber auch nach dieser Geschichte die erst wenige Jahre zurückliegt, fand ich keinen Zugang zu einem tieferen Glauben. Obwohl ich mich schon sehr lange als suchend empfunden habe. Heute nehme ich an, dass Gott mir eine Möglichkeit eingeräumt hat doch noch einen Weg zu finden. Auf dem Jakobsweg. Meinen Weg. Dem Weg meines Lebens.

    Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 kam das Thema in ungewohnt starker Präsenz in mir hoch. Sachlich habe ich gelernt, dass es nicht nur einen Jakobsweg gibt sondern viele, die sich durch ganz Europa ziehen. Außerdem ist nicht der Apostel Jakobus diese Wege gegangen sondern wir gehen diesen Weg zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela. Wir Pilger.

    Und so verdichteten sich die inneren und äußeren Anzeichen, dass es soweit war. Im Job ging es sehr mäßig, meine Paarbeziehung erlosch, ich fühlte kein Ziel mehr und war unzufrieden. Mein Leben war keine Katastrophe, doch eine innere Unruhe befiel mich. Immer mehr spürte ich, dass mich der Weg rief. Oder war es Gott der mich am Weg haben wollte? Ich spürte etwas in mir, dass schwierig zu beschreiben ist. Nachdem ich gedanklich im Kopf das Szenario durchgespielt hatte, etwa 6 Wochen unterwegs zu sein, fragte ich vorsichtig bei meinen Freunden an, was sie denn davon hielten. Zu meinem Erstaunen, waren alle von meiner Idee begeistert. In mir geriet etwas immer mehr in Fahrt. Wie etwas das endlich gelebt werden will. Das heraus will.

    Dinge die sein sollen flutschen. Und es flutschte. Die äußeren Umstände, die Argumente mit denen die meisten Abwinken würden (Keine Zeit, kein Geld, Familie) waren bei mir kein Problem. Alles trichterte sich um mich herum. Ich sollte anscheinend auf den Camino Francès. Ich wurde sicherer es tun zu wollen.

    Dann sagte ich es meiner Familie. Als ich es ihnen bei einem Familienfest in einem Restaurant erzählte, hatte ich Tränen der Freude und der Rührung in den Augen. Ich glaube da hatte mich der Weg bereits. Ich rechnete mit „naja, aber hast Du Dir das auch gut überlegt"? Gekommen sind nur gute, zustimmende Worte. Als hätten sie es immer gewusst, dass ich mich eines Tages auf den Weg machen würde. Sie haben gespürt, dass dies für mein Leben elementar sein könnte. Über ihre Reaktionen habe ich mich sehr gefreut. Es ist besser und angenehmer Rückenwind in den Segeln zu haben auch wenn mir klar war, dass dieser Ruf nun nicht mehr ausgeschlagen werden konnte.

    So war ich also bereits am Jakobsweg angekommen ohne Hagenbrunn verlassen zu haben. Ich fokussierte mich bereits, ohne es zu wissen.

    Eines der Dinge die ich aber intuitiv wusste, war: ich schreibe ein Tagebuch. Es wird einiges passieren und das sollte schriftlich festgehalten werden. Für mich, für die Nachwelt, für wen auch immer.

    Komischerweise hatte ich in den folgenden Wochen bis zum Abflug immer wiederholend denselben Traum: Ich sitze in der Schule. Mal mit jüngeren Kameraden, mal mit gleichaltrigen. Doch immer war ich Schüler. Einmal sagte die Lehrerin etwas von „Disziplin". Da mir seit langem meine Traumanalysen wichtig sind und ich weiß, dass speziell Träume die sich wiederholen etwas zum Ausdruck bringen, habe ich mir überlegt, dass ich wohl in den kommenden Wochen wieder Schüler sein werde. In der Schule des Lebens. Ein Schüler der seine Prüfungen zu machen hat und Disziplin lernen darf. Oder muss. Also schreibe ich mir diese Lektion in mein erstes kleines Heftchen. Mein Tagebuch.

    Von meiner Entscheidung den Camino zu gehen bis zum Abflug waren es nur etwa vier Wochen. Da ich mich selbst eher als mittelprächtig sportlich eingeschätzt habe, konnte das nur heißen, ran ans Training! So viel bergauf gehen zu müssen ohne Kondition ließ eine gewisse Besorgnis in Erscheinung treten.

    Ein freundlicher Physiotherapeut erklärte mir aufbauenderweise am Telefon, dass ich wohl die doppelte Zeit bräuchte um ordentlich frische Fasern auf die vorhandenen Muskeln zu bekommen und um meine Pumpe auf die kommende Belastung vorzubereiten. Tja, das mochte wohl stimmen aber verschieben kam nicht in Frage. Es gab nur einen Zeitslot. Die Zeitgrenze des Gehens bis in den November, wo die Temperaturen schon sehr sanken und viele Herbergen bereits geschlossen haben, war kurz. Jetzt oder nie.

    Ende August wagte ich den ersten Test. Einen vorsichtigen. Zehn Kilometer mit einem Kilogramm am Rücken. Heute klingt das lächerlich, vor allem das eine Kilo, doch es zeigt meine damalige Kondition. Es war ein Anfang.

    Zwischendurch fing ich an mir meine Sachen die ich fürs Gehen brauchte auf einer bekannten Plattform im Internet zu bestellen. Und das war einiges.

    Ich hatte ja nichts, Wandern hatte in meinen Ohren immer einen schönen Klang, doch wirklich machen? Packlisten habe ich im Internet genügend gefunden. Der „Jetzt Bestellen Button im Internet glühte. Sportunterhosen und Socken aus Plastik? Na klar, was nutzt mir gemütliche Baumwolle wenn sie nicht schnell trocken wird? Schuhe hab ich unzählige in Geschäften anprobiert und wusste „die noch einzugehen wird sich kaum ausgehen. Ich entschied mich für ein Paar, das sehr gut am Fuß saß. Drei Wochen hatte ich dieses bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit an um sie nur ja ein wenig weichzukochen.

    Stöcke, Handtuch, Hosen, Schlafsack aber auch Dinge wie Flugtickets und ganz wichtig mein Pilgerpass, mein „Credencial del Peregrino" mussten besorgt werden. Doch gut organisiert war ich schon immer und die Erledigungen waren rasch abgeschlossen.

    Dazwischen standen immer wieder Trainingsläufe am Programm. Meine Feuertaufe und mein „wenn ich das schaff, dann kann ich es schaffen Walk war einmal rund um den Bisamberg mit fünf Kilo am Rücken. Start war in Wolfsbergen, meinem Wohnort. Mein erstes Ziel war ein Abstecher zu meinem besten Freund, der mir Rucksack und Stöcke borgen wollte. Am Weg frage ich meinen Körper: „ist es nicht schön zu gehen, ist es nicht herrlich so sein zu können? Willst Du mit mir gehen? Die Antwort aus meinem Innern war ein klares „Ja!.

    Dooferweise habe ich mir, da ich es ja richtig wissen wollte, einen super sonnigen Tag für die Generalprobe ausgesucht. Kapperl hatte ich zwar am Kopf, doch das hat leider nur wenig gebracht. Ein kleiner Sonnenstich am Abend war das Ergebnis. Inklusive einer üblen Migräne. Über dem Badewannenrand hängend habe ich den Abend verbracht. Doch: Geschafft hab ich den Probelauf und die Kampfspuren vergehen. 20 Kilometer. Diese Zahl sollte sich als mein späteres Tagesetappenziel in Spanien herausstellen.

    Mein rechtes Knie tat mir die ganze Zeit über mehr oder weniger weh. Vielleicht sollte ich nocheinmal zum Orthopäden gehen? Stelle sich einer vor das Knie macht nicht mit. Auf seiner Untersuchungsliege in gespannter Erwartung seines Befundes hat der Herr Doktor vehement an meinem Knie herumgedrückt. Noch viel schlimmer, er hat mit dem Finger neben der Kniescheibe mehrmals fest hineingedrückt. Vielen Dank auch. Jetzt tut das Knie erst richtig weh.

    Doch seine Diagnose lautete: Er hat nichts gegen eine Weitwanderung einzuwenden, mahnt aber ein ich solle bei Bedarf Schmerzmittel zu mir nehmen und langsam losgehen.

    Meine Internistin möchte mich übrigens noch einmal auf`s Ergometerradl setzen. „Zu meiner eigenen Beruhigung, wie sie sagte. Wie mich Ihr Befund „mäßige Leistungsfähigkeit bei 175 Watt beruhigen sollte blieb mir allerdings ein Rätsel. Sie gibt ihr OK und damit habe ich meinen ärztlichen Sanktus.

    Bald darauf ist auch der Flug gebucht. Es wird ernst. Das merke ich auch daran, dass immer mehr Pakete mit Bestellungen bei mir eintreffen. Es ist wie Weihnachten. Tolle, neue Sachen packe ich aus. Alles Profisachen die ich brauchen werde. Gut, nicht alles Profisachen. Manches muss aus finanziellen Gründen eben mit dem Prädikat „Amateur" auskommen.

    Mein Training geht unterdessen weiter. Die Kniescheibe knirscht weiterhin beim Zimmerfahrradfahren. Nach einer dreiviertel Stunde radeln ist mir außerdem regelmäßig der Allerwerteste eingeschlafen. War aber auch fad.

    Inzwischen sind es nur noch zwei Tage bis zum Abflug und meine Nervosität steigt. Werden die schönen Dinge die Unwegbarkeiten und Entbehrungen aufwiegen?

    Wieviel des Alltagslebens kann ich hinter mir lassen? Was werde ich erleben? Was werde ich lernen?

    Gut, dass ich mir nur das Notwendigste im Internet durchgelesen habe. So bin ich unbeschwerter und kann mich ganz überraschen lassen.

    DER TAG DER ANREISE

    Ich sitze am Gare de Bayonne in Frankreich und habe einen guten Teil der Anreise bereits hinter mir. Zuhause konnte ich nach einer kurzen und tränenreichen Verabschiedung alles gut hinter mir lassen. Georg, mein bester Kumpel, hat mich um 4:45 in der Früh abgeholt. Das ist Freundschaft. Ich habe meine Haustür zugemacht und mich nicht mehr umgedreht. Ich habe alles so hinterlassen, dass es in Ordnung ist. Beruflich und Privat. So glaubte ich.

    Ein gemeinsamer letzter „Caramel Macchiato" bei einer beliebten Cafehauskette am Flughafen und eine berührende Verabschiedung. Auch hier…kein Umdrehen mehr. Kein Zurückschauen. Nur noch nach vorne.

    Ich habe mich von allen Freunden und meiner Familie in einer Art und Weise verabschiedet, die mir selbst ein wenig Angst gemacht hat. Ich dachte, ich könnte vielleicht am Camino sterben. Meinem letzten Weg. Wenn dem so war, dann sollte es so sein. Selbst das habe ich in Kauf genommen. Ich musste dorthin.

    Am Gate checke ich mein Befinden. Ich bin nervös, angespannt, habe Respekt vor dem was da kommt obwohl ich keine Ahnung habe was mich erwartet. Angst habe ich keine. Er hat mich gerufen und ich komme.

    Einendhalb Stunden mit der Fokker 70 waren angenehm. Keine Spur von Flugangst, die mich so manches Mal in der Vergangenheit gequält hat. Mein Leben in dieser Situation an Gott zu übergeben beruhigt ungemein. Warum sollte er mich auch vor dem Camino abstürzen lassen?

    Zwischenlandung in Genf. Eine Stunde Wartezeit und weiter ging`s. Das erste Mal in meinem Leben mit einer Propellermaschine. Beim Aussteigen stehen einige Passagiere mit mir im Gang, wartend das die Türe des Flugzeugs geöffnet wird. Da quatscht mich ein Typ mit herrlich amerikanischem Dialekt von rechts fragend an: „You go the camino?"

    Mein Ziel sieht man mir sichtlich an in meiner petrolblauen Wanderhose und meinen neuen Trekkingschuhen. Ein sympathischer Typ. Das wird sicher lustig werden.

    In Biarritz angekommen hocke ich nun nach einer halben Stunde Busfahrt am Bahnsteig und warte auf die Zugverbindung nach Saint Jean Pied de Port. Meinem Anfang und heutigem Ziel.

    Neben mir ein heftig auf französisch streitendes Paar. Ich denke mir „Gott sei Dank verstehe ich nichts von dem was die sich entgegenknallen". Rechts von mir ein Obdachloser der, lautstark Selbstgespräche führend, im öffentlichen WC verschwindet. Gott sei Dank verstehe ich auch den nicht. Es rumort von drinnen heraus. Was macht der da bloss?

    Das pralle Leben schon hier. Meine Wahrnehmung ändert sich. Ausgestiegen aus meinem bisherigen Leben bin ich schon. Ich merke zu dem Zeitpunkt bereits, dass ich mich in einen anderen inneren Modus begeben habe. Offener. Mutiger. Interessierter was da ist. Vor allem spüre ich eine Art von Freiheit. Wochen habe ich vor mir, in denen ich unterwegs bin und mich um nichts aus der Kategorie „Alltag" kümmern muss. Ein herrliches Gefühl.

    Ich sehe immer mehr Pilger am Bahnsteig ankommen, mit ihren bunten Rucksäcken. Die meisten wahrscheinlich genauso ahnungslos wie ich was da auf sie zukommen wird. Jetzt noch eine Stunde Zugfahrt und wir sind da.

    Nach einer Fahrt durch eine wunderschöne Landschaft hält der Zug. Unzählige Personen mit Rucksack steigen aus. Es wird die erste Pilgerkarawane der ich mich anschließe. Zuerst einmal zum Pilgerbüro. Mir meinen ersten Stempel holen, Wetternews und Höhenprofil begutachten. Die morgen auf mich zukommende Steigung verdränge ich lieber erstmal.

    Die erste Nacht wollte ich noch einmal in einem Einzelzimmer verbringen. Ich hab`s noch nicht geschafft, mich in dieser mir so neuen Situation mit zehn anderen in einen Raum einer normalen Pilgerunterkunft zu zwängen. So checke ich nur wenige Meter neben dem Pilgerbüro in eine private Pension ein. So 2-Stern würde ich sagen.

    „Private Pension wird über den gesamten Weg bedeuten, dass es Gästezimmer gibt und der Inhaber im selben Haus wohnt, sich aber sichtlich nicht dieselben Sanitäranlagen teilt. Diese waren hier skurrilerweise am Balkon im Freien untergebracht. Auch die Dusche. Mit einer lustigen Zeitschaltuhr. Unerreichbar von der Dusche aus. Völlig klar, dass es nach wenigen Minuten hinter mir „klick macht und ich eingeseift im Stockdunkeln stehe. Was soll`s? Ich hab mir viel vorgenommen, unter anderem nicht zu meckern und die Dinge hier anzunehmen. Wozu war ich denn hier? Es sollte kein Urlaub werden. Ich wollte mich verändern.

    Die Besitzerin der Pension war für mich schon die erste Prüfung. 83 Jahre alt und, sagen wir, sehr eigen. Außer ihrer Meinung gab es keine andere. Meinte sie. Schon gar nicht von mir. Viel zu jung bin ich Ihr mit meinen knapp 40 Lenzen. Viel zu unerfahren. Wie viele Pilger sie wohl schon aus ihrer Pension hat losgehen sehen?

    Die erste Nacht im fremden, schaukeligen Bett war in Ordnung. Doch musste ich sofort meine hygienischen und komfortorientierten Ansprüche herunterschrauben. „Es wird noch schlimmer werden", sagt etwas in mir. Die Stimme sollte recht behalten.

    DER AUFBRUCH

    23.9. Kayola

    Der Tag eins. Endlich ging es los und ich durfte losgehen. Mich aufmachen. Mein österreichisches Leben vergessen. Neues sehen und lernen. Schüler sein und meine Prüfungen machen. Darauf freute ich mich.

    Das Frühstück bei Madame war äußerst spärlich, sie wollte mir damit sicher einen gut gemeinten Vorgeschmack auf Kommendes liefern. Ein Cafe con leche, also Milchkaffee, und drei bis vier winzige Weißbrotschnitten. Großzügig erschien davor ein Teller mit einem Butterberg bestehend aus schon angelaufenen, gelben und zerhackten Butterstücken. Mit der Messerklinge habe ich die frischesten Fettstücke aus dem Berg herausgepuhlt und auf meinen Brötchen verteilt.

    Zurück am Zimmer wollte ich meinen Rucksack fertig packen. Totales Chaos. Ich hatte keine Ahnung wo ich was hinstecken sollte und was nach oben oder unten gehört. Ausprobieren ist die Devise, du wirst am Weg schon draufkommen wie das am besten funktioniert, beruhigte ich mich.

    Jetzt aber. Es ist soweit. Ich gehe los…erstmal in`s Pilgergeschäft schräg gegenüber um mir eine Jakobsmuschel zu kaufen. Eine mit Kreuz, das ist mir wichtig. Sollen ruhig alle sehen für wen ich hier gehe. Die Muschel gut sichtbar am Rucksack angebracht starte ich los.

    Als erstes wartet das Pilgertor welches aus Saint Jean herausführt. Unmittelbar danach die erste Entscheidung. Über die Berge oder gemäßigter an der Straße entlang. Eine Route welche bevorzugt von Radpilgern genommen wird. Natürlich entscheide ich mich für die harte Variante, die „Route Napoleon". Einmal Pyrenäenüberquerung bitte.

    Mit den geschilderten Erlebnissen von erfahrenen Pilgern und den Warnungen des Mitarbeiters im Pilgerbüro im Kopf, nehme ich mir aus Vernunftgründen heute nur eine kurze Etappe vor. Und das ist gut so, da es mehr oder weniger dauernd supersteil nach oben geht. Fast schon Klettern, gefühltermaßen. Mit 13 kg am Rücken. Soviel wiegt nämlich mein Marschgepäck mit ausreichend Wasser. Ich bin richtig froh mich entschieden zu haben mit Stöcken zu gehen, da diese mir helfen mich nach oben zu schieben.

    Aufgrund meiner kaum vorhandenen Kondition werde ich dauernd überholt. Was ok ist, schneller geht’s halt für mich nicht. Mein Ego bleibt erstaunlich ruhig. Ich will ja ankommen und nicht gleich am ersten Tag den Löffel abgeben. Ich keuche mich lange auf Straßen nach oben um später auf einen steinigen Naturweg zu wechseln. Mein Rucksack fühlt sich nicht zu schwer an. Ich schaffe es gut sein Gewicht zu tragen auch wenn es mehr ist als andere auf den Schultern haben. Gleichzeitig ist klar, dass ich es mit weniger Gewicht wohl leichter hätte. Empfohlen werden 10 Kilo in einem maximal 50 Liter fassenden Rucksack. Meiner fasst 80 Liter.

    Es ist meine Entscheidung die ich hier für mich treffe all das zu tragen. Um diese aber anscheinend doch zu hinterfragen, lässt ein Mann der an mir vorbeizieht mich folgendes wissen. „Ihr Rucksack schaut aber sperrig aus!" Ich korrigiere ihn umgehen. „Nein, nein. Er schaut nicht so aus…er ist sperrig".

    Später hole ich sogar den ein oder anderen ein, der gemeint hat gleich Vollgas bergauf geben zu müssen. Den eigenen Motor gleich am Beginn zu überlasten ist keine gute Idee und wird zumeist dem eigenen Ego geschuldet.

    Meine Conclusio bis hierher: Stetiger Kriechgang ist ähnlich schnell am Ziel wie rasen mit viel Pausen.

    Die Aussicht wird immer beeindruckender. Das Wetter ist wie für mich gemacht. Wolkenverhangene angenehme 20 Grad.

    Nach drei Stunden und etwa 7 Kilometern bergauf komme ich in Kayola an. Niemand da. Ich stehe vor einer großen, versperrten Zauntür. Da ich ein Bett reserviert habe bleibt mir nichts anderes übrig als zu warten. Zwei volle Stunden stehe ich hier bis jemand kommt. Doch gut war`s, denn sonst hätte ich mein Recht auf ein Bett verwirkt, erklärt mir der Mann des Hauses. Wer nicht pünktlich da war, durfte wieder über einen Umweg nach St. Jean mit dem Taxi zurückfahren. Glück gehabt. So sitze ich hier um 16 Uhr und schreibe Tagebuch. Müde bin ich als wäre es Mitternacht.

    Während ich vorhin an der Straße gewartet habe, sind zwei erstaunliche Dinge passiert:

    Schiebt doch tatsächlich eine kleine, mollige Asiatin ihr vollgepacktes Fahrrad über diese affenartig steile Straße nach oben. Keuchend, im Schneckentempo. Das Rad scheint doppelt so groß wie seine Besitzerin. Die kann unmöglich bis hier auch nur einen Meter radelnd zurückgelegt haben. Ich feuere sie an. Sie lächelt und schiebt schnaufend weiter.

    Kurz darauf kommen zwei Frauen den Berg hinunter, was mich ihnen spontan zurufen lässt, dass sie in die falsche Richtung gehen. Ich zeige auf den Berg, der mich und alle Pilger nach Santiago morgen erwartet. Daraufhin antwortet eine der beiden zierlichen Asiatinnen auf Englisch: „Nein, nein wir haben unsere 800 Kilometer zu Fuß bereits hinter uns. Wir beenden unseren Camino heute in Saint Jean." Wie bitte? Ich bin platt. Sind die den ganzen Pilgerweg in die andere Richtung gegangen? Fragen türmen sich in meinem Kopf auf. Schreiben die von rechts nach links? Kriegen die jetzt auch eine Compostela Urkunde in Saint Jean? Vielleicht auf einer Serviette? Jedenfalls habe ich ihnen aus tiefstem Herzen gratuliert und ihnen alles Gute gewünscht…ich der erst einen Tag hinter sich hat!

    Da ich beim Aufsperren der Unterkunft der erste war, durfte ich mir als Belohnung das beste Bett

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